Sünde von Labrynna ================================================================================ Kapitel 59: Melanie ------------------- „Du hast echt Glück mit einem Bruder wie Greg.“ Finchen hatte sich auf dem Bauch liegend quer auf meinem Bett ausgestreckt und betrachtete die Tür, durch die mein Bruder gerade verschwunden war, als könnte sie Greg noch immer dahinter sehen. Ich lächelte breit und nahm die dampfende Teetasse, die Greg mir unaufgefordert gebracht hatte, vom Tablett neben mir. „Ja, er ist wirklich fürsorglich.“ Der aromatische Duft von Pfefferminze stieg mir in die Nase und ich fühlte mich gleich ein bisschen gesünder. Josephine drehte den Kopf und bedachte mich mit einem eigentümlichen Blick, so als hätte ich eine seltendämliche Frage gestellt. „Fürsorglich? Mag sein, aber das meinte ich gar nicht.“ Irritiert blinzelte ich sie an. „Nicht?“ Sie rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf. „Mann, dein Bruder ist heiß! Wen interessiert denn bei dem Hintern, ob der dazu gehörige Mann fürsorglich ist?“ Ich schnaubte abfällig und trank einen Schluck von meinem Tee. „Ehrlich, Finchen, du bist echt schlimm. Hast du eigentlich noch was anderes als das im Kopf?“ Mit einem breiten Grinsen zuckte Josephine mit den Schultern. „Wenn du ihn nicht willst... Ich nehm’ ihn.“ Irritiert zog ich eine Augenbraue in die Höhe. „Wie, wenn ich ihn nicht will? Wir reden hier von meinem Bruder...“ „Adoptivbruder.“, berichtigte mich Finchen, während sie an ihrem Nasenring drehte. Ich habe nie verstanden, warum sie sich dieses scheußliche Ding ins Gesicht hängte. Mit ihren großen, blauen Augen, dem erdbeerfarbenen Schmollmund, der Stupsnase mit den Sommersprossen und den langen, glatten, rotblonden Haaren sah sie eigentlich aus wie ein unschuldiges Püppchen, doch seit einiger Zeit schminkte sie sich dunkel, was ihre Haut unnatürlich blass wirken ließ, und sie hatte sich dieses unsägliche Piercing stechen lassen. Wenn man mich fragte, war das nicht gerade eine Verbesserung. „Ja, gut, er ist nur mein Adoptivbruder. Aber na und? Macht das einen Unterschied?“ Ich stellte meine bunt geblümte Teetasse auf meinen Nachtschrank und lehnte das Tablett von außen gegen mein Bett. „Natürlich! Ich meine, im Grunde ist es nichts anderes als wäre er der nette Nachbarssohn, den du schon dein Leben lang kennst. Und mit dem würdest du doch auch schlafen, oder nicht?“ Mit riesigen Augen starrte ich Finchen an, die sich lasziv auf meinem Bett räkelte und spitzbübisch grinste. Mit Greg schlafen? Mit dem Jungen, der Jahre lang um mich gewesen war, der mir kleinere Schrammen und Macken verarztet hatte und der mich seit meinem siebten Lebensjahr immer bemuttert hatte, sobald ich krank geworden war? Im Leben nicht, niemals! „Ich glaube, das ist doch ein bisschen was anderes. Greg ist mein Bruder, auch wenn wir vielleicht nicht verwandt sind.“ Finchen grinste noch ein bisschen breiter und knuffte mich gegen den Unterschenkel. „So denkst du nur, bis du ihn mal als Mann siehst und nicht als ein geschlechtsloses Etwas. Das solltest du wirklich mal ändern. Glaub mir, das lohnt sich.“ Ich schüttelte den Kopf und trat spielerisch nach Finchen, die mir noch immer grinsend die Zunge heraus streckte. „Selbst wenn... Du weißt genau so gut wie ich, dass ich mit Johannes zusammen bin.“ Mit einem unterdrückten Stöhnen verdrehte Finchen die Augen. „Als könnte ich deinen Möchtegern-Rockstar vergessen...“ Finchen hatte Jo ja noch nie ausstehen können, doch seit Adam sie verlassen hatte, hasste sie alles, was mit ihm zu tun hatte von Herzen – so auch meinen Freund. Doch auch vor Adams „Hilfe“ waren die Beiden sich zu meinem Leidwesen bereits tierisch unsympathisch gewesen. Er hielt sie für ein überdrehtes, verzogenes Highsociety-Rotzgör mit neureichen Eltern und sie dachte von ihm nur als unterbelichteten Neandertaler, der permanent unausstehlichen Krach alleine auf einer E-Gitarre oder zusammen mit seiner Band produzieren musste. „Ehrlich, Mel, ich hab nie verstanden, was du an dem findest. Er sieht weder gut aus, noch hat er Geld.“ Böse zog ich die Augenbraunen zusammen. Ich konnte es nicht ausstehen, wenn sie so abfällig von ihm sprach. „Er hat Charakter.“ Finchen machte ein abfälliges Geräusch und sah mich von unten herauf missbilligend an. „Sicher... Wenn man den in Kilo messen kann, hat er davon sogar jede Menge.“ Genervt schubste ich sie leicht an, sodass sie zwar auf die Seite rollte, aber nicht aus dem Bett fiel. „Du bist blöd. Lass Jo in Ruhe. Er ist ein toller Kerl und er ist echt gut zu mir. Ich hab ihn wirklich gern.“ Finchen setzte sich auf und schüttelte mit einem verschwörerischen Gesichtsausdruck den Kopf. „Nur so lange, bis du dir mal einen Typen wie deinen Bruder genauer anguckst. Versprochen.“ Ich seufzte resigniert und rieb mir über die Augen. Obwohl Greg sich wirklich fantastisch um mich kümmerte und ich mich auch schon viel besser fühlte, wurde ich trotzdem noch immer schnell müde. Um das anstrengende Thema endlich abzuhaken, schlug ich ihr einen Handel vor: „Okay. Ich werd mich einen Monat lang bemühen, Greg als Mann zu sehen, so als hätte ich ihn zufällig auf der Straße getroffen. Wenn ich dann aber immer noch meinen Johannes will, sagst du nie wieder auch nur ein schlechtes Wort über ihn.“ Josephine grinste breit und schlug ohne zu zögern in die ihr dargebotene Hand ein. „Deal!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)