Magister Magicae von Futuhiro (Magister Magicae 7) ================================================================================ Kapitel 12: „Klingt russisch. Wer is´n das?“ -------------------------------------------- Urnue wechselte in seine menschliche Gestalt zurück und hielt sich stöhnend den Kopf. Er hatte Probleme, die Augen auf zu bekommen. „Was ... was ist passiert?“, murmelte er und schaute dabei endlich mühsam auf. Mit einem einzigen, alleserfassenden Blick sah er die Lagerhalle, den Bannkreis, Danny und Josh daneben und ihre beiden Genii darin. Aber viel panischer machte ihn das, was er nicht sah: Ybi und Vy waren weg. „Ich muss zu Ruppert!“, keuchte er, sprang auf, wurde aber im gleichen Moment am Jackenärmel wieder zu Boden gezerrt. „Sekunde mal!“, zischte Josh empört. „Erstmal erklärst du uns, was hier los ist. Und dann wirst du diesen verdammten Bannkreis dort aufheben. Danny hat dich da gerade unter Einsatz seiner Gesundheit rausgeholt!“ Urnue schliefen die Gesichtszüge ein, als er Dannys offenes Hemd, die verrutschte Binde und die gewaltigen, entzündeten Wunden darunter sah. Danny war blass und sein Gefühl der Kälte wuchs aufgrund des Fiebers gerade zu einem ausgereiften Schüttelfrost an. Der unschöne Gedanke, daß das alles seine Schuld sein könnte, ließ Urnue innehalten. Mit fragendem Blick wandte er sich zum Bannkreis um. „Oh Gott ... Das ist ne harte Nuss. Er hat den Bannkreis wirklich selber hier her gebaut“, stöhnte er. Ybi und Vy hatten also tatsächlich mit dem Russen gemeinsame Sache gemacht. Victor hatte ihn ernsthaft mitten in der Nacht aus dem Bett geholt, nur um ihn in einem Bannkreis festzunageln. „Was ist denn damit?“, wollte Josh wissen. „Das da ist eindeutig die Handschrift von Dragomir.“ „Von wem?“ „Victor Dragomir Raspochenko Akomowarov.“ „Hä?“, machte Danny nur. „Klingt russisch. Wer is´n das?“ „Wie lange hast du geübt, um dir so nen Namen merken zu können?“ „Was, kennt ihr Dragomir nicht?“, gab Urnue verdutzt zurück. „Er war der Magister Artificiosus Magicae der Motus. Die rechte Hand vom Chef höchstselbst. Zumindest die Motus kennt ihr doch, oder?“ Wieder schaute er nur in verständnislose Gesichter. Ruppert musste echt gut darin gewesen sein, alle nahestehenden Leute aus seinen Machenschaften heraus zu halten. „Die Motus war eine maffia-artige Organisation mit Stammsitz in Moskau und einigen internationalen Clustern. Sie wurde vor zwei oder drei Jahren zerschlagen.“ „Und was wollen die von dir?“, wollte Danny wissen. „Von mir? Gar nichts. Aber euer Vater steckte da bis zum Hals mit drin. Er hat damals den ganzen Verbrecherhaufen gesponsort.“ „Fuck!“ „Richtig erkannt!“, stimmte Urnue zu. „Ich weiß bloß nicht, was Dragomir plötzlich für ein Problem mit Ruppert hat. Als Geldgeber ist euer Vater sicher der Letzte, den er ins Messer laufen lässt. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß Dragomir sich mit ihm anlegt, wegen irgendeiner Lapalie.“ Magister Artificiosus Magicae. Josh schauderte. Davon hatte er bei seiner Vorbereitung auf die Uni schon gehört. Allein um den Titel 'Magister' zu verdienen, musste man schon eine jahrelange Studienzeit hinter sich haben. Dieser Victor-wie-auch-immer war ein 'Magister Artificiosus', also selbst unter den Magistern und seinesgleichen noch unübertroffen. Die Voraussetzungen, um sich Magister Artificiosus Magicae nennen zu dürfen, waren von Land zu Land etwas verschieden. Wenn der Kerl ein Russe war, hatte er wohl auf drei verschiedene Magie-Arten Prüfungen abgelegt, um diesen Status in Russland anerkannt zu bekommen. Dabei hatten die meisten Magi nur eine einzige, oder maximal zwei magische Veranlagungen. Wie musste man sich so einen Typen vorstellen, der drei verschiedene Arten von Magie beherrschte? „Kannst du Nyu da raus holen?“, bat Danny hoffnungsvoll. „Vergiss es“, entgegnete Urnue auf der Stelle und erhob sich nun doch vom Boden. Diesmal hielt Josh ihn nicht fest. „Dragomirs Bannkreise kann man nicht brechen, er ist einfach zu mächtig.“ „Jeden Bannkreis kann man brechen!“, protestierte Josh. „Sicher! Wenn man mindestens so stark wie Dragomir ist. Dieser Bannkreis hat durch die ganzen Schnörkel und Verzierungen keine Knackpunkte, an denen man ihm beikommen könnte. Mit reiner Technik kommt man da nicht weiter. Den kriegt man nur mit roher Gewalt gebrochen. Und, tut mir leid, Jungs, an Dragomirs Macht komm ich nun wirklich nicht ran“, brummte er und stapfte auf die Ausgangstür zu. „Euren beiden Genii passiert da drin nichts. Ich muss zu Ruppert!“, fügte er noch an. Danny sprang auf und folgte ihm, wenn auch etwas schwerfällig, „U., das kannst du nicht machen!“ „Ich komme so schnell es geht zurück.“ Er zog die Tür auf, wollte festen Schrittes hinaus treten und rannte direkt gegen eine durchsichtige, orange Magiebarriere. Benommen taumelte er zurück. „Aua ... Was zur Hölle ...?“ Er patschte prüfend mit der Hand gegen die magische Wand. „Habt ihr sie noch alle? Lasst mich sofort hier raus!“, verlangte er dann stinksauer und starrte pauschal Danny voller Hass an. Das hier war Bann-Magie, also konnte sie nicht von Josh stammen. Der ältere der beiden Jungen war Hellseher. Das die ihn davon abhielten, zu seinem Schützling zu gelangen, schürte in ihm die blanke Verachtung. Josh kam näher und prüfte ebenfalls die Tür. Er konnte die Barriere als Mensch nicht sehen, aber auch er prallte daran zurück. „Ein Fallen-Bannkreis. Der ist nicht von uns, Urnue“, meinte er entschuldigend. Urnue musste sich erstmal fix und fertig auf den blanken Boden setzen und verbarg verzweifelt das Gesicht in den Händen. Irgendjemand wollte aus irgendeinem Grund, daß er so lange wie möglich hier festsaß. Die Uhr sagte ihm, daß sein Schützling schon seit gut 10 Stunden schutzlos zu Hause saß. Hoffentlich saß er noch zu Hause! Wer, und verdammt nochmal, warum? Victor doch nicht. Der war ein Freund der Familie. Der würde Urnue und Ruppert niemals schaden. „Hör mal, U., ich verstehe, daß dein Schützling für dich die höchste Priorität hat. Ich weiß, wie du dich fühlst. Aber du kommst hier gerade genauso wenig weg wie wir“, sprach Josh ruhig auf ihn ein und schloss ihn tröstend in die Arme. Er hatte den sonst so coolen Wiesel-Geist noch nie so schwächlich erlebt. Der Genius mit den schwarzen Wuschelhaaren rang noch einige Sekunden um Atem und Fassung, bevor er die Hände wieder aus dem Gesicht nahm. Danny ging neben ihm ebenfalls in die Hocke, um ihn aufzumuntern. Ihm fiel wieder die Strieme in Urnues Gesicht auf. Die hatte er schon gestern gehabt, also stammte sie nicht von demjenigen, der ihn hier in die Lagerhalle verfrachtet hatte. „Hat Vater dich geschlagen?“, wollte Danny unglücklich wissen und fuhr die Schmarre auf Urnues Wange zart mit den Fingern nach. Der Wiesel-Tiergeist deutete ein Nicken an. „Weil ich ihm nicht sagen wollte, was es mit Nyu wirklich auf sich hat.“ Mit einem leisen Fluchen, das eine Entschuldigung darstellen sollte, schlang Danny seine Arme um Urnues Hals und drückte ihn an sich. „Das habe ich nicht gewollt“, versicherte er mit spürbar schlechtem Gewissen. Er hätte seinem Vater einfach sagen sollen, daß die Harpyie sein persönlicher Schutzgeist war. Sicher hätte das viel Ärger der letzten beiden Tage und Nächte verhindert. „Welcher Magi schlägt denn bitte seinen eigenen Schutzgeist, Mann?“ Urnue zupfte vielsagend an Dannys Verband. „Und welcher Schutzgeist schlägt seinen eigenen Schützling?“, hielt er in einem Anflug von Galgenhumor dagegen. „He, das war was anderes!“, protestierte der Junge und ließ Urnue wieder los. „Na schön. Lass uns Nyu und dem Dicken helfen“, beschloss er leise. „Hat Vater dich schon öfter geschlagen?“, wollte Josh mit gedrückter Stimmung wissen, jetzt wo die Zeichen der Gewaltanwendung in Urnues Gesicht ihm ebenfalls auffielen. Die hatte er vorher gar nicht für bare Münze genommen. Der Wiesel-Genius atmete nachdenklich durch. „Wirklich geschlagen eher selten. Er hat viel schönere Methoden, mich meine Wertlosigkeit spüren zu lassen. Ich will euch eine Geschichte über Dragomir erzählen ... Über Victor, meine ich. 'Dragomir' nennen ihn ja nur seine Freunde.“ Urnue nahm nebenbei wieder den Bannkreis in Augenschein, während er redete. Ruppert schwebte auf der Astralebene herum und ging seinen hellseherischen Visionen nach. Urnue begleitete ihn dabei, da es hier sehr viele Gefahren für einen Menschen gab, gegen die dieser sich nicht alleine verteidigen konnte. Es war schon Herbst und die Rauhnächte rückten näher. Dann fegten vermehrt „Wilde Jagden“ über Europa hinweg, Horden aus Feenhunden, Feenpferden und anderen grausamen Feenwesen, die alles jagten, was sich nicht rechtzeitig in Sicherheit brachte. Man stolperte schon gelegentlich mal über eines dieser Wesen. Ein einzelnes, bösartiges Feenwesen war auch nicht so das Problem. Aber wenn sie sich im Herbst und Winter zu großen Gruppen zusammenschlossen, konnte es auf der Astralebene für Hellseher und Genii verdammt gefährlich werden. Schon jetzt fanden sich langsam die ersten dieser Kreaturen zu Rudeln zusammen, um sich auf die Jagden vorzubereiten. So wie dieser wilde Pulk da vorn. Urnue fluchte leise, als er die schwarzen Schatten von weitem näher kommen sah. Und sie waren verdammt schnell. Aus der Ferne hielt er es für Feenhunde. Das war am wahrscheinlichsten, denn auf die traf man, gerade um diese Jahreszeit, öfter. Die waren am häufigsten und am angriffslustigsten. Er hatte aber keine Zeit mehr, zu warten, bis er mehr erkannte. Jeder Meter, den er einem Teufelshund oder Kirchengrimm zugestand, war ein verlorener Meter. Urnue schaffte es zeitlich gerade noch, mittels eines vorgefertigen Bannzettels einen Schutzkreis um seinen Schützling zu erzeugen. So war zumindest Ruppert erstmal sicher. Dann konnte Urnue sich mit den Viechern befassen, ohne nebenbei noch auf Ruppert aufpassen zu müssen. Auch wenn er noch nicht so recht wusste, wie er das schaffen sollte. Er hatte es immerhin gleich mit mehreren Angreifern auf einmal zu tun. Als er seine Aufmerksamkeit wieder den Gegnern zuwandte, bemerkte er seinen Irrtum. Das waren keine Feenhunde. Das waren drei Far Laith, Nebel-Kreaturen, die einem Krankheiten einhauchten und Kartoffelfäule brachten. Sie wurden auch 'Graue Männer' genannt und waren seit dem umweltverschmutzten Industrie-Zeitalter eigentlich eher selten geworden. Urnue konnte sich allerdings nicht darüber wundern, gleich von dreien dieser tödlichen Dinger angefallen zu werden. Er war hellauf damit beschäftigt, sich irgendeine Gegenmaßnahme einfallen zu lassen. Nebel zerstreute man am besten mit Wind. Nur dummerweise war er kein Windmagier. Er zog sich mit einer Hand den Kragen seines T-Shirts ins Gesicht und presste sich den Stoff auf Mund und Nase, um gegen den giftigen Atem der Grauen Männer wenigstens einen allernötigsten Filterschutz zu haben. Die andere hob er zur Abwehr und erzeugte mit seiner Bann-Magie einen Schutzschild vor sich in der Luft. Dummerweise übersah er dabei, daß einer der Far Laith ihn schon umkreist hatte und ihm in den Rücken fiel. Er flog unkontrolliert durch die Luft, getroffen von einem wirklich mördermäßigen Hammerschlag, krachte ungelenk zu Boden, überschlug sich bei der Landung, und blieb dann bewegungsunfähig auf der Seite liegen. Die Landung nahm ihm die Luft und da er mit dem Kopf aufgetitscht war, ging ihm auch erstmal das Bewusstsein flöten. Er brachte nur noch einen gepressten Ton heraus und fiel auf die irdische Ebene zurück. Nahm wieder eine stoffliche Form an. Mit seinem immer mehr verschwimmenden Blick sah er die Grauen Männer auf sich zukommen, die sich wie reißende Wölfe auf ihn stürzten. Auch von der Astralebene aus, auf der sie sich verbargen, konnten die ihm schaden. Die würden ihn zerfetzen oder vergiften, das wusste er. Aber er war nicht mehr in der Lage, sich zu wehren. Er hatte verspielt. Urnue hörte noch, wie jemand seinen Namen rief. Bekam mit, wie sich jemand schützend über ihn warf. Spürte die Hand auf seinem Oberarm. Konnte noch den rot leuchtenden Schutzschild erahnen, der zwischen ihm und den heranrasenden Far Laith hochgezogen wurde. Dann wurde sein Blickfeld endgültig schwarz. „Nein! Urnue! Bleib wach!“, rief sein unbekannter Retter ein wenig erschrocken, bevor ihm auch die Akustik wegbrach und er endgültig ins Vergessen abtauchte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)