Meines Bruders bester Freund von eulenkueki ================================================================================ Kapitel 8: ----------- Ich bin das erste Mal bei Jules zuhause und fühle mich, ähnlich wie bei Maxi, völlig fehl am Platz. Der wohnt ebenfalls in einer Jugendstilvilla, allerdings ist die größer und pompöser als die, in der Maxi wohnt. Designermöbel, Designer Skulpturen die keinen Sinn ergeben, alles glänzt und funkelt.   Nur Jules' Zimmer nicht, das fällt derart aus dem Rahmen, dass ich fast erleichtert bin, in dieses wundervolle Chaos Fuß zu setzen. Seine Wände sind von einem dunklen Weinrot und tapeziert mit allerhand Postern diverser Bands, die ich größtenteils gar nicht kenne. Der Rest seiner Einrichtung ist schwarz, hier und da liegen Klamotten rum, Bücher, CDs, DVDs, Schulzeug, ich entdecke einen schwarzen Bass in einer Ecke, sein Schreibtisch sieht aus, als hätte ein wütendes Nashorn einen Tobsuchtsanfall bekommen, ein paar Pfandflaschen liegen nah bei seinem Bett und eine leere Bierflasche auf seinem Nachttisch.   Jules selbst ist heute ganz leger gekleidet. Schwarze Jeans, schwarzes Sex Pistols Tshirt und er trägt neon orangefarbene Socken. Sein Haar ist zwar nicht gestylt, steht aber trotzdem zu allen Seiten ab. Vielleicht liegt das einfach an seiner Haarstruktur oder daran, dass er sie so viel färbt.   Er hat Der kleine Eisbär Bettwäsche was ich ja zum Niederknien niedlich finde. Ich glaube inzwischen, dass das eine Anspielung auf Lars ist, will mich da aber nicht so weit aus dem Fenster lehnen.   „Magst was trinken?“   Er wedelt mit einer Cola Flasche herum, die nur noch zur Hälfte voll ist. Ich schüttele mal lieber den Kopf. Jules zuckt die Schultern, nimmt selber einen üppigen Schluck und zieht aus einer Ecke einen schwarzen Sitzsack hervor. Wahnsinn, die Teile gibt es noch? Dachte, die sind irgendwann in den neunzigern ausgestorben. Jules bedeutet mir, mich zu setzen und ich lasse mich wie ein nasser Sack fallen. Jules selbst fläzt sich auf sein Bett und streicht sich mit einer Hand durchs Haar, kratzt sich am Hinterkopf und schafft es nicht, mich anzusehen.   Immer bleibt alles an mir hängen.   „Du wolltest mit mir reden?“   Er hat Hannah nämlich nach meiner Handynummer gefragt und mir vor zwei Tagen geschrieben, ob wir uns treffen können. Weil ich früher Schulschluss hatte als er, habe ich vor dem Gymnasium auf ihn gewartet. Dabei ist mir aufgefallen, dass die meisten anderen Schüler einen gewissen Abstand zu ihm halten und der Rest mit Herzchenaugen jedem seiner Schritte folgt. Mädchen und Jungen gleichermaßen. Ich gebe zu, er hat schon wahnsinnig cool ausgesehen wie er aus der Tür gestiefelt kam, völlig lässig zu mir rüber geschlendert ist und mich kurz umarmt hat. Wir sind ja quasi Familie, nicht wahr?! Lex ist nicht da gewesen, obwohl die beiden auf dieselbe Schule gehen. Ich glaube, in die Parallelklasse, bin mir nicht mehr sicher. Nachgefragt habe ich aber auch nicht.   „Ja, äh...“, fängt Jules an und ich bin ein klein wenig geschockt, wie unsicher er wirkt, „das mit deinem Freund... du, das tut mir leid. Ich wusste echt nicht, wer Frank ist und das er damals noch in einer Beziehung war.“   Oh. Also, ich hab mir ja denken können, dass er deswegen mit mir reden wollte, überrascht bin ich trotzdem. Auch, weil Jules ein bisschen aussieht wie ein geprügelter Hund. Besser, ich befreie ihn mal aus dieser Situation.   „Du musst dich nicht entschuldigen. Findet Noah im Übrigen auch. Mir hast du damit jedenfalls nur einen Gefallen getan und den beiden einen Grund gegeben, ihre Beziehung zu beenden. Lief wohl nicht ganz so gut.“   Jules legt einen Finger an die Lippen und stiert nachdenklich an die Decke.   „Hab mich damals schon gewundert, wie der ran gegangen ist. Ehrlich, der hat mich gevögelt, ich hab gedacht ich könnt drei Wochen nicht mehr laufen.“   Ich verschlucke mich fast an meinem eigenen Speichel und werde vermutlich wahnsinnig rot. Oh Gott, das kann der mir doch nicht einfach so sagen! Leider hört er gar nicht mehr auf damit, was ich wahnsinnig schrecklich finde, auch wenn... mhh, naja, es gibt mir doch einen kleinen Einblick in die ehemalige Beziehung meines Freundes und seines Ex-Freundes.   „Wir haben uns beim Tanzen kennen gelernt“, faselt er und gestikuliert zwischendrin mit seinen Händen, „und als ich merkte, dass er scharf auf mich war und ich geil, sind wir halt zu ihm nach Hause. Das hat echt nicht lange gedauert, war aber verdammt geil. Hab erst gedacht, dass er ewig keinen Sex mehr hatte so wie der ran gegangen ist.“   „Okay, ich will keine Details wissen.“, bin ich mir dann doch sicher und halte Jules mal lieber wieder davon ab, weiter aus dem Nähkästchen zu plaudern. Ich bin ohnehin noch etwas geschockt das Frank mit Jules geschlafen hat, weil der doch deutlich jünger ist. Das sieht man zwar nicht so sehr, wenn er vollkommen gestylt unterwegs ist, aber im Vergleich zu Frank, der ja auch in zwei Jahren schon dreißig wird, ist es eben doch ein Unterschied. Ebenso wie man den Altersunterschied zwischen Noah und mir sehen kann.   „Ich aber! Wie läuft es denn bei dir und Noah?“   Der Punk springt vom Bett auf und quetscht sich neben mich auf den Sitzsack während er einen Arm um meine Schultern legt und mich sehr anzüglich angrinst. Mir ist das so wahnsinnig unangenehm, schaffe es aber nicht, auf Distanz zu gehen. Ich sitze gerade so gemütlich. Und völlig nebenbei registriert mein Hirn, dass Jules nach... Sommer duftet.   „Das geht dich gar nichts an.“   „Ahhhh“, kreischt Jules und knufft mir mit seiner anderen Hand gegen den Oberarm, „es ist also endlich passiert, ja?“   Mir ist dieser Typ unheimlich!!   „Ich bin mir sehr sicher, dass ich mein Liebesleben nicht mit dir besprechen möchte.“   „Spielverderber. Ist doch nichts dabei.“, zuckt Jules die Schultern, zieht aber endlich seinen Arm zurück.   „Machst du dir gar nichts aus Privatsphäre?“   „Naja, doch. Ich werde dir zum Beispiel nicht erzählen, wie genau Lex und ich miteinander geschlafen haben, aber das wir inzwischen auch beim Sex angekommen sind, kann ich sagen. Du redest mit Hannah doch auch über alles.“   „Hannah ist aber meine beste Freundin. Wir kennen uns nur sehr sporadisch und ich kriege es jetzt nicht mehr aus dem Kopf, dass du und Lex...“   „Du bist so wahnsinnig süß verklemmt Konstantin, wären die Bedingungen anders... ich würde dich sofort flachlegen.“   Daran habe ich keinen Zweifel und ich bin mir auch sicher, dass wenn die Bedingungen wirklich anders wären, ich sicherlich... äh, Erfahrung gesammelt hätte. Das muss ich Jules allerdings nicht auf die Nase binden, so voll wie der von sich selber ist, muss ich sein Selbstbewusstsein ja nicht noch weiter polieren.   Danach trinken wir noch Tee, essen ein paar Kekse und als es dämmert, mache ich mich auf dem Heimweg. Na, das lief doch blendend, oder? Auch wenn Jules gar nicht mit mir hätte reden brauchen, muss ich ihm seine Mühen doch anrechnen. Hinter dem lauten, all-over-the-place-Punk steckt wohl doch ein kleiner Kuschelrocker.   - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -   Hannah und ich reden in den Tagen nach meinem ersten Mal wahnsinnig viel übers verliebt sein. Was es mit einem im generellen und uns im speziellen macht. Sie ertappt sich beispielsweise immer wieder dabei, alles, worüber Lars so spricht, daheim dann zu googlen und sich zu informieren, worüber er eigentlich spricht. Das finde ich wahnsinnig süß, vor allem, Hannah so völlig mädchenhaft erröten zu sehen.   Ich kann dergleichen von mir nicht behaupten, da mein Freund und ich irgendwie immer noch... wenig miteinander reden. Also, außer die üblichen Dinge wie Schule, Arbeit, was man so vor hat, was einen gerade beschäftigt... Noah erzählt mir allerdings kaum etwas privates, intimes. Nichts, wodurch ich merke: das erzählt er nur mir, weil wir uns nahe sind. Vielleicht bin ich ja auch ein wenig speziell, jeder hat ja so seine Macken und Vorstellungen von Beziehung und Co. Andererseits möchte ich schon gerne wissen, dass ich etwas Besonderes für Noah bin. Irgendwo muss ich das ja auch sein, wenn er schon mit mir schläft, aber hören muss ich es trotzdem.   Vielleicht habe ich ja die Möglichkeit, am Wochenende mit ihm zu reden. Da feiern wir Bastians Geburtstag bei uns daheim – er will nämlich grillen und ja, das tun wir durchaus auch noch fast Ende November – und wenn ich Glück habe, kann ich mir Noah mal für ein, zwei Minuten alleine krallen. Jedenfalls hoffe ich das. Das sollte aber kein Problem sein, weil er nämlich hier übernachten wird, wenn auch leider in Bastians altem Zimmer und nicht bei mir. Naja, hab eh nicht so viel Platz in meinem Bett. Da passe ich rein und damit ist es auch schon voll besetzt. Vielleicht sollte ich das irgendwann mal ändern, wenn das mit Noah und mir offiziell wird.   Denn das will ich definitiv.   Das Noah da natürlich ein gewisses Mitspracherecht hat, ist mir klar. Trotzdem möchte ich meine Liebe zu ihm nicht bis in alle Ewigkeit verstecken. Und meinen Eltern sollte ich vielleicht auch mal sagen, dass sie von mir keine Enkelkinder zu erwarten brauchen. Das scheint zumindest die weniger gefährliche Aktion zu sein. Ich glaube schon, dass meine Eltern darauf überrascht, aber wenigstens nicht negativ reagieren würden. Bastian und ich haben unsere Streitereien – jetzt nicht mehr täglich – aber wir sind eigentlich eine sehr nette Bilderbuchfamilie. Wir halten zusammen. Und Mom und Dad sind wirklich tolle Eltern, abgesehen von meinem Hausarrest vor zwei Monaten, aber diesen Schwachsinn möchte ich ihnen mal großzügig verzeihen. Die werden mich ja nicht verstoßen, weil ich lieber mit Jungs ins Bett gehe als mit Mädchen.   Aber wie sie auf Noah reagieren werden? Wie Bastian darauf reagieren wird? Ich kann mir ausmalen, wie prickelnd er das finden wird. Sein kleiner Bruder schläft mit seinem besten Freund. Sind wir doch mal ehrlich: das wünscht sich keiner. Und ich fühle mich schlecht genug, Liebe zu Noah hin oder her. Schließlich möchte ich ihre Freundschaft ja nun wirklich nicht auf dem Gewissen haben, aber... das aus dieser Sache etwas Gutes bei rum kommt, wage ich doch zu bezweifeln.   Ich lasse meinen Kopf hängen, als ich mit Hannah und Maxi die Schule verlasse. Es ist bitterkalt, scheiße windig und wenigstens haben meine beiden Freunde genug Anstand, auch einigermaßen frierend auszusehen. Das ich einfach nur ein verdammtes Weichei bin, verschweigen wir hier mal lieber.   „Wollen wir am Freitag ins Horizon?“, fragt Hannah unsere Partymaus und zieht sich ihre schwarze Strickmütze über den Kopf. Das sie bei ihren Locken überhaupt noch eine Mütze braucht wundert mich jedes Jahr aufs Neue.   Ich schüttele den Kopf.   „Noah hilft mir, ein Geschenk für Bastian zu finden. Und Samstag ist ja auch schon der Geburtstag, wir werden also wohl ziemlich busy sein.“   Maxi guckt auf sein Handy.   „Und ich habe spontan ein Date.“   Hannah und ich gucken gleichermaßen entsetzt wie geschockt.   „Wie?“   „Wer?“   „Wo?“   Wir löchern den armen Maxi mit Fragen, der winkt aber nur ab.   „Hey, das ist keine Liebesgeschichte. Hab ihn im Horizon getroffen, wir haben Nummern ausgetauscht und ich denke, dass wir Freitagabend heißen, wilden Sex haben werden.“   Das will ich mir mal lieber nicht zu genau vorstellen und mache mich lieber auf dem Weg die Treppen runter, da boxt Hannah mir plötzlich in die Seite.   „Guck mal, du wirst jetzt sogar von deinem Prinzen abgeholt.“   Sie nickt in Richtung Straße und ich weiß erst nicht was sie meint, bis mir Noahs Auto auffällt. Und Noah, der super lässig an der Tür gelehnt da steht, umwerfend gut aussieht und bei mir sofort Herzrasen auslöst. Ach du Schande! Ich meine, oh, wow, er holt mich ab! Ist ja wohl klar, dass ich wie ein besoffener Idiot grinse, mich schnell von Hannah und Maxi verabschiede und dann gefühlt zu Noah schwebe, der mir ein sehr warmes, wunderschönes Lächeln schenkt. Ich bleibe dicht vor ihm stehen, was ihn nicht zu stören scheint.   „Hi Noah.“, bringe ich gerade so hervor und greife schüchtern nach seiner Hand. Er drückt die meine unglaublich sanft, sieht mich an... und beugt sich vor, um mir einen zuckersüßen Kuss auf die Lippen zu drücken. Von weiter weg höre ich Hannah kreischen und jubeln, was mir peinlicher ist als Noah.   „Auto?“, fragt er grinsend und ich nicke heftig, bevor das hier noch peinlicher wird. Hätte mir denken können, dass Hannah sich das nicht entgehen lässt. Woher Noah weiß, wann ich mittwochs Schule aus habe, möchte ich mir lieber nicht ausmalen. Hoffentlich hat er nicht mit Bastian oder meinen Eltern gesprochen... das wäre ja irgendwie ziemlich verfänglich, oder?   Ich kann erst wieder aufatmen, als wir im Auto sitzen, ich meinen Rucksack auf die Rückbank verfrachte und Noah erwartungsvoll anschaue. Wir haben uns seit mindestens eineinhalb Wochen nicht mehr gesehen.   „Seit wann holst du mich ab?“   „Seit wann brauche ich dafür einen Grund?“   „Du hast mich siebzehn Jahre lang nie irgendwo abgeholt.“   „Doch, einmal vom Kindergarten weil Bastian sich den Arm gebrochen hatte, Richard sich darum persönlich kümmern wollte und Lisa in diesem Meeting feststeckte.“   Oh Gott, ich werde knallrot und weiche mal lieber seinem Blick aus.   „Das zählt nicht.“, befinde ich und stiere angestrengt auf meine lila-blauen Fingernägel. Noahs Hand wuselt durch meine Haare, ich kriege eine Gänsehaut, begegne seinem Blick.   „Bist du dann fertig mit meckern?“   Ich hass-liebe Noah, beuge mich zu ihm und küsse ihn richtig was er sehr zu begrüßen scheint. Seine Hand wandert in meinen Nacken, auch wenn mein Schal ein wenig im Weg ist. Egal, ich genieße es und hänge an seinen Lippen bis er den Kuss beendet.   „Ich hoffe du magst Risotto?“   Noah startet den Motor, wir schnallen und an, fahren los und ich friere dank der Heizung sehr bald nicht mehr all zu doll. Mir wird erst ein wenig später klar, dass Noah scheinbar gekocht hat. Für mich! Jedenfalls möchte mein völlig vernebeltes Hirn das glauben.   „Ich esse alles.“   „Außer Rosenkohl, Bananen, Rhabarber, Auberginen, Kohl... da war noch was...“   Ach du kacke! Woher weiß er das alles?!   „Weiße Eier.“, helfe ich ihm auf die Sprünge und er schnippt mit den Fingern, anstatt auf dem Lenkrad herum zu tippern.   „Weiße Eier, genau. Du isst also gar nicht alles.“   „Woher weißt du das?“   Das ist doch eine völlig legitime Frage, oder?   „Konstantin, ich kenne dich seit siebzehn Jahren.“   „Ich finde es ja beachtlich, was du alles über mich weißt, aber so lange um mich herum geschlichen bist.“   „Das eine hat mit dem anderen doch nichts zu tun und um dich herum geschlichen bin ich ja wohl auch nicht.“   Nee, das ist er in der Tat nicht. Das bin ich. Oh Mann.   „Entschuldige... ich bin ein wenig schwachsinnig. Das ist deine Schuld, weil du mich einfach abholst, verboten heiß aussiehst, weißt, was ich nicht esse und dich erinnerst, mich vom Kindergarten abgeholt zu haben. Da habe ich bestimmt noch in die Windel gemacht, keinen geraden Zahn im Mund gehabt und war nervtötend bis zum Schwachsinn.“   „Du warst fünf und wahnsinnig süß.“   Mein Schädel explodiert gleich!!   „Noah...“, stöhne ich und versuche, mein knallrotes Gesicht hinter meinem Schal zu verstecken. Ich sehe, dass Noah mich von der Seite her anschaut, lacht, mir kurz durch die Haare wuschelt und sich dann wieder aufs fahren konzentriert. Mein Herz klopft wie wild in meiner Brust, so verliebt bin ich. Mir ist vorher gar nicht aufgefallen, wie aufmerksam Noah ist. Also, doch, vielleicht schon. Aber nicht in Bezug auf mich, was ich wahnsinnig schön finde und mich trotzdem so nervös macht.   Als wir bei ihm zuhause ankommen, hält er die ganze Zeit über meine Hand. Vom Parkplatz bis zu seinem Wohnhaus, im Aufzug, als er die Haustür aufschließt. Er nimmt mich wieder an die Hand, nachdem wir uns aus unseren Bergen an Winterkleidung geschält haben. In seiner Wohnung ist es angenehm warm, ich ziehe meinen Strickpulli aus und fühle mich so in Tshirt eigentlich ganz wohl. Noah trägt einen sehr hübschen Cardigan über sein Tshirt. Er führt mich in die Küche, der Tisch ist gedeckt, auf dem Herd steht ein Topf und eine Pfanne. In letzterer fängt er sehr schnell und mega professionell an, Riesengarnelen zu braten. Ich schaue ihm begeistert zu und muss doch lächeln wie der letzte Idiot.   Wow.   Noah hat für mich gekocht. Er hat mich von der Schule abgeholt. Er erinnert sich an Dinge aus meiner Kindheit, die ich scheinbar schon völlig verdrängt habe. Ich bin sicher, dass mein fünfjähriges ich wahnsinnig glücklich war, von Noah abgeholt zu werden anstatt von Bastian oder meinen Eltern. Hätte ich damals schon gewusst, dass ich ihn später lieben würde...   Etwa eine Viertelstunde später sitzen wir gemeinsam am Tisch und essen ein göttliches Zitronen-Risotto mit Riesengarnelen. Noah kann wahnsinnig gut kochen, wie ich begeistert feststellen muss. Ich könnte mich in den Topf rein legen. Es riecht so verdammt lecker wie es schmeckt.   Während wir essen, reden wir über die Schule, die Arbeit, dass der Winter dieses Jahr bitterlich kalt ist und Noah sich auf den Frühling freut. Den mag er nämlich am liebsten. Ich glaube, ich werde den Frühling zukünftig auch lieben. Ob wir dann noch zusammen sind? Oh Mann, natürlich werden wir dann auch noch zusammen sein! Schließlich sind wir füreinander bestimmt – bis an den Rest unseres Lebens! Mir ist bewusst, dass ich ein klein wenig spinne, aber wenn ich an etwas anderes denke oder gar glaube, könnten wir das hier ja auch direkt sein lassen, nicht wahr?   Mit Noah über meine Zukunft zu reden ist auch einfacher, als das mit meinen Eltern zu tun. Oder mit Hannah, wie ich feststellen muss. Noah scheint mich nicht zu verurteilen, weil ich noch nicht ganz sicher mit allem bin, auch wenn ich mir wirklich fest vornehme, ein Musikstudium anzufangen. Eine Uni dafür habe ich mir allerdings noch nicht raus gesucht und der Gedanke, von Noah getrennt zu sein, liegt mir sehr schwer im Magen. Deshalb lenke ich das Thema viel lieber auf Noah und erfahre, dass er schon immer gerne mit Menschen arbeiten wollte, damals aber noch viel zu sehr unter dem Druck und Zwang seiner Eltern stand. Sich von ihnen lösen konnte er erst, als er das Pädagogikstudium angefangen hatte. Das er da schon um die zwanzig gewesen sein musste, wundert mich nach wie vor.   „Wie... wie war das eigentlich damals bei dir? Also, als du wusstest, dass du... mhh, lieber mit Jungs... äh, Männern...“   Scheiße, irgendwie kann ich nicht so locker mit ihm darüber reden wie ich das gerne würde. Noah lächelt mich über die Gabel, die er sich gerade in den Mund schiebt, super süß an.   „Damals waren es auch bei mir noch Jungs.“, grinst er mich frech an und legt seine Gabel schließlich ab weil er fertig ist. Ich esse super langsam, weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll, während Noah mit mir spricht.   „Ich glaube ich war in deinem Alter“, überlegt er und verdreht seine hübschen Augen einen Moment lang Richtung Decke, „also so dreizehn, vierzehn, als ich merkte, dass ich gar nicht so viel oder überhaupt an Mädchen dachte wie die anderen Jungs.“   Mit meinem Alter meint er ja dann wohl die Tatsache, dass ich seitdem ich dreizehn war in ihn verliebt bin. Noah erzählt mir, dass er diesen aller ersten Gedanken direkt mit Bastian besprochen hatte, der damit so cool umgegangen war, als wäre es das normalste auf der Welt. Ich muss ein bisschen lachen als er mir berichtet, dass Bastian ihm damals allerhand Typen angeschleppt und vorgestellt hatte während sie durch die Clubs – jedenfalls bis Mitternacht – zogen und befunden hat, dass es endlich Zeit für sein erstes Mal wäre. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Noah jemals schüchtern gewesen ist, aber wenn man Sex mit einem anderen Jungen oder Mann hat, ist das sicherlich etwas, worüber man schon mal den Verstand verlieren kann. Sein erstes Mal hatte er jedenfalls mit einem anderen Jungen aus einem Club und das war seltsam, aber auch schön gewesen. Mit Liebe hatte das allerdings nichts zu tun und weil Noah nach und nach sicher war, dass er definitiv dem eigenen Geschlecht zugetan war, folgte eine sehr lange Phase des ausprobierens. Mir ist das ein wenig unangenehm, wenn ich ehrlich bin, weil er demnach ja wahnsinnig viel Sex gehabt haben muss... mit wahnsinnig vielen Jungs und Männern. Deshalb hat Bastian ihm auch oft genug gesagt, was er davon hält, wenn er sich so krankhaft an alles auf drei Beinen ran schmeißt – hat Bastian wohl wirklich damals so ausgedrückt – und das hat zwar durchaus zu hitzigen Diskussionen geführt, aber gestritten haben sie sich deswegen nie. Und irgendwann ist Noah ja auch älter geworden und hatte kein Interesse mehr an schnellen Sex, den er quasi überall kriegen konnte. Und den Rest der Geschichte kenne ich ja.   Trotzdem... eine Sache muss ich jetzt aber wissen.   „Hast du jemals... äh, warst du... mal in Bastian...?“   Ich brings nicht fertig und als ich Noahs geschockten Blick sehe, möchte ich mich am liebsten sofort erschlagen. Klar, so was würde er mir ja auch ausgerechnet sagen! Will meine Frage schon wieder zurückziehen, da bedeutet mir Noah mit einer kleinen Geste, still zu sein während er ein Schluck von seinem Wasser nimmt.   „Bastian war und ist seit jeher Sperrgebiet. Ich meine, klar hab ich vielleicht mal an ihn gedacht“, und er muss mir nicht sagen, in welchen Situationen denn das kann ich mir denken, „und ich liebe ihn bis in den Schwachsinn. Aber das ist rein platonisch.“   Mir fällt ein Stein vom Herzen!   „Bastian liebt dich, glaube ich, auch. Rein platonisch.“, grinse ich ihn frech an und helfe ihm, den Tisch abzuräumen, Topf und Pfanne zu waschen und die Küche aufzuräumen.   „Und deshalb werde ich ihm auch von uns erzählen.“   Ich kriege einen fürchterlichen Hustenanfall und verschütte fast meinen Cappuccino, als wir mit unseren Tassen auf dem Weg ins Wohnzimmer sind. Noah tätschelt mir besorgt den Rücken und ich muss meine Tasse direkt mal abstellen.   „Du willst es ihm sagen?!“, kreische ich nicht gerade leise und starre Noah an, als wäre ihm ein zweiter Kopf mit grüner Nase gewachsen. Noah sieht mich sehr gelassen an.   „Natürlich, das bin ich ihm schuldig. Und uns ja wohl auch.“   Uns. Mein Herz fängt mal wieder an zu bollern.   „Aber...“   „Er wird einen Anfall kriegen, das weiß ich. Und vermutlich wird es nicht schön werden. Aber ich kann ihn nicht länger anlügen.“   Okay, ich weiß, dass ich ja eigentlich sehr ähnliche Gedanken habe. Aber jetzt plötzlich so damit konfrontiert zu werden? Das geht mir doch zu schnell. Und es geht ja auch nicht darum, meine sexuelle Orientierung mit meinen Eltern zu besprechen, sondern Bastian zu sagen, dass Noah mit mir zusammen ist. Das hat er doch nämlich gerade gesagt, oder?   Ich muss einen kräftigen Schluck von meinem Cappuccino nehmen, der jetzt genauso gut eine Flasche Wein sein könnte, dann mache ich es wie immer: ich setze mich auf Noahs Schoß und nehme sein Gesicht in meine Hände.   „Dann ist es offiziell?“, flüstere ich leise und habe Mühe, ihm in die Augen zu schauen, weil ich das Gefühl habe, vor Glück ohnmächtig zu werden. Noahs Hände an meinem Rücken jagen eine Gänsehaut über meinen Körper.   „Nach seinem Geburtstag, ja.“   Mein Herz setzt kurzzeitig aus, dann fängt es sich wieder.   „Ich liebe dich, Noah.“   Und warte. Warte. Es wäre doch jetzt endlich an der Zeit, dass er es mir auch sagt, oder? Stattdessen sieht er mich einfach nur an, lächelt dieses umwerfende Lächeln in das alleine man sich ja schon verlieben muss, beugt sich zu meinem Ohr vor und... oh Gott!!   „Ich dich auch, Konstantin.“   Danach ist nichts mehr so, wie es war. Unsere Tassen mit dem Cappuccino werden kalt, während wir uns küssen, an unserer Kleidung zerren, durch die Wohnung in sein Schlafzimmer stolpern und... äh... okay, um es mal mit Maxis oder Jules' Worten auszudrücken: ich weiß jetzt, wie sich flachgelegt anfühlt. Und ich habe keinen Grund, mich in irgendeiner Weise zu beschweren, als wir nach dem Sex verschwitzt nebeneinander liegen, Noah auf dem Rücken, ich an seine Seite gekuschelt. Ich gebe zu, es... mhh, ist anders gewesen als das erste Mal. Soll nicht heißen, dass es weniger schön gewesen ist, aber, wow, ich habe, glaube ich, zum ersten Mal gespürt, dass Noah mich wirklich will. Und zwar nicht nur unschuldig durch meine Haare strubbeln wie er es seit jeher völlig ohne Hintergedanken tut oder mir freundlicherweise einen Splitter aus dem Fuß ziehen. Nein, er hat mich förmlich gepackt und aufs Bett geschmissen und wow, für mein zweites Mal habe ich mich glaube ich gar nicht so blöd angestellt. Und Noah sowieso nicht. Ich kam ziemlich heftig.   „Ich habe mir immer fest vorgenommen, mit dir zusammen zu sein.“, gestehe ich ihm nach einer langen Schweigeminute leise, streichele ihm träge über die Brust was er mit einem wohligen Seufzen sehr zu genießen scheint.   „Es ist immer gut, wenn man sich Ziele setzt.“   Noah lacht leise, wofür ich ihm frech in die Brust zwicke und er einen gespielt schmerzlichen Laut von sich gibt, tadelnd nach meiner Hand schlägt und dann doch die meine einfach nur hält und unsere Finger miteinander verschränkt. Ich könnte jetzt glücklich in seinen Armen sterben.   „Wann hast du gemerkt, dass du... mich liebst?“   Schließlich hat er mir das heute zum ersten Mal gesagt. Und ich habe es zum ersten Mal wirklich gespürt. Das er mich dafür hat aufs Bett schmeißen müssen gibt mir zwar kurz zu denken, wird aber einfach mal so angenommen.   Noah überlegt einen Moment während seine andere Hand durch mein Haar wuselt.   „Als du mich im Park Arsch genannt hast.“   „Wie bitte?“   Er lacht leise und dreht den Kopf, damit er mich ansehen kann.   „Aber das konnte ich dir nicht sagen, weil... ich vernünftig sein musste. Wollte. Dir zuliebe, Bastian zuliebe, mir zuliebe... hat nicht geklappt.“   „Zum Glück.“   Ich muss meinen endlich-offiziellen-Freund ein wenig küssen, streicheln und seine Hände auf meinem Körper genießen und... äh... naja, er macht mich schon ganz schön an. Ich räkele mich etwas unvorteilhaft und will eigentlich von Noah wegrutschen, doch er hält mich fest. Und grinst mich sehr anzüglich an, als er eine Hand zwischen meine Beine schiebt, wofür ich mich wahnsinnig schämen würde, wäre ich nicht schon wieder scharf auf den besten Freund meines Bruders.   „Au weia, Konstantin“, schnurrt er mir leise zu und küsst mich super süß auf den Mund, „hast du etwa noch nicht genug?“   Okay, ich muss jetzt dringend cool bleiben, mein Tomatengesicht ignorieren und lieber sehr selbstbewusst meine Hand zwischen Noahs Schenkel schieben.   „Du ja wohl auch nicht.“, antworte ich so trotzig und selbstsicher wie möglich. Ist er wirklich nicht, weil... wow! Wir knutschen heftig miteinander, als wir uns gegenseitig eine runterholen und ich liebe es, Noahs Stimme zu hören, seine Lippen auf meiner Haut zu spüren, seine Zunge in meinem Mund. Unfassbar, wie scharf Noah ist. Nicht nur generell, sondern auch auf mich, was ein wahrlich berauschendes Gefühl ist.   Danach gehen wir duschen, Noah fährt mich nach Hause und wir knutschen mindestens eine halbe Stunde im Auto eine Straße weiter bevor ich es schaffe, mich von ihm zu verabschieden. Ich kann mein Glück kaum fassen, weil es sich manchmal noch wie ein Traum anfühlt. Wenn ich aber an den Knutschfleck in meiner Halsbeuge und die süßen Bisse an meiner Brust denke... dann weiß ich, dass Noah und ich tatsächlich miteinander im Bett waren. Und da will ich immer wieder und wieder mit ihm hin.   Daheim bin ich zum Glück alleine, weil meine Eltern wie üblich lange arbeiten. Der arme Oskar muss quasi sofort raus, als ich eigentlich nur schnell ins warme schlüpfen möchte und es tut mir ein wenig leid, ihn so lange allein gelassen zu haben. Deshalb bemühe ich mich, extra lange mit ihm draußen zu bleiben und nehme es ihm auch nicht übel, als er mit seinen Schneepfoten einfach ins Haus rast und ich den ganzen Dreck erstmal wegwischen muss bevor Mom später einen Anfall kriegt. Danach spiele ich alle Love Songs, die mir so einfallen, auf meinem Flügel und gehe nach Zähne putzen und Co. glücklich ins Bett.   - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -   Es ist Bastians großer Tag, ich habe die Armbanduhr, die ich gestern mit Noah gekauft habe, feinsäuberlich eingepackt und bin sehr stolz auf mich. Gut, ich muss gestehen: Mom und Dad haben mir Geld für die Uhr dazugegeben und Noah hat mir sehr schnell gesagt, dass er sich scheinbar eine neue holen wollte. Von unseren Eltern wird er einen Luxus-Kaffee-Vollautomaten kriegen, der vermutlich noch Musik spielen und einem das Wetter vorhersagen kann. Damit Bastian auch in seiner eigenen Bude überleben kann. (Ich hoffe, dass ich später auch so coole Geschenke kriegen werde... naja, nen Thermomix werde ich wohl nicht brauchen... oder doch, keine Ahnung.)   Während meine Eltern unterwegs sind und Einkäufe für das Festessen besorgen, darf ich mich um das Haus kümmern und Oskar davon abhalten, über den frisch gewischten Boden zu latschen. Mann, den müsste man am besten irgendwo einsperren. Zwischendurch muss ich meinen Eltern schreiben, ob wir dies oder jenes noch da haben oder es noch besorgt werden muss. Das Geburtstagskind selbst wird erst am späten Nachmittag kommen – also dann, wenn das Essen schon mehr oder weniger in der Bearbeitung und fast fertig ist. Naja, einmal im Jahr darf man ja König sein... Bastian ist im Übrigen fast ein Jahr jünger als Noah, zwischen ihnen liegen zehn Monate.   Der Gedanke an Noah wärmt mein Herz. Ich freue mich wie ein kleines Kind darauf, ihn nachher zu sehen. Es hat viel an Bearbeitung gekostet, bis ich ihn dazu überreden konnte, früher zu kommen als Bastian und meine Eltern. Einen Kuss in meinem Zimmer muss ich ihm einfach stibitzen. Das weiß er natürlich nicht, aber... denken kann er es sicherlich. Und das er, irgendwo, doch ganz froh darüber ist, ist ja klar, sonst hätte er nicht eingewilligt ein bisschen Quality Time mit mir zu verbringen, nicht wahr?!   Mit Hannah habe ich gestern in der Schule fast pausenlos darüber gesprochen, dass Noah das mit mir offiziell machen möchte. Sie ist, um es nett auszudrücken, überrascht gewesen. Um es so auszudrücken, wie es abgelaufen ist: sie hat sich an ihrem Vollkornbrötchen verschluckt und ist blau angelaufen, bis der Sonnenblumenkern endlich raus kam, nachdem ich ihr wie ein Idiot auf den Rücken gehauen habe. Die arme Hannah. Hätte man nicht gesehen, dass sie sich sehr offensichtlich verschluckt hatte, hätte man meinen können, ich würde sie schlimm verprügeln wollen.   Ich bin dann nicht schlecht überrascht gewesen, als sie leisen Zweifel daran geäußert hatte, ob das denn so eine gute Idee sei. Muss wohl vorübergehender Schwachsinn ihrerseits gewesen sein, denn das ist es doch, worum es immer ging und geht, oder nicht? Dass man zusammen sein kann ohne sich verstecken, ohne ein Geheimnis daraus machen zu müssen. Ja, ich habe ein schlechtes Gewissen, aber... meine Liebe zu Noah ist eben stärker. Und wenn er mit offenen Karten spielen möchte, dann ist es ihm ja auch ernst mit uns.   Also ich sehe darin jedenfalls kein Problem sondern bin super froh, dass Noah endlich zu mir stehen möchte. Zu uns. Ich habe lange genug darauf gewartet.   Nachdem alle wichtigen Räume – Wohnzimmer, Küche, Gästebadezimmer, Flur, mein Zimmer und das Badezimmer oben – wie gestriegelt und gebohnert aussehen, kümmere ich mich um mich selber. Duschen, Haare waschen, Gesichtspflege, die Nägel werden ganz ordentlich gefeilt, die Haare geföhnt und gestylt wie Hannah es tun würde. Als ich mich dann im Spiegel betrachte, würde ich mich glatt selber um ein Date bitten. Ich würde mich nicht als wahnsinnig gutaussehend bezeichnen, aber ein hässlicher Frosch bin ich auch nicht gerade. Wenn es ein Maßstab ist: Hannah würde mit mir ausgehen, wäre ich nicht schwul und ihr bester Freund. Da nehmen wir uns beide eben nichts. Hannah wäre glaube ich meine Traumfrau.   Nachdem ich mich lange genug im Spiegel betrachtet und mir frech die Zunge raus gestreckt habe, schnappe ich mir Oskar und gehe mit ihm nochmal eine Runde raus. Da kriegt er so viel Aufmerksamkeit wie er braucht und will, weil er später nämlich auf die Ersatzbank geschoben wird wenn sich alles nur noch um Bastian dreht. Wir feiern unsere Geburtstage schon seit immer erst in der Familie, zu der Noah ja quasi dazu gehört. Zu meinen ist er auch immer da gewesen, oder zumindest vorbeigekommen. Jetzt ist Hannah immer dabei. Und erst wenn wir innerhalb der Familie gefeiert haben, gehen wir nochmal mit unseren Freunden weg. Ich sag ja: wir sind eine kleine Bilderbuchfamilie die sehr eng beisammen ist. Das ist für andere sicherlich erdrückend, aber ich mag es eigentlich ganz gerne, weil ich dadurch immer einen sicheren Hafen habe. Das ist meinen Eltern nämlich auch sehr wichtig, nicht nur bei mir, sondern auch bei Bastian.   Vermutlich ist er deshalb auch erst so spät von daheim ausgezogen... worüber ich immer noch nicht hinwegkomme. Es ist doch seltsam leer und ruhig im Haus, seit er nicht mehr da ist. Vielleicht, ganz vielleicht, vermisse ich es doch ein klein wenig, abends mit einem fröhlich-frechen Grottenolm oder Giftzwerg begrüßt zu werden. Oder seine sonstigen blöden, neckenden Sprüche. Das sage ich Bastian aber lieber nicht.   Irgendwann wird es mir dann aber doch zu kalt weshalb Oskar und ich lieber wieder nach Hause gehen, ich seine Pfoten wie ein Irrer sauber mache, was das schwarze Plüschvieh nur semi-geil findet, ich aber finde, dass er da durch muss. Danach legt er sich zu Tode erschöpft und unter größer Qual in sein Riesenbett und schaut mich wahnsinnig wehleidig von unten herauf an. Schauspieler. Naja, süß sieht er ja schon aus, wie er da so liegt.   Ich bin kurz vorm einknicken, da klingelt es an der Tür und ich renne wie ein Idiot los, gefolgt von Oskar, der plötzlich überhaupt nicht mehr zutiefst verletzt über seine sauberen Pfötchen ist.   Noah wird förmlich angesprungen, als ich die Tür fast aus den Angeln reiße. Von mir und von Oskar, dem ich aber sofort signalisiere, dass er das zu unterlassen hat. Dann küsse ich meinen Freund, der mich jedoch sehr schnell von sich schiebt.   „Hey Konstantin, ich freue mich auch, dich zu sehen. Danke, mir geht’s gut. Darf ich rein kommen?“   Oh weia... wo sind meine Manieren hin!? Ich bemühe mich, nicht zu rot zu werden, lächle dümmlich und lasse meinen Freund erstmal rein kommen. Der stellt seinen Rucksack und eine Geschenketüte im Flur ab, hängt Mantel, Schal und Mütze auf und sieht zum Anbeißen aus. Ich will ihm sein Hemd direkt ausziehen und selber anziehen und darin schlafen. Vielleicht sollte ich beim nächsten Mal, wenn ich bei ihm übernachte, heimlich eins mitgehen lassen.   „Möchtest du etwas trinken?“, frage ich höflich und nehme ihn mit in die Küche, wo ich vorsichtshalber schon mal den Wasserkocher anstelle.   „Kaffee wäre lieb.“   Argh!! Trinke ich halt alleine eine Tasse Tee. Und widme mich der Kaffeemaschine, die ich eigentlich nie benutze und dementsprechend nicht weiß, was ich zu tun habe. Noah höre ich leise lachen, dann steht er hinter mir: nah genug, dass ich ihn spüren kann und doch irgendwie weit weg. Unsere Körper berühren sich nicht – nur seine Hände, die er an meine legt und mir zeigt, wie ich diese blöde Kaffeemaschine zu benutzen habe. Wow. Ich wusste gar nicht, wie wahnsinnig... süß Noah ist. Wie aufmerksam und... mhh, nah. Also, wie nah er mir ist. Wie anders er sich verhält. Weil wir zusammen sind? Weil er mein Freund ist? Er geht so anders mit mir um. Ich möchte mich wirklich nicht beschweren, aber puh, es überfordert mich auf eine sehr aufregende Art und Weise!   Anschließend sitzen wir jedoch erstmal am Küchentisch, Noah mit seinem Kaffee, ich mit meinem Blaubeer-Vanille Tee und Oskar, der uns beide abwechselnd erwartungsvoll anschaut. Manchmal ist dieser Hund ja einfach nur zum totkuscheln. Manchmal möchte ich ihn aber auch in seinen nicht vorhandenen drei mal drei Meter großen Zwinger im Garten in den Regen stellen. Noah und ich reden über nichts Besonderes, wie immer: Schule, Arbeit, Bastians Geburtstag. Einmal kurz kommt Weihnachten auf, immerhin ist es nur noch exakt einen Monat. Ich finde es ja sagenhaft unfair, dass Bastian direkt zwei mal hinter einander Geschenke bekommt... auch wenn ein Monat dazwischen liegt.   Ob wir Weihnachten wohl zusammen verbringen werden? Traditionell verbringen wir Heilig Abend nur mit der Familie – selbst die Großeltern sind ausgeladen. Am ersten Weihnachtstag dann die ganze Familie (oder das, was noch davon übrig ist) und am zweiten Resteessen. Und Noah.   Ich würde gerne Heilig Abend mit Noah verbringen, wenn ich jetzt so darüber nachdenke. Aber das sollten wir sicherlich nicht jetzt besprechen. Immerhin ist Bastian ja heute der Star des Tages... Idiot.   „Hast du nicht noch ein Konzert irgendwann jetzt im Winter?“, reißt Noah mich irgendwann aus meinen Gedanken, während er so wahnsinnig zum Anbeißen aussieht, als er seinen Kaffee trinkt. Ich muss auf seine Lippen starren, räuspere mich und bemühe mich, seinen Blick aufzusuchen.   „Ja... irgendwann. Ich weiß es gerade nicht.“   Das muss mir wohl wirklich entfallen sein. Vielleicht sollte ich zur Abwechslung mal meine Mails lesen und nachsehen, was da drin steht. Andererseits würden die Organisatoren mich ja auch anrufen. Ich glaube, es ist von der Musikschule aus. Das wird ja dann sicherlich etwas aus meinem Standardrepertoire, also muss ich eventuell gar nicht so viel üben. Mir wird bewusst, dass ich lange nicht mehr gespielt habe. Also, was heißt lange... aber so ein, zwei Tage zwischendrin spiele ich nicht, weil ich mit Noah beschäftigt bin oder... keine Ahnung. Plötzlich sind andere Dinge wichtiger. Nein, eigentlich ist nur Noah wichtiger.   Jetzt gerade kribbeln allerdings meine Finger wie verrückt.   „Mhh... magst du mitkommen?“   Ich stehe auf und warte seine Antwort gar nicht erst ab – er würde ja nicht alleine hier in der Küche sitzen bleiben wollen, oder?! Seine Tasse nimmt er jedenfalls nicht mit, als ich ihn ins Musikzimmer führe und mich plötzlich seltsam entblößt fühle. Alle sind schon hier drin gewesen, Noah ja auch, aber... jetzt fühlt es sich anders an. Ich habe Herzklopfen und spüre, dass meine Wangen warm sind und vor sich hinglühen wie Rudolphs Nase.   Noah setzt sich in den Ohrensessel während ich meinen Platz vor dem Flügel einnehme und überlege, was ich spielen soll. Ein Blick zu Noah lässt mich lächeln: er hat die Augen geschlossen, den Kopf etwas zur Seite geneigt, seine Arme ruhen entspannt auf den Armlehnen. Er ist wunderschön.   Und auch, wenn ich noch immer kein Stück für ihn geschrieben habe, so hoffe ich, dass er weiß, was ich für ihn empfinde und das ich dieses Stück für ihn spiele anstatt Für Elise. Wie immer fliegen meine Finger über die Tasten, erfüllt mich die Musik, lässt mich meinen Körper in jeden einzelnen Ton neigen. Ich lächele vor mich hin, während ich spiele und feststellen muss, dass dieser Moment irgendwo in meinem Unterbewusstsein geschlummert haben muss. Alleine mit Noah sein, während ich für ihn spiele. Es macht mich so wahnsinnig glücklich und ich genieße es mehr als jemals zu vor. Also, ich genieße es immer zu spielen, aber jetzt gerade, mit Noah irgendwo hinter mir... mein Herz klopft, mein Bauch kribbelt, ich habe eine ganz leichte Gänsehaut. Letztere wird stärker, als ich gegen Ende des Stücks Noahs Hände an meinen Schultern spüre. Seine Berührung sendet kleine Blitze durch meinen Körper, doch anstatt zu verkrampfen, wird mein Spiel noch flüssiger, noch... gefühlvoller. Wow. Was Noah alles in mir auslöst...   Die letzten paar Töne verklingen gerade, Noah steht immer noch hinter mir, seine Hände wandern an meinen Hals, an meinen Kiefer... ich lege meinen Kopf in den Nacken, blicke in Noahs sturmgraue Augen, die mich warm anlächeln. Die mir still sagen: das war wunderschön. Danke. Er beugt sich langsam, fast in Zeitlupe, vor, sein Kopf senkt sich zu mir herab, ich muss auf seine Lippen starren, die leicht geöffnet sind... Noah ist mir so nah, dass ich seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren kann. Seinen wunderbaren, nach Sommer, Sonne und Meer Duft riechen kann, der mir vollkommen die Sinne vernebelt. Warum riecht Noah nach Urlaub? Nach Urlaub, den man einfach nur genießen kann.   Ich recke meinen Kopf ein kleines bisschen, öffne meinen Mund ein klein wenig... und dann, endlich, berühren sich unsere Lippen. Ganz zart nur, wie eine Feder legt sich Noahs Mund auf meinen, seine Hände halten halb mein Gesicht, halb meinen Kiefer. Ich möchte dahinschmelzen, so wunderbar ist dieser Kuss. Genauso gefühlvoll wie Für Elise.   Jedenfalls für eine kleine, süße Weile. Dann muss ich Noah berühren, mit einer Hand nach oben greifen, in sein wunderbar weiches, honigblondes Haar, in seinen Nacken, wo seine Haut ganz weich und warm ist. Ich bin ehrlich: es ist ein klein wenig umständlich, ihn so zu küssen, aber... auf keinen Fall will ich jetzt damit aufhören! Deshalb schließe ich meine Augen, während Noahs Zunge meinen Mund erforscht, liebevoll die meine anstupst und dann umspielt und umgarnt, als würde er sie um ein Date bitten. Ich bin ihm jetzt schon mit Haut und Haaren verfallen.   Deshalb küsse ich meinen Freund noch eine süße Weile, stehe dann aber auf und greife nach einer seiner Hände. Unsere Augen begegnen sich nur für einen flüchtigen Moment, doch das reicht um ein stilles Einverständnis auszudrücken.   Meine Beine sind schwer wie Blei, auf eine positive Art und Weise, als ich Noah die Treppen hoch führe in mein Zimmer. Mir ist, wie immer, heiß und kalt zugleich und als Noah meine Zimmertür hinter sich schließt, bin ich ein nervliches Wrack. Der Gedanke daran, mit Noah Sex zu haben – hier, in meinem Zimmer, im Haus meiner Eltern und eine Tür weiter von Bastians ehemaligen Zimmer – macht mich wahnsinnig verlegen, aufgeregt und vorfreudig in einem.   Noah ist wahnsinnig zärtlich, als er mich auszieht und ich weiß nicht, woher ich die Kraft nehme, darüber nachzudenken, wie... mhh, direkt er ist. Ich hätte ihm niemals zugetraut, das hier durchzuziehen. Für mich ist Noah immer der Vernünftige. Der, der mich bestimmt ablehnen würde, würde ich in meinem jugendlichen Schwachsinn versuchen, ihn auf Biegen und Brechen rum zu kriegen. Ich bin völlig berauscht von dem Gedanken, dass Noah sich nur mir gegenüber so anders zeigt. Das er vielleicht... naja, auf mich genauso scharf ist wie ich auf ihn.   Ich schaffe es irgendwann, ihn von seiner Kleidung zu befreien und ausnahmsweise nicht rot zu werden vor Scham – eher vor süßer Erregung, die Noah in mir auslöst. Bevor wir uns aufs Bett setzen, angele ich noch Kondom und Gleitmittel aus meinem Nachttisch... sicher versteckt unter Kleinkram, den ich dort so verstaue. Noah lacht leise, wofür ich ihm warnend in den Arm zwicke. Dennoch lasse ich mich nur zu gerne auf seinen Schoß ziehen, lege Kondom und Gleitmittel neben uns aufs Bett, das ja nun nicht gerade groß ist... muss halt so klappen. Küssen und anfassen geht jedenfalls wunderbar und Noahs Hände an meinem Gesäß machen mich wahnsinnig. In den Kuss seufzend muss ich ein klein wenig auf ihm herum rutschen und, wow, ich möchte sofort kommen.   Tue ich natürlich nicht, das wäre ja sonst peinlich.   Die Vorbereitung, die Noah mir zukommen lässt, macht mich dagegen fast wahnsinnig vor Lust und Sehnsucht und Herzklopfen und Ungeduld. Ich würde mich gerne an seinen Schultern festhalten, da reicht er mir plötzlich das Kondom und... äh, ich schwöre, für einen Moment bricht mir der Angstschweiß aus. Ich kann ihm doch nicht...! Peinlich berührt drehe ich die Packung unschlüssig in meinen Händen hin und her während Noah mich wahnsinnig lieb an Wange, Hals und Schulter küsst. Seine Hände streicheln beruhigend, ermutigend, meinen Rücken. Nachdem ich allen meinen Mut zusammen genommen habe, öffne ich die Verpackung und bemühe mich, nicht vor lauter Scham weg zu rennen, als ich Noah das Kondom überziehe. Also, seiner Erektion, an die ich mich eigentlich gewöhnt haben sollte, aber... nein. Ich bin halt einfach noch siebzehn! (Erscheint mir jetzt eine ganz gute Ausrede zu sein.)   Noah hilft mir, als ich mich auf seinen Schoß setze und mich an diese Position erstmal gewöhnen muss. Ganz so angenehm und leicht ist das nämlich nicht und es dauert etwas, bis ich mich mit diesem neuen Gefühl anfreunden kann. Auch damit, Noah so nah zu sein und sein Gesicht direkt vor meinem zu haben. Das ist in jeder anderen... Stellung irgendwie einfacher. So jedoch habe ich das Gefühl, als würde er mich die ganze Zeit ansehen. Was er sonst ja auch tut. Oh Mann, Sex kann so wahnsinnig anstrengend sein!   Aber vor allem wahnsinnig schön. Endlich kann ich meine Arme um Noahs Schultern schlingen, ihn küssen und mich ihm ganz und gar anvertrauen. Ich genieße die Hitze zwischen uns, seine Stimme, wenn er ganz leise mit mir spricht oder diese unglaublich schönen Laute von sich gibt, die mir sagen: es gefällt ihm. Es tut ihm gut. Er liebt mich. Ich kann ihm all das nur zurückgeben, während ich mich auf ihm bewege und meinen Kopf in den Nacken lege, als er anfängt, meinen Hals mit dem Mund zu liebkosen.   „Seid ihr beide eigentlich völlig bescheuert?!“   Tja.   Wenn man in flagranti erwischt wird hat man, glaube ich, ein paar verschiedene Möglichkeiten.   Auf das schwarze Loch warten, das sich hoffentlich bald auftut und in dem man bis zum Sankt Nimmerleinstag versinken kann. Einen coolen Spruch bringen. Ärgerlich anmerken, dass man ja wohl anklopfen könnte, bevor man in ein Zimmer rein platzt, das nicht das eigene ist.   Es gäbe so viele Möglichkeiten.   Leider ist mein Hirn zu so einer Leistung gerade nicht fähig.   Mein Freund scheinbar auch nicht, denn der schiebt mich ziemlich rabiat von sich. Er sieht wahnsinnig erschrocken aus. Seine Lippen öffnen und schließen sich, doch kein Ton kommt heraus. Ein bisschen scheiße finde ich das schon – er ist immerhin der Ältere, der Erwachsene. Müsste er nicht das Ruder in die Hand nehmen?   Immer muss ich alles machen.   „Bastian, jetzt krieg bloß keinen Anfall...“, versuche ich meine Stimme zu finden und bin fast ein bisschen froh, dass die Lust, die Noah und ich gerade eben noch füreinander empfunden haben, einer Explosion gleich wie verpufft ist. Alles andere wäre ja wohl auch noch peinlicher... falls es noch peinlicher geht, dessen ich mir allerdings nicht sicher bin.   Bastian sieht mindestens genauso erschrocken, entsetzt, aus wie wir. Sein Blick wandert ungläubig von mir zu Noah, zu mir, zu Noah... hin und her. Noah ist wahnsinnig gut darin, das Kondom los zu werden und sich innerhalb von Sekunden anzuziehen. Ein gehetzter Ausdruck liegt in seinen Augen, ich kann es ihm nicht verübeln. Ich schaffe es, meine Shorts und Jeans anzuziehen, dann packt Bastian Noah rabiat am Arm und zerrt ihn herum, als würde er ihn am liebsten aus dem Fenster schmeißen.   „Bist du eigentlich noch ganz beisammen?! Das ist mein kleiner Bruder, den du da fickst!“, herrscht mein großer Bruder seinen besten Freund an, der sich nicht einmal im Ansatz wehrt. Stattdessen versucht er so ruhig wie möglich zu bleiben, was bei mir ja schon an dem Punkt nicht mehr funktioniert, als Bastian das F-Wort benutzt.   „Ich ficke ihn nicht.“, benutzt auch Noah das F-Wort und auch wenn er es irgendwie klar stellt... ich will nicht, dass er dieses Wort in den Mund nimmt. Nicht in Bezug auf mich.   Deshalb gehe ich mal schnell zwischen die beiden und greife nach Bastians Arm, damit er meinen Freund los lässt.   „Okay, jetzt beruhigen wir uns mal alle wieder und-...“   Ich komme nicht weiter, denn Bastian schubst mich derart rabiat weg, dass ich rückwärts stolpere und gegen die Ecke meines Schreibtisches knalle. Ich schwöre, die Ecke steckt in meinem Rücken und ich weiß, dass ich morgen einen dunklen Fleck knapp über meinem Steißbein haben werde.   „Bastian!“, ruft Noah geschockt aus und reißt sich los, schafft es aber nicht zu mir, weil Bastian ihn am Kragen packt und auf einen Millimeter an sich heran zieht.   „Du verschwindest hier. Sofort. Wenn ich dich noch einmal hier sehe, dann prügele ich dich windelweich, du verdammter Dreckskerl!“   Es ist schwer zu sagen, was Noah gerade fühlt oder denkt oder was er gerne tun würde. Ich kann gerade nur seinen Rücken sehen und die Art und Weise, wie sein ganzer Körper vollkommen angespannt ist, während Bastian ihn immer noch so nah hält, als würde er ihn gleich selber küssen wollen. Dann schubst er ihn weg.   „Bitte, lass mich dir doch erklären...“, unternimmt er noch einen Versuch, doch mein Bruder schneidet ihm das Wort ab. Mit der Faust. Ins Gesicht.   Keine Ahnung, wer von uns darüber mehr erschrocken ist: ich, Noah, Bastian? Ich will mich nicht entscheiden, spüre den Schmerz aber beinahe selber. Das Geräusch klang nicht schön.   „Raus hier, du krankes Arsch!“, brüllt Bastian derart ungehalten, dass ich Angst kriege und am liebsten los heulen würde. Noah hält sich das Gesicht, das kann ich noch halbwegs sehen, dann stürmt er an Bastian vorbei, rennt die Treppen runter und wenig später fällt die Tür ins Schloss. Ich höre Noahs Auto und das er wegfährt.   Mein Bruder und ich gucken uns an. Er ungläubig, wütend, entsetzt... ich trotzig, geschockt, verletzt und schließlich auch wütend.   „Bist du wahnsinnig geworden?! Du hättest ihm die Nase brechen können!“   Oder den Kiefer oder das Jochbein oder wo immer er ihn getroffen hat. Ich hab es ja leider nicht sehen können. Wahnsinnig vor Wut stürme ich auf Bastian zu und will nach ihm prügeln, doch der hält einfach nur meine Handgelenke fest. Sehr schmerzhaft fest.   „Ich hoffe das habe ich auch“, gibt er so kalt zurück, dass ich fürchte, er wird als nächstes mich schlagen, „und du hältst jetzt am besten die Klappe, bevor mir nochmal die Hand ausrutscht.“   „Du spinnst doch“, gebe ich stur zurück und reiße an meinen Armen, die Bastian nicht freigibt, sein Griff ist schraubstockartig, „Noah ist dein bester Freund! Du kannst doch nicht...“   „Mein bester Freund würde nicht meinen kleinen Bruder ficken!“, donnert er und stößt mich erneut weg. Die rasende Wut in seinem Gesicht ist etwas, das ich noch nie gesehen habe. Klar, er ist mal wütend gewesen. Aber das hier? Er sieht aus, als würde er am liebsten jemanden ermorden wollen. Und zwar auf ganz brutale Art und Weise.   Viel schlimmer als das ist jedoch der verletzte, völlig enttäuschte Ausdruck in seinen Augen. Den kann er nämlich trotz allen Zorns nicht verbergen.   Und es bricht mir das Herz. Das schlechte Gewissen macht sich in mir breit, verdrängt die Liebe zu Noah.   „Es tut mir leid, Bastian“, bringe ich heiser hervor, „wir... ich liebe Noah und wir wollten... er wollte es dir...“   „Vergiss es, Konstantin. Ich will davon nichts hören. Und von diesem Verräter sowieso nicht.“   Er verlässt mein Zimmer und knallt die Tür zu.   Ich werfe mich aufs Bett und heule mir die Augen aus dem Kopf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)