Heartbeats von Khaleesi26 (Michi-Woche) ================================================================================ Kapitel 1: Fantasy ------------------ Taichi Stöhnend drehte ich mich auf die andere Seite, als sie mir zum wiederholten Male mit der Hand durch mein Haar fuhr. Ich liebte das. Aber ich würde es niemals zugeben. Deswegen tat ich einfach so, als würde ich noch schlafen. „Steh endlich auf. Ich weiß genau, dass du wach bist“, hörte ich sie kichern. Ich musste grinsen, während ich weiter fest mein Kissen umklammerte und die Augen geschlossen hielt. „Und wenn ich nicht will?“ „Hmm.“ Ihre Hand entfernte sich und ich spürte, wie die Matratze sich hob, als sie aufstand. „Dann muss ich wohl ohne dich fliegen.“ Verschlafen öffnete ich ein Auge und sah, wie sie vor dem Spiegel stand und sich diese kleinen goldenen Sternenohrringe anlegte, die ich ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Mit ihren langen, gewellten Haaren und dem weißen, kurzen Sommerkleid sah sie aus wie ein Engel. Lächelnd drehte ich mich auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Das würdest du nicht tun, Mimi. Niemals.“ „Und wieso bist du dir da so sicher?“, hakte sie amüsiert nach. „Weil du mich schrecklich vermissen würdest. Ist doch klar“, ergänzte ich und warf ihr einen verstohlenen Blick zu. Sie legte den zweiten Ohrring an, drehte sich um und kam zurück ans Bett. „Das klingt auch gar nicht eingebildet, Herr Yagami.“ „Kann sein“, grinste ich und griff schnell nach ihrem Handgelenk, um sie zu mir aufs Bett zu ziehen. Kurz schrie sie auf, weil sie das nicht erwartet hatte, lachte dann jedoch. „Tai“, tadelte sie mich. „Wenn du nicht gleich aufstehst, kommen wir wirklich zu spät. Und der Flieger wartet nicht auf uns.“ „Ich weiß“, sagte ich und strich ihr mit der Hand eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich will nur noch eine Minute mit dir alleine sein.“ Dann beugte ich mich zu ihr und küsste sie. Ein unglaubliches Glücksgefühl breitete sich in meiner Brust aus. Es fühlte sich fast wie ein Traum an, ihre Lippen auf meinen zu spüren. Langsam löste sie sich wieder von mir und sah mich liebevoll an. „Bist du dir auch ganz sicher, dass du mitkommen willst?“ Ein leichtes Lächeln zierte mein Gesicht, während ich mich zwingen musste, den Blick von ihren vollen Lippen abzuwenden und in ihre haselnussbraunen Augen zu sehen. „Ich denke, ich war mir noch nie in meinem Leben so sicher.“ Ich konnte verstehen, dass sie Zweifel hatte. Ob es das Richtige war, was wir taten. Wir würden unser altes Leben hinter uns lassen und komplett neu anfangen. Nur wir beide – für immer vereint. „Ich bin froh, dass du das sagst“, meinte Mimi und küsste mich erneut auf die Wange, ehe sie aufstand und ich ihr nun endlich folgen musste. Sie hatte recht. Der Flieger würde nicht auf uns warten und ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass wir bereits viel zu spät dran waren. Ein neuer Lebensabschnitt lag vor uns und wir würden ihn gemeinsam beschreiten. Wir hatten uns beide dazu entschieden, Tokio hinter uns zu lassen und in New York neu anzufangen. Mimi vermisste ihr altes zu Hause und für sie stand es immer schon fest, dass sie nach ihrem Schulabschluss dorthin zurückkehren würde, um dort zu studieren. Und für mich stand fest, dass ich keinen Tag ohne sie sein wollte, seit ich sie das erste Mal vor einem Jahr geküsst hatte. Wir gehörten einfach zusammen und kein Ozean der Welt konnte uns voneinander trennen. „Bist du bereit?“, fragte sie mich, als ich aus dem Bad trat und sie bereits im Flur auf mich wartete. Die Koffer waren gepackt und warteten nur darauf, uns in ein neues Leben zu folgen. Ich trat neben sie und nahm ihre Hand. „Bereit, wenn du es bist.“ Sie lächelte und warf einen letzten Blick in die Wohnung, die wir uns in den letzten Monaten geteilt hatten. „Wirst du sie vermissen?“, fragte ich. Mimi schüttelte den Kopf. „Nein“, antwortete sie und sah mich entschlossen an. „Ich werde nichts vermissen, solange du bei mir bist.“ Dann nahmen wir unsere Koffer und Mimi schloss hinter uns ab. Wir ließen unser altes Leben zurück, ohne uns noch mal umzusehen. Doch das war auch nicht nötig. Denn wichtig war nur, dass wir beide gemeinsam in die Zukunft blickten … Der Wecker klingelte und ließ mich hochschrecken. Was? Aber wieso …? Ich drehte mich und streckte den Arm, um dem nervenden Klingeln ein Ende zu setzen. Dann fiel ich stöhnend zurück in die Kissen. Verschlafen rieb ich mir über die Augen, als augenblicklich mein Herz schwer wurde. Ein tiefer Schmerz breitete sich in meiner Brust aus und ich schloss erneut die Augen. Doch auch das half nichts. Selbst wenn ich wieder einschlafen würde, würde es nichts an der Tatsache ändern, dass das alles nur ein Traum war. Nun war ich aufgewacht und wieder in der Realität angelangt. Unsanft holte sie mich zurück auf den Boden der Tatsachen. Die Realität sah anders aus als mein Traum. Sie war schlimmer, schmerzhafter und ich wünschte, ich könnte irgendetwas tun, irgendetwas gegen sie unternehmen. Aber das konnte niemand. Sie würde einfach verschwinden und ich konnte nichts dagegen tun. Nichts. In meiner Fantasie waren wir zusammen. In der Wirklichkeit verließ sie mich, wahrscheinlich für immer. Ich hörte, wie jemand vor meine Zimmertür trat und klopfte. „Tai? Tai, bist du wach?“, fragte mich meine Schwester durch die geschlossene Tür. Ich seufzte, bevor ich ihr antwortete. „Jaah … Ja, bin ich.“ „Gut. Dann steh jetzt bitte auf. Wir kommen sonst zu spät. Und wir wollen sie doch nicht verpassen.“ Nein, das wollten wir nicht. Auf keinen Fall würde ich sie gehen lassen, ohne sie noch ein letztes Mal gesehen zu haben. Ich schleuderte die Decke von mir und sprang aus dem Bett. Mimi Unruhig zupfte ich am Ärmel meiner Jeansjacke herum, sah dabei immer wieder auf die Uhr. Nicht mehr lange. Nicht mehr lange und ich würde mein altes Leben hinter mir lassen – schon wieder. Es fühlte sich richtig an, denn es war das, was ich immer wollte. Meine Familie wusste das, meine Freunde wussten das und auch ich hatte es immer gewusst – dass ich nicht nach Tokio gehörte. Diese Gesellschaft engte mich zu sehr ein. Das war ich einfach nicht. Als wir damals von New York zurück nach Tokio gezogen waren, fühlte sich das gut an. Doch ich merkte schnell, dass ich mit meinen Ansichten einfach nicht mehr in diese Welt passte. Alle trugen dieselbe Schuluniform, alles war möglichst konform und aus der Reihe tanzen wurde nicht gern gesehen. Also hatte ich ziemlich schnell den Entschluss gefasst, nach meinem Abschluss zurück nach New York zu ziehen. Und nun war es soweit. Der Tag war gekommen, an dem ich mein Leben hier endlich hinter mir lassen konnte. Nur wollte ich nicht alles daran hinter mir lassen … Es gab einen Grund, warum ich meine Entscheidung dennoch in Frage stellte. Und dieser Grund war gerade auf dem Weg zum Flughafen, um sich von mir zu verabschieden – vielleicht für immer. Das Herz hämmerte mir bis zum Hals, während die Zeiger an der Uhr immer weiter rannten, als würden sie mir keine Zeit mehr lassen wollen. Hatten sie es so eilig, dass ich dieses Land verlassen sollte? „Mimi!“, hörte ich eine Stimme hinter mir rufen. Ich stand von meinem Platz auf und drehte mich um. Sie waren gekommen. Ich sah, wie Sora und die anderen auf mich zugestürmt und schnaufend vor mir zum Stehen kamen. „Tut … uns … leid. Wir sind … zu spät“, entschuldigte Sora sich völlig aus der Puste. „Aber nur, weil wir wegen dem da den Bus verpasst haben“, warf Matt ein und zeigte anklagend mit dem Finger auf seinen kleinen Bruder. „Du Verräter! Du warst doch selbst nicht pünktlich“, entrüstete dieser sich sofort und stemmte die Hände in die Hüfte. Joe, der Älteste von allen, ging dazwischen. „Hört sofort auf, euch zu streiten. Deswegen sind wir schließlich nicht hergekommen“, beschwichtigte er die beiden, während Izzy nur lachend den Kopf schüttelte. Auch ich musste lachen. Wahrscheinlich gab es doch einiges, dass ich vermissen würde. „Wo sind Kari und Tai?“, fragte ich, als ich schließlich meinen Blick prüfend durch die Gruppe wandern ließ. „Ihre Mutter wollte sie herfahren. Sind sie noch nicht da?“, hakte Sora nach. Ich schüttelte den Kopf. „Vielleicht stehen sie im Stau“, warf Matt fragend ein. „Hoffentlich schaffen sie es noch“, meinte Izzy und blickte skeptisch zur großen Uhr an der Anzeigetafel des Flughafens, dessen Zeiger immer noch weiter rannten. Traurig folgte ich seinem Blick. „Na ja, da kann man nichts machen. Es wird Zeit für mich“, sagte ich geknickt und wandte mich wieder meinen Freunden zu. Sora legte einen mitfühlenden Blick auf und nahm mich in eine Umarmung. „Sei nicht traurig. Und schreib uns, wenn du gut angekommen bist.“ „Das mache ich“, sagte ich und drückte sie fest an mich, ehe ich mich von ihr löste und mich von einem nach dem anderen verabschiedete. „Guten Flug“, sagte Takeru. „Keine Sorge. Wenn Tai nachher kommt, hau ich ihm eine rein dafür, dass er dich verpasst hat“, meinte Matt und ich musste gequält auflachen. Ich wusste, er würde das tun. „Komm uns mal besuchen“, sagte Izzy. „Ganz bestimmt. Irgendwann mal“, antwortete ich. „Gute Reise, Mimi. Und dass du mir immer fleißig lernst“, verabschiedete sich auch Joe von mir. Ich nickte und eine kleine Träne rollte mir über die Wange, die ich mir schnell wegwischte. Der Abschied fiel mir schwerer als ich für möglich gehalten hatte. „Na, dann …“, sagte ich und nahm meinen roten Koffer an mich. „Ich werde euch vermissen. Macht’s gut.“ „Wir dich auch“, sagte Sora und wir winkten uns zum Abschied, während ich den Gang zum Gate beschritt. Gerade, als ich durch die Kontrolle gehen wollte, hörte ich eine bekannte Stimme hinter mir meinen Namen rufen. Ich wirbelte herum, mit hämmernden Herzen. Sie hatten es geschafft. Er war hier. Endlich. „Mimi, warte“, rief Kari mir entgegen und kam auf mich zugestürzt. Ich machte den Leuten hinter mir platz und lief ihr in die Arme. „Du kannst doch nicht einfach abhauen, ohne, dass wir uns von dir verabschieden konnten“, seufzte sie und drückte mich fest an sich. Ich genoss diese letzte Umarmung so sehr, dass es weh tat. „Ich weiß. Tut mir leid. Schön, dass ihr es noch geschafft habt.“ Ich löste mich von ihr und mein Blick fiel auf denjenigen, der hinter ihr stand. Er hatte die Hände in den Hosentaschen versteckt und blickte verstohlen zur Seite, als könnte er mir nicht in die Augen sehen. Musste er es uns beiden denn so schwer machen? „Tai? Tai! Los, verabschiede dich von Mimi“, ermahnte ihn seine Schwester. „Ich wünsche dir einen guten Flug, Mimi. Und lass mal was von dir hören“, zwinkerte Kari mir zum Abschied zu. „Ganz bestimmt“, nickte ich. Sie ging zurück zu den anderen und nun war der Moment gekommen, vor dem ich am meisten Angst gehabt hatte. Ich hatte jedoch weniger Angst davor, ihm Lebewohl zu sagen als davor, dass er vielleicht meine Entscheidung ins wanken bringen könnte. Ich hatte Angst davor, ihn ein letztes Mal zu sehen, denn ich wusste, ich würde mich in diesem Moment fragen, ob es wirklich richtig war, was ich tat. „Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll“, ergriff Tai schließlich das Wort. Ich schüttelte den Kopf. „Ist schon in Ordnung. Du musst gar nichts sagen. Nimm mich … nimm mich einfach nur in den Arm.“ Tai drehte den Kopf und sah mich nun endlich an. Dann machte er einen großen Schritt auf mich zu und zog mich unvermittelt an sich. Ich schloss meine Arme um ihn, legte meine Wange an seine Brust und atmete ein letztes Mal seinen unvergleichlichen Duft ein. Ich spürte, wie Tai schwerfällig die Luft ausstieß. „Es ist so schwer, dich gehen zu lassen.“ „Dann komm doch mit“, sagte ich zum Scherz, doch mein Herz wusste, dass es keine Lüge war. Wie sehr hatte ich mir das gewünscht. Ich hörte, wie er grinste. „Du weißt, dass das nicht geht“, sagte er und drückte mir einen Kuss ins Haar, ehe er mich sanft von sich drückte. „Mein Leben ist hier, Mimi.“ „Ich weiß“, entgegnete ich verständnisvoll und traurig zugleich. Und meins war es nicht. Mein Leben wartete woanders auf mich und das wusste er. Und ich wusste, dass er wegen eines Kusses nicht alles hinter sich lassen würde. Das wäre zu viel verlangt. Auch wenn dieser Kuss so ziemlich das Beste war, was mir je passiert war. Doch wir hatten uns damals darauf geeinigt, dass es bei diesem einen Kuss bleiben würde. Dass wir unseren Gefühlen nicht nachgeben würden. Denn mein Plan, das Land zu verlassen, stand auch schon damals fest. Und wir wollten beide nicht, dass wir uns in eine Sache verrannten, von der wir wussten, dass sie kein gutes Ende nehmen würde. Und trotzdem war es der beste Geburtstag meines Lebens gewesen, als er mich geküsst hatte und ich würde ihn nie vergessen. „Da fällt mir was ein“, schoss es mir plötzlich durch den Kopf und ich griff nach meinem Ohrläppchen. Ich nahm den Ohrring ab und legte ihn Tai in die Hand. Es war ein kleiner goldener Stern. „Die Ohrringe hast du mir zum Geburtstag geschenkt, weißt du noch?“ „Natürlich weiß ich das noch.“ Grinsend runzelte Tai die Stirn. „Aber was soll ich damit?“ „Behalte ihn einfach. Damit du mich nicht vergisst“, lächelte ich. Tais Mundwinkel wanderten belustigt nach oben, doch er schloss trotzdem seine Hand um den kleinen Stern. „Als ob das jemals möglich wäre.“ Erneut zog er mich in eine Umarmung, die sich so schmerzhaft und endgültig anfühlte, dass es mir fast das Herz zerriss. „Ich werde dich vermissen“, sagte ich und schloss die Augen, um die Tränen zu unterdrücken. „Ich dich auch“, wisperte Tai. Als die Ansage durch die Halle drang, dass mein Flug bald starten würde, ließ er mich los. Ich beschloss es nicht noch schlimmer zu machen als es eh schon war und drehte mich einfach um, ging zu meinem Koffer. Kein Blick zurück. Ja, ich würde ihn wirklich vermissen. „Hey, Mimi!“ Seine Stimme drang aus der Ferne zu mir und ich warf einen letzten Blick über die Schulter. „Vielleicht komme ich dich irgendwann mal besuchen. Stehe einfach vor deiner Tür.“ Ich zog grinsend eine Augenbraue nach oben. „Das traust du dich eh nicht.“ „Werden wir sehen.“ Ich hob die Hand zum Abschied und zwinkerte ihm zu. Sein schiefes Grinsen war es, was mir als Letztes von ihm im Gedächtnis blieb. Als ich im Flugzeug saß, machte ich es mir bequem und steckte mir die Kopfhörer meines iPods ins Ohr. Gedankenverloren sah ich aus dem Fenster. Warum musste es nur so weh tun? Die Stimme der Sängerin von Echosmith erklang in meinem Ohr und trieb meine Gedanken erneut zu ihm. „Come with me And I'll take you away if you let me Stay with me And I'll cover your soul with my body Give me you're heart And I'll give you my love It's a work of art When you shine like the sun So give your heart to me Give your heart to me“ Ich schloss die Augen und sog das Gefühl in mich auf. Ich würde ihn vermutlich mehr vermissen als mir vorher bewusst gewesen ist. „Entschuldigung, ist hier noch frei?“ Eine Stimme drang an mein Ohr und ich entfernte meine Kopfhörer, um mich zu der Person umzudrehen, die mich angesprochen hatte. Mit großen Augen blickte ich in genau das Grinsen, welches ich zuletzt von ihm gesehen hatte. „T-Tai? Was machst du hier?“, fragte ich fassungslos. „Nach was sieht es denn aus?“, entgegnete er salopp und verstaute eine Tasche Handgepäck über uns, bevor er sich auf den Sitz neben mich fallen ließ. „Ich werde mir neue Sachen in New York kaufen müssen. Ich hatte gar keine Zeit richtig zu packen.“ Gestresst fuhr er sich durchs Haar. Fast wäre ich vor Aufregung von meinem Sitz aufgesprungen. „Sag mal, was wird das? Du willst doch nicht etwa …“, platzte es aus mir heraus. Ich konnte einfach nicht glauben, dass er hier war. Sein Grinsen wurde breiter und er lehnte mich zu mir herüber. „Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass du einfach so abhauen kannst? Ist dir denn völlig egal, wie sehr ich dich vermissen würde?“ Er strich eine Haarsträhne hinter mein Ohr, während ich ihn immer noch ungläubig anstarrte. „Aber … aber du kannst doch nicht einfach …“, sagte ich in einem Anflug von Protest, doch Tai verschloss meinen Mund mit seinen Lippen. „Doch, ich kann“, entgegnete er dann. „Ich komme mit dir. Und denk ja nicht, dass du mir das ausreden kannst.“ Er ließ sich in seinen Sitz fallen und sah sich suchend um. „Gibt’s hier eigentlich auch was zu essen? Ich habe einen Bärenhunger“, sagte er, als hätte er nicht mal eben eine Entscheidung getroffen, die sein ganzes Leben umkrempeln würde. „Hast du auch Hunger?“, fragte er mich. „Gott, was hast du?“, entfuhr es ihm jedoch gleich darauf, als er bemerkte, dass ich weinte. Doch ich konnte nichts dagegen tun. Die Tränen rollten einfach so über mein Gesicht. „Tut mir leid“, wimmerte ich und fiel ihm um den Hals. „Ich freue mich nur so sehr, dass du mitkommst. Auch wenn das total verrückt ist“, weinte ich an seiner Halsbeuge, während er beruhigend eine Hand an meinen Kopf legte. „Hör auf zu weinen, Mimi. Es ist alles gut. Ich bin hier und ich werde dich nie alleine lassen.“ Seine Worte klangen gedämpft in meinem Ohr, doch ich nickte trotzdem. Endlich waren wir zusammen … Plötzlich berührte mich jemand an der Schulter. Ich schrak hoch. Die Playlist lief immer noch. Eine Stewardess sah mich fragend an. „Miss?“ Ich richtete mich auf und nahm die Kopfhörer ab. „Äh … ja?“ „Wir wollen gleich starten. Würden Sie sich bitte anschnallen?“ „Oh ehm … ja, natürlich.“ Sie schenkte mir ein Lächeln und ging weiter. Gedankenversunken starrte ich auf den Sitz neben mir. Er war leer. Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden. Es war nur ein Traum gewesen. Pure Fantasie, reines Wunschdenken, dass ich niemals laut aussprechen würde. Ich hatte keine Ahnung, dass es so sehr weh tun würde, ihn zurückzulassen. Offenbar hegte ich doch tiefere Gefühle für Tai, als ich mir bis jetzt eingestehen wollte und ich wusste nicht, was schlimmer war – weiter in Tokio leben zu müssen und meinen Traum aufzugeben oder ihn nicht mehr sehen zu können. Beides schien falsch zu sein. Gestresst legte ich eine Faust an meine Stirn. „Verdammt, Mimi. Was tust du hier nur?“ Taichi Ich ließ mich zurück ins Gras fallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Du kannst schon mal vorgehen. Ich komme dann nach“, sagte ich an meine Schwester gewandt. Nach dem Abschied am Flughafen waren wir noch etwas spazieren gegangen und alle wollten sich danach noch in einer Bar treffen. Leider verspürte ich keine große Lust an dem Treffen teilzunehmen. „Ist gut. Kommst du zurecht?“, hakte Kari leicht skeptisch nach. „Ich werd’s überleben, Kari, okay? Also mach dir keine Gedanken.“ „Ist gut“, sagte sie leicht zögernd, ließ mich dann jedoch allein. „Dann bis später.“ Mein Blick wanderte gen Himmel, an dem gerade ein Flugzeug vorbeizog. Warum musste es so schwer sein, sie gehen zu lassen? Ich wusste doch, dass es so kommen würde, das hatte ich immer. Es stand nie die Frage im Raum, ob sie sich vielleicht umentscheiden könnte. Denn ich wusste, das würde sie nicht tun. Dafür kannte ich sie zu gut. Wenn sie sich einmal was in den Kopf gesetzt hatte … Seufzend schloss ich die Augen. Ich wünschte ich hätte sie noch ein letztes Mal küssen können. Aber was hätte das geändert? Außer, dass es nur noch mehr wehgetan hätte. Es war die richtige Entscheidung gewesen, diesen Gefühlen niemals nachzugeben. Mimis Entscheidung stand von Anfang an fest und sie konnte nun mal nicht beides haben – mich und New York. Unter anderen Umständen wäre ich vielleicht sogar mit ihr mitgegangen, wie ich es mir erträumt hatte. Doch es war einfach zu früh, alles hinter mir zu lassen. Dazu war ich nicht bereit. Mimi war schon immer ein Freigeist gewesen und ich konnte gut verstehen, dass sie sich in dieser Stadt, mochte sie auch noch so groß und bunt sein, eingeengt gefühlt hatte. Doch im Gegensatz zu ihr war ich hier einfach zu stark verwurzelt und egal, wie ich es drehte und wendete … es gab nun mal keine Zukunft, in der wir beide glücklich sein konnten. Auch wenn ich mir das immer gewünscht hatte. „Was machst du da?“ Ich wirbelte hoch und saß mit einem Mal kerzengerade im Gras. Hatte ich mir das nur eingebildet? Ich warf einen Blick über meine Schulter. „Schläfst du etwa schon wieder?“ Ihre Stimme klang so klar, dass es unmöglich ein Traum sein konnte. Sie stand vor mir. Einfach so. Genauso wie ich mich von ihr verabschiedet hatte, stand sie nun da und grinste mich an. „Mimi? Wieso … warum sitzt du nicht im Flugzeug?“ Sie kam zu mir und setzte sich neben mich ins Gras, während ich sie ungläubig anstarrte. „Kannst du dir das nicht denken?“ Ich starrte sie einfach nur an, wollte sie unbedingt berühren, um mich zu vergewissern, dass sie wirklich hier war. „Was guckst du denn so?“, fragte sie und drehte den Kopf in meine Richtung. „Kannst du es nicht glauben, dass ich zurückgekommen bin?“ „Nein, nicht wirklich …“, gab ich offen zu. „Dann muss ich dich wohl davon überzeugen“, grinste sie, lehnte sich zu mir und drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Glaubst du’s jetzt?“ Ich atmete ihren Duft ein. Sie roch immer nach Rosen und mir war bis heute nicht bewusst, wie sehr ich diesen Duft an ihr liebte. „Warum bist du wieder hier?“, fragte ich sie. „Weil ich dich viel zu sehr vermisst hätte“, antwortete sie und strich mir liebevoll über die Stelle, wo sie mich eben geküsst hatte. „Das heißt, du gehst nicht weg? Du bleibst hier?“, hakte ich zweifelnd nach. „Ja, Tai. Ich bleibe hier.“ Ein Lächeln umspielte ihre Lippen und am liebsten hätte ich sie umarmt und nie wieder losgelassen. Ich wollte meine Hand an ihre Wange legen, doch das Vibrieren meines Handys lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich … Es holte mich zurück in die Realität. Ich öffnete meine Augen und blickte in denselben Himmel wie eben. Sie war wieder nur meiner Fantasie entsprungen und ich wusste das. Doch irgendwie war das der einzige Weg, sie bei mir zu behalten. Das Wunschdenken, sie würde umkehren und hierbleiben, fand nur in meinem Kopf statt. Gedankenversunken holte ich mein Handy aus der Hosentasche und blickte aufs Display. Eine Nachricht von Mimi. „Werde planmäßig in 10 Stunden landen. Der Flug ist super öde. Freue mich jetzt schon auf deinen Besuch :-P“ Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken und tippte schnell eine Antwort ein. „Meinen Besuch? Das traue ich mich doch eh nicht – deine Worte ;)“ Die Antwort kam prompt. „Vielleicht unterschätze ich dich ja auch, Taichi Yagami.“ Ich rollte mit den Augen. Sie war unmöglich. „Vielleicht. Mail mir deine Adresse.“ Ich steckte das Handy zurück in die Hosentasche und holte stattdessen den kleinen Stern hervor, den sie mir geschenkt hatte. Unfassbar, wie sehr sie mir bereits jetzt fehlte. Ich wusste selbst nicht, ob das nur so eine spontane Idee von mir war, oder ob ich es wirklich durchziehen würde. Vielleicht wäre ein Wiedersehen umso schmerzhafter für uns. Doch sie komplett aus meinem Leben streichen? Undenkbar. Ich würde es tun – irgendwann. Irgendwann würde ich zu ihr fliegen und sie wieder in meine Arme schließen. Und so lang würde ich sie festhalten. Und wenn es nur in meiner Fantasie war … „I think we dream So we don’t have to be apart for so long. If we’re in each other’s dreams We can be together all the time.“ - A.A. Milne, Winnie the Pooh Hosted by Animexx e.V. 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