Das blinde Ich von Micla (Langeweile) ================================================================================ Kapitel 1: Langeweile --------------------- Langeweile. Wohin man auch geht oder wie auch immer man sich versucht abzulenken, irgendwann holt sie einen dennoch ein. Wenn man sich also fragt, von was man angst hat, sollte man stets antworten: vor Langeweile. Warum? Sie ist nicht nur dein ständiger Begleiter, den zu zwar ignorieren, aber nicht ausblenden kannst, sondern auch dein schlimmster Feind. Somit würde man auf alle psychoanalytischen Fragen mit dieser Antwort antworten können, wie mir scheint. Es sind Ferien und bietet somit das beste Futter für Langweile. Die ersten Tage, vielleicht sogar die erste Woche, war erholsam. Es tat gut im Bett zu liegen, lange aufzubleiben und auszuschlafen. Nichts zu tun hat ab und an seine Vorzüge, die niemand bestreiten kann. Doch dann kommt die Phase, in der man sich fragt, was mache ich eigentlich genau? Man beginnt seine Zeit genauer zu Planen, trifft sich mit Freunden oder geht nach draußen, an die fische Luft. Und danach kommt die man-hat-zu-viel-Zeit-und-zu-wenig-Lust-etwas-zu-tun-Phase, in der man absolut nichts weiß mit sich anzufangen. Man liegt herum, hier und da, fragt sich, was man den machen könnte und verwirft den Gedanken wieder. Gedanken. Die tauchen dann auch auf. Dein Kopf ist leer und so unausgelastet, dass er sich nun erlaubt wirre und unbrauchbar schwere Gedanken und Ideen hineinzulassen, die dich eher belasten, als wirklich ermutigen etwas zu tun. Der Elan ist einfach verschwunden, du wurdest träge und langweilig. Da haben wir schon das Problem. Schon hat sich die bald schon chronische Langeweile erneut eingeschlichen. Ablenken hat nun keine Wirkung mehr und du fühlst dich in deiner Freiheit gefangen und allein. Wenn nun auch noch deine beste Freundin in einen recht spontanen Familienurlaub fährt, breitet sich die leere weiter aus. Zugegeben, die letzten Wochen hast du zwar ebenso wenig mit ihr etwas gemacht, als mit anderen und Anfragen auf ein Treffen geschickt ausgeblendet oder mit einfachen, bis bald schon kompliziert ausgedachten Ausreden beantwortet, aber die Schwere, sie nun auch nicht mehr als "Notlösung" zu haben, trifft dich tief. Ja, es war kompliziert, so ein Leben, aber irgendwie willst du es auch nicht ändern. Kannst du es überhaupt? Langeweile scheint wohl ein Teil von dir geworden zu sein. Und auch jetzt sitze ich, und du vielleicht auch, vor deinem Laptop und schreibe an irgendetwas. An Etwas, dass ich schon längst schreiben wollte, aber alle Anfänge aus dem Fenster geschmissen habe, da mir irgendwann die Muse, die Lust oder der Faden abhanden gekommen war. Dabei habe ich mir vorgenommen in diesen viel zu langen Ferien endlich einmal eine Geschichte zu beenden und was wurde aus diesem Vorsatz, wie auch aus allen anderen? Langweile kann man auch als Müllschlucker bezeichnen. Sie entzieht dir nicht nur deine Lust, Dinge zu unternehmen, sondern auch deine eigentlich guten und produktiven Aufgaben. "Fuck.", murmelte ich und kniff mir in die Augen, dabei schob ich mir meine dunkle Brille, die ich eigentlich schon längst austauschen wollte, aber da ich den Brief, der mir eine Rabattkarte schicken würde und mir zu meiner bald schon fünfjährigen Mitgliedschaft in diesem Optiker gratulieren würde, noch nicht bekommen habe, konnte ich mir ein neues Gestell nicht leisten. Und wenn, würde ich mir wahrscheinlich ein recht ähnliches aussuchen. Vielleicht nur etwas dünner mit größeren Gläsern. Mit dem Fuß, der immer noch in meinen weißen Sneakern eingebettet war, schob ich mich von meinem Schreibtisch und betrachte mein halbdunkles Zimmer. Die letzte Hitzewelle war vorbei und nun herrschen angenehme 23 Grad, was Anlass genug war meinen dicken schwarzen Hoddie aus dem Schrank zu quetschen, den ich übrigens auch aufräumen wollte. Er war bequem und gut sechs Größen zu groß, aber das war schon in Ordnung. Besonders zu einer solchen hormonellen Zeit. Ja, Frauen haben es nicht leicht. Hormone bestimmen ihr Leben und das war ein Fakt! Sich also in genau dieser einen speziellen Woche zu befinden, war schon schlimm genug, deswegen war es ein Wunder den geliebten Hoddie im Sommer einmal anziehen zu können. Mein Blick wandte sich auf das Fenster, dass eine spärliche Aussicht auf ein anderes Backsteinhaus lieferte. Die Rollläden der anderen Haushälfte waren fast alle heruntergerollt und ließen somit keine spannenden Eindrücke zu. Nichts, womit man sich beschäftigen könnte, den, wenn wir mal ehrlich sind, sind die Leben anderer beinahe spannender, als das eigene. Das würde all die Youtube-Blogger und deren Beliebtheit erklären, wobei mir das weniger Spaß machte, als reale und ungezielte Aktion aus meinem Fenster zu beobachten. Man bekam viel mit, wenn man zur passenden Zeit einmal aus dem Fenster schaut. Miss Turner aus dem zweiten Stock, zum Beispiel, tanzt jeden Tag von 12 Uhr bis 12:15 Uhr zu Time of my Life. Mr Bones aus dem dritten Stock stritt sich beinahe jeden Abend mit seiner Frau und der Junge einen Stock weiter oben saß stets hinter seinem Computer und tat sonst was. Mit diesen Leuten braucht man keine Realityshow und auch keine Youtube-Sternchen. "PING!" Erschrocken zuckte ich zusammen und sah gerade noch, wie sich der Bildschirm meines Handys sich erneut verdunkelte. Normalerweise ignoriere ich Nachrichten, bis ich abends im Bett liege und nichts andere zu tun habe. Dann würde ich mich entschuldigen und meine bekannten "ups, hatte keine Zeit, sorry."-Nachrichten verteilen. Aber diesmal schob ich meinen Stuhl zurück zum Tisch und las die eingegangene Nachricht, die, wie hätte es auch anders sein sollen, von meinem Editor war. Ich musste mir zwar für einige Wochen Urlaub nehmen, aber dies hieß anscheinend nicht, meine Arbeit ruhen zu lassen. Augenrollend blickte ich zurück auf meinen Laptop und auf die dort stehenden wenigen Sätze. Auch mit Urlaub wäre ich noch gut im Zeitplan, wäre da nicht diese eigenartige Schreibblockade, die zusammen mit meinem ständigen Begleiter, Langweile, beinahe einen Virus in meinem Gehirn gestartet hatte. Wie bereits erklärt, war dies so, als würde man einer verlockenden Idee hinterherjagen, einige Zeilen schreiben, danach, wie durch einen platzenden Ballon, in der Realität aufschlagen und alle Anfänge verwerfen. Dabei wäre man wieder auf null zurückgesetzt, trotz den geschrieben Seiten. Sie würden einfach keinen Sinn mehr geben. Und auch jetzt weiß ich nicht, ob diese angefangenen wenigen Seiten potenzial hätten, in meiner Langeweile zu überleben oder nicht. Ah! Eine Idee kam gerade auf, wie aus dem Nichts. Eigentlich kein all zu großes Ding, da es an Ideen irgendwie nicht fehlte, nur die Umsetzung etwas schwer war. Na ja. Wie wäre es aber, wenn es wirklich so ein Buch wie das Death Note geben würde? Oder Ninjas? Oder Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten? Wir würden darüber natürlich nichts wissen, aber, was wäre wen sie so etwas wie eine Untergrundorganisation bilden würden, mit allen erdenklichen Seiten involviert? Seufzend lass ich beinahe meinen Kopf auf meinen Schreibtisch fallen und schnappe mir mein Handy. Schnell schreibe ich Andy, meinen Editor, zurück und stell meine Lautstärke auf stumm. Aber mal im Ernst. Sowas wäre wirklich cool, aber leider sehr unwahrscheinlich. Außerdem, wieso sollte ausgerechnet ich davon spitz bekommen, würde so etwas wirklich existieren? Viel mehr würde doch eher der coole Junge von neben an oder das beliebte, aber nie wirklich ernst genommene, Mädchen aus der Schule so eine Information erhalten. Eine 20-jährige Autorin, die dank ihrem Urlaub nichts mehr auf die Reihe bekommt, hat da weniger Chancen auf ein solches Abenteuer. Zudem, wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas tatsächlich Wirklichkeit war? Natürlich haben einige Menschen blühende Fantasien, ich für diesen Teil auch, aber um es Realität werden zu lassen, fehlte mir wohl ein Ast von diesem Baum. Auch wen es unweigerlich mehr als nur cool wäre. Vielmehr überlege ich mir gerade, ob ich nicht doch eine neue Sims4 Familie erstellen möchte. Okay, ich würde zwar viel zu viel Zeit für das Erstellen der Sims und des Hauses verschwenden und danach keine Lust mehr auf das eigentliche Spielen haben, aber ich hätte wenigstens etwas gemacht. Blinzelnd lege ich mein Handy auf die Seite, dass ich erneut entsperrt und nach House Building - Lets Plays befragt habe. Verdammt noch mal - ich brauche wirklich eine Ablenkung, und zwar von allem! Seufzend legte ich meinen Kopf in den Nacken und atme geräuschvoll aus und ein. Hatte dies hier irgendeinen Sinn? Was mache ich hier überhaupt? Langsam schließe ich die Augen und warte ab. Mein Herzschlag verlangsamte sich und auch meine Atmung wurde entspannter. Der Druck, den ich mir eingestehen musste und den Andy erneut hervorgeholt hatte, stieg erneut auf, doch mit dem stetigen ein und ausatmen, wurde auch dieser leichter. Bald schon schlich sich ein leichtes Lächeln auf meine Züge. Selig legte ich meine Arme auf die Stuhllehne und versank leicht in der Polsterung. Doch wie immer in den letzten Woche durchschnitt auch diese harmonische Idylle eine penetrante höhere Gewalt. Diesmal jedoch nicht Langweile, sondern ein Klopfen. Schnaufend öffne ich meine Augen und grummle. "Herein?" "Ich hab nachgedacht.", meldete sich die Stimme meiner Mom. Ja, ich bin zwanzig Jahre alt, Autor und lebe noch bei meiner Mom. Ein weiter tiefer Schnitt in mein bald schon nicht mehr existierendes Ego. "Wie wäre es, wenn wir morgen zusammen deine Zeitschrift holen, dann können wir in dem Laden neben an auch gleich einkaufen gehen." "Von mir aus.", murmlte ich zurück. Meine heißgeliebte Zeitschrift, von der ich beim Mittagessen nur angefangen habe zu sprechen, da sie ein weiterer Versuch war, die aufkommende Langeweile zu unterdrücken. Um ehrlich zu sein habe ich seit Monaten keine Zeitschriften mehr gelesen. Durch einen Tumblrpost ist mir jedoch erneut eingefallen, dass ich jenes beschriebene Blatt auch mal gerne gelesen habe. Die Idee war seither in meinem Kopf, warum also nicht? "Gut!", meine Mom lächelte und ich sah unweigerlich auf, da sie immer noch in der Tür stand. Meine Mom sah aus wie immer. Ihre hellgrauen Ziegenhörner waren sauber poliert und ihr blond-braunes Fell war ordentlich gekämmt. Sie hatte ihren einen dunkelbraunen Huf auf der Türklinke und den anderen in ihrer hellrosa Schürze vergraben. Abgesehen davon trug sie nur noch ihre geliebten schwarzblauen Hausschuhe. Ihre hellen und ziegenhaft dümmlich aussehenden Augen strahlten eine gewisse Liebe aus, die mein Herz, mein Kopf und auch mein Gemüt im Moment nicht aushielten. "Sonst noch was?", fragte ich leicht genervt. "Ah, nein, das war schon alles.", lachte sie leicht erschrocken und schloss langsam und leise die Tür. Schnaubend stoße ich mich mit meinem Fuß ab und lasse den Schreibtischstuhl drehen. Mir passiert auch wirklich nichts, rein gar nichts nennenswertes. Alles war wie immer und wurde mit jeder Sekunde langweiliger. Ah, da wären wir wieder. Langeweile. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)