Magister Magicae von Futuhiro (Magister Magicae 7) ================================================================================ Kapitel 8: „Wir haben zu reden, towarisch.“ ------------------------------------------- Ruppert saß im Wohnzimmer auf einem Sessel, mit seinem Laptop auf dem Couch-Tisch, und verfolgte im Internet den Verlauf der Börsenkurse. Das war als Bankenbesitzer schließlich ein wesentlicher Teil seiner Arbeit. Es war völlig still im Haus, nur an der Wand tickte eine Pendeluhr. Daher vernahm Ruppert das Summen neben sich sehr deutlich. Er schaute hoch, beobachtete, wie sich die Fliege gegenüber auf dem Sofa niederließ, und überlegte schon genervt, wie er sie möglichst effektiv beseitigen könnte. Er hasste Ungeziefer in seinen Räumlichkeiten. Unvorgewarnt verschwand die Fliege in einem größer werdenden Strudel aus schwarzem Rauch und dehnte sich binnen weniger Sekunden zu monströsen Ausmaßen. Ruppert krächzte ein schockiertes „Shit!“. Ehe er sich versah, hatte er einen langhaarigen Russen auf seinem Sofa sitzen, den er sofort erkannte und Gott sei Dank als Freund einstufte. Keine Frage, wie der hier rein gekommen war. In seiner Fliegengestalt passte der Gestaltwandler durch jedes gekippte Fenster. „Dragomir! vy w londone?“ [Du bist in London?], grüßte Ruppert hyperventilierend. Er musste erstmal seinen Puls wieder in den Griff kriegen. Und, verdammte Axt, er musste dringend Fliegen-Gage an seinen Fenstern anbringen! Victor setzte ein leicht gehässiges Lächeln auf, das seine Augen aber nicht erreichte. Es war durch und durch frostig. „Vorübergehend“, bestätigte er. „Hast du mich vielleicht erschreckt! ... äh ... ich freu mich, dich zu sehen.“ „Das bezweifle ich stark“, hielt der Russe dagegen. Er wusste, daß Ruppert so ziemlich allein im Haus war. Urnue hatte er persönlich wegfangen lassen, und Rupperts zwei Söhne hatte er gerade samt ihren Genii weggehen sehen. Es war nur noch die Haushälterin da, eine ungebundene Genia, mit der er aber im Zweifelsfall fertig werden würde, wenn sie zufällig gerade aus dem Garten hereinkommen sollte. Beste Voraussetzungen also. Der fortwährend kühle Blick und die auffallende Humorlosigkeit des Besuchers machten Ruppert doch langsam unsicher. Er kannte Victor als fröhlicheren, scherzhafteren Mann. Der war heute nicht auf einen ungezwungenen Freundschaftsplausch hier aufgetaucht, das merkte man ihm an. „Ist was passiert?“, wollte der Banker vorsichtig wissen. „Wir haben zu reden, towarisch.“ „Bin ganz Ohr.“ „Du wirst meinen Berg Predanje für mich suchen“, verlangte Victor ernst. Ja, dieser Tonfall war wahrlich keine Bitte. Das war ein astreiner Befehl. Trotzdem schnaufte Ruppert amüsiert. „Was denn, hast du ihn so gut getarnt, daß du ihn selber nicht mehr wiederfindest?“ „Nein. Aber ich will wissen, ob ich ihn gut genug getarnt habe, damit er nicht von anderen gefunden wird.“ Dieser Berg, den er 'Predanje', also übersetzt 'Mythos', genannt hatte, lag im tiefsten Nirgendwo abseits jeglicher erschlossener Zivilisation. Er hatte angeblich ein weit verzweigtes Höhlensystem, das Victor sich wohnlich ausgebaut hatte. Das war seine Zentrale. Dort wohnte er, wenn er nicht gerade in der Welt rumgeisterte und Verbrecher jagte. Niemand wusste, wo Predanje war. „Ja-ja, kann ich nachher gern machen“, gab der alte Kauz im grauen Anzug sich geschlagen, auch wenn er nicht direkt erpicht darauf aussah. Victor verengte drohend die Augen. „Jetzt“, stellte unheilvoll klar. „Halt ich für keine gute Idee. Ich würde lieber warten, bis Urnue wieder ...“ „Jetzt, hab ich gesagt. Fang an.“ Ruppert sah ihm rückversichernd in die Augen und verwarf seine Überlegungen wieder, ob er weiterarbeiten oder dem Gast erstmal etwas zu trinken anbieten sollte. „Hat es einen Grund, warum du es so eilig hast?“, wollte er überfordert wissen. Die Art, die Victor gerade an den Tag legte, kannte er überhaupt nicht von ihm. Als er das letzte Mal nachgesehen hatte, waren sie doch eigentlich noch Verbündete und Freunde gewesen, oder nicht? Also was sollte diese Nummer jetzt? „Du brüstest dich doch immer damit, daß du Urnue nicht brauchst und ohne ihn klar kommst. Also lass die Hinhalte-Taktik. Fang an.“ „Aber ...“ Victor pfefferte ihm ein Geschoss aus Bann-Magie über den Pelz, das schmerzhaft von Rupperts Schulter abprallte wie ein Stein aus einer Steinschleuder. Der Treffer zwiebelte mörderisch, selbst durch die Anzugjacke hindurch, was den Banker mit einem Protestlaut wegzucken ließ. „Aua, Mann, spinnst du!? Das tut weh! Was ist denn los mit dir!?“, empörte er sich und ging schnell vor dem nächsten Geschoss in Deckung, das Victors Antwort darstellen sollte. So wie es hinter ihm in die Rücklehne des Sessels einschlug, hätte es ihm wahrscheinlich die Rippen zertrümmert. An der Trefferfläche blieb ein kleiner Riss zurück. „Schon gut, krieg dich ein!“ „Wird´s dann jetzt bald?“ Mit einem Brummen und einem Kopfschütteln nahm Ruppert wieder eine gerade Sitzhaltung ein. Ihm blieb scheinbar nichts anderes übrig, wenn er nicht von den Bann-Projektilen erschossen werden wollte. Er hätte gern mal gewusst, was Victors Problem war. Aber diese Frage würde er wohl nicht klären können, bevor Victors Wünschen nicht vollumfänglich entsprochen war. Um Visionen einfangen zu können, musste Ruppert mit seinem Bewusstsein auf eine andere Ebene wechseln. Sein Verstand verließ die stoffliche Welt und entschwebte gewollt in die Sphären der Astralebene. Es war ungewohnt, alleine hier rumzugeistern, ohne Urnue an seiner Seite. Der Tiergeist konnte ebenfalls auf die Astralebene wechseln, ihn begleiten und ihn hier vor Gefahren schützen. Denn ohne stofflichen Körper war Ruppert ziemlich wehrlos. Er konnte nichtmal schlagen oder treten, er war nur noch ein loses Bewusstsein ohne fleischliche Hülle, eine Astralprojektion. Die Astralebene war ein seltsames Ding. Es war wie eine Parallelwelt. Jeder, der auf diese Ebene schauen oder hier hin wechseln konnte, nahm sie ein bisschen anders wahr. Für Ruppert herrschte hier immer ein rauer, grünstichiger Sandsturm, der die Sonne abdunkelte, ihn nur wenige Meter weit sehen ließ und wild an seiner Energie zerrte. Ein Zeichen dafür, daß er hier eigentlich nicht hin gehörte und sich hier auch nicht unnötig lange aufhalten sollte. Aber dafür konnte er sich hier in dieser Astralwelt wesentlich schneller bewegen. In wenigen Minuten nach Japan switchen? Kein Problem. Manche Dinge existierten in beiden Welten, sowohl auf der irdischen als auch der astralen Ebene. Als Ruppert sich umsah, entdeckte er zum Beispiel Victor, der als leuchtender Schemen vor ihm in der Luft hing. Der saß immer noch auf dem Sofa, aber das Sofa existierte auf der astralen Ebene nicht, nur auf der irdischen. Rupperts gesamtes Haus existierte hier nicht. Dafür standen um ihn herum ein paar wenige, andere Gebäude, die im irdischen London nicht dort waren. Sie sahen auf undefinierbare Weise anders aus als die Häuser, die Ruppert aus seiner Welt kannte. Sie hatten auch senkrechte Wände und Türen und Fenster und Dächer, aber trotzdem war irgendwas an ihnen anders. Der Bankenbesitzer hatte sich allerdings noch nie die Zeit genommen, sich diese Bauten auf der astralen Ebene genauer anzusehen, um den Unterschied genau zu ergründen. Auf jeden Fall sahen sie nach menschlichem Verständnis nicht bewohnt aus. Auch die sehr spärliche Vegetation hier war übrigens völlig anders als man es von der stofflichen Ebene gewohnt war. Zögerlich ging Ruppert los, nachdem er sich vergewissert hatte, daß er mit seinem stofflichen Körper über die übliche Energiebahn verbunden war. Ohne die würde er seinen stofflichen Körper nämlich später nicht mehr wiederfinden und hier verloren gehen. Einmal war ihm das schon passiert, ganz am Anfang. Da hatte sein damaliger Begleiter ihn förmlich einfangen und zurückholen müssen. Er schwebte einfach quer feld ein, da keine Hausmauern ihn daran gehindert hätten. Vorbei an seiner Haushälterin, die scheinbar gerade in einem Blumenbeet Unkraut zupfte, und die er hier auf der Astralebene ebenfalls nur als leuchtende Sillhouette wahrnahm. Wo sein Haus gestanden hatte, befanden sich jetzt etliche Schilder aus Bann-Magie, die sein Heim gegen alle erdenklichen, magischen Gewalten schützten und auf der astralen Ebene sichtbar wurden. Sein Haus war aus magischer Sicht ein echter Schutzbunker, so wie einige andere wichtige Gebäude in London auch. Banken und große, wissenschaftliche Bibliotheken waren auch immer auf astraler Ebene geschützt. Nach wenigen Metern hatte er sein Hausmädchen im Sandsturm zurückgelassen und schwebte weiter. Er sollte also Victors Berg finden. Wie konnte er das am besten anstellen? Hatte Victor irgendwelche magischen Gegenstände in seinem Besitz, nach denen man suchen könnte? Wenn er beispielsweise ein bestimmtes Amulett besaß, das auch auf der Astralebene sichtbare Energie abstrahlte, und das er in seinem Berg Predanje liegen gelassen hatte, dann war dort, wo das Amulett war, auch Victors Berg. Man musste nur das Amulett finden. Ruppert konnte nicht mehr lange überlegen, welche hilfreichen Gegenstände sich denn mal in Victors Hausrat befinden könnten, denn er sah einen ganzen Schwarm Harpyien auf sich zukommen. Diese Viecher verbargen sich gern auf der astralen Ebene, auch wenn sie sehr wohl auf die stoffliche wechseln konnten, und stürzten sich hier auf alles, was sich bewegte, wie Geier auf ein Stück Aas. Wenn man den Anführer des Schwarms abwehrte, hatte man meist gute Chancen, auch den Rest der räudigen Raubvögel loszuwerden. Der Anführer war in der Regel die größte und am gierigsten aussehende Harpyie in dem ganzen Pulk. Aber da Ruppert sich auf der astralen Ebene kein bisschen wehren konnte, trat er panisch den Rückzug zu seinem stofflichen Körper an, um sich auf die irdische Ebene zu retten, bevor die Dinger ihn erwischten. Mit einem Kreischen erwachte Ruppert wieder aus seiner hellseherischen Vision. Er war schweißgebadet und schnappte nach Luft. Himmel, war das knapp gewesen. Victor, der sich die Zeit damit vertrieben hatte, einen von Rupperts Schränken zu durchsuchen, schaute herüber. „Was ist? Hast du meinen Berg schon gefunden?“, wollte er herzlos wissen, ohne die geringste Sorge oder Mitgefühl zu zeigen. Ruppert schüttelte den Kopf und bemühte sich, wieder zu Atem zu kommen. „Ich bin auf der anderen Ebene von Harpyien angegriffen worden.“ „Tja. Aber du bist ja offensichtlich entkommen. Dann such weiter“, trug der Russe ihm stoisch auf. „Willst du mich umbringen?“ „Du sollst suchen gehen, hab ich gesagt.“ „Ist das was Persönliches, was du hier gerade abziehst?“ Na schön. Wenn der Banker nicht hören wollte, musste er eben größere Geschütze auffahren – im wahrsten Sinne des Wortes. Victor griff sich mit einem lustlosen Seufzen den gesuchten Gegenstand aus Rupperts Kommode und kam damit wieder herüber. Ruppert wurde bleich und flüsterte ein fassungsloses 'Scheiße', als er seinen Revolver in Victors Händen gewahrte. Der Russe drückte beim Herüberkommen wie beiläufig die 6-Kammer-Trommel heraus, um zu sehen, ob Munition drin war, und rastete sie dann wieder in die Fassung ein. Ruppert musste nicht auf die Reaktion seines Besuchers warten. Er wusste selber, daß das Ding geladen war. Victor setzte sich zurück auf das Sofa und legte die Waffe demonstrativ gut sichtbar vor sich auf den Couch-Tisch. Da er beim Gestaltwandeln keine eigene mitnehmen konnte, hatte er sich die von Ruppert schnappen müssen, die ihren Zweck aber genauso gut erfüllte. „Such meinen Berg Predanje. Nochmal werde ich das nicht sagen.“ Die Tatsache, daß er nicht aggressiv oder auch nur laut wurde, sondern ganz die Ruhe selbst blieb, machte ihn um so einschüchternder. June, Rupperts Hausmädchen, kam fröhlich aus dem Garten herein, lächelte noch etwas breiter, als sie den Gast von früheren Besuchen wiedererkannte, und grüßte. Das Lächeln schwand ihr aber wieder, als sie die seltsame Stimmung im Raum bemerkte. Hier war gerade spürbar irgendwas passiert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)