Magister Magicae von Futuhiro (Magister Magicae 7) ================================================================================ Kapitel 3: „Ist was passiert?“ ------------------------------ Als Danny aus dem Keller kam und wieder den Hausflur betrat, kam ihm direkterweise Urnue entgegen. Hektisch drehte Danny sich weg. Er wollte nicht, daß jemand das in Fetzen hängende Hemd und die frisch verkrusteten Wunden sah. Glücklicherweise stand er gerade direkt neben dem Kleiderständer, so daß er eine Jacke schnappen, sich überwerfen und bis zum Kinn zuknöpfen konnte. Auch wenn das blöd aussah, denn draußen waren trotz der abendlichen Zeit immer noch 23°C und Sonnenschein. „Hey. Wir gehen mal kurz raus“, erklärte Danny wie beiläufig. „Oh, geht es der Kleinen wieder besser? Wie schön!“, erwiderte Urnue und wuselte begeistert näher. Da seine wahre Gestalt die eines überdimensionalen Wiesels war, erschienen all seine Bewegungen stets unnatürlich schnell, präzise und geschmeidig. Sein Aussehen war ein wenig exzentrisch, fast rockig. Er trug durch und durch schwarz am Leib. Sein ärmelloses Oberteil war rabenschwarz, ebenso die Lederhose, die um seine Hüften und Oberschenkel auffallend eng saß, nach unten aber ausgestellt war. Seine Haare waren wild und fransig, standen in alle Richtungen ab, und waren – natürlich – rabenschwarz. Seine eisblauen Augen pflegte er mit einer Überdosis schwarzem Kajalstift und Eyeliner zu betonen. Er sah zwar extrem hip aus, passte aber so gar nicht zu Rupperts anzug- und krawatten-dominiertem Business-Stil. Wohl der Hauptgrund, warum sein Vater auf den Schutzgeist nicht wirklich große Stücke hielt. Danny warf seiner Genia einen vielsagenden Seitenblick zu und musste feststellen, daß sie schon wieder euphorisch lächelte. „Da hast du deinen Urnue“, erklärte Danny und zog seine Jacke zurecht. Nicht, daß er ihr die gute Laune nicht gegönnt hätte. Ihn hätte nur mal interessiert, was der Grund dafür war. Zugegeben, die meisten Tiergeister wirkten auf Menschen sehr anziehend, aufgrund ihres geheimnisvollen Verhaltens und bei Urnue vor allem aufgrund seiner mystischen Augen. Das lag in ihrer Natur. Aber sie war kein Mensch. Zog Urnues Charisma denn auch bei anderen Genii? „Hi. Gestern ging es ja ganz schön hoch her. Jetzt nochmal offiziell und in etwas entspannterem Rahmen: Ich bin Urnue.“ „Ich bin Nyu!“, stellte sie sich offenherzig ebenfalls vor und streckte ihm sofort die Hand entgegen. Während sie mit Danny fast 24 Stunden gehadert hatte, schien sie vor Urnue keinerlei Angst oder Vorbehalte zu haben. Danny wiederholte den Namen in Gedanken still. Nyu also. Toll, nun wusste er auch endlich wie sie hieß, dachte er und verfolgte skeptisch, wie sie sich von dem fremden Genius kameradschaftlich drücken ließ. Offenbar hatte sie nichts gegen Genii. Auch in dem Zirkuszelt gestern war es ein Genius gewesen, der sie endlich zur Ruhe gebracht hatte, damit man sie von dem Halsreifen befreien konnte, mit dem sie angepflockt gewesen war wie eine Ziege. Wie es aussah, hatte sie nur vor Menschen Angst. Gegenüber Genii war sie sehr viel aufgeschlossener. Urnue trat einen Schritt zurück und beschaute sie von oben bis unten. Er kam scheinbar auch zu einem Ergebnis, konnte es aber nicht mehr kundtun, weil Dannys Vater von der oberen Etage nach ihm rief. Eine Tür flog auf und Josh kam lautstark die Treppe heruntergepoltert. Die junge Frau drehte sich panisch um und wollte den Rückzug in den Keller antreten, aber Danny schloss sie schnell in die Arme. „Bleib hier, Nyu, keine Angst“, redete er ruhig auf sie ein. „Das ist mein Bruder, der tut dir nichts. Ganz ruhig.“ Er spürte, wie Nyu in seinen Armen zitterte und den herunterkommenden, jungen Mann mit schreckgeweiteten Augen anstarrte. Aber sie verzichtete darauf, sich gewaltsam loszureißen und zu flüchten. Danny strich ihr beruhigend durch die Haare. „Urnue, Vater braucht deine Hilf-... Oh!“, machte Josh nur erstaunt und blieb auf der untersten Stufe stehen, als er die Genia plötzlich freilaufend vor sich hatte. Bisher war sie ja wegen ihre Unkontrollierbarkeit in den Keller gesperrt gewesen. „Ich komme“, erwiderte Urnue, drängte sich an ihm vorbei und stapfte – ganz unwieselig – die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Ein Zeichen dafür, daß es ihm gerade gar nicht passte, hier weg zu müssen. „Ist was passiert?“, wollte Josh mit einem Deut auf Dannys Jacke wissen. Und es war nicht ganz herauszuhören, ob er eigentlich oder fragen wollte. Seine übernatürliche Intuition verriet ihm viel, aber bei weitem nicht alles. Es war manchmal schwer, aus seinen zwielichtigen Äußerungen heraus zu interpretieren, wie viel er wirklich wusste. Danny seufzte innerlich. Er hatte sich mit Nyu draußen in die Wiese unter einen Baum gesetzt, in der Hoffnung, ein bisschen Ruhe zu haben und ihr den Sonnenuntergang zeigen zu können, aber Fehlanzeige. Binnen weniger Minuten stand seine gesamte Sippe um ihn herum, sein Bruder samt Genius, sein Vater samt Urnue, das Hausmädchen, und glotzten interessiert das neue Familienmitglied an. Danny konnte ihnen die Neugier ja nicht wirklich verübeln, immerhin war Nyu ab sofort Teil der Familie und würde hier dauerhaft bei allem mit eingebunden sein. Klar, daß man wissen wollte, wer sie war. Aber merkten die gar nicht, wie unangenehm das der Kleinen war? Danny erzählte ihr gerade zu jedem ein paar Worte, bemühte sich aber, sich kurz zu fassen, um sie nicht gleich mit zuvielen Informationen zu überfordern. „Tja ... und das ist Urnue. Mit dem scheinst du dich ja schon ganz gut zu verstehen“, stellte Danny ihr den letzten in der Reihe vor. Nyu nickt nur stumm und ringelte sich dabei etwas nervös eine Locke um den Finger. Sie schaute unsicher von Gesicht zu Gesicht, als versuche sie in Gedanken jedem nochmal den richtigen Namen zuzuordnen. Danny stand auf. „Lasst uns mal schauen, wo wir sie unterbringen werden“, schlug er vor und schob die anderen mit ausgebreiteten Armen zum Haus zurück. „Wir brauchen ein paar Klamotten für sie. Und außerdem muss jemand mit meinem Schuldirektor reden. Sie muss ja mit in die Klasse kommen, wenn ich zur Schule gehe.“ Nyu ließ er unter dem Baum sitzen, damit sie kurz ihre Ruhe hatte. „Pass auf sie auf!“, zischte sein Vater Urnue zu. „Ja, bitte, pass auf sie auf“, bat auch Danny zustimmend, mit dem Unterschied, daß er damit nicht 'Halte sie gewaltsam auf, wenn irgendwas ist!' meinte. Urnue ließ sich also zurückfallen, statt mit den anderen wieder ins Haus zu gehen. Er blieb mit der Harpyie allein im Garten zurück. Sie seufzte spürbar erleichtert auf und ließ den Blick durch das schöne, geräumige, super gepflegte Grundstück und über das makellos weiß gestrichene Haus schweifen. Das Ganze war umsäumt von einer mehr als mannshohen Sichtschutzhecke. Diese Familie hatte unverkennbar Geld. Das hier war also ihr neues Heim. Ob sie jemals wieder irgendeinen Berührungspunkt mit ihrem alten Leben vor der Zeit im Zirkus haben würde? Kontakt zu ihren Eltern oder sowas? Der komplett in schwarz gekleidete Genius setzte sich zu ihr. „Ganz schön anstrengend, was? An das Großfamilienleben muss man sich erst gewöhnen. Ich habe auch einige Zeit gebraucht“, meinte er in seiner angenehmen, ruhigen Stimme. Nyu lächelte ihn an. Solange sie nur Genii um sich hatte, fühlte sie sich hier richtig wohl. Urnue mochte sie sowieso. An dem hatte sie sofort einen Narren gefressen, wie ein kleines Kind, das auf einer Feier einen gebuchten, bezahlten Alleinunterhalter anschwärmte, ohne ihn überhaupt zu kennen. Und ihr Schützling Danny schien ebenfalls ein lieber Kerl zu sein. Sicher würde sie es hier gut haben. Sie musste sich nur zusammenreißen und sich damit abfinden, unter Menschen leben zu müssen. Das hier war nicht mehr der Zirkus! „Wie alt bist du eigentlich?“, wollte Urnue leger wissen. „Siebzehn.“ Urnue nickte einverstanden, als hätte er mit dieser Antwort gerechnet. „Wie Danny. Genii und ihre Schützlinge sind fast immer halbwegs gleichalt.“ „Wie alt bist du denn?“, fragte sie zurück. „Vierzig.“ Nyu musste schmunzeln. Vierzig derwegen schon? Er sah irgendwie ein gutes Stück jünger aus. Sie hätte ihn bestenfalls Anfang Dreißig geschätzt. Im Gegensatz zu seinem unverkennbar gealterten Schützling. „Ruppert wirkt viel älter als du“, gestand sie. „Ist er auch. Ruppert ist 57. Ich hab keine Ahnung, warum er so viel älter ist als ich. Aus irgendeinem Grund wurde ich wesentlich später geboren. Es gibt Vermutungen, aber wirklich stichhaltig erklären konnte es uns bisher keiner.“ „Es gab aber schon solche Fälle. Ihr seid da nicht die ersten.“ „Nein. Aber es kommt extrem selten vor. Naja, Hauptsache ist, daß ich ihn doch noch gefunden habe und ihm inzwischen nichts passiert ist.“ „Das denke ich bei Danny auch“, meinte Nyu sentimental. Sie rutschte etwas näher und lehnte sich mit der Schulter an Urnue an. „Ich bin froh, daß er nicht in Schwierigkeiten geraten ist, solange ich in diesem verdammten Zirkus festsaß.“ „Ich finde es immer noch unglaublich, daß sie es geschafft haben, dich dort festzuhalten. Das muss echte Folter gewesen sein.“ „Ja, war es auch. Als ich die Verbindung zu meinem Schützling gespürt habe und mich auf die Suche machen wollte, haben sie mich in einen Käfig gesperrt und mir sofort eine Bannmarke verpasst, damit ich nicht weglaufe. Das war so ein grauenvolles Ziehen und Ziepen, das durch den ganzen Körper gegangen ist und immer stärker geworden ist. Am Ende war es ein regelrechtes Reißen. Ich dachte, mein ganzer Körper wird in Zeitlupe gevierteilt. Es hat so wehgetan, daß ich mich kaum noch koordiniert bewegen konnte. Ich habe getobt und geschrien und geheult. Es war unerträglich. Irgendwann hat ein anderer Genius aus dem Zirkus meine mentale Verbindung mit Bannmagie etwas abgeschwächt, damit ich sie nicht mehr so stark spüre. Es hat Monate gedauert, bis es endlich nachgelassen hat. Sowas macht deinen Verstand mürbe, ehrlich“, erzählte Nyu. „Wie lange warst du denn in dem Zirkus?“, wollte Urnue schockiert wissen. „Seit ich zwölf war. Ich wurde damals verkauft, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Meine Eltern konnten mich nicht ernähren und meinten, in diesem Zirkus wären meine Überlebens-Chancen besser. Sie haben es getan, weil sie mich geliebt haben und mich versorgt wissen wollten. Jedenfalls haben sie mir das eingeredet, als sie mich damals weggegeben haben. Sie konnten ja nicht wissen, daß ich mal ein Genius Intimus werden und an einen Schützling gebunden sein würde. Aber ich nehme an, der Zirkus hat nicht gerade wenig Geld für mich bezahlt, sonst hätten sie wohl kaum so einen Wind darum gemacht, mich festzuhalten. Ich war de facto ihr Eigentum. Sie hätten mich nie im Leben gehen lassen.“ „Sie hätten deinen Schützling ja auch suchen und dazuholen können. Danny hätte es bestimmt cool gefunden, mit einem Zirkus durch die Welt zu ziehen, wenn du als Artist dort hättest bleiben wollen.“ Nyu schüttelte nur den Kopf. Nie im Leben hätten die das zugelassen. Dann hätte ja am Ende noch jemand mitbekommen, mit welchen kriminellen Methoden dieser Zirkus arbeitete. Urnue atmete mitfühlend durch und zog seinen Arm heraus, an dem sie lehnte, um ihn ihr um die Schultern zu legen und sie tröstend an sich zu drücken. „Jetzt kommen bessere Zeiten, versprochen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)