Warum Pechvögel fliegen können. von Whiscy (Die Schutzengel-Trilogie 1) ================================================================================ Kapitel 6: Ich liebe dich (nachträglich)! ----------------------------------------- »Ich nicht«, antworte ich. Hans-Jürgen lacht. »Schau, du bist nicht schrecklich, du hast mich zum Lachen gebracht. Dabei wollte ich dich doch zum Lachen bringen.« Nach all den Tränen hat er mir ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert. »Tja, das hat wohl nicht so gut hingehauen.« »Schau, ein Wunder ist geschehen.« Er zeigt auf mein Spiegelbild in der Fensterscheibe, das selig lächelt. Hey, so scheiße sehe ich gar nicht aus. »Ich bin die Heulsuse der Nation, aber Sie können mich auch Manuela nennen. Freut mich, Sie kennen zu lernen«, stelle ich mich artig vor. Die Sorgen verfliegen. Oder besser gesagt: Werden verdrängt. Wetten, nachher im Bett heule ich die ganze Nacht vor Liebeskummer. »Oh, das ist eine große Ehre für mich. Doch ich bin überzeugt davon, du hast einen triftigen Grund, so aufgelöst zu sein.« Die Worte kommen so locker, leicht und unbeschwert über seine Lippen, wirken dennoch ernst. Das ist wohl die Magie des Alters. Soll ich es ihm erzählen? Ich sehe aus dem Fenster, es muss nicht mehr weit bis zur Endstation von was auch immer sein. Vielleicht hätte er ja schon längst aussteigen müssen? Das frage ich ihn auch. Mit einem Kopfschütteln zeigt er mir, dass das im Moment nicht so wichtig ist. Ich gehe das Risiko ein. »Ich habe gerade herausgefunden, dass ich seit Jahren unglücklich in einen Freund verliebt bin. Das klingt jetzt nach einem totalen Tussi-Problem und das ist es auch. Und ja, es ist völlig übertrieben, deswegen schluchzend in einem Linienbus umher zu fahren.« Jetzt ist es raus. Gleich fühle ich mich viel besser, es ist, als wäre mir eine große Last abgenommen worden. Erleichtert atme ich auf. Und obwohl wir uns gar nicht kennen und ich normalerweise keine Fremden an mich ranlasse, beugt Hans-Jürgen sich zu mir herunter und legt mir eine Hand auf meine Schulter. »Niemand kann etwas für seine Gefühle«, flüstert er schon fast. An der Endstation steigen wir beide aus. Tausend Mal bedanke ich mich bei ihm für das Taschentuch und so. »Ist doch selbstverständlich für einen Gentleman«, erwidert Hans-Jürgen daraufhin, ballt die Faust. »Und weine nicht wegen ihm. Wenn man nicht das bekommt, was man will, dann nur, weil man etwas Besseres verdient hat.« Innerlich hallen seine Worte in mir wie ein Echo. Etwas Besseres. Gibt es so etwas überhaupt? Wie bei einem Zauber streckt Hans-Jürgen mir seinen Arm aus und öffnet sanft seine Faust. In seiner Hand liegt ein winziger Origami-Kranich, der so elegant gefaltet ist, dass man meinen könnte, Magie umgebe ihn. Hans-Jürgens ganze Erscheinung ist ziemlich schmächtig und mittlerweile bin ich fest davon überzeugt, dass er mich nicht vergewaltigen wird. Hoffnung macht sich in mir breit. Vielleicht hat er ja Recht. »Dieser Kranich ist ein Geschenk für dich, er wird dir Glück bringen und dir einen ganz besonderen Wunsch erfüllen. Du musst ihn nur drauf schreiben!«, verspricht mir Hans-Jürgen. »Oh, Dankeschön, ich passe gut darauf auf!«, verspreche ich, nehme den Origami-Kranich an mich. Hey, das Leben geht weiter. Nicht alle Menschen sind so bekloppte Lügner wie Tobi. Zum Beispiel Hans-Jürgen. »Du bist das Beste, was einem passieren kann!«, erkläre ich ihm strahlend und ohne Hintergedanken. Auf die Ansage hin errötet der niedliche Opi ein wenig, grinst mich aber weiterhin aufmunternd an. Und das alles auf eine entzückende Art und Weise. Und: Nein, ich stehe nicht auf alte Knacker, aber er ist echt zum knuddeln! »Ich kann doch nicht zusehen, wie ein so schönes Mädchen von Kummer zerfressen wird«, flirtet er mit mir. Halt stopp, Moment! FLIRTET ER MIT MIR?! Mit mir flirtet doch keiner (habe ich von Nadine). Ich bin doch hässlich (habe ich von den Jungs aus meiner Klasse). Ergo: Kann gar nicht sein. »Das ist jetzt aber kein Flirt oder so was?!«, platze ich aus meinen Gedanken heraus. »Das hoffe ich doch«, sagt eine Stimme hinter mir. Janiel hat uns eingeholt und mir schützend eine Hand auf den Rücken gelegt, dahin, wo in der Nähe eben noch die Hand von Hans-Jürgen gelegen hatte. »Jan? Wie kommst du so schnell hierher?«, frage ich verblüfft. Shit, ich hatte ihn ganz vergessen … Hans-Jürgen starrt Janiel feindselig an. »Ist er das? Der Casanova?« Nicht nur ein Hauch von Ärgernis schwingt in seiner Stimme mit. Schnell kläre ich das Missverständnis auf: »Nein, das ist mein äh Cousin, ich hab ihn vor lauter Aufregung am Busbahnhof stehen lassen, und bin einfach weggerannt … Sorry Jan!« Sofort beruhigt sich Hans-Jürgen wieder. »Na dann … « Janiel lächelt ihn charmant an. »Ich kann ihn auch nicht leiden.« Wie bitte?! Und wie war das noch gestern im Volleyball mit dem freundschaftlichen In-den-Arm-Geboxe?! Engel sind echt falsche Schlangen. »Na dann ist sie ja jetzt sicher in deinen Händen … Ich mache mich auf den Weg, auf Wiedersehen!« Schwupps, ist er weg! Habe ich gerade mit einem Opi namens Hans-Jürgen geflirtet? »Kann mich mal jemand kneifen?« »Aua!«, entfährt mir, als Janiel es umsetzt. Belustigt grinst er mich an: »Zufrieden?« »Das war Rache, gib’s zu!« Ich werfe ihm meinen bösesten Blick zu. »Ja«, gibt er zu, aber feixend. »Mich lässt man nicht einfach so stehen. Ohne Folgen.« Janiel wusste, dass Manu nicht wie Madeleine war. Aber er wusste auch, dass sie ihr dennoch verdammt ähnlich war. Zu ähnlich. An jenem Tag legte er Manu seine Jacke um, weil sie am ganzen Leib gezittert hatte. Ohne es zu bemerken. Madeleine war genauso impulsiv gewesen. So undurchdacht, naiv und spontan. Das war die Sorte Mensch, die es am schnellsten erwischte. Nicht jeder Schutzengel war fähig dazu, seinen Menschen ein Leben lang zu beschützen, besonders wenn dieser – kurz gesagt – extrem dumm war. Extrem gutmütig war. Seiner Meinung nach war Manuela auf jeden Fall zu gutmütig. Sie vertraute sich zu schnell Fremden an. Hans-Jürgen, der Schlingel, war nicht der, für den er sich ausgab. Janiel hatte ihn durchschaut. In Wahrheit fuhr mit diesem Bus der Glücksengel Asinel, der gerade seine alltägliche Arbeit verrichtete: Glück unter den Menschen zu säen. Aber, dass Asinel mit Mantras um sich warf, war auch Janiel neu. Selbsterfüllende Prophezeiungen würden Manu niemals ihren heißbegehrten Wunsch erfüllen. Niemand könnte ihn ihr erfüllen. Nicht Hans-Jürgen. Nicht der Origami-Kranich. Nicht einmal Janiel. Was dachte er da. Warum sollte er. Liebeskummer ist scheiße. Diese allseits bekannte Weisheit bekomme ich am eigenen Leibe zu spüren. Tobi hat eine Freundin. Er hat mich belogen. Warum? Die Frage tanzt bestimmt zehntausendmal durch meinen Kopf. So bedröppelt, wie ich mich auf meinem Bett hin und her wiege, merke ich erst nach drei Minuten, dass Janiel sich in einen Menschen verwandelt hat und mir ununterbrochen ein Kissen an die Schläfe haut. »Erde an Manu.« Tobi hat wirklich eine Freundin. »Manu! Jetzt reiß dich zusammen!« Schwierige Sache. Ich igle mich ein. Janiel kloppt nochmal auf mich drauf. »Du darfst dich davon nicht so unterkriegen lassen! Erstens ist Tobi nicht der Richtige für dich und zweitens … « »Halt! Woher willst du das denn bitte wissen! Bist du mein Schutzengel oder Amor?«, gifte ich ihn an, stoppe das Kissen und vergrabe meine Finger darin. »Ich verfüge definitiv über genug Menschenkenntnis, um dir mitzuteilen, dass dieser Typ sich nicht die Bohne um deine Gefühle schert und es auch nicht tun wird.« Das hat gesessen. »Mir ist klar, dass du das nicht hören willst. Aber du musst das hören! Das ist keine Liebe!«, herrscht er mich an. Redet sich in Rage. »Er hat nie etwas getan, um sich diese Gefühle von dir zu verdienen!« »Das ist nicht wahr. Diese Woche erst hat er mir Volleyball-Nachhilfe gegeben.« »Und sonst? Du weiß es ganz genau, Manu.« Janiel packt zu, umkrallt meine Handgelenke und zwingt mich dazu, ihm direkt in seine hellen, goldgelben Augen zu sehen. »Du weißt es genau.« Es ist Sommer, Sonnenblumen blühen in Gärten von Leuten, die sich die Mühe machen. Es ist warm, nicht allzu heiß, angenehm. Getreide wiegt sich im Wind. Ich weine nicht mehr. Ich bin nicht mehr allein. Nadine und ich, wir radeln durch die Ortschaft, wollen Eis essen gehen. Es ist lau, es ist schön. Wir erzählen uns Witze, schneiden Grimassen, noch während wir fahren. Wolken wie Schlieren kriechen durch den grün-blauen Himmel. Reifen quietschen auf eine angenehme Art und Weise. Das Eis schmeckt wie Zuckersand, so gefroren ist es. Nadine erzählt mir von ihren Träumen. Popstar will sie werden. Oder Model. Oder beides. Auf jeden Fall ein Parfum nach sich benennen. Wenn sie es geschafft hat, nimmt sie mich mit auf ihre Yacht und wir fahren damit von der südfranzösischen Küste bis nach Spanien. Zwischenstopp an jeder Partymeile, natürlich. Ich will wissen, ob sie mir dann einen Butler spendiert. Tut sie. Wir lehnen an der Mauer hinter der Eisdiele, beobachten von dort aus Passanten. Wie sie Eis kaufen. Gut gelaunt scherzen, lachen und lächeln. Ein paar jüngere Jungs feuern sich gegenseitig mit ihren gelb-rot-blauen Wasserpistolen ab, scheuchen dabei Tauben auf. Sie fliegen panisch davon. Wir amüsieren uns. Wir sind zwölf Jahre alt. Keiner von uns denkt darüber nach, dass wir die Fahrräder nicht abgeschlossen haben. Bis wir zurückgehen und meins weg ist. Nadines ist noch da, natürlich. Mit einem Sorry fährt sie weg, lässt mich im Stich, wie immer, natürlich. Böse bin ich ihr nicht. Vielleicht ein bisschen enttäuscht. Ich weiß, dass sie nicht weiß, was böse ist. Woher denn? Also laufe ich durch die Ortschaft an den Feldern entlang, schaue dem Wind zu, wie er den Sommer durch die Gegend trägt. An einem Zaun kniet ein Junge in der Hocke. Mit Farbeimer und Pinsel malt er ihn an. Der Junge mit der Zahnspange. Von Silvester. Ich bin zu schüchtern, um hallo zu sagen. Er nicht. »Hallo. Wir kennen uns doch.« »Stimmt.« »Alles in Ordnung? Bei dir?« »Mir geht es gut.« »Wirklich?« »Mein Fahrrad wurde gestohlen.« »Ach so. Warte hier. Nimm meins.« Mein Herz geht auf. »Wie heißt du eigentlich?« »Tobi, und du?« »Ich bin Manu.« Er schenkt es mir, sein Fahrrad mit der Froschmaulklingel. »Bist du dir sicher?« »Ja, mach dir keine Gedanken.« »Danke.« Tobi schenkt mir sein Mountain-Bike, einfach so. »Du bist doch in der C-Klasse, oder?« »Woher weißt du das?« Tobi hat mich beobachtet. »Tja, eh … ich habe dich gesehen, in der Schule.« »Du gehst auf meine Schule?« Tobi ist in meiner Parallelklasse. Janiel gibt schließlich auf, mich mit Worten aufzuheitern und macht mir Tee. Jede Stunde. Schleppt Schokolade ins Haus und legt mir schließlich einen Stapel DVDs vor die Füße, alles Horrorfilme. Ich werde behandelt, als hätte ich meine Tage. Aber es ist wirklich lieb. Ich bin mir sicher, dass das nicht in dem Grundregelbuch für angehende Schutzengel steht. Am Samstag muss ich mein Schmollen unterbrechen, wir treffen uns bei Valentine zu Hause, um den Mädchenflohmarkt zu veranstalten. Als ich zu Hause die Kleider dafür zusammensuche, die ich mit Valentine tauschen möchte, wandert als erstes das Kleid meiner Tante in den Müll-Tausch-Sack. »Das willst du nicht ernsthaft weggeben«, mischt sich mein Schutzengel ein. »Und wie ich das will. Ich mag keine Kleider und Röcke, das weißt du«, ermahne ich ihn. »Aber … na gut, ist deine Sache.« Yeah, endlich sieht er es ein! »Ich verwandle mich nachher«, verkündet er. »Warum willst du eigentlich immer als Mensch unterwegs sein, wenn du alles sein kannst, was du willst? Du bist nicht dazu gezwungen, mit mir zu reden«, sage ich. »Weil ich es will«, antwortet Janiel kurz und knapp. »Ist der freie Wille nicht den Menschen vorbehalten?«, frage ich. »Ist er. Aber Engel rebellieren gern, wie du an Eiael gesehen hast.« Das ist also Janiels Form der Revolte gegen das System. Ich habe eine letzte Frage: »Hasst du Gott?« »Ich empfinde für ihn wohl dasselbe wie du.« Er packt den Sack, den ich mittlerweile mit allerlei Klamotten gefüllt habe. »Ich trag dir den noch runter.« Er verschwindet aus meinem Zimmer. Als ich ihm nachgehe, steht der Sack vor der Haustüre und Janiel ist weg. Im Bus sitze ich alleine mit meinem müllblauen Kleidersack, frage mich, in was für einer Gestalt Janiel mir gerade folgt. Was seine richtige Gestalt ist. Wie alt er wirklich ist. Wie er als Mensch war. Ob diese Madeleine wohl Janiels Tobi war. Ich frage mich, wie ich Janiel eine Freude bereiten könnte. Aber ich weiß es nicht. Valentine wohnt in einer sehr städtischen Gegend. Block an Block gehe ich die Reihen durch, lande vor einem Altbau. Königstraße 42. Hier ist es. Ich klingele, man macht mir auf. Das Treppenhaus riecht dumpf, nach Kälte, Holz und letztem Jahrhundert. Sechs Stockwerke muss ich bezwingen, um zu Rapunzel, äh Valentine, zu gelangen. Sie öffnet mir die kastanienbraune Holztür, die mit allerlei Ornamenten geschmückt ist, genau wie die Treppenpfeiler. Jetzt schon sieht sie ganz anders aus als an dem Tag, an dem sie zu uns in die Klasse kam. Sie hat den Concealer aufgelegt. »Hey Manu! Die anderen sind noch nicht da, aber komm rein!« Neugierig mustere ich die Wohnung. Valentines Eltern scheinen nicht zu Hause zu sein. Im Flur liegen Regenschirme, Schals und Handschuhe zerstreut auf einer Kommode, dazwischen noch mehr Krimskrams, wie Stifte und Post-Its. Der Schuhschrank ist vollgestopft mit Wanderschuhen, Stahlkappenschuhen, Sneakers und Pantoffeln. Der orientalische Teppich bildet eine Falte, ist verrutscht. Es macht keinen ordentlichen Eindruck. Ich folge Valentine durch das Wohnzimmer. Hier ist es nicht besser. Hinter dem Flachbildfernseher befindet sich die angrenzende Theke, die zur Küche führt. Flaschen liegen herum, leere. Klamotten. Noch mehr Pantoffeln. Und noch ein paar Kartons. Nun gut, man kann es der Familie nicht übel nehmen, sie wohnen höchstens zwei Wochen hier. Es ist nicht einmal alles ausgepackt. »Das ist das Zimmer von meinem Bruder … und das ist meins«, zeigt mir Valentine. »Und neben der Eingangstür im Flur ist das Bad, nur damit du es weißt.« »Du hast einen Bruder? Wie alt?« »Neunzehn. Aber er ist ätzend. Hast du auch Geschwister?« »Nein.« Vielleicht hätte ich noch welche bekommen, wenn mein Leben nicht so scheiße wäre. »Wie heißt dein Bruder?«, frage ich. »Dominik«, sagt sie. »Und warum ist er so ätzend? Ich stelle es mir cool vor, einen älteren Bruder zu haben.« »Ist es nicht. Glaub mir.« Wir betreten ihr Zimmer. Hier ist es viel aufgeräumter, Valentine hat sich wohl reingehängt, weil sie wusste, dass wir kommen. Mann, seit Janiel bei mir wohnt, bin ich pingelig geworden. Das ist echt ansteckend. Valentines Zimmer ist das Gegenteil von meinem, alles ist schwarz-weiß. Schwarze Möbel, weiße Wände. Auch hier stehen noch zwei unausgepackte Umzugskartons in der Ecke. Wenn man von Valentines Fenster rausguckt, kann man über einige Dächer der Vorstadt schauen. Ziemlich cool. Da lohnt sich das Treppensteigen. »Darf ich dich was fragen?« Valentine wackelt unruhig mit dem Fuß. »Warum hilfst du mir?« Aus Mitleid. Kann ich das sagen? Nein. »Pechvögel müssen zusammenhalten, schätze ich.« »Worin hast du denn Pech? Bist du nicht mit diesem gutaussehenden Blonden zusammen?« Urghs. Sogar die Neue hat das eigentlich abgeschaffte Gerücht mitgekriegt! »Schon lange nicht mehr!«, zetere ich. »Wir sind richtig getrennt. Es ist aus, basta!« »Aber er hat doch mit dir auf mich gewartet, am Donnerstag?« »Äh … äh … das ist weil … «, ziehe ich meine Stotter-Nummer ab, bevor ich auf eine Idee komme. »Ok, ich verrate dir was, wenn du schwörst, es niemandem weiter zu erzählen!« Jetzt habe ich Valentines vollste Aufmerksamkeit. »Jan ist überhaupt nicht mit mir zusammen gewesen. Wir sind nur Freunde«, offenbare ich ihr. Sie zieht scharf die Luft ein. »Hat er dich etwa zurückgewiesen?!« »Hehe … nein.« »Ach komm, das kaufe ich dir nicht ab! Du bist wirklich nicht in ihn verknallt? Nicht mal ein kleines bisschen? Er ist mir sofort aufgefallen, schon an meinem ersten Tag!«, gibt Valentine zu. »Bist du etwa mit einem anderen zusammen?« »Öhm … also … « »Du bist in einen anderen verliebt! Wusste ich es doch!«, ruft sie glücklich aus. O je, Gerüchteküche, verdünnisiere dich bitte mal! »Also … «, will ich das Missverständnis aufklären, da unterbricht mich die schrille Klingel. Valentine kichert und springt zur Haustür. O weh. O weh, O weh, O weh. Zur gleichen Zeit tapste eine schneeweiße Katze durch einen sehr ungepflegten Vorgarten voller Brennnesseln. Unkraut hier und dort, der Mensch in diesem Hause war ein ziemlicher Faulpelz. Die Haustür war aus Metall, mattblau lackiert. Keine Katzenklappe. So ein Mist aber auch. Mit einem Satz sprang die Katze auf das morsche Fensterbrett, lugte durch die milchigen Gläser ins Innere des Hauses. Drinnen sah es nicht schöner aus. Dafür entdeckte die Katze, dass das Küchenfenster leicht offen stand. Volltreffer. So gelangte sie ins Haus, konnte ihren Plan durchführen. Der Mensch schien nicht da zu sein. Was für einen vergesslichen Schutzengel er wohl haben musste. Das Fenster offen zu lassen. Ts ts ts. Die Luft war rein, endlich konnte Janiel sich verwandeln. Es war so viel schöner, ein Mensch zu sein. Erleichtert nahm er sein magisches Pentagramm in die Hand. Das reine Gold erstrahlte, als er mit den Fingerspitzen darüber strich. Es war voll aufgeladen mit Magie. Das hatte er mit Sicherheit Eiael zu verdanken. Eiael war nicht nur sein Fan, er war viel mehr als das. Er war derjenige, den Janiel im Moment am meisten hasste, gleich nach Tobi. Janiel schüttelte sich. Er sollte sich beeilen. Das hier tat er für Manu. Er würde ihr ihren größten Wunsch niemals erfüllen können. Aber er konnte dafür sorgen, dass Manu zumindest etwas mehr Glück im Leben haben würde. Montage sind zum Kotzen, das weiß jeder. Bis auf Valentine, die wird es heute nicht erfahren. Valentine sieht jetzt offiziell aus wie eine Valentine. Als sie das Klassenzimmer betritt, fallen gewissen Idioten die Augen heraus. Manchen davon tropft sogar Sabber aufs T-Shirt. Ich denke darüber nach, dass Nadine fuchsteufelswild sein wird, sobald Valentine ihr unter die Augen kommt, und erfreue mich im Voraus daran. Habe ich schon erwähnt, dass Nadine mit Konkurrenz nicht klar kommt? »Morgen, Manu!«, wünscht Valentine mir einen guten Morgen, und wirft mir ein bezauberndes Lächeln zu, so dass sich jeder Junge in diesem Augenblick wünscht, an meiner Stelle zu sein. Aufgeregt fangen Lilly und Chantal, die wegen Elise gerade da sind, an zu tuscheln. Neugierig stelle ich mich dazu, während Valentine sich auf ihren Platz setzt und brav ihre Matheaufgaben nochmal durchgeht. »Woah! Was ist denn mit der passiert? Mutiertes Mauerblümchen?«, staunt Lilly. »Ich wette mit euch, die hat sich die Woche mit Absicht so hergerichtet, damit sie gleich sieht: Aha, die sind total oberflächlich«, wirft Chantal ein. Elise schüttelt den Kopf: »Also nee, kein Mädel würde sich freiwillig so in der Öffentlichkeit zeigen.« »Da muss ich dir Recht geben«, pflichtet Lilly ihr bei. Inzwischen hat sich ein schelmisches Grinsen über meinem Gesicht ausgebreitet. Elise, die Menschenkennerin, bemerkt es. »Hey, du hast doch bestimmt was damit zu tun, Manu! Los, raus mit der Sprache!« Und weil ich eine Quasselstrippe bin, kann ich mich nicht mehr zurückhalten und erzähle ihnen, dass Valentine schon immer eine Schönheit war und nur ein bisschen Mädchen-Know-How von Hanna und Co. gefehlt hatte, um das aufzupolieren. Die drei Mädchen sind sichtlich beeindruckt. »Ihr seid ja krass drauf«, meint Chantal. »Aber Leute, bitte erzählt es nicht so rum, es muss ja nicht unbedingt die Runde machen«, bitte ich. Im Hinterkopf denke ich mir: Oh doch, das sollte die Runde machen! Soll doch jeder wissen, wie hübsch Valentine wirklich ist! Wenn jemand Gerüchte streuen kann, dann sind es wohl die drei Schnatterbacken. »Was soll lieber nicht die Runde machen?«, unterbricht eine feindselige Stimme unseren Kaffeeklatsch. Nadine, wer denn sonst. Als sie Valentine erblickt, zuckt sie richtig zusammen. »Was ist denn mit der passiert?!«, krächzt sie in einem unerträglich hohen Ton, so, dass sich Daniel, der daneben sitzt, die Ohren zuhält. Valentine sieht kurz auf, lächelt Nadine mild an und widmet sich dann wieder ihrem Matheheft. » … « Nadine ist sprachlos. Danke, dass ich diesen Tag noch erleben darf! Es schneien nun Hanna und Karin herein, beide mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht. »Na Nadine, alles gut bei dir? Du siehst etwas … grün aus!«, bemerkt Karin, hält sich die Hand vor den Mund und kichert. Daraufhin flüstert Hanna Karin etwas ins Ohr. Nadine fasst sich halbwegs wieder. »Ihr müsst nicht so tun, als ob ihr nicht lästern würdet. Es weiß sowieso jeder.« Als ob man lästern würde, wenn man ihr ins Gesicht sagt, dass sie scheiße ist! Und schon rauscht sie ab. An ihren Platz. Neben mich. Ich bin echt gestraft, wieso muss ausgerechnet ICH neben ihr sitzen? Götter des Schicksals, habt endlich Erbarmen! Haben sie natürlich nicht. Freitag habe ich geschwänzt, um dieser Situation zu entkommen, aber heute muss ich mich in der Pause unfreiwillig meiner größten Angst stellen. Eine Gänsehaut läuft mir über den Rücken, deshalb drehe ich mich um. Hätte ich nicht tun sollen. Hinter mir steht Tobi. Er hat nicht mal Hallo gesagt, obwohl ich schon eine halbe Ewigkeit hier in dieser blöden Pausenschlange stehe. Hat mir nicht auf die Schulter getippt. Doch deswegen bin ich noch lange nicht unhöflich. »H-hallo.« Oh Mann, wieso muss ich jetzt schon wieder stottern? Irgendwie überkommt mich eine wahnsinnige Kälte und ich fange tierisch an zu zittern. Irgendwo zieht’s hier, ich schwöre. »Hi«, erwidert Tobi schwach. Wir haben uns nichts zu sagen. Weiß er was? Er tut so, als wäre ich nicht da, erkundigt sich nach dem Essensangebot. Ach, mir doch egal! Würde sowieso nichts ändern, wenn er es geschnallt hätte. Nachdem ich endlich meine Butterbrezel abbekomme, eile ich zu Valentine, die vor der Mensa sehnsüchtig wartet. »Hey Manu! Das hat ja ewig gedauert, ist das hier immer so?« »Mmh eigentlich nicht«, sage ich und beiße in die Brezel. Die große Pause dauert genau zwanzig Minuten. Das ist vermeintlich lang, ich habe jetzt schon keine Lust mehr auf den Unterricht. Wir haben heute sogar gleich zweimal Herrn Sommer, weil Französisch ausfällt! Ich wünschte, ich könnte es mir leisten, zu schwänzen. Ich schaue zur Cafeteria, wo Tobi sich mit der netten Köchin unterhält. Valentine hebt eine Augenbraue. »Kann es sein, dass du in den da verliebt bist?«, fragt sie haarscharf nach, womit sie den Nagel auf den Kopf trifft. Ich erröte zur Antwort. Schelmisch grinst sie mich an. Das ist ein So-so-da-läuft-doch-was-Blick. Mit dem liegt sie aber gründlich daneben. »WEN liebst du?«, will plötzlich Lilly wissen, die aus dem Nichts aufgetaucht ist. Zufällig läuft Hanna vorbei, schnappt das Wort »Liebe« auf. »Was? Manu? Du liebst wen?« Bevor ich auch nur den Mund öffnen kann, sind auch Karin und Sophie da. »Du liebst IHN also? Wen denn, mh?«, stichelt Sophie. »Ihn!«, kreischt Karin fast los, als sie Janiel irgendwo im Schülergewusel entdeckt. »Du liebst IHN!«, fassen die Mädels ihre Schlussfolgerung im Chor zusammen. Valentine ist offensichtlich verwirrt. »Hä? Wen jetzt?« »Na, Jan!«, stöhnt Lilly, genervt von Valentine. »Sie liebt Jan!« »Wer liebt mich?«, fragt ein Typ aus unserer Parallelklasse, der zufällig Jan Rottenmeier heißt. »Nicht dich! Dich liebt niemand!«, wimmelt Sophie ihn ab. Leicht enttäuscht beeilt sich KaRottenmeier, von hier weg zu kommen. »Ich dachte, der da, der To…«, kapiert Valentine und will auf die Cafeteria deuten. Schnell packe ich ihre Hand nach unten und bringe sie damit zum Schweigen. Woher zum Geier weiß sie seinen Namen?! Ich will nicht wissen, was passiert wäre, hätte sie Tobis Namen ausgesprochen. »Ihr versteht das falsch! Ich habe Jan am Donnerstag nur zufällig am Busbahnhof … «, kann ich endlich zur Hälfte aufklären. Erfreut über diese Information ziehen die Mädels neue Schlussfolgerungen über mein nicht-vorhandenes-Liebesleben, und lassen mich (schon wieder) nicht zu Wort kommen. » … also hat Manu … « » … ihn am Donnerstag am Busbahnhof getroffen und … « » … erkannt, dass sie ihn liebt!« Zufriedene Mädchengesichter grinsen mich an. »Ich liebe ihn n… «, fange ich an alles bestreiten zu wollen, werde allerdings von einem Schultertipper unterbrochen. Drehe mich hin, niemand da. Auf der anderen Seite steht Tobi. Mit offenem Mund gaffe ich ihn an. Oh, oh, das muss jetzt ziemlich bescheuert rüber kommen: Typ den ich am Donnerstag getroffen habe und anscheinend liebe … HALLO?! Er grinst auch nicht, ist eher genauso überwältigt wie ich. Aaaah, wie viel hat er gehört?! Es läutet zur nächsten Stunde und auf einmal haben sich alle aus dem Staub gemacht. Wobei Valentine unschuldig ist, Karin hat sie weggezerrt. Immer noch sehen wir uns entsetzt an. Geschockt. »D-du … du liebst mich?«, spricht er aus, was mir schon so lange auf der Seele gebrannt hat. Okay, das ist der Beweis, er hat genügend gehört! Schweigen. » … nicht mehr«, ergänze ich piepsig. Meine Stimme ist futsch. Ich glaube, ich bekomme gerade eine Erkältung. Schweigen. »Ach so … «, sagt er nach einiger Zeit. Schweigen. Ungefähr drei Millionen Jahre später räuspere ich mich. Wie abgesprochen drehen wir uns gleichzeitig um, beide purpurrot im Gesicht, und nehmen jeweils Kurs auf die entgegengesetzte Richtung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)