Auf der anderen Seite des Lichts von Labrynna ================================================================================ Kapitel 7: Ein folgenreiches Angebot ------------------------------------ Sobald sich die Eisschicht über seiner Seele vollständig geschlossen hatte und seine Tränen versiegt waren, machte Dark sich auf die Suche nach Brennholz. Er wollte einen Scheiterhaufen für Zelda errichten, um seiner Frau die letzte Ehre zu erweisen. Zudem war ihm der Gedanke daran, ihr schöner Körper könnte von Ratten und anderen Aasfressern angefressen und abgenagt werden, unerträglich. Wann immer sich dieses Bild vor sein inneres Auge schob, wurde sein Hals zu eng und er glaubte, an seiner eigenen Phantasie ersticken zu müssen. Zwar fühlte er seine Trauer und seinen Schmerz dank der alles in ihm einschließenden Frostschicht nicht mehr bewusst, doch seinen Körper konnte er nicht so leicht belügen wie seinen Geist. Der Mond wanderte langsam über den sternenübersäten Himmel, während Dark Ast um Ast auf den Dorfplatz schleppte. Obwohl ihm der Schweiß schon bald in breiten Bahnen über den Körper lief, arbeitete der junge Mann weiterhin wie ein Besessener ohne Pause. Wann immer er ein Holzstück auf den stetig wachsenden Haufen gelegt hatte, wandte er sich sogleich wieder um und eilte auf der Suche nach noch mehr Brennholz in die Wüste zurück. Der Morgen graute bereits, als Dark den Scheiterhaufen endlich für groß genug befand. Dennoch war er mit seiner Arbeit noch immer nicht zufrieden. Je länger er darüber nachdachte, desto weniger gefiel ihm die Idee, Zelda auf dem Dorfplatz zu verbrennen. Dieser Ort wirkte so unpersönlich… Also machte Dark sich daran, jeden einzelnen Ast, jedes einzelne Holzstück den kleinen Hügel hinauf zu den Ruinen seines Heimes zu schleppen. Er hatte beschlossen, Zelda solle zuhause bestattet werden. Dort, wo sie und Link so viele schöne gemeinsame Stunden verbracht hatten. Ihr Körper sollte gemeinsam mit Darks Erinnerungen an Links unerfüllbar bleibende Zukunftsträume in Flammen gehen. Nachdem er alles Holz endlich zu den Resten seines Hauses geschleppt hatte, schichtete Dark das Brennmaterial in mühevoller Kleinarbeit so auf, dass daraus eine Art Bett entstand. Erst dann lief er zum Dorfplatz zurück, um Zelda zu holen. Seit ihre Seele ihren Leib verlassen hatte, schien sich das Gewicht ihres Körpers gleichzeitig vermehrt und verringert zu haben. Zu Lebzeiten hatte sie nie wie ein nasser Sack in Darks Armen gelegen, doch ihr Lachen und das Funkeln ihrer Augen hatten sie mehr Raum einnehmen lassen als ihr Leichnam es konnte. Für einen Moment verharrte Dark mit zweifelndem Gesichtsausdruck vor Shadows totem Körper. Der Assassine hatte ihn immer gut behandelt und ihm vieles ermöglicht, für das er dankbar sein sollte. Wenn Dark ehrlich zu sich selbst war, musste er sich eingestehen, dass Shadow wie ein Vater für ihn gewesen war. Dennoch konnte Dark sich nicht dazu durchringen, auch Shadows Leiche zu bestatten. Für ihn war sein ehemaliger Meister ein Verräter und hatte damit jedes Anrecht auf ein würdevolles Ende verwirkt. In Darks Augen war Shadow allein verantwortlich für Zeldas Tod und all den Kummer und das Leid, das dieser in Dark auslöste. Der junge Mann hasste seinen ehemaligen Lehrer auf einmal mit derselben Intensität mit der er seine Frau geliebt und Shadow bewundert hatte. Zwar merkte eine Stimme in seinem Inneren zaghaft an, dass Zelda über die Behandlung ihres Vaters sicherlich sehr erbost wäre, doch Dark schob den Gedanken bestimmt zur Seite. Zelda war tot. Sie hatte keine Meinung mehr. Sie bemerkte auch nicht mehr, was um sie herum passierte. Alles, was Dark jetzt noch vermeintlich für sie tat, machte er in Wahrheit für sich, um zumindest ein winziges bisschen Seelenfrieden zurückzubekommen. An den Überresten seines Hauses angekommen, legte Dark Zeldas Körper auf dem Scheiterhaufen ab. Dabei war er so sanft und vorsichtig, dass man hätte meinen können, er trüge seine Frau lediglich ins Bett, statt zu ihrer letzten Ruhestätte. Nachdem er sie abgelegt hatte, betrachtete Dark sein Werk mit grübelnder Miene. Irgendetwas war noch nicht perfekt… Als er schließlich ausgemacht hatte, was ihn störte, zog er Zelda ihre Schwertscheide vom Rücken und löste zärtlich das Heft ihres Schwertes aus ihren allmählich wieder beweglich werdenden Fingern. Dann streifte er sich seine eigene Waffe ab, legte sie auf Zeldas Oberkörper und drapierte ihre Hände über dem Griff. Sie war eine Kämpferin gewesen – also sollte sie auch wie eine mit einer Klinge in der Hand bestattet werden. Doch in einem plötzlichen Anfall von Sentimentalität wollte Dark, dass seine Frau ein Andenken an ihn mit ins Jenseits nahm. Außerdem wollte er ein Erinnerungsstück an sie zurückbehalten. Mit einem Gefühl von Enge im Brustkorb betrachtete Dark den schwarzen Stern aus Onyx-Stein, der im Heft von Zeldas Schwert eingelassen worden war. Der Griff der edlen Waffe war genau wie ihre Schneide über und über mit Dämonenblut besudelt. Zelda musste den Monstern einen harten Kampf geliefert haben, bevor es ihnen gelungen war, sie zu überraschen und zu töten. Vielleicht hatte eines der Kinder, die sie offenbar hatte beschützen wollen, Zelda für einen kurzen Augenblick abgelenkt und so ihr Schicksal besiegelt. Dark hatte das Gefühl, eine krallenbewehrte Hand griffe nach seinem Herzen. Wäre er doch bloß hier gewesen, um Zelda den Rücken frei zu halten… Das Gefühl von Enge breitete sich in Darks gesamten Körper aus und der junge Mann schob Zeldas Schwert schnell in seine Scheide, bevor die Verzweiflung ihn wieder übermannen konnte. Das Eis in seinem Inneren hielt die meisten Gefühle fern, doch das Blut, das unablässig aus seinem gebrochenen Herzen tropfte, fand selbst die feinsten Risse dieser Schutzschicht und füllte Darks Geist mit Schmerz und erstickender Trostlosigkeit. Ohne Zelda erschien Dark alles so sinnlos… Nachdem er sich Zeldas Schwert umgeschnallt hatte, legte Dark seiner toten Frau eine Hand auf den Bauch, wo nun niemals sein Kind heranwachsen würde, und küsste ein letztes Mal ihre kalten, unbewegten Lippen. Obwohl er sich sicher gewesen war, keine Tränen mehr zu haben, fiel eine einzelne Träne aus seinem Augenwinkel auf Zeldas Gesicht, wo sie die Wange der jungen Frau herablief. Es sah fast so aus als weine die Tote selbst über ihren Verlust oder darüber, ihren Mann mit zertrümmertem Herzen zurücklassen zu müssen. Seinen Kopf über derart kitschige Gedanken schüttelnd, richtete Dark sich wieder auf und entzündete den Scheiterhaufen. Mit lautem Knistern und Knacken züngelten die Flammen in den blauen Mittagshimmel hinauf und hüllten Zelda in ihren orangeroten Schleier. Während Dark beobachtete, wie der Körper seiner geliebten Frau allmählich zu Asche verbrannte, erweckte er nach außen einen vollkommen stoischen Eindruck. Seine Augen blieben trocken und kein einziger Gesichtsmuskel zuckte. Sein Gesicht war zu einer unbewegten Maske völliger Indifferenz gefroren. Doch in seinem Inneren tobte ein rasender Schmerz. Jede Zelle, jede Faser seines Wesens schrie und jaulte angesichts der Qualen, die sein geschundenes Herz litt. Am liebsten hätte er sich zu Zelda gelegt, um mit ihr gemeinsam zu verbrennen. Aber es gab da noch etwas, das er erledigen musste, bevor er sich den Luxus des eigenen Ablebens erlauben konnte… Einen letzten Blick auf die glimmenden Überreste des Scheiterhaufens werfend, wandte Dark sich endlich zum Gehen. Es war an der Zeit, sein Dorf wieder zu verlassen und sich dem Einzigen zu widmen, das ihn zum Weitermachen antrieb. Es war Zeit, drei Göttinnen zu erschlagen! Darks Weg führte ihn nach Kakariko, eine kleine Ortschaft in der Nähe von Hyrule-Stadt. Dark erinnerte sich daran, dass Shadow ihm während einer Mission in Kakariko erzählt hatte, hier befände sich die größte und älteste Bibliothek des Schattenreichs. Der junge Mann hoffte, dort irgendwelche Hinweise darauf zu finden, wie es Ganon einst gelungen war, in die Mittelwelt zu gelangen. Von dort aus musste es einen Weg in die Lichtwelt, das Reich der Göttinnen, geben. Während Dark durch die karge Steppe marschierte, die zwischen der Wüste und Kakariko gelegen war, erinnerte er sich daran, wie er derselben Route als Kind in entgegengesetzter Richtung gefolgt war. Damals hatte er Hunger und Durst gelitten und war nur knapp mit dem Leben davon gekommen. Heute war es für ihn dank seiner bei Shadow erlernten Fähigkeiten keine große Herausforderung mehr, genügend Nahrung und Wasser zu finden. Doch dies war nicht der einzige Unterschied zu seiner Reise als Kind. Damals war Dark aus Angst vor Dämonen nur bei Tag gereist und hatte über Nacht stets Schutz gesucht. Sein Geist war in dieser Zeit erfüllt gewesen von Zorn über die Ungerechtigkeit des Schicksals, Schmerz über seinen Verlust und Sorge, was nun aus ihm werden sollte. Gleichzeitig hatte er aber auch ein wenig Vorfreude auf ein selbstbestimmtes, abenteuerreiches Leben und Neugierde auf all die unbekannten Dinge, die ihm tagtäglich begegnet waren, verspürt. Nun war sein Geist völlig taub. Dark fühlte nichts, abgesehen von einer allgegenwärtigen Leere. Selbst die Trauer über Zeldas Ableben war immer mehr verblasst, je weiter sich das Eis in seinem Inneren ausgebreitet hatte, bis nur noch ein Schatten der schier unmenschlichen Herzensqualen zurückgeblieben war. Der Tod seiner Eltern hatte Dark damals seine kindliche Unbedarftheit und seinen naiven Glauben an immerwährende Sicherheit genommen. Doch der Verlust seiner Frau hatte ihn offenbar noch härter getroffen. Er schien Dark sämtlicher Menschlichkeit beraubt zu haben. Es war als hätte Zeldas Tod alles an Dark, das zu Empfindungen fähig war, aus ihm herausgerissen. Von den dabei entstandenen Löchern in seiner Seele breitete sich absolute Gleichgültigkeit in dem jungen Mann aus. Es war ihm egal, ob er sich womöglich in tödliche Gefahr begab, wenn er nachts durch die Steppe zog. Genauso wenig berührte es ihn, wenn ein gefangenes Tier verletzt in seiner Falle zappelte und vor Schmerzen quiekte. Dark fühlte nichts. Absolut nichts. Selbst sein Hass gegenüber Shadow und seine gegen die Göttinnen gewandte Rachsucht, die ihn als einziges weiter vorantrieb, waren inzwischen kaum mehr als Erinnerungen an einstmals starke Gefühle. Sein inneres Eis hatten sie erreicht und unter einer dicken Frostschicht eingeschlossen, sodass sie Darks Bewusstsein nur noch selten erreichten. Er war innerlich tot. Als er in Kakariko ankam, verschaffte Dark sich als erstes einen Überblick über die Ortschaft. Es war schon einige Jahre her, seit er mit Shadow zuletzt hier gewesen war. In dieser Zeit war Kakariko deutlich gewachsen, weshalb Dark sich nun ein wenig orientierungslos fühlte. Da er trotz einigem Suchen die Bibliothek nicht wiederfinden konnte, kehrte er zunächst in eine Schänke ein, um sich nach dem Weg zu erkundigen. Sobald er durch die Tür trat, rief ihm der Wirt bereits entgegen: „Falls du nach etwas zu Essen suchst, bist du hier falsch, Freundchen. Ich kann dir nicht mal eine magere Ratte anbieten.“ Dark schüttelte den Kopf und setzte sich an den Tresen. „Deswegen bin ich nicht hier.“ Der Wirt putzte einen Tonkrug trocken und warf seinem Gast einen neugierigen Blick zu. „Was kann ich dann für dich tun? Du siehst ein wenig mitgenommen aus. Willst du deinen Liebeskummer in einem Bier ertränken, mein Freund?“ Als bei diesen Worten für den Bruchteil einer Sekunde ein Schatten über Darks Gesicht huschte, lief dem Schenk ein eisiger Schauer über den Rücken. Irgendetwas an diesem jungen Mann war seltsam… Der Wirt konnte nicht genau ausmachen, was Dark von anderen Männern unterschied, doch er ging instinktiv in eine Verteidigungshaltung. Eine innere Stimme sagte ihm, dass sein Gast trotz der äußerlichen Ruhe gefährlicher war als die betrunkenen Raufbolde, mit denen er sonst zu tun hatte. Zur Überraschung des Wirts entgegnete Dark jedoch mit einer Stimme, die genauso leer und ausdruckslos war wie sein Gesicht: „Ich suche nach der Bibliothek und wollte fragen, ob du mir sagen kannst, wo ich sie finde.“ Verblüfft fischte der Schenk einen weiteren Krug aus dem mit schmierigem Spülwasser gefüllten Trog und begann, ihn mit seinem schmutzigen Tuch trocken zu reiben. „Es muss ewig her sein, dass jemand in die Bibliothek wollte“, staunte der Wirt. „Die meisten Leute haben andere Sorgen als Lesestoff…“ „Ist ja wirklich interessant“, unterbrach Dark betont gelangweilt den Redeschwall des Wirts, bevor dieser richtig in Fahrt kommen konnte. „Aber wenn ich ehrlich sein soll, kümmern mich andere Menschen nicht mehr als der Dreck unter meinen Fingernägeln. Also sag mir einfach nur, ob du mir helfen kannst oder nicht.“ Der junge Mann lehnte sich leicht über die Theke und warf dem Schenk einen stechenden Blick aus zu Schlitzen verengten Augen zu. Auf diese Weise machte er ohne großen Aufwand einen sehr bedrohlichen Eindruck. Der Wirt schluckte hart und stellte seinen Krug mit zitternden Fingern ab. Wieso nur ließ er sich von seinem Gast derartig einschüchtern? Er war schon mit deutlich kräftigeren Trunkenbolden fertig geworden… Dennoch hatte Dark etwas an sich, dass dem Schenk das Gefühl gab, so leicht zu zertreten zu sein wie eine Kakerlake. „Die Bibliothek ist in dem großen Gebäude auf dem östlichen Hügel“, setzte er an, „aber ich fürchte, du wirst nicht mehr einfach so dort hereinspazieren können.“ „Ach so?“ Dark zog fragend die Augenbrauen in die Höhe, während der Wirt eifrig nickte. „Seit die Mauern von Hyrule-Stadt gefallen sind und die Stadt immer wieder von Dämonen heimgesucht wird, ziehen die Menschen in Scharen hierher. Die Bibliothek wird nun als Wohnhaus genutzt.“ Dark zog grübelnd die Unterlippe zwischen die Zähne. „Was ist aus den Büchern geworden?“ Der Schenk zuckte mit den Schultern und fühlte sich dabei reichlich unwohl. Irgendetwas sagte ihm, dass man Dark besser nicht verärgerte oder enttäuschte. „Das weiß ich nicht. Ich habe nie gesehen, dass sie verbrannt oder weggeschafft worden wären. Deswegen nehme ich an, dass sie immer noch im Haus sind – vielleicht im Keller oder so.“ „Danke. Dann werde ich mich dort mal umsehen.“ Dark ließ sich von seinem Stuhl rutschen, griff in seine Hemdtasche und warf dem verdatterten Wirt ein paar Rubine zu. Der Schenk starrte dem jungen Mann, der die Gaststätte bereits verlassen wollte, vollkommen perplex hinterher, als ihm plötzlich ein Gedanke durch den Kopf schoss: „Du bist Link, nicht wahr? Arns Sohn?“ Dark erstarrte in der Bewegung und der Wirt beeilte sich, zu erklären: „Ich habe bis vor einigen Monaten eine Schänke in Hyrule-Stadt betrieben. Dein Vater kam oft, um nach Essen zu betteln. Dabei hat er immer wieder von dir erzählt. Die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend! Ich hab immer gedacht, du hättest den Überfall damals ebenfalls nicht überlebt…“ Der Wirt wollte noch sagen, wie glücklich Arn und Medila sein müssten, wenn sie sehen könnten, dass aus ihrem kleinen Jungen ein kräftiger, gesunder Mann geworden war, doch Dark schnitt ihm mit eisiger Stimme das Wort ab: „Falls dir dein jämmerliches Leben lieb ist, sprichst du nie wieder über dieses Thema. Wenn du mich noch einmal Link nennst oder meine Eltern erwähnst, schlitze ich dir persönlich die Kehle auf.“ Mit diesen Worten trat Dark ins Freie und ließ den Wirt irritiert und starr vor Angst zurück. Zu Darks Erstaunen sah das Gebäude, in dem die Bibliothek untergebracht sein sollte, von außen tatsächlich eher wie ein Wohnhaus als wie eine Bücherei aus. Deswegen hatte der junge Mann sie auf seinem ersten Rundgang durch Kakariko nicht erkannt. Als Dark nun zielstrebig auf die Eingangstür zuhielt, saßen vier Männer unterschiedlichen Alters davor und putzten ihre Waffen. Während der Jüngste von ihnen kaum dem Knabenalter entwachsen war, zeigten sich bei dem Ältesten bereits die ersten grauen Strähnen im vollen, dunklen Haar. Bei Darks Anblick stand der Zweitjüngste auf, warf sich in die Brust und versperrte dem Neuankömmling den Weg. „Hey, Fremder, wo willst du hin?“ Seiner Stimme war deutlich anzuhören, dass er sich nicht wirklich für Darks Ziel interessierte. Er wollte dem Unbekannten vielmehr zu verstehen geben, dass er schleunigst umkehren sollte. Dieser blieb in einer betont lässigen Pose stehen und deutete auf den Eingang der Bibliothek. „Wonach sieht’s denn aus? Ich will da rein.“ Die anderen Männer, die die in der Luft liegende Spannung spürten, stellten ihre Putztätigkeiten nun ebenfalls ein und blickten zwischen den beiden Stehenden hin und her. Dabei verrieten ihre Gesichtsausdrücke deutlich, dass sie der Meinung waren, von Dark ginge trotz seiner gut sichtbaren Bewaffnung keine ernstzunehmende Bedrohung aus. Ihre Überzahl gab ihnen Sicherheit. Der Zweitälteste strich wie zufällig über die Klinge seines Schwertes und sah unter seinen Wimpern hinweg zu Dark hoch. „Und was willst du in unserem Haus?“ „Euer Wohnbereich ist mir völlig egal“, setzte dieser zu einer Erklärung an. „Ich interessiere mich für die Bibliothek, die bis vor kurzem in eurem Haus war.“ Angesichts dieser unerwarteten Antwort stutzten die vier Männer und der Älteste stieß einen grunzenden Laut des Amüsements aus. „Das ist wohl die bescheuertste und gleichzeitig kreativste Ausrede eines Räubers, die ich je gehört habe!“ Der etwas Jüngere rümpfte die Nase und schüttelte den Kopf. „Mag sein. Aber damit kommt der Kerl trotzdem nicht durch. Hörst du, Fremder? Zieh Leine, bevor du’s bereust. Wir teilen unser Essen ganz sicher nicht mit einem dahergelaufenen Rattengesicht wie dir!“ Dark seufzte theatralisch auf und verzog das Gesicht zu einem Ausdruck der Langeweile. „Alles klar… Spitzt mal die Öhrchen, ihr Hampelmänner: Ihr habt die Wahl – ihr könnt es auf die leichte oder harte Art haben. Aber egal, für was ihr euch entscheidet, ich werde jetzt durch diese Tür treten. Ich rate euch in eurem Interesse, versucht nicht, mich aufzuhalten. Ihr würdet es teuer zu stehen kommen. Ich habe nämlich absolut kein Problem damit, euch zu töten, solltet ihr mir im Weg stehen. Verstanden?“ Die drei älteren Männer brachen in schallendes Gelächter aus, nur der Jüngste blickte verunsichert zu Dark herüber. Die eisige Ruhe des Fremden machte dem Jüngling Angst. So selbstbewusst verhielt sich nur, wer keinen Zweifel an der eigenen Überlegenheit hatte. „Vielleicht sollten wir ihn in den Keller begleiten“, gab der junge Mann zu bedenken – doch zu spät. In diesem Moment machte Dark einen Schritt nach vorn und der Zweitjüngste stach mit seiner Lanze nach ihm. Als hätte er mit dieser Attacke gerechnet, stieß Dark sich kräftig vom Boden ab und katapultierte sich hoch in die Luft. Sekunden später landete er leichtfüßig auf der Waffe seines Angreifers als wäre er eine Katze, die über einen Zaun balancierte. „Wie…?!“ Der Lanzenträger und seine Kumpane rissen vor Überraschung die Augen weit auf. Dark verzog die Lippen zu einem halbseitigen, ironischen Grinsen und flötete in scheinbar vergnügtem Ton: „Berufsgeheimnis.“ Dann langte er nach vorn, durchtrennte seinem noch immer völlig perplexen Gegner die Kehle und brachte sich mit einem Rückwärtssalto aus der Gefahrenzone, bevor die anderen Männer reagieren konnten. Bereits im Sprung schleuderte Dark zwei Wurfmesser auf die heranstürzenden, ältesten Mitglieder der Gruppe. Noch bevor der junge Assassine in kniender Position auf dem Boden landete, hatte er drei der vier Männer vor der Bibliothek getötet, ohne dass diese eine ernsthafte Chance auf Gegenwehr gehabt hatten. Sich aufrichtend warf Dark dem Jüngsten, der so heftig zitterte, dass er sein Schwert kaum noch festhalten konnte, einen Blick über die Schulter hinweg zu. Der Gleichmut, der in den blauen Iriden des Assassinen geschrieben stand, jagte dem Jüngling eisige Schauer über den Rücken. Dieser Fremde tötete mit erschreckender Präzision und verzog dabei nicht einmal eine Miene… Offenbar tangierte ihn das Töten von Menschen nicht mehr als das Zertreten von Ungeziefer. „Steck das Schwert weg und verschwinde, Kleiner. Spiel nicht den Tapferen – das glaubt dir eh niemand.“ Dark sammelte seine Messer wieder ein und wischte ihre Klingen an seiner Lederhose ab. Dabei wandte er dem Jüngling völlig unbedarft den Rücken zu, so als wäre er sich absolut sicher, dass von dem jungen Mann keinerlei Gefahr ausging. Dieser nahm all seinen Mut zusammen, schluckte den Kloß in seiner Kehle herunter und fragte mit noch stimmenbruchgeplagter Stimme: „Wieso verschonst du mich?“ Dark wedelte mit der Hand zwischen sich und dem Bibliothekseingang herum. „Weil du mir nicht im Weg stehst.“ „Das ist der einzige Grund?!“ Dem Jüngling stand vor Verblüffung der Mund offen. Irgendwie hatte er mit einer tiefgreifenderen Begründung, wie eine noch vor ihm liegende Zukunft voller Möglichkeiten, gerechnet. Dark stieß schnaubend Luft aus der Nase aus und drehte sich langsam zu dem jungen Mann um. „Ich töte nicht aus Spaß. Meine Gründe mögen nicht für jeden nachvollziehbar sein, aber sie sind vorhanden.“ Als der Jüngling den Mund auftat, um etwas zu entgegnen, verengte Dark die Augen zu Schlitzen und fügte grimmig an: „Wenn du einen Todeswunsch hast, geh mir ruhig weiter auf die Nerven. Das wäre für mich Anlass genug, dich von deinem Leben zu befreien.“ Ein paar Herzschläge lang starrte der Jüngling sein Gegenüber fassungslos an. Dieser Kerl war vollkommen verrückt! Dann wirbelte der junge Mann herum und rannte wie von der Tarantel gestochen davon. „Feigling…“ Dark schüttelte den Kopf über den Fliehenden und wandte sich wieder der Bibliothek zu. Als wären die Leichen am Boden nicht mehr als Laubhaufen trampelte der junge Mann über sie hinweg zur Tür herüber und trat endlich ein. Der vorherigen Bemerkung des Jünglings hatte Dark entnehmen können, dass die Bücher tatsächlich in den Keller geschafft worden waren – so wie es der Wirt bereits vermutet hatte. Also hielt Dark sich gar nicht mit dem Erdgeschoss auf und stieg stattdessen die Treppe ins Kellergewölbe herab. Hier waren lange Regalreihen aufgebaut worden, die bis zum Bersten angefüllt waren mit dicken Wälzern und Schriftrollen. Die Luft roch nach Papier, Staub und ganz leicht nach feuchtem Stein. Von der schieren Anzahl der Bücher überfordert, drehte Dark sich langsam um die eigene Achse und fragte sich, wo er mit der Suche beginnen sollte. Es gab keinerlei Beschriftung, die eine thematische Unterteilung der Schriftstücke erkennen ließ. Auf gut Glück zog Dark zwei nebeneinanderstehende Bücher aus dem Regal und stöhnte innerlich auf. Während der erste Foliant eine Sammlung beliebter Volkssagen enthielt, beschäftigte sich der andere Band mit mathematischem Fortgeschrittenenwissen. Offenbar waren die Bücher vollkommen unsortiert in die Regale geräumt worden. Das bedeutete, dass Dark auf seiner Suche nach Hinweisen jedes Einzelne begutachten musste… Genervt trat der junge Mann gegen den Fuß eines Büchergestells und zuckte heftig zusammen, als hinter ihm ein gespenstisches Lachen erklang. Mit wild hämmerndem Herzen wirbelte Dark herum, doch hinter ihm schien sich nichts anderes zu befinden als leere Gänge und Schatten. Spielte ihm sein übermüdeter Geist einen Streich? Hatte er sich das Gelächter lediglich eingebildet? Nein, er war sich ganz sicher, dass er tatsächlich etwas gehört hatte. Er war nicht so allein wie er glaubte. Eine Hand an seinem Schwertheft, schlich Dark vorsichtig durch die Regalreihen. Dabei späte er konzentriert um jede Ecke und sezierte die Schatten mit seinen Blicken. Er war sich sicher, er würde die andere anwesende Person finden und notfalls unschädlich machen können. Doch egal wie aufmerksam er auch suchte, er fand niemanden. Allmählich wurde die Angelegenheit unheimlich und Dark erinnerte sich schaudernd an die Geschichten von verfluchten Häusern, die er im Dorf gehört hatte. Kein Fest war vollständig gewesen ohne eine Erzählung über alte Gemäuer, in denen es spukte. Angeblich fanden manche Menschen nach ihrem Tod den Weg ins Jenseits nicht und neideten den Lebenden ihre vielen Möglichkeiten. Man sagte, es gäbe sogar Gespenster, die vor Zorn über ihr zu frühes Ableben töteten. Dark schluckte. Wie sollte man etwas töten, das schon lange tot war und noch dazu über keinen materiellen Körper verfügte? Gerade als Dark überlegte, ob er vielleicht lieber woanders nach Hinweisen suchen sollte, begann ein Schatten vor ihm zu wabern und sich zu bewegen. Mit kreisrunden Augen beobachtete Dark wie der Schatten wuchs und sich ausdehnte, bis er die Konturen eines sehr großen, breitschultrigen Mannes angenommen hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Dark daran, Shadows Geist habe ihn bis hierher verfolgt und wolle nun Rache für sein jähes, brutales Ende. Doch dann materialisierte sich der Körper des Schattenmannes und Dark registrierte, dass er keinerlei Ähnlichkeit mit dem toten Assassinen hatte. Während Shadow langes, dunkelblondes Haar und dunkelblaue Augen gehabt hatte, glühten Haare und Iriden des Fremden in einem flammenden Rot. Den Rest seines Gesichts verbarg der Schattenmann hinter einer Maske, die aussah wie ein bleicher Totenschädel. „Das, was du suchst, wirst du hier nicht finden.“ Die Stimme des Fremden war tief und klang gleichzeitig ein wenig wie das Knistern von verbrennendem Pergament. Dark umklammerte instinktiv den Griff eines Wurfmessers und fragte: „Ach ja? Woher willst du wissen, was ich suche?“ In diesem Moment war der junge Mann fast froh über die Leere in seinem Inneren. Wäre ihm nicht alles egal gewesen, hätte er es sicherlich nicht geschafft, ruhig und gefasst zu klingen. Der Maskierte lachte leise in sich hinein. „Ich beobachte dich schon eine Weile.“ Dark runzelte die Stirn und entgegnete mit vor Zynismus triefender Stimme: „Mir war gar nicht bewusst, dass mein Leben spannend genug ist, dass es sich lohnt, mich zu verfolgen.“ Als hätte er die spitze Bemerkung gar nicht gehört, sprach der Fremde weiter: „Du suchst einen Weg in die Mittelwelt. Ich kann dir dabei helfen, wenn du im Gegenzug etwas für meinen Meister tust.“ Dark, der das Gefühl hatte, dass man ihn übers Ohr hauen wollte, winkte ab. „Nicht interessiert.“ Der Maskierte legte den Kopf schief und sah sein Gegenüber mit intensivem Blick an. „Sicher? Du könntest deine Eltern wiedersehen.“ „Ich bin kein Kind mehr.“ Die Arme vor der Brust verschränkend, lehnte Dark sich kaum merklich zurück. Unter den forschenden Blicken des Fremden fühlte er sich irgendwie nackt, so als könnte der Unbekannte bis hinab in die bestgehüteten Regionen seiner Seel sehen. „Und was ist mit deiner Frau?“ Die Stimme des Schattenmanns hatte einen beiläufigen Plauderton angenommen, doch die Worte verfehlten ihre Wirkung dennoch nicht. Sie schlugen kleine Kerben in Darks Eispanzer und sandten tiefe Risse durch die frostige Schutzschicht. „Was soll mit ihr sein?“ Dark bekam nur noch ein Flüstern über die Lippen. Imaginären Dreck unter seinen Fingernägeln entfernend antwortete der Maskierte: „Wenn du meinem Meister bei der Beseitigung eines Problems hilfst, könntest du sie wiedersehen.“ „Was?! Wie?“ Dark hatte das Gefühl, sein Kopf bestünde plötzlich nur noch aus Watte. Milliarden von Gedanken schossen durch seinen Geist, blockierten sich gegenseitig und schubsten sich weg, bevor der junge Mann auch nur einen von ihnen zu fassen bekommen konnte. Er konnte Zelda wiedersehen? Der Fremde schien hinter seiner gruseligen Maskerade zu grinsen, als er fragte: „Du weißt, dass es bis auf wenige Ausnahmen zu jedem von uns Gegenstücke in der Mittel- und der Lichtwelt gibt?“ Dark nickte noch immer völlig benommen. „Dann ist es dir vielleicht auch nicht neu, dass unsere Gegenstücke uns nicht nur optisch, sondern auch charakterlich ähneln“, fuhr der Schattenmann fort, um von Dark unterbrochen zu werden: „Warte, warte, warte! Du meinst, ich könnte die Zelda der Mittelwelt treffen, wenn ich deinem Meister einen Gefallen tue?“ „Ganz genau.“ Irgendwo ganz tief in Dark schlug eine Tür ins Schloss und seine Mimik verdunkelte sich schlagartig. „Sag deinem Meister, er soll sich selbst um sein Problem kümmern. Ich habe kein Interesse an billigen Kopien. Die Zelda der Mittelwelt mag zwar vielleicht aussehen und sich so verhalten wie meine Frau, aber sie ist trotzdem nicht dieselbe!“ Mit diesen Worten wollte Dark sich abwenden, doch der Maskierte ließ nicht locker: „Sie ist nicht dieselbe, das stimmt. Aber sie ist ihr so ähnlich, dass du keinen Unterschied merken wirst, das garantiere ich dir. Überleg es dir noch mal. Was ist besser? Dich alleine mit deinem Liebeskummer grämen oder mein Angebot anzunehmen und mit dem besten Ersatz, den du finden kannst, noch einmal neu anzufangen. Denk daran: Mit dieser Zelda könntest du endlich das Kind bekommen, das du dir so sehr wünscht.“ Dark verharrte in der Bewegung und zögerte, während die Tür in seinem Inneren langsam wieder aufschwang. Er wusste, die andere Zelda wäre kein wirklicher Ersatz für seine Frau. Dennoch verzerrte sich alles in ihm danach, sich dieser Illusion hinzugeben. Wenn er es sich nur genug wünschte, würde er mit ihrer Doppelgängerin an seiner Seite vielleicht irgendwann daran glauben können, seine Frau nie verloren zu haben. Oder? Er bekäme die Chance, sein Leben noch mal ganz neu anzufangen und all die Träume zu leben, die er als Link zusammen mit Zelda geschmiedet hatte. Er könnte ein Vater werden und sein Kind aufwachsen sehen, ohne sich Sorgen darum machen zu müssen, ob er auch morgen noch genügend Nahrung beschaffen konnte. Die Risse seines Schutzpanzers gruben sich immer tiefer in Darks inneres Eis. Es fühlte sich an als würde er von innen heraus zu Scherben zerfallen. Mit tonloser Stimme gab er zu bedenken: „Die Mittelwelt-Zelda kennt mich doch gar nicht und hat ihr eigenes Leben, vielleicht sogar einen Mann und Kinder. Wie soll sie mir da meine Frau ersetzen?“ Der Maskierte trat näher an Dark heran, beugte sich leicht zu ihm herunter und verkündete in siegessicherem Ton: „Hier überlappen sich die Interessen meines Meisters mit deinen. Die Zelda der Mittelwelt ist mit deinem Doppelgänger, dem Herrn der Zeiten, liiert. Töte ihn für meinen Meister, dann kannst du seinen Platz an ihrer Seite einnehmen. Das Schönste daran ist, dass du dich auf diese Weise auch noch an den Göttinnen rächen kannst, indem du den von ihnen erwählten Helden vernichtest. Du würdest zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.“ Dark wandte sich langsam wieder zu dem Schattenmann um und sah ihm aus beinah kindlich-verletzlich wirkenden Augen ins verhüllte Gesicht. Eigentlich wollte Dark das Angebot ausschlagen und erklären, dass er kein Interesse daran hatte, das Leben eines anderen zu führen. Stattdessen schlug er jedoch in die ihm dargebotene Hand ein und sagte: „Wenn dein Meister mich hereinlegen will und ich Zelda nicht zurückbekomme, werde ich ihn eigenhändig töten.“ „Keine Bange. Sobald du den Herrn der Zeiten beseitigt hast, gehört die Prinzessin dir.“ Der Maskierte schien erneut zu grinsen und Dark horchte bei dem Wort «Prinzessin» auf, sagte jedoch nichts dazu. Die Schultern straffend forderte er stattdessen: „Dann erklär mir, wie ich in die Mittelwelt gelange.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)