Wegweiser ins Licht von Cognac ================================================================================ Kapitel 24: Balanceakt ---------------------- Kapitel 24: Balanceakt Der Oberschüler griff sich an seinen Gürtel. Den Mechanismus zum Aufblasen des Balls dabei unter dem Profil seines Daumens spürend. Eine Sache hatte er nicht bedacht, doch stellte dies kein unlösbares Problem dar. Er konnte zwar nicht die Power-Kick-Boots für diesen Schuss verwenden, doch war er dafür ja kein Kind mehr und verfügte über genügend eigene Kraft, den Ball so weit wie möglich in die Luft zu befördern. Es zischte kurz, als sich das flexible Material binnen eines Wimpernschlags zur vollen Größe ausdehnte. Shinichi ließ den aufblasbaren Ball aus dem Gürtel springen und kickte diesen, mit einen Rückzieher, über den Container in Richtung der Baustelle. Durch sein Visier verfolgte Korn den Flug des Balls. Er wusste zwar nicht, wo dieser auf einmal herkam, war sich aber sicher, dass das kreisrunde Leder kaum eine Bedrohung für ihn darstellen konnte. Somit rechnete der Mann aus der Organisation nicht mit dem plötzlich folgenden lauten Knall und dem weißen gleisenden Licht, dass ihm von jetzt auf gleich die Sicht raubte. Es leuchtete mit einer solchen Intensität, dass Korn gezwungen war wegzusehen. Seine Augen waren einem solchen Reiz ausgesetzt, die die Netzhaut nicht vertragen konnte. „Was zum Teufel ist das?“ Korn formte seine Augen zu Schlitze, um gegen den bunten Feuerball am Himmel sehen zu können. Es dauerte dennoch bis zum Niederregnen der letzten Funken, bis er wieder ungehindert die Straße unter sich erkennen konnte. Schnell stemmte er wieder sein Gewehr gegen die Schulter und richtige das Fadenkreuz auf den Container. Niemand war zu sehen. Korn konnte auf einmal nicht mehr mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, ob die beiden sich noch dahinter versteckten oder nicht. Er schluckte schwer und wischte sich grob den aufkommenden Schweiß von der Stirn. Was nun? Er stand unter Zugzwang. Die Zeit arbeitete gegen ihn. Sein Schuss wurde durch eine schnelle letzte Bewegung seines Ziels verfälscht und verfehlte das Herz. Dennoch war er davon überzeugt Shuichi Akai schwer genug erwischt zu haben, dass jede Hilfe für ihn zu spät kommen würde. Wie also weiter verfahren? Die Mission abbrechen, für beendet erklären oder doch auf Nummer sicher gehen? Es würde nicht mehr lange dauern bis die Ordnungshüter aus dem Polizeihauptquartier hier eintreffen würden. Vermutlich begannen sie schon das Areal in einem größeren Umkreis abzuriegeln. Eins war glasklar: Falls Korn sich Irren sollte, würde Cognac sicherlich mit ihm kurzen Prozess machen. Gegenüber Mitgliedern seiner neuen Organisation, die bei ihren Aufträgen versagten, besaß er nicht das geringste Mitleid. Wenn der FBI-Agent also nicht wie befohlen sterben sollte, würde er dafür an seine Stelle treten und erschossen werden. Korn knetete mit einer Hand seinen Nacken, um die Anspannung in seinem steif gewordenen Hals zu bekämpfen. Wie sollte er vorgehen? Er zuckte auf, als für einen kurzen Moment die Reflexion eines Spiegels über dem stählernen Müllcontainer hervorblitzte. Sofort setzte Korn einen zweiten Schuss und durchschlug die provisorische Spähvorrichtung Akais, bestehend aus einem -dem Schrott entnommenen- abgebrochenen und verrosteten Rückspiegel eines Mopeds. Er wollte überprüfen, ob ihr Schütze immer noch an Ort und Stelle war und falls ja sicherstellen, dass sein Interesse an seiner Beute gewahrt blieb. Es war eine stumme Botschaft, wie um zu sagen: Sieh her, ich bin noch quietschfidel und bereit dir den Tag zu vermiesen. Doch auch wenn Akais Motiv mehr als ersichtlich war, so biss Korn dennoch an. >Gut, er hat sich also nicht vom Fleck bewegt<, stellte dieser erleichtert fest. >Wie sollte er auch bei einer solch starken Verletzung. Vermutlich kann er nicht einmal mehr alleine stehen. Selbst mit dem Jungen, der bei ihm ist, wäre das kaum zu bewerkstelligen. Sie können nirgendwo hin und sein Zustand müsste sich zunehmend verschlechtern< Korn war sich absolut sicher, dass er alle Asse in der Hand hielt und tatsächlich befand sich Shuichi in keiner wirklich guten Verfassung. Er glühte förmlich und spürte wie der noch andauernde Blutverlust seine letzten Reserven aufbrauchte. Allerdings konnte er nun mit Sicherheit sagen, dass derjenige, der es auf sie abgesehen hatte, weiterhin in seinem Versteck auf der Lauer lag. Auch Shinichi, der bereits unterhalb des Parkhauses im toten Winkel Korns angekommen war, konnte sich dessen nun absolut sicher sein. >Sehr gut. Er hat angebissen<, stellte der Schwarzhaarige zufrieden fest, nachdem der zweite Schuss gefallen war. Shinichi betrat die nur bescheiden abgesperrte Baustelle. Sie war zwar komplett eingezäunt, doch konnte sich der Oberschüler problemlos zwischen zwei der aufgestellten Bauzäune hindurchzwängen. Mit etwas Kraftaufwand schuf er eine schmale Lücke und schob sich durch diese auf das Gelände. Über eine Seitentür, die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr war als eine simple Öffnung in der Wand, kam er in das unfertige Treppenhaus. In der Luft lag der Geruch von Zement und Kalk. Die Wände bestanden aus reinem Sichtbeton und in einer Ecke neben dem Fahrstuhlschacht lagen noch Säcke mit Mörtel, sowie einige Werkzeuge und Eimer mit weißer Farbe, auf einem schmalen staubigen Holztisch verteilt. Shinichi spähte in den Schacht hinein, durch den er bis ganz nach oben sehen konnte. Im letzten Obergeschoss hätte man zweifelsohne die beste Position und die am wenigsten eingeschränkte Sicht, um sie auf der Straße unter Beschuss zu nehmen. Er erklomm die Stufen aufwärts, wobei er stets zwei mit einem Schritt bewältigte. Er musste so schnell wie möglich ganz nach oben. Eine anspruchsvolle Aufgabe gegenüber seiner Kondition, sechs Etagen auf diese Weise hinaufzusteigen, doch dem jungen Detektiv hielt dies nicht auf. Sein Wille war unumstößlich. Als in der letzten Etage ankam, versteckte sich Shinichi als erstes hinter einen der Deckstützen. Leise klackte es, als er das Visier seines Narkosechronometers aufklappte. Es war unheimlich still auf der sechsten Parkebene. Nur der Wind pfiff durch die noch offenen Sektionen und die Planen der Außenbefestigungen raschelten vor sich hin. Vorsichtig lugte Shinichi zuerst links und dann rechts an der Stütze vorbei. Niemand war zu sehen. Er wagte sich aus der Deckung und setzte einen bedachten Schritt nach dem anderen. Einen halben Meter über seinen Kopf verlief die Gebäudetechnik des Parkhauses. Stromleitungen für die Deckenbeleuchtung, aber auch die Lüftungsanlage und die Feuermelder waren schon installiert worden. Shinichis Blick fiel auf eine Palette mit aufgeschichteten Steinen darauf. Sie stand nahe an der Außenwand, die in gleichmäßigen Abständen, durch die -mit Planen abgedeckten- großzügigen und bodentiefen Öffnungen gespickt war. Das wäre der ideale Punkt, um seinen Blick nach draußen zu richten und dabei gleichzeitig nicht vom Treppenhaus her einsehbar zu sein. Eine wohlüberlegte Absicherung im Falle eines Hinterhalts. Präzisionsschützen waren am Verwundbarsten, wenn sie auf der Lauer lagen. Leider war nicht das kleinste Bisschen zu hören und so näherte Shinichi sich allmählich der Palette. Zehn, neun, acht Meter, als plötzlich ein dritter Schuss fiel. >Was zum…< Shinichi machte keine Anstalten sich zu bewegen und blieb, wie angewurzelt, mitten im Raum stehen. Er verstand es nicht und das beunruhigte ihn sehr. >Wo kam auf einmal dieser dritte Schuss her?< Das Knirschen von feinen kleinen Steinen unter zwei Fußsohlen drangen an sein Ohr, sowie das Zusammenklappen eines Zweibeins und das Geräusch eines sich schließenden Reißverschlusses. Shinichi überzog ein eiskalter Schauer. Was war gerade geschehen? Eine dunkle längliche Gestalt mit schwarzer Kappe und grauen Haaren kam hinter ihrem schützenden Posten hervor, das Gewehr dabei in einer länglichen Tasche geschultert. Shinichi erkannte den Mann auf der Stelle. Vor allem da er nun direkt vor ihm stehen blieb, eigentlich die Absicht verfolgend, sich so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen. Das jemand wie Shinichi ihm plötzlich den Weg versperren würde, hatte Korn nicht erwartet. Überrascht von der Präsenz des jeweils anderen, starrten sie sich einen Atemzug lang an. Es waren also wirklich die Männer in Schwarz, die hinter allem steckten. So sehr sich Shinichi auch etwas anderes gewünscht hätte, nun musste er der schrecklichen Wahrheit ins Auge sehen. Es war nicht mehr zu leugnen. „Du bist doch der Junge, der bei dem FBI-Agenten war.“, fand Korn als Erstes seine Worte wieder. „Wie bist du hier heraufgekommen?“ Shinichis Gedanken waren bei Akai, doch durfte er jetzt unter keinen Umständen nachlässig sein, sondern musste clever vorgehen. Seine Betäubungsnadel war schussbereit. Korn hingegen schien keine Waffe zu besitzen, welche er schneller ziehen könnte, als der Oberschüler. Dennoch musste Shinichi auf der Hut sein. Ihm kann etwas entgangen sein, etwas was noch nicht ersichtlich war. Man durfte niemanden von der Schwarzen Organisation unterschätzen. Leute die selbst dem FBI ein Schnäppchen schlagen konnten. „Ich habe das kleine Feuerwerk von mir ausgenutzt, um so nah wie möglich an sie heran zu kommen.“, erklärte Shinichi mit zurückgewonnener Bodenhaftigkeit. „Verstehe, DU bist also dafür verantwortlich gewesen. Verrate mir, wie du das angestellt hast.“ „Das spielt keine Rolle.“, wich der Oberschüler aus, nicht daran interessiert, seinem Gegenüber die notwendige Zeit zum Nachdenken zu verschaffen. „Was allerdings eine Rolle spielt ist, dass ich weiß wer sie sind. Korn. Ich kenne sowohl ihren Namen als auch ihre Zugehörigkeit und wir beide wissen, was das bedeutet.“ Korn verfügte über ein gut geschultes Pokerface und auch seine gespiegelte Brille, ließ nichts von seinem Gemütszustand zu Tage treten, als er antwortete. „Du bist also dieser Shinichi Kudo. Das ist das erste Mal, dass ich dich mit eigenen Augen zu Gesicht bekomme. Unglaublich das jemand wie du, uns so viele Schwierigkeiten bereitet hat. Unser Boss ist ganz besessen von dir und hat noch vieles mit deines Gleichen vor, musst du wissen.“ Während Korn nichts durch seine Mimik an Shinichi durchsickern ließ, konnte dieser wiederrum seinen perplexen Gesichtsausdruck nicht verbergen. Es gab also jemand Neues, der die Strippen zog. Doch wer war das? „Wen meinen sie damit?“, schoss es aus ihm heraus, unfähig seine Neugierde zu bändigen. „Wie viele der Männer in Schwarz sind noch am Leben und unter wessen Leitung stehen sie jetzt?“ Shinichi musste unbedingt hinter die Identität desjenigen kommen. Seine schlimmste Befürchtung ging davon aus, dass Gin zum neuen Anführer aufgestiegen war. Korn brummte ablehnend. „Als ob ich dir das verraten würde.“ Seine Hand wanderte hinter seinen Rücken. Shinichis Muskeln spannten sich an. Er war bereit unauffällig abzudrücken und seinen Gegner Schlafen zu legen. Er zögerte allerdings, als geschärfter rostfreier Stahl aus einer Scheide an Korns Gurt glitt und dieser wenig später ihm ein langes Jagdmesser, mit der Spitze voran, entgegenhielt. „Geh mir aus dem Weg Kleiner.“, drohte ihm Korn. Die Sirenen mehrerer Polizeiwagen ertönten in der Straße unter ihnen. Schnell kamen die Fahrzeuge näher, bis sie am Fuße des Parkhauses anhielten. Man vernahm das Zuwerfen von Autotüren und wie der Bauzaun gänzlich beiseitegeschoben wurde. Anrennende Schritte aus dem Erdgeschoss hallten durch das Gebäude. Es war wie Musik in Shinichis Ohren. „Geben sie sich geschlagen. Die Polizisten werden die gesamte Baustelle umstellen. Sie können nicht entkommen.“, forderte er gefasster denn je. Korn schien, dessen ungeachtet, eine andere Meinung zu vertreten. „Da irrst du dich Bürschchen. Kein Schütze begibt sich selbst in eine Situation, in der ihm nur ein einziger Weg wieder hinaus zur Verfügung steht.“ Er ließ das Messer in seiner ausgetreckten rechten Hand flippen. „Ich habe dich gewarnt.“ Kaum hatte er dies gesagt, sprang Korn mit einem unfassbaren Tempo auf Shinichi zu. Sein langer schlanker Körper war ihm dabei zum Vorteil gereicht. Die Klinge funkelte dem Schwarzhaarigen bedrohlich entgegen, als sie auf ihn zuraste. Shinichi sah sich gezwungen auszuweichen, bevor sein Narkosechronometer zum Einsatz kam. Er schoss in dem Moment, als Korn ihn nur um Haaresbreite verfehlte. Der Ausfallschritt des Detektivs beeinträchtige jedoch seine Zielgenauigkeit, wodurch die Betäubungsnadel am Klingenspiegel oberhalb des Anschliffs abprallte. >Mist<, fluchte Shinichi innerlich. Er hatte ihn verfehlt. Wie konnte er nur so viel Pech haben. Er rechnete fest mit einem zweiten Angriff Korns, doch hingegen all seiner Erwartungen, blieb dieser nicht stehen, sondern lief weiter Richtung Treppenhaus. Er schien nicht daran interessiert zu sein, sich mit dem Oberschüler aufzuhalten, doch müsste ihm doch klar sein, dass der Weg nach unten durch die Polizei versperrt war. Shinichi rannte Korn hinterher. Einen letzten Schuss hätte er noch und dieser musste sitzen. Zu seiner Verwunderung begab sich Korn allerdings nicht zur Treppe, sondern verschwand auf der anderen Seite in einem abgedeckten Durchgang, den Shinichi vorher nicht bemerkt hatte. Dieser führte zu einem kleinen Nebenraum, der nur für autorisiertes Personal zugelassen war. Von dort aus, konnte man über eine Leiter auf das Dach des Gebäudes klettern. Korn wollte also überhaupt gar nicht nach unten, sondern weiter nach oben. Flink wie ein Wiesel erklomm das Organisationsmitglied die Leiter und verschwand durch die Dachluke, ehe Shinichi ihn einholen konnte. Umgehend griff auch der Jugendliche nach der untersten Stege. Korn würde sich nicht in eine Sackgasse flüchten. Was das anging, war sich der Oberschüler sehr sicher. Vielmehr würde dort oben sein -zur Ansprache gebrachter- zweiter Fluchtweg bereitstehen. Shinichi stieg die eisernen Griffe hinauf, welche mit Bolzen in der Wand befestigt waren. Plötzlich fiel ein Schatten auf ihn herab und ein kleiner rundlicher Gegenstand landete, von oben durch die Luke geworfen, zu den Füßen des Schwarzhaarigen. Mit Entsetzen stellte es sich schnell als eine Handgranate heraus, dessen Stift bereits gezogen war. >Scheiße, Scheiße, Scheiße< ratterte es, wie in einer Dauerschleife, in Shinichis Kopf, als er die Beine in die Hand nahm und sich noch gerade so aufs Dach ziehen konnte, ehe die Granate unter ihm explodierte. Es gab einen gewaltigen Ruck und augenblicklich belegte ein Tinnitus sein Gehör. Die Detonation war unmittelbar an seinem Trommelfell, wodurch der Knall schnell in ein unangenehmes Pfeifen umschlug. Shinichis Ohren schmerzten. Kurzeitig war er wie taub. Staub und kleine Betonkörner rieselten auf sein Gesicht. Der Druck der Granate hat vieles von dem entstandenen Material auf das Dach hinausgeschleudert. Shinichi wurde sich langsam bewusst, wie knapp er dem Schicksal entgangen war, in Einzelteile zerfetzt zu werden. Er stand wieder auf, hatte aber Schwierigkeiten nicht erneut zu stürzen. Die vorübergehende Taubheit beeinträchtigte seinen Gleichgewichtssinn. Er fasste sich an seinen Kopf. Blut lief ihm aus den Ohrmuscheln. Shinichi blinzelte gegen das Sonnenlicht und erkannte Korn, über dem schmalen Spalt zwischen dem Neubau und dem angrenzenden Nachbarhaus, in der Luft schweben. Mit einer ausgeklügelten Seilkonstruktion war er drauf und dran seinem Verfolger zu entwischen. Shinichi sammelte allen Sauerstoff, den er besaß, in seiner Lunge. „KORN“, schrie er ihm nach, doch auch wenn er so laut brüllte wie er konnte, er selbst hörte sich nicht. Doch der Mann in Schwarz tat es. Der große pfeildünne Scharfschütze mit Brille drehte sich zu dem jungen Detektiv um. Er grinste kaum merklich. Anscheinend war er sich ziemlich sicher, dass ihn keiner mehr stoppen konnte und vermutlich hatte er damit auch recht. Shinichi schaffte es kaum einen Schritt nach vorne zu setzen. Niemals würde er Korn folgen können oder geschweige denn, ihn betäuben und selbst wenn ihm das gelingen sollte, dann würde er das Risiko in Kauf nehmen, dass Korn in die Häuserschlucht stürzte. Es schien so, als würden seine Gegenspieler erneut die Partie für sich entscheiden und er müsste tatenlos zusehen. Shinichi streckte seine Hand nach Korn aus, als könnte er ihn so noch irgendwie erwischen, doch war das Wunschdenken. Nichts desto trotz zögerte das Organisationsmitglied, was der Oberschüler nicht ganz begriff, bis er auf das Dach des anderen Gebäudes sah. Die Tür, die den Weg hinunter auf die Straße barg, wurde aufgestoßen und ein Dutzend Männer des Sondereinsatzkommandos stürmten den geteerten Aufbau. Gleichzeitig wurde Shinichi von hinten an der Schulter gepackt und zurückgezogen. Mehrere Polizisten mit Schutzwesten traten in sein Sichtfeld, ihre Waffen und ihre Aufmerksamkeit ausnahmslos auf Korn gerichtet, der sich von jetzt auf gleich in einer Patt-Situation wiederfand. Shinichi erkannte Inspektor Shiratori, der den anderen Beamten etwas sagte, was er aber nicht verstehen konnte. Er sah nur kurz zu dem Oberschüler und danach wieder zu Korn, dem er allem Anschein nach dem Befehl erteilte, sich zu ergeben. Auf beiden Dächern waren die Einsatzkräfte der Polizei bereits bis zur Gebäudekante und der dortigen Seilkonstruktion vorgerückt. Jeder erdenkliche Ausweg war versperrt. Nein. Das stimmte nicht. Einen gab es noch. Lass dich niemals lebend erwischen, war ihre Divise. Korn sah zwischen den Trupp des SEKs und den restlichen Beamten hin und her bis sein Blick auf Shinichi fiel. Er bewegte seine Lippen, als würde er zu ihm sprechen, doch der Schwarzhaarige konnte nichts hören, bis auf die dumpfen Rufe der Polizisten, die bei ihm waren. Wie zur Kapitulation hob Korn anschließend beide Hände nach oben, sodass er sich nicht mehr an der Konstruktion festhalten konnte. Langsam kippte er von dem Seil, auf dem er stand und von einem Wimpernschlag auf den anderen, war er aus Shinichis Blick verschwunden. >Nein< Die Polizisten sahen von der Attika hinunter in die Tiefe. Alle ließen sie ihre Waffen sinken. Der Ausdruck in Shiratoris Augen sprach hierbei Bände. Shinichi konnte es zwar nicht hören oder sehen, doch war ihm klar, was geschehen war. Korn hat sich in einem selbstmörderischen Akt in den Abgrund fallen lassen und war auf dem Boden aufgeschlagen. Er war tot, das stand außer Frage. Einmal mehr wurde die eine Person, die ihm hätte Antworten liefern können, eliminiert. Lass dich niemals lebend erwischen. Shinichis Gehör fand langsam zu alter Stärke zurück, als ihn die Polizisten aus dem Parkhaus und von der Baustelle führten. Sie hatten, verständlicherweise, eine Menge Fragen an ihn, doch gelang es dem Oberschüler sich loszureißen, sobald sie die Straße erreicht hatten. Er stürmte durch ein Meer von Streifenwagen hindurch, die die Ladenpassage in ein blinkendes rotes Licht tauchten. Auf der Rückbank eines der Fahrzeuge saß der Hauptkommissar Hyoe Kuroda der Shinichi durch die getönten Scheiben nachsah. Für Rum war sein Verhalten ganz natürlich. Er wollte jetzt keine Erklärung abgeben oder mit auf das Präsidium kommen. Er wollte zu Akai und nach ihm sehen. Sollte er doch, wenn er so darauf bestand. „Nein Kudo warte. Bleib lieber hier.“, bat ihn Shiratori, aber er wurde ignoriert. Shinichi eilte Hals über Kopf zurück zu dem Container, hinter dem sie sich versteckt hatten. Ein Krankenwagen stand daneben und zwei Sanitäter mit Trage hielten sich bereit Shuichi mit sich zu nehmen, doch aus irgendeinem Grund taten sie es nicht. „Worauf zur Hölle wartet ihr? Helft ihm!“, verlangte Shinichi, bis er es selbst sah. Hinter dem Container saß Shiho auf ihren Knien, den Kopf Akais in ihrem Schoß ruhend. Ihr Gesicht war überzogen mit Tränen und…. mit Blut. Sie strich gedankenverloren den Kopf des FBI-Agenten. Seine grünen Augen waren geschlossen. Er lag ganz friedlich da, als würde er schlafen. Um sie herum war noch mehr Blut. Verteilt auf dem gesamten Fußweg und Shihos Kleidung. Shinichis Arme und Beine erschlafften. Wie war das möglich? Ihm ging es doch noch gut, als er aufbrach. Wo kam das ganze Blut her und was machte Shiho eigentlich hier? Wie hatte sie die beiden gefunden? „Akai? H-Hey Akai?“ Der Schwarzhaarige kam nur sehr wackelig auf sie zu. Seine Stimme zitterte und war abgebrochen. Die junge Wissenschaftlerin sah schniefend zu ihrem Freund auf. Als sie seine fragenden Augen erblickte, konnte sie bloß schwer etwas erwidern. Ihre Tränen perlten von ihrem Kinn. „E-Er hat sich… f-für mich geopfert.“, presste sie schmerzlich hervor. Shiho schaute auf Akai hinab, sodass die Tränen sich einen neuen Weg über ihr Gesicht bahnten und sich an ihrer Nasenspitze sammelten, ehe sie auf Shuichis aschfahles Antlitz fielen. Shinichi entsagten die Kräfte und er fiel zu Boden. Die Sanitäter gingen sofort zu ihm, doch fehlte ihm im Grunde nichts. Die Verletzung, die ihn plagte, saß tief in seinem Inneren und konnte von ihnen unmöglich versorgt werden. Er stemmte seine ausgestreckten Arme gegen den Asphalt. Die Wahrheit, die grausame Erkenntnis, erschlug ihn wie ein gewaltiger Fels. >Der dritte Schuss< Shinichi kroch auf allen Vieren auf den am Boden Liegenden zu. >Jemand hatte noch einmal geschossen, doch dieser jemand war nicht Korn gewesen< Er packte Akai an der Schulter und begann ihn zu schütteln. „Akai? Was ist denn mit dir? Sag doch was.“ „Sh-Shinichi… n-nicht.“, flehte ihn Shiho an, doch der Oberschüler war wie in einem Funkloch abgetaucht. Er drehte den Agenten auf den Bauch. Eine zweite große Eintrittswunde offenbarte sich ihm. „Nein“ Shinichi kam sich vor wie in einem Alptraum. „Nein“ Sollte es so enden? Hatte das Schicksal sich wirklich dazu entschieden? „E-Er ist tot Shinichi.“, beichte ihm Shiho voller Leid. Alles in ihm wurde in einen tiefen dunklen Abgrund gezogen. „AKAAIIII“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)