Seelenschatten von Labrynna ================================================================================ Kapitel 8: Puppenspieler ------------------------ Nach ihrem Abstecher in das schaurige Shinra-Labor nahm die Gruppe die Verfolgung Sephiroths wieder auf. Ihr Weg führte sie zunächst über das gewaltige Felsmassiv Mount Nibel, an dessen Fuß Clouds und Tifas einstige Heimatstadt lag, und anschließend weiter nach Rocket Town. Dort schloss sich ihnen Cid Highwind an, der legendäre Pilot, der bis zu einem vermasselten Raketenstart vor ein paar Jahren eine unvergleichliche Karriere innerhalb der ShinraInc hingelegt hatte. Trotz seiner Verbindung zu Shinra war Cid, der den großen Wunsch hegte, der erste Mensch im All zu sein, in der Bevölkerung stets beliebt gewesen. Grund dafür war nicht zuletzt sein ungehobeltes Mundwerk, das ihm immer wieder bildgewaltig fluchen ließ, aber auch jeden Zweifel an Cids Aufrichtigkeit im Keim erstickte. Nach seiner Meinung gefragt, sagte Cid grundsätzlich genau das, was ihm gerade durch den Kopf ging. Durch diese direkte, ungezwungene Art und sein Privileg mit Flugschiffen den Himmel befahren zu können symbolisierte er für viele Menschen Freiheit. Was den Aufenthalt in Rocket Town für die Gruppe jedoch noch wesentlich wertvoller machte als Cids Beitritt, war die Tatsache, dass sie dort durch ein zufällig belauschtes Gespräch zwischen Rufus Shinra und einem seiner Direktoren erfahren hatten, dass Sephiroth offenbar zu dem Tempel des alten Volks unterwegs war. Der Konzernpräsident und sein selbstgefälliger Speichellecker waren in der Stadt gewesen, weil sie von Cid dessen Propellermaschine „Tiny Bronco“ hatten einfordern wollen, um damit zu dem auf einer Insel südwestlich von Gongaga gelegenen Tempel zu fliegen. Dass Cid sich nicht nur geweigert hatte, das Flugzeug dem Vorsitzenden der ShinraInc zu überlassen, sondern es lieber ihrer kleinen Gruppe zur Verfügung gestellt hatte, amüsierte Aerith sehr. Zwar war es bei einer Auseinandersetzung mit Shinras Artillerie beschädigt worden und hatte seine Flugfähigkeit eingebüßt, doch als Boot taugte es allemal, was für die momentanen Bedürfnisse der Truppe glücklicherweise vollkommen ausreichend war. Bei einem ersten Besuch am Tempel hatte die Gruppe herausgefunden, dass leider ein bestimmter Schlüsselstein von Nöten war, wenn man das Innere betreten wollte. Also hatten die neun Abenteurer sich in den nächstgelegenen Dörfern ein wenig umgehört und so erfahren, dass der Stein im Besitz des GoldSaucer-Betreibers war. Dieser war ein ausgesprochen reicher und gelangweilter Mann und hatte zum Glück als Gegenleistung für den Verleih seines wertvollen Sammlerobjekts lediglich gefordert, dass Cloud an einem Arenakampf teilnahm, um so für ein wenig Amüsement zu sorgen. Da es im Verlauf des Kampfs ziemlich spät geworden war und die Reparatur der ausgefallenen Seilbahn, die der einzige Weg aus dem GoldSaucer heraus war, noch einige Stunden in Anspruch nehmen sollte, hatte die Gruppe sich entschlossen, eine weitere Nacht in dem als Hotel fungierenden Geisterhaus des Vergnügungsparks zu verbringen. Cloud hatte die erzwungene Ruhepause genutzt, um die neuen Gruppenmitglieder über die bisherigen Ereignisse ins Bild zu setzen, bevor er sein Reisegepäck und den ausgeliehenen Schlüsselstein auf sein Zimmer gebracht hatte. Dies war nun über eine Stunde her und Aerith saß gelangweilt am Kaminfeuer und kauerte sich in das dicke Polster eines Sessels. Mit einem Blick über die Schulter stellte sie fest, dass sich der Großteil der restlichen Gruppenmitglieder ebenfalls im Hotelfoyer aufhielt. Vincent saß nur einen halben Meter von ihr entfernt auf einem wuchtigen Sofa und schien mit geschlossenen Augen seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, während Cid neben der nach oben führenden Treppe auf und ab ging und leise mit seiner Frau Shera telefonierte. Auf der gegenüberliegenden Raumseite saßen Yuffie und Red an einem kleinen Tisch und spielten Schach miteinander, wobei der rote Tiger sich offenbar königlich über das verzweifelte Gesicht der jungen Ninja amüsierte und dem neben ihm stehenden Barrett Anweisungen zuraunte, damit dieser die Figuren für den handlosen Spieler über das Brett zog. Cait Sith hingegen hatte sich schon vor einiger Zeit auf sein Zimmer zurückgezogen und schlief vermutlich schon. Etwa zeitgleich hatten Cloud und Tifa das Hotel verlassen, um den Abend in trauter Zweisamkeit zu verbringen und gemeinsam die Attraktionen des Parks auszuprobieren. Bei dem Gedanken daran krallte Aerith die Finger in die Armlehnen und presste die Kiefer fest aufeinander. Sie wusste nicht einmal genau, warum sie so eifersüchtig war. Seit sie die Beiden kannte, war ihr immer klar gewesen, dass Cloud und Tifa ineinander verliebt waren und zu einem Paar werden würden, sobald einer von Beiden den Mut fände, den ersten Schritt zu machen. Aerith war bewusst, dass sie sich eigentlich für ihre Freundin hätte freuen müssen, weil diese endlich über ihren Schatten gesprungen und auf Cloud zugegangen war. Dennoch rumorte es in ihrem Inneren und sie hätte am liebsten irgendetwas Zerbrechliches laut schreiend an die Wand geworfen. Während sie beobachtete wie ein Holzscheit knackend und unter Funkenflug in sich zusammenbrach, gestand Aerith sich ein, dass sie nicht deshalb eifersüchtig auf Tifa war, weil diese mit Cloud ausging, sondern weil die Bardame noch einen Freund hatte, mit dem sie viele, romantische Stunden verbringen und ihr frisch verliebt Sein genießen konnte. Das Glück ihrer Freundin führte Aerith den eigenen Verlust dermaßen brutal vor Augen, dass ihre Trauer und ihr unerfüllbarer Wunsch, wenigstens noch einen Tag mit Zack verbringen und ihm all die Dinge, die ihr auf der Seele brannten, sagen zu können, so übermächtig wurden, dass sie in ohnmächtige Wut umschlugen. Warum nur hatte sie Zack so früh verlieren müssen? Es gab doch noch so viel, das sie noch nicht miteinander erlebt hatten! Gerade als Aerith mit dem Gedanken spielte, ins Bett zu gehen, um den eigenen Gedanken und Erinnerungen zu entkommen, trat Cait Sith wieder ins Foyer und verkündete, er wolle einen Spaziergang machen. Zunächst dachte sich niemand etwas bei seinem spontanen Sinneswandel, doch als kurz darauf undefinierbarer Lärm vor dem Hotel ertönte, stürzten die restlichen Gruppenmitglieder ihm hinterher ins Freie. Zu der großen Überraschung aller kreiste ein Shinra-Hubschrauber über dem GoldSaucer und Cait Sith hielt genau darauf zu. Auch Tifa und Cloud, die gerade von ihrem Ausflug zurückkehrten, zogen irritierte Gesichter. Die Katzenpuppe warf ihnen einen gehetzt wirkenden Blick zu, schien dann etwas in ihren Händen fester zu fassen und beschleunigte ihre Schritte. Plötzlich erbleichte Cloud und stürzte hinter Cait Sith her, wobei er lauthals brüllte: „Bleib stehen, du Dieb!“ Aerith blinzelte überrascht und kniff die Augen zusammen, um besser erkennen zu können, was am anderen Ende des Hotelvorhofes vor sich ging. Was sie dabei erblickte, raubte ihr regelrecht den Atem: Cait Sith hielt den Schlüssel zum Tempel des alten Volks in den Händen und rannte wie von der Tarantel gestochen auf Tseng zu, der sich aus dem offenen Helikopter lehnte. Obwohl Cloud so schnell über den Platz hetzte wie er konnte, schaffte er es nicht mehr, die Übergabe des Schlüsselsteins zu verhindern. Der Gruppe blieb nichts anderes übrig als voller Entsetzen mitanzusehen wie der Turk mit dem wertvollen Objekt davonflog. „Bist du vollkommen von Sinnen?!“ Cloud schubste Cait Sith so heftig, dass dieser lang auf den Boden aufschlug. „Was zur Hölle sollte das?!“ Die Augen des erbosten Exsoldaten funkelten vor Wut so sehr, dass sie Funken zu sprühen schienen und Aerith befürchtete, Cloud könnte seinem Zorn womöglich durch Gewaltanwendung Luft machen. Tifa legte ihrem Freund jedoch noch rechtzeitig beschwichtigend die Hand auf die Schulter und sah ihm eindringlich in die Augen, was den Blonden sofort ein wenig ruhiger werden ließ. „Ich… ich kann das erklären.“ Cait Sith klang ehrlich zerknirscht und ließ den Kopf hängen, während der Rest der Gruppe mit versteinerten Mienen auf ihn hinuntersah. „Das hoffe ich für dich“, knurrte Cloud, der trotz Tifas Eingreifen noch immer außer sich war, und riss den resigniert wirkenden Verräter wieder auf die Beine, um ihn zurück zum Hotel zu schubsen. Als sie zurück im Foyer waren, umringten die einzelnen Gruppenmitglieder die niedergeschlagen aussehende Katzenpuppe, um sie an einer möglichen Flucht zu hindern und sie zur Rede zu stellen. Obwohl Aerith selbst gesehen hatte, wie Cait Sith die Truppe hintergangen und Shinra in die Hände gespielt hatte, tat er ihr in dieser erniedrigenden Situation dennoch leid. „Also“, ergriff Cloud mit grollender Stimme das Wort, „wer bist du wirklich?“ Cait Sith holte tief Luft und gab dann zu: „Mein Name ist Reeve Tuesti. Ich leite Shinras Abteilung für Stadtentwicklung.“ „Kein Wunder, dass uns die Turks immer einen Schritt voraus waren!“ Barrett stand kurz vor der Explosion und ballte die Hände immer wieder zu Fäusten. Nur mit Mühe konnte er sich von dem sinnlosen Unterfangen abhalten, der schwarzweißen Katzenpuppe an die Gurgel zu gehen. Cloud schüttelte unterdessen seufzend mit dem Kopf, wobei er erschreckend müde und ausgelaugt wirkte. Dann ließ er seinen Blick über die Gesichter der Anderen gleiten und fragte: „Was machen wir nun mit dem Verräter?“ Bevor einer der Angesprochenen antworten konnte, rief Cait Sith plötzlich wieder voller Leben: „Wartet! Es ist nicht so wie ihr denkt.“ Als er die verächtlichen und ungläubigen Mienen sah, mit denen die Gruppe auf seine Worte reagierte, nickte er reumütig. „Ich gebe zu, ich habe mich euch angeschlossen, um für Shinra zu spionieren. Aber ich bitte euch, mir zu glauben, dass dies nie aus freien Stücken geschah. Man hatte mir angedroht, meine Abteilung zu schließen, wenn ich nicht tat, was man von mir verlangte.“ Yuffie machte ein abfälliges Geräusch und giftete von Barrett durch ein Kopfnicken unterstützt: „Ach so, na dann! Jetzt haben wir natürlich alle Verständnis für dich. Das arme Miezekätzchen hätte seinen Arbeitsplatz verloren, wenn es nicht zum Spion geworden wäre!“ „Darum ging es mir doch gar nicht! Heidegger und Scarlett sind vollkommen übergeschnappt und Rufus lässt ihnen freie Hand, so lange sie nur seine Macht vermehren. Wenn meine Abteilung geschlossen würde, gäbe es niemanden mehr, der mäßigend auf die Beiden einwirken könnte. Ich wollte Midgar schützen!“ „Sicher… Du bist ein richtiger Gutmensch. Warum haben wir das nicht gleich gesehen?“ Bei diesen Worten erschrak der ansonsten so ruhige und sachliche Red ein wenig vor sich selbst. So gehässig und kalt kannte der Tiger sich gar nicht. Cait Sith ignorierte den Zwischenruf jedoch und sprach unbeirrt weiter: „Mir war schon lange klar, dass die Leitung der ShinraInc gestoppt werden muss. Doch erst durch eure Geschichten und die Erlebnisse mit euch habe ich erkannt, wie grausam dieser Konzern wirklich vorgeht und wie viel Leid und Unrecht bereits in Shinras Namen geschehen ist. Nur dank euch ist mir nun klar geworden, dass es nicht ausreicht, wenn ich nur mit Worten und Apellen versuche, etwas zu ändern. Wir brauchen eine Revolte von außen, um die Verantwortlichen aufzuhalten in ihrem Größenwahn.“ Barrett stieß mit einem schnaufenden, verächtlich klingenden Geräusch Luft aus der Nase aus. „Das sagt dieser miese Verräter doch jetzt nur, um uns wieder um den Finger zu wickeln!“ Wild mit dem Kopf schüttelnd, wehrte Cait Sith sich vehement: „Das ist nicht wahr! Ich glaube wirklich, dass ihr das Richtige tut, und will euch unterstützen. Lasst es mich beweisen! Zukünftig werde ich euch über alles informieren, was ich über die Pläne der ShinraInc erfahre!“ „Das hättest du auch früher schon tun können, wenn du es gewollt hättest. Dieses Angebot ist doch nur eine Finte, damit wir dich nicht aus der Gruppe ausschließen.“ Tifa klang als bedauerte sie zutiefst, dass nicht einfach so tun konnte als wäre nie etwas geschehen und so hart gegen Cait Sith sein musste. Dieser legte den Kopf schief und fragte: „Hätte ich das wirklich gekonnt? Wenn ich euch gesagt hätte, dass ich als Abteilungsleiter bei Shinra arbeite, hättet ihr mich doch sofort verstoßen. Aber ich wollte bei euch bleiben, um euch so gut zu unterstützen wie ich konnte. Das ist der einzige Grund, warum ich geschwiegen habe.“ Cloud, der mit verschränkten Armen vor der Marionette stand, verzog die Lippen zu einem traurigen Lächeln und fragte leise: „Weißt du, was das Problem mit Lügnern ist? Man kann ihnen nicht glauben, selbst dann nicht, wenn sie die Wahrheit sagen.“ Aerith, die bislang ziemlich unbeteiligt gewirkt hatte, kniete sich plötzlich vor die enttäuscht zu Boden blickende Katzenpuppe und begann breit zu grinsen, als sie für alle gut hörbar verkündete: „Ich glaube ihm und finde, wir sollten ihm noch eine Chance geben.“ Der Rest der Gruppe heftete seine völlig überraschten und perplexen Blicke auf die junge Frau, die jedoch nur mit einem Schulterzucken reagierte. Ihr war selbst nicht klar, warum sie Cait Siths Worten Glauben schenkte. Sie wusste lediglich, dass sie sich auf ihr Bauchgefühl verlassen konnte. Wenn es darum ging, die Gesinnung und Aufrichtigkeit einer Person zu erspüren, lag Aerith stets richtig. Cloud, der – auch wenn es vor allem Barrett nicht wahrhaben wollte – in solchen Situationen das letzte Wort hatte und für die Gruppe entschied, machte ein nachdenkliches Gesicht und kaute grübelnd auf der Unterlippe, während er abzuwägen versuchte, was nun das Richtige war. Dann holte er schließlich tief Luft und nickte dem gespannt wartenden Cait Sith zu, wobei er erklärte: „Also gut, du darfst bleiben. Ich vertraue Aerith und ihrem Urteil. Wenn sie der Meinung ist, dass es sich lohnt, dir noch eine Chance zu geben, dann machen wir das.“ Aus dem im Katzenmaul eingebauten Lautsprecher kam ein langgezogenes Seufzen der Erleichterung, das Aerith rührte. Doch bevor Cait Sith sich für die geschenkte Möglichkeit, seine Integrität zu beweisen, bedanken konnte, fügte Cloud mit einem kalten Glänzen in den harten Augen an: „Aber ich werde dich ab jetzt permanent überwachen. Ich werde dir zukünftig über die Schulter schauen, egal ob du isst, schläfst oder das Bad aufsuchst. Und sollte ich je mitbekommen, dass du den Funkkontakt zu uns abbrichst oder den Versuch startest, ohne unser Wissen zu jemandem bei Shinra Kontakt aufzunehmen, werde ich zunächst eigenhändig diese Puppe demontieren und dir anschließend gemeinsam mit Barrett daheim in Midgar einen Besuch abstatten. Ich hoffe, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt!“ Mit diesen Worten schnappte Cloud sich seinen neuen Bettnachbarn und verschwand mit ihm auf dem Zimmer. Auch der Rest der Gruppe zog sich kurz darauf zurück, nur Aerith verweilte noch ein wenig im Foyer. Ins Kaminfeuer starrend wurde ihr bewusst, dass sie nun so eine Art Bürge für Cait Sith war und der Zorn der Anderen unweigerlich auch sie treffen würde, sollte ein weiterer Verrat stattfinden. Doch an diese unangenehme Vorstellung verschwendete die junge Frau nur wenige Gedanken. Stattdessen bestimmt die Frage, ob sie unter diesen Umständen jemals das Innere des Cetra-Tempels zu sehen bekommen würde, den Großteil von Aeriths Geist. Schon im Eingangsbereich des uralten Gebäudes hatte sie sich seltsam wohl und willkommen geheißen gefühlt. Ihr war gewesen als hätte dieser Ort schon seit Jahren auf sie gewartet. Seufzend warf sie einen letzten Blick auf die züngelnden Flammen vor ihr, dann ging auch sie zu Bett. Es hatte keinen Sinn, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was alles hätte sein können, wenn manche Dinge anders gelaufen wären. Das galt für diese Situation genauso wie für die vielen Erlebnisse mit Zack, die das Schicksal ihr wohl immer schuldig bleiben würde. Aerith wollte also lieber den nächsten Morgen und die Entscheidung darüber, wie die Gruppe nun weiter vorgehen wollte, abwarten und dann das Beste daraus machen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)