Warum Pechvögel fliegen können. von Whiscy (Die Schutzengel-Trilogie 1) ================================================================================ Kapitel 3: Der Nackte in meinem Bett ------------------------------------ Janiel ist schneller, springt auf und hebt mir die Hand vor den Mund. »Scheiße«, höre ich ihn murmeln. »So war das nicht geplant.« Ähm ja … allerdings! »Jetzt ist es zu spät, ich muss es dir sagen … ach scheiße.« Will er mich etwa … vergewaltigen?! Hilfe? Neuer Versuch zu schreien. Fail. Was ist denn das für eine Tour? Erst Leben retten, dann vergewaltigen und dann noch selber umbringen! Als einzigen Ausweg beiße ich ihm in die Hand. Funktioniert. Er flucht. Ich will fliehen, raus, da ruft Janiel: »Warte! Schau her!« Und ich schaue tatsächlich her – Ich bin so krank … Aber da steht nicht mehr Janiel. Oder doch. Da steht Kater Janiel, mit dem goldenen, weißen Fell. »Wie … ? Was … ? Hä?«, stammele ich und kann meinen Blick nicht von meiner Zauberkatze wenden. Fata Morgana verschwinde? Doch da verwandelt sich Janiel vor meinen Augen in den Menschen Janiel, umgeben von goldenem Licht (er ist schon wieder nackt). Also mal zusammengefasst: Janiel (Lebensretter) = Janiel (Kater) und umgekehrt. »Das ist Magie«, staune ich. »Na ja, so was Ähnliches. Hast du vielleicht eine Hose für mich?«, fragt er verlegen. Ich glaube irgendwie nicht, dass er mich vergewaltigen will. Ich meine, hallo – wie klingt das denn: Meine Katze will mich vergewaltigen. Okay, nachdem ich jetzt weiß, dass es NUR meine Katze ist, die in Wirklichkeit ein Mensch ist, bin ich ein wenig beruhigt. Seltsam aber wahr. Trotzdem frage ich mich, wie das sein kann. Und warum, vor allem. Aber zuerst soll sich der Kater-Mensch was anziehen. Da sind wir uns einig. »Warte«, sage ich, als ob es das Selbstverständlichste auf der Welt wäre, dass ein nackter Junge in meinem Zimmer Kleidung von mir haben will. Aber es ist ja nur mein Kater. Dann ist das doch okay, oder? Wenn es ein magischer Kater ist? Langsam bin ich ziemlich verwirrt. Ich eile in den Keller zu den verstaubten Kisten, die wir glücklicherweise aufgehoben haben. Seit sieben Jahren. Ich öffne eine, finde eine alte Jeans und ein Hemd, fische sie heraus und begebe mich wieder nach oben. Gespannt spähe ich durch die leicht geöffnete Tür. Ist er immer noch da? Ja, ist er, doch jetzt wieder als Kater, vermutlich, um nicht komplett nackt dazustehen. Ich werfe die Klamotten auf das Bett und knalle die Tür hinter mir zu. Ich bin nicht so pervers, dass ich ihm beim Umziehen zuschaue, auch wenn es nur meine Katze ist! Da geht die Tür von alleine auf. Janiel steht vor mir, in dem Hemd meines Vaters. Es steht ihm ausgezeichnet. »Danke. Ich glaube, ich muss dir was erklären«, sagt er. Allerdings. Wir setzen uns beide auf das pinke Laken und ich sehe ihn gespannt an. »Bist du eine Zauber-Katze?« Er lacht. Und da ich keine Angst mehr vor ihm habe, denke ich mir, er lacht genauso charmant wie Tobi. Ich finde es schön. »Nein, nicht wirklich. Ich bin … mmh … wie soll ich sagen … « »Okay, wieso lagst du nackt in meinem Bett? Nein halt, du lagst da, weil du meine Katze bist. Aber wieso ist meine Katze jetzt du? Hä? Ich blicke da nicht mehr durch … « Ich bin verwirrter als vorher. »Versuch du es mal mit der einfachsten Erklärung«, fordere ich ihn auf. Janiel holt tief Luft, breitet die Arme aus. »Ich bin dein Schutzengel.« Ich hätte ihm alles geglaubt, wirklich alles, aber jetzt pruste ich los. »Hey das ist nicht lustig!« Ich lache mich tot. Falle vom Bett. »Jetzt kannst du auch mal wieder aufhören.« Der vermeintliche Engel zieht einen Schmollmund. »Immerhin habe ich dich vor dem Lieferwagen gerettet.« Grinsend wische ich mir eine Träne aus dem Auge. »Das stimmt vielleicht, aber wie ich dir erklärt habe, bin ich der größte Pechvogel auf Erden. Wenn es einen Menschen gibt, der keinen Schutzengel hat, dann bin ich das. Oder du hast geschlampt.« Janiel sieht mich bedenklich an. »Was?«, entgegne ich. »Du hattest tatsächlich keinen Schutzengel. Man hat mich, erst kurz bevor du fast gestorben bist, zu dir gesandt. Normalerweise hat jeder Mensch einen Schutzengel. Nur du hattest keinen.« »Was?«, wiederhole ich mich. Der Typ ist doch kein Engel. Aber was er sonst noch so sein könnte, weiß ich nicht. »Keine Ahnung warum. Und das heute tut mir leid. Ich wollte eigentlich die Gestalt einer Katze behalten, aber da ich noch nicht so viel Übung im Gestaltwandeln habe, habe ich mich in meine erste Form zurückverwandelt. Als Kater hätte ich dich beschützen können wie ein ganz normaler Schutzengel. Aber ich habe versagt. Und die Regeln habe ich gerade auch gebrochen, aber Camael ist mir egal.« Mit einer gehobenen Augenbraue stelle ich fest: »Du bist wirklich ein Engel, oder?« »Na, das sag ich doch schon die ganze Zeit!«, regt er sich auf. Das ist irgendwie süß. Ein »Engel«, der sich aufregt. »Wie meinst du das mit Regeln gebrochen … ?« »Kennst du etwa einen Menschen, der zu hundertprozentiger Sicherheit von seinem Schutzengel weiß?« »Ach so, na klar! Jetzt check ich’s! Ist ja ganz normal, dass ich alle Regeln von Schutzengeln kenne!«, meine ich ironisch. Janiel schüttelt den Kopf. »Du bist echt … « »Ich bin was?« »Vergiss es.« »Nein sag!« »Lieber nicht.« »Warum nicht?« »Egal.« »Oh Mann.« Seufzend strecke ich mich. Wie soll das nur weitergehen? Okay, ich sitze hier, mit meinem Schutzengel, auf meinem Bett. Und jetzt? Ich hab keine Ahnung. Aber ich weiß, dass ich jetzt Unterricht habe. Also verhalte ich mich ganz normal, gehe ins Bad, ziehe mich um, putze meine Zähne, esse was. Tue so, als ob er nicht da wäre. Vielleicht träume ich ja noch und werde vor Schreck aufwachen, sobald ich Nadines liebreizendem Gesicht im Klassenzimmer begegne. Mama ist schon weg. Zum Glück. Ich nehme den Bus zur Schule. Versuche, das Ganze zu vergessen. Je weiter ich mich von zu Hause entferne, desto mehr kommt mir das alles tatsächlich wie ein Traum vor. Bis ich im Klassenzimmer sitze und Frau Wolke reinkommt. Mit einem neuen Schüler. »Bonjour les élèves. Das ist euer neuer Mitschüler, Jan Engel.« Der Name passt ja prima. Doch kein Traum. Wieso muss so was immer mir passieren? Mein rechter, rechter Platz ist leer. Da wünscht sich Frau Wolke den Janiel her. Schlecht. Sehr schlecht. Er grinst mich an. Ich denke, ich werde gleich ohnmächtig. Das ist zu viel. Habt ihr das gehört, ihr Götter des Schicksals? Zu viel! Jetzt habe ich ihn in der Schule am Hals. Langsam geht mir diese Sache ganz schön auf die Nerven. Kann nicht einfach alles normal sein? Jetzt werde ich auch noch von meinem angeblichen Schutzengel gestalkt! Zum Glück ist jetzt Pause, ich stehe bei den Mädels aus meiner Klasse. »Wie findet ihr den Neuen?«, fragt Hanna in die Runde. Ich mag ihn nicht. Er nervt. Aber das kann ich jetzt nicht so sagen. »Ich finde ihn voll süß. Ob der wohl eine Freundin hat, so gut wie er aussieht?« Das hat Nadine gesagt. Ich will von hier verschwinden, sofort! »Ja, er sieht echt voll gut aus. Wenn ich nicht schon einen Freund hätte … «, stimmt Sophie ihr zu. »Ja, er kommt so ziemlich meinem Traummann nahe«, sagt Karin und lächelt verträumt. »Ich finde auch, dass er total gut aussieht«, pflichtet auch Hanna bei. Die Mädels sehen mich an. »Du hast so ein Glück, dass du neben ihm sitzt«, schwärmt Karin. Ähm nein. Nicht wirklich. »Ich mag ihn nicht.« Jetzt ist es raus. Entsetzt blicken sie mich an. »Du bist echt merkwürdig, weißt du das?«, sagt Hanna und lacht. »Aber Hanna, Manu hat doch einen Freund«, wirft Nadine ein und fletscht die Zähne. Die letzte Silbe hat sie absichtlich betont. »Hey, dein Freund heißt doch genauso!«, fällt Sophie ein. Scheiße. Das hatte ich ganz vergessen. Janiel ist mein nicht vorhandener Freund! Was mach ich jetzt? Nichts, zu spät: »Aber warte mal … wenn ich mich recht erinnere … dann … dann ist das der Typ, den ich mit dir in der Stadt gesehen habe! Ich wusste doch, ich kenne ihn von irgendwoher!« Hanna hat ihn wieder erkannt. »Das ist dein Freund?!« Alle sehen mich verblüfft an. Was ist glaubwürdiger? Ich sage ja. »Ach deswegen hat er sich neben dich gesetzt!«, ruft Karin, neben der auch noch frei gewesen wäre. »Wieso sagst du denn nichts? Hattest wohl Angst, wir würden dich zerfleischen«, meint Hanna. »Keine Sorge, dein Geheimnis ist bei uns sicher.« Das glaube ich ihr gern, aber nicht Nadine, die mich immer noch unglaubwürdig anstarrt. »Da stimmt doch was nicht. Der geht doch nicht mit Manu.« Stimmt. »Och Mann Nadine, du gönnst Manu auch echt nichts! Denkst du echt, alle Jungs würden nur auf dich abfliegen und Manu eklig finden? Du bist echt das Letzte!«, diesmal ist Karin der Kragen geplatzt. »Ich weiß, dass ich Recht habe. Wenn die beiden wirklich zusammen sind, dann soll sie doch mal zu ihm gehen und ihn als Beweis küssen«, sagt Nadine gelassen. »Wieso muss sie ihre Liebe eigentlich rechtfertigen? Lass sie doch endlich mal in Ruhe!«, verteidigt mich Karin weiter. Ich bin ihr echt dankbar. Plötzlich steht jemand hinter mir. Ich spüre warmen Atem im Nacken, drehe mich um. Janiel nimmt mich in den Arm und küsst mich. Ich bin überrascht, lasse es aber zu, weigere mich nicht. Das würde mich nur in noch mehr Schwierigkeiten hineinreiten. Theatralisch schließe ich die Augen. Sekundenlang. Wir lösen uns voneinander. Seine Augen leuchten bernsteinfarben, fast golden. Mein erster Kuss. »Gut, dass ich jetzt näher bei dir wohne. Frankfurt war einfach zu weit weg … mein Schatz.« Nadine bekommt ihre Augen nicht mehr in den Kopf. 1:0 für mich. Später frage ich Janiel, was das sollte. Mich einfach so zu überrumpeln. Jetzt habe ich meinen ersten Kuss von meiner Katze bekommen … zum Heulen ist das! Er meinte nur, das wäre keine große Sache gewesen. Mir soll es recht sein. Wenigstens hat Nadine ein Eigentor geschossen. Bei Karin, Sophie und Hanna ist sie jedenfalls unten durch. Leider nicht bei Tobi. Ich habe noch mitbekommen, wie sie ihm traurig vorgeschwärmt hat, wie verzweifelt sie doch ist, dass Jan schon eine Freundin (mich) hat und das sie jetzt total deprimiert ist, weil sie sich schon Hoffnungen gemacht haben soll. Tobi hat sie getröstet und in den Arm genommen, ist ihr durch die Haare gefahren und hat sich um sie gesorgt. Das war draußen auf dem Pausenhof, in der zweiten Pause. Ich hasse sie. Aber wenigstens bedeutet das, dass ihr Knutschfleck nicht von Tobi stammt … hoffe ich jedenfalls … Für Knutschflecken muss man nicht in einer Beziehung sein, oder? Außerdem haben wir heute Nachmittagsunterricht. Kotz. Zurück im Klassenzimmer bemerkt Janiel meine schlechte Stimmung, und versucht mich aufzuheitern, indem er absurde Gestalten auf meinen Block kritzelt. Das ist total lieb, hilft mir aber auch nicht weiter. Ich überlege. Wenn ich Janiel mit Nadine verkuppelt hätte, dann wäre ich beide los gewesen. Aber geht das überhaupt? Ich meine, ein Mensch und ein Engel. Ein Engelskuss. Ist das erlaubt? Janiel malt auf meinen Block einen traurigen Smiley. Und schreibt: »Das ist Nadines Gesicht.« Ich muss lächeln. Janiel ist eine Klette. Auch in der Mittagspause leistet er mir in der Mensa Gesellschaft. »Etwas anderes wäre unnatürlich«, behauptet er. Vermutlich hat er damit sogar Recht. Aber seine Präsenz hält Tobi von mir fern. Obwohl, nun können Janiel und ich endlich ungestört reden, weil keiner zuhört und alle mit sich selbst beschäftigt sind. Außerdem sitzen wir ganz hinten in der Ecke. »Woher hast du gewusst, dass Nadine mich bloßstellen wollte? Und wieso hast du mich gerettet?« »Es war nicht schwer zu erraten, zumal ich wusste, dass du dieses Gerücht über mich in die Welt gesetzt hast … « »Du äh … wusstest das?! Woher? Seit wann … ?!« Das ist jetzt leicht peinlich! »Erstens haben mich die Jungs aus der Klasse auf das Thema angesprochen. Zweitens bin dir gefolgt von unserer ersten Begegnung an.« Wow. Seit meinem Fast-Tod also werde ich gestalkt. »Du bist unheimlich, weißt du das.« »Danke.« »Das war kein Kompliment!« Janiel sieht an mir vorbei, hin zur Aula. Ignoriert mich. Ich bekomme langsam Zweifel daran, dass er ein Mensch ist. »Angenommen, du bist wirklich, wirklich mein Schutzengel … heißt das dann, es gibt einen Gott?« Jetzt habe ich seine Aufmerksamkeit wieder. »Natürlich.« »Ich hasse Gott.« Der Engel fährt sich durch die Haare und massiert sich den Nacken. »Ich weiß.« Ich sage nichts mehr dazu. »Ich hole mir was vom Bäcker. Soll ich dir was mitbringen?«, fragt er plötzlich und steht auf. So was passiert einem auch nicht alle Tage. Völlig konfus, labere ich: »Nein, danke«, da stapft er schon los. Ich weiß ehrlich nicht, was ich davon halten soll. Als Janiel binnen fünf Minuten wiederkommt, legt er mir ein Schokocroissant hin. Er weiß es offenbar auch nicht. So sitzen wir da, in der Mensa. Er mampft ein Käsebrötchen, ich das Croissant. Etwas kommt mir verkehrt daran vor. Es fühlt sich gewohnt an. Aber irgendwie auch fremd. »Hast du sonst noch Fragen?«, will Janiel wissen, wischt sich den Mund mit einer Serviette ab, obwohl das völlig unnötig ist, nach so einem Käsebrot. Er ist so ein hübscher Kerl. Hohe Wangenknochen, eine schwungvoll verlaufende Wasserlinie. Die Augen nicht zu nah und nicht zu weit auseinander. Eine leicht schräge Nase, ohne Huckel mit kleinen Nasenflügeln. Ein schmaler Mund, der zum Küssen einlädt. Aber dieser Blick. Lässt ihn so alt aussehen. Vielleicht ist er das ja auch. »Bist du wirklich siebzehn?« »Nächste Frage.« »Ich will das aber wissen.« »Nächste Frage.« Ich seufze. »Gut. Musst du mich die ganze Zeit verfolgen? Jetzt mal im Ernst, ich finde das wirklich creepy.« Er kramt in seiner Tasche, packt ein Taschenbuch auf den Tisch und lehnt sich damit zu mir vor. »Das hier ist das Grundregelbuch für angehende Schutzengel. Hier steht klar und deutlich drin, dass ich dich nicht einmal für eine Sekunde allein lassen darf.« W-was. W-WAS?!! »Nein jetzt, oder.« »Doch jetzt.« Der hat sie doch nicht mehr alle. Böser Traum, ich will aufwachen. Tobi wird mich bis in alle Ewigkeit meiden, wenn dieser Typ da vierundzwanzigsieben bei mir ist! »Mund zu, sonst kommen Fliegen rein.« »Ich finde das nicht witzig! Gib mal her, das kann doch nicht dein Ernst sein!«, plärre ich und grabbele nach dem Buch, das Janiel gekonnt wegzieht. »Ah ah ah. Dazu bist du nicht befugt.« »Ich kann dir doch nicht jeden Mist glauben, den du da von dir gibst!« »Stimmt. Musst du auch nicht. Am besten wäre es vermutlich, wenn ich dein Gedächtnis lösche … «, überlegt er, fängt an in dem Taschenbuch zu blättern. Es sieht ziemlich neu aus. Das soll wirklich ein Regelbuch für Engel sein … ? Ich kann es ihm kaum abkaufen. Das Ding könnte vom Design her der neue Bestseller von Charlotte Roche sein. »Moment – Ich will mein Gedächtnis gern behalten!« »Ich weiß nicht, du hast mich nackt gesehen … « »Gut, das können wir streichen. Aber der Rest bleibt!« Wenn so was überhaupt geht. »Jaja.« »Fick dich!« So wütend wie jetzt war ich schon lange nicht mehr. So dunkel, wie ich ihn anfunkele, funkelt es zurück. »Du wirst nie erfahren, dass es mich gibt. Du wirst dein Leben leben können, ohne etwas von der Existenz von Schutzengeln zu wissen. Du wirst glücklich sein, dafür werde ich sorgen – im Verborgenen. Bis zu deinem Tod.« Ich schüttele wild den Kopf. »Vielleicht will ich das nicht vergessen!« »Es ist besser für uns beide. Ich werde dir nicht länger auf die Nerven gehen.« »Du hast gesagt, ich darf dich Sachen fragen.« Ich balle meine rechte Hand zu einer Faust, klopfe leicht auf den Tisch. Ich frage: »Warum bist du so traurig?« Er schaut auf. Das erste Mal schaut er auf, seit er seine Nase in dieses Buch gesteckt hat. » … « »Gut, das kann ich auch.« » … « Wir sitzen da. Ein Engel und ein Mensch. Wissen beide nichts zu sagen. Es ist Wochenende. Zeit, mich vor niemandem rechtfertigen zu müssen. Vor niemandem, außer meiner Mutter. Neben mir steht Janiel, der Engel. Und gemeinsam stehen wir vor unserem Mehrfamilienhaus. Von außen sieht es aus wie ein Betonklotz. Wie ein liebenswerter Betonklotz, denn unser Dach leuchtet in einem ausgeblichenen Ziegelrot, das mittlerweile schon als Rosé durchgeht. Durch den Kontrast sieht das Hellgrau fast weiß aus. Wenn die Fassade nicht so viele Risse und Putzabfälle hätte, würde der Bau definitiv was hermachen. Bilde ich mir ein. Ich schließe uns die Tür auf. Den ganzen Weg von der Schule bis nach Hause ist er mir nachgelaufen. Schweigend. Das kann er wirklich gut (ich habe versucht ihn anzuquatschen, vergeblich). »Willst du jetzt nicht wieder meine Katze werden?« » … « »Dann gibt’s heute keinen Lachs.« » … « Oh Mann. Er ist echt anstrengend. Sie ist nicht da. Zum Glück. Noch nicht. Wir schlurfen rein. Ich pfeffere meinen Rucksack in den Flur. Nachdem die Tür ins Schloss gefallen ist, stelle ich mich direkt vor Janiel. »Was ist jetzt. Wolltest du nicht mein Gedächtnis löschen?« »Hab’s mir anders überlegt.« Badadadamm. Was soll das jetzt heißen. »Ich werde als Kater bei dir bleiben.« »Woher kommt dieser Sinneswandel?!« » … « Oh nein, nicht das schon wieder. Das kann er wirklich gut. Den Blick, den er drauf hat, wenn er schweigt. Man empfindet richtig … Schmerz. Aber gut, dieser Kompromiss soll mir recht sein, damit ich die Erinnerung an meinen ersten Kuss behalten darf. Mal davon abgesehen frage ich mich, wie er das mit dem Gedächtnislöschen anstellen wollte … aber auf diese Frage antwortet er bestimmt genauso offenherzig. Ich seufze. Und während ich seufze, fängt Janiel doch tatsächlich damit an, unsere Schränke zu durchwühlen. »Was treibst du da?! Man macht keine fremden Schubladen auf!« »Wenn ich hier schon wohnen muss, dann wenigstens in einer sauberen Umgebung.« »Unterstellst du uns gerade, dass es hier dreckig ist?!« » … « Er räumt alles beiseite, was auf dem Boden liegt (Vasen, Fernsehkabel, Pfandflaschen), findet den Staubsauger und mutiert zum Putz-Engel. Echt jetzt? »Dein bisheriges Pech hast du dir teilweise selbst zuzuschreiben. Allein dein Zimmer. Kein Wunder, dass du nie deinen Bus erwischst, man findet da ja kaum was«, beschuldigt er mich. »Auf deine Meinung kann ich verzichten! Und wie kommst du überhaupt darauf, dass du hier bleiben darfst?!«, pflaume ich zurück. Zynisch zieht er eine Augenbraue hoch. »Soll ich dein Gedächtnis lieber doch löschen?« Mist, er sitzt am längeren Hebel! »Hach, w-weißt du w-was! Verschwinde w-wieder dahin, w-wo du hergekommen bist! Ich komme auch o-ohne Schutzengel gut klar!!«, stottere ich. » … « Gekonnt ignoriert er mich weiter, während er den Staubsauger anschmeißt. Ach, scheiß drauf. Mir wird alles zu bunt, ich verziehe mich in mein Zimmer. Sehe mich in der rosanen Hölle um. Stelle fest, dass Janiel Recht hat. Fange an, aufzuräumen. Zwölf Schubladen, einen Kleiderschrank und einen Bettschrank später ist mein Zimmer komplett umsortiert und entstaubt worden. Und nicht nur das. Als ich die laminierte Treppe zu unserem Wohnzimmer herunter tapse, ist dort alles picobello gesäubert worden. Jetzt kann man vom Boden essen. Das denkt sich bestimmt Kater Janiel, der da jetzt mit eingeringelten Katzenschwanz mitten im Raum steht. »Okay, du hast gewonnen. Bist du jetzt glücklich?«, gebe ich zu. Die Katze maunzt. Im selben Augenblick dreht sich ein Schlüssel im Schloss, meine Mutter kehrt heim. »Hi Mama!« »Hallo Manu! Oh … was ist denn hier passiert?«, staunt sie, lässt ihren Blick durch den Raum schweifen und kommt gar nicht mehr aus dem Staunen heraus. »Das warst aber nicht du.« Die Katze miaut. Ich stelle mich demonstrativ vor Janiel, gebe ihm einen Schubs in die Seite mit dem Fuß. »Muss wohl ein Engel gewesen sein«, verkünde ich harsch, woraufhin es widerspenstig miaut. »Manuela … ich freue mich wirklich sehr. Dankeschön!«, sagt sie mit einem Lächeln in den Augen, stellt anschließend ihren Damenrucksack in die Garderobe und zieht ihre herbstliche Plusterjacke aus. Als sie aus dem Flur wiederkommt, verkündet sie diesmal: »Weißt du was, Manu? Morgen koche ich dein Lieblingsessen, wie wäre das?« »Ähm … ja … gut?« Ich kann es gar nicht fassen, wie glücklich meine Mutter plötzlich ist. Sie fängt an zu summen, während sie im Raum umhergeht. Sie summt. Sie summt! Das hat sie seit Jahren nicht mehr gemacht. »I-ich … bin dann i-in meinem Zi-zimmer … «, stammele ich, benommen von der ganzen Sache. Fliehe. Kann trotzdem Janiel nicht entkommen, der mich verfolgt und sich prompt in einen Menschen verwandelt, sobald meine Zimmertür zufällt…. Erstaunlicherweise trägt er aber diesmal Klamotten. »Was soll das?! Wieso verwandelst du dich jetzt? Wenn meine Mutter dich erwischt, gibt es Ärger! Und wieso hast du eigentlich Kleidung an?!« »Soll ich mich etwa ausziehen?«, fragt er. »Nein! Nein!«, plärre ich. »Aber … « »Schon gut. Ich erkläre es dir: Ich glaube, wir sollten miteinander reden, wie es weitergeht. Funktioniert als Mensch besser, als als Tier, findest du nicht?« Hrrm. Wie es weitergeht. Ich kann nicht mal die Gegenwart fassen, wie soll ich da über die Zukunft nachgedacht haben? »Dann sag mir doch mal, wie es weitergeht … « Mit einem Puff! erscheint der Möchtegern-Charlotte-Roche-Bestseller alias Grundregelbuch für angehende Schutzengel in Janiels Händen. Er blättert darin, bis er die ersuchte Stelle findet. »Rein theoretisch müsste Meister Camael nicht mitbekommen haben, dass du über uns Bescheid weißt … Ich möchte vorschlagen, dich auch weiterhin in Menschengestalt zu beschützen. So unüblich ist das gar nicht, soweit ich hier sehe … einige Engel erscheinen den Menschen in selbiger Gestalt.« »Und warum? Reicht es dir nicht schon, mich als Katze zu stalken? Allgemein kannst du auch wieder zurück in den Himmel fliegen oder wie man das so macht. Bisher bin ich in meinem Leben auch gut ohne Schutzengel klargekommen, weißt du«, erkläre ich ihm. »Ich kann dich nicht verlassen.« »Falls das romantisch klingen sollte: Das tat es nicht.« »Das meine ich auch nicht romantisch. Ich habe einen Vertrag unterschrieben.« Janiel hält mir einen Papierfetzen unter die Nase. Schutzengel-Abkommen. Aha. Das sagt mir ja so viel. »Du hast doch eh schon die Regeln gebrochen, oder? Was macht da schon eine mehr aus. Fakt ist: Ich brauche dich nicht als Schutzengel«, stelle ich fest und wundere mich über mich selbst. »Mein Pech begleitet mich schon jahrelang … zugegeben, seit du da bist … ist es etwas gemindert … aber ich will dich nicht mein Leben lang bei mir haben. Das ist so was wie eine Heiratsentscheidung und ich bin mit fünfzehn definitiv zu jung für so was! Bisher habe ich es doch auch irgendwie geschafft … ganz allein … « Irgendwie werde ich traurig. »Du verstehst da was falsch … « »Nein!«, unterbreche ich ihn. »Du kannst hingehen wohin du willst, ich werde nicht petzen, versprochen! Wem-auch-immer! Und ich verrate keinem von euch Schutzengeln! Würde mir eh keiner glauben … « Janiel fasst mich an der Schulter. »Manu, es geht nicht darum, dass du mich ertragen musst, es geht darum, ob du lebst!« Mein … Leben? »Als ich auf die Erde gekommen bin, tat ich dies, um dein Leben zu retten! Du wärst gestorben ohne mich! Und sobald ich dich verlasse – bist du dem Tod geweiht. Ich darf dich nicht alleine lassen. Es ist meine Pflicht. Und da du mich nicht vergessen willst – möchte ich das als meinen Vorteil nutzen, um dich besser beschützen zu können«, erläutert Janiel, der mir tief in die Augen schaut. Seine Iris ist so hell. Unmenschlich. Die Sorge leuchtet mich an. Aber diese Sorge. Sie ist nicht echt. Was ist schon echt? »Moment … wenn du gehst … sterbe ich also?« »Jep.« »Ist das … mit jedem Mensch so? Ist das Gottes Plan, von dem du erzählt hast?« »Jep. Jeder Mensch hat einen Schutzengel. Wenn ihn dieser verlässt, stirbt der Mensch. Mein Meister entsandte mich, um dir das Leben zu retten und dir fortan beizustehen, bis ich dich eines Tages verlassen muss.« »Warum … hatte ich denn keinen Schutzengel?« »Ich weiß es nicht. Ich bin eigentlich kein Schutzengel.« »Und was dann?« »Das ist eine gute Frage.« Jetzt habe ich ihn für immer an der Backe. Das ganze Wochenende lang hat Janiel sich brav als Kater getarnt, doch jedes Mal wenn ich ihn sehe, werde ich mir darüber bewusst, dass er mich garantiert nicht mit den Augen einer unschuldigen, dummen Katze wahrnimmt. Ich habe angefangen, meine Kleidung bewusster zu wählen (Ade, Teddybär-Aufdruck-Pyjama), mich weniger gehen zu lassen (Hallo, Dusche!) und freiwillig Mathe zu lernen, anstatt wie üblich Soaps im Fernsehen zu gucken. Der Nachteil ist, ich bewege mich nun in Janiels Gegenwart von A nach B so steif wie geschlagene Sahne. Darf ich vorstellen? Manu, Miss Roboter. »Warum läufst du denn so komisch? Das geht schon seit Freitag so … «, bemerkt der aufmerksame Janiel, der sich gerade zusammen mit mir für die Schule fertigmacht. Es ist Montagmorgen, Janiel ist gerade mal fünf Minuten lang wieder ein Mensch und geht mir jetzt schon auf die Nerven. »I-ich laufe ni-icht komisch!« »Wenn du meinst … pass aber auf, wohin du läufst.« Ich laufe komisch, weil ich mich beobachtet fühle. Ist doch klar. Leider lässt er mich nicht aus den Augen. Dafür darf ich beobachten, wie Janiel sich eine Krawatte bindet. »Hemd, Pullunder und Krawatte? Ernsthaft? Und wo hast du das Zeug überhaupt her?« Der Engel sieht mich scharf an. »Ein wenig mehr Eleganz würde dir auch nicht schaden.« Bamm bamm baamm! Ich sehe an mir herunter. Was ist denn an einer zerrissenen Jeans, Sneakers und einem T-Shirt mit dem Aufdruck »Hey ho, let’s go!« so falsch? »Vergiss es. Dein Gesicht verrät mir deine Gedanken.« »Nein, jetzt mal ehrlich, was passt dir daran nicht?« Er seufzt. Ich seufze. »Pass auf«, sagt Janiel, geht rüber zu meinem Kleiderschrank. »Eines deiner größten Probleme ist diese Nadine, richtig?« »Goldrichtig«, bestätige ich nickend. »Du willst ihr zeigen, dass du kein leichtes Opfer bist. Richtig?« »Richtig.« »Dann zerren wir ihr doch am besten Mal den Teppich unter den Füßen weg.« Janiel reißt den Ikea-Schrank auf, geht meine kürzlich feinsortierten Kleider durch. »Wenn du willst, dass die Gerüchte über dich aufhören, musst du etwas dagegen unternehmen. Und am besten auch keine neuen mehr in die Welt setzen.« »Welche Gerüchte?!« Bis auf das mit meinem imaginären Freund, fallen mir keine ein. »Oh … du weißt es gar nicht … « »Was weiß ich nicht?!«, flippe ich aus. Nach einem Räuspern erklärt Janiel: »Nadine erzählt herum, dass du so arm bist, dass du Pennern die Kleider vom Leib reißt. Beziehungsweise, dass du ausschließlich in Second-Hand-Shops unterwegs bist.« »Diese … !«, zische ich. »Diese miese … Grrrr!! Das ist so was von ihr Niveau. Und mal davon abgesehen, was ist so schlimm an Second-Hand-Shops?!« »Das ist also wahr?«, hakt er nach. » … «, schweige diesmal ich. » … aber das mit den Pennern nicht!« »Tut mir leid … «, sagt Janiel sich durch die Haare fahrend. »Zieh einfach an, was du möchtest.« »Nein, jetzt möchte ich wirklich wissen, was du mir andrehen wolltest!«, protestiere ich. »Na gut.« Mit ein paar Handgriffen pickt er mein zukünftiges Outfit heraus. Meine Mundwinkel gehen nach unten, als die Sachen ausgebreitet auf meinem Bett liegen. »Das ist ein Kleid!« »In der Tat.« »Ich ziehe keine Kleider an!« Er hebt eine Augenbraue hoch, deutet auf die totalrosa Wand und den anderen pinken Kram in meiner Bude. »Ich weiß. Aber mir steht kein Kleid! Ich habe nicht die Figur dazu!« »Warum besitzt du es dann?« »Das hat mir meine Tante geschenkt! Du weißt schon, eines dieser Weihnachtsgeschenke, die zehn Jahre lang rumgammeln, bevor sie in der Altkleidersammlung landen!« »Ich finde es hübsch. Es würde dir bestimmt gut stehen. Aber wenn du Nadine keins auswischen willst, musst du es natürlich nicht anziehen«, wehrt er schulterzuckend ab. Und lächelt dabei süffisant. War ja klar, dass die Masche bei mir zieht. Als wir in der Bildungsanstalt alias Schule aufkreuzen, trage ich dieses Kleid. Es betont die Taille, die Hüfte. Der Rock hebt sich ab von meinem Hüftknochen, springt in alle Richtungen weg. Es erregt Aufmerksamkeit. Schon an der Bushaltestelle tuscheln alle, obwohl ich meine schwarze, unauffällige Jacke übergezogen habe, so dass man nur noch den Rock sieht. Und meine quasi-nackten Beine. Ich hasse meine Beine. Kennt ihr diese spitzen, zarten, zerbrechlichen Knie? Die habe ich nicht. Ich bin gestraft mit Knubbel-Knien. Dicken, weißen Waden, deren Poren so groß sind wie Reißnägel. Gut, vielleicht auch nur so groß, wie die Reißnagelspitze. Meine nackte Haut blitzt Janiel sei Dank nicht hervor, er verordnete mir Kniestrümpfe und eine dunkle, aber leicht durchschimmernde Strumpfhose. Das soll sexy aussehen. Woher der das nur weiß. »Wer ist das denn?« Tuschel, tuschel, tuschel. Eine Horde Mädchen läuft an uns vorbei, als wir auf dem Weg zum Schulgebäude sind. »Noch nie gesehen … und der Typ erst!« Offensichtlich machen wir Eindruck. Janiel grinst mich frech an. Der Ich-hab’s-dir-doch-gesagt-Blick. Ich strecke ihm die Zunge heraus. Vor der Aula sehe ich Tobi, den Arm um Nadines Schultern gelegt. Sie funkelt mich böse an, er bemerkt uns vorerst nicht. Dann realisiert Nadine, dass ich nicht irgendwer bin, sondern ihre geliebte Manu. Schockstarre. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Janiel und ich beobachten, wie Nadines Gehirn rattert. Plötzlich wirbelt sie herum, ihre Lippen berühren fast Tobis Ohr, sie flüstert ihm etwas zu. Dann umarmt sie ihn. Mein Grinsen verabschiedet sich. Was die können, können wir auch. Das denkt sich Janiel hundertprozentig, denn er legt – ebenfalls – demonstrativ den Arm um mich. Wütend schaut Nadine jetzt aus der Wäsche. Daraufhin zieht Janiel mich zu ihnen rüber. Was hat er denn jetzt schon wieder vor?! »Hallo! Ihr seid Freunde von Manu, richtig? Freut mich euch kennen zu lernen. Ich bin Jan.« Janiel lächelt sein schönstes Lächeln und ich muss zugeben, dass es strahlender ist als Tobis. Doch für mich ist Tobis Lächeln einzigartig. Nur Nadine haut es fast um beim Anblick meines sogenannten »Freundes«. »Hi! Jep, so könnte man das nennen. Ich bin Tobi, Parallelklasse«, antwortet er und hält Janiel die Hand hin. »Schön, dich kennenzulernen!« Tobi meint das tatsächlich ernst und freut sich. Freut sich für mich, weil ich einen Freund habe. Weil er mich dann los ist. Tobi sieht Janiel an, lächelt ihn an. Er bemerkt nicht einmal, dass ich zum ersten Mal in der Schule ein Kleid anhabe. Ich will verschwinden, im Erdboden versinken. Ich will alleine sein. »Und du bist … ?«, wendet sich Janiel scheinheilig an Nadine. »Nadine. Aber Manu ist nicht meine Freundin. Dafür hat sie viel zu viele schlimme Dinge getan.« Bamm! Tobi schaut mich entsetzt an, Nadine geht einfach. Doch davor sagt sie zu Janiel: »Wenn ich du wäre, würde ich mich von ihr fern halten. Sonst passiert dir das Gleiche wie mir.« »Wovon … äh … wovon spricht sie?«, will Tobi von mir wissen. Ich kann nicht mehr. Die Tränen brechen aus mir hervor. Janiel umarmt mich, Tobi steht nur noch verdattert da. Sie scheut vor nichts zurück. Sie lässt mir nicht mein Glück. Macht alles kaputt. Mich kaputt. Will mich am Boden sehen. Will mich in tausend Stücke zerbrechen. Dabei habe ich ihr vertraut. Wieso? Wieso macht sie das nur? Warum lässt sie mich nicht endlich in Ruhe? Warum will sie mich fertig machen? Was hat sie davon, mich unglücklich zu sehen? Ich hasse sie. Ich hasse sie. Ich hasse sie. Ich hasse sie. Ich habe ihr vertraut. Es klingelt. Ich heule immer noch. Keiner rührt sich. »Vielleicht … solltest du dich einfach bei Nadine entschuldigen?« Tobis Stimme. Die Tränen schießen nur so hervor. »DU IDIOT! Manu hat gar nichts getan, sonst würde sie doch jetzt nicht weinen!«, entfährt es Janiel. So wütend erlebe ich ihn das erste Mal. Er schweigt immer wenn er sauer ist. Er wird nicht laut. Aber jetzt … Tobi weicht zurück. »Okay, okay. Ich gehe dann mal.« Er geht wirklich. Einfach so. Lässt mich im Stich. »Warum hast du das getan?«, breche ich hervor. Janiel schweigt. Den Rest des Tages strafe ich meinen Schutzengel mit Ignoranz, Flucht und eisernem Schweigen – habe ich immerhin von ihm gelernt. Das funktioniert ganz gut, weil mich ein paar Mädels aus der Klasse in der Pause belagern, um meine Stilveränderung zu begutachten. »Ich wusste gar nicht, dass du auf so einen Look stehst, Manu!« Hanna staunt. Nun ja, wusste ich auch nicht. Ich versuche, einen gewissen Jemand nicht anzusehen. »Das ist echt süß! Wo hast du das Kleid gekauft? Du musst mir unbedingt den Laden sagen!«, plappert Karin, das Mädchen unter den Mädchen in der Klasse. Ihr würde mein Outfit definitiv besser stehen. »Also … es war ein Geschenk, sonst würde ich es wohl auch nicht anziehen«, gebe ich zu. »Ein Geschenk? Von deinem Freund etwa?«, hakt Sophie nach, die misstrauisch ihre Fingernägel betrachtet. French Nails. Sophie ist immer sehr stylish gekleidet. Sportlich, aber schick. Ein bisschen wie Nadine. Nur, dass Nadine leider, leider meistens hübscher aussieht. Mit Sophie habe ich noch nie alleine geredet. Sie klebt meistens an Hanna und Karin dran. »N-nein! Niemals! Ich habe es von meiner Tante!«, flippe ich halb aus, füge dann hinzu: »Wirklich!« »Dein Freund hat aber auch einen ziemlich guten Geschmack«, stellt Hanna fest. Sie spielt an ihrem Bettelarmband herum. »Hach, wie beneidenswert!« Als sie das sagt, nicken auch die anderen beiden Mädchen. »Verrate uns dein Geheimnis, Manu! Wie kriegt man so einen?« Das ist eine gute Frage. Ich würde ihn ja gern loswerden. Moment. Das ist eine gute Idee. »Hach, ich weiß auch nicht … muss wohl Karma sein«, winke ich ab. In dem Moment rettet mich die Schulglocke. Und Dr. Sommer. »Herr Sommer, haben sie schon den Mathetest korrigiert?«, belagert Klassenstreber Philipp ihn, sobald er die Schwelle übertritt. Doch der grinst nur. »Keine Sorge, ich bin noch nicht dazu gekommen, reinzuschauen. Heute widmen wir uns dem ganz normalen Unterricht.« Und das tun wir. Weil ich zwischen Janiel und Nadine sitze, bekomme ich die ganze Mathestunde über mit, wie Nadine ständig zu Janiel rüber schielt, versucht, ihn mir mit ihrem falschen Lächeln auszuspannen. Ich wage nicht, ihr in die Augen zu sehen. Das käme einer Kriegserklärung gleich. Soll sie ihn doch haben. Die Pute. Vermutlich ist ihr Lächeln nicht mal gespielt. Sie freut sich wirklich. Immerhin geht sie davon aus, dass sowohl Janiel als auch Tobi mich nun hassen. Mit Letzterem hat sie leider Recht. »Mensch Manu, es tut mir leid!«, ruft Janiel hinter mir her, während ich schon zehn Meter weiter bin. Wir sind auf dem Nachhauseweg. »Manu!« Er hat mich eingeholt. »Ich wollte nicht deine Gefühle verletzen. Ehrlich.« Abrupt mache ich auf dem Absatz kehrt. »Tobi hat mich gemocht! Du kannst mich doch gar nicht leiden, du tust nur deinen komischen JOB! Jetzt mag mich niemand mehr, weil Tobi der Einzige war und das hat mir auch gereicht! Für was hältst du dich eigentlich, dich so in mein Leben einzumischen! Ohne Schutzengel wäre ich besser dran gewesen, lieber wäre ich gestorben, als das zu erleben!« Ich bin so eine Heulsuse, denn ich habe schon wieder Tränen in den Augen. Nicht so Janiel. »Wenn er dir MEINEN Wutausbruch von heute Morgen anrechnet, dann hat er dich nicht wirklich gemocht. Glaub mir.« Ich will das nicht hören. Das kann nicht sein. Tobi wird nie wieder mit mir reden. Und das ist Janiels Schuld. Ich weiß es einfach. Ich gehe weiter, lasse Janiel stehen. Wieder rennt er mir hinterher. »Ok, ich mache es wieder gut! Versprochen!«, ruft er. Da habe ich eine Idee. Bleibe dramatisch stehen. »Janiel.« »Ja?« »Ich mache Schluss.« »Was?!« »Es ist aus zwischen uns.« »Okay … wenn das dein Wunsch ist.« Ich wusste, er rebelliert nicht. Tränen glitzern. Reflektieren Licht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)