Herbstmädchen von _Supernaturalist_ ================================================================================ Prolog: Erinnerung ------------------ Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern:   Die Schneeflocken fielen vom Himmel. Sie waren ganz zart und schmolzen bei der ersten Berührung. Sie schmeckten nach nicht viel, nur nach Wasser und dennoch machten wir Kinder uns einen großen Spaß daraus, sie mit unseren Zungen zu fangen. Ich erinnere mich daran, wie sie um uns herum tanzten, immer mehr werdend, auf ihrer kurzweiligen Wanderschaft gen Erdengrund. Noch immer kann ich die grauen, schweren Wolken über uns sehen, drohend und ihr Unheil verbergend.   Ich erinnere mich an die Kälte, die mit ihnen kam, die einen jeden nach Decken und Mänteln suchen ließ, tief verstaut in alten Schränken und Truhen. Und ich erinnere mich an den Frost, welcher folgte, die Blumen gefrierend und die Blätter zerfressend. All das Obst und Gemüse in den Gärten tötend. Zitternd denke ich noch heute an meinen Atem, sich wie kleine Herbstnebel vor mir bildend, mit jedem Atemzug, den ich nahm.   Ich erinnere mich an die Freude und Faszination, die wir als Kinder damals spürten, wie wir in unserem ersten Schnee tanzten und tollten, nicht wissend, welche Gefahr er mit sich brachte.   Und ich erinnere mich daran, wie meine Mutter und Vater schon alles für einen abrupten Aufbruch zusammengesucht hatten, es in Säcke und Kisten gepackt, genauso, wie auch all die anderen Menschen in unserem alten Dorf. Ich erinnere mich daran, wie sie einfach keine Zeit hatten, sich mit uns an dieser Pracht zu erfreuen – schließlich ahnten sie, was uns zu blühen drohte.   Schon mit dem Fall der ersten Schneeflocke, hatten sie alle gewusst, was zu tun war – nun bereit die lang gesparte Naivität der Kinder zu zerstören, wissend, dass sie – dass wir – vor all den Gefahren da draußen nicht länger geschützt werden konnten. Zu lange, so mein Vater, hatte es schließlich schon keinen Angriff mehr gegeben. Zu lange schon war die eisige Grenze zum Land des Winters nicht näher gerückt und hatte uns, das Volk des Herbstes bedroht. Zu lange schon wollte diese eisige Königin, eine Frau, die wohl noch nie eine Seele lebend zu Gesicht bekommen hatte, kein Opfer mehr nehmen. So war es wohl lange vor meiner Geburt gewesen, dass sie das letzte Mal ihre Schergen schickte, um ihr Land zu vergrößern und nur noch mehr Macht an sich zu reißen.   Doch dieses Mal hätte kein Wort meiner Mutter die drohende Gefahr schön reden können – der Krieg hatte schließlich unser Dorf erreicht, bereit es zu zerstören.   Ohne Worte hatten sie mich und meine kleinere Schwester gepackt, während auch unsere Freunde ihren Familien folgen mussten und hatten uns auf den alten, wackligen Wagen gesetzt, welcher dann schleunigst von unserem Esel gezogen wurde.   Natürlich hatten wir protestiert, wollten zurück zu der Pracht des Schnees und weiterspielen und tanzen, verstanden wir ja damals noch nicht, dass wir sonst dem Tod geweiht waren. So blickten wir noch lange nach, so lange, dass wir sehen konnten, wie eine Schar von Winterkriegern in unser Dorf – in unserem Zuhause – einfielen und alles zerstörten, was ihnen vor die Klinge kam. Häuser und Möbel schlugen sie in tausend Stücke. Das Vieh, das zurückgelassen wurde, metzelten sei nieder. Natürlich hatten meine Schwester und ich schon oft gesehen, wie ein Huhn oder Schwein geschlachtet wurde, doch nie haben wir wahrgenommen, wie Menschen mit solch einer Brutalität vorgingen. Nie haben wir erlebt, dass Menschen so grausam sein konnten und es änderte unser Leben: Während meine Schwester nur noch mehr zur Güte in Person heranwuchs, erkannte ich, dass nicht alle Menschen einfach gut waren und schätzte nur die, die ich kannte.   Ja, mein erster Wintereinbruch prägte mich, mehr, als ich wahrscheinlich heute zugeben würde. Und - ja, ich erinnere mich noch genau an diesen Tag. Erinnere mich daran, dass die Gefahr des Winters näher war, als ich wohl je geahnt hätte und ertappe mich nun dabei, dass ich jeden Morgen betend zum Himmel blicke, fürchtend, dass einmal wieder diese verhassten Flocken hinabfielen und wieder nahende Gefahr ankündigten.   Seitdem weiß ich – und es sind nun fast zehn Jahre seitdem vergangen - dass ich mich nie der Kälte ergeben würde und für immer ein Herbstmädchen bliebe, auch wenn mein Leben davon abhängen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)