Glühwein mit Folgen von Jo88 ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ich schlinge meine Arme um meinen Körper und klappere mit den Zähnen. Der Wind zieht durch jede Lücke meiner zerrissen Klamotten, lässt den klammen Stoff erstarren und die noch nicht gefrorenen Stückchen Stoff um meine dünnen, mit lederähnlicher Haut umspannten Knochen flattern. Meine schulterlangen, verfilzten Haare sehen von dem Wetter eher wie ein blonder Wischmopp aus Stroh aus, als dass man es Frisur nennen könnte. Ich musste blinzeln, um den trüben Schleier vor meinen blaugrünen Iriden wegzubekommen, der sich aufgrund meiner vor Müdigkeit zunehmenden Augenreiberei gebildet hatte. Der frische Schnee glitzert unter der Fröhlichkeit und Gemütlichkeit simulierenden Lichterketten-Beleuchtung und knirscht unter den Schuhen. Leise schallt die Melodie von „O du fröhliche“ zu mir herüber, vermischt mit unverständlichen Gesprächen und Kinderlachen. Es riecht nach Bratapfel, frischen Waffeln, Backkartoffeln, Knoblauch, Zimt und anderen Gewürzen, die eine Vielfalt von Speisen und Getränken anpreisen. „Verdammt!“ Heute ist es wieder so kalt, dass ich selbst den wärmenden Glühwein schon zur Hälfte verschüttet habe, statt ihn zu trinken, weil ich nicht aufhören kann zu zittern. Dabei sollte mich das warme Getränk doch wenigstens von innen wärmen, wenn es sonst schon keine Wärmequelle gibt. Einen neuen kaufen geht nicht. Der Becher sollte die Nacht über reichen. Aber das schaffe ich mit diesem kläglichen Rest jetzt nicht mehr. Mein Geld ist alle. Alleine um diesen einen Becher und eine Mandarine kaufen zu können, musste ich vier Stunden warten. Vier Stunden, in denen ich auf einer Pappe im Schnee gesessen und die Leute von unten herauf angefleht habe, mich mehrfach umquartieren musste, da ein paar Leute - sowohl Punks als auch feine Anzugpinkel - wohl der Meinung waren, ich sei unerwünscht und diese Meinung notfalls auch körperlich zum Ausdruck gebracht hätten. Vier Stunden, in denen ich gehofft und gebangt habe, jemand würde mich von meinem knurrendem Magen und der andauernden Übelkeit befreien. Vier Stunden, in denen ich von Müdigkeit übermannt wurde und mit jedem Mal, wenn meine Augen sich schlossen, mir gewünscht habe, nicht wieder aufzuwachen. Vier Stunden, in denen ich, sobald meine Augen geschlossen waren, träumen konnte; von einer Wohnung, einem munter vor sich hin lodernden Kaminfeuer, einem mit silbernen Kugeln, Strohsternen und einer Lichterkette geschmückten Weihnachtsbaum mit einem golden glitzernden Stern auf der Spitze, von Weihnachtsplätzchen auf dem Tisch und von ihm in meinem Arm. Vier Stunden, in denen ich gehofft habe, genug Geld zusammen zu bekommen, um bei ihm wieder einen Glühwein kaufen zu können, nur um ihm einmal wieder nah sein zu können. Beim ersten Mal hatte er noch diesen misstrauischen Ausdruck, den mir jeder entgegenbringt, wenn ich etwas haben möchte, für das Geld verlangt wird. Das bin ich schon gewöhnt. Daher hatte ich ihm das Kleingeld direkt mit der Bestellung über den Tresen geschoben. Mit meinen steifen und bebenden Fingern konnte ich das Geld jedoch nicht mehr einzeln abzählen, daher legte ich ihm einfach das hin, was ich in der Hand hatte, überblickte es grob und schätzte, dass es schon reichen würde. In dem Moment wollte ich nur etwas Besonderes und Warmes trinken, um mich aufzuwärmen. Es war damals genauso kalt wie heute. Er zählte das Kleingeld zusammen und schob mir den Rest wieder zurück. Dann überlegte er, nahm ein 20 Cent-Stück in die Hand und wollte es zu meinem Rückgeld dazu legen. Ich schüttelte den Kopf, nahm mein Geld, dankte in höflicher Manier für den inzwischen eingeschenkten Trunk und verabschiedete mich. Erstaunlich, dass dieses - unser erstes - Zusammentreffen schon wieder vier Wochen her ist. Seit dem versuche ich jeden Tag genug Geld zusammen zu bekommen, um mir bei ihm einen Glühwein kaufen zu können. Mit der Zeit sind wir ins Gespräch gekommen. Manchmal reden wir so lange, dass er den Stand schon wieder schließen muss. Die Themen sind eher allgemein. Er hat zwar Anfangs ein paar Mal versucht, etwas über mich zu erfahren, aber nachdem ich mich jedes Mal wieder um eine Antwort gedrückt hatte, hat er es aufgegeben. Wir wissen bis heute nicht einmal, wie der Andere heißt. Ich will nichts von mir erzählen, denn dann müsste ich ihn an mich heran lassen. An mich heran lassen will ich erst recht niemanden, denn das würde bedeuten, ich müsste von mir und meinem Leben erzählen. Von der Einsamkeit, die ich während meiner Schulzeit durchlebt habe. Von dem Bruch mit meinen Eltern. Von meinem Schwul-sein. Von den vielen Männern, die mich in den ersten Jahren auf der Straße über Wasser gehalten haben. Von den Drogen, dem Alkohol, dem Entzug. Und auch von der Bettelei. Das will ich nicht. Ich will mein Leben nicht laut aussprechen. All das habe ich schon einmal versucht und das einzige, was man bekommt, ist ein Gefühlschaos zwischen Mitleid und Ekel. In allen Nuancen. Bis es in Angst und Hass oder Überheblichkeit umschlägt. Beide Varianten sind nicht das Beste, das man sich aufhalsen sollte, wenn der eigene Körper die Knochen wie auf einem Silbertablett serviert. Nein, das ist nichts, das ich jemals wieder jemandem erzählen werde. Und ihm schon gar nicht. Er ist gut so, wie er ist und es würde ihn verändern, wenn ich ihn mit meiner Geschichte aus seiner heilen Welt reißen würde. Darum halte ich mich zum Betteln auch immer in einem anderen Stadtteil auf. Er soll mich so nicht sehen. Es reicht, dass er den Zustand meiner Kleidung sehen kann. Aber etwas Neues ist momentan einfach nicht drin. Nicht einmal Third-Hand. Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich zucke zusammen und weiche automatisch einen Schritt von der Person zurück, deren Hand mich berührt hatte. „Hey... Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Alles okay?“ „Ja... Ja, alles ok. Ich war nur in Gedanken.“ Man, ist der Schnee heute wieder grau! ER war es. Aber was macht er denn hier? Muss er nicht noch in der Bude stehen und diesen wunderbar warmen, mit Alkohol versetzten Traubensaft ausschenken? Verwundert blicke ich wieder auf: „Musst du nicht noch arbeiten?“ „Nein, ich habe den Stand gerade zugeschlossen. Es ist ja schon fast 22:00 Uhr. Außerdem kommen gleich die Hüttenbauer, um die Stände abzubauen. War ja heute der letzte Tag.“ Ich reiße die Augen auf und sehe ihn ungläubig an. Stimmt, morgen ist schon wieder Heilig Abend. Dann suchen meine Augen die Uhr am Kirchturm schräg vor mir um dann meinen Blick, wie bei einem Tennisspiel, immer wieder, zwischen ihm und der Uhr, hin und her pendeln zu lassen. Tatsächlich, 21:56 Uhr! Wie lange stand ich denn dann hier? Das müssen ja mindestens anderthalb Stunden gewesen sein. Oh man, das kommt mich teuer zu stehen. Bei diesen Temperaturen so lange ohne Bewegung kann tödlich sein oder zumindest eine dicke Erkältung bis hin zur Grippe verursachen. Alles nicht schön, ohne heißes Wasser und kuscheliges Bett. Ich bin manchmal so ein Idiot! „Ähm... Also... Dann... äh... schö... schönen Feierabend und schöne Weihnachten...“, stotterte ich überrumpelt. „Danke. Magst du noch mit auf einen Kaffee zu mir kommen? Wir haben heute ja gar nicht quatschen können.“ „Ich...“, zögerte ich zunächst, um dann doch abzusagen. Zu groß war die Angst. „Nein, danke. Ich muss jetzt auch langsam los. Vielleicht ein anderes Mal. Komm gut nach Hause.“ Ich drehe mich um, blicke und winke noch einmal zurück und verschwinde in der übernächsten Seitenstraße. Wieder hatte er mir etwas zum Denken mitgegeben. Warum fragte er jemanden wie mich nach einem Kaffeetrinken? Wieso habe ich gezögert, ihm abzusagen? War das eben wirklich ein trauriger Blick von ihm oder habe ich mir das nur eingebildet? Wenn ja, warum war er traurig? Nur wegen meiner Absage? Was hat er sich erhofft? Warum hat er ausgerechnet mich gefragt? Hatte er das geplant? Das kann nicht sein. Nein, das kann einfach nicht sein. Er konnte ja gar nicht wissen, dass ich dort stand. Ich laufe quer durch die Stadt, bis zum Bahnhof. Hier war aus mehreren Gründen gerade genau der Ort, an dem ich sein wollte: Wärme, Menschen, bei denen ich nochmal um Geld bitten könnte und zusätzlich der vom Weihnachtsmarkt, und somit von der Glühwein-Bude, am weitesten entfernte Ort. An diesem Ort kann ich in Ruhe nach Geld oder etwas Essbarem fragen und brauche mir keine Gedanken machen, ob er mir über den Weg läuft. Schließlich ist es schon spät, der Weihnachtsmarkt ist weit weg, genau wie seine Wohnung und in der Kälte wird er sicher keinen Stadtbummel mehr machen. Ich suche mir also eine windgeschützte Ecke in dem noch stark besuchten Durchgang, ziehe meine Mütze aus der Hosentasche um die vor mir als Klingelbeutel abzulegen und halte Ausschau nach potentiellen Geldgebern. Immer mal wieder spreche ich Leute an, frage nach Kleingeld oder Essen. Die Ausbeute ist leider nicht sehr groß. In der nächsten Stunde habe ich gerade mal 1,38 Euro zusammen und eine halbe Scheibe Brot mit Wurst. Mein Magen freut sich, trotzdem esse ich langsam. Ich habe gerade den letzten Bissen herunter geschluckt, als ich wieder aufschaue. Geradewegs in sein Gesicht. Er schaut mich nur mit starrer Miene an. Ich starre zurück, versinke in der grünen Sommerwiese seiner Augen. Auch ich bleibe stumm und meine Gedanken laufen Amok: Was macht er hier? Ist er mir gefolgt? Warum sagt er nichts? Was denkt er jetzt von mir? Was mache ich denn jetzt? Warum sagt er nichts? Was hält er jetzt von mir? Jetzt sag doch bitte etwas. Rede mit mir. Bitte! Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der wir beide keinen Muskel rührten, streckt er mir plötzlich die Hand hin. Er will mir hoch helfen, fordert mich auf, aufzustehen. Ich zögere. Suche erneut in seinem Anblick nach einer Antwort auf meine stummen Fragen und weiß doch, dass ich sie so, und vor allem nicht an diesem Ort, nicht erhalten werde. Ich greife zu, lasse mir von ihm auf die Füße helfen und stehe nun direkt vor ihm. Es dauert keine zwei Sekunden, da hat er sich meine Mütze vom Boden geschnappt, drückt sie mir in die Hand und zieht mich dann mit sich aus dem Bahnhofsgebäude raus. kribbel Ich achte nicht auf den Weg, bin viel zu sehr mit dem Kribbeln beschäftigt, das sich von meiner Hand stetig in meinem Körper ausbreitet. Außerdem weiß ich auch so , wohin wir gehen. Es ist immerhin inzwischen wohl kurz vor Mitternacht und verdammt kalt. Plötzlich bleibt er abrupt stehen und ich laufe, mangels Achtsamkeit, direkt in ihn hinein. Zum Glück hatte er einen sicheren Stand, denn durch eine schnelle Bewegung konnte er unser beider Fall in die eisigen Schneemassen verhindern. Völlig aus dem Konzept gebracht starre ich ihn an und auch bei ihm haben sich die Gesichtszüge das erste Mal, seit er mich im Bahnhof gefunden hat, verändert. Er sieht mich erschrocken an, fängt sich aber auch schnell wieder und schon ist sein Pokerface wieder da. Dann zieht er seinen olivgrünen Parker aus und hält ihn mir entgegen: „Zieh ihn an. Du frierst.“ Ich erwidere nichts und greife nach der Jacke. Denn auch wenn ich es nicht zugeben will und seine Berührungen eine warme Welle nach der anderen durch mein Inneres jagen, weiß ich doch, dass er recht hat. Als ich den Reißverschluss bis unters Kinn geschlossen habe und durch einen tiefen Atemzug seinen Geruch einatme, greift er wieder stumm nach meiner Hand. Dieses Mal laufen wir, wenn auch weiterhin ohne ein Wort zu wechseln, nebeneinander her. Wir bleiben, zwei Querstraßen vom Weihnachtsmarkt entfernt, vor einem dreistöckigen Fachwerkhaus stehen. Während er in seinen Hosentaschen nach dem Schlüssel sucht, blicke ich die Fassade hinauf. Auch im Dunkeln erkennt man die feinen Verzierungen, die sich in einem waagerechten Streifen, eingearbeitet in einen Holzbalken, an der kompletten Front befindet. Ebenso in altdeutscher Schrift ein typischer Spruch, der Haus und Bewohner Segen und Frieden verspricht. In der Zwischenzeit hat er den Schlüssel gefunden und die Tür aufgeschlossen. Er wohnt im ersten Stock. Eine gemütliche Zwei-Zimmer-Wohnung. Wir stehen im Flur und ziehen unsere Schuhe aus und während er mir den Parker abnimmt und aufhängt, schaue ich mich um. Der Flur ist weiß gehalten, mit einzelnen dünnen blauen Querlinien. Zudem hängen zwischen den abgehenden Türen kleine Gemälde in unterschiedlichen Blauschattierungen. Rechts neben der Eingangstür ist ein kleiner, in hellem Holz gebauter, Schuhschrank, über dem ein Brett im selben Holz und eine gebogene Eisenstange angebracht, die als Garderobe dienen. Am gegenüberliegenden Ende des Flurs steht noch eine recht große Grünpflanze in einer Ecke. „Komm mit.“, meint er an mich gewandt und ich folge ihm an den ersten beiden Türen, welche linker Hand ins Badezimmer führt und rechter Hand in ein gemütlich wirkendes Wohnzimmer, vorbei. Die rechte hintere Tür ist geschlossen, weshalb ich auf sein Schlafzimmer tippe. Hinter der nun von ihm geöffneten Tür befindet sich eine geräumige Küche. Sandfarbene Wände mit braunen Akzenten hinter einzelnen Regalbrettern und eine mit grauen Blenden versehene Küchenzeile bieten einen Raum, der zum gemütlichen Essen einlädt. Da der Raum groß genug ist, steht unter dem Fenster auch ein kleiner Tisch, an dem 3 Personen gut Platz finden können. Ich werde Richtung Tisch dirigiert, während er den Wasserkocher befüllt und einschaltet. „Welchen Tee möchtest du? Ich hab Kamille, Pfefferminz, Earl Grey und noch ein paar Früchtetees.“ „Ähm... Ich... Pfefferminz bitte.“, sagte ich leise und sah auf die Tischplatte. Ich fühlte mich fehl am Platz. Noch immer wusste ich nicht, was er dachte und warum er mich mitgenommen hatte. War es Mitleid? Das will ich nicht. Und ich brauche es auch nicht. Bisher bin ich auch so klar gekommen. Immerhin lebe ich noch. Aber ich traue mich einfach nicht, ihn zu fragen. „Hier. Trink ihn, solange er noch warm ist.“ Ich bekomme eine dampfende Tasse unter die Nase geschoben, bevor er Zucker auf den Tisch stellt und sich mit seiner Tasse ebenfalls auf einem Stuhl nieder lässt. Nachdenklich sieht er aus dem Fenster und schweigt wieder. Ich sehe ihn immer wieder durch meine verfilzten Haare an, ohne den Kopf zu heben. Nach einer Weile durchbricht er die Stille: „Ich bin übrigens Jonas. Und du?“ Er hält mir seine Hand hin. „Alex.“, antworte ich kurz und schlage ein. Dann herrscht wieder Stille. Jeder hängt seinen Gedanken nach. „Ich... ähm...“, beginne ich leise und durchbreche dieses Mal als erster die langsam unangenehme Stille. „Warum? Ich meine... Warum hast du mich mitgenommen?“ „Du hast gefroren. Also trink aus und dann geh duschen. Ich leg dir saubere Sachen hin. Ein Handtuch findest du im schmalen Schrank neben dem Waschbecken.“ Er stand auf und verließ dich Küche. Ich trinke den Tee aus und gehe dann in das vorher entdeckte Badezimmer. Hier liegen bereits die versprochenen Sachen auf einem kleinen Mauervorsprung zwischen Waschbecken und Toilette. Ich ziehe mich aus, lege meine alten und verdreckten Klamotten zusammengefaltet auf den geschlossenen Toilettendeckel, bevor ich unter das warme Wasser steige. Fertig mit duschen und bereits in die warmen und sauberen Sachen geschlüpft, öffne ich die Badezimmertür. Kaum, dass ich auf Geräusche lausche, tritt mir ein etwas zerzauster brauner Haarschopf, mit dem dazugehörigen Träger, aus dem Wohnzimmer entgegen. „Du siehst besser aus. Lass uns ins Wohnzimmer gehen und etwas reden, okay?“ Er drehte mir direkt wieder seinen Rücken zu und ging zurück. Was war das? Dieser Tonfall... So ganz anders als vorher. War da etwa Unsicherheit in seiner Stimme? Scheinbar bin ich doch nicht der Einzige, der in dieser Situation nicht genau weiß, was er machen soll. Mein Gemütszustand verbessert sich mit dieser Erkenntnisschlagartig und ich trete schmunzelnd ins Zimmer. Wie vom Donner gerührt bleibe ich stehen. Es ist warm und gemütlich, das Licht kommt von einer Stehlampe in einer Raumecke. Er sitzt auf dem Sofa, spielt genauso nervös mit seinen Fingern, wie die auf dem Glastisch vor ihm entzündete Kerzenflamme zuckt. Sie wirft immer wieder neue Lichtreflexe und Schatten auf sein angespanntes Gesicht. Nach einem Augenblick habe ich mich aber wieder im Griff und gehe auf ihn zu. Einen, meines Erachtens nach, gebührenden Abstand einhaltend, sinke ich langsam in die einladenden Polster und lasse ihn nicht aus den Augen. „Du hast mich vorhin gefragt, warum ich dich mitgenommen habe.“, beginnt er leise. „Ich werde es dir erklären, aber ich möchte vorher von Dir ein paar Fragen beantwortet bekommen.“ Ich nicke, doch als mir einfällt, dass er das mit seinem unsteten Blick in Bodenrichtung nicht sehen konnte, füge ich noch ein gemurmeltes „Okay...“ hinten an. Ich bin unruhig. Ich will nicht reden. Aber ich weiß auch, dass ich ihm, alleine schon dafür, dass ich mich in seiner Wohnung aufwärmen, duschen und Tee trinken durfte, diese Antworten schuldig bin. „Wie lange lebst du schon auf der Straße?“ Oh man, gleich den großen Hammer raus... Hatte ich mir nicht heute Abend noch geschworen, ihm nichts von mir zu erzählen? Den Schwur konnte ich jetzt wohl in die Tonne treten. „Seit fünfeinhalb Jahren etwa.“, seufze ich. „Und wovon lebst du? In deiner Mütze waren nicht mal 2 Euro. Davon kannst du dir nicht mal eine Suppe kaufen. Du bist spindeldürr, fast schon abgemagert und trotzdem hast du dir jeden Tag den teuren Glühwein bei uns geholt und immer den vollen Preis bezahlt. Hast du in den letzten Wochen überhaupt etwas gegessen, außer dem kleinen Stück Brot vorhin?“ „Ich weiß, dass da fast nichts drin war. Aber was hätte ich bitte machen sollen? Den Leuten das Portmonee klauen?“ Erschrocken von der Lautstärke und Aggressivität meiner Stimme, zucke ich zusammen und gebe dann leise zu: „Ich habe in den letzten Tagen kaum etwas gegessen. Aber es wird schon gehen.“ „Hast du Hunger?“ „Ich will nicht, dass du mir was schenkst. Du hast schon viel zu viel getan.“ „Ich will es dir nicht schenken! Ich bin bloß ein miserabler Koch und habe gehofft, dass ich dich überreden kann, das zu übernehmen, ebenso den Abwasch danach. Und wenn du schon für mich arbeitest, solltest du ja auch dafür bezahlt werden. Für ein Gehalt reicht es nicht, also muss ich dich anders entlohnen. Wenn du also Hunger hast, sieh es als deine heutige Bezahlung. Sollte ich damit zufrieden sein, können wir gerne darüber sprechen, ob ich dich auch anderweitig hier beschäftigen kann.“ Mein Kopf ruckt hoch. Wie bitte? „Du... Du willst, dass ich mein Essen durch kochen und abwaschen verdiene?“ „Ganz genau. Bei mir gibt es nichts umsonst.“ „Aber der Tee, die Dusche und die Klamotten...“, erinnere ich ihn, mit Unbehagen. Wenn er nichts umsonst gibt, wird er auch dafür etwas verlangen. Aber was? Ich hatte mir doch geschworen, meinen Körper nie wieder zu verkaufen. Angespannt sehe ich ihn an. „Nun, da hast du recht. Also haben wir drei Möglichkeiten: Entweder du bezahlst mir die Sachen in Raten von deinem Geld ab, du bleibst hier und machst meinen Haushalt oder du machst mir selbst ein Angebot, um den Wert auszugleichen.“ Was soll ich denn jetzt machen? Die Ratenzahlung mit Bargeld werde ich nicht leisten können, ohne zu stehlen oder... andere Dinge... zu machen. Hierbleiben wäre schön. Es ist warm und gemütlich. Aber was will er dafür von mir? Es wird ihm wohl kaum nur um Essen kochen und abwaschen gehen. Also was könnte ich ihm bieten? Mehr als mich selbst habe ich nicht. „Ich... Ich weiß nicht, was... was ich dir dafür geben kann. Aber... aber das Geld... das... das brauche ich für Essen... und...“, stottere ich betreten. Es bleibt also nur die eine Möglichkeit und das weiß nicht nur ich, das ist mir klar. Steif und mit gesenktem Blick warte ich, was er nun mit mir vor hat. „Nun, dann würde ich sagen, es bleibt nur noch die Möglichkeit, dass du hier bleibst. Demnach sollte ich dir wohl die Bedingungen mitteilen.“ Ich nicke stockend, da mir kein Ton mehr über die Lippen kommen will. „Erstens: Ich will, dass du in der Wohnung bleibst, außer ich schicke dich los. Zweitens: Du wirst diese Wohnung sauber halten. Mit allem Drum und Dran. Drittens: Ich will, dass du deine alten Lumpen wegschmeißt. Du kannst die behalten, die du jetzt an hast. Außerdem werde ich noch was im Schrank für dich haben, das du anziehen kannst. Und da du somit praktisch mir gehörst, wirst du von mir auch noch ein zusätzliches Accessoire erhalten.“ Jonas steht auf und geht zum Sideboard. Aus einer Schublade holt er etwas heraus und kommt damit wieder zurück zum Sofa: „Steh auf und dreh dich um!“ Sein Ton ist scharf, sein Blick ebenfalls. Ich muss schlucken. So ganz ist das Ganze noch nicht in meinem Gehirn angekommen. Stumm tue ich, was er mir gesagt hat. Er steht jetzt direkt hinter mir. Durch seine Nähe werde ich noch nervöser. In meinem Bauch fängt es an zu kribbeln. Dann sehe ich, wie ein schwarzes Band vor meinen Augen entlanggezogen wird. Kurz darauf fühle ich etwas kaltes, stabiles an meinem Hals. Ich hebe meine linke Hand und taste vorsichtig danach. Es ist ein gefüttertes Lederhalsband und wärmt sich sofort auf meine Körpertemperatur auf. Ein leises klicken erklingt, dann dreht er mich wieder zu sich herum. Ich bin geschockt. Ein Halsband! Langsam zieht sich mein Magen zusammen. Aus Angst. Was hat er vor? Jonas hebt seine Hand und streicht mir eine Haarsträhne aus den Augen. Dann drück er mich sanft zurück aufs Sofa und setzt sich neben mich. „Den Schlüssel für dein Halsband habe ich an meinem Schlüsselbund. Du wirst Zeit haben, dich daran zu gewöhnen, bevor ich dich aus der Wohnung lasse.“ Wieder kann ich nur stumm nicken. „Schlafen kannst du hier oder im Schlafzimmer. Einen entsprechenden Schlafplatz werde ich dir heute noch selbst herrichten. Morgens wirst du den jedes Mal wieder wegräumen. Ab morgen machst du es dann selbst fertig. Also, Alex, wo willst du schlafen?“ Er sah mich fragend an. „Ich... ich glaube, ich würde gerne hier schlafen.“, ringe ich mir dann doch ein paar Worte hervor. Er nickt. „Sieh zu, dass du in die Küche kommst und kochst!“, kommt dann in befehlshaberischem Tonfall von Jonas. Ohne ein weiteres Wort stehen wir auf. Er holt die Sachen für meinen Schlafplatz und ich mache mich auf die Suche nach Lebensmitteln. Es fanden sich Reis, Paprika, Zwiebeln, Tomaten, Aubergine, Zucchini und frische Champions. Also mache ich mich an eine Reis-Gemüsepfanne. Das werde ich wohl noch hinbekommen. Kurz bevor das Essen fertig ist, decke ich den Tisch, gieße den Reis ab und will gerade Jonas Bescheid geben, als er schon zur Tür reinkommt. „Das riecht gut. Aber für wen ist der zweite Teller auf dem Tisch?“ „Ähm... du... du hast doch gesagt, dass... dass ich auch...“ „Seit wann haben Haustiere etwas am Tisch zu suchen?“, unterbricht er mich scharf. Verdattert und meines Sprachzentrums beraubt, sehe ich ihn an. „Hier ist dein Napf. Füll‘ ihn auf und geh dort in die Ecke. Deinen Wassernapf kannst du auch gleich daneben stellen.“ Ich mache, was er mir sagte, wenn auch mit einem mulmigen Gefühl. Und zugleich wundere ich mich, warum ich ohne Widerspruch gehorche. Während Jonas am Tisch sein Essen genießt, knie ich mich vor meine Futterschüssel und versuche ohne Besteck an mein Essen zu kommen, denn die Gabel, die ich mir vorher vom Tisch nehmen wollte, hatte er mir direkt wieder weggenommen. Aus diesem Grund gehe ich davon aus, dass er auch andere Hilfsmittel nicht gestatten wird. Wie sagte er noch: ‚Haustiere gehören nicht an den Tisch.‘ Da er mit dem Haustier offensichtlich mich meinte, nutze ich auch meine Hände nicht zum essen. Nach etwas Übung habe ich die beste Methode gefunden und kann, wenn auch nur langsam, mein Mahl in meinen Magen befördern. Vor allem bleibt irgendwann das Essen nicht mehr im halben Gesicht kleben. Auch das trinken klappt irgendwann immer besser. Als ich dann endlich aufgegessen habe, sehe ich Jonas an. Er ruckt mit dem Kopf Richtung Spüle. Daraufhin nehme ich meine Schüsseln und sein Geschirr, hole auch Pfanne und Topf vom Herd dazu, wasche und trockne ab, fülle meinen Wassernapf wieder auf und räume alles weg. „Komm mit!“, höre ich keine Sekunde später, nachdem ich die letzte Schranktür geschlossen habe, von dem Anderen. Ich folge ihm ins Wohnzimmer, wo er sich auf das Sofa setzt, die Füße hochlegt und auf den Boden neben sich zeigt, wo er eine dicke, zweifach gefaltete Daunendecke hingelegt hat. „Alex, sitz!“ Ich tue, wie mir geheißen und Knie mich neben ihn, indem ich mich auf meinen Hacken niederlasse. Die Hände lege ich in meinen Schoß. Jonas macht den Fernseher an und ich schaue auf den Bildschirm. Plötzlich spüre ich eine Hand in meinen Haaren, die sanft meine Kopfhaut massiert. Ich schaue erschrocken auf und in Jonas Augen. Sie leuchten vor Begeisterung und lassen mich in ihren Tiefen versinken. Als ich merke, dass ich ihn bereits seit einiger Zeit angestarrt haben muss, schießt mir das Blut in den Kopf und ich werde rot. Er schmunzelt: „Bist ein guter Junge!“ Mit diesem Satz wendet er sich wieder dem Fernseher zu, aber seine Hand krault mich weiter. Da wir uns nun vom nächtlichen TV-Programm berieseln lassen, welches mich nicht sonderlich interessiert, hat mein Kopf Zeit zum Denken. Was hat er bloß mit mir vor? Warum habe ich mich überhaupt darauf eingelassen? Was soll das alles? Er behandelt mich auf der einen Seite wie einen Hund, aber andererseits soll ich seinen Haushalt machen, wie eine Putzfrau. Wie passt das zusammen? Und was verspricht er sich davon? Wenn er es auf Sex abgesehen hat, haue ich ab. Das mache ich nicht mit. Ich schlafe mit niemandem mehr. Und schon gar nicht für Geld. Ich sehe wieder zu ihm auf. Sein Blick ist auf die flackernde Mattscheibe gerichtet. Keine Regung ist für mich erkennbar. Interessiert ihn überhaupt, was dort läuft? Die Fernbedienung liegt unbeachtet auf seinem Oberschenkel. Seine Hand in meinen Haaren krault meinen Kopf weiterhin gemütlich und ich merke plötzlich, wie ich mich immer mehr dieser Hand entgegen lehne, die Berührung genieße. Mit diesem Gedanken zucke ich zusammen, fühle mich von meinem Körper betrogen. Ich wollte mich doch nie wieder auf etwas einlassen, bei dem ich den Ausgang nicht kenne. Schon gar nicht, wenn Sex ein möglicher Faktor ist. Jonas muss mein Zusammenzucken bemerkt haben, denn seine Finger stellen ihre Tätigkeit abrupt ein. Als ich daraufhin meinen Blick wieder hebe, schaut er mich nachdenklich an. „Was ist los, Alex?“, fragt er sanft und seine Finger streichen langsam meinen Kieferknochen entlang. „Ich weiß es nicht... Ich... ich weiß nicht, wie ich das hier alles einschätzen soll.“, antworte ich ihm ehrlich und mache eine ausladende Handbewegung. „Ist okay. Ich tue dir nichts. Alles was ich möchte ist, dass du hier bleibst. Es mag ungewöhnlich sein und vor allem auf die Art und Weise, wie ich in heute Abend mit Dir umgegangen bin, für die meisten nicht begreifbar. Aber ich mag dich und fände es schön, wenn du mir den Wunsch erfüllen würdest.“ „Ich...“ „Pssst...“ Er legte seinen Zeigefinger auf meine Lippen. „Lass uns schlafen gehen. Wir können morgen weiterreden. Dein Platz ist hier, solange du im Wohnzimmer schlafen willst. Shorts und Shirt sind im Bad, eine neue Zahnbürste habe ich dir dazugelegt und ein Kopfkissen kannst du dir vom Sofa nehmen.“ Ich nickte stumm. Wenn ich ihn richtig verstanden hatte, kniete ich bereits auf meinem Schlafplatz. Nachdem das Bad wieder frei ist, mache auch ich mich fertig. Die Klamotten, die ich anhatte, lege ich zusammengefaltet auf das Sofa. Die dicke Decke klappe ich auseinander, nehme mir ein Kissen und kuschle mich in meine doch recht gemütliche und warme Schlafstätte. Statt aber, wegen der bereits arg fortgeschrittenen Zeit, direkt einzuschlafen, wälze ich mich immer wieder hin und her. Meine Gedanken haben wieder Freigang. Noch immer bin ich nicht sicher, was ich von Jonas und meiner aktuellen Situation halten soll. Das einzige, das ich weiß ist, dass mein Bauch anfängt zu kribbeln, wenn ich ihn sehe, dass ich schwitzige Hände bekomme, anfange zu stottern und nervös werde, wenn er neben mir steht und dass ein Stromschlag und eine innere Wärme durch meinen Körper fährt, wenn er mich berührt. Ich fürchte, ich habe mich bereits in ihn verliebt. Aber wie denkt er darüber? Ist er überhaupt schwul? Außerdem wird eine Beziehung zwischen uns nicht funktionieren. Zum Einen sind wir völlig verschieden und zum Anderen gehört zu einer Beziehung über kurz oder lang doch Sex, oder nicht? Den kann ich ihm aber nicht geben. Den kann ich niemandem geben. Also werde ich mir das aus dem Kopf schlagen müssen. Werde meine Gefühle für ihn vergessen müssen. Die große Frage ist doch, ob ich das kann, wenn ich hier bleibe. Immerhin sehe ich ihn dann jeden Tag und ich glaube, so stark bin ich nicht. Hier zu bleiben und doch nicht mit ihm zusammen zu sein, das schaffe ich nicht! Ich muss morgen unbedingt mit ihm reden. Ich werde ihm sagen, dass ich nicht bleiben kann, dass ich seine Ausgaben für mich abbezahlen werde. Und mit diesem inneren Beschluss schlafe ich dann endlich ein. Das erste Mal seit mehreren Jahren konnte ich ruhig durchschlafen. Kaffeeduft und der Geruch nach frischen Brötchen weckt mich am nächsten Morgen schließlich. Gähnend stecke ich mich und fühle mich so gut wie lange nicht mehr. Dann stehe ich auf, lege das Kissen zurück und falte die Decke wieder so zusammen, wie Jonas sie gestern Abend für mich bereitgelegt hatte. Als ich damit fertig bin, schnappe ich mir meine neuen Sachen, gehe ins Bad um wenigstens meinen Körper unterhalb meines Halses abzuduschen, meine Morgentoilette zu erledigen und mich umzuziehen. Danach mache ich mich auf in die Küche. Jonas sitzt bereits am gedeckten Tisch, liest etwas auf seinem Smartphone und trinkt nebenbei scheinbar seinen Kaffee. „Guten Morgen.“, grüße ich leise. „Guten Morgen, Alex. Komm her.“ Als ich neben ihm zum stehen komme, deutet er wieder auf den Boden. „Sitz, Alex!“, kommt sein knapper Kommentar, der mir mein Halsband und auch den gestrigen Abend wieder deutlich ins Gedächtnis ruft. Ich gehorche und gehe neben seinem Stuhl auf die Knie. Dann schmiege ich, wie ein echter Hund, meinen Kopf an sein Bein. Sofort spüre ich wieder die kraulenden Finger in meinen Haaren. „Hast du gut geschlafen?“ Ich nicke stumm. „Willst du frühstücken?“ Wieder ein nicken meinerseits. „Was magst du denn auf deinem Brötchen? Wurst? Käse? Honig? Marmelade?“ „Ein halbes mit Marmelade und ein halbes mit Käse, wenn ich darf.“ „Ist gut. Möchtest du das immer zum Frühstück?“ „Das wäre schön.“ „Möchtest du denn auch Kaffee? Es ist noch welcher da.“ Ein drittes Nicken: „ Mit Milch und Zucker bitte.“ „Dann hol deinen Futternapf. Los, bring!“, kommt daraufhin sein Befehl. Ich gehorche und aus irgendeinem Impuls heraus, krabble ich auf allen Vieren zu meiner Futterstelle, ziehe mit der Hand den gewünschten Napf aus der Ecke und schiebe sie vor mir her zurück zu Jonas. Bei ihm angekommen, setze ich mich wieder neben seinen Stuhl und sehe zu ihm hoch. Das strahlende Lächeln und die streichelnde Hand auf meinem Kopf lassen mein Herz stolpern und mit doppelter Geschwindigkeit weiterschlagen. Nach kurzer Zeit streckt er seine Hand nach dem Napf aus und ich reiche sie ihm hoch. Er muss bereits das Brötchen aufgeschnitten haben, denn er fragt direkt: „Kräuterkäse? Erdbeermarmelade?“ „Ja, gerne.“ Kurz darauf reicht er mir den Napf mit, in kleine Würfel geschnittenem, Brötchen wieder runter und schickt mich zurück an meine Futterstelle. Dieses Mal kommt er jedoch hinterher, nimmt den Wassernapf, gießt ihn aus und stellt ihn, zur Hälfte mit Kaffee gefüllt, zurück an seinen Platz. Dann streicht er noch einmal über meinen Kopf und setzt sich wieder an den Tisch. Als ich fertig bin, ist er jedoch nicht mehr da. Also stehe ich auf, räume die Lebensmittel zurück in den Kühlschrank und mache den Abwasch. Nachdem alles wieder an seinem Platz steht, mache ich mich auf den Weg ins Bad, um mir die Zähne zu putzen und danach im Wohnzimmer nach Jonas zu suchen. Er sitzt auf dem Sofa und hat den Fernseher an. Es läuft irgendein Actionfilm, den ich nicht kenne, doch es interessiert mich auch nicht sonderlich. Mein Blick ist vollkommen auf diesen wunderschönen Mann fixiert. Automatisch setze ich mich wieder auf meine Decke. Er scheint es aus den Augenwinkeln bemerkt zu haben, denn er lächelt, als er seine Finger wieder in meinen Haaren vergräbt. Eine Weile erlaube ich mir, diese Zärtlichkeiten zu genießen. Doch als dann wieder eine Werbepause eingespielt wird, räuspere ich mich: „Ähm... Jonas... Können wir reden?“ „Natürlich. Komm her.“ Jonas klopft neben sich aufs Sofa und macht den Fernseher aus. „Du fühlst dich bei mir nicht wohl, oder?“, fragt er leise in meine Richtung, als ich mich neben ihm auf dem Sofa niedergelassen habe. „Na ja... Also... Es ist schon gewöhnungsbedürftig, aber auch schön... Ich... Jonas, ich mag dich. Wirklich! Aber ich kann nicht hier bleiben... Es tut mir leid!“ Ich sehe ihn bei meinen Worten nicht an, blicke die ganze Zeit auf den Boden, Knete nervös meine Hände und warte auf seine Reaktion. „Warum nicht? Hab ich irgendwas falsch gemacht, Alex?“, kommt es kaum hörbar von ihm. „Nein, Jonas. Nein! Wie gesagt, deine Art mit mir umzugehen ist schon ungewöhnlich, aber falsch gemacht hast du nichts. Eher im Gegenteil! Und genau das ist das Problem.“ „Aber wieso ist es dann ein Problem, wenn mein Verhalten für dich okay ist?“, fragt er aufgebracht. „Es geht einfach nicht. Ich kann das nicht. Ich... Ich habe Angst, was passieren wird, wenn ich bleiben würde...“, gebe ich stockend von mir. Die Verzweiflung, die in seinen nächsten Worten mitklingt, lässt meinen Magen verkrampfen und den Kloß in meinem Hals noch weiter wachsen: „Alex bitte... Bitte geh nicht. Ich... Was kann ich tun, damit du keine Angst mehr vor mir hast? Ich will nicht wieder alleine sein!“ „Jonas... Ich liebe dich... schon seit ich dich auf dem Weihnachtsmarkt das erste Mal gesehen habe... Deswegen war ich jedes Mal da. Deswegen habe ich jeden Tag um Geld gebettelt und mir jeden Tag, den teuren Glühwein geholt, obwohl ich nicht selten nicht mal einen Brocken Brot zum essen hatte. Nur um dich zu sehen! Aber ich kann keine Beziehung führen. Das geht einfach nicht. Ich kann dich auf Dauer nicht glücklich machen und ich will, dass du glücklich bist. Genau aus dem Grund muss ich gehen. Ich kann nicht bei dir leben und trotzdem nicht bei dir sein. Das schaffe ich einfach nicht... Bitte versteh mich doch...“ Jetzt rinnen mir die Tränen, die ich eigentlich unterdrücken wollte, doch über die Wangen. „Du... Du liebst mich?“, fragt Jonas ungläubig. Ich nicke. „Aber warum sollte das mit uns nicht klappen? Was sagt dir, dass du mich nicht glücklich machen kannst? Eigentlich müsste ich Angst haben, dass ich dir nicht reiche...“ Zum Ende hin wurde er immer leiser, sodass ich ihn kaum noch verstehen kann. Dieses Mal bin ich es, der ihn ungläubig ansieht: „Du?“ „Ja... Der Moment, als du darauf bestanden hast, den vollen Preis zu bezahlen. Deine sture und ehrliche Art hat mich beeindruckt. Und als du immer wieder bei mir am Stand aufgetaucht bist, habe ich plötzlich gemerkt, was ich für dich fühle. Das war der Punkt, an dem ich Angst bekommen habe. Ich meine, zu einer Beziehung gehört doch Sex. Guter Sex. Aber den kann ich dir nicht geben. Es macht mir einfach keinen Spaß, mit jemandem zu schlafen. Und trotzdem bin ich dir gestern hinterher. Meine Angst, dich nie wiederzusehen, war größer, als die Angst, dich nicht befriedigen zu können. Als ich dich dann gestern am Bahnhof gesehen habe, hat mein Herz aufgehört zu schlagen. Ich musste einfach handeln und ich hoffte einfach das Richtige zu tun. Aber jetzt... Jetzt ist diese Angst wieder da, dass du dir wahrscheinlich irgendwann einen anderen ins Bett holen und dich über kurz oder lang neu verlieben wirst. Teilen will ich dich aber nicht und dann verliere ich dich doch noch. Ich-“ „Stop!“, unterbreche ich ihn. „Hab ich das richtig verstanden? Du... Du liebst mich auch?“ Jetzt ist er derjenige, der stumm nickt. „Und du hast Angst, dass du mir wegen deiner Veranlagung nicht reichen könntest?“ Wieder ein nicken und dieses Mal laufen ihm die Tränen. Verzweifelt hat er die Hände vor sein Gesicht geschlagen und sein Körper wird durch die Schluchzer regelrecht durchgeschüttelt. Vorsichtig ziehe ich seine Hände beiseite, nehme dann sein Gesicht in meine Hände und zwinge ihn so dazu, mich anzusehen. „Jonas, du bist das Beste, das mir in meinem ganzen Leben je passiert ist! Ich hatte genau dieselbe Angst, da ich echt ein Problem mit Sex habe.“ Mit beiden Daumen wische ich die Tränen von seinen Wangen und als er den Mund öffnet um etwas zu sagen, lege ich ihm schnell einen Finger auf den Mund. „Pssst... Ich erzähle es dir. Aber noch nicht heute. Die Geschichte ist nicht einfach für mich. Meinst du, jetzt, wo das Thema Sex vom Tisch ist, könntest du es mit mir versuchen?“ „Ich möchte es auf jeden Fall versuchen, nur... Kannst du denn auf meine Art mit mir zusammen sein? Also so, wie wir seit gestern Abend zusammen sind?“ „Du meinst, als ‚Hund und Herrchen’? Ich denke, dass mir das gefallen könnte. Immerhin habe ich es beim Frühstück ja schon fast automatisch gemacht. Und das Halsband hat etwas Beruhigendes.“, schmunzele ich. „Aber gib mir Zeit mich vollständig daran zu gewöhnen. In Ordnung?“ „Natürlich!“, antwortet er euphorisch, bevor er seine Arme stürmisch um mich schließt und mich endlich küsst. Wow... Sobald seine Lippen meine berühren explodiert ein riesiges Feuerwerk in meinem Bauch und in meinem Kopf. Es dauert keine drei Sekunden und ich höre auf zu denken, kann nur noch fühlen. Alles um mich herum verschwindet. Es zählen nur noch wir beide. Nur dieser Kuss. Als wir uns voneinander lösen müssen, sehen wir uns in die Augen und in dem Moment wird mir klar: Ja, es ist das Richtige. Wir werden es schaffen. Jeder in seiner Rolle. Mit dieser Klarheit rutsche ich vom Sofa, schiebe mit dem Kopf an seinen Knien, um mir Platz zu schaffen und kuschle mich als Hund an ihn. So gut es geht nimmt er mich, meiner Rolle entsprechend und glücklich lächelnd, in den Arm. Auch ich bin glücklich, denn ich weiß, dass ich endlich wieder ein Zuhause habe. Weihnachten ist eben doch das Fest der Liebe! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)