Sünde von Labrynna ================================================================================ Kapitel 46: Teil 3 - Heimkehr: Melanie -------------------------------------- Millimeter für Millimeter breiteten sich die schräg einfallenden Sonnenstrahlen im Zimmer aus, malten silbriggoldene Muster auf den blauen Filzteppichboden, ließen das Erdbeerrot der Schranktüren leuchten und brachten die feinen Staubpartikel, die durch den Raum tanzten zum Schimmern. Langsam krochen sie das Bettgestell aus hellem Buchenholz hinauf, schlichen über die mit einem schwarzen Laken bezogene Matratze und kitzelten mich an der Nase. Ich knurrte leise und drehte den Kopf auf die andere Seite, um der Helligkeit zu entgehen, die an meinen Lidern zerrte und versuchte, mich zum Aufstehen zu überreden. Meine Haare raschelten über den blutroten Satinbezug meines Kopfkissens, das ich im Schlaf so weit nach oben geschoben hatte, dass ich mit dem Kopf bereits auf der Matratze lag. Von draußen drang das fröhliche Lied eines Vogels der den schönen, jungen Tag freudig begrüßte, an meine Ohren. Schlaftrunken überlegte ich, wessen Geträller ich da lauschte – Amsel? Buchfink? Lerche? – während etwas an meinem Bewusstsein schubste und drängte. Ich rollte mich auf den Rücken, packte mein zerknülltes Kissen und zog es mir ins Gesicht, um dem hellen Licht zu entfliehen. Unten in der Küche klapperte jemand mit Geschirr und der Geruch von gebratenem Speck zog durch das Schlüsselloch langsam in mein Zimmer. Vermutlich bereiteten meine Eltern gerade das Frühstück – da durfte Rührei mit Speck natürlich nicht fehlen. Wieder stupste das Etwas mein Bewusstsein an, ohne dass mir klar wurde, was es mir sagen wollte. Mein Kopf fühlte sich leer und wie in Watte gepackt an. Langsam drehte ich ihn nach links und warf einen Blick auf meinen Radiowecker auf dem kleinen Nachtschränkchen. Die leuchtendblauen Ziffern verrieten mir, dass es 8 Uhr 30 in der Früh war. Wer wollte um diese Uhrzeit schon aufstehen? Ich jedenfalls nicht – und schon gar nicht während der Ferien. Mit einem Stöhnen versteckte ich mich wieder unter meinem Kissen. Ich hatte gerade mal drei Stunden geschlafen. Am Abend zuvor war ich so aufgeregt gewesen, dass ich einfach nicht hatte einschlafen können. Unruhig hatte ich mich von einer Seite zur anderen geworfen, während meine Phantasie immer wieder mit mir durchgegangen und die samtige Dunkelheit der Nacht langsam von einem schmutzigen Grau der Morgendämmerung abgelöst worden war. Ich war so voller Vorfreude gewesen, weil... Plötzlich durchriss das Etwas die schläfrige Taubheit, die meinen Geist umnebelt hatte. Greg! Heute kam mein Bruder wieder nach Hause – das erste Mal seit über drei Jahren. Augenblicklich war ich hellwach und quietschfidel. Ich stieß das Kissen von meinem Gesicht, ohne darauf zu achten, dass es aus dem Bett purzelte, warf die Decke zurück und sprang aus dem Bett. Für einen kurzen Moment wurde die Welt um mich herum schwarz und kleine weiße Sternchen tanzten vor meinen Augen, während mir das Blut in die Füße sackte. Dennoch torkelte ich blind wie ich war Richtung Bad. Ich hatte die Tür noch nicht ganz erreicht, als die Umgebung wieder feste Konturen bekam. Schnell riss ich mir das alte weiße T-Shirt, das ich Jo gemopst hatte, über den Kopf, schlüpfte aus den grünen Baumwollshorts und warf beides auf die geschlossene Toilette, bevor ich unter die Dusche sprang. Ich nahm den Brausekopf aus seiner Halterung damit meine Haare nicht nass wurden und drehte das heiße Wasser voll auf. Doch noch bevor es richtig warm war, hatte ich meine Katzenwäsche auch schon wieder beendet. Ich konnte einfach nicht länger still stehen. In ein vor der Brust verknotetes Handtuch gewickelt putzte ich mir schnell die Zähne, bürstete mein überschulterlanges Haar und sprintete zurück in mein Zimmer, um mich anzuziehen. Ungeduldig riss ich die Schranktüren auf, deren Scharniere protestierend knackten, und starrte auf die vollen Fächer und die Stangen, an denen die Kleider dicht an dicht hingen. Ich stieß einen quengeligen Laut aus. Ich hatte mal wieder einfach nichts zum Anziehen! Mit gequältem Gesichtsausdruck wühlte ich mich durch die Kleidungsstücke, bis ich mich endlich für helle, ausgewaschene Jeans und ein moosgrünes Top entschieden hatte, das meine Augenfarbe fast genau traf. Ich riss Socken und Unterwäsche wahllos aus einer der Schubladen und versuchte mich in Rekordzeit anzuziehen. Als ich zum vierten Mal den Verschluss meines BHs schief verhakt hatte, zwang ich mich, tief durchzuatmen und langsam zu machen. Doch kaum war das widerspenstige Ding gezähmt, war die Ruhe auch schon wieder dahin. Den einsamen Hausschuh am Fußende meines Bettes beachtete ich gar nicht, da ich keine Lust hatte, den zweiten zu suchen, und wirbelte stattdessen wie ein kleiner Orkan die Treppe hinab. Ich stürzte durch den Flur, nur um an der offenen Küchentür wie angewurzelt stehen zu bleiben. Der intensive Duft von frisch aufgebackenen Brötchen, gebratenem Speck und Rührei umwehte mich wie ein Parfum, doch ich nahm es nur am Rande wahr. Meine Eltern standen Arm in Arm am Herd und wünschten mir einen guten Morgen, doch auch das registrierte ich nur unterschwellig. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, den leeren Platz am Kopfende des Esstisches aus dunklem Holz zu betrachten. Dort hatte Greg gesessen, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte – damals als es zu dem schrecklichen Streit zwischen ihm und unseren Eltern gekommen war, in dem er ihnen vorgeworfen hatte, dass sie ihm nie gesagt hatten, dass er adoptiert war. Heute empfand ich seine Reaktion sogar als noch übertriebener als damals schon, aber so war er ja schon immer gewesen: ein leichtexplosiver Hitzkopf, der zu stolz war, sich seine Fehler einzugestehen. Er hatte sich schon immer fürchterlich in etwas hineinsteigern können. Umso mehr hatte es uns überrascht, als er vor ein paar Tagen angerufen und seinen Besuch angekündigt hatte. Wieder perlte neue Nervosität wie kleine Wassertröpfchen an meinem Rücken herab. Immer wieder warf ich einen Blick auf die große, schwarzweiße Küchenuhr, deren Zeiger wie angeklebt schienen. Gerne wäre ich aufgestanden und hätte sie geschüttelt, um zu testen, ob nicht wirklich jemand die Zeiger fixiert hatte. In der letzten Minute hatte ich mindestens sechs mal auf die Uhr gesehen, nur um enttäuscht festzustellen, dass noch immer keine nennenswerte Zeitspanne vergangen war. In zwei Minuten wollte mein Bruder endlich hier sein, doch die Zeit floss so unendlich zäh dahin, dass es mir vorkam als müsste ich noch Jahre warten. Mama stand mit ihrer inzwischen leeren Kaffeetasse am Fenster und blickte mit leerer Miene auf den Garten hinaus, während mein Vater ungeduldig mit einem Kugelschreiber klickte und so tat als löste er das Kreuzworträtsel in einer Illustrierten. Plötzlich hörten wir ein Auto vorfahren und stürzten zur Haustür. Mein Magen hüpfte wie ein Flummi und ich war froh, dass ich nichts zum Frühstück gegessen hatte. Es wäre sicherlich kein besonders gelungener Empfang gewesen, wenn ich mich vor Aufregung auf Greg erbrochen hätte. Wir setzten unser strahlendstes Lächeln auf und öffneten die Tür, doch es war nur der Nachbar gewesen, der vom Brötchenholen zurückgekommen war. Müde winkten wir zurück, als er uns grüßte. Der musste sich auch wundern, warum wir uns mit erhitzten Gesichtern in der Haustür drängelten und wie die Ölgötzen gafften. Papa ließ die Schultern hängen und schlurfte zurück ins Haus. Einige Herzschläge lang sah meine Mutter unschlüssig aus, dann folgte sie ihrem Mann. Ich blieb im Türrahmen stehen und genoss die Wärme der Vormittagssonne auf meiner Haut. Vorsichtig zog ich die Tür hinter mir zu, sodass sie sich nicht ganz schloss, und setzte mich auf den kleinen Stufenabsatz vor dem Hauseingang. Die Frühlingsluft duftete nach allerlei frischaufgeblühten Blumen, die in den umliegenden Vorgärten ihre bunten Blätter der Sonne entgegen reckten. Ich lehnte mich auf die Hände gestützt nach hinten, streckte die Beine aus, schloss die Augen und versuchte einzelne Düfte auszumachen. Ich roch allerdings nur die warme Erde und die darin wachsende, rosa Kletterrose im Beet gleich neben mir ganz deutlich, doch ich gab nicht auf. So hatte mein Hirn wenigstens etwas zu tun und die Nervosität wurde erträglich. Nach einigen Minuten erregte jedoch das Geräusch von knirschendem Schotterkies meine Aufmerksamkeit. Ich blinzelte unter halb geschlossenen Lidern hinweg Richtung Straße und entdeckte ein eierschalenfarbenes Taxi, das am Straßenrand gegenüber hielt. Ich öffnete die Augen ganz und wartete angespannt. Auf der Beifahrerseite wurde die hintere Tür aufgedrückt und ein junger, hochgewachsener Mann in dunkelblauen Jeans und schwarzem Hemd stieg aus. Die Sonnenstrahlen tanzten über sein volles, leicht zerzaustes Haar und ließen das Blond golden glänzen. Er beugte sich mit einem breiten Grinsen zurück ins Auto und zerrte einen großen Rucksack von der Rückbank. Dann schlug er die Tür zu, setzte sich eine rahmenlose Sonnenbrille mit tiefschwarzen Gläsern auf die Nase und schulterte sein Gepäck. Das Taxi brauste davon und ich zog die Beine an, während ich den Fremden beobachtete. Die ganze Zeit über hatte er zu Boden gesehen, doch jetzt hob er den Kopf. Wegen seiner Sonnenbrille war es nicht auszumachen, wohin genau er blickte, doch er hatte mir sein Gesicht zugewandt. Er schien einmal tief Luft zu holen und dann setzte er sich langsam, fast widerwillig in Bewegung. Bei seinem Tempo konnte er froh sein, dass die Straßen in unserem kleinen Vorort so wenig befahren waren, sonst wäre er vermutlich über den Haufen gefahren worden oder hätte einen riesigen Stau verursacht, der mit wilden Huptiraden, lautem Gepöbel und einem Wald aus gereckten Mittelfingern einher gegangen wäre. Der junge Mann überquerte die Fahrbahn und... hielt direkt auf unser Haus zu. Ich spürte, wie alle Farbe meinem Gesicht entwich, und flüsterte tonlos „Greg?“, während ich versuchte unseren Besucher mit dem schlaksigen, siebzehnjährigen Gregor meiner Erinnerung in Einklang zu bringen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)