Meines Bruders bester Freund von eulenkueki ================================================================================ Epilog: -------- Es ist kurz nach sieben, ich habe zwei Stunden geschlafen und das nicht besonders gut.   Doch, theoretisch schon, aber mein Kopf findet, dass es Dinge gibt, die wichtiger sind als schlafen. Der Rest meines Körpers ignoriert die Erschöpfung und die Tatsache, dass es im Bett eigentlich so viel gemütlicher ist.   Konstantin schläft tief und fest, sein Haar ist vollkommen durcheinander, sein Gesicht tiefenentspannt und auf seinen Lippen liegt ein ganz kleines Lächeln. Er liegt auf der Seite, bis vor kurzem lag er noch in meinen Armen und es ist wunderschön gewesen, mit ihm in den Armen aufzuwachen.   Auch wenn der Schlaf nur sehr kurz war.   Ich ziehe mir schnell ein paar Klamotten an, schlüpfe in einen uralten Hoodie, schreibe eine Notiz für Konstantin, dass wir frühstücken, wenn ich wieder da bin, dann schnappe ich mir Handy, Schlüssel, ziehe die ersten Schuhe an, die ich finde und verlasse meine Wohnung. Draußen ist es bitterkalt und ich lege mich fast hin, weil es mal wieder Blitzeis gibt. So eine Scheiße! Es ist Neujahr, da sollte ich mir nicht direkt das Genick brechen. Mein erster Vorsatz für dieses Jahr. Die Liste wird dann im Laufe des Tages noch erweitert.   Im Auto schmeiße ich die Heizung an, klemme mein Handy in die dafür vorgesehene Einrichtung und tippe blind auf dem Touchscreen herum bis ich das Freizeichen höre. Ich fahre los, noch bevor abgenommen wird.   „Noah? Was zum Arsch, die Sonne ist noch nicht mal aufgegangen...“, murrt es mir nicht sehr freundlich entgegen.   „Ich bin in einer halben Stunde da.“   „Was? Hör mal, ich bin am schlafen... habe gepennt... was bist du überhaupt schon wach? Was ist mit dem Grottenolm?“   „Schläft. Bis gleich.“   Ich beende das Gespräch und konzentriere mich mal lieber auf die Straße, damit ich das Auto und mich am Ende nicht noch um einen Baum wickle. Wäre ja ziemlich blöd. Zweiter Vorsatz fürs neue Jahr: keinen Autounfall bauen.   Zum Glück kriege ich das hin und parke auf die Minute genau eine halbe Stunde später hinter meinem quasi-Zweitheim. Im Flur brennt Licht, als ich mein Auto abschließe und rüber zur Haustür eile. Ich muss nicht klingeln, die Tür wird direkt geöffnet und mein bester Freund lässt mich rein, während er mit einem Bein Oskar wegschiebt, der fröhlich hechelnd hofft, dass ich ihm irgendwas Tolles mitgebracht habe. Tja. Mehr als mich gibt es nicht. Ich tätschle ihm brav den Kopf, Bastian schließt die Tür und dann schaffen wir es endlich, uns anzuschauen.   Wow.   Vor siebeneinhalb Stunden haben wir uns erst zuletzt gesehen, doch es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Bastian sieht ziemlich verschlafen aus, er trägt eine ziemlich alte Jogginghose und ein Tshirt, das selbst ihm zu groß ist. Er ist barfuß, sein Haar zerzaust und ich vergesse schlagartig, was ich hier eigentlich will. Wäre ich doch mal besser daheim geblieben. Das hier ist schwieriger, als ich erwartet hätte.   „Kaffee?“, fragt er und lächelt mich leicht schief an. Ich nicke und folge ihm in die Küche, wo er uns einen ziemlich starken Kaffee macht. Oskar wuselt fröhlich um Bastian herum und hofft wohl, dass er irgendwas zum Essen kriegt. Ich weiß, dass er das schon hatte, denn sein Napf steht frisch gespült in der Spüle. Armer Oskar, ich habe glatt Mitleid mit ihm.   „Entschuldige für die frühe Störung...“, wage ich mich leise vor, als wir ins Wohnzimmer gehen, was ich, zugegeben, mit einem kleinen Stich ins Herz bemerke. Alle wichtigen Dinge haben wir immer in Bastians Zimmer oder bei mir besprochen. Und das hier ist verdammt wichtig. Lisa und Richard sind bestimmt noch im Bett, weshalb ich davon ausgehe, dass Bastian schnell mit Oskar draußen war und ihm direkt sein blutiges Frühstück gegeben hat. Es tut mir ein bisschen leid, ihn so überfallen zu haben, aber ich hätte keine Sekunde länger schlafen können.   „Schon okay. Aber dafür werde ich es dir erst recht nicht leicht machen.“   Ich weiß genau was er meint und auch wenn seine Lippen dieses typisch freche Grinsen zeigen, das ich seit Ewigkeiten kenne, blickt er mich mit ernsten Augen an. Nicht böse, aber ich weiß, dass ich ein ganzes Stück Arbeit vor mir habe. Auch wenn wir so vieles bereits um Mitternacht, zum Jahreswechsel, geklärt haben. Naja, nicht wirklich geklärt, aber es war schon eine erste kleine Versöhnung.   Nervös drehe ich die Tasse mit dem fast schwarzen Gebräu in meinen Händen und überlege, wo ich anfangen soll. Bastian drängt mich nicht, noch scheint er irgendwie genervt zu sein. Ich schweige sicherlich für fünf Minuten, aber weder ihm, noch mir ist das unangenehm.   „Ich habe dir nichts gesagt, weil ich Angst hatte“, fange ich dann irgendwann an, „und weil ich hoffte, dass es nur eine verquere Sache war, die mir die Trennung von Frank eingebracht hat, keine Ahnung. Ich hatte niemals vorgehabt, mich in Konstantin zu verlieben.“   Neben mir atmet Bastian ganz entspannt und nichts deutet darauf hin, dass er mir gleich wieder ins Gesicht schlagen wird.   „Als ich nach der Sache mit Frank hierher kam und er mir die Tür geöffnet hat, da... keine Ahnung, ich habe ihn für diesen einen Moment als jemand völlig anderen gesehen. Da war er nicht dein kleiner Bruder oder der Junge, den ich seit seiner Geburt kenne.“   Ich zucke hilflos mit den Schultern und genehmige mir endlich einen Schluck Kaffee. Grundgütiger, ist der stark. Die Müdigkeit, sollte ich sie jemals verspürt haben, wird sehr effizient vertrieben.   „Aber da habe ich ihn noch nicht geliebt“, erkläre ich schnell und fange einen Kaffeetropfen am Rand der Tasse auf, „und überhaupt habe ich zu dem Zeitpunkt auch nicht wirklich darüber nachgedacht. Das kam erst, als Konstantin im Horizon war und ich ihn nach Hause gefahren habe, weil er zu viel getrunken hat... da hat er mich geküsst und das hat mir irgendwie keine Ruhe gelassen.“   „Hatte er nicht bei dir gepennt?“, fragt Bastian verwirrt dazwischen und zieht eine Augenbraue hoch.   „Das war erst beim zweiten Mal. Er war auch nicht wirklich betrunken beim ersten Mal, eher etwas angeheitert. Jedenfalls, beim zweiten Mal, als er bei mir übernachtet hat... da hat er mir seine Liebe gestanden.“   Bastian verschluckt sich fast an seinem Kaffee und hustet ziemlich unschön. Ich wage mich, ihm den Rücken zu klopfen und bin erleichtert, weil er es zulässt.   „Er hat dir...? Ich dachte, du hättest...!“   Ach du großer Gott!   „Nein“, rufe ich verzweifelt und glaube, dass ich ein wenig rot werde, „Basti, wirklich, ich hätte mich ihm niemals aufgedrängt! Ich habe ihm bei einem weiteren Gespräch auch gesagt, dass zwischen uns nichts laufen kann und wird und ich habe verdammt nochmal gesagt, dass ich keine Gefühle für ihn habe.“   Er sieht mich skeptisch an.   „Was ja offensichtlich gelogen war.“, bemerkt er belustigt-spöttisch und trinkt erneut von seinem Kaffee, dieses Mal ohne sich zu verschlucken. Ich tue es ihm gleich, bevor ich weiter rede.   „Jedenfalls, nach seinem Hausarrest ist er dann irgendwann bei mir aufgekreuzt und... eins kam zum anderen. Bastian, wirklich, ich habe das niemals gewollt noch geplant. Und ich habe mich jedes Mal schrecklich gefühlt, weil ich einerseits nicht so empfinden sollte, nicht für ihn, andererseits aber auch... es war schön, weißt du? Und ganz anders als mit Frank.“   „War?“   „Ja, also... damals. Letztes Jahr.“, grinse ich und spüre, wie mein Herz leichter wird, als ich Bastian lächeln sehe. Am Anfang hat mich das fertig gemacht, als ich gerade dabei war, romantische Gefühle für Konstantin zu entwickeln. Bastian und er sehen sich nicht super ähnlich, aber man sieht doch die Verwandtschaft. Und sie beide haben dieses kleine, süße Grübchen auf der rechten Seite, wenn sie lächeln.   „Wieso hast du es mir nicht gesagt?“   „Das ich deinen kleinen Bruder liebe?“   „Ja.“   „Weil ich Angst vor deiner Reaktion hatte. Weil ich unsere Freundschaft nicht aufs Spiel setzen wollte.“   „Und da ist es besser, ihn hier an meinem Geburtstag flachzulegen?“   „Ich hab ihn nicht flachgelegt...“   „Ihr hattet verdammt nochmal Sex, Noah, da ist es egal, wie man es nennt.“   In mir sträubt sich alles und ich schüttle nachdrücklich den Kopf.   „Das will ich aber nicht. Ich will nicht das du denkst, ich würde Konstantin flachlegen, ihn ficken oder sonst was. Er ist nicht wie Frank.“   „Logisch, er ist ja auch elf Jahre jünger als Frank.“   Manchmal macht Bastian es einem wirklich nicht leicht... jetzt verstehe ich, was er eben damit gemeint hat.   „Es tut mir wahnsinnig leid, wie das raus gekommen ist. Ich hab... ich dachte noch, dass es keine gute Idee ist und wollte mich auch gar nicht Konstantins Nachfragerei ergeben, aber... dann habe ich mich doch früher mit ihm getroffen. Und den Rest kennst du ja.“   Wir schweigen eine Weile während wir unseren Kaffee trinken. Dann ist es Bastian, der dieses Mal das Wort ergreift.   „Erst war ich wahnsinnig wütend, weil... ja, er ist mein kleiner Bruder und du mein bester Freund. Es gibt bestimmt irgendeinen Kodex, der so was vollkommen und absolut ausschließt. Aber als die Wut darüber nachließ, war ich nur maßlos enttäuscht, weil du mir nichts gesagt hast. Wir hätten darüber reden können.“   Das ist im Nachhinein sicherlich einfach zu sagen. Wie hätte Bastian wohl reagiert, hätte ich es ihm direkt gesagt? Das ich Gefühle für Konstantin habe? Ich wüsste nicht mal, wie ich dieses Gespräch hätte anfangen sollen.   „Vielleicht hättest du mir dann ja auch eine rein gehauen.“   „Dann aber sicher nicht mit der Faust. Hör mal, das tut mir echt leid. Scheiße, ich habe das echt nicht gewollt. Bist du okay gewesen?“   Bastian sieht mich mit großen Augen an und ich bin mehr als erleichtert darüber, tiefe Sorge und die Entschuldigung in ihnen sehen zu können.   „Ich sah sehr tapfer nach einer Prügelei aus, die ich nie hatte.“   „Ich hätte dir noch eine verpasst, wärst du nicht vor Neujahr hier aufgekreuzt. Und dann auch noch auf den letzten Drücker. Du bist so ein Penner, Noah.“   „Tut mir leid...“   „Das sollte es auch. Hast du gar kein Vertrauen in mich gehabt? In unsere Freundschaft?“   So, wie mein bester Freund mich anschaut, wage ich es kaum, seinen Blick zu erwidern. Ich höre bereits aus seiner Stimme heraus, wie wahnsinnig verletzt er tatsächlich ist. Und als ich es endlich schaffe, ihn anzusehen, bricht es mir das Herz.   „Ich wusste einfach nicht, wie ich es dir sagen sollte... du weißt, dass ich dich niemals anlügen würde. Unsere Freundschaft ist mir wichtiger als alles andere. Wenn ich wählen müsste, dann...“   „Das will ich nicht gehört haben“, unterbricht Bastian mich streng und stellt seine Tasse weg, „und ich hoffe du weißt, dass ich dich niemals vor die Wahl stellen werde.“   „Ist es sehr schlimm für dich...?“   „Das du mit dem Grottenolm zusammen bist? Du, ich hab den seit siebzehn Jahren an der Backe... ich werde es genießen, wenn du dich über ihn beschweren kommst.“, grinst er mich süffisant an und boxt mir freundschaftlich gegen den Arm. Ich möchte weinen vor Glück und Erleichterung.   „Wirklich?“   „Grundgütiger, soll ich dir ein offizielles Dokument ausstellen? Noah, hör mal, klar ist es seltsam, dass du was mit meinem kleinen Bruder hast. Und ich muss mich da sicherlich noch dran gewöhnen und, nimm es mir nicht übel, ich weiß nicht, ob ich mir gewisse Dinge anhören kann oder will... jedenfalls noch nicht. Aber meine Güte, du bist verliebt, er ist verliebt... daran kann ich ja wohl nichts ändern und es ist mir wichtiger, euch glücklich zu sehen.“   Ich stelle meine Tasse nun auch weg und wage es, Bastian ein klein wenig frech anzuschunkeln.   „Ich wusste schon immer, dass Konstantin dein schwacher Punkt ist.“   Denn so sehr er ihn auch ständig triezt und aufzieht... ich weiß genau, dass er einen totalen Narren an ihn gefressen hat. Schon seit seiner Geburt, weil Konstantin wahnsinnig süß und lustig war. Und Bastian, der große Bruder, ihn um jeden Preis der Welt beschützen wollte. Deshalb packt er mich nun am Kragen und zieht mich auf einen Millimeter an sich ran. Mir bleibt vor lauter Schreck fast das Herz stehen.   „Ganz genau. Und deshalb habe ich nun die große Ehre dir zu versprechen, dass es kein Loch auf dieser Welt gibt in dem ich dich nicht finden werde, wenn du so eine Aktion wie mit Frank nochmal bringst. Oder wenn du Konstantin anderweitig verletzt, haben wir uns verstanden, Noah?“   Ich muss heftig schlucken, weil ich einerseits wahnsinnig erleichtert bin, andererseits... wenn das mit Konstantin und mir jemals zu Ende gehen sollte, warum auch immer... wie werden Bastian und ich dann zueinander stehen? Darüber sollte ich besser nicht nachdenken denn ich plane nicht, Konstantin in nahe oder gar ferner Zukunft zu verletzen. Jedenfalls nicht beabsichtigt. Oder generell.   „Glasklar.“, nicke ich schwächlich und habe doch etwas Sorge, dass Bastian mir vielleicht noch eine rein haut. Er sieht mich einen viel zu langen Moment prüfend an, dann lässt er meinen Kragen los und zieht mich stattdessen in eine feste Umarmung, die mich nun doch sehr wundert und etwas überfordert. Eine Erfahrung, die für mich ungewohnt ist, denn wir haben keine Berührungsängste. Bastian hat, auch nachdem ich mich damals vor ihm geoutet habe, nie davor zurückgeschreckt mich zu berühren. Natürlich nie auf sexuelle Art und Weise, aber er hat mich umarmt, wenn wir uns gesehen haben, mich festgehalten, wenn ich wegen meiner Familie am Boden war, hat wie selbstverständlich neben mir im Bett gelegen, wenn ich mich nicht mehr habe beruhigen können. Das ich jetzt, gerade wegen unserer Situation, verwirrt bin, ist da wohl legitim. Mehr oder weniger. Aber eigentlich bin ich nur unglaublich dankbar und deshalb halte ich ihn schließlich auch ganz fest und bin mehr als beruhigt, als ich spüre, wie Bastians Körper sich entspannt.   „Es tut mir so leid.“, flüstere ich leise und lehne meinen Kopf an seine Schulter. Trotz des Kaffees spüre ich die Müdigkeit fast schlagartig in mich krauchen, trotz der Stunden, die ich mit Konstantin verbracht habe. Die unausgesprochene Sache mit Bastian hat mich nicht zur Ruhe kommen lassen.   „Mir auch.“, erwidert er ebenso leise, tätschelt meinen Rücken und gibt mich dann frei. Er klopft mir kurz auf die Schulter, steht auf, nimmt unsere Tassen und bringt sie in die Küche. Ich treffe ihn auf dem Flur wieder und will mich eigentlich verabschieden, doch Bastian sieht mich nur ungläubig an.   „Nee, du fährst nirgendwo hin. Du siehst aus, als könntest du ne Portion Schlaf gebrauchen. Leg dich was hin. Ich brauch auch noch ein bisschen Ruhe.“   Eigentlich weiß ich nicht so wirklich, was ich davon halten soll, weil ich eigentlich gerne wieder zurück möchte... Konstantin ist bestimmt noch nicht wach, aber der Gedanke, ihn gerade jetzt alleine zu lassen, liegt mir doch quer im Magen. Allerdings weiß ich auch, dass ich in meinem Zustand jetzt wohl wirklich kein Auto fahren sollte. Und eine Bahn fährt garantiert nicht. Also gebe ich mich geschlagen und folge Bastian nach oben, kriege Herzklopfen, als wir Konstantins Zimmer passieren und ich will gerade ins Gästezimmer abbiegen, da packt Bastian mich am Arm und sieht mich böse an.   „Noah, bei aller Liebe... wenn du mit dem Scheiß nicht aufhörst, dann trete ich deinen Arsch nach Afrika. Lass den Quatsch und komm her.“   Wir gehen in sein altes Zimmer, das inzwischen wahnsinnig leer und unbewohnt aussieht. Die meisten Möbel hat er hier gelassen, so auch das Bett, in dem ich unzählige Male geschlafen habe. Es ist unordentlich, wofür ich mich ziemlich schuldig fühle. Ich hab ihn immerhin geweckt und dann hatte er nur eine halbe Stunde Zeit, um sich halbwegs präsentabel zu machen, Oskar ruhig zu stellen und dann wach genug zu sein, um mit mir zu reden. Lediglich das kleine Nachtlicht auf seinem Nachttisch brennt. Ich glaube, es gibt immer noch viel, über das wir reden sollten und ich fürchte, dass ich ihm nicht alles gesagt habe, was ich noch gerne sagen würde, damit er weiß, wie sehr ich ihm alles hätte sagen wollen. Aber vielleicht ist es für den Moment in Ordnung so.   Trotzdem ist mir etwas unwohl, als Bastian die Tür schließt und anfängt, sich aus der Hose und dem Tshirt zu schälen. Das ist nichts, womit ich jemals ein Problem gehabt hätte und wir beide haben uns durchaus schon nackt gesehen, jetzt kommt es mir allerdings falsch vor. Wenn Bastian irgendwas davon bemerkt, so kommentiert er es nicht sondern schlüpft direkt auf seine Seite des Bettes – die zum Fenster hin. Ich atme tief durch und entledige mich meiner Kleidung bis auf die Shorts. Bastian bricht in schallendes Gelächter aus und sieht mich mit weit aufgerissenen, amüsierten Augen an.   „Du siehst ziemlich schlimm misshandelt aus“, gluckst er und inspiziert die Knutschflecken und kleinen Kratzer, als ich neben ihm liege was mir sagenhaft unangenehm ist, „wusste gar nicht, dass der Giftzwerg seine Krallen ausfahren kann.“   „Basti...“, murre ich und zum ersten Mal ist es mir unglaublich peinlich, dass mein bester Freund die Spuren dessen sieht, was sonst im Bett mit meinen Partnern lief. In diesem Fall mit Konstantin.   „Entschuldige. Aber, tut mir leid, ein bisschen leiden hast du schon verdient. Hast du dir also selbst zuzuschreiben.“   „Ich hoffe du siehst davon ab, Konstantin so aufzuziehen.“   „Hey, ich hab ihn noch nicht mal damit aufgezogen, dass ich schon längst wusste, dass er mit Mädchen nichts anfangen kann. Und so gemein bin nicht einmal ich.“   Mir rutscht mein Herz in die Hose und ich bin schlagartig hellwach.   „Wie bitte?“   Bastian sieht mich entgeistert an.   „Hast du das etwa nicht gewusst?“   „Äh... nein? Ich meine, seine sexuelle Orientierung war ja nie Thema. Woher... wie kommst du darauf?“   „Naja, am Anfang war ich mir nicht sicher. Ich hab ja ewig noch gedacht, er hat was mit Hannah, aber so mit vierzehn, meine ich... keine Ahnung, irgendwie hatte ich da so ein Gefühl und später war es irgendwie eindeutig.“   „Aber er hat doch nie irgendwas angemerkt...?“   „Vielleicht funktionieren meine Antennen besser als deine. Dabei bin ich nicht mal schwul.“   „Du hast ja aber auch mit ihm unter einem Dach gelebt. Das ist Heimvorteil.“, verteidige ich mich und überlege trotzdem fieberhaft, ob es jemals einen Anlass gegeben hat, diese Vermutung aufzustellen und dann auch noch recht zu haben. Bastian ist mir manchmal ein wenig unheimlich, gleichzeitig spüre ich direkt wieder diese tiefe Verbundenheit und Achtung vor meinem besten Freund. Wenn man ihn lediglich aufs Äußere reduzieren und ihn nur oberflächlich kennen würde, würde man niemals vermuten, dass er eine wahnsinnig gute Menschenkenntnis hat und obendrein auch noch äußerst... naja, ich würde sagen, sensibel ist. Nicht im Bezug auf sich selbst, sondern auf andere. Das er viel mehr der stille Beobachter ist und sich viele Gedanken um seine Mitmenschen macht. Und ich weiß ganz genau, wie sehr er an Konstantin hängt.   „Das stimmt allerdings. Ich habe mal überlegt, ihn darauf anzusprechen, aber das war nie meine Baustelle. Naja, wie auch immer. Schlaf jetzt ein bisschen.“   Er knipst das Licht aus und dreht sich wie üblich auf den Bauch. Eine Sache, die er mit Konstantin gemein hat. Der schläft nämlich grundsätzlich auf dem Bauch, wenn er nicht gerade in meinen Armen einschläft. Ich strecke vorsichtig meine Hand nach seinem Arm aus und berühre ihn ganz zaghaft.   „Danke, Basti. Schlaf gut.“   „Jederzeit, Noah, jederzeit.“   Ich ziehe meine Hand wieder zurück, meinen Teil der zwei mal zwei Meter großen Decke über mich und schließe meine Augen. Neben meinem besten Freund einzuschlafen ist unglaublich entspannend und ein guter Start ins neue Jahr.   - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -   Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. Das Gespräch mit Bastian ist jetzt schon ein halbes Jahr her. Naja, sieben Monate. Es ist Juli, Hochsommer, Konstantin möchte alles und jeden töten und ich viel zu spät dran, weil ich nicht der einzige bin, der heute zum Abiball der Realschule fährt. Gefühlt die halbe Stadt ist hier, also an der Schule, an der ich noch nicht angekommen bin, weil jede Ampel rot ist und nur Idioten unterwegs sind. Bastian hat mich schon mehrmals angerufen und gefragt, wo ich denn sei und ich habe jedes Mal geflucht, weil mir langsam der Geduldsfaden reißt.   Zum Abiball des Freundes zu spät kommen ist ja ungefähr so, wie den Jahrestag zu vergessen. Den haben wir zwar noch nicht, aber Abiball ist ja nun mal was Besonderes. Und ich bin extra zeitig los gefahren! Konstantin hat sich nicht gemeldet, aber der ist sicherlich selber gut beschäftigt. Soweit ich weiß, wird er das Programm des Abiballs gelegentlich mit Musik begleiten und den anschließenden richtigen Ball, mit tanzen und dergleichen, mit einem Walzer eröffnen. Trotzdem wird er ja im Bilde darüber sein, dass ich der einzige bin, der noch nicht da ist.   Weil mir so ein blöder BMW Fahrer gerade die Vorfahrt nimmt, hupe ich etwas ungehalten und gestikuliere mit den Händen, was eigentlich gar nicht meine Art ist. Wie so vieles nicht meine Art ist, seit ich mit Konstantin zusammen bin. Und das meine ich in keinster Weise negativ.   Mein Auto schleicht durch die Straßen der Stadt, jede rote Ampel wird verflucht, jeder andere Autofahrer sowieso und als ich an der Schule ankomme, geht die scheiß Parkplatzsuche los. Nichts ist frei. Bastian schreibt, ich solle bei ihnen parken und dann zur Schule laufen, was glücklicherweise nicht weit ist, aber viel Zeit frisst. Und ich nun definitiv zu spät bin: die Festlichkeiten haben bereits seit zehn Minuten angefangen. Scheiße!   Normalerweise sind es gerade mal zwei oder drei Minuten mit dem Auto bis zu Konstantins Haus. Noch nicht mal. Ich brauche weit über zehn Minuten und als ich endlich aus dem Auto aussteige, ist mir egal, ob ich schwitze oder nicht und renne los zur Schule. Das dauert weniger als zehn Minuten, die Leute, die am Eingang zwecks Kartenkontrolle abgestellt worden sind sehen mich überrascht an, weil ich genervt und völlig außer Atem bin.   Mein Handy piepst. Ich schalte es direkt schon mal auf lautlos, die Nachricht jedoch bringt mein Herz zum unangenehmen rasen: sie haben mit Konstantins Klasse angefangen, die Abiturzeugnisse auszugeben. Auch wenn ich generell gerne Fußball spiele, noch nie habe ich mich so sehr darüber gefreut, ein schneller Läufer zu sein. Und weil der Weg zur Aula ausgeschildert ist, finde ich diese auch sehr schnell und bemühe mich, keine unnötige Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, als ich mich rein schleiche. Zum Glück ist die Aula etwas abgedunkelt und nur die Bühne hell erleuchtet. Bastian hat mir geschrieben sie sitzen irgendwo in der sechsten Reihe von vorne... oh Gott, da sind sie! Lisa, Richard und Bastian sitzen gespannt irgendwo in der Mitte der aufgestellten Stühle und ich quetsche mich durch die schmalen Gänge aus Füßen und den nächsten Stühlen, bis ich auf dem freien, reservierten Platz neben Bastian Platz nehmen kann. Neben mir sitzt Kristina, Hannahs Mama, die ich leise begrüße. Sehr viel Beachtung schenkt sie mir nicht, weil ihre Tochter gerade aufgerufen wird.   Hannah trägt ein königsblaues, langes Kleid mit Neckholder-Trägern aus Spitze. Bis zur Taille ist das Kleid aus Spitze gefertigt, sie hat einen leichten Ausschnitt, der von einem passend zum Kleid blau-goldenen Collier geziert wird. Ihre roten Haare sind hochgesteckt, die Locken perfekt gestylt. Jede Wette, dass ihre Mama das gemacht hat. Die klatscht und jubelt am lautesten und ich beglückwünsche sie leise, Lisa, Richard und Bastian beugen sich auch etwas vor, um ihr stolze Blicke zu zuwerfen.   Konstantins beste Freundin kriegt einen Strauß Blumen in die Hand gedrückt und ihr Zeugnis, dann verschwindet sie wieder von der Bühne irgendwo hin. Ich weiß leider nicht, wo die ganzen Schüler sich aufhalten, so viel Platz ist in der Aula dann wohl doch nicht. Da Konstantins Nachname sehr weit am Ende der Liste steht, dauert es glücklicherweise noch eine Weile, bis er aufgerufen wird. Als er dann die Bühne betritt, setzt mein Herz aus.   Aus der sechsten Reihe sieht man jetzt nicht jedes kleinste Detail, aber mir ist, als würde er direkt vor mir stehen. Konstantin trägt einen dunkelblauen Anzug, gegen den er sich sehr lange gesträubt hat. Lisa ist mit ihm einkaufen gewesen, was er wahnsinnig peinlich und ich zugegeben sehr lustig fand. Da Lisa was von Mode versteht, hat sie keine wirklichen Diskussionen zugelassen und ich bin froh, dass Konstantin seine Drohung nicht wahr gemacht und in Shorts und Tshirt hier aufgekreuzt ist. Ein weißes Hemd hat er an, das ordentlich in seiner Hose steckt und ich erkenne eine blaue Krawatte mit irgendeinem Farbtupfenmuster. Aus der Entfernung erkenne ich das nun doch nicht so gut. Seine Haare hat er von Hannah gestylt bekommen, weil sie sich alle bei den Wagners getroffen haben. Der Anzug ist zwar nicht maßgeschneidert, sitzt aber figurbetont. Unter dem Jackett erkenne ich eine Weste, die er über dem Hemd trägt. Gott, er sieht zum Anbeißen aus. Während er sein Zeugnis entgegen nimmt und wir alle klatschen wie die Bekloppten, stößt Bastian mir plötzlich den Ellbogen in die Seite und lehnt sich zu mir rüber.   „Du sabberst.“, wispert er mir mit einem dreckigen Grinsen zu wofür ich mein Knie gegen seines stoße und das besiegelt die freche Neckerei.   Im übrigen sabbere ich nicht, aber, wow, ich werde meine diebische Freude daran haben, Konstantin aus jedem einzelnen Kleidungsstück herauszuschälen. Woran ich jetzt vielleicht besser nicht denken sollte.   Im Gegensatz zu allen anderen verlässt Konstantin die Bühne nicht, sondern setzt sich samt Zeugnis an ein Klavier, das etwas weiter hinten in einer Ecke der Bühne steht. Ich glaube, es stammt aus dem Musikraum und auch wenn ich weiß, dass er darauf genauso gut spielen wird wie auf seinem Flügel, so ist es doch klar, dass dieses Schulklavier auf keinen Fall mit Konstantins Flügel oder den Konzertflügeln, auf denen er spielt, mithalten kann. Bis er aber anfängt zu spielen, dauert es noch eine gefühlte Ewigkeit und es sind immer nur kleine Passagen, während Hinz und Kunz irgendwelche Reden halten, witzige Gags bringen oder sonstige Dinge aus dem Schulalltag oder den vergangenen Jahren einbringen. Ich höre nur mit einem halben Ohr zu, weil mein Blick wie gebannt auf Konstantin liegt, auf den ich so unendlich stolz bin.   Okay, das klingt ein bisschen seltsam. Aber ich bin schon stolz, weil er sich in diesem letzten halben Jahr wirklich ins Abi rein gekniet und einen sehr guten Abschluss gemacht hat. Er hat im Frühjahr die Aufnahmeprüfung für die Musikhochschule im Spaziergang bestanden und fängt zum Wintersemester an zu studieren. Den Führerschein hat er inzwischen auch gemacht und vor kurzem einen kleinen, netten Gebrauchtwagen gekauft. Und das alles während er im Abiprüfungsstress und einer Beziehung war. Also, in letzterer ist er natürlich immer noch und das lässt mich selig lächeln.   Seit sieben Monaten sind wir nun schon zusammen und mir kommt es vor wie eine Ewigkeit. Vielleicht, weil das alles mit ihm letztes Jahr im Sommer anfing. Da sind wir ja dann auch schon für eine gewisse Zeit zusammen gewesen, ehe es zu diesem unerfreulichen Erlebnis an Bastians Geburtstag kam. Unser Jahrestag ist jetzt aber trotzdem der erste Januar. Was soll ich sagen? Die Beziehung zu und mit Konstantin ist aufregend. Und obwohl ich ihn schon seit inzwischen achtzehn Jahren kenne – er ist letzten Monat volljährig geworden – so entdecke ich doch immer wieder Neues an ihm. Nein, das stimmt so nicht. Ich nehme ihn anders wahr. Sehe ihn mit anderen Augen (an). Früher ist er nur Bastians kleiner, irgendwie süßer Bruder gewesen, den man eigentlich den ganzen Tag hätte bekuscheln wollen, weil er einfach... keine Ahnung, er hatte etwas drolliges an sich und das klingt so verkehrt, dass ich mich fast ein bisschen selbst dafür schlagen möchte. Ich weiß aber auch nicht, wie ich das sonst beschreiben soll. Er ist nie einer dieser nervigen kleinen Geschwister deiner Freunde gewesen, sondern immer ein willkommener Teil der Familie. Und wenn ich zu Besuch kam und er dort herum turnte – als Kleinkind oder später als Teenager – dann ist es immer angenehm und witzig gewesen.   Bis ich ihn letztes Jahr, als das mit Frank und mir zu Ende ging, an diesem einen Tag plötzlich ganz anders gesehen habe. Als er mir die Tür geöffnet und mich mit großen Augen angesehen hat, weil ich vollkommen verheult war und jeden Moment wieder los geheult hätte. Ich bin so schnell wie möglich auf Bastians Zimmer gerannt, als ich für einen viel zu deutlichen Moment dachte: Wow, Konstantin ist ein hübscher Junge. Ich würde gerne diese Lippen küssen. Daran ist alles so verkehrt gewesen, wie es nur verkehrt gewesen sein konnte und ich habe den Teufel getan, weiter darüber nachzudenken. Aber jedes Mal, wenn Konstantin irgendwie ins Spiel kam, kamen diese völlig absurden und unangebrachten Gedanken zurück. Ich habe mich dagegen gewehrt, so gut es mir möglich war. Das musste ich schließlich, oder nicht? Schließlich ging es hier um den kleinen Bruder meines besten Freundes. Ich kenne Konstantin seit seiner Geburt, habe ihn quasi aufwachsen gesehen. Und er ist letztes Jahr ja gerade mal siebzehn geworden was noch viel zu nah an sechzehn dran ist und das war sowieso der absolute Supergau. Ich habe mich nie für jüngere interessiert. Frank ist zwei Jahre älter gewesen und die Geschichten aus meiner Jugend entweder gleich alt oder ein paar Jahre älter. Ich hatte und habe nie irgendwelche bedenklichen Fantasien gehabt.   Inzwischen kann ich mit Konstantin viel besser leben als noch letztes Jahr. Okay, ich gebe zu, manchmal schleichen sich diese Gedanken in meinen Kopf, dass ich einen ganz großen Fehler gemacht habe. Heute Morgen zum Beispiel.   Konstantin hat gerade seinen Abiball. Mein eigener ist inzwischen neun Jahre her, ich habe ein abgeschlossenes Sozialpädagogikstudium und stehe mitten im Berufsleben. Die Kids, mit denen ich arbeite, sind in Konstantins Alter oder jünger. Das ist mir heute sehr unangenehm um die Ohren geschlagen und hat mir wieder Kopfzerbrechen beschert. Deshalb habe ich mit Bastian telefonieren müssen, der das nicht nur wahnsinnig souverän, sondern auch sehr verständnisvoll mit mir besprochen hat.   Das er hier neben mir sitzt, ich wegen des knappen Raumangebotes seine Schulter an meiner spüre, beruhigt mich mehr als ich für möglich gehalten hätte. Ich bin unwahrscheinlich froh, dass die Sache zwischen uns geklärt ist und er kein Problem damit hat, dass ich mit seinem kleinen Bruder zusammen bin. Zwischen uns hat sich nichts geändert – außer, dass ich nun über Konstantin mit ihm rede, anstatt über Frank. Nicht, dass wir das oft tun, aber gelegentlich ist Rat beim großen Bruder deines Freundes einholen ganz hilfreich, wenn man mit seltsamen Verhaltensweisen konfrontiert wird. Die wiederum hat es in den letzten sieben Monaten durchaus gegeben und ich, das muss ich gestehen, bin daran vielleicht nicht immer ganz unschuldig gewesen.   Vor allem nicht an dieser völlig dämlichen Sache mit Frank nach Bastians Geburtstag. Das hätte niemals passieren dürfen und ich fühle mich heute noch genauso furchtbar wie letztes Jahr. Konstantin wütend und aufgebracht zu sehen, ist eine Sache. Aber den Schmerz und die bittere Enttäuschung, als er Frank bei mir gesehen hatte... das werde ich mir niemals verzeihen können. Nur lernen, irgendwie damit umzugehen. Genauso wie Konstantin. Das es schließlich nicht in der Neujahresnacht geklärt und alles gut zwischen uns war, ist uns in den Wochen danach nämlich noch um die Ohren geschlagen.   Glücklicherweise wird es mir erspart, weiter darüber nachzudenken oder es gar zu erörtern, denn die Zeugnisübergabe und das Programm hier wird beendet und der Rest auf die Sporthalle verlegt. Es ist ein Akt, all die Mütter, Väter, Freunde und andere Familienmitglieder aus der Aula zu kriegen und mindestens genauso ein Akt, die Schüler und Schülerinnen irgendwie zu sortieren. Dichtes Gedrängel, ungewollte Berührungen, aber irgendwann stehen Lisa, Richard, Bastian und ich draußen und Kristina ebenfalls. Hannah kommt gerade auf uns zu und umarmt ihre Mama stürmisch, drückt ihr das Zeugnis in die Hand und begrüßt dann auch mich mit einer erstaunlich kräftigen Umarmung und haucht mir links und rechts Küsschen auf die Wangen, die hinter mir ins Nichts verschwinden.   „Konsti müsste eigentlich auch gleich hier sein“, meint sie nachdenklich und reckt den Kopf, ehe sie einen Arm plötzlich hoch reißt und hektisch winkt, „hier drüben!“   Und tatsächlich, da ist er. Mein Freund. Wahnsinn, sieht der gut aus. Und immer besser, je näher er kommt. Er hält sein Zeugnis ganz lässig in der linken Hand und sieht erst zu seinen Eltern, die er stolz anlächelt, dann zu Bastian, bei dem er ein klein bisschen weniger enthusiastisch drein blickt und als er mich bemerkt, wandern seine Augen über meinen Körper, von Kopf bis Fuß und schließlich zu meinem Gesicht. Seine Wangen haben eine gesunde Rötung angenommen und als er bei uns stehen bleibt, umarmt er zunächst Kristina, weil die ihn sofort in eine feste Umarmung zieht.   „Oh Gott, Konsti, ich hab dich Ewigkeiten kein Klavier mehr spielen gehört. Hannah behält immer alles für sich.“   Hannah schnaubt empört.   „Weil du ja immer alles versehentlich verlegst!“   Lisa und Richard lachen leise und mir fällt der liebende Ausdruck in ihren Augen auf, mit denen sie Konstantin betrachten. Der kriegt von seinen Eltern auch nochmal eine Umarmung, wobei Lisa ihn etwas länger festhält als Richard. Bastian entreißt ihm das Zeugnis und beäugt es äußerst kritisch.   „Zehn Punkte in Mathe? Damit hast du dein Abi bestanden?“   Oh weh... Konstantin schnappt hörbar nach Luft und will nach seinem Zeugnis greifen, doch Bastian hält es hoch und somit aus seiner Reichweite, während er weiter die Noten betrachtet.   „Biologie fünfzehn... na, das wundert mich nicht.“   Mein Freund wird knallrot, Richard hustet, weil er sich wohl verschluckt hat und Lisa haut ihrem ältesten Sohn mit der Handtasche gegen den Oberarm. Ich suche Bastians Augen auf und deute ein kaum merkbares Kopfschütteln an. Daraufhin lässt er seinen Arm sinken und gibt Konstantin das Zeugnis zurück, der es lieber direkt an seine Eltern weiter reicht. Dann sieht Konstantin mich endlich richtig an und schenkt mir eins seiner kleinen, irgendwie schüchternen Lächeln. Ich glaube, er ist gerade im Begriff das Wort an mich zu richten, als jemand nach ihm ruft. Es ist eine der Lehrkräfte, ein, mit Verlaub, sehr alter Mann, der besser gestern in den Ruhestand gegangen wäre als morgen. Mir fällt Konstantins leicht hin und her gerissener Blick auf, den er zwischen mir und dem Lehrer schweifen lässt. Dann schenkt er mir ein gequältes Lächeln und wendet sich an den Lehrer, der ihn bittet, bei dem Transport des Klaviers zur Sporthalle anwesend zu sein. Wenig später verschwindet er auch schon mit dem Lehrer und, zugegeben, ein klein wenig gefrustet bin ich schon.   Wir haben heute noch kein einziges Wort miteinander gesprochen – abgesehen von den Nachrichten, die wir uns bezüglich der Zeit und des Ablaufes nochmal hin und her geschickt haben. Für mich ist das nicht unbedingt eine neue Erfahrung, in Bezug auf Konstantin aber schon. Es überrascht mich selbst ein wenig, aber sehr viel länger kann ich diesen neuen Gedanken auch nicht nachhängen. Hannah gibt das Signal, dass wir uns besser in Bewegung setzen, wobei sie ihre Mama ganz fest drückt.   „Lars bringt dich dann nach Hause?“, vergewissert Kristina sich und blickt ihre Tochter prüfend an, die liebevoll-genervt die Augen verdreht und ihrer Mama ein Küsschen ins Nichts auf die Wange drückt.   „Ja, Mama. Hab dich lieb. Danke für alles.“   Kristina verabschiedet sich von uns allen während Hannah sich bei mir unterhakt und dann zu Lisa und Richard schaut.   „Wollt ihr warten, bis Konstantin tanzt? Sein erster Tanz gehört im Übrigen mir. Aber vorher muss er noch ellenlang diesen blöden Walzer klimpern bevor die endlich die Musik anmachen.“   Bastian sieht ein klein wenig verwirrt aus, wie mir aus dem Augenwinkel bewusst wird und Lisa und Richard tauschen nachdenkliche Blicke aus ehe letzterer mich ansieht. Den kurzen Blick auf Hannah an meiner Seite kann er sich nicht verkneifen ehe er meine Augen wieder aufsucht.   „Wir werden euch dann auch mal alleine lassen. Brunch ist morgen um elf Uhr.“   Richard und ich sind eigentlich immer prima miteinander ausgekommen. Okay, das tun wir immer noch, aber manchmal, so wie gerade, sieht er mich an, als würde er mich am liebsten am Kragen packen und auf einen Millimeter an sich ran ziehen um mir böse Worte an den Kopf zu knallen. Nein, auch das ist übertrieben. Ich kann es nicht richtig beschreiben. Seit der Silvesternacht ist unser Verhältnis zueinander... anders. Nicht schlecht-anders, aber ich mache mir keine Illusionen darüber, dass er mir nicht jeden Knochen brechen wird, würde ich mir bei Konstantin irgendwas zu Schulden kommen lassen. Das ich das nicht vorhabe, habe ich ihm schon in jener Nacht beteuert, als er mich anrief und drohte, dass er mich eigenhändig in den Garten schleifen würde, würde ich nicht meinen verdammten Arsch zu ihnen schwingen. Ja, das hat er so gesagt.   Er und Lisa verabschieden sich von Hannah und mir und Bastian will sich dem gerade anschließen, als Hannah ihn völlig entgeistert anstiert und rechtzeitig am Ärmel seines schwarzen Hemdes festhält.   „Ja, weißt du, es gibt da so ein kleines Problem...“, fängt sie an und hakt sich nun auch bei ihm unter, so das sie in der Mitte zwischen uns ist, „Maxi hat nämlich niemanden für den Ball und da Charlotte ja auf einem Mädelstrip ist...“   Nicht nur Bastian fällt alles aus dem Gesicht, auch ich bin nicht schlecht überrascht über diese Offenbarung. Charlotte ist übrigens Bastians Freundin, die er im Februar kennen gelernt hat. Ob es was langfristiges ist? Keine Ahnung. Die beiden sind auf jeden Fall verliebt und Bastian, der sonst mit Gefühlen eher zurückhaltender ist, zeigt doch deutlich, dass ihm was an Charlotte liegt. Auch wenn die gerade irgendwo in den Bergen ein Spa Wochenende mit ihren Mädels macht, während Bastian auf dem Abiball seines kleinen Bruders tanzen darf. Wohl im wahrsten Sinne des Wortes. Wohl zum ersten Mal in seinem Leben sieht er sich nach seinen Eltern um, die sich bereits aus dem Staub gemacht haben. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich kein Mitleid mit meinem besten Freund, den ich über Hannahs Kopf hinweg frech angrinse.   „Auf keinen Fall tanze ich auf irgendeinen Abiball mit irgendeinem Typen!“, wehrt Bastian sich, zugegeben, nur halbherzig, während Hannah uns beide mit erstaunlicher Kraft nach draußen auf das Außengelände mitzieht und Richtung Sporthalle führt.   „Es ist ja auch nicht irgendein Abiball, sondern der des Freundes deines besten Freundes, der zufälligerweise dein kleiner Bruder ist. Also der Freund, nicht der beste Freund. Du weißt schon. Und Maxi ist auch nicht irgendein Typ, sondern Teil der Großfamilie.“, befindet Hannah und ich muss mir wirklich ein Lachen verkneifen. Ich weiß, wieso sie Konstantins beste Freundin ist und bin darüber auch ziemlich froh. Sie ist ein wundervoller Mensch und ihre Art so erfrischend offen und herzlich, dass selbst Bastian ihr nichts abschlagen kann.   „Ich kann nicht tanzen!“, protestiert er dennoch versuchsweise und ich finde, dass ich mir als bester Freund raus nehmen darf, das zu widerlegen.   „Du tanzt hervorragend. Erinnerst du dich an den dreimonatigen Tanzkurs, den wir für unseren Abiball gemacht haben? Du bist ein Naturtalent.“   Ist er im Übrigen wirklich, aber davon will er wohl gerade nichts hören. Sein fassungsloser Blick ist Gold wert!   „Du bist so was von tot, Noah.“   „Ach, schaut mal, da ist er ja!“, freut Hannah sich, als wir dem riesigen Gebäude mit Glasdach und festlicher Dekoration näher kommen. Konstantin hat nicht gelogen als er sagte, dass der Abiball wie aus einem schlechten High School Hollywood Film gestaltet werden würde. Der Eingang der Sporthalle ist über und über mit kunterbunten Luftballons, Plakaten und weiß der Teufel was noch alles in Homecoming-Manier geschmückt. Dichte Massen drängeln sich am Eingang, aber Maxi ist tatsächlich nicht zu übersehen: er steht nämlich alleine, abseits der Masse und schaut auf sein Handy. Er trägt einen einfachen schwarzen Anzug, wobei er das Hemd weit aufgeknöpft hat und die schwarze Krawatte nur lässig umgebunden. Als er uns bemerkt, hellt sich seine Miene auf und das Handy verschwindet sofort in seine Hosentasche.   Auch Maxi wird von Hannah mit einer Umarmung und Küsschen ins Nichts begrüßt, mir gibt er die Hand und Bastian grinst er zugegeben ziemlich frech an.   „Danke, dass du dich bereit erklärst, mein heutiger Tanzpartner zu sein. Jules verbringt den Abend lieber mit irgendso einem Punk-Balg von der Gesamtschule, dieser elendige Verräter.“   Mir wird ein klein wenig unwohl als er Jules' Namen erwähnt. Konstantin erzählte mir vor... ich glaube ein, zwei Monaten, dass nach einer sehr intensiven Beziehung zu diesem gewissen Lex mit eben diesem nun wieder Schluss sei und Jules wieder genau dort, wo er zuvor auch schon war: in jedermanns Bett. Unter anderem auch damals in dem meines Ex-Freundes, was mir an dieser Stelle wieder mit einem unangenehmen Druck im Kopf bewusst wird. Aber das sind Dinge, über die ich mir jetzt keine Gedanken machen sollte oder gar brauche. Auf mich wartet ein Tanz mit meinem Freund. Unser erster Tanz, denn im Gegensatz zu all seinen Klassenkameraden hat Konstantin vorher nicht mit mir üben wollen. Auch Bastian hat sich seltsamerweise nicht darüber amüsiert, wie Konstantin wohl gelernt hat. Komisch.   Bastian schnaubt ungehalten.   „Ich bin zu alt für diesen Scheiß...“, murrt er nur noch halb protestierend während Hannah ihm mit einem Grinsen den Arm tätschelt.   „Du willst doch den armen Maxi nicht um einen unvergesslichen Tanz an seinem eigenen Abiball bringen!“   Ich weiß nicht, wer von uns zuerst lacht, aber irgendwann stimmt auch Bastian widerwillig ein, packt Maxi am Arm und flüstert ihm irgendwas zu, was für Hannah und mich wohl auf ewig ein Rätsel bleiben wird. Maxi weiß wohl nicht so recht, ob er strahlen oder grinsen soll. Von Konstantin weiß ich, dass Maxi nämlich... wie heißt es so schön? Er hat einen ziemlich heftigen Crush was Bastian betrifft. Und das zeigt er auch recht schamlos, was das ganze irgendwie amüsant, aber auch ein klein wenig merkwürdig macht. Bastian weiß das im Übrigen – und stört sich daran nicht, auch wenn diese Situation jetzt wohl doch ein klein wenig zu viel des Guten ist. Ich habe fast ein wenig Mitleid mit ihm, gleichzeitig kann ich nicht anders, als Bastian unbemerkt wahnsinnig glücklich zu mustern, während er mit Maxi ein Stück vor Hannah und mir geht, als wir die Sporthalle betreten.   Bastian ist der beste Freund, den man sich wünschen kann und Respekt, Wertschätzung und Toleranz würden ihn nicht einmal ansatzweise beschreiben. Es fühlt sich ein bisschen an wie damals, als ich ihm mein eigenes schwul sein gestanden habe. Okay, gestanden klingt doof. Ich habe es ihm ganz normal erzählt, nervös bin ich trotzdem gewesen. Und Bastian, dieser wunderbarer Mensch, hat genauso reagiert, wie er jetzt mit Maxi umgeht: vollkommen entspannt und locker, als wäre es das normalste auf der Welt.   Als wir die riesige Turnhalle schließlich betreten, ist diese bereits gut gefüllt. Vom Glasdach hängen abertausende bunte Luftballons, irgendwer hat sogar Lichterketten von A nach B gespannt, eine Discokugel von beachtlichem Ausmaß ist ebenfalls aufgetrieben worden. Die Vorhänge, die sonst die einzelnen Hallen voneinander trennen, sind nach oben gezogen um so eine einzige riesige Halle zu ergeben. Links oben in der Ecke sehe ich ein Klavier und ich meine, ich kann Konstantins Haarschopf ausmachen. In der rechten Ecke am anderen Ende der Halle steht ein langer Tisch mit Getränken und Fingerfood. Auf der durchgängigen Tribüne auf der gegenüberliegenden Seite des Eingangs haben nur vereinzelt ein paar Leute Platz genommen. Überall schillern junge Mädchen in festlichen Abendkleidern, manche schwindelerregend kurz, die meisten jedoch bodenlang. Die Jungs hier tragen fast ausnahmslos Anzüge, vereinzelt entdecke ich aber auch eine Jeans und sogar Chucks. Das könnte ich sein, wie ich mit einem heimlichen Lächeln feststelle. Zu meinem eigenen Abiball habe ich Skinnyjeans und zwei verschiedenfarbige Chucks getragen. Immerhin ein nettes Hemd mit chicen Jackett. Also ungefähr so wie jetzt, wobei ich dann doch die Chucks gegen ein Paar besserer Schuhe eingetauscht habe. Der Rest ist allerdings ähnlich wie damals. Ich bin einfach kein Anzugtyp.   Die Masse bildet nach und nach einen weiträumigen Kreis, bis ein Spotlight auf das Klavier und somit Konstantin und einem älteren Herrn fällt. Es ist der Schulleiter, der zum Abschluss der Zeugnisausgabe nochmal das Wort an die Gäste und Schüler gerichtet hatte. Mit einem Mikrofon in der Hand teilt er den frisch gebackenen Abiturienten mit, dass der Ball eröffnet wird und kündigt Konstantin mit hörbar dankbarer Stimme am Klavier an. Die Masse klatscht begeistert und ich bin nicht schlecht überrascht, johlende Rufe und begeistertes Pfeifen zu hören. Hannah strahlt mich überglücklich an: sie ist stolz, Konstantin ihren besten Freund zu nennen und mich an seiner Seite zu wissen. Ich muss zurück lächeln und als es still wird, entfernt sich der Schulleiter irgendwo zur Seite, man hört keinen einzigen Ton, als Konstantin sich an das Klavier setzt. Gebannt starre ich seinen Rücken an, wie gerade er da sitzt. Uns trennen mit Sicherheit um die fünfzig Meter und doch habe ich das Gefühl, als würde ich direkt neben ihm stehen. Ich kann regelrecht sehen, wie er tief einatmet, seine Augen sich auf die Klaviatur fokussieren und nach einer aufregenden Stille die ersten Klänge eines entspannten und doch lockeren Walzers die Halle erfüllen.   Keiner rührt sich, als würde jeder warten, dass ein anderer den Anfang machen wird.   Neben mir schnaubt Bastian ungehalten.   „Kinder.“, murrt er, verdreht die Augen und zieht einen verwirrten Maxi mit sich, der wohl nicht damit gerechnet hat, als erster auf der Tanzfläche zu erscheinen. Bastian bringt sie gekonnt in Position und führt Maxi so sicher und selbstbewusst, dass der nur brav der Führung Folge leisten kann. Hannah gibt neben mir ein leises Quietschen von sich und zückt ihr Handy aus einer kleinen Umhängetasche und schießt noch schnell ein Foto, ehe die nächsten Tanzpaare sich aufs Parkett trauen.   „Bastian ist ein mindestens genauso toller bester Freund wie Konsti.“, meint Hannah und schunkelt mich lieb an, einen Arm noch immer um meinen geschlungen. Sie schenkt mir ein strahlendes Lächeln, das ich nur erwidern kann.   „Darauf kann ich nicht unparteiisch antworten.“, gebe ich zurück und suche in der Masse nach Bastian, der alleine schon wegen seiner Größe im Vergleich zu all den jungen Abiturienten auffällt. Er ist der beste Freund, den ich mir vorstellen kann. Ich würde ihn niemals eintauschen wollen. Und manchmal kann ich mein Glück kaum fassen, weil ich Teil dieser wunderbaren Familie bin, die bereits seit meiner Kindheit zu und hinter mir steht und sich daran auch nichts geändert hat, seit ich mit dem jüngsten Sohn des Hauses eine intime Beziehung führe.   „Wir haben beide den jeweils für uns richtigen.“, lenkt sie schließlich großzügig ein und ich kann dem nur nickend zustimmen. Konstantin hat eine wunderbare beste Freundin, die ich an seiner Seite sehr schätze. Wo Konstantin zurückhaltend ist und manchmal unsicher, wie er manche Dinge angehen soll, spricht sie diese ohne Punkt und Komma an, wie er mir manchmal mitteilt. Das sie sich sorgt und kümmert, ist mir noch bewusster geworden, als sie mir dieses Video von Konstantin an seinem Flügel geschickt hat. Kommentiert hat sie die Nachricht mit Du bist so ein Trottel und ich schaue mir das Video heute noch an, wenn ich alleine bin. Das ich sowohl meinen besten Freund als auch meinen beziehungstechnischen Freund in derselben Familie habe... das macht vieles einfacher, manches vielleicht auch ein bisschen komplizierter, aber im Großen und Ganzen hat es für mich und alle anderen keinerlei nennenswerte Nachteile.   „Hannah!“, ruft uns plötzlich eine Stimme aus unserem stillen Betrachten der Szenerie und Hannah ist die erste, die den Kopf in die Richtung dreht, aus der sie angesprochen wurde. Ich kann es nicht sehen, weiß aber auch so, dass sich ihre Miene sofort noch mehr aufhellt als es überhaupt möglich wäre. Ihr Freund, Lars, kommt auf uns zu und trägt äußerst... seltsame Kleidung. Also, nicht seltsam, aber fast ein bisschen... Vintage, nennt man das wohl. Hannah löst sich von meinem Arm und tauscht einen Kuss mit ihrem Freund. Mir reicht er anschließend die Hand zur Begrüßung, mit der anderen hält er Hannahs, die er keine Sekunde loslässt.   „Du siehst wunderschön aus.“, komplimentiert er ihr Aussehen, was Hannah zart erröten lässt. Ich muss lächeln, weil die beiden ein sehr süßes Paar abgeben. Und ich die Liebe in den Augen von Hannahs Freund sehen kann. Es berührt mich und ich weiß nicht wirklich wieso. Dann richtet Lars den Blick auf die tanzende Menge und als er Maxi und Bastian irgendwo dazwischen ausmacht, wird sein Blick kurzzeitig finster.   „Ich kann nicht glauben, dass Jules Maxi wirklich abgesagt hat. So ein Idiot. Ich schwöre, dieser Typ macht mich derzeit wahnsinnig.“   „Hast du mit ihm reden können?“, erkundigt sich Hannah neugierig und gleichermaßen besorgt. Ich werde in dieses Gespräch nicht mit einbezogen, zuhören tue ich trotzdem – ohne dabei unanständig zu lauschen.   „Den Mund fusselig rede ich mir. Mann, es ist wie damals, als der ganze Scheiß anfing. Ich weiß echt nicht, was ich machen soll.“   „Verprügeln?“, schlägt Hannah schief grinsend vor, woraufhin Lars wütend schnaubt – aber garantiert nicht wegen Hannah.   „Glaub mir, wenn der sich nicht bald in den Griff kriegt, werde ich genau das tun. Zum Glück ist Maxi nicht verknallt, aber einen guten Freund so hängen zu lassen... Jules hat echt Nerven. Mann, ernsthaft, ich bin so sauer, ich könnt ihm echt eine reinschlagen. Lass uns bitte nicht mehr darüber reden.“   Ein Teil von mir fragt sich, was da wohl los ist. Konstantin erzählt wenn nur sehr oberflächlich von diesen Dingen, was für mich vollkommen in Ordnung ist. Es geht ja sowohl ihn als auch mich in erster Linie nichts an. Trotzdem denke ich darüber nach, was in diesem Jules, der mit meinem Ex gevögelt hat, vor sich geht. Da das aber nicht meine Baustelle ist, blende ich das junge Paar neben mir für eine Weile aus, beobachte das beinahe gleichmäßige Treiben der Masse und warte mit klopfendem Herzen auf Konstantin, als das Klavierspiel nach einer viel zu langen Weile verstummt und stattdessen normale Musik über eine große Musikanlage gespielt wird.   Bastian und Maxi sind noch vor Konstantin zurück und während mein bester Freund aussieht, als würde er irgendwen töten wollen, sieht Maxi fast ein wenig verzückt drein, als er Lars begrüßt. Ich habe jedoch nur Augen für Konstantin, der sich schließlich durch die Menge kämpft und ein wenig atemlos ist. In meinem Bauch kribbelt es angenehm. Er begrüßt Lars mit einer lockeren Umarmung und ich gehe davon aus, dass er Maxi bereits vorher getroffen hat, da er ihn nicht besonders begrüßt. Als er mich ansieht, schenkt er mir ein zaghaftes Lächeln. Bastian faselt irgendwas davon, dass er was zu trinken braucht und macht sich ansonsten kommentarlos vom Acker. Konstantin will gerade das Wort an mich richten, da drückt Hannah Lars auch schon ihre kleine Handtasche in die Hand und greift nach Konstantins Hand.   „Konsti Wagner, darf ich um diesen Tanz bitten?“   Sie wartet eine Antwort gar nicht ab und ich überlege, ob ich irgendwas nach Hannah werfen kann, habe aber bis auf meine Schlüssel, Geldbörse und Handy nichts dabei, was ich ansonsten entbehren könnte. Mein Freund sieht ein klein wenig gequält aus: ich sehe ihm an, dass er sich lieber mir zuwenden würde, dann nickt er aber ergeben und lässt sich von Hannah mitziehen, die dank ihrer hohen Schuhe nun noch ein Stück größer ist als sie ohnehin schon größer als er ist. Ich seufze leise. Es ist irgendwie angenehm spannend, Konstantin zu sehen, ihm beinahe nah sein zu können und dann doch nicht dazu zu kommen, eine kleine Zärtlichkeit oder mehr als eine Begrüßung miteinander zu wechseln. Das ich solche Gefühle nochmal haben würde...   Lars neben mir räuspert sich leise.   „Hannah ist eine total fiese Möpp.“   Ich grinse.   „Darfst du so was über deine Freundin sagen?“   „Das bleibt unter uns.“   Wir lachen gemeinsam und ich beschäftige mich lieber damit, Konstantin und Hannah zu beobachten. Ein kleiner Teil von mir denkt, dass die beiden gut zusammen aussehen. Das alles so viel einfacher und entspannter für uns alle gewesen wäre, wären sie das Paar und nicht Konstantin und ich. Hannah strahlt ihren besten Freund an, wie sie wohl auch Lars anstrahlt, das sehe ich auch aus der Entfernung und trotz all den anderen tanzenden Paaren. Mein Freund strahlt genauso zurück. Ich freue mich, dass er und Hannah sich genauso nah stehen wie Bastian und ich. Aber mehr noch freue ich mich, weil dieser junge, wahnsinnig hübsche Abiturient zu mir gehört. Das er später mit zu mir kommt und wir morgen zusammen zum Familienbrunch fahren.   Maxi seufzt theatralisch.   „Ich glaube, ich werde mich auch betrinken gehen. Falls wir uns nicht mehr sehen: genießt euren Abend!“   Lars verabschiedet sich zuerst von Maxi und drückt ihn kurz, aber nicht minder herzlich. Wir reichen uns die Hände, wobei ich mich dann doch wage, ihm mitfühlend die Schulter zu tätscheln. Er blitzt mich verschwörerisch an, dann winkt er uns zu und macht sich aus dem Staub. Kurz darauf kommen Konstantin und Hannah zurück, ersterer sieht aus, als hätte er gerade den Albtraum seines Lebens hinter sich, Hannah hingegen wirkt, als wäre ihr Lebenswunsch in Erfüllung gegangen. Sie gesellt sich schnell an Lars' Seite und gibt ihm einen zarten Kuss. Konstantin bleibt vor mir stehen, den Blick auf Hannah und Lars gerichtet.   „Pass auf deine Füße auf.“, grinst Konstantin Lars an und streckt Hannah frech die Zunge raus, die empört nach ihm schlägt.   „Du bist so eine fiese Bazille! Noah, Konsti ist ein wahnsinnig schlechter Tänzer. Total hoffnungslos!“, schießt sie zurück, doch das blitzen in ihren Augen straft sie Lügen. Und auch Konstantin sieht eher so aus, als würde er seine beste Freundin nur foppen wollen.   Lars sieht Hannah mit zusammengezogenen Augenbrauen an.   „Das wird schon schief gehen. Es ist eine gute Probe für meinen Abiball nächste Woche.“   Hannah stampft – ja, stampft – mit Lars davon, wirft Konstantin aber noch einen Luftkuss zu und tanzt kurz darauf eng umschlungen mit ihrem Freund. Das strahlen, das nun auf ihrem Gesicht zu sehen ist, ist so viel anders als das, das sie für Konstantin auf dem Gesicht trug. Und doch ähnlich. Alle Gedanken an andere Menschen verschwinden jedoch augenblicklich, als ich eine warme, zaghafte Hand an meiner spüre. Schlanke Finger, die sich mit meinen verschränken. Konstantins Hand ist im Vergleich zu meiner deutlich kleiner, doch das ist ein schönes Gefühl, ein schöner Unterschied, den ich lieben gelernt habe.   Endlich sehen wir uns richtig an und auf Konstantins blassrosa Lippen liegt ein beinahe schüchternes Lächeln. Er behauptet seit seinem Geburtstag, dass er gewachsen ist, aber um mich anzusehen, muss er den Kopf immer noch deutlich heben – und er reicht mir immer noch nur bis zur Brust. Auch etwas, das ich lieben gelernt habe: der Größenunterschied zwischen uns.   „Hi Noah.“, dringt seine eher hellere Stimme an meine Ohren und der Ausdruck in seinen grünlichen Augen macht mich nicht zum ersten Mal schwach.   „Hey Konstantin.“, grüße ich zurück und drücke seine Hand behutsam, aber nicht minder liebevoll. Ich lasse meinen Daumen über seinen Handrücken streichen und genieße einfach nur diesen kleinen, zärtlichen Moment zwischen uns. Konstantin ist nervös, das wusste ich schon vorher und spüre es nun ganz deutlich. Es ist wie eine feine Schwingung in der Luft.   An seiner Schule wissen – ganz bewusst und ganz sicher – nur Maxi und Hannah, dass er in einer Beziehung ist. Mit mir. Er hat irgendwann mal verlauten lassen, dass er glaubt, dass seine Mitschüler und Mitschülerinnen etwas ahnen, aber darauf angesprochen hat ihn niemand. Er ist auch, zum Glück, nie ins Visier irgendwelcher Anfeindungen gekommen. Ich bin mir sicher, dass Hannah jeden Aufstand sofort zerschlagen hätte, was mich ein klein wenig getröstet hat, weil ich weiß, wie furchtbar Teenager sein können. Und das meine ich wirklich nicht abwertend, auch wenn Konstantin ja nun volljährig ist!   Mein Freund hat in der Öffentlichkeit nämlich noch etwas Zeit gebraucht, bis er unsere Zugehörigkeit zeigen konnte. Es ist ihm nicht wirklich unangenehm gewesen, aber doch eine kleine Hürde, die er wohl nicht erwartet hatte. Seine sexuelle Orientierung und Beziehung zu mir vor Freunden und Familien offen zu legen ist ihm weitaus leichter gefallen, als bei einem Stadtbummel meine Hand zu halten. Das ist für mich vollkommen in Ordnung gewesen und nichts, worauf ich unbedingt gesteigerten Wert gelegt hätte. Also, klar möchte ich in der Öffentlichkeit auch seine Hand halten, aber mir wäre es im Traum nie eingefallen, ihn zu drängen oder deswegen gar Diskussionen mit ihm zu führen.   Das er nun meine Hand hält, ganz dicht bei mir steht und ich seinen ihm ganz eigenen süßen Duft nach Honig und Mandelmilch und Gemütlichkeit wahrnehme, macht mich unglaublich stolz. Es ist schön zu erleben, welche Schritte Konstantin seit letztem Jahr macht – fast so wie damals, als er laufen gelernt hat, woran ich jetzt gerade besser nicht denken sollte.   Konstantin lächelt eins dieser wunderschönen, zarten Lächeln, seine Hand drückt meine etwas fester, er stellt sich auf die Zehenspitzen und dann streifen seine Lippen ganz sachte meine, als ich ihm etwas entgegen komme, um die kleine Distanz zwischen uns zu überwinden. Ich spüre sein Lächeln an meinen Lippen, als er mich zaghaft, aber doch ganz bewusst und beabsichtigt küsst. Ich verwette mein Hemd darauf, dass mein Herz mindestens so schnell schlägt wie das seine, dabei sollte man annehmen, ich sei aus dem Alter von verrücktem Herzklopfen, Schmetterlingen im Bauch und Co raus. Dann wiederum: all das spielt keine Rolle, wenn man verliebt ist. Egal, wie alt man ist.   Der Kuss ist nur kurz, ohne Zungen, aber doch mit leicht geöffneten Lippen als Konstantin sanft an meiner unteren saugt. Dann löst er sich von mir, zumindest von meinen Lippen, sinkt zurück auf seine Füße und dieses Mal ist sein Lächeln so viel sicherer, selbstbewusster und lässt sein ganzes Gesicht strahlen. Wow. Wie hätte ich mich eigentlich nicht in ihn verlieben können?   Es bedarf keiner Worte zwischen uns, als er mich langsam, aber doch bewusst zwischen die anderen Tanzenden zieht und wieder ein klein wenig nervöser wird, als er sich dicht vor mich stellt. Die Musik spielt immer noch verschiedene Walzer und Konstantin hebt seine rechte und meine linke Hand in die Höhe, während sich seine linke Hand an meine rechte Schulter legt. Der beinahe schüchterne Ausdruck in seinen Augen macht mich fertig – im positiven Sinn. Meine rechte Hand gleitet unter seinem Arm hindurch an seinen Rücken, ich warte ein paar Takte, dann, nach einem stillen Signal seinerseits, führe ich ihn durch unseren ersten gemeinsamen Tanz.   Abseits eines Clubs wie dem Horizon. Abseits des nicht immer unschuldigen Tanzens dort. Der erste Walzer mit Konstantin.   Wo und wie auch immer er geübt hat: er tanzt wahnsinnig gut und bleibt ganz genau im Takt. Keine Bewegung zu viel, keine zu wenig und überhaupt nicht verkrampft oder steif. Als würde er die Takte der Musik selber vorgeben, sich von ihnen tragen, sich führen lassen. Sein Körper bewegt sich mit solcher Leichtigkeit, wie er sich manchmal beim Flügel spielen bewegt. Wenn er sich den Klängen entgegen lehnt.   Und die ganze Zeit über sieht er mir in die Augen, mit diesem liebenden und doch ein wenig ungläubigen, verwunderten Ausdruck in dem herrlichen grün. Wahnsinn. Ich könnte ihn nicht noch mehr lieben.   Unser Walzer findet ein jähes Ende, als die Musik plötzlich in irgendwas pop-rockiges umschlägt, die Discokugel sich schillernd dreht und knallbunte Lichtinstallationen die Turnhalle in eine Disco verwandelt. Die Meute grölt und aus den Walzern wird schnelles, freies tanzen. Konstantin sieht ein wenig überfordert aus, dann schlingt er in einer schnellen, fließenden Bewegung die Arme um meinen Hals und bringt unsere Lippen stürmisch zusammen. WOW!! Die Tanzenden um uns herum nehmen keine Notiz, zumindest nicht mehr, als sie sollten. Ein tanzendes Paar sieht uns entgeistert an und während das Mädchen kurz darauf einen fast träumerischen Ausdruck im Gesicht hat, sieht der dazugehörige Junge aus wie ein Kreidefelsen, als ich meine Zunge in Konstantins Mund tauchen lasse. Und den fremden Jungen dabei ansehe. Er dreht sich hastig weg und ich, schuldig in allen Anklagepunkten, fühle mich ein klein wenig verwegen.   Konstantins Kuss ist innig, seine Hände greifen in meinen Nacken und ich gestehe, dass wir meinetwegen jetzt gerne nach Hause könnten. Da es aber Konstantins Abiball ist und ich mich vielleicht ein wenig am Riemen reißen sollte, löse ich den Kuss bald und lege lieber meine Arme locker um ihn. Er sieht mich an, ein wenig schmollend, aber eher verzückt als verärgert.   „Okay, wir haben getanzt, uns geküsst... jetzt müssen wir nur noch etwas trinken, Smalltalk führen und dann ist der American-Homecoming-Abklatsch perfekt.“, befindet Konstantin und greift wieder nach meiner Hand, als ich meine Arme um ihn löse.   „Ich bin mir sicher, dass es da gar nicht so wie in den Hollywood-Filmen zugeht.“, gestehe ich nachdenklich und ernte ein entrüstetes schnauben meines jungen Freundes.   „Das kannst du einem frisch gebackenen Abiturienten doch nicht einfach so sagen!“   Wir müssen beide lachen, dann folge ich ihm zu dem Buffet, das sich fleißig dezimiert. So viele auch tanzen, so viele stehen hier an der langen Tafel und schlage sich die Bäuche voll oder trinken etwas. Wir gönnen uns beide jeweils ein Glas von dem Punsch, der uns von einer Lehrkraft gereicht wird. Während Konstantin die Alkoholversion trinkt, begnüge ich mich mit der alkoholfreien Variante. Wir beobachten die Masse eine Weile schweigend, bevor Bastian zu uns stößt. Konstantin wirkt ziemlich überrascht.   „Was machst du denn noch hier?“   „Jetzt nichts mehr. Ich gehe jetzt nach Hause.“, murrt er und mustert Konstantin von oben bis unten mit einem prüfenden Blick. Dann richten sich seine Augen auf mich.   „Wehe, ihr seid morgen zu spät. Und wehe, er hat einen Kater.“, ertrage ich geduldig Bastians Warnung und überlege, ob ich einen lockeren Spruch bringen soll, lasse es aber bleiben. Konstantin verdreht beinahe hörbar seine Augen und macht eine abwinkende Handbewegung in Richtung seines großen Bruders.   „Danke, du bist dann jetzt entlassen.“   „Mach nicht zu lange, Grottenolm.“   Konstantin grummelt irgendwas vor sich hin, während Bastian mich kurz umarmt und kameradschaftlich meinen Rücken klopft. Ich erwidere die Geste, wir nicken uns kurz zu, dann macht er sich auf und davon. Ich mache mir eine geistige Notiz, ihn morgen ein klein wenig zu loben für sein großes Herz, mit Maxi zu tanzen. Und ja, auch wir necken uns durchaus.   „Mann, das er ausgerechnet hier und heute so ne Laune schieben muss...“   „Er musste mit Maxi tanzen.“, gestehe ich und lache ein wenig über Konstantins völlig entgleisten Blick.   „Nein!?“   „Oh doch. Ein Bild für die Götter. Hannah hat ein Foto gemacht.“   Konstantin grinst von einem bis zum anderen Ohr und nippt an seinem Glas.   „Das geschieht ihm so was von recht.“   „Ausnahmsweise habe auch ich das ein klein wenig genossen.“   „Ahh, was bist du nur für ein fieser bester Freund!“   Oh, ich liebe es, wenn Konstantin sich ein klein wenig frech gibt. Dafür muss ich ihn kurz küssen, was ihn leise lachen lässt, seine Aufmerksamkeit sich aber bald auf Hannah und Lars richtet, die sich uns nähern. Maxi im Schlepptau.   Während wir gemeinsam ein Glas Punsch nach dem anderen trinken, ermahne ich mich ab einem gewissen Punkt, Konstantin nicht weiter trinken zu lassen. Nach dem sechsten Glas ist er zwar nicht betrunken, aber angeheitert genug, um ihm vom nächsten Glas besser abzuhalten. Die Abiballparty nimmt ausgelassene Züge an, es gibt genauso viele Tanzende wie umherstehende Grüppchen die essen, trinken, lachen oder einfach nur miteinander reden. Hier und da ein Pärchen, das sich küsst. Konstantin ist mit Hannah tanzen, während Lars, Maxi und ich am Rand stehen bleiben, bis wir doch auch irgendwann wieder tanzen und den Abend genießen.   - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -   Es ist nach Mitternacht, als wir uns auf den Heimweg machen: erst zu Konstantin nach Hause um mein Auto zu holen, dann zu mir nach Hause. Mein Freund ist fleißig dabei, mir von seinem Schulleben zu erzählen, dass er es komisch findet, nicht mehr täglich dorthin zu müssen und zum Wintersemester sein Studium beginnt. Als wir im Aufzug stehen hält er sich an der Wand fest, weil er ein klein bisschen schwankt. Das lässt ihn verwirrt drein schauen, als würde er sich wundern, woher das kommt. Ich muss lächeln, weil Konstantin irgendwie wahnsinnig süß ist, wenn er beschwipst ist.   Als ich die Haustür aufschließe und das Licht im Flur anmache, schält Konstantin sich beinahe sofort aus seinem Jackett und hängt es auf. Seine Schuhe wird er genauso schnell los, legt Schlüssel und Handy auf meinen Schuhschrank und knöpft auch die drei kleinen Knöpfe seiner Weste auf. Ich tue es ihm nach, werde Schuhe, Kleinkram – bis auf mein Handy – und Jackett los, schließe die Haustür ab und fahre mir mit den Händen ein wenig durch die Haare. Konstantin zieht nun auch die Weste aus, hängt sie zum Jackett und dreht sich dann zu mir um. Seine Wangen sind vom Alkohol ein wenig gerötet, aber seine Augen blicken wach und aufmerksam drein. Er lächelt, küsst mich kurz und geht in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu genehmigen. Ich beobachte ihn kurz dabei, dann gehe ich ins Schlafzimmer und bereite das Bett vor, falte die Tagesdecke ordentlich zusammen und lege sie weg, lasse die Jalousien herunter und ziehe die Vorhänge zu, nachdem ich das Fenster ganz geöffnet habe. Es ist nicht ganz kühl in meinem Zimmer, aber wenigstens auch nicht trotz Hochsommer zu warm. Nicht, dass das irgendeine Rolle spielen wird.   Mit dem Handy in der Hand setze ich mich auf die Bettkante und schicke eine Nachricht an Bastian, dass wir daheim sind und Konstantin nicht betrunken. Es wundert mich nicht, als Bastian mir zurückschreibt. Ich muss ein wenig lächeln, weil er so viel mehr der große Bruder ist, als er jemals vor allem vor Konstantin zugeben würde. Das Konstantin die Küche verlassen hat und stattdessen ins Schlafzimmer kommt, nehme ich erst wirklich wahr, als er mir das Handy wegnimmt und vorsichtig auf den Boden ablegt und mit dem Fuß wegschiebt. Dann stellt er sich zwischen meine Beine, nimmt meine Hände und legt sie an seine Hüften. Ich verkneife mir ein Lachen, wirklich, weil ich merke, wie er ein klein wenig schwankt.   „Lach nicht.“, mahnt er mich, weil er mich inzwischen gut genug kennt.   „Niemals. Mhh, herzlichen Glückwunsch Konstantin. Das habe ich dir noch gar nicht gesagt.“   Er lächelt, als sich seine Hände an meinen Schultern abstützen und er sich rittlings auf meinen Schoß setzt. Vom ersten Mal an, als wir das erste Mal letzten Sommer miteinander intim geworden sind, setzt er sich bevorzugt auf meinen Schoß. Und, da bin ich ehrlich: mir würde es im Traum nicht einfallen, auch nur im Geringsten dagegen zu protestieren. Das ist etwas, das ich erst mit Konstantin erfahren habe: das ich es mag, es genieße, wenn er so auf mir sitzt. Seine Arme haben sich locker um meine Schultern gelegt, ich verschränke meine Hände hinter seinem Rücken.   „Danke. Auch für unseren ersten gemeinsamen Walzer. Den ich nie wieder tanzen werde. Oder, vielleicht nur noch einmal, wenn ich mein Studium beendet habe.“, sinniert er und legt den Kopf für einen Moment in den Nacken. Ich würde gerne seinen Hals küssen, den er da so perfekt anbietet, aber seine Krawatte und das Hemd sind immer noch ordentlich an Ort und Stelle, so das ich sowohl das eine, als auch das andere erst aus dem Weg schaffen müsste.   „Sagst du mir jetzt, wo und wie du gelernt hast?“, erkundige ich mich nicht zum ersten Mal. Konstantin sieht mich sofort wieder an und die Röte in seinem Gesicht verdunkelt sich. Er beißt sich auf die Unterlippe, weicht meinem Blick aus, dreht den Kopf etwas zur Seite, seine Hände wuseln nachdenklich über meinen Nacken, meine Schultern... er macht es mir wirklich nicht leicht.   Nach einer Ewigkeit seufzt er und senkt den Blick irgendwo auf die Knopfleiste meines Hemdes.   „Bastian.“   Okay, ich gebe zu: ich bin ehrlich überrascht. Und ein klein wenig ungläubig, weil ich mir relativ sicher bin, dass Konstantin ihn niemals nie deswegen gefragt haben kann. Verwirrt suche ich seinen Blick auf.   „Bastian?“   Konstantin nickt, sieht mich an und grinst dann.   „Er hat gesagt, dass er sich in Grund und Boden schämen würde, wenn ich keinen ordentlichen Walzer mit dir auf die Kette kriegen würde. Also hat er es mir selbst beigebracht.“   Ich muss lachen, weil der Gedanke so aberwitzig und gleichzeitig so komisch ist, dass ich mir es leibhaftig vorstellen kann. Konstantin boxt mir empört gegen die Schulter.   „Du sollst nicht lachen!“   „Entschuldige, aber das ist... Basti hat wirklich...“, gluckse ich und reibe mir mit einer Hand den Augenwinkel, weil sich da Lachtränen bilden. Konstantin schaut mich bitterböse an. Naja, er versucht es zumindest. Ich gebe ihm lieber schnell einen Kuss, den er zwar zulässt, aber widerwillig dabei murrt.   „Das ist überhaupt nicht komisch. Er hat mich andauernd angemeckert und mir fast die Schultergelenke ausgekugelt, weil er nur an mir herum gezerrt hat. Und er hat mich schwören lassen, es dir nicht zu sagen.“, grinst er zum Schluss hin und streicht über den Kragen meines Hemdes, den er behutsam glatt streicht – unnötiger weise.   „Was ja wunderbar funktioniert hat.“   „Du wirst es ihm nicht erzählen, oder?“   „Nicht, wenn du mich jetzt küsst.“   Eine weitere neue Erfahrung für mich: von Konstantin geküsst werden wollen. Das möchte ich natürlich gerne und so oft wie möglich. Aber manchmal, das muss ich gestehen, sage ich ihm das auch ganz deutlich, weil ich es wirklich brauche. Weil ich mich manchmal nach ihm sehne, verzehre und den Moment nicht abwarten kann, wenn wir uns endlich wiedersehen. Beispielsweise nach einer langen Woche in der ich Spätdienst hatte und Konstantin nur mit lernen für seine Prüfungen beschäftigt war. Ihn dann endlich wiederzusehen...   Konstantin lächelt, stößt seinen Atem aus, als würde er nach einer ewig langen Diskussion endlich großzügig einlenken, seine Hände wandern in meinen Nacken und das nächste Mal, als sich unsere Lippen treffen, geschieht das äußerst forsch, wild und mit ganz und gar nicht untätigen Händen. Mein Freund lässt seine Augen zufallen und ich genieße einen Moment den Anblick seines hübschen Gesichtes, seiner langen Wimpern, die sachte auf seiner Haut ruhen. Dann schließe auch ich meine Augen und genieße den Kuss, die wachsende Leidenschaft zwischen uns und befreie Konstantin erst einmal von der Krawatte. Zeitgleich beginnen unsere Finger, die Knöpfe des Hemdes des jeweils anderen zu öffnen, ertasten erste Stücke Haut. Konstantins Haut ist warm und weich, ich spüre sein Herz an meiner Hand schlagen, als ich sie auf seine glatte Brust lege. Er ist schneller im loswerden von Kleidung als ich, denn während er mir gerade mein Hemd auszieht und es zu seiner Krawatte auf den Boden schmeißt, ist sein Hemd immer noch nur bis zu seinem Bauch aufgeknöpft.   Seine Hände wandern über meine Seiten, meine Brust, meine Arme und Schultern, in mein Haar, meinen Nacken, legen sich an mein Gesicht. Er bewegt sich mit langsamen, genüsslichen Zügen auf meinem Schoß, presst sich näher an mich und stöhnt leise in den Kuss, als sich seine Erektion durch den dünnen Stoff seiner Anzugshose hart und unmissverständlich gegen meinen Bauch drückt. Oh, wow, ich will ihn jetzt und sofort. Konstantin scheinbar auch, denn er fängt an, sich mit intensiven Bewegungen seiner Hüfte an mir zu reiben, stöhnt in den Kuss, den er beendet und seinen Kopf an meine Schulter lehnt. Sein Atem geht schwer, meiner auch.   „Oh, fuck, Noah...“, bringt er mit tonloser Stimme hervor, greift nach einer meiner Hände und führt sie zwischen seine Beine. Wahnsinn, geht mir einer ab. Er bewegt sich meiner Hand entgegen, als ich sie aufreizend über den gespannten Stoff streichen lasse. Dann habe ich genug und sehe lieber zu, ihm fahrig aus dem Hemd zu helfen, seinen Hals und Schultern zu küssen, meine Hände über seinen Oberkörper wandern zu lassen. Konstantin schnauft protestierend, weil ich ihm somit meine Hand in seinem Schritt entziehe, aber irgendwann hätte ich das ja so oder so tun müssen, damit ich ihm aus seiner Hose helfen kann. Und ich muss auch dringend aus meiner raus, weil es allmählich unbequem und zu eng wird.   Konstantin scheint das ganze wohl nicht schnell genug zu gehen, er steht auf und sieht mich mit lustvollen Augen an, während er sich von dem Rest seiner Kleidung befreit. Ich will aus dem kläglichen Rest meiner Kleidung genauso schnell raus, muss Konstantin aber erst einmal anstarren. Ich kenne seinen Körper inzwischen so gut und trotzdem nimmt er mich jedes Mal genauso in Bann wie am Anfang. Wo ich dank Fußball und Sport generell deutlich muskulöser gebaut bin, ist Konstantin schlank und weich. Sein Bauch ist flach, seine Hüftknochen stehen minimal hervor. Er ist nicht zu dünn, aber generell von vielleicht etwas zierlicherer Statur, im Gegensatz zu seinem Bruder, der locker drei Köpfe größer ist. Vielleicht sogar vier. Mein Blick wandert über seine Brust, die sich ob seines tiefen Atmens deutlich hebt und senkt, hinab zu seinem Bauchnabel. Etwas weiter unterhalb verfolgen meine Augen den schmalen Streifen dunklen Haares, der mir aufgeregtes Magenkribbeln beschert. Von allem anderen, was ich da noch sehe, mal ganz zu schweigen. Auch das ist ein deutlicher Unterschied zwischen uns: Körperbehaarung. Konstantins Körper produziert dahingehend nicht mehr als er für nötig erachtet, aber das, was da ist, entfernt er nicht obschon er sicherlich hier und da ein wenig für eine ordentliche Form sorgt. Es stört mich nicht im Geringsten.   „Willst du mich nur anschauen?“, vernehme ich seine Stimme halb belustigt, halb gequält und ich fühle mich tatsächlich ein wenig aus meinen Gedanken gerissen, als ich den Blick wieder hebe und seine Augen aufsuche. Er sieht mich an, beißt sich leicht auf die Unterlippe und, fuck, ich bin tatsächlich fertig mit schauen. Vorerst. Meine Hände schlängeln sich über seine Seiten an seine Hüften, ich ziehe ihn näher und küsse seinen süßen Bauch, genieße seine Hände, die sich sofort an meinen Kopf legen. Ein Schaudern geht durch seine Beine, als ich meine Hände an seinen Hintern schiebe und meine Lippen seine Erektion streifen. Er seufzt leise und sehnsüchtig, eine seiner Hände krallt sich in mein Haar. Ich krieg zu viel.   Von ihm ablassend, schiebe ich ihn ein kleines Stück weg damit ich aufstehen kann. Konstantin sieht mich atemlos an, während ich mich fahrig von dem kümmerlichen Rest meiner Kleidung befreie und mich gleich nicht mehr so eingequetscht fühle. Die Augen meines Freundes wandern an meinem Körper herab, bleiben an meiner Körpermitte hängen, dann sieht er mich wieder an. Dieser Moment zwischen uns, in dem wir uns nackt gegenüberstehen, dauert gefühlt eine Ewigkeit an. Manchmal, da kann ich nicht glauben, dass wir tatsächlich eine Beziehung führen. Das wir inzwischen seit über einem halben Jahr miteinander intim sind. Wenn man letztes Jahr mitzählt, irgendwie so ein Jahr. Etwas weniger. Und obwohl wir uns in den ganzen vergangenen Monaten besser kennen gelernt haben, den jeweils anderen Körper und dessen Bedürfnisse inzwischen mehr verstehen, ist es doch jedes Mal aufs Neue aufregend und... neu.   Konstantin greift nach einer meiner Hände, stellt sich dicht zu mir, ich spüre seine Erregung, die sich gegen meine drückt. Die Hitze zwischen uns lässt mich scharf die Luft einziehen. Ich will ihn so sehr, dass es mich schier wahnsinnig macht. Und das ist mir, gelegentlich, ein klein wenig unangenehm weil ich doch manchmal denke, dass ich Konstantin nicht auf diese oder jede anders erdenkliche Art begehren sollte.   Glücklicherweise kommt dieser Gedanke nicht mehr so häufig auf, wie noch letztes Jahr. Oder Anfang des Jahres. Und jetzt gerade verpufft er wie von selbst, weil Konstantin sich von mir löst und stattdessen rückwärts aufs Bett krabbelt. Er sieht mich an, während ich jede seiner Bewegungen mit Argusaugen verfolge. Das Lächeln auf seinen Lippen wird etwas verruchter, als sein Blick erneut über meinen Körper wandert.   Okay, die Schonfrist ist vorbei. Nicht, dass es die jemals gegeben hätte. Ich bin schnell bei Konstantin und wer hier wen festhält, darüber mag ich mich nicht auslassen. Wir streicheln und greifen aneinander rum, küssen uns wild und leidenschaftlich und lang und heftig atmend. Konstantin gibt die schönsten Laute von sich, die angenehm in meinen Ohren klingeln.   Er schlingt Arme und Beine um mich, als wir schließlich miteinander schlafen.   Sex mit Konstantin ist etwas ganz Besonderes – jedes Mal. Wo er am Anfang noch so unerfahren und sicherlich gehemmt war, sagt und zeigt er mir inzwischen doch deutlich, was er gerne mag. Oder wenn er etwas Neues ausprobieren möchte. Okay, er ist zuweilen sicherlich noch schüchtern und hält viele Dinge auch noch beinahe wie gewohnt erst einmal eine ganze Weile hinterm Berg. Aber es ist nicht mehr so wie am Anfang und ich freue mich immer wieder für Konstantin, weil er doch spürbar an Sicherheit in unserer Beziehung gewinnt.   Unsere Küsse werden gieriger, immer wieder unterbrochen von keuchen und stöhnen beiderseits, von Konstantins Stimme, die meinen Namen mal nur wispert, dann lustvoll über die Lippen bringt. Ich genieße das Gefühl unserer Körper, die Bewegung, die bei jedem Stoß durch seinen Körper geht. Die Hitze seiner Haut, die sich mit meiner vermischt.   Seine Arme lösen sich um mich, strecken sich über seinen Kopf, die Hände greifen in die Kissen während er sich auf die Unterlippe beißt, nur um seiner Lust dann doch wieder eine Stimme zu verleihen. Gott, er ist so wahnsinnig schön. Gott, wie sehr er mich erregt. Eine seiner Hände schlängelt sich zwischen unsere Körper und als mir bewusst wird, was er vorhat, möchte ich am liebsten vor Lust und Liebe vergehen. Wo Konstantins Augen eben noch geschlossen waren, öffnet er diese nun und sieht mich an, die Lippen leicht geöffnet, während er sich selbst berührt. Ich krieg zu viel. Während ich mich mit einer Hand abstütze, suche ich mit der anderen nach seiner verbliebenen freien Hand, verschränke unsere Finger und halte sie ganz fest. Konstantins Atem beschleunigt sich, ich spüre ein leichtes zucken in seinen Beinen um mich und ein angenehmes, anschwellendes Kribbeln in meinem Unterleib.   Konstantins Stimme überschlägt sich fast, als er immer wieder meinen Namen flüstert, bis er zuletzt nur noch stockend über seine Lippen kommt, ein kleines, englisches Fluchwort sich irgendwo dazwischen mischt und er den Kopf in den Nacken legt, als er schließlich kommt. Sein Körper spannt sich an, während sein Unterleib dem meinen entgegen kommt, er den Rücken ein wenig durchbiegt und seine Hand meine fast schmerzhaft umklammert. Während Konstantin seinen eigenen Orgasmus bereits genießt, folge ich ihm etwas später und lege meine Lippen an seinen Hals, küsse und sauge an der weichen Haut um meine Stimme irgendwie zu ersticken.   Seine Hand bewegt sich nur noch langsam und entspannt zwischen uns, unregelmäßiger, dann schlingt er den Arm um mich, drückt mich an sich und ich gestatte es mir, Konstantin für einen Moment mein Gewicht tragen zu lassen. Dann löse ich mich von ihm, gebe ihn frei und uns beide den Moment der Ruhe, während wir nebeneinander auf dem Rücken liegen, die Decke anstarren und versuchen, unseren Atem zu normalisieren. Konstantin kommt vor mir zur Ruhe und ich spüre, wie sich tiefe Entspannung in ihm breit macht, als er sich an meine Seite schmiegt und den oberen Arm um mich legt. Seine Hand streichelt träge über meine Brust. Das Gefühl seines heißen, verschwitzten Körpers an meiner Seite lässt mich entrückt lächeln und ich gestatte es mir, für eine Weile die Augen zu schließen und das Nachgefühl meines Höhepunktes zu genießen.   Als mein Herz auch endlich wieder gemächlich vor sich hin schlägt, lege ich den Arm um Konstantin, streichle über seine Seite, seinen Rücken, die schmale Schulterpartie. Er seufzt zufrieden und reibt seinen Kopf an meine Schulter, auf der er halb liegt. Wir schweigen eine ganze Weile, lauschen dem Atem des anderen, genießen die Wärme und Nähe zwischen uns. Dann hebt Konstantin den Kopf und sieht mich nachdenklich an. Sein Haar ist zerzaust und ich finde, es könnte nicht besser aussehen. Die Spuren der Nähe zwischen uns sind etwas, das ich gerne sehe.   „Heute vor einem Jahr war ich noch bis über beide Ohren in dich verknallt.“, sinniert er plötzlich und ich merke, wie meine Augenbrauen von ganz alleine gen Norden wandern.   „War?“   „Also, hoffnungslos“, fügt er mit einem kleinen Grinsen hinzu, das ihm ganz ausgezeichnet steht, „und ohne dein Wissen.“   Ich verschränke meinen anderen Arm hinter meinen Kopf und lasse meinen Blick über Konstantins Gesicht gleiten. Seine Lippen sind vom lauter küssen ganz rot, was wahnsinnig gut aussieht.   „Ich hatte keine Ahnung, wie ich es dir jemals sagen sollte, weißt du das? Und Hannah war mir nur bedingt eine Hilfe.“   „Die arme Hannah tut mir echt ein bisschen leid, dass sie sich das so lange hat geben müssen.“   Konstantin zwickt mir in die Brust, was leider nicht sehr angenehm ist. Ich fluche leise und reibe mir mit der freien Hand nun doch die unangenehm wunde Stelle.   „Rede nicht so darüber! Sie hat mir in all den Jahren beigestanden und sich nie beschwert. Und sonderlich unglücklich bist du ja auch nicht darüber, oder?“   Ahh, Konstantin ist wahnsinnig süß wenn er schmollt. Das ist ja auch so eine Sache... ihn süß finden. Ich finde kleine Kätzchen süß und Oskar, diesen treulos doofen Hund, aber genauso süß – anders süß – finde ich auch Konstantin. Ich schlinge meine Arme um Konstantin und drehe mich auf die Seite, damit ich ihn ganz entspannt anschauen kann, ohne das es einer von uns unbequem hat. Seine Hände ruhen sachte an meiner Brust, während er mich mit großen Augen mustert.   „Wie könnte ich darüber unglücklich sein? Obwohl ich manchmal nicht wusste, ob ich nicht doch besser den Kontakt zu dir vermeiden sollte oder nicht.“, gebe ich zu und erinnere mich an den Sommer im letzten Jahr, an Konstantins ersten, plötzlichen Kuss in meinem Auto. Er hatte etwas von süßer Verzweiflung und ja, ich gebe zu, im ersten Moment ist da ein kleines Feuerwerk in mir explodiert, als ich seine zarten Lippen auf meinen spürte. Es war ein Kuss ohne Zunge, ein unschuldiger Kontakt unserer Lippen und doch hatte ich mir schon da gewünscht, seinen Mund schmecken zu können. Bevor ich hatte reagieren können, war er auch schon aus meinem Auto geflüchtet.   Konstantin sieht mich mit großen Augen an, ein wenig ungläubig vielleicht, aber doch eher entrückt und das Lächeln auf seinen Lippen wird auch immer größer.   „Zum Glück hast du später dann nachgegeben. Das war wie ein Sechser im Lotto.“ Mein Freund schmiegt seinen Kopf an meine Brust, seine Arme schlängeln sich über und unter mir hindurch, ich spüre seine Hände an meinen Rücken, die mich ganz fest halten. Wenn er so wie jetzt in meinen Armen liegt, dann ist für mich alles in Ordnung. Dann bin ich mit der Welt wie sie ist im Einklang. Ich hätte niemals auch nur zu träumen gewagt, etwas mit Konstantin anzufangen. Aber als letztes Jahr irgendwie alles aus den Fugen geriet und Frank immer mehr in Vergessenheit... ich gebe zu, ich konnte mich Konstantins Charme nicht erwehren. Und das schlimme ist: er hat überhaupt keine Ahnung, welche Wirkung er hat! Auf mich. Aber irgendwie ist auch das wahnsinnig schön und spannend.   Ich halte ihn gleich etwas fester, küsse sein Haar und streichle sanft seinen Nacken. Er seufzt zufrieden und schiebt sein oberes Bein zwischen meine um noch mehr Körperkontakt zwischen uns herzustellen. Falls das überhaupt möglich ist. Eine meiner Hände wandert wie von selbst über seine Seite zu seiner Hüfte um ihn auch ja so nah bei mir zu halten.   Glück breitet sich in meinem Herzen aus, strahlt durch meinen Körper und erfüllt mich mit warmer, inniger Zuneigung für diesen hübschen, jungen Mann in meinen Armen.   Noch ein Kuss auf sein Haar.   „Ich liebe dich, Konstantin.“   Er hebt den Kopf etwas, damit er mich ansehen kann und ich schwöre, seine Augen strahlen mit den Sternen um die Wette. Das Lächeln auf seinen Lippen, das ich seit achtzehn Jahren kenne, entwaffnet mich heute noch genauso wie letztes Jahr. Wie jeden Tag aufs Neue.   „Noah“, wispert er und schließt halb die Augen, „ich liebe dich auch. So sehr.“   Seine Augen schließen sich gänzlich, als er mich küsst und ich tue es ihm gleich, halte ihn genauso fest wie er mich, spüre sein Herz an meiner Brust schlagen und muss in diesen süßen, liebenden Kuss lächeln.   Und ich weiß, dass es richtig ist. Das es mit Konstantin richtig ist.   * E N D E * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)