Schillernd wie Seifenblasen von G-w-e-n ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Iggy sog die Atmosphäre im Spielzeugkaufhaus in sich auf. Der betäubende Geruch von Plastik, etwas leicht Zuckrigem wie Bonbons oder Zuckerwatte, die verbrauchte Luft von all den Menschen, die Stunde um Stunde hinein- und hinausströmten. Und dann waren da die Geräusche. Er hatte gedacht, New Yorks Straßen seien überwältigend, aber das hier war völlig neu für ihn. Kinder lachten, schrien, weinten; Eltern redeten, drängten, stritten; aus drei verschiedenen Richtungen schwebte Musik in den großen Raum. Alles vermischte sich in seinem Kopf zu einem Wirrwarr aus Farben und Emotionen, dass ihn schwindelig machte. Sorgfältig filterte er die Sinneseindrücke, wie wenn er eine Bombe zerlegte, alles ins Detail spürend, bis er das Kabel fand, das alles in Bewegung setzte: die Stimmen des Schwarms. Angel und Nudge stürzten zu den Plüschtieren, Max folgte den Kleinen und Gazzy zog Fang und ihn in die Legoabteilung. Gemeinsam blieben die beiden Älteren stehen, als Gazzy begeistert zu irgendwelchen Robotern stürmte. Iggy nahm die überbordende Freude seines kleinen Bruders wahr und spürte, wie sie in seinem Innern durch ein brodelndes Orange reflektiert wurde, doch gerade verlangte es ihn nach etwas Anderem. Vorsichtig tippte er auf Fangs Hand. » Können wir vielleicht nach Seifenblasen schauen? « » Sicher, kein Problem. Kommst du alleine klar, Gazzy? « Er hörte das Knistern des Geldscheins als der Ältere sagte: » Kauf dir was für zehn Dollar und geh' dann zu den Anderen in die Plüschabteilung, okay? « Eine Pause entstand, dann: » Da vorne ist ein Lageplan. « Fang nahm Iggys Handgelenk um ihm die Richtung anzuzeigen und ging anschließend eilig los. Der Blinde folgte ihm dicht auf, damit er ihn nicht im Gewühl verlor. Nach etwa zehn Metern blieben sie stehen, vermutlich vor der Infotafel. » Okay, wie wäre es, wenn wir es zunächst mal beim Kinderspielzeug versuchen und wenn da nichts ist, zur Dekoabteilung. « Iggy nickte. » Gute Idee. « Sie gingen einige Schritte, dann blieben die beiden erneut stehen. » Achtung, hier kommt gleich eine Rolltreppe. « Während sie das halbe Kaufhaus nach Seifenblasen absuchten, spürte Iggy ein unglaubliches Glücksgefühl in sich aufwallen, warm und tiefrot und gut. Darüber, dass sie alle hier sein konnten, den Weißkitteln und Erasern entkommen waren, und dieses Institut würden sie auch noch finden, genau wie die Seifenblasen. Die beiden Jungen waren inzwischen bei einem Regal angekommen, dessen oberstes Brett eine Reihe verschiedener Seifenblasen enthielt. Iggy strich mit den Fingern über jede einzelne Dose und Fang erklärte ihm, was darauf abgebildet war. Ein Bär mit Schleife, eine lachendes Kind, ein Mädchen mit Erdbeere, einfach nur Seifenblasen, Angel. Er zögerte einen Moment. » Angel? « » Jep «, entgegnete Fang. » Ein kleiner Engel mit blonden Locken, sie sieht genauso aus wie unsere Angel. « Iggy lächelte und nahm die Dose an sich. Nachdem sie an einer Kasse in der Nähe bezahlt hatten, machten sie sich auf die Suche nach dem Rest des Schwarms. Die Anderen befanden sich immer noch in der Plüschabteilung, wo Angel einen Teddybär haben wollte, der nach Max' Ansicht viel zu teuer war. Gazzy präsentierte stolz wie Oskar sein Lego-Star-Wars-Raumschiff und beschrieb es Iggy in allen Einzelheiten. Dieser lauschte mit halbem Ohr um den Rest des Schwarms zu erfassen, als Max plötzlich schrie. » Fang! « Panik erfasste Iggy, blau-grün und übelkeiterregend. Waren die Eraser wieder da? Warum hatte er sie nicht wahrgenommen? Fang packte seine und Gazzys Hand und drängte der Musik nach zu urteilen in Richtung einer großen Spieluhr. » Nichts wie raus hier. Ein Ouija-Brett hat mir soeben befohlen, die Welt zu retten. « Obwohl Max' Stimme ihre Furcht verriet, kam der Blinde nicht umhin, einen Seufzer der Erleichterung auszustoßen. Keine Eraser. Rechts neben ihm sagte Gazzy: » Mann, dann wirst du wohl noch berühmt. « » Wo ist Angel? « Fangs Frage krachte herab wie ein Zehn-Tonnen-Gewicht. Die waghalsige Befreiungsaktion von letzter Woche war ihnen allen noch im Gedächtnis wie eine frische Wunde. Wo hatte er Angel zuletzt gehört? In der Plüschtierabteilung. Iggy ließ sich bereitwillig von Fang in diese Richtung manövrieren, bis er die Stimme des jüngsten Schwarmmitglieds vernahm. Angel fragte in ihrem süßesten Sechsjährigen-Ton: » Bitte, Misses, ich möchte den Teddy so gern haben. Kaufen sie ihn mir. « » Was hat sie vor? « Das war Fang neben ihm. Inzwischen antwortete die Angesprochene, doch nicht so, wie er es erwartet hätte. » Ich kaufe dir den Teddy. « Die Frau klang verwirrt und ihre Worte seltsam … leer. Iggy räusperte sich und sagte leise: » Jemand kauft etwas für Angel. « Gemeinsam ging der Schwarm zur Kasse, wo die glückliche Besitzerin des neuen Plüschtiers der Frau überschwänglich dankte. Er verstand es nicht. Wie hatte sie das gemacht? » Was war das denn? «, fragte Max. » Warum hat diese Frau dir den Bären gekauft? Das Ding kostet neunundvierzig Dollar! « »Was hast du noch zu ihr gesagt? « Ja, Angel war süß, aber wie zur Hölle hatte sie es gemacht? Und warum fühlte es sich so … falsch an? » Niemand kauft uns Sachen. « » Nichts «, antwortete sie in leicht trotzigem Tonfall. » Ich habe die Dame nur gebeten, mir den Bär zu kaufen, weil ich ihn unbedingt haben wollte und nicht genug Geld hatte. « Max schob den gesamten Schwarm nach draußen an die frische Luft, doch das ungute Gefühl blieb, ein schmutziges Gelb. » Also, du hast einfach eine Fremde gebeten, dir das teure Spielzeug zu kaufen, und sie hat es getan? «, wiederholte Max Iggys Frage. » Ja, ich habe nur bitte gesagt. Du weißt schon, mit meinen Gedanken. « Der letzte Satz traf Iggy wie eine Kübel Eiswasser. Als sie gemeinsam die Straße hinabgingen, stritten vor ihm Fang und Max mit Angel, aber das fühlte sich bedeutungslos an neben seinem ersten Gedanken. Angst. Okay, Angel hatte nichts wirklich Schlimmes getan, aber ihn hatte allein schon die Tatsache beunruhigt, dass sie jederzeit nach Belieben in seinen Gedanken stöbern könnte. Doch die Vorstellung, dass sie in der Lage wäre, ihn einfach zu kontrollieren, ihn, den Blinden, der ohnehin immer auf die Hilfe Anderer angewiesen war, war schrecklich. Mehr als alles andere fürchtete er, zur Marionette ohne freien Willen zu werden. Schließlich blieben sie neben einem Stand stehen, der nach Gewürzen und heißem Fett roch. Max verteilte von ihrem letzten Geld Falafel an alle und der würzige Geschmack der heißen Bällchen vertrieb zumindest einen Teil der düsteren Gedanken. Da erinnerte Iggy sich an die Seifenblasen, die Fang ihm vorhin gekauft hatte. Es schien eine Ewigkeit her zu sein. Vorsichtig schüttelte er die Dose ein wenig, schraubte sorgfältig den Deckel auf und pustete. Für einige Sekunden war nichts Besonderes zu hören, dann vernahm er das erste Plopp der zerplatzenden Blasen. Dann noch eins und noch eins. Geduldig wartete er, bis das letzte Plopp verklungen war, dann tauchte er den Ring erneut in die Seife. Diesmal konnte er länger pusten, bis der sanfte Widerstand der Seifenhaut verschwand. Iggy hatte die Seifenblasen noch nie gesehen, aber Fang hatte sie einmal für ihn beschrieben: Durchsichtige, bunt schillernde Kugeln, die manchmal aneinander hingen und schließlich zu Nichts zerplatzten. So war eigentlich sein ganzes Leben, oder nicht? Eine schäumende, bitter schmeckende Masse, aus der sie sich manchmal Momente der Ruhe und Schönheit erkämpften, so schnell wieder fort wie sie gekommen waren. Und er konnte diese Schönheit noch nicht einmal sehen, hatte nur das Geräusch, einen Abklatsch dieser Wirklichkeit. Und doch war es wunderwunderschön. Violette Melancholie breitete sich in Iggy aus, durchzogen von den tiefroten Fäden des Glücks. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)