A Place to Belong von Puppenspieler ================================================================================ 33 -- Irgendwo auf dem Marktplatz konnte er die empörten Rufe von Ruby hören. „Cinna, wir müsse da nit hin!“ „Marcus, wat in alle Welt wills‘ do denn domit?!“ „Blank! Jitz trödel nit!“ Es war entspannend; seit sie angekommen war, hatte sie die Jungs längst unter ihre Knute gebracht, und so nutzte Bark es gern mal aus, dass er ihr die Verantwortung über alle Einkäufe und Besorgungen übergeben konnte, sicher wissend, dass dann auch wirklich alles ankommen würde. Ohne, dass es Stunden zu lange dauerte. Ohne, dass am Ende die Hälfte fehlte. Ohne, dass der Einkaufszettel auf halbem Weg verloren ging und die Jungs mit hängenden Köpfen zurückkamen, um sich die Strafe für ihre Dusseligkeit abzuholen und einen neuen Einkaufszettel gleich mit dazu.   Es machte Spaziergänge durch das Einkaufsviertel so viel entspannter, wenn er die Knirpse nicht selbst hüten musste wie einen Sack Juckzirpen, sondern auch einfach mal entspannt die Gedanken schweifen lassen konnte, die Aussicht über das geschäftige Treiben genießen…   Oder eine kurze Pause in der Taverne einlegen, um ein bisschen was zu trinken.   Etwas, das er gerade auch tat. Noch ein letzter Blick in die Ferne, doch nachdem es immer noch sehr danach aussah, dass Ruby alles im Griff hatte, wandte er sich endgültig von seinen Schützlingen ab und marschierte schnurstracks zur nächsten Schenke. Sie hatten einen Treffpunkt ausgemacht, an dem sie sich wiedertreffen würden, er hatte Ruby ein paar Münzen extra mitgegeben, damit sie sich alle mit Süßigkeiten bei Laune halten konnten. Es passte also alles.   Im Inneren des Ladens begrüßte ihn der Lärm fröhlicher Betriebsamkeit. Eine Schankmagd wand sich elegant an ihm vorbei und schenkte ihm ein Zwinkern, bevor sie mit ihrem Tablett in der Menge verschwand, um Getränke an durstige Gäste zu verteilen. Bark ließ sich an einem freien Tisch nieder und streckte entspannt die Beine von sich, lehnte sich zurück, und… beobachtete. Für einen Schauspieler keine schlechte Angewohnheit. Man konnte erstaunlich viel aus dem Gebaren seiner Mitmenschen erfahren, um es dann in das eigene Handwerk zu integrieren.   Und nicht nur für einen Schauspieler war das nützlich – für einen Dieb genauso.   Während er noch über die Nachlässigkeit einer jungen Dame sinnierte, die ihr Geld so offen trug, dass es ihm selbst in diesem belebten Umfeld ein Leichtes gewesen wäre, es zu stehlen, fiel ihm der kleine blonde Knirps das erste Mal auf. Zu klein, um alleine in eine Taverne zu gehen, zu wild, als dass er allzu gut erzogen wäre. Er wuselte zwischen den Tischen hindurch, blieb hier und da kurz stehen, um jemanden oder etwas näher zu betrachten, und lief dann weiter. Kaum jemand schenkte ihm Beachtung – so wie Bark auch ging wohl jeder davon aus, dass er mit Mutter oder Vater gekommen war, die ihn zurückpfeifen würden, wenn seine Aufdringlichkeit überhandnahm.   Doch ihn pfiff niemand zurück. Und irgendwann wurde es lästig: „Sag mal, hast du keine Eltern?!“, zischte ein untersetzter Mann, aus dessen Worten so viel Ärger wie Alkohol sprach. Der Junge hielt inne. Bark bemerkte einen Schwanz in der gleichen Farbe wie sein Haar, der sich interessiert in seinem Rücken kräuselte und herumtanzte. „Eltern?“ „Na los, verschwinde, du Pest! Du wirst zuhause bestimmt schon erwartet!“ Der Junge legte den Kopf schief, lehnte sich zu dem Kerl vor, der ganz offensichtlich keine Lust auf ihn hatte. „… Was ist ein Zuhause?“   Bark seufzte. Er stemmte sich mit einem Ächzen wieder hoch auf die Beine, schob sich an einer Schankmagd vorbei und packte sich den Jungen, bevor der Trunkenbold ihm gegenüber seinem sichtbar wachsenden Ärger Luft machen konnte.   „Da wohnt man, Jungchen.“ „Hm. Sowas hab ich nicht. Braucht man das?“ „Es macht das Leben leichter“, gab Bark achselzuckend zurück. Er rückte das Fliegengewicht auf seinem Arm so zurecht, dass er es bequemer halten konnte. Große Augen musterten ihn aufmerksam, interessiert.   „Du siehst ganz schön albern aus, alter Mann.“   Bark verpasste dem Knirps einen mahnenden Klaps auf den Hinterkopf. „Du bist ganz schön frech, Junge. Ich bin ein Mann im besten Alter, und von albern brauchst du gar nicht reden.“ Sprach’s und zupfte, um seine Worte zu unterstreichen, an dem gedankenverloren herumpeitschenden Schwänzchen. „A-au! He! Du Grobian! Lass mich runter!“ „Damit du weiter die Gäste hier nervst? Nah, lass mal. Wir beide gehen jetzt, und dann erzählst du mir, wo du abgehauen bist, damit ich dich da wieder abliefern kann.“ „Weiß ich aber nicht“, gab der Knirps zurück, zuckte mit den Schultern. „Sieht doch alles gleich aus hier. Überall Häuser und so Zeug.“ „Und wo kommst du her?“ „Hmmm…“   Der Knirps schwieg, während Bark seine Getränke bezahlte und ihn dann aus der Taverne hinaus zurück ins geschäftige Einkaufsviertel trug. „Ah. Ich weiß wieder.“ Den Blick hatte das Kind inzwischen in den Himmel gerichtet. „Ach? Lass mal hören.“ „Da.“ Er zeigte hinauf in den Himmel. „Ein blaues Leuchten. Aber anders wie das da oben. Mehr so… Blau.“ „Aha.“ Keine gute Beschreibung, aber was sollte er auch von einem Dreikäsehoch erwarten?   „Also bist du übers Meer gekommen, hm? Bist am Hafen angekommen… und du warst alleine?“ „Genau, alleine. Was auch immer ein Hafen ist.“ Bark seufzte, während der Knirps auf seinem Arm herumkletterte, bis er sich auf seiner Schulter aufstützen konnte, um zu betrachten, was auch immer hinter ihnen lag. „Keine Eltern.“ „Nö. Was ist das?“ „Familie.“ „Kenn ich nicht.“ „Und warum bist du hier?“ „Hmmm… Weil ich nicht woanders bin.“ Er seufzte noch einmal, schüttelte den Kopf.   „Wie heißt denn deine Heimat?“ „Was ist eine Heimat?“ „Ein Ort, an dem man zurückkehren kann.“ Einen langen Moment war der Junge still. Der Schwanz, der vor Barks Gesicht herumgepeitscht hatte, wurde langsamer und langsamer, bis er energielos hinabsank, begleitet von einem Seufzen, das viel zu schwer für den kleinen Kinderkörper war. „Hab ich auch nicht.“   „Dann komm mit mir. Ich geb dir zumindest ein Bett zum Schlafen und genug zu essen, dass du nicht verhungerst.“ „Okay.“ Einfach so. Was für ein seltsames Kind. So einen wie dich findet man auch nur einmal im Leben, huh? „Aber ich warne dich, Knirps: Du wirst dafür rackern müssen! Bei der Tantalus erarbeitet man sich alles hart!“ „Tantalus? Was ist das?“ „Der Name meiner Theatergruppe. Das ist wie Familie.“   Wieder wurde der Junge still, doch das Schwänzchen setzte sich so langsam wieder in Bewegung. Träge, nachdenklich. Schließlich wurde das Wedeln energischer – er schien zu einer Entscheidung gekommen zu sein, worüber auch immer er gegrübelt hatte. „Na gut. Dann mach ich das. Kann ich dann hierbleiben?“ „Hier?“ Der Knirps gestikulierte vage. Bark spürte es mehr, als dass er es sah. „Hier“, wiederholte er. Seine Worte unterstreichend schlang sich der peitschende Schwanz um Barks Oberarm.   „Garharhar! Glaub nicht, dass ich dich immer durch die Gegend schleppe, Bürschchen! Du lauf mal schön auf deinen eigenen Beinen.“   Er setzte den Jungen gerade trotzdem nicht ab, wenn auch eher, weil er Sorge hatte, dass das Balg ihm sofort wieder stiften ging. Er war in der Taverne schon ziemlich fix zu Fuß gewesen, und Bark wollte nicht riskieren, das Kind an irgendwelche zwielichtigen Gestalten zu verlieren. „Du bist nicht so der Netteste, oder, alter Mann?“ Für seine Frechheit kassierte der Kerl noch einen Klaps auf den Hinterkopf. „Mein Name ist Bark, Junge. Chef reicht aber auch.“ „Ach ja. Namen. Hab ich ganz vergessen, dass man die braucht.“ Bark seufzte. „Du scheinst ja mächtig viel vergessen zu haben.“ „Hmmm… Ich hab keinen Namen.“   „Ihr Kinder immer und eure fehlenden Namen… Jungchen, du heißt ab jetzt Zidane, kapiert? Merk’s dir, ich ruf nicht gern zweimal nach jemandem.“   „Könnte hässlicher sein.“   Bark war sich sicher, der Junge würde ihm irgendwann frühzeitig graue Haare bescheren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)