Unverhofft kommt oft von Miisha ================================================================================ Prolog: Neues Leben ------------------- Ruhe lag über dem großen, weißgetünchten Gebäude weit außerhalb der Stadt. Die Sonne schickte ihre wärmenden Strahlen durch die einzelnen Fenster und verkündete somit den neu anbrechenden Tag. In dem Haus schien jedes Leben eingefroren zu sein. Nichts bewegte sich. Doch plötzlich erscholl das Klappen einer Tür und hastige Schritte wurden auf dem Gang laut. Ein Mann mittleren Alters hetzte durch diesen und stürmte auf eine am Ende liegende Fahrstuhltür zu. Soeben hatte er die Nachricht erhalten, dass das Experiment, das sie nun schon seit mehreren Monaten verfolgten, in seine Abschlussphase trat und als einer der leitenden Forscher durfte er dieses Ereignis um nichts in der Welt verpassen. Hektisch drückte er auf den Aufzugsknopf und sprang in die kleine Kabine, sobald sich die Türen geöffnet hatten. Wie von Sinnen betätigte er nun den Knopf für das letzte Untergeschoss und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Endlich hatten sich die Türen wieder geschlossen und der Aufzug fuhr dem ersehnten Ziel entgegen. Er hoffte inständig, dass alles gut gehen würde, da es ziemlich schwer gewesen war, an das für das Experiment benötigte Material zu gelangen. Im Grunde durfte aber gar nichts schief gehen, da es unter normalen Umständen ja schließlich auch meistens klappte. Mit einem leichten Ruck kam der Fahrstuhl zum Halten und die Schiebetüren öffneten sich mit einem leisen „Pling“. Kaum drang kaltes Neonlicht in die Kabine herein, da setzte sich der Mann auch schon wieder in Bewegung und zwängte sich durch den kaum breit genug erscheinenden Spalt hindurch auf den hellbeleuchteten Gang. In Windeseile wandte er sich nach links und steuerte auf eine große, zweiflügelige Tür zu, die entfernt an die Schwingtüren in einem Krankenhaus erinnerte. Mit einiger Kraftanstrengung zwang er sie auf und betrat den dahinterliegenden Raum ziemlich außer Atem. Sein Eintreten war nicht unbemerkt geblieben, momentan fand aber niemand Zeit, sich um ihn zu kümmern. Doch das störte ihn nicht weiter. Wie gebannt schaute er auf das sich ihm bietende Bild. Der Akt der Geburt, so wunderbar er auch normalerweise sein mochte, sollte in einigen Momenten eher einem Schlachtfest gleichen! Einige Männer und Frauen hatten sich um den säulenartigen Tank versammelt, in dem sich die Gebärmutter mit dem dort seit neun Monaten heranwachsenden Leben in einer Art nährstoffreichem Wasser befand. In der letzten Stunde hatte der Computer die ersten Wehen registriert und nun beeilten sich alle, das kleine Wesen unbeschadet auf die Welt zu holen. Es war der erste Versuch gewesen, ein Kind ohne den Körper einer Frau entstehen zu lassen, was ihnen scheinbar auch geglückt war. Aber wie würde sich das Kind verhalten, ohne dass es jemals zuvor die Nähe oder den Herzschlag eines Menschen gefühlt hatte? Angespannt beobachtete der Wissenschaftler, wie die gezüchtete Gebärmutter ihren Schützling mit einer Unmenge an Blut an die künstliche Flüssigkeit abgab und somit das Wasser stark trübte. Sofort wurde der Befehl gegeben, das Wasser abfließen zu lassen, um das kleine Ding vorm Ertrinken zu bewahren. ‚Bisher läuft also alles wie geplant.’, dachte der Mann, der alles ganz genau durchdacht hatte. Doch als hätte er es nicht beschreien dürfen, blinkte in diesem Moment irgendwo eine kleine rote Alarmlampe auf. „Verflucht! Die Ventile lassen sich nicht richtig öffnen!“, schrie ein Mitarbeiter, der an einem der monströsen Computer stand. Für einen kurzen Moment setzte sein Herzschlag aus, nur um dann mit doppelter Geschwindigkeit fortzufahren. Das durfte doch nicht wahr sein! Sollte die ganze Warterei etwa umsonst gewesen sein? ‚Das kann ich nicht zulassen!’, dachte er noch, bevor er zu einer der Wände lief und sich die in einem Kasten befindliche Axt schnappte. Mit dieser bewaffnet eilte er zum Tank und schlug mit Leibeskräften auf das dicke Glas ein. Nach drei kräftigen Schlägen konnten die entstandenen Risse dem Druck nicht mehr standhalten und ließen den Raum in einem Krachen und Bersten untergehen, während sich die roten Wassermassen ihren Weg über zurückspringende und schreiende Menschen bahnten, von denen manche von den Füßen gerissen wurden. Das Zischen und Knacken von empfindlichen Gerätschaften wurde laut, als sich die Flüssigkeit über diese ergoss und somit einen Kurzschluss bei denselbigen auslöste. Das Ganze hatte nicht mehr als ein paar Sekunden gedauert und trotzdem war das Labor kaum noch wiederzuerkennen. Alles stand in einer rötlich trüben Lache und hier und da blitzen vereinzelte Funken auf. Nicht wenige Mitarbeiter waren von scharfkantigen Glassplittern getroffen worden und bluteten jetzt aus mehreren größeren und kleineren Verletzungen. Ein Stöhnen und Schluchzen ging durch den Raum, was fast das leise Wimmern des Säuglings übertönt hätte. Doch dann streckte sich eine Hand nach ihm aus und berührte ihn beinahe tröstend an der Wange. Der Forscher, der die Scheibe zuvor eingeschlagen hatte, stützte sich nun ächzend auf seinen Ellenbogen ab und robbte näher zu dem Kind, das jetzt leise anfing zu weinen, da ihm, so nackt und bloß wie es dalag, allmählich kalt wurde auf dem kühlen Boden. Umständlich zog der Mann seine Jacke aus und wickelte das kleine Wesen behutsam hinein und nahm es ebenso vorsichtig auf den Arm. Strahlendblaue Augen sahen neugierig und wissbegierig zu ihm hinauf, bis sie schließlich müde wieder zufielen. Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen lehnte der Mann sich etwas bequemer an die Reste der Glassäule und wiegte das schlafende Baby sanft hin und her. Auch wenn er Wissenschaftler war, so hatte er Kinder noch nie nüchtern betrachten können. Viel zu viel bedeutete ihm ein strahlendes Kinderlachen und die dazugehörigen leuchtenden Augen. Auch wenn er jetzt womöglich eines seiner eigenen durch diesen Vorfall verloren hatte, so bereute er seine Entscheidung nicht, dieses Kind gerettet zu haben. Nicht etwa aus wissenschaftlichem Drang, sondern weil es einfach nur lebte! Erschöpft schloss er die Augen und gönnte sich einen Moment Ruhe, bevor er wieder mit ganzer Kraft ranmusste. Es würde mit Sicherheit nicht leicht werden in den nächsten Wochen. ~Drei Jahre später~ Ein großer, schlanker Mann saß an einem ziemlich überfüllten Schreibtisch, der fast unter der Last zusammenzubrechen drohte. Beinahe konnte man schon das Ächzen und Knarren des altersschwachen Möbelstücks hören, doch schien das den daran Sitzenden nicht weiter zu interessieren. Das silberne Haar verdeckte gezielt sein rechtes Auge und war im Nacken kurz gehalten. Ein dünndrahtiges Brillengestell wurde von dem schmalen Nasenbein gehalten und half seinem Besitzer beim Entziffern des Textes der Akte, die er aufgeschlagen vor sich zu liegen hatte. Unruhig huschte das sichtbare Auge auf dem Blatt Papier hin und her und ab und zu konnte man ein feines Kräuseln der Stirn erkennen. Als er gerade im Begriff war, weitere Ereignisse auf einem neuen Blatt zu notieren, wurde plötzlich fast schon zaghaft an seine Tür geklopft. Ohne aufzusehen bat er seinen mehr oder weniger willkommenen Besucher herein. Augenblicklich wurde die schwere Eichentür aufgeschoben und ein schwarzer Haarschopf kam zum Vorschein, der einer jungen Frau gehörte. „Entschuldigen Sie bitte, Mister Sorata. Der kleine Yuuki fragt, wann Sie ihn mal wieder besuchen kommen.“ Gleichmütig hob der Angesprochene den Blick. „Danke. Ich werde gleich mal nach ihm sehen.“, sagte Koryuu und wandte sich erneut seiner Schreibarbeit zu. Mit einem verhaltenen Nicken verabschiedete sich die Schwarzhaarige, wobei ihr durchaus bewusst war, dass der Wissenschaftler das eigentlich gar nicht sehen konnte, und schloss die Tür wieder hinter sich. Nach einigen Minuten immensen Schreibens seufzte der Silberhaarige, erhob sich und klappte die Unterlagen endlich zu. Müde rieb er sich unter der Brille hindurch über die Augen, wobei er etwas zusammenzuckte, als sein rechter Augapfel zu schmerzen begann. Im Grunde konnte man ihn einen solchen nicht mehr nennen, da er mehr oder weniger bei der Rettungsaktion vor drei Jahren zerstört worden war und daher nur noch einem blutigen Klumpen Fleisch glich. Als festgestellt worden war, dass es nicht mehr gerettet werden konnte, hatte er sich daher die Haare über die rechte Gesichtshälfte wachsen lassen, damit man es nicht sah. Man hatte ihm zwar empfohlen eine Augenklappe zu tragen, aber eine solche fand er zu furchteinflößend und von einem Glasauge hatte er auch abgesehen, da er nichts Halbtotes durch etwas Künstliches ersetzen wollte. Als der Schmerz sich wieder etwas gelegt hatte, schritt er an seinem Schreibtisch vorbei zur Tür und betrat nach wenigen Sekunden auch schon den hell erleuchteten Gang. Das grelle Licht der Neonröhren brannte im Auge, das kurz zuvor nur dem schwachen Schein der Schreibtischlampe ausgesetzt gewesen war. Die aufkommenden Tränen wegblinzelnd, schritt der Silberhaarige den Flur hinunter, wo er die angrenzende Treppe hinaufstieg, um in den obersten Stock zu gelangen. Mit dem letzten Schritt von den Stufen betrat er einen flauschigen Teppich mit zartem Blumenmuster, der den Klang seiner Absätze angenehm dämpfte. Erleuchtet wurde dieser Gang von einer Vielzahl von Kronleuchterlampen, die ein fast schon kerzenartiges Licht verbreiteten. Mit einem Lächeln, ob dieser beruhigenden Atmosphäre, folgte er dem neuen Korridor bis zu einer Tür, an der ein einfaches Plastikschild mit einem schwarzaufgedruckten Namen befestigt war. Ohne lange zu überlegen, betätigte er die Klinke und trat in den angrenzenden Raum, wo ein ebenso weicher Teppich wie der auf dem Flur auslag und einen sanft darin versinken ließ. Kaum hatte er den ersten Schritt in besagtes Zimmer getan, erscholl auch schon eine freudige Kinderstimme, die nach ihm rief: „Onkel Koryuu, da bist du ja endlich!“ Sofort war das hektische Trappeln kleiner Kinderfüße zu vernehmen und im nächsten Augenblick wickelten sich auch schon vertrauensvoll die dazugehörigen Arme um Koryuus Bein. Mit einem liebevollen Lächeln auf den schmalen Lippen ging der Silberhaarige in die Hocke und strich dem kleinen Jungen sacht über sein kurzes blondes Haar. „Wie geht es dir Yuuki? Hast du mal wieder mit den Schwestern verstecken gespielt?“, wollte der Ältere von dem Jungen wissen und betrachtete von Neuem erstaunt das Schlachtfeld aus Burgen und Höhlen, die der Kleine wieder fabriziert hatte. Mit strahlenden blauen Augen nickte der Kleine eifrig und fing auch schon munter an zu plappern, was er den ganzen Tag sonst noch so getan hatte. Noch immer lächelnd hörte er zu und hoffte, dass dem kleinen Blondschopf nicht die Unsicherheit auffiel, die sich unweigerlich in seinem Auge spiegeln musste. Doch natürlich hatte er nicht so viel Glück. „Was ist los, Onkel Koryuu? Du siehst etwas traurig aus.“, stellte das Kind fest und neigte seinen Kopf fragend zur Seite. Koryuus Lächeln wurde wehmütig und wieder strich er dem Kleinen über das Haar. „Du bist zu klug, als dass ich dir was vormachen könnte. Das hast du sicher von deinem Vater.“ Yuukis Augen wurden groß. „Mein Vater?“ „Ja, dein Vater.“, bestätigte der Silberhaarige und schloss kurz resignierend die Augen. „Möchtest du ihn kennenlernen?“ Ein für ein Kind irritierend ernster nachdenklicher Ausdruck huschte über das Gesicht des Dreijährigen. „Will er mich denn kennenlernen? Und was ist mit meiner Mutter?“, wollte er da auch schon wissen. „Nun ja. Beide wissen noch nichts von dir. Und was deine Mutter anbelangt… da ist uns.. ein Fehler unterlaufen.“, musste Koryuu leider zugeben, was einen fragenden Blick Yuukis zur Folge hatte. „Du weißt ja bereits, dass wir dich aus der DNS zweier Haare geschaffen haben. Allerdings ist uns hinterher aufgefallen, dass die DNS vom Haar deiner Mutter einem Mann gehört. Demnach hast du also zwei Väter, wenn man es genau nimmt.“, erklärte er schließlich. „Ist es dann nicht umso erstaunlicher, dass ihr es geschafft habt, eine Eizelle aus dieser DNS zu züchten?“, überlegte der Kleine und sah Koryuu fragend an. „So gesehen ja, aber was werden deine „Eltern“ wohl dazu sagen?“, gab der Wissenschaftler zu bedenken. „Werden sie nicht generell sauer sein, weil es mich gibt, ohne dass sie gefragt worden sind?“ Verunsichert schielte Yuuki zu dem Älteren nach oben, woraufhin dieser ihn tröstend in seine Arme zog. „Falls sie böse sein sollten, trifft dich nicht die geringste Schuld, hörst du? Und du kannst natürlich hier bleiben. Die Frage ist jetzt nur, ob du sie überhaupt sehen möchtest.“, erklärte Koryuu sanft und schob den Jungen wieder ein Stück von sich, um ihm fragend ins Gesicht sehen zu können. Zögerlich nickte der kleine Blondschopf, wobei sich dann doch noch ein zaghaftes Lächeln bahn brach. „Gut, dann werde ich die beiden Herren wohl mal über ihr unverhofftes Glück aufklären.“, lächelte Koryuu aufmunternd und strich dem Kleinen noch einmal über den Kopf. Er stellte sich jetzt schon mal auf ein erbittertes Gegenfeuer ein. Vor allem wenn er da an Yuukis Vater dachte… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)