Rot wie Herbstlaub von Puppenspieler ================================================================================ Epilog: -------- Der Sonnenuntergang ergoss sich in Gold und Rottönen über den Glockenturm. Lilly sah ihm schweigend zu, Moons Kopf auf ihren Schoß gebettet, Fünkchen und Miku beide an ihrer Seite. Herr Eule saß bei ihnen. Piepmatz hatte sich inzwischen zurück in seinen Pokéball begeben. Wie lange sie so da saß, konnte Lilly im Nachhinein nicht sagen. Zu lange. Die strahlenden Farben des Sonnenuntergangs wurden blasser und blasser, wichen schließlich einem blassblauen Himmel, der immer dunkler wurde. Bald ging das Feuerwerk los. Lilly wandte langsam den Blick vom Himmel, strich behutsam über Moons Stirn. Sie lebte. Sie atmete. Es war alles gut. „Du könntest trotzdem bald aufwachen, weißt du?“   Ob Moon sie hörte, oder ob Moon sich einfach nur an der Berührung störte, sie regte sich tatsächlich. Zog die Nase kraus und die Augenbrauen zusammen, ehe sie blinzelnd die Augen öffnete. Im letzten Licht des vergangenen Tages wirkte ihre Iris gespenstisch schwarz. „…Lilly?“ Lilly nickte. Plötzlich hatte sie wieder einen dicken, schweren Kloß im Hals. „Ich bin hier“, flüsterte sie. „Ich bin hier. Du bist hier.“ Und dann lachte sie, überfordert, aber glücklich, und Tränen füllten ihre Augen, aber es war okay, denn Moon war noch da, und Moon sah sie an, als wäre sie verrückt geworden, und auch das war okay. Und kaum, dass Lilly sich wieder beruhigt hatte, stellte Moon die Frage, die natürlich früher oder später hatte aufkommen müssen: „Was ist passiert?“   Lilly erzählte. Es war eine langsame, zögerliche Erzählung, weil die schreckliche Erinnerung immer noch schmerzte. Es klang eigentlich sogar nur noch furchtbarer, jetzt, wo es vorbei war. Jetzt, wo Lilly die Ruhe hatte, sich wirklich bewusst zu machen, dass Moon– dass Moon zumindest so gut wie tot gewesen war. Als sie fertig war, verfielen sie in Schweigen, während der Himmel sich über ihnen verdunkelte und verdunkelte. Schließlich, nach einer ganzen Weile, stieß Moon langsam die Luft aus, ein langgezogener, nachdenklicher Laut. Sie erhob sich vorsichtig, streckte Lilly dann eine Hand hin, als wolle sie ihr aufhelfen. Lilly zögerte, sie zu ergreifen, immerhin wollte sie Moon nicht überanstrengen. „Du hast mich gerettet.“ Aus Moons Mund klang das so simpel. Eine einfache, banale Feststellung, wie etwas Alltägliches. Eine Selbstverständlichkeit.   Wie all die Dinge, die Moon immer tat.   Lilly schwieg. Schluckte schwer einen Kloß in ihrem Hals herunter und die Erkenntnis, die sich in ihr breitmachte. Dann ergriff sie Moons Hand doch, ließ sich aufhelfen und klopfte sich den Kimono ab. „Reiner Eigennutz“, echote sie die Worte, die ihre Freundin so oft gesagt hatte. Ihr wurde heute erst bewusst, wie viel Wahrheit in ihnen steckte. Moon lachte selbstzufrieden. „Hab ich doch immer gesagt.“   Ehe Lilly noch etwas erwidern konnte, bemerkte sie im Augenwinkel einen jähen, bunten Lichtschauer. Verdutzt wandte sie den Blick, gerade rechtzeitig, um das Explodieren einer zweiten, bunten Rakete zu sehen.   Das Feuerwerk.   Moon neben ihr lachte. „Tja. Jetzt sehen wir es wohl doch von hier.“ Sie klang kein bisschen bedauernd dabei, und wenn Lilly ehrlich war – sie fühlte sich auch nicht nach Bedauern. Eher im Gegenteil. „Komm. Wenn wir schon so viel Platz für uns haben, lassen wir unsere Pokémon alle raus!“ Die Idee war so typisch Moon, dass Lilly ganz warm wurde. Sie folgte dem Plan natürlich, und bald waren sie umreiht von ihren Gefährten, standen da auf dem Dach des Glockenturms und sahen auf die Welt hinunter, auf die Lichter der Stadt in der Ferne, und auf das Feuerwerk, das in den schönsten Farben und Formen den Himmel zum Strahlen brachte. Hier aus der Ferne war es nicht einmal so extrem laut.   Es war wunderschön.   Und trotzdem bemerkte Lilly irgendwann, als sie zu Moon hinüberschielte, dass der Blick ihrer Freundin auf ihr ruhte. Sie blinzelte, hob fragend die Augenbrauen. Moon lachte. „Du hast da was“, kommentierte sie, deutete auf Lillys Haarschmuck. Ohne abzuwarten hob Moon die Hand und fischte was-auch-immer aus Lillys Haar, um es ihr hinzuhalten. In einem neuen, explosiven Lichtschauer erkannte Lilly schließlich sogar, was es war: Eine Feder. Ho-Oh musste sie beim Abflug verloren haben. „Jetzt kannst du es ja doch wiedersehen!“, rief Moon sofort freudig aus, als sie selbst erkannte, worum es sich handelte. Lilly lachte sanft. Sie umfasste Moons Hand samt Feder mit ihren eigenen Händen.   „Nächstes Jahr. Gemeinsam. Wir kommen wieder her, ja?“   Moon grinste, strahlte dabei heller als das Feuerwerk. „Klar. Das ist ein Versprechen!“ – „Genau. Ein Versprechen!“   Es kostete Lilly einige Mühe, sich von dem Anblick ihrer Freundin loszureißen, doch sie bereute es nicht – das Feuerwerk wurde immer üppiger, immer aufwändiger, der ganze Himmel schien ein Kunstwerk aus glitzerndem Gold werden zu wollen. In diesem Moment war Lilly glücklich, trotz der Turbulenzen der letzten Stunde. Sie hatte Moon immer noch bei sich. Sie hatte ein Versprechen, dass sie wieder herkommen würden. Ein kleines Ritual, das hoffentlich nie sein Ende finden würde, und das heute seinen Anfang nahm.   „Weißt du“, begann Moon nachdenklich. Lilly sah kurz zu ihr, wurde dann aber wieder von dem goldenen Schauer im Nachthimmel abgelenkt, „Du gibst eine gute Heldin ab. Aber…“ Sie brach ab. Absichtlich. Lilly hörte es in ihrer Stimme, dass sie wollte, dass sie nachhakte. „Aber?“, hakte sie also nach, zu neugierig, um es nicht zu tun – und zu glücklich und erleichtert, als dass sie Moon nicht gerade alles hätte durchgehen lassen. Moon drehte sich zu ihr herum, und in ihren Augen funkelte das Gold des Feuerwerks. „Fortgelaufen, um ein kleines Pokémon zu retten. Mutig genug, ganz Alola zu bereisen, ohne sich verteidigen zu können. Der eigenen Mutter die Stirn bieten…“ Lilly errötete, doch sie wich Moons strahlendem Lächeln nicht aus. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.   „Für mich bist du schon immer eine Heldin gewesen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)