The show must go on von yamimaru ================================================================================ Kapitel 13: Klappe, die Dreizehnte ---------------------------------- Ein beißend süßer Geruch brannte in seiner Nase, aber seine Arme waren zu schwer, als dass er sich hätte darüberwischen können. Generell fühlte sich sein Körper dumpf und schwach an, beinahe als gehörte er nicht zu ihm. Er versuchte, seine Augen zu öffnen, aber auch dies gelang ihm nicht. Irgendetwas bewegte sich oder war er es, der bewegt wurde? Sein Kopf kippte haltlos zur Seite, schlug unsanft auf etwas Hartem auf, sein Nacken protestierte, dann wurde erneut alles schwarz …   Blinzelnd öffnete er die Augen, doch außer grauen Nebelfetzen, hinter denen er Umrisse und Farben nur erahnen konnte, sah er nichts. Seine Lider waren bleischwer und so schloss er sie erneut, versuchte in dem unzusammenhängenden Chaos seiner Gedanken einen Hinweis darauf zu finden, weshalb er sich so seltsam fühlte. Aber die Lethargie hatte ihn in ihrem unnachgiebigen Griff, beschwerte seinen Geist ebenso wie seinen Körper, und ließ ihn hilflos zurück. Ein Stich in seiner Armbeuge jagte brennenden Schmerz durch seine Venen, für eine Sekunde wurde ihm unsagbar übel, dann versank er im Dunkel einer weiteren Ohnmacht …   Das Erste, was Tatsuro bewusst wahrnahm, war ein Wimmern oder vielmehr ein schmerzerfülltes Keuchen, das an seine Ohren drang. Keine Sekunde später schlug der Schmerz in seinem Kopf und Nacken ein wie eine Bombe und brachte die Erkenntnis mit sich, dass er selbst es war, der diese Laute von sich gab. Oh Gott, sein Kopf. Er versuchte, eine Hand zu heben, sie aus Reflex an seine pochende Schläfe zu legen, stieß jedoch auf unerwarteten Widerstand. Er konnte sich nicht rühren und als er die Augen öffnete, um nach dem Grund seiner Bewegungslosigkeit zu fahnden, brachte der einsetzende Schwindel eine Welle der Übelkeit mit sich. Er presste die Lippen fest aufeinander, atmete hektisch durch die Nase und versuchte, den Nebel vor seinen Augen wegzublinzeln. Wirklich gelingen wollte es ihm nicht und zusätzlich schlichen sich aus der Peripherie seines Gesichtsfeldes erneut schwarze Punkte heran.   „Bleib wach“, verlangte eine harsche Stimme genau vor ihm und er fühlte eine schweißfeuchte Hand, die sich gegen seine rechte Gesichtshälfte presste, seinen Kopf aufrecht hielt. „Wir wollen ja nicht, dass du schon wieder das Bewusstsein verlierst.“ Schnelle Schläge auf seine Wange sollten ihn wohl klarer werden lassen, aber als auch das nichts an seiner Situation änderte, hörte er das scharfe Klatschen einer Ohrfeige, deren Schmerz erst mit einigen Sekunden Zeitverzögerung von seinem Nervensystem registriert wurde. Er hatte den Kopf zur Seite gedreht, ohne die Bewegung bewusst bemerkt zu haben und erneut hörte er dieses leidende Wimmern, das einfach nicht von ihm selbst kommen konnte. Was war denn nur los mit ihm? „Da bist du ja wieder. So ist‘s brav.“ Wieder wurde er angesprochen und diesmal konnte er die Stimme eindeutig einem Mann zuordnen. Nicht nur das, er wusste, dass er sie kannte, aber woher? Etwas Schweres legte sich auf seine Oberschenkel, presste ihn stärker gegen den harten Untergrund, auf dem er saß. „Schön wachbleiben, hörst du? Wir haben immerhin nicht die ganze Nacht Zeit.“ Zeit? Tatsuro versuchte, seinen Kopf zu schütteln, den Mund zu öffnen, um dem Fremden irgendwie zu antworten, aber noch immer konnte er sich nicht bewegen. Panik ließ seinen Magen krampfen und seinen Atem hektisch und flach werden. Ein harscher Griff in seinem Haar riss seinen Kopf in den Nacken und wieder entkam ihm dieses schmerzerfüllte Wimmern, ohne, dass er etwas dagegen hätte tun können. „Beruhig dich, du nutzt mir rein gar nichts, wenn du hyperventilierst, verdammt.“ Für einen Sekundenbruchteil zuckte eine Erinnerung durch Tatsuros überforderten Geist, der Umriss eines Mannes, wütende Augen, Scherben auf dem Boden einer schummrig beleuchteten Küche. Er riss die Augen auf, starrte an die helle Zimmerdecke, die sich noch immer in Nebel hüllte. Er kannte den Fremden, er erkannte die Wut und Ungeduld, die in der kalten Stimme mitschwang. Aber, verflucht, er konnte sich nicht konzentrieren und das Gefühl der Vertrautheit verflüchtigte sich in gleichem Maße, wie die Erinnerung verblasste. Der Schmerz in seinem Kopf trieb ihm Tränen in die Augen und sein Nacken stach und protestierte, als sein Peiniger auch nach Sekunden noch immer nicht von ihm abgelassen hatte. „Nimmst du auf?“, hörte er ihn sagen, verstand jedoch den Sinn hinter den Worten nicht. Hatte er mit ihm gesprochen oder … war noch jemand hier? Wieder teilten sich seine Lippen, aber kein Laut entkam ihm. Er fühlte sich gefangen in seinem eigenen Körper, schwach und hilflos dem ausgeliefert, was mit ihm getan wurde. „Gut, gut, dann mal weiter im Text.“ Der Griff in seinem Haar lockerte sich, wurde beinahe zärtlich, als er plötzlich etwas Warmes an seinem gestreckten Hals spürte. Selbst diese Berührung fühlte sich dumpf und unwirklich an, als wäre es nicht nackte Haut, die die Reize an seine Nervenbahnen weitergab, sondern als wäre dämpfender Stoff über ihr ausgebreitet. Spätestens jetzt wusste er ohne jeglichen Zweifel, dass mit ihm etwas ganz und gar nicht stimmen konnte. Diese Desorientiertheit, die Tatsache, dass er kaum sehen, geschweige denn sich bewegen konnte. Verflucht, was war los mit ihm? Was sollte das hier? Er erinnerte sich an den süßlichen Geruch zurück, an den Schmerz in seiner Armbeuge. Hatte man ihn betäubt? Warum? Wieder zuckten Bilder vor seinem geistigen Auge auf. Der verlassene Parkplatz … Kaisukes geweitete Augen … Ein in Schatten gehülltes, ihm jedoch seltsam vertrautes Gesicht … Aber … wer? Verdammt, er konnte sich nicht konzentrieren.   Tatsuro japste, als die bislang kaum spürbaren Berührungen an seinem Hals unangenehm wurden. Es prickelte eigenartig und für einen langen Moment verstand er diese Empfindung nicht, bis schließlich die Erkenntnis wie ein Blitzschlag durch seinen Geist zuckte. Er würgte trocken. Zähne, es waren Zähne, die seine Haut in einer Parodie zärtlicher Liebkosungen reizten. ‚Nein!‘, schrie alles in ihm, aber nur ein weiteres Wimmern kam ihm über die Lippen.   „Was denn?“ Der Fremde sprach nah an seinem Ohr und hörte sich mit einem Mal so unglaublich selbstzufrieden an, dass es Tatsuro eiskalt über den Rücken rann. „Gefällt dir etwa nicht, was ich tue? Schade, ehrlich, damit machst du es dir nämlich nur schwerer, als es sein müsste.“ Lippen schlossen sich für einen Moment um sein Ohrläppchen, bevor sie sich an seinem Kiefer entlang küssten. „Ich werde nicht aufhören, nur weil du keinen Spaß bei der Sache hast.“ Den ungewollten Berührungen folgte das weiche Streicheln von Haaren, die über sein Gesicht glitten, und reflexartig öffnete Tatsuro seine schweren Lider, versuchte, endlich mehr zu erkennen als nur verschwommene Umrisse. Es fiel ihm unendlich schwer, den Kopf zu heben, obwohl die Hand in seinem Haar mittlerweile verschwunden war und sich nun daran machte, die Knöpfe seines Hemdes zu öffnen. Er blickte auf einen hellbraunen Schopf herab, welcher die Gesichtszüge des anderen gerade in Schatten tauchte. Für einen irrwitzigen Moment durchflutete grenzenlose Erleichterung seinen Körper, als er endlich zu erkennen glaubte, wer der andere war. Ein Scherz, ganz genau, das alles hier war nur ein Scherz. Ein sehr Morbider, zugegeben, aber vielleicht war das das normale Vorgehen in der BLP? Statt die Neuen zu Beginn eines Drehs durch die Feuertaufe zu schicken, mussten sie diese nach getaner Arbeit über sich ergehen lassen. Tja, und gerade jetzt war eben er an der Reihe.   „Yukke“, formten seine Lippen und auch, wenn der Name des anderen nicht wirklich als solcher zu erkennen war, so schwer und taub wie seine Zunge in seinem Mund lag, war seiner Kehle endlich mehr als nur jämmerliches Keuchen entkommen. Er entspannte sich ein wenig und ignorierte für einen wundervollen Moment das nagende Wissen, dass er sich seine Lage nur schönzureden versuchte.   „Na, da wird doch nicht jemand endlich etwas munterer werden? Ich hatte schon gedacht, ich hätte es mit dem Medikamentencocktail doch etwas übertrieben.“ Der Fremde – Yukke? – hob den Kopf, richtete sich auf seinem Schoß etwas auf und rieb mit beiden Handflächen über seine nun gänzlich entblößte Brust. „Gut so, ein bisschen Mithilfe deinerseits macht alles später viel realistischer.“   „Was?“, brachte Tatsuro schwer nuschelnd über die Lippen und blinzelte, als das Bild vor seinen Augen erneut im Nebel versinken wollte. „Wo …?“ Er bemühte sich, die Gesichtszüge seines Gegenübers zu erkennen, aber sein verwirrter Geist lieferte ihm nur wieder und wieder das Abbild seines Drehpartners, das sich wie eine schlecht sitzende Maske über die verschwommenen Züge legte. Ein genervtes Zischen war zunächst alles, was er als Antwort auf seine schwer verständlichen Fragen erhielt, bevor sich der andere doch noch zu einer Erklärung hinreißen ließ.   „Ich wusste ja schon immer, dass du nicht besonders helle bist, aber mittlerweile müsstest auch du begriffen haben, was hier gespielt wird. Tatsuro wimmerte, als scharfe Fingernägel über seine Haut kratzten und obwohl es schmerzte und das Chaos in seinem Kopf verstärkte, hatte es ein Gutes – sein Körper reagierte nicht noch einmal mit sekundenlanger Zeitverzögerung. Wieder blinzelte er, doch seine Sicht blieb unverändert verschwommen und trüb. „Verflucht“, stieß der andere plötzlich aus und wieder krallten sich Finger in sein Haar, „du widerst mich an. Dieses ständige Wimmern und Jammern. Am liebsten würde ich dir dein dreckiges Maul stopfen, aber es soll ja wenigstens ein bisschen danach aussehen, als würdest du genießen, was ich tue.“   ‚Genießen? Oh, Gott, nein!‘, dachte er mit einem erneuten Anflug der Panik und schüttelte, trotz des anhaltenden Griffs in seinen Haaren, heftig den Kopf. Er spürte, wie ihm vereinzelte Strähnen aus der Kopfhaut gerissen wurden, bevor die Hand verschwand, und erneut unsanft mit seiner Wange kollidierte. Diesmal schmeckte er Blut, als er sich auf die Zunge biss und musste würgen.   „Bruder, nicht. Denk an die Aufnahmen.“   In Anbetracht seiner Lage war es seltsam, dass ihn ausgerechnet die Stimme einer dritten Person derart erschreckte, dass er heftig zusammenzuckte. Mit weit aufgerissenen Augen versuchte er ins Dunkel hinter der Gestalt auf seinem Schoß zu blicken, aber seine Sicht reichte nicht weit genug, um mehr als wage Umrisse erkennen zu können. Wer war dort? Und noch viel wichtiger: Warum half ihm diese Person nicht?   „Schon gut, ich weiß, was ich tue“, zischte der Fremde, ohne den Blick von ihm zu nehmen. Die Augen des anderen brannten regelrecht auf seiner Haut und Tatsuro musste gar nicht richtig sehen können, um die Bosheit zu fühlen, die sich darin verbarg. „Och, habe ich da so etwas wie Hoffnung über dein Gesicht huschen sehen?“ Eine Hand tätschelte die Wange, gegen die sie eben noch geschlagen hatte und obwohl er es sich verkneifen wollte, perlte erneut ein schmerzerfüllter Laut über seine Lippen. „Vergiss es, Tatsuro, dir wird niemand helfen.“ Ein leises Lachen folgte den Worten, das ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte. Nein. Nun war er sich sicher. Die kurze Erleichterung, die der Gedanke an Yukke vor Sekunden noch mit sich gebracht hatte, schlug in blankes Entsetzen um. Das dort auf seinem Schoß konnte nicht Yukke sein, er durfte es nicht sein, obwohl alles an dem Fremden eine erschreckende Ähnlichkeit aufwies. Die Haare, selbst die Gesichtszüge, die er mittlerweile besser ausmachen konnte, und die sich in diesem Augenblick zu einem bösartigen Grinsen formten. Er kniff die Augen zusammen, um mehr Details erkennen zu können, aber das Gefühl blieb – es passte einfach nichts zusammen. Als wäre der Mann vor ihm eine Karikatur, eine perverse Verzerrung dessen, was er bislang mit seinem Drehpartner in Verbindung gebracht hatte.   „Wer?“, presste er zwischen seinen tauben Lippen hervor und begann, sich gegen seine Fesseln zu stemmen. „Was …?“ Er atmete hektisch, denn bereits diese kleine Anstrengung trieb ihm den Schweiß auf die Stirn und ließ die schwarzen Punkte in der Peripherie seiner Sicht zurückkehren. „Was … willst du?“ Er hatte noch mehr sagen wollen, dem Fremden all seine Verwirrung und Panik ins Gesicht schreien, aber im gleichen Maße, wie die Worte seinen Mund verließen, verließen ihn auch seine Kräfte. Sein Kopf sackte zur Seite, aber bevor er sich wieder hätte sammeln können, grub sich erneut eine Hand in seinen Schopf, zog schmerzhaft an den langen Strähnen.   „Was denn, was denn? Sag nicht, du erkennst mich nicht.“ Plötzlich war das bösartige Grinsen alles, was er noch sehen konnte, so nah kam ihm der andere. „Aber das bestätigt mich nur wieder einmal darin, wie gut ich bin.“ Lippen pressten sich auf seinen Mund, bewegten sich in ekelerregender Nachahmung eines zärtlichen Kusses und fachten seine Übelkeit erneut an. Er versuchte, sich zu befreien, wenigstens den Kopf wegzudrehen, aber selbst dafür reichte seine Energie nicht aus. Was auch immer der andere ihm gegeben hatte, hielt nicht nur den Nebel in seinem Kopf standhaft aufrecht, sondern raubte ihm auch jegliche körperliche Stärke. „Es war aber auch ein Leichtes, das Aussehen deines Kollegen zu kopieren. Ist mir gut gelungen, nicht wahr?“ Tatsuro hatte nicht einmal Zeit zu versuchen, das Gesagte zu verstehen, bevor weitere Informationen seinen überforderten Geist fluteten. „Stell dir vor, der kleine Film, den wir hier drehen, sickert rein zufällig zu den Medien durch. Oh, ich kann die Empörung darüber schon hören. Zuschauer sind schon eine seltsame Sorte Mensch, was?“ Der Fremde streichelte über seine Wange und fuhr ihm diesmal zärtlich durchs Haar. „Sie werden es zwar lieben, Yukke und dir dabei zuzusehen, wie ihr auf der Leinwand das tragisch verliebte Paar mimt, aber sobald man ihnen die Realität zeigt …“ Die Worte verklangen, und ein gehässiges Lächeln hatte sich auf die Züge des anderen gelegt. Tatsuro wimmerte, als die Lippen zurückkehrten, ihm einen weiteren, ungewollten Kuss aufdrängten. „Werden sie euch in der Luft zerreißen“, flüsterte er nah an seinem Mund und erneut stieg Übelkeit in ihm hoch, als er jede Silbe als flüchtige Berührung wahrnehmen konnte. „Ich werde dich vernichten, Tatsuro. Dich und deinen kleinen Freund. Eine ekelhaft feuchte Zunge zwängte sich in seinen Mund … und es war purer Reflex, der sein Handeln bestimmte, als er zubiss.   ~*~   Yukke lachte ausgelassen, als sich Miya von seinem Barhocker kämpfte und wie ein Fähnchen im Wind hin und her schwankte. Der Regisseur hatte eindeutig zu tief ins Glas geguckt, obwohl er sich bis eben noch prima mit ihm unterhalten hatte. Aber das war typisch für ihn. Miya war einer dieser kuriosen Menschen, die von einer Sekunde auf die andere so sturzbetrunken waren, dass man sie nur noch ins Bett stecken sollte. Oder wahlweise auf die Toilette begleiten und sicherstellen, dass sie sich nicht ihren Kopf einschlugen, statt nur die Blase zu leeren. Eben dieses tat er gerade und lief dabei Satochi mehr oder weniger in die Arme. Auch der Kameramann war schon gut dabei, aber doch noch deutlich eloquenter als Yukkes leise vor sich hin brabbelnder Freund.   „Willst du übernehmen?“, fragte er grinsend und erhielt ein nicht minder breites Lächeln zur Antwort.   „Ich würde gerne, aber ich befürchte, dann landen Miya und ich auf dem Boden.“ Sato tippte mit seinem Gehstock auf, auf den er sich stärker als sonst stützen musste.   „Oh, ich …“ Yukke spürte, wie seine Wangen heiß wurden, und senkte beschämt den Blick. „Tut mir leid, Sato, ich hab nicht nachgedacht.“   „Schon gut.“ Sein Gegenüber schüttelte den Kopf und im selben Moment machte Miya auf sich aufmerksam, indem er aus vollem Hals grölte, dass er aufs Klo musste.   „Ich … ehm …“ Eigentlich wollte Yukke seinen Fauxpas nicht einfach so im Raum stehenlassen, aber darauf, dass hier noch ein Unglück passierte, hatte er auch keine Lust.   „Nun geh schon.“ Satochi boxte ihm angedeutet gegen den Oberarm und trat an Miyas andere Seite, um ihm so wenigstens ein bisschen damit zu helfen, den schwankenden Mann aufrecht zu halten. „Du Yukke?“, der Kameramann ächzte, als er sich mit der Schulter gegen die Tür zu den Toiletten lehnte und sie offenhielt, damit Yukke mit seiner Last hindurchtreten konnte. „Weißt du, wo mein Bruder abgeblieben ist?“   „Wie?“ Yukke war etwas abgelenkt, während er versuchte, Miya davon abzuhalten, einfach umzukippen und reagierte daher erst mit einiger Verspätung auf die Frage. „Ich hab Tatsuro vorhin gesehen, als er mit dir am Tisch saß, danach aber nicht mehr. Ist er denn nicht bei dir geblieben?“   „Nein, er ist vor einer ganzen Weile schon raus zum Rauchen und ich dachte eigentlich, er wollte danach zu dir.“ Satochis Stirn legte sich in Falten, während Yukke versuchte, Miya davon zu überzeugen, dass Händewaschen nach getaner Arbeit eine gute Idee war. „Kenta habe ich auch schon länger nicht mehr gesehen …“ Yukke erkannte die Sorge im Gesicht des kleineren Mannes und ein ungutes Gefühl begann in seinem Magen zu rumoren. Eigentlich wäre es nicht ungewöhnlich, dass auf einer Party mal jemand zeitweise verloren ging, aber in Tatsuros Fall und nach allem, was in den letzten Tagen und Wochen geschehen war …   „Ich würde sagen, wir liefern Miya mal bei jemandem ab, der noch einigermaßen nüchtern ist …“ Yukke knabberte überlegend auf seiner Unterlippe herum und nickte sich dann selbst zu. „Ich glaube, Gara wäre ein guter Kandidat. Und dann schauen wir, wo Tatsuro und Kenta stecken, mh? Vielleicht hat Tatsue festgestellt, dass Kenta doch gar kein so schlechter Kerl ist und jetzt feiern sie ausgelassen irgendwo ihre Verbrüderung?“ Yukke versuchte sich an einem aufmunternden Grinsen, spürte jedoch selbst, das es hölzern und unecht wirkte.   „Ja … vielleicht“, murmelte Sato wenig überzeugt und richtete den Blick auf den weißen Fliesenboden. „Irgendwie …“ Seine freie Hand ballte sich zur Faust, bevor er sie gedankenverloren am Stoff seiner Jeans abwischte. „Ich hab ein mieses Gefühl bei der Sache.“   ~*~   „Verdammter Dreckskerl!“   Tatsuro wusste nicht, ob der erneute Geschmack von Blut in seinem Mund vom Schlag herrührte, der noch immer in seinen Ohren klingelte oder von dem Biss, mit dem er den unerwünschten Eindringling vertrieben hatte. Er ließ den Kopf hängen, hätte ihn am liebsten zur Seite gedreht und ausgespuckt, aber es drehte sich alles. Die schwarzen Punkte waren zurückgekehrt und seine wirbelnden Gedanken trugen nicht wirklich dazu bei, dass er sich besser fühlte. Gott, ihm war so schlecht und alles tat weh, dennoch hatte sich ein selbstzufriedenes Lächeln auf seine Lippen gelegt. Niemand würde ihn einfach so küssen und ganz sicher nicht dieses Arschloch, dass ihn entführt, unter Drogen gesetzt und geschlagen hatte. Er war nicht hilflos, verdammt! Er hörte den Fremden zetern, spürte Finger, die sich in seine Schultern bohrten, ihn so heftig schüttelten, dass er glaubte, den Stuhl, auf dem er noch immer saß, klappern zu hören. Aber er reagierte nicht. Verflucht noch mal, er musste denken. Er wusste, dass es nur einen einzigen, klaren Gedanken bedurfte, damit die Worte seines Entführers, die in seinem Kopf nachhallten, Sinn ergeben würden. Wenn der Mistkerl nur endlich aufhören würde, ihn zu schütteln.   ‚Es war aber auch ein Leichtes, das Aussehen deines Kollegen zu kopieren …‘ ‚Ich werde dich vernichten, Tatsuro. Dich und deinen kleinen Freund …‘   Warum konnte er nicht denken. Die Lösung des Rätsels um die Identität seines Peinigers lag ihm auf der Zunge, aber er kam einfach nicht drauf. Plötzlich riss ein weiterer Schlag seinen Kopf zur Seite und schaffte es damit, seine Aufmerksamkeit wieder auf den Fremden zu richten. Er röchelte, seine Arme zuckten im Versuch, sich zu wehren, aber wie auch vorhin schon schnitten die Fesseln lediglich in seine Handgelenke und hielten ansonsten seinen jämmerlichen Bemühungen ungerührt stand. Tatsuro blinzelte und schaffte es mit mehr Anstrengung, als gerechtfertigt war, seinen schwankenden Blick auf die Augen des anderen zu fixieren. Bodenloser Hass schlug ihm entgegen, das Braun kalt und endlos wirkend. Für einen Wimpernschlag zuckte die Frage durch seinen Geist, wie er diesen Kerl auch nur eine Sekunde lang für Yukke hatte halten können. Nein, dieser Albtraum hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem Mann, der ihm mittlerweile so verdammt viel bedeutete.   „Bruder!“ Wieder hörte er die Stimme aus dem Hintergrund, hatte diesmal aber keine Chance, sich nach ihr umzusehen, denn die Finger des Fremden hatten sich schmerzhaft in seine Wangen gebohrt, hielten ihn unbeweglich an Ort und Stelle fest. Der andere atmete gepresst, als hätte er gerade einen Dauerlauf hinter sich gebracht. Doch Tatsuro wusste, dass er sich zurückhalten musste, ihm nicht noch Schlimmeres anzutun. Er konnte es in seinen Augen sehen.   „Nein“, zischte der Mann auf seinem Schoß plötzlich, lockerte seinen Griff und tätschelte ihm voller Hohn zärtlich die rechte Wange. „Nein, Tatsuro. Du hattest schon immer die göttliche Gabe, mich zur Raserei zu bringen, aber nicht dieses Mal.“ Er wischte sich über den Mund und erst jetzt sah Tatsuro die rote Spur, die sich über sein Kinn geschlängelt hatte. Genugtuung flutete für einen Augenblick seinen Geist und gab ihm etwas seiner Stärke zurück. Er drehte den Kopf zur Seite, als der andere von irgendwoher ein Stofftaschentuch zog und damit begann, über sein Gesicht zu wischen. Binnen Sekunden färbte sich der weiße Stoff rot und er hatte Mühe, nicht erneut gepeinigt die aufgeplatzten Lippen zu verziehen. „Lass mich das wieder in Ordnung bringen, mh? Du willst doch gut auf den Aufnahmen aussehen.“ Ein irrsinnig anmutendes Lachen folgte dieser Ankündigung und zuckte wie ein Blitzschlag durch Tatsuros Körper. Starr blickte er auf den Boden vor sich, sah das Taschentuch herabfallen. Die Lippen kehrten zurück, strichen über seine Wange und hielten an seinem Ohr inne. „Was denn, du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen. Dachtest du wirklich, ich würde auf deine Provokationen eingehen und dich vom Haken lassen?“ Er spürte warmen Atem auf seiner Haut, als der Fremde erneut lachte, leise, unheilvoll und so verflucht vertraut. Er erkannte dieses Lachen.   ‚Nobu‘, dachte er und im selben Moment teilten sich seine Lippen, formten den Namen seines Verflossenen. Er wusste nicht, ob er vor lauter Entsetzen überhaupt einen Ton herausbekommen hatte oder ob Nobu von seinen Lippen abgelesen hatte. Aber das selbstzufriedene Grinsen, mit dem er nun bedacht wurde, zeigte sehr deutlich, dass er ihn verstanden hatte.   „Ach“, feixte der andere und schnalzte mit der Zunge. „Hat die graue Masse also doch noch nicht ihren Dienst quittiert.“ Nobu tippte ihm mit dem Zeigefinger gegen die Stirn und strich seiner Schläfe folgend tiefer, bis er sein Kinn nach oben drücken konnte. „Sehr intelligent warst du ja noch nie, nicht wahr?“   In Tatsuros Kopf drehte sich alles, die Gedanken überschlugen sich, während er zu verstehen versuchte, was hier vor sich ging. Nobu, sein Ex, der Mann, der beinahe sein Leben ruiniert hatte, war der Stalker? Das … Er schüttelte den Kopf, hörte gar nicht mehr hin, obwohl sich Nobus Lippen weiter bewegten. Vermutlich waren es ohnehin nur Beschimpfungen, Worte, die ihn verunsichern sollten. Das hatte der andere schon immer gut gekonnt, selbst als sie noch ein Paar waren. Er wusste nicht, was er fühlen sollte. Angst, Entsetzen, Unverständnis, Hass, Wut. All diese Gefühle versuchten sich in den Vordergrund zu drängen und ließen ihn regelrecht schwindeln. Alles drehte sich, alles wurde zu viel, als sich sein Geist auch noch mit Bildern füllte. Sato, Yukke, Yumiko, Seek … der halbverweste Körper der kleinen Katze. Tatsuro konnte nicht mehr an sich halten. Wieder schüttelte er den Kopf, versuchte, das hysterische Lachen, das in seiner Brust steckte, zu unterdrücken, schaffte es jedoch nicht. Er fühlte sich, als würde er jeden Moment den Verstand verlieren, während sein Gelächter viel zu laut von den Wänden widerhallte. Er lachte und lachte, bis es erneut eine Ohrfeige war, die ihn zum Schweigen brachte. „Ich hätte es wissen müssen.“ Er grinste und musste in dem Moment ebenso irre aussehen, wie er sich fühlte. „Warum?“ Nobu, der sich die ganze Zeit über ihn gebeugt hatte, richtete sich auf und grub beide Hände in seine Haare, um ihn so zu fixieren. Die kalten Augen, die wirklich nichts mit Yukkes gemein hatten, musterten ihn und nun erkannte er auch endlich die Spuren seiner Scharade. Das Make-up, das an manchen Stellen zu dick aufgetragen war, an anderen, wie zum Beispiel dem Kinn, an dem vor Sekunden noch Blut klebte, verwischt und abgetragen aussah. Die Ränder der Latexmaske, mit denen der andere sein Aussehen dem Yukkes angepasst hatte, nur die Haare schienen Nobus eigene zu sein, gefärbt und geschnitten, um der charakteristischen Frisur seines Drehpartners gleichzusehen. Er wusste, dass der andere vor Jahren als Maskenbildner gearbeitet hatte, aber das war weit vor ihrem Kennenlernen gewesen. Die Erinnerungen an die Zeit, die er mit diesem Mann verbracht hatte, stürmten auf ihn ein, während er das alles hier zu begreifen versuchte. Tatsuro legte die Reste seiner schwindenden Selbstsicherheit um sich wie einen schützenden Mantel, aber er spürte sie nach und nach bröckeln. „Warum“, wiederholte er und war beinahe froh um den schraubstockartigen Griff, der seinen Kopf daran hinderte, wieder auf seine Brust herabzusinken. All das Denken kostete so verdammt viel Kraft.   „Das fragst du noch?“ Es trieb ihm Tränen in die Augen, als Nobu ruckartig an seinen Haaren riss und seinen Kopf in den Nacken zog. „Du warst schon immer ein egoistisches Arschloch, kein Wunder, dass du dir mal wieder keiner Schuld bewusst bist.“   Schuld? Er? Tatsuro hätte am liebsten erneut gelacht, wäre er körperlich dazu in der Lage gewesen. Nobu war es doch, der ihm alles genommen hatte. Sein Geld, seine Zuneigung, den Erfolg mit WORLD OF DECEPTION. Er war es, der seine Karriere fast vollständig zerstört hatte.   „Du …“, presste er hervor und holte japsend Luft. „Hast mich fallenlassen. Du hast …“ Wieder keuchte er und schluckte, was ihm mit derart überstrecktem Hals kaum gelingen wollte. „Lügen über mich erzählt.“   „Halt dein Maul!“, wurde er angeschrien. „Halt dein verfluchtes Maul, sonst stopfe ich es dir.“ Ein kleiner Teil in Tatsuro frohlockte bei dieser Reaktion, wollte sein Gegenüber noch mehr reizen, ihn zur Weißglut bringen, weil er wusste, dass er mit der Wahrheit genau ins Schwarze traf. Sein rationaler Menschenverstand – oder zumindest das, was davon noch übrig war – hielt ihn jedoch von weiteren Provokationen ab. „Du hast mir was vorgespielt. So getan, als würde ich dir etwas bedeuten und stattdessen hattest du es die ganze Zeit über nur auf meinen Erfolg abgesehen. Du hast mich aus der Show gedrängt. Deinetwegen wurde mein Charakter aus der Serie geschrieben. Dachtest du wirklich, ich würde das so einfach auf mir sitzen lassen?“ Die Hände in seinem Haar zogen erneut und Tatsuro hätte am liebsten geschrien, so sehr schmerzte sein Kopf. Zu mehr, als den Mund zu öffnen und das Gesicht zu verziehen, reichten jedoch seine Kräfte nicht. „Ich dachte mir, wenn ich dem Produktionsleiter von deinen Machenschaften erzähle, davon, wie du mich hinters Licht geführt und mich verführt hast, würde er Verständnis für meine Lage zeigen. Aber nein. Auch ihn hattest du schon zu sehr um deinen Finger gewickelt. Hast du auch mit ihm geschlafen, mh?“   ‚Verführt?‘ Tatsuro hätte am liebsten erneut gelacht, wäre er körperlich dazu in der Lage gewesen. Dann hatte Nobu ihrem damaligen Chef also wirklich von ihrer Beziehung – oder besser gesagt, von seinem zusammengesponnenen Lügenkonstrukt – erzählt. Wie konnte er die zurückliegenden Geschehnisse nur derart verzerren? Seine Vorwürfe waren absolut haltlos, ja, gänzlich abwegig sogar. Jeder bei United Pictures hatte gewusst, dass der Produktionsleiter der Inbegriff eines homophoben Arschlochs war. Auch Nobu war diese Tatsache nur zu bewusst gewesen, hatte er ihm doch mehr als einmal eingebläut, dass sie vorsichtig sein mussten. Der ganze Dreh damals war ein einziger Spießrutenlauf gewesen. Immer hatten sie auf der Hut sein müssen, durften sich nie auch nur im Ansatz verdächtig verhalten oder gar einen längeren Blick tauschen. Wie also war Nobu auf die irrwitzige Idee gekommen, er hätte ihrem Boss von ihrer Beziehung erzählen können und dadurch tatsächlich wieder Teil der Produktion werden? Dieser Gedanke war so abwegig, dass Tatsuro für einen winzigen Augenblick der Gedanke kam, der andere würde ihn nur auf den Arm nehmen wollen. Aber nein, nein, Nobus Blick sprach Bände. Er hatte diese Augen so oft in der Vergangenheit gesehen, sich in ihnen verloren, aber nie war ihm aufgefallen, wie nahe unter der Oberfläche der Wahnsinn brodelte. Entweder war Nobu ein besserer Schauspieler, als er ihm jemals zugetraut hatte, oder Tatsuro war tatsächlich schuld an seinem Zustand. Für einen Wimpernschlag flackerte so etwas wie Mitleid in ihm auf, ein nostalgisches Gefühl, gerichtet an den Mann, den er einst geliebt hatte. Doch so schnell es gekommen war, war es auch wieder verschwunden, als sich das blasse, zerstörte Gesicht seines Bruders vor sein inneres Auge schob.   „Du glaubst doch selbst nicht, was du hier erzählst. Oder hast du diese Lügen so oft wiederholt, dass du jetzt tatsächlich denkst, sie wären die Realität?“, stellte er heiser und gepresst fest, während der Druck in seiner Kehle mit jeder verstreichenden Sekunde unerträglicher wurde. Er wusste nicht, wo er plötzlich die Kraft hernahm, um derart viel zu reden, aber die Worte sprudelten aus ihm heraus. „Du tust mir wirklich leid, Nobu. Du armer, schwacher Mann. Nicht einmal deine eigenen Fehler kannst du dir eingestehen. Nein, stattdessen spinnst du dir ein Konstrukt aus Lügen und Halbwahrheiten zusammen, um dich besser zu fühlen.“ Tatsuro Lachte, ein kratziger Laut, der in seinen Ohren erschreckend fremdartig klang. Doch Nobu schien so geschockt von seiner plötzlichen Redefreude zu sein, dass er ihn nur aus geweiteten Augen anstarrte. „Du bist ein drittklassiger Schauspieler, Nobu. Du hast es einfach nicht drauf. Das ist der Grund, weshalb du aus der Serie geschrieben wurdest.“ Wie ein Besessener sprang Nobu in diesem Augenblick auf, am ganzen Leib zitternd und einen Ausdruck in den Augen, der Tatsuro blanke Todesangst durch die Adern jagte. Er konnte nicht mehr reagieren, nichts sagen, sich nicht einmal für das wappnen, was als Nächstes geschah. Hände legten sich um seinen Hals, drückten unnachgiebig zu und schnitten seine Luftzufuhr binnen Sekunden ab. Mit weit geöffnetem Mund starrte er nichts sehend geradeaus, in seinen Ohren rauschte es und ihm wurde schlagartig unglaublich heiß, während Schwärze sein Gesichtsfeld zu vereinnahmen begann. Seine Arme, die Beine, alles begann zu kribbeln, als würde sein Körper nicht mehr ihm gehören. Der Schmerz in seiner Kehle war unerträglich und der Druck in seinem Kopf war so stark, dass er zu spüren glaubte, wie sich seine Augen nach außen zu wölben begannen. Er würde sterben. ‚Verdammt, ich hätte den Mund halten sollen‘, dachte er noch, bevor ihm die Panik auch die letzte Fähigkeit raubte, einen logischen Gedanken fassen zu können.   ~*~   Yumiko seufzte herzhaft, als sie den Lärm der Bar hinter sich ließ und sich ausgiebig streckte. Die schwere Feuerschutztür, die zum Hinterhof und Parkplatz führte, fiel mit einem dumpfen Dröhnen ins Schloss und für einige wohltuende Sekunden hatte sie das Gefühl, von vollkommener Stille umgeben zu sein. Erst nach einigen Sekunden drangen die typischen Geräusche der nächtlichen Großstadt wieder an ihre Ohren und der kühle Wind wehte ihr ihr langes Haar ins Gesicht. Sie lächelte, den Blick versonnen gen Himmel gerichtet, an dem zwar keine Sterne zu sehen waren – dafür war es in Tokyo immer viel zu hell – jedoch waren die dicken Regenwolken aufgerissen und gaben den Blick auf den abnehmenden Mond preis. Sie ging einige Schritte auf den Parkplatz hinaus, verbarg ihr Gähnen hinter einer Hand und überlegte gerade, ob sie nicht gleich wieder hineingehen sollte, um sich Gara zu schnappen, damit sie nach Hause fahren konnten, als ihr Blick auf etwas fiel, das ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte. Abrupt blieb sie stehen, aber nur ein, zwei Sekunden lang, dann eilte sie zu der Person hinüber, die vollkommen in sich zusammengesunken gegen einen der hier stehenden Müllcontainer lehnte.   „Kenta!“, rief sie aus, noch bevor sie den Mann erreicht hatte, und ließ sich vor ihn auf die Knie fallen. Die Nässe des Asphalts drang durch ihre dünne Feinstrumpfhose und die spitzen Steinchen stachen in ihre Knie, doch das alles registrierte sie gar nicht. Ihre zitternde Hand lag auf der Schulter des Bodyguards, schüttelte ihn leicht, während sie weiterhin auf ihn einredete: „Kenta, was ist mit dir? Wach auf!“ Aber all ihr Schütteln, selbst die leichten Schläge gegen seine Wange änderten nichts daran, dass Kenta tief und fest zu schlafen schien. Sie fragte sich, ob der andere zu tief ins Glas geschaut hatte, aber nein, der Personenschützer war den ganzen Abend über im Dienst, das passte nicht zusammen. Selbst, wenn man bedachte, dass Tatsuro bestimmt kein einfacher Klient war, der auch keinen Zweifel daran ließ, wie wenig begeistert er von der Tatsache war, auf einen Bodyguard angewiesen zu sein, war das für Kenta gewiss kein Grund, seine Verantwortung plötzlich über Bord zu werfen und sich zu betrinken.   Furcht stieg in Yumiko hoch, mehr noch, als zu dem Zeitpunkt, als sie Kenta hier reglos vorgefunden hatte, nachdem sie ihre Finger gegen seinen Hals gepresst hatte und feststellen musste, dass die Schläge seines Pulses nur sehr schwach und langsam zu spüren waren. „Ich …“ Unschlüssig blickte sie von dem Bewusstlosen zur Tür der Bar und wieder zurück, bevor sie sich aufrichtete. „Ich bin gleich zurück, ja?“, murmelte sie, obwohl sie wusste, dass Kenta sie ohnehin nicht hören konnte. Schnellen Schrittes lief sie die wenigen Meter zum Eingang der Bar zurück, zog an der schweren Tür und fand sich sogleich von Wärme, Licht und Lärm überflutet, als sie ins Innere trat.   Yukke war der Erste, dessen charakteristischen Haarschnitt sie über die Menge der Leute erkennen konnte und der sich ganz in der Nähe der Bar aufhielt. „Yukke!“, rief sie, dem anderen winkend, und erkannte auch Satochi, der sich in ihre Richtung gedreht hatte. Vermutlich war ihr ihre Angst nur zu deutlich ins Gesicht geschrieben, denn ohne zu zögern kamen die beiden Männer auf sie zugeeilt.   „Hey, was …?“ Satos Hand legte sich warm und sicher an ihren Oberarm und für einen winzigen Moment wollte sie sich der plötzlich aufsteigenden Schwäche hingeben und sich einfach nur in seine Arme flüchten. Dann aber straffte sie ihre Schultern und blickte den beiden fest ins Gesicht.   „Ruf einen Krankenwagen, irgendwas stimmt mit Kenta nicht.“ Sie drehte sich herum, achtete nicht darauf, ob Yukke und Sato ihr folgten, und kehrte auf den Parkplatz zurück. Das Geräusch ihrer Absatzschuhe auf dem Asphalt klang viel zu laut in ihren Ohren, während das Rauschen ihres eigenen Bluts hingegen beinahe Yukkes Frage übertönte, was denn los sei. „Kenta“, stieß sie hervor und deutete auf den Mann, der sich nicht bewegt hatte. „Ich hab ihn hier so gefunden. Er ist komplett weggetreten und ich bekomme ihn nicht aufgeweckt. Keine Ahnung was mit ihm ist, aber sein Puls ist sehr schwach und das macht mir Angst.“ Die letzten Worte hatte sie nur geflüstert, wusste nicht, ob ihre Begleiter diese überhaupt hatten verstehen können, aber das war auch gerade nicht von Bedeutung. Wieder ließ sie sich vor dem Bewusstlosen in die Knie sinken und nahm dankbar die Jacke entgegen, die Yukke ihr hinhielt. Hinter sich hörte sie Satochis ruhige Stimme und dessen Worten nach zu urteilen, telefonierte dieser gerade mit dem Rettungsdienst. ‚Gott sei Dank‘, dachte sie, während sich Yukke neben sie gekniet hatte. Gemeinsam schafften sie es, Kenta in eine stabile Seitenlage zu bringen und betteten seinen Kopf auf der gefalteten Jacke.   „Was ist passiert?“, hörte sie nun Satochis Stimme hinter sich und sah über ihre Schulter zu ihm. Der Kameramann stand einige Schritte entfernt, das blasse Gesicht auf sie gerichtet und täuschte sie sich oder zitterte seine Hand, die das Mobiltelefon fest umschlossen hielt, obwohl das Gespräch schon lange beendet zu sein schien.   „Ich weiß es nicht, Sato, ich hab ihn so gefunden.“   „Tatsuro …“   Yukke neben ihr hob ruckartig den Kopf und starrte Satochi an, als hätte dieser gerade etwas Unvorstellbares gesagt.   „Wir wissen nicht, wo Tatsuro steckt.“   ~*~   Wieder kämpfte sich sein Geist zurück ins Bewusstsein und ein ironischer Teil in ihm dachte sich so nebenbei, dass er mittlerweile richtig Übung darin bekam. Ein viel größerer Teil war jedoch damit beschäftigt, all die Schmerzen zu ignorieren, die ihn wünschen ließen, die Ohnmacht hätte ihn noch länger in ihren Klauen gehalten. Das einzig Gute in seiner Lage war vielleicht, dass er noch lebte, aber ob er sich über diesen Umstand freuen sollte, darüber war er sich noch nicht im Klaren. Wenigstens war Nobus Gewicht auf seinen Beinen nicht zurückgekehrt und erst jetzt bemerkte er die zittrige Stimme, die geduldig auf ihn einredete.   „Tatsuro-san, trinken Sie das.“ Irgendetwas Kühles wurde ihm an die wunden Lippen gehalten und sie teilten sich, ohne dass Tatsuro näher darüber hätte nachdenken können. Seine Kehle brannte wie Feuer, jeder Versuch zu Schlucken brachte einen stechenden Schmerz mit sich und dennoch war allein der Gedanke an etwas zu trinken so verlockend, dass er noch nicht einmal die Augen öffnete, um nachzusehen, was ihm hier eingeflößt wurde. Er bekam kaum etwas herunter, so sehr war sein Hals geschwollen, aber die leise Stimme redete weiter beruhigend auf ihn ein, ermunterte ihn ein ums andere Mal, noch einen Schluck zu nehmen. Die Flüssigkeit schien Wasser zu sein, herrlich gekühlt, obwohl ihr ein seltsam chemisch anmutender Geschmack anhaftete. Aber Tatsuro schenkte diesem Umstand keine Beachtung, viel zu gut tat die Kälte und vermutlich bildete er sich diesen Beigeschmack ohnehin nur ein. Alles war besser, als der Geschmack nach Blut, der sich auf widerwärtige Weise noch immer in seinem Mund befand. Sein Blut … Nobus Blut … Er würgte, verschluckte sich und hustete schmerzerfüllt, aber selbst jetzt blieb die Stimme ruhig, rieb über seinen Rücken und erst jetzt fiel ihm auf, dass der bislang präsente Druck um seine Handgelenke, der Zug an seinen Schultern verschwunden war. Hatte man ihn gefunden? Gehörte die sanfte Stimme etwa zu einem Arzt? Seinem Bruder? Oder gar … Yukke? Er öffnete seine bleischweren Lider, wartete, bis sich das Bild vor seinen Augen etwas geklärt hatte und hob den Kopf. Diese kleine Bewegung allein kostete ihn beinahe jegliche Kraft und am liebsten hätte er die Lider wieder sinken lassen. Er wollte schlafen, endlich aus diesem Albtraum aufwachen.   „Kaisuke?“, formten seine Lippen den Namen seines Gegenübers, der ihn hinter seinen dicken Brillengläsern besorgt anblinzelte. Was machte ausgerechnet Kaisuke hier? „Was?“, krächzte er, aber noch bevor der andere ihm antworten konnte, wurde er grob beiseitegeschoben und Nobus gehässiges Grinsen nahm sein gesamtes Sichtfeld ein. Wäre er dazu in der Lage gewesen, hätte er mit den Augen gerollt und laut geseufzt. Er hatte keine Lust mehr auf Nobus Spielchen. Er wollte nach Hause, in sein Bett und sich vorher noch mit einer Wagenladung Schmerztabletten ausknocken. Sein Körper sollte endlich aufhören, so schrecklich wehzutun. „Was willst du noch? Hast du nicht schon genug angerichtet? Lass mich gehen.“ Er versuchte, dem anderen ins Gesicht zu brüllen, jedoch fehlte ihm auch hierfür die Energie und lediglich jedes zweite Wort war als heiseres Flüstern wahrzunehmen. Nobu schien seinen Ausbruch dennoch verstanden zu haben und wirkte ebenso erstaunt darüber, wie Tatsuro selbst. Er fragte sich, wohin die Todesangst verschwunden war, die er gespürt hatte, als sich die Finger seines Entführers wie ein Schraubstock um seinen Hals gelegt hatten. Sie schien sich gänzlich verflüchtigt zu haben und an ihrer Stelle brodelte nur noch grenzenlose Wut in ihm.   „Geh wieder hinter die Kamera, Kaisuke, ich komm schon allein mit ihm klar.“   Kaisuke! Tatsuro drehte den Kopf ruckartig zur Seite und versuchte, seinen Blick auf den Praktikanten zu fixieren, der die ganze Zeit über bewegungslos neben Nobu verharrt hatte. Im Bruchteil einer Sekunde klickten gleich mehrere Puzzleteile an ihren Platz. Kaisuke musste Nobus Bruder sein, der Mann in den Schatten, dem sein Entführer vorhin Anweisungen gegeben hatte. Einen Augenblick lang trafen sich ihre Blicke und er glaubte, neben Furcht auch so etwas wie Bedauern in den Augen des jungen Mannes erkennen zu können. ‚Hilf mir!‘, dachte er, während Nobu erneut auf ihn einzureden begann und sich auf seinen Schoß setzte. ‚Lass nicht zu, dass er weitermacht. Hol Hilfe!‘ Kaisuke schien in seinem Gesicht lesen zu können wie in einem offenen Buch, doch zu Tatsuros grenzenlosem Entsetzen schüttelte er nur sacht den Kopf, seine Lippen formten eine unhörbare Entschuldigung, dann verschwand er wieder in den Schatten. „Kaisuke!“, rief er aus, aber wieder kam ihm nur ein jämmerliches Wispern über die Lippen.   „Hier spielt die Musik“, knurrte Nobu und umfasste sein Kinn, um seinen Kopf wieder zu sich zu drehen. „Du brauchst gar nicht versuchen, meinen kleinen Bruder zu manipulieren. Ich hab ihm alles über dich erzählt, Tatsuro, er weiß genau, dass du verdient hast, was mit dir geschieht.“   „Und was wäre das?“, krächzte er, hätte Nobu noch so viel mehr an den Kopf werfen wollen, beließ es aber beim Nötigsten. „Sie werden mich finden, Nobu. Du glaubst doch nicht wirklich, dass mein Verschwinden unbemerkt bleibt?“ Tatsuro zwang sich, nicht an Yukke, an Satochi und all die anderen zu denken, die vermutlich noch immer ausgelassen den Drehschluss feierten. Wer wusste schon, wann sie ihn vermissen würden? Und wo zum Teufel war Kenta? Der Bodyguard hätte auf ihn aufpassen müssen, das war sein verfluchter Job! „Lass mich gehen.“   „Nein.“ Nobu lächelte und rieb über seine Brust, was ein seltsames Prickeln mit sich brachte. Tatsuro atmete überrumpelt ein, herausgerissen aus seinen sorgenvollen Gedanken und für den Bruchteil einer Sekunde nahezu schmerzhaft klar im Kopf. „Was denn? Findest du langsam doch gefallen an dem, was ich tue?“ Das Gefühl, welches diese flüchtige Berührung in seinem Körper auslöste, war unter diesen Umständen und in Anbetracht seiner desolaten Lage so absurd, dass er vollkommen entsetzt einfach nur geradeausstarren konnte. „Gut so, ich bin nämlich noch lange nicht fertig.“ Nobu küsste über seinen Kiefer hinweg, biss genau mit der richtigen Intensität in die dünne Haut knapp unter seinem Ohr, dass ihm ein wohliger Schauer über den Rücken rann.   „Was?“, japste er erschrocken, während sich Wärme in seinem Körper ausbreitete, die für einen Augenblick selbst die dröhnenden Kopfschmerzen in den Hintergrund rückte. Nobus Hände schienen überall gleichzeitig zu sein, rieben über seine Brust, streichelten seinen Hals entlang. Er musste dort Würgemale haben, die Haut fühlte sich gereizt und empfindlich an, aber selbst das schien im Augenblick nicht von Bedeutung. Sein Körper reagierte auf jeden noch so kleinen Reiz mit wildem Kribbeln, das einem elektrischen Impuls gleich durch seine Adern jagte.   „Na siehst du“, schnurrte Nobu nah an seinem Ohr. „Du brauchtest schon immer ein wenig mehr … Überredungskunst.“   ‚Was hast du getan?‘, wollte er fragen, aber alles, was seinen Mund verließ, war ein heiseres Ausatmen, als Lippen weiter den Spuren der Hände folgten. Seine Lider waren ihm zugefallen, blendeten so die grausame Realität aus, in der er sich befand.   „Vermutlich wird deine Pumpe irgendwann schlappmachen“, redete Nobu unbeirrt weiter und hielt auch in seinen Berührungen nicht inne. „Narkotika und sexuell anregende Mittelchen vertragen sich nicht ganz so gut …“ Tatsuros Atem stockte, während der Mann auf seinen Beinen unbeirrt weitersprach. Aber er blendete ihn aus, seine Worte ebenso wie die ungewollten Liebkosungen, auf die sein verräterischer Leib immer stärker zu reagieren begann. Betäubungsmittel … Aphrodisiaka … Was hatte der andere ihm noch alles verabreicht?   Feuchte Lippen auf seinem Mund rissen ihn aus seinen Gedanken und obwohl sein dringlichster Impuls war, seinen Kopf wegzudrehen, ließ er den Kuss zu, erwiderte sogar. Verflucht, sein Körper gehorchte ihm nicht mehr und sein müder Geist wisperte, dass er Nobus Übergriffe einfach über sich ergehen lassen sollte. Sie fühlten sich doch gut an, sie verscheuchten die Schmerzen, die an jeder Stelle seines Leibs zu lauern schienen und noch viel wichtiger, er konnte ohnehin nichts gegen sie unternehmen. Seine Arme waren zwar nicht mehr hinter der Stuhllehne gefesselt, hingen jedoch schlaff und kraftlos herab. Oh Himmel, selbst die Augen wieder zu öffnen, war so unendlich mühevoll. Er wollte schlafen, vergessen, wollte, dass es aufhörte. Im selben Moment, als Nobu kurz von ihm abließ, glaubte er, etwas aufblitzen zu sehen. Er versuchte, seinen trüben Blick zu fixieren, und stierte in die Richtung, aus der er das Lichtphänomen zu erkennen geglaubt hatte. Doch hinter Nobu erstreckten sich nur Schatten, in denen sich Kaisuke verbergen musste, eine Kamera auf ihn und das gerichtet, was sein älterer Bruder ihm antat. Wie konnte der andere dem hier so ungerührt beiwohnen? Er zuckte zusammen, als erneut das Gewicht von seinen Beinen verschwand und Nobu sich nun über ihn beugte. Sein Kopf war ihm auf die Brust gesackt, alles drehte sich und seine langen Strähnen hingen ihm wirr ins Gesicht. Dennoch erkannte er das bösartige Grinsen, mit dem er bedacht wurde, als der andere vor ihm auf die Knie ging und seine Beine spreizte. Seine nackten Beine. Panik schoss wie ein Strom aus gleißendem Licht durch seinen Geist. Er war nackt und sein durch Nobus Drogencocktail beeinflusster Körper reagierte geradezu gierig auf die warme Hand, die sich über seine Mitte legte.   ‚Nein!‘, schrie alles in ihm und innerlich tobte er, schaffte es jedoch nicht einmal, seine Hand zu heben, um die ekelhaften Berührungen irgendwie abzuwehren.   „Dann lass uns mal zum Grand Finale ansetzen, was? Schließlich will ich wenigstens noch ein paar brauchbare Aufnahmen im Kasten haben, bevor du schlappmachst.“ Nobu lachte über seine Pointe, die wohl nur für ihn selbst etwas Urkomisches hatte. „Alles andere lässt sich dann auch noch hinterher am Computer bearbeiten.“ Wieder grinste er ihn an, hob eine Hand und tätschelte seine Wange, als wäre er ein kleines Kind oder ein Haustier, dem man so flüchtige Zuneigung schenkte. Derweilen verstärkte Nobu seine Bemühungen an Tatsuros Körpermitte und nicht einmal seine aufeinandergebissenen Zähne konnten die leisen Laute zurückhalten, die er ihm damit abrang.   „Schwein“, lallte er mit bleischwerer Zunge, aber entweder hatte sein Gegenüber ihn nicht verstanden oder ignorierte die Beschimpfung geflissentlich. Denn ohne weiter auf ihn einzugehen, veränderte Nobu seine Haltung so, dass er sich nun ohne Probleme über seinen Schritt würde beugen können. Es war offensichtlich, was er vorhatte und dennoch setzte Tatsuros Verstand für einen Augenblick aus. Er nahm die Bewegungen des anderen, wie in Zeitlupe war, während sein Herz immer schneller, panischer zu schlagen begann. Oh Gott, er konnte nicht zulassen, dass Nobu das tat, nicht das. Nicht, wenn er davon ausgehen musste, dass sein Körper irgendwann den Geist aufgeben würde, dass er hier verrecken würde und niemand Nobu mehr daran hindern konnte, sein perverses Video zu veröffentlichen. Er konnte nicht zulassen, dass Satochi das hier sah … Yukke …   „Nein!“, rief er aus, auch wenn seiner zerstörten Kehle nicht mehr als ein heiseres Kreischen entkam. Aber das war genug, um seinen Peiniger innehalten zu lassen. Tatsuro erkannte das Augenrollen, den Ansatz eines gehässigen Grinsens auf den verachtenswerten Zügen … und nahm von irgendwoher die Kraft, ihm mit der geballten Faust direkt auf die Nase zu schlagen.   ~*~   Satochi blickte dem Krankenwagen hinterher, der Kenta gerade mit heulenden Sirenen und Blaulicht ins nahe gelegene Krankenhaus brachte. Die Sanitäter hatten den bewusstlosen Bodyguard untersucht und waren zum Schluss gekommen, dass ihm jemand eine viel zu hohe Dosis Betäubungsmittel verabreicht haben musste. Sein Zustand war derart kritisch, dass der Notarzt nicht einmal versucht hatte, ihn an Ort und Stelle aufzuwecken. Die Intensivstation war gerade der einzige Ort, an dem man ihm noch würde helfen können.   „Sato?“, Yumikos ruhige Stimme riss ihn aus seiner Starre. „Die Polizei ist endlich hier, komm mit rüber, sie haben Fragen.“   Natürlich hatten die Polizisten Fragen, ihm selbst ging es schließlich nicht anders, nur mit den Antworten schien niemand dienen zu können. Zwei Beamte standen im Lichtkegel der kleinen Lampe, die genau über der Tür des Hinterausgangs angebracht war und ihren Teint kränklich gelb wirken ließ. Einen von ihnen kannte Satochi sogar, auch wenn es ihm lieber gewesen wäre, die Umstände wären andere und hätten ein Wiedersehen unnötig gemacht. Er nickte ihnen kurz zu und stellte sich neben Yukke, darauf wartend, dass die Polizisten ihre Fragen loswurden. Gara und selbst Miya, der mittlerweile tatsächlich wieder etwas nüchterner wirkte und sich nur noch schwach gegen Tatsuros Manager lehnen musste, standen an Yukkes anderer Seite. Satochi bemühte sich, so gut es ging auf die Fragen der Beamten zu antworten, auch wenn ihm das alles hier so surreal vorkam, dass er kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Tatsuro. Sein Bruder. Seine Familie.   „Wann haben sie Herrn Iwakami zuletzt gesehen, Herr Takayasu?“ Satochi hob den Blick und blinzelte, so viel also dazu, dass er so hilfreich wie möglich sein wollte.   „Entschuldigen Sie, was haben sie gesagt?“   „Ist in Ordnung“, erwiderte sein Gegenüber, der Polizist, den er bereits kannte, dessen Namen er jedoch längst wieder verdrängt hatte. "Ich verstehe, dass das für Sie gerade keine einfache Situation ist, aber je mehr Details Sie uns sagen können, desto schneller finden wir Ihren Bruder. Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen? Gibt es Personen, die die Feierlichkeiten früher verlassen haben? Jede Kleinigkeit könnte von Bedeutung sein, Herr Takayasu.“   Satochi setzte zu einer Antwort an, auch wenn er sich am liebsten die Haare gerauft und geschrien hätte, dass die Polizisten verdammt noch mal nicht so viel reden und lieber endlich Tatsuro suchen sollten! Er wusste nicht, ob jemand frühzeitig die Party verlassen hatte, und konnte nur sagen, dass er seinen Bruder aus den Augen verloren hatte, als dieser eine rauchen gegangen war. Gott, er war wirklich unendlich hilfreich. Als Yukkes Handy klingelte, reagierte er zunächst nicht, erst das entsetzt klingende Keuchen des anderen ließ ihn ruckartig zur Seite Blicken. Die Aufmerksamkeit aller lag binnen Sekunden auf dem Schauspieler, während sich angespannte Stille über sie gelegt hatte.   „Tatsuro?“, wisperte er hoffnungsvoll und gleichzeitig voller Furcht, denn Yukkes Reaktion ließ nichts Gutes ahnen. Der andere hob das Mobiltelefon hoch und hielt es so, dass sie alle einen einigermaßen guten Blick auf das Display hatten.   Eine kurze Nachricht, die im ersten Moment keinen Sinn ergab und ein Foto seines Bruders, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.   » BLP - KG 0.35 - Schnell! «   ~*~   Nobu schrie auf, während er selbst haltlos zitternd und seinen letzten Kraftreserven beraubt seitlich vom Stuhl rutschte und mit dem Kopf hart auf dem Betonboden aufschlug.   „Du verfluchtes Arschloch! Ich hab endgültig die Schnauze voll von dir!“   Tatsuro konnte das Zetern über das Rauschen seines eigenen Blutes in den Ohren kaum verstehen, rollte sich jedoch reflexartig so eng wie möglich zusammen, als sich ihm stampfende Schritte näherten. Der Schmerz des ersten Schlags presste ihm die Luft aus den Lungen und eine weitere Ohnmacht lauerte in der Peripherie seines Bewusstseins. Diesmal hielten sie jedoch Nobus Tritte und Fausthiebe davon ab, sich auszubreiten. Jedes Zucken seinerseits, jeder Versuch, sich zu schützen, jagte brennende Schmerzen durch seinen Leib.   „Nobu, nicht! Du bringst ihn noch um.“ Das war Kaisukes Stimme, die verzweifelt versuchte, zu seinem Bruder durchzudringen. Doch Nobu hörte nicht auf, schien im Gegenteil gefallen an seinem Tun gefunden zu haben und Tatsuro spürte, dass sein Körper begann, endgültig den Kampf aufzugeben … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)