Raupe im Neonlicht von Noxxyde ================================================================================ Kapitel 7 --------- Was zuletzt geschah: Nach einem verpatzten One-Night-Stand, einem mehr oder minder versehentlichen Spontanbesuch und zwei klärenden Gesprächen, können Jonas und Erik endlich einen Abend miteinander verbringen, der beiden in positiver Erinnerung bleiben wird. Obwohl die gemeinsamen Stunden viele aufregende Erfahrungen bereithalten, kratzen diese gerade mal an der Oberfläche Jonas‘ über lange Jahre verborgener Bedürfnisse. Eine Wiederholung ist erwünscht und geplant.   Kapitel 7 Du, gestern 17:38 Uhr alles okay bei dir? meld dich mal, ich mach mir langsam sorgen   Maria, 12:21 Uhr Mir geht’s blendend. Nur gerade stressig. Ich rufe dich heute Abend an.   Unzufrieden starrte Jonas auf sein Handy. Der ‚Abend‘, von dem Maria in ihrer Nachricht gesprochen hatte zog mit schnellen Schritten vorüber und bisher hatte er keinen Pieps von ihr gehört. Er seufzte und wählte stattdessen die Nummer seiner Eltern. „Bei Staginsky.“ Es tat gut, eine vertraute Stimme zu hören. „Hi, Mama, ich bin’s.“ „Jonas, Spatz! Das ist ja schön, dass du anrufst. Wir hatten uns schon gefragt, was los ist, weil wir gestern gar nichts von dir gehört haben.“ „Sorry, ich wollt nich‘, dass ihr euch Sorgen macht. War nur beschäftigt.“ Mit Eriks Schwanz in meinem Mund, ergänzte er stillschweigend und mit schlechtem Gewissen. „Ist ja auch kein Problem“, versicherte seine Mutter. „Wir wissen ja, dass du viel zu tun hast und Berlin ist sicher aufregender als unser Dörfchen. Hauptsache, du vergisst uns nicht völlig.“ „Werd ich nich‘. Versprochen.“ „Das weiß ich doch, Spatz.“ Klang ihr Lachen unnatürlich? „Was hast du denn am Wochenende getrieben, wenn du sogar zu beschäftigt warst, hier anzurufen?“ „Oh, ähm … Ich hab nur …“ Ich hab nur mit ‘nem Kerl rumgemacht, von dem ich nich‘ viel mehr als seinen Namen weiß und mich hinterher zu sehr dafür geschämt, um mit euch zu sprechen. „Ich hab mich nur mit ein paar Leuten getroffen. Nix Aufregendes.“ Das war sicher nicht die erste Lüge, die Jonas seiner Mutter auftischte, aber selten hatte er sich dabei so schuldig gefühlt. „Hast du denn schnell neue Freunde gefunden?“ „Jaah, naja, schon. Is‘ halt alles noch recht neu und nich‘ so eng wie zwischen mir und–“ „–Clemens“, ergänzte seine Mutter. Maria hatte Jonas eigentlich sagen wollen. „Wie geht’s dem denn?“, fragte sie. „Ihr habt doch noch Kontakt, oder?“ „Ähm, nee. Nich‘ wirklich“, antwortete Jonas ausweichend. „Haben uns die letzten Jahre ja eigentlich nur noch beim Fußball und in der Schule gesehen.“ Und nicht einmal dann, wenn es nach Jonas gegangen wäre. „Seine Eltern haben erzählt, dass er jetzt in München studiert“, fuhr seine Mutter ungerührt fort, anscheinend taub für den Widerwillen in der Stimme ihres Sohnes. „Jaah, das weiß ich dann doch.“ Jonas hoffte, das Thema schnell zum Abschluss bringen zu können. „Aber keine Ahnung, was genau.“ „Sie hatten ja auch bis zum Schluss gehofft, dass er es sich noch einmal anders überlegt und den Hof übernimmt, aber das wird wohl nicht passieren. Ist schon tragisch, wenn die eigenen Kinder das Familienunternehmen nicht weiterführen wollen. Alles, was man sich über Jahrzehnte, im Fall der Grubers ja sogar Jahrhunderte aufgebaut hat …“ „Mama …“, murmelte Jonas, der genau wusste, wohin die Reise ging. „Papa und ich können ja zumindest noch auf Christine oder Vroni hoffen. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie es wäre, wenn wir das Apfelbäumchen …“ „Mama!“, unterbrach Jonas dieses Mal bestimmter. „Ihr werdet das Apfelbäumchen schon nich‘ aufgeben müssen. Wir … Wir finden dann schon eine Lösung.“ „Ach, der Optimismus der Jugend.“ „Können wir diese Diskussion verschieben, bis ich wenigstens mein erstes Studienjahr hinter mir hab?“ Jonas wusste, dass ihm dieser Wunsch nicht erfüllt werden würde, aber er wollte es zumindest versucht haben. „Aber ja, Spatz. Du hast ja recht. Lass dir von unseren Ängsten mal nicht die eigene Zukunft versauen.“ Jonas rollte mit den Augen. „Ich muss langsam schlussmachen und mich noch für den Kurs morgen vorbereiten. Meld mich dann nächsten Montag, am Sonntag schaff ich’s wahrscheinlich wieder nich‘. Mach’s gut und grüß den Rest von mir.“ „Bis nächste Woche, Spatz.“ Seine Mutter ließ sich nicht anmerken, ob ihr bewusst war, dass er sie eben ziemlich abgewürgt hatte. Stöhnend lehnte sich Jonas in seinem Stuhl zurück und starrte aus dem Fenster. Eigentlich hatte er gehofft, dass ihn das Telefonat mit seinen Eltern aufbauen würde, aber jetzt fühlte er sich nicht nur allein, sondern auch noch schuldig. Er tippte eine Nachricht in den Gruppenchat, den er mit Larissa, Esther und Kemal gegründet hatte.   Du, 19:57 Uhr hey! bock, die woche mal zu mir zu kommen? netflix, pizza und bier oder so?   Wenigstens antworteten die drei schnell, allerdings nicht unbedingt zu Jonas‘ Zufriedenheit. Esther und Kemal entschuldigten sich beide dafür, diese Woche zu viel zu tun zu haben und vertrösteten ihn auf ein andermal, Larissa kam gerne vorbei, aber nur, wenn sie stattdessen durch die Clubs ziehen würden. So gerne Jonas auch ausging, viel lieber hätte er eine gemütliche Zeit mit den dreien verbracht und sie ein wenig besser kennengelernt. Resigniert nahm Jonas sein Notebook vom Schreibtisch und machte es sich auf seinem Bett bequem. Er öffnete einige der Websites, die hauptverantwortlich dafür waren, dass er einen guten Virenschutz benötigte, schloss sie jedoch rasch wieder. Die kleine Stimme in seinem Hinterkopf, die ihm einzureden versuchte, dass seine Vorliebe für Männer falsch und widernatürlich – eine Sünde! – sei, hatte ihre Arbeit wiederaufgenommen. Mit Marias Hilfe hatte er sie in den vergangenen vier Jahren erbittert bekämpft, bis er geglaubt hatte, sie sei endlich verstummt, doch seine Begegnung mit Erik und das brennende Verlangen, das dieser in ihm weckte, schien sie erneut aufgerüttelt zu haben. Am Ende verbrachte Jonas diesen und die folgenden Abende damit, sich mit Katzenvideos abzulenken. So viele Katzenvideos.   Energisch schüttelte Jonas den Kopf, als könnte er dadurch seine Zweifel loswerden. Höchste Zeit, sich auf die positiven Dinge zu konzentrieren. Es war Sonntagabend, die Vöglein … okay, das sangen keine Vöglein, aber immerhin war das Wetter für Anfang November noch recht mild, was gut war, da er seit fünf Minuten vor Eriks Haustür stand, ohne es über sich zu bringen, die Klingel zu drücken. Jonas sehnte sich danach, von ihm berührt und geküsst zu werden, so sehr, dass er fürchtete, andere könnten ihm dieses Verlangen ansehen. Vielleicht sollte er die ganze Sache einfach beenden. Allerdings war das Bild, was aus ihm werden würde, wenn er nicht lernte, zu dieser Seite seiner selbst zu stehen erschreckend klar und nicht besonders hübsch anzusehen. Er würde seine Homosexualität verleugnen, allein bleiben oder sich eine Frau suchen, der es nichts ausmachte, niemals mit echter Leidenschaft von ihm berührt zu werden. Möglicherweise würden sie sogar heiraten und – wenn Jonas nur fest genug die Augen schloss und an jemand anderen dachte – Kinder zeugen. Vielleicht würde er bei dieser Gelegenheit auch noch seine anderen Träume aufgeben, zurück in sein Dorf ziehen und die Gaststätte seiner Eltern übernehmen. War es das, was er wollte? Jäh wurde seine Grübelei von der Haustür beendet, vor der er herumgelungert war, als sich diese schwungvoll öffnete. Eine alte Frau mit Stock und krummem Rücken blickte Jonas, der gerade noch einen Schritt zur Seite hatte gehen können um nicht getroffen zu werden, sichtlich erschrocken an. „Willste hier rin?“ Jonas nickte und griff rasch nach der Tür, die die alte Dame für ihn aufhielt. „Danke.“ Mit hochrotem Kopf eilte er die Stufen nach oben und fragte sich, welchen Eindruck er gerade hinterlassen haben musste. Gleich darauf schalt er sich selbst für seine Paranoia. Woher sollte diese Frau denn wissen, dass es Erik war, den er besuchte? Und selbst wenn sie es wüsste, konnten sie ja auch einfach nur Freunde sein. Ein Mann, der sich mit einem anderen Mann traf, um rein freundschaftliche Dinge zu tun, die nichts damit zu tun hatten, nackte Körperteile aneinander zu reiben. Es gab nicht den geringsten Grund anzunehmen, dass sie ihm an der Nase angesehen hatte, was sein eigentliches Ziel war. Bis Jonas den dritten Stock erreicht hatte, waren seine Finger so schweißnass, dass sie beinahe von der Klingel abgerutscht wären. Die Sekunden, die Erik brauchte, um die Tür zu öffnen, schienen endlos. „Ah, du bist ja schon oben.“ Eriks überraschtes Lächeln verlangsamte Jonas‘ Herzschlag und wischte jeden Gedanken an die Nachbarin nachhaltig fort. „Schön, dich wiederzusehen. Komm rein.“ Jonas schaffte es gerade so über die Schwelle, bevor er den ersten Hauch dieses warmen, erdigen Dufts einatmete, sein Hirn aussetzte und er sich in Eriks Arme warf. Gemeinsam stolperten sie durch den Gang, die Körper aneinandergepresst, die Lippen untrennbar verbunden. Erik stieß gegen die Kante seiner Kommode, ächzte leise, aber Jonas ließ ihm keine Gelegenheit, sich zu beschweren. An Hemd und Gürtel zerrend, bugsierte er ihn ins Schlafzimmer. Dort übernahm Erik die Führung. Mit einem kräftigen Schubs beförderte er Jonas aufs Bett, packte seine Handgelenke und drückte sie in die weiche Matratze. „Nette Begrüßung.“ Jonas grinste. „Dachte ich mir auch.“ Er rieb sein Becken gegen Erik, fühlte, wie dieser darauf reagierte. „Du bist immer so ungeduldig.“ „Gib schon zu, dass dir das gef–!“ Erik erstickte Jonas‘ Erwiderung mit einem Kuss, zog sich dann jedoch zurück, stand auf und richtete seine Kleidung. Jonas‘ enttäuschtes Murren quittierte er mit einem amüsierten Lächeln. „Nur nichts überstürzen, wir haben heute noch viel vor.“ „Und was?“ „Zieh dich erst mal aus.“ Dieses Mal zögerte Jonas nicht. Rasch zog er seinen Kapuzenpulli über den Kopf, schlüpfte aus Schuhen, Jeans und Unterwäsche. Ohne auf Eriks Aufforderung zu warten, sank er auf die Knie und verschränkte seine Hände hinter dem Rücken. Erik schmunzelte. „Das machst du sehr brav, aber auch das sparen wir uns für später. Komm wieder aufs Bett.“ Er wartete, bis sich Jonas gesetzt hatte. „Leg dich auf den Bauch und mach es dir bequem.“ „Warum hab ich das Gefühl, dass das ‘ne Falle ist?“ „Ah, du redest nur, wenn ich dich ausdrücklich dazu auffordere. Dieses Mal lasse ich dir das noch durchgehen, weil ich es zuvor nicht klargestellt hatte, aber ab jetzt bist du vorgewarnt.“ Jonas nickte nur, streckte sich nach einer weiteren auffordernden Handbewegung von Erik auf dem Bett aus und stützte den Kopf auf den Armen ab. Das Satinlaken unter seinem Bauch war glatt und kühl, auf dem kleinen Nachttisch neben ihm flackerte eine Kerze, deren fruchtiger Duft sich mit Eriks erdigem Aftershave vermischte. Fingerspitzen strichen über Jonas‘ Rücken, erkundeten die weiche Haut, die angespannte Muskulatur, die kleinen Erhebungen der Wirbelsäule. „Entspann dich.“ Doch Jonas reckte lieber argwöhnisch den Hals und beobachtete Erik, der sich neben ihn auf die Bettkante gesetzt hatte. Als er eine Kerze vom Tisch nahm und Jonas begriff, was er damit plante, rückte er automatisch ein Stück ab. Dominanz war die eine Sache – Jonas hatte manchmal Schwierigkeiten, sein Verlangen danach zu akzeptieren, war sich jedoch bewusst, dass sie einen entscheidenden Teil seiner sexuellen Fantasien ausmachte – Schmerzen dagegen waren in der Tabuliste, die er Erik geschickt hatte unter ‚vielleicht‘ gelandet. Aufregend war die Vorstellung von heißem Wachs, das auf seinen schutzlosen Körper herabregnete ja schon, aber … Unruhig drückte sich Jonas tiefer in die Kissen. Sollte er abbrechen? Er hätte es nicht für möglich gehalten, aber sein Herz raste noch heftiger als das letzte Mal. Das Wachs würde ihn kaum ernsthaft verletzen; dieses Risiko würde Erik niemals eingehen. Schlimmstenfalls war es also zu schmerzhaft und dann konnten sie immer noch aufhören. Jonas entschied, Erik zu vertrauen und schloss die Augen. Als hätte Erik auf dieses stumme Signal gewartet, wurde die Haut zwischen Jonas‘ Schulterblättern nur Sekundenbruchteile später von den ersten Tropfen überzogen. „Fuck!“ Das Wachs war heiß, verflucht heiß, aber kaum hatte sein Körper den Schmerz registriert, flaute er bereits ab. Erik gewährte Jonas einen tiefen Atemzug, dann kippte er die Kerze erneut, dieses Mal ein Stück tiefer und wieder fühlte Jonas die Hitze, die sich in seine Haut brannte, die Erleichterung, als der Schmerz nachließ. Die Kerze kippte, das Wachs tropfte. Schmerz. Entspannung. Schmerz. Entspannung. Beide Empfindungen umhüllten Jonas, fluteten sein Blut mit Endorphinen. Bald war sein Kopf leer, er war nur noch Körper, nur noch Gefühl. Plötzlich war da Stille. Keine heiße Flüssigkeit, die seine Haut benetzte, kein leises Knarren des Bettgestells, wenn sich Erik neu positionierte. Nur das sanfte Nachglühen überreizter Nerven. „Ich denke, das reicht erst mal.“ Jonas blinzelte, drehte den Kopf ein wenig, um Erik anzusehen und wartete auf die Umarmung, die sicher kommen würde. Aber Erik hatte andere Pläne. Sein Gewicht drückte auf Jonas‘ Oberschenkel, seine Hände glitten über dessen Rücken. Wann hatte er Öl darauf geträufelt? Egal, es fühlte sich gut an. Jonas‘ Haut war an den Stellen, die vom heißen Wachs getroffen worden waren außergewöhnlich empfindlich und die sanften Berührungen prickelten wie Kohlensäure auf ausgetrockneten Lippen. Geduldig lockerte Erik all die Verspannungen, die sich Jonas in den vergangenen Monaten erarbeitet hatte. Zunächst an Schulter und Rücken, mal sanft, mal so kraftvoll, dass es beinahe schmerzte. Dann waren seine Oberschenkel an der Reihe. Lange gleichmäßige Streichbewegungen, die etwas Hypnotisches an sich hatten. Gemächlich arbeitete sich Erik von dort zurück nach oben und instinktiv drängte sich Jonas gegen die Hände, die seinen Hintern massierten, forderte sie auf, weiterzugehen. Entspannung verwandelte sich in Erregung. Erik lachte leise. „So ungeduldig.“ Wie zur Strafe, widmete er sich der sensiblen Haut über Jonas‘ Steißbein, den beiden Grübchen zu dessen Seiten, streichelte und massierte, bis Schweiß auf Jonas‘ Stirn stand und seine Erektion von der Matratze gegen seinen Bauch gepresst wurde. Jonas öffnete den Mund, hauchte atemlos: „Bitte.“ Einige quälende Sekunden passierte gar nichts, dann rutschten Eriks Finger zwischen Jonas‘ Pobacken, strichen wie zufällig über seinen Anus, zogen sich zurück, kehrten wieder, blieben dort. Im ersten Moment verkrampfte Jonas, aber als Erik keine Anstalten machte, in ihn einzudringen, begann er, sich auf die ungewohnte Berührung einzulassen. Ein verhaltenes Stöhnen entkam seinen Lippen. Das war gar nicht so übel. Eigentlich sogar ziemlich gut. Eriks Berührungen blieben zart und oberflächlich, bis sich Jonas‘ Atem beschleunigt hatte und er sein kehliges Stöhnen nicht mehr unterdrücken konnte. Erst dann übte Erik sanften Druck aus, spielerisch, ohne die Intention, weiter zu gehen als Jonas‘ Körper zuließ. Jonas keuchte in das Kissen, das er fest umklammert hielt und schob eine Hand unter sich, um seine Erektion in eine ein wenig angenehmere Position zu rücken. Sofort zog Erik seine Hände zurück. „Habe ich dir erlaubt, dich anzufassen?“ „Nein“, wimmerte Jonas kläglich, reckte verlangend sein Becken in die Luft. „Willst du lieber allein weitermachen?“ „Nein! Bitte nich‘! B–“ „Genug“, unterbrach Erik Jonas‘ Flehen kühl. „Du kannst mir später zeigen, wie leid es dir tut.“ Ergeben fügte sich Jonas diesem Urteil, hätte beinahe freudig gejauchzt, als Eriks Fingerspitzen endlich wieder über seine Haut streiften. „Mal sehen, ob du so viel Nachsicht verdient hast.“ Quälend langsam brachten Eriks Berührungen Jonas in diesen Zustand der absoluten Erregung zurück. Spielten mit ihm, reizten ihn, tasteten sich vor. Jonas fühlte Eriks öligen Finger an seinem Anus, fühlte, wie der zurückhaltende Druck bestimmter wurde, fühlte, wie er sich ihm öffnete. „Fuck …“ Da war kein Schmerz, nur eine völlig neue Empfindung, die Jonas nicht zuordnen konnte. Aufregend, zu viel und zu wenig auf einmal, etwas, das er wollte und zeitgleich fürchtete. Dann setzte die Scham ein. Was tat er hier? Wie musste er gerade für Erik aussehen? Verschwitzt, gerötet, hilflos wimmernd, weil ein Finger in einer Körperöffnung steckte, in der eigentlich nichts stecken sollte. Und was, wenn er nicht völlig sauber war? Sanfte Küsse auf seinem Rücken durchbrachen die Gedankenspirale. „Du machst das sehr gut“, raunte Erik, strich mit seiner freien Hand über Jonas‘ zitternden Körper, schenkte ihm Halt und Sicherheit. Mit einem wohligen Seufzer gab Jonas die Verantwortung ab. Das hier und alles, was an diesem Abend noch passieren würde, war nicht seine Entscheidung, sondern Eriks. „Streck deinen Hintern hoch“, forderte dieser. Jonas hörte ihm kaum zu und reagierte erst, als der Griff um seine Hüfte fester wurde, sie nach oben zog. Wacklig setzte Jonas seine Knie auf und stützte sich mit den Ellenbogen ab. Eriks Hand löste sich von seiner Hüfte, wanderte höher, bis sie zwischen Jonas‘ Schulterblättern stoppte und seinen Oberkörper zurück auf die Matratze presste. „Nur die Hüfte. So ist’s gut.“ Die Hand verschwand von Jonas‘ Rücken, nur, um sich wenige Augenblicke später um seine Erektion zu legen. Der Finger in ihm krümmte sich ein wenig und es war, als würde ein Blitz durch Jonas‘ Körper schießen. „Oh, fuck!“ „Ah, da habe ich wohl die richtige Stelle gefunden.“ War das Gefühl des Fingers in ihm zuvor schon schwer zu beschreiben gewesen, wurde es jetzt unmöglich. Da war Druck auf seiner Blase, dazu ein eigentümliches Kitzeln, fremdartig und prickelnd, das seine gesamte Lendenregion umzog. „Atmen, Kleiner, atmen“, wies Erik gewohnt ruhig an. „Weißt du, wogegen ich da gerade drücke?“ Verlegen biss sich Jonas auf die Unterlippe. „P-Prostata“, nuschelte er in sein Kissen. „Mhm, sehr gut. Schon mal an dir selbst ausprobiert?“ Jonas schüttelte den Kopf, bevor er ein klägliches ‚Nein‘ herausbrachte. „Am Anfang ist das Gefühl eher ungewohnt“, fuhr Erik fort. „Die meisten müssen erst lernen, loszulassen, bevor sie es richtig genießen können. Manche finden nie wirklich Gefallen daran.“ Er zog seinen Finger ein Stück zurück, bevor er wieder tiefer eindrang, rieb mit der Bewegung zielsicher über die richtige Stelle. Jonas wimmerte lusterfüllt. „Ah, ich glaube, darüber müssen wir uns bei dir keine Sorgen machen. Also atme tief durch, entspann dich und genieß es einfach.“ Zeitgleich mit seinen Worten, setzte Eriks Hand die Massage an Jonas‘ Erektion fort. Bald erfüllte Jonas‘ Keuchen den Raum, krallten sich seine Finger in das schwarze Laken. Wieder und wieder stieß er sein Becken Eriks Hand entgegen, wollte ihn tief in sich spüren. Was auch immer er da gerade mit ihm anstellte, es war unglaublich. Da war kein Schmerz, keine Scham, nur Lust. Er fühlte seinen Höhepunkt unaufhaltsam nahen. „Oh, fuck. Fuck, fuck, fuck, fuck, fuck. Fuck!” Atemlos kippte Jonas zur Seite. Mit der Luft, die seine Lungen füllte, kehrte auch sein Verstand zurück und damit zwangsweise die kleine Stimme, die er einfach nicht zum Schweigen bringen konnte. Beschämt schielte Jonas auf das weiß besprenkelte Bettlaken. „Sorry.“ „Meine Waschmaschine ist noch immer voll funktionstüchtig.“ Wieder waren da zärtliche Hände, die Jonas‘ erschöpften Körper streichelten, ihm Nähe und Wärme spendeten. Ganz langsam löste sich der Knoten in seinem Magen, verwandelte sich in ein schwaches Pochen, an dessen Anwesenheit er sich schon lange gewöhnt hatte. Ein Flattern, das Vorfreude, Nervosität oder eine sich ankündigende Magen-Darm-Erkrankung bedeuten konnte. Jonas hoffte auf die ersten beiden Optionen. Erik reichte ihm ein kleines Handtuch. „Ich wasche mir mal eben die Hände. Bin gleich wieder da.“ Jonas hörte Wasser gluckern und versuchte solange halbherzig, sich selbst und das Bettlaken zu säubern, entschied aber bald, dass zumindest im Fall des Lakens nicht mehr viel zu retten war. Die Nachwehen seines Höhepunkts waren noch immer zu spüren – im gelegentlichen Zucken seiner Finger und Zehen, oder der spontan auftretenden Gänsehaut. Mit geschlossenen Augen streckte sich Jonas auf der unbefleckten Seite des Betts aus, darum bemüht, seinen Kopf auszuschalten und einfach nur zu genießen. Er brummte wohlig, als er Eriks vom Wasser erwärmte Hände auf sich fühlte. „Mein Rücken ist noch ganz ölig.“ „Ja? Dann war ich wohl auch zu ungeduldig.“ Erneut kniete sich Erik aufs Bett und rieb gründlich über Jonas‘ Haut, stoppte erst, als der letzte Tropfen Öl einmassiert war. „Besser?“ „Japp.“ Neugierig sah sich Jonas um. „Woher hattest du das Zeug überhaupt plötzlich? Sollt da nich‘ eigentlich überall Wachs auf meinem Rücken sein?“ Erik pustete die Kerze auf dem Nachttisch aus und reichte sie an Jonas weiter. „Das ist keine normale Kerze.“ Vorsichtig tunkte Jonas eine Fingerkuppe in das flüssige Wachs, fühlte dessen ölige Konsistenz. „Oh. Praktisch.“ „Wird in erster Linie nicht so warm wie normales Wachs.“ „‚Nich‘ so warm?‘ Das soll ‚nich‘ so warm‘ gewesen sein? Scheiße, hat sich verflucht nochmal warum genug für mich angefühlt!“ Erik schmunzelte zunächst, aber bald erschien eine kleine Falte zwischen seinen Brauen. „Es war aber auszuhalten, oder? Nicht zu schlimm?“ „Nee, hat schon gepasst. Is‘ nur … Is‘ irgendwie ‘n komisches Gefühl, wenn man rausfindet, dass man auf was abfährt, was andere vermeiden wollen. Ich mein, eigentlich sin‘ Schmerzen doch scheiße und nix, was man geil findet.“ „Zunächst sind Schmerzen ja einfach ein Reiz“, erwiderte Erik. „Wie das Gehirn diesen dann interpretiert, kann durchaus unterschiedlich sein.“ Er rollte Jonas auf den Rücken und küsste das Tattoo auf seiner Brust. „Das war doch sicher auch schmerzhaft. Trotzdem bist du nicht nach dem ersten Stich aus dem Studio geflüchtet.“ „Aber ich wär gern! Fuck, das tat sowas von scheißweh!“ Jonas fühlte Eriks Lachen auf seiner Haut. „Bis eben hätte ich nie gedacht, dass mir sowas Spaß machen könnte.“ Erik blickte auf. Aus dieser Perspektive wirkte er beinahe schüchtern. „Dann hat es dir gefallen?“ „Japp.“ „Ein Glück. Ich dachte zwar, dass Wachs relativ harmlos ist und du hast leichten Schmerz nicht völlig ausgeschlossen, aber wirklich darüber gesprochen haben wir nie.“ „Hätten wir’s, hätte ich vermutlich gesagt, dass ich nich‘ drauf steh.“ „Ah, tut mir leid.“ Erik klang bedrückt. „Ich wollte dich nicht in eine unangenehme Situation bringen.“ „Nee, so war das nich‘ gemeint!“, erwiderte Jonas rasch. Niemals hätte er gedacht, hinter Eriks selbstsicherer Fassade Zweifel zu entdecken. „Ich hätte ‚Nein‘ gesagt und dann nie rausgefunden, dass es eigentlich ziemlich geil is‘. War also schon gut so. Gemeinsames Grenzen austesten, hast du doch selbst gesagt, oder?“ Ein feines Lächeln zeichnete sich auf Eriks Gesicht ab. „Das habe ich wohl.“ „Aber warum ausgerechnet Wachs?“ „Warum nicht?“ „Naja, ähm … Das is‘ ja doch ‘n bissl umständlich, oder? Warum nich‘ … ähm … ein … Klaps?“ „Ein Klaps?“, wiederholte Erik und verbiss sich sichtlich das Lachen. „Hey!“ Jonas schnippte gegen seine Schulter. „Auslachen is‘ kacke!“ „Entschuldige“, presste Erik mühevoll hervor. „Also?“ Noch immer leise kichernd rollte sich Erik neben Jonas auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Hauptsächlich, weil ich den Gedanken ziemlich heiß fand. Dein nackter Körper auf meinem Bett, von Wachsspuren überzogen. Ein Zucken, wann immer dich der nächste Tropfen trifft …“ Unbewusst leckte sich Erik über die Lippen. „Außerdem …“ Er schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Ich finde, Schläge haben immer auch etwas mit Machtdemonstration zu tun. Egal wie sanft der eigentliche Schlag ist, er ist eine Form von Demütigung. Das kann in der richtigen Situation und mit dem richtigen Partner natürlich sehr erregend sein, aber Wachs fand ich für den Anfang unverfänglicher.“ Jonas ließ sich Eriks Begründung durch den Kopf gehen und versuchte, sich vorzustellen, wie es sich anfühlen würde, von ihm geschlagen zu werden. Erst dann erinnerte er sich daran, dass er sich an ihrem allerersten Abend ja bereits einen Klaps auf den Hintern eingehandelt hatte und wie erniedrigend das gewesen war. Auch wenn sich die damalige Situation von ihrer jetzigen deutlich unterschied, war er sich nicht sicher, ob er scharf auf eine Wiederholung war. „Okay, ich versteh‘ was du meinst.“ „Wir können das aber gerne mal ausprobieren“, bot Erik an. „Hm, nee. Also doch, schon, aber im Moment …“ Jonas grinste. „Im Moment gibt‘s so vieles, das ich ausprobieren will, da hat das keine große Priorität.“ Erik stützte sich auf einem Ellenbogen ab und beugte sich über Jonas. „So? Was möchtest du denn in nächster Zeit ausprobieren? Du bist mir da immer noch zwei Fantasien schuldig.“ „Oh, naja … ähm“, stammelte Jonas überrumpelt. „Also … Das eben war schon ziemlich … und … äh …“ Frustriert stöhnend versteckte er sein Gesicht hinter den Händen. „Sorry, ich bin einfach zu feig, ums laut auszusprechen. Fuck! Ich bild mir immer ein, drauf zu scheißen, was andre von mir denken, aber eigentlich … is‘ das wohl nich‘ so.“ „Ist in Ordnung“, versicherte Erik. „Natürlich will ich, dass du offen mit mir redest, aber mir ist schon klar, dass das eine Menge Vertrauen und damit auch Zeit erfordert.“ Er machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr „Ist es nicht paradox, dass es für uns leichter ist, einfach Sex zu haben als darüber zu sprechen?“ Jonas schielte durch seine Finger hindurch. „Schätze, da is‘ was dran.“ „Ich habe mal gehört, dass Paartherapeuten empfehlen, andere, also unverfängliche Begriffe für das Thema zu etablieren. Zum Beispiel …“ Erik dachte nach. „‚Waschen‘ für Oralverkehr und ‚Trocknen‘ für Anal.“ Unwillkürlich musste Jonas lachen. „Das is‘ so scheißdämlich, dass es schon wieder logisch klingt. Warte!“ Er setzte sich auf. „Dann gilt das doch bestimmt auch für gewisse Körperteile? Fuck, ich würd zu gern mal Mäuschen spielen, was es da so für Bezeichnungen gibt.“ „Ausgehend von der miesen Erotikliteratur, die mir“, Erik hüstelte, „rein zufällig untergekommen ist, gibt es da eine ganze Menge.“ „Okay, jetzt will ich Beispiele hören. Und zwar irgendwas kreativeres als ‚Fleischpeitsche‘. Das is‘ so ausgelutscht, dass sogar ich’s kenn.“ Das unterdrückte Kichern neben ihm, ließ Jonas theatralisch seufzen. „Du lachst jetzt nich‘ wirklich, weil ich ‚ausgelutscht‘ gesagt hab, oder?“ „Nein“, log Erik bemüht ernst. „Ah, in Ordnung, lass mich nachdenken … Irgendetwas kreatives, aber unverfängliches … Hm … Ah, Stift?“ „Wirklich?“, fragte Jonas skeptisch. „Das erscheint mir ‘n bissl“, sein Blick wanderte zu Eriks Schritt, „tiefgestapelt.“ Erik schnaubte. „Dann schlag du was vor.“ „Oh, ähm … ähm … Banane?“ Jonas verdrehte die Augen über seinen eigenen Vorschlag. ‚Banane‘ war vieles, aber sicher nicht kreativ. Was für ein toller Künstler er doch war. „Hmm, lass mich das auf Praxistauglichkeit prüfen.“ Erik räusperte sich. „Oh, Jonas! Lass mich meine Banane in deinen, ah … Schokoladenbrunnen? … stecken.“ „Oh Gott!“ Jonas presste die Hände auf seine Ohren. „Das hab ich jetzt nich‘ gehört! Ich … Ich kann nie wieder Schokolade essen!“ Eriks verlegenes Schmunzeln verwandelte sich in schallendes Gelächter. „Schluss mit den unverfänglichen Begriffen!“, forderte Jonas nachdrücklich. „Schwanz und Arsch sind völlig okay und weit weniger peinlich!“ Ein wenig leiser fügte er hinzu: „Aber, wenn wir … Wenn wir eh grad bei dem Thema sin‘ …“ Er brach ab. Wie zum Teufel sollte er darüber sprechen, ohne Erik auf ewig abzutörnen? Verlegen drehte Jonas den Kopf zur Seite, nuschelte: „Ich … Ich hatte vorhin ‘n bissl Angst, dass … ähm … Ich mein, ich dusch vorher natürlich gründlich und so, aber was, wenn da … also … ähm …“ „Tatsächlich Schokolade im Brunnen ist?“, fragte Erik amüsiert.“ Knallrot und so verschämt wie nie, schlug Jonas erneut die Hände vors Gesicht und drehte Erik den Rücken zu. „Das muss das beschissenste Gespräch sein, das ich je geführt hab.“ „Wortwörtlich.“ „Erik!“ „Entschuldige.“ Sanfte Hände legten sich auf Jonas‘ Schultern, drehten ihn herum. „Ich bin erwachsen, Jonas. Das heißt, ich weiß sehr gut, wofür diese Körperöffnung eigentlich gedacht ist und auch, dass Unfälle passieren. Kein Grund, vor Scham im Boden zu versinken.“ „Okay …“ „Das meine ich Ernst. Lass dir von solchen Sorgen nicht den Spaß verderben. Das ist völlig unnötig.“ Jonas nickte, bedeckte aber weiterhin Augen und Wangen mit seinen Händen. „Du scheinst jedenfalls kein Problem damit zu haben, offen über Sex und so zu quatschen.“ „Ich“, sagte Erik und nahm Jonas‘ Hände in seine, „hatte auch ein paar Jahre, um das zu üben. Meine Offenheit ist hart erarbeitet.“ „Willst du mir grad erzählen, dass du mal ‘n verschüchterter Bub warst? Das glaub ich dir nämlich nich‘.“ „Nein?“ Erik lachte. „Kannst du dann glauben, dass ich anfänglich ausschließlich passiv war? Und die ersten Erfahrungen im SM-Bereich als devoter Part gesammelt habe?“ „Du verarschst mich!“ „Wieso sollte ich?“ „Weil … also … Weil ich mir das kein bisschen vorstellen kann! Wie lief das ab? Du hast dir dann einfach irgendwann überlegt, dass du jetzt doch lieber auf der anderen Seite mitmischen willst?“ „Nah, ganz so war es dann doch nicht“, erwiderte Erik schmunzelnd. „Ich denke, ich habe einfach für beides eine gewisse Veranlagung. So wie es Menschen gibt, die nicht nur auf ein Geschlecht stehen“, er warf Jonas einen vielsagenden Blick zu, den dieser nicht sofort verstand, „kann ich sowohl aktiv als auch passiv, sowohl dominant als auch devot sein. Es hat einfach nur ein paar Jahre und eine gute Portion Selbstbewusstsein gebraucht, diese andere Seite an mir zu entdecken.“ Jonas musterte Erik forschend. „Dann bist du nur bei mir dominant und aktiv? Bei anderen nicht?“ „Naja, nein. Ganz so ist es nicht“, räumte Erik ein. „Ich bevorzuge schon den aktiven Part. Passiv bin ich …“ Er blickte zur Decke, wirkte gedankenverloren. „Das ist gar nicht so einfach zu erklären.“ Jonas glaubte, Widerwillen aus Eriks Stimme herauszuhören. Das war neu, bisher hatte er jede Frage ehrlich und ohne langes Zögern beantwortet. Offenbar hatte Jonas ein Thema angekratzt, das Erik lieber ruhen lassen wollte. Entschlossen, gar nicht erste miese Stimmung aufkommen zu lassen, rollte sich Jonas mit Schwung über ihn. „Und? Was steht als nächstes an?“ Zur Antwort packte Erik Jonas‘ Handgelenke, warf ihn von sich und presste ihn mit seinem Gewicht auf die Matratze. „Das werde ich dir verraten, wenn es soweit ist.“ „Komm schon …“ Spielerisch wand sich Jonas in Eriks Griff. „Ich hab extra geübt!“ Erik zog eine Braue hoch. „Geübt?“ „Du weißt schon … deine Aufgabe letzte Woche.“ „Ich erinnere mich daran, welche Aufgabe ich dir gestellt habe. Ich frage mich nur, wie dieses ‚Üben‘ ausgesehen hat.“ „Zwing mich nich‘, es auszusprechen!“ „Ich würde dich nie zu etwas zwingen“, erwiderte Erik mit samtweicher Stimme. Sein Griff um Jonas‘ Handgelenke wurde fester. „Ich überzeuge dich lieber.“ „Mit so öligen Pfoten wie deinen funktioniert das aber nur ganz schlecht.“ Ohne große Mühe, befreite sich Jonas aus Eriks Umklammerung und flüchtete aus dem Bett. Am Fußende sank er auf die Knie. „Soll ich dir nich‘ lieber einfach zeigen, was ich gelernt habe?“ „Sollst du.“ Erik nutzte den freigewordenen Platz und streckte sich genüsslich. „Aber nicht jetzt.“ „… Okay …“ Ein wenig enttäuscht richtete sich Jonas wieder auf. „Was tust du da?“ „Mich wieder aufs Bett setzen?“ „Habe ich dir das erlaubt?“ „Ähm … nich‘ direkt.“ „Dann bleib auf dem Boden. Das gefällt mir gerade ganz gut so.“ Grummelnd sank Jonas zurück auf seine Knie. „Und wie lange soll ich …“ „Ah, nicht reden“, unterbrach Erik ihn. „Es sei denn, du willst mir von deinen ‚Übungen‘ diese Woche erzählen.“ Also blieb Jonas an Ort und Stelle, verfluchte sich und Erik für sie Lage, in der er steckte. Der einzige Teppich im Raum lag am Bettende und damit weit von seinen allmählich schmerzenden Knien entfernt. Außerdem war ihm kalt und er wollte zurück in Eriks Arme. „Es war ‘ne verfickte Gurke!“, platzte es schließlich aus ihm heraus. „Ich hab mir ‘ne verfickte Gurke in den Hals geschoben!“ Jonas musste Erik zugutehalten, dass dieser zumindest versuchte, nicht zu lachen. Er scheiterte kläglich, aber er versuchte es. „Fick dich“, grollte Jonas, rot vor Scham, stimmte aber kurz darauf in das Lachen ein. „Und? Hab ich mir dafür ‘nen Platz auf dem Bett verdient?“ „Na schön“, schnaufte Erik. „Das hast du wohl.“ Noch immer lachend zog er Jonas zu sich. „Ah, all die schönen Bilder in meinem Kopf.“ „Fick dich.“ „Vielleicht später.“ „Dann fick mich!“ „Vielleicht später.“ „Später? Platzt du nich‘ langsam?“ „Nein“, erwiderte Erik schlicht. „Aber …“ Jonas schloss den Mund, als Erik mit einer Hand sein Kinn umfasste. Noch immer lag ein feiner Ölfilm auf seiner Haut. „Du redest mir entschieden zu viel.“ Er musterte Jonas eindringlich. „Vielleicht ist es tatsächlich an der Zeit, deinen Mund anderweitig zu beschäftigen. Knie dich hin.“   Jonas rang nach Atem, unsicher, ob er seinen Mund jemals wieder würde schließen können. „Das war sehr, sehr gut“, lobte Erik und strich ihm zärtlich eine Strähne aus der verschwitzten Stirn. „Dafür hast du verflucht lang durchgehalten“, keuchte Jonas heiser. „Das liegt am Kondom, nicht an dir. Nimmt eben doch etwas Gefühl raus.“ „Wir könnten …“ „Nein.“ Die Vehemenz in Eriks Stimme ließ Jonas aufblicken und die Härte in dessen Zügen verunsicherte ihn. „Sorry, ich wollt nich‘ … War nur ‘n Vorschlag …“ Erik seufzte. „Entschuldige. Ich habe diese Diskussion wohl einfach schon zu oft geführt.“ „Keine Diskussion, versprochen.“ „Ich weiß schon, dass viele beim Blasen auf Kondome verzichten, aber ich fühle mich mit einfach wohler.“ „Is‘ okay für mich“, versicherte Jonas erneut. „Du bist aber nicht … ähm …“ „Ich bin gesund“, beantwortete Erik die unausgesprochene Frage. „Und das würde ich gerne bleiben. Nicht, dass ich dir etwas unterstelle, aber wer einmal Ausnahmen macht, macht sie immer wieder.“ „Kein Thema. Dann muss ich eben damit leben, dass mir irgendwann der Kiefer abfällt.“ Verschmitzt funkelte Jonas Erik von unten an. „Und jetzt … Pizza?“ Erik grinste breit. „Pizza.“   Die Luft duftete nach Laub, aber ihr eisiger Unterton kündigte den nahenden Winter an. Jonas war froh um den Pizzakarton, dessen heißer, mit Käse überbackener Inhalt seine Finger wärmte. Erik gegenüber hatte er behauptet, die Pizza wenigstens tragen zu wollen, wenn er schon nicht dafür zahlen musste, aber eigentlich freute er sich einfach nur über die improvisierte Wärmflasche. Ein wenig tat ihm die Lüge leid, denn Erik fror offenbar deutlich mehr als er selbst und hatte die Hände tief in den Taschen seines Mantels vergraben. „Kann ich nachher mal ‘nen Blick auf deine Filmsammlung werfen?“, fragte Jonas ihn. „Sicher.“ Erik neigte den Kopf. „Gehst du gern ins Kino? Oder hast du sogar Interesse daran, selbst Filme zu drehen? Ist sowas Teil deines Studiums? Ich habe gar keine Vorstellung davon, was man bei ‚Visueller Kommunikation‘ überhaupt macht.“ „Oh, ähm …“ Jonas war etwas überrumpelt von den vielen Fragen, freute sich aber über das Interesse, das Erik ihm entgegenbrachte. „Das Studium is‘ recht vielseitig, aber viel kann ich ehrlich gesagt selbst noch nich‘ dazu sagen. Is‘ irgendwie alles noch so neu und ich hab echt keine Ahnung, was ich in Zukunft alles belegen kann. Eigentlich wollt ich ja Fotografie studieren, aber die Privatschulen kann ich mir nich‘ leisten und die staatlichen wollten mich nich‘. Hatte wohl Glück, überhaupt ‘ne Zusage bekommen zu haben, auch, wenn’s nich‘ grad meine erste Wahl war. Dafür isses in Berlin, was ja auch irgendwie ‘n fetter Pluspunkt is‘.“ Er schielte zu Erik. „Vielleicht war’s ‘ne glückliche Fügung.“ Von ihrem Gespräch abgelenkt, übersah er Eriks Eingangstür, bis dieser einen Arm um seine Taille legte und ihn in die richtige Richtung schob. Instinktiv entzog sich Jonas der Berührung. Als er sich zu Erik drehte, entdeckte er gerade noch die kleine Falte zwischen dessen Brauen, bevor sie hinter einem neutralen Ausdruck verschwand. Schweigend folgte Jonas Erik die Treppen nach oben und wartete, bis dieser aufgesperrt und sie in die Wohnung gelassen hatte. Sobald die Tür hinter ihnen zugefallen war, stolperte er über die Worte, die er sich in den vorangegangenen Sekunden zurechtgelegt hatte. „Sorry, ich … Das eben hatte nix mit dir zu tun, oder so. Es is‘ nur …Ich, ähm …“ Jonas starrte auf seine Schuhe, die mal wieder einen Lappen und etwas Schuhcreme gebrauchen konnten. „Ich hab scheißlang gebraucht, zu akzeptieren, dass ich …“, er musste sich zwingen, die Worte auszusprechen, „dass ich auf Typen steh … Auch auf Typen steh“, fügte er rasch hinzu, als ihm seine Lüge mit Maria wieder einfiel. „Und ich hatte panische Angst davor, dass es jemand rausfinden könnt. Kleines Dorf, konservative Eltern, du weißt schon. Deshalb hab ich alles vermieden, was irgendwie ‘nen Hinweis liefern könnt. Keine verräterischen Blicke, so wenig Körperkontakt wie möglich … Berlin sollte da irgendwie ‘n Neustart sein, aber … es is‘ echt scheißschwer, aus so eingeschliffenen Verhaltensmustern auszubrechen. Ich hab mich die letzten … fuck, keine Ahnung, wie viele Jahre … ‘ne verfickte Ewigkeit lang, hab ich mich verzweifelt drum bemüht, nich‘ aufzufallen und … und ehrlich gesagt … bin ich mir auch grad noch gar nich‘ sicher, ob ich das wirklich ändern will. Ich mein, es wär toll, einfach offen dazu stehen zu können, aber … Noch kann ich’s wohl nich‘.“ „Das verstehe ich.“ In Eriks Stimme lagen weder Vorwurf noch Erwartungen, nur eine ruhige Gelassenheit, die Jonas gerade dringend benötigte. „Jedenfalls … sorry, dass ich dich grad weggeschoben hab. Und sorry für mein unzusammenhängendes Gequassel.“ Jonas streifte seine Jacke von den Schultern und hing sie zusammen mit seinem Schal – selbstgestrickt von Oma – an die Garderobe. Als er sich umdrehte, zwang er sich ein Lächeln aufs Gesicht. „Ich hab sonst nich‘ wirklich jemanden, mit dem ich drüber quatschen könnt. Maria is‘ die einzige die weiß, dass ich … wie ich mich fühl … und die is‘ so im Stress mit ihrem Studium, dass ich sie nich‘ auch noch damit nerven will.“ „Ich höre dir gerne zu.“ Erik stoppte Jonas, als dieser in die Küche abbiegen wollte. Die Hand, die er auf Jonas‘ Schulter legte war kalt, aber die Berührung willkommen. „Wolltest du nicht die Filmsammlung sehen?“ „Schon, aber … Pizza?“ „Die können wir auch im Wohnzimmer essen.“ „Wenn du meinst.“ Tapfer lächelte Jonas gegen seine Verlegenheit an. „Is‘ dein Teppich.“ Wahrscheinlich war es sogar gut, beim Essen über etwas Unverfängliches wie Filme reden zu können, Jonas musste dringend ein wenig Abstand zwischen sich und seine Fickbeziehung bringen. Mehr war Erik nämlich nicht. Nur ein Kerl, mit dem er für einen begrenzten Zeitraum das Bett teilte. Das durfte er niemals vergessen. Das Wohnzimmer war der mit Abstand größte Raum in Eriks Wohnung. Die bodentiefen Fenster und die Schiebetür, die zu einem weiteren Balkon führte hätten es zudem zum Hellsten gemacht, sofern es nicht bereits Nacht und die Jalousien geschlossen gewesen wären. Eine Wand verschwand hinter gut gefüllten Bücherregalen, eine andere hinter Eriks beeindruckender Filmsammlung. Neugierig lief Jonas die Reihen ab. „Ich glaub, ich kenn nich‘ mal ‘n Drittel davon.“ „Dann hast du Nachholbedarf.“ „Is‘ das ‘n Angebot zum Filmgucken?“ Und freute sich Jonas gerade etwas zu sehr darüber? Erik zuckte mit den Schultern. „Was soll ich sagen? Ich habe einen Bildungsauftrag.“ „Is‘ irgendwie paradox, weißt du?“, murmelte Jonas nach einigen stillen Atemzügen. „Was?“ „Dass ich so Probleme damit hab, zuzugeben, dass ich auf Männer steh‘.“ „Warum?“ Jonas lachte bitter. „Der Witz is‘, dass ich immer versucht hab anzuecken. Aufzufallen. Zu provozieren.“ Allerdings hatte ihm Berlin recht schnell gezeigt, wie wenig es sich für seine billige Rebellion interessierte. Hier fiel er nicht auf, wenn er fluchte, oder sich weigerte, zur Kirche zu gehen. Hier war er einfach nur absolutes Mittelmaß. „Naja, jedenfalls … Grad in diesem einen Punkt, bei dem ich ja eigentlich auch bloß ich selbst sein müsst, kneif ich.“ „Ich denke, es ist sehr schwierig, für etwas abgelehnt oder sogar verurteilt zu werden, das man nicht ändern kann“, antwortete Erik nach ein paar Sekunden. „Du kannst deine Kleidung anpassen, deine Art zu sprechen, dein Auftreten. Aber deine Sexualität? Die kannst du höchstens verleugnen.“ „Vielleicht is‘ da was dran …“ Jonas‘ Fingerspitzen strichen über Lars von Triers ‚Nymphomaniac‘. „Dabei is‘ das sogar eine meiner Fantasien.“ „Deine Sexualität zu verleugnen?“ „Was? Nee! Sie zu zeigen. Öffentlich. Also … Nicht so wirklich öffentlich, aber …“ Mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen, drehte er sich zu Erik, fühlte die gewohnte Hitze auf seinen Wangen. „Willst du immer noch eine meiner Fantasien hören?“ „Natürlich.“ „Ähm, okay …“ Nervös fuhr sich Jonas durchs Haar, bevor er sich wieder den Filmen zuwandte. Nicht, dass er sich auf deren Titel hätte konzentrieren können, aber es war einfacher als Erik anzusehen. „Ich sitz‘ in einem Auto, meine Augen sind verbunden. Offensichtlich fahr‘ nich‘ ich selbst, sondern mein Partner. Wir halten an, aber ich hab keine Ahnung wo. Mein Partner steigt zuerst aus, anschließend zieht er mich aus dem Wagen. Wir laufen ein ganzes Stück, ich bin völlig orientierungslos. Der Weg unter meinen Füßen is‘ uneben und ich muss aufpassen, dass ich nich‘ stolpere, aber mein Partner umfasst meinen Arm, stützt mich. Irgendwann halten wir, ich werde ausgezogen, spüre die kalte Luft auf meiner nackten Haut. Mein Partner fesselt meine Hände, fixiert sie über meinem Kopf. Endlich nimmt er mir die Augenbinde ab. Wir sin‘ irgendwo im Wald. Grade mal ‘n paar Bäume zwischen uns und einem Wanderweg. Aufmerksame Beobachter könnten uns jederzeit erwischen.“ Jetzt drehte sich Jonas doch zu Erik, hatte aber Mühe, ihm in die Augen zu sehen. „Tja, das war’s so ziemlich. Danach … Ähm … Sagen wir, es kann auf diverse Arten enden, aber der Anfang is‘ immer derselbe.“ „Ah, das klingt schon sehr verlockend.“ „Ich hab keine Ahnung, ob ich das jemals ausleben will!“, sagte Jonas rasch. „Aber du hattest ja auch nach einer, ähm, eher hypothetischen Fantasie gefragt …“ „Keine Sorge“, erwiderte Erik schmunzelnd. „Ich hatte nicht vor, dich in mein Auto zu zerren und in den nächstbesten Wald zu entführen. Verlockend klingt es trotzdem. Erzählst du mir auch noch die andere? Die, die“, er machte eine kurze Pause, „in nicht so ferner Zukunft liegen könnte?“ „Oh, ähm, also …“ Dieses Mal brauchte Jonas etwas länger, um sich zum Weitersprechen zu überwinden. „Das … Das is‘ jetzt weniger ‘ne konkrete Fantasie als … Ich weiß nich‘ … Ein Extra?“ „Jetzt machst du mich wirklich neugierig.“ „Also … Ich mein … Ich glaub, ich fänd so ’n, ähm … Mir gefällt die Idee, ein Halsband zu tragen!“, ratterte Jonas so schnell herunter, dass er sich nicht sicher war, ob Erik ihn überhaupt verstanden hatte. „Ein Halsband, hm?“ Offensichtlich hatte er ihn verstanden. „Jaah …“ Bevor Erik auf dumme Ideen kommen konnte, setzte Jonas die Inspektion seines Wohnzimmers fort. Er war bei den Büchern angelangt. Erik schien eine Schwäche für klassische Liebesromane und Sciene-Fiction zu haben, daneben fanden sich jedoch auch einige Sachbücher. „Anatomie, noch mehr Anatomie, Histologie …“ Jonas versuchte, einen ängstlichen Gesichtsausdruck aufzusetzen. „Bin ich am Ende etwa in die Fänge eines gefährlichen Serienkillers geraten?“ „Schlimmer“, antwortete Erik ohne eine Miene zu verziehen. „In die eines gescheiterten Medizinstudenten.“ „Du hast Medizin studiert?“ „Angefangen.“ Erik nahm sich ein weiteres Stück Pizza. Anders als Jonas, der noch keinen Bissen gegessen hatte, war er bereits halb fertig. „Die Famulatur hat mir das Genick gebrochen.“ „Die was?“ „Die Famulatur“, wiederholte Erik. „Das ist eine Art Praktikum nach dem ersten Staatsexamen. Die Studenten sollen den Alltag in Klinik, Ambulanz und Hausarztpraxis kennenlernen.“ „Und das hast du nicht geschafft?“ „Vermutlich hätte ich, aber die Zeit in der Klinik hat mir sehr eindrücklich klargemacht, dass ich für diesen Beruf nicht geschaffen bin. Ich habe es dann noch beim Hausarzt versucht, aber …“ Erik lächelte freudlos. „Da war dieses alte Ehepaar. Ich durfte dem Mann Blut abnehmen, habe mich ein wenig mit ihnen unterhalten … Eine Woche später rief seine Frau an, um uns zu informieren, dass ihr Mann über Nacht verstorben war. Spätestens da ist mir klargeworden, dass es für mich als Arzt nur zwei Möglichkeiten gibt. So weiterzumachen wie bis dahin und noch vor meinem dreißigsten Geburtstag völlig ausgebrannt zusammenzuklappen, oder mich von meinen eigenen Emotionen abzukapseln und zu einem dieser kalten, unpersönlich wirkenden Ärzte zu werden, die ich selbst so ätzend finde. Nach langem Zweifeln habe ich mich letztlich für die dritte Option entschieden und abgebrochen.“ „Und wie kommt man dann von Medizin zu BWL?“ „BWL war im Grunde ein reines Verlegenheitsstudium“, gab Erik zu. „Mir war klar, dass mich jeder andere soziale Beruf genauso mitnehmen würde. Kurzfristig hatte ich an Grundschullehramt gedacht, aber …“ Er zuckte mit den Schultern. „Jedenfalls war es die Chefin vom Tix, die mich schließlich auf BWL gebracht hat. Einen Tag bevor ich ihr von meinem Entschluss, das Medizinstudium abzubrechen erzählt habe, hatte die damalige Verwaltungsleiterin sie über ihre Schwangerschaft informiert. Also bot sie mir an, meinen Job hinter der Bar gegen einen im Büro zu tauschen, wenn ich dafür ein wirtschaftswissenschaftliches Studium wähle. Besser bezahlt und körperlich weniger anstrengend, im Gegenzug konnte ich meine Vorgängerin während der Schwangerschaft entlasten und später, als sie in Elternzeit war, einen Teil der anfallenden Arbeit abfangen, damit nicht alles an meiner Chefin hängen blieb. Als sich meine Vorgängerin dann gegen Ende meines Studiums und zur Geburt ihres zweiten Kinds dazu entschieden hat, ganz auszuscheiden, habe ich die Stelle übernommen.“ „Glückliche Fügung, was?“ „Wenn man davon absieht, dass ich immer noch täglich fürchte, alles in den Sand zu setzen: Ja.“ „Find ich aber krass, dass du das so durchgezogen h… Bist das du?“ Jonas hatte ein Foto aus dem Bücherregal gezogen, das einen deutlich jüngeren Erik zusammen mit einem älteren Pärchen auf einer Parkbank zeigte. Das Haar der Frau hatte denselben honigblonden Ton wie Eriks, war jedoch raspelkurz gehalten. Das des Mannes war ebenfalls hell, ging allerdings in einen Rotton über, ähnlich dem seines eigenen Vaters. Dafür hatte er Eriks Wangenknochen und das warme Lächeln. Aber es war Erik selbst, der Jonas‘ Blick auf sich zog. „Deine Haare waren pink!“ „Zuckerwatterosa, Herr Künstler“, korrigierte Erik. „Und das auch nur für diesen einen Monat. Danach waren sie … Hm, lila, glaube ich. Oder blau. Oder türkis. Ich erinnere mich nicht mehr an die genaue Reihenfolge.“ „Das ist sowas von scheißeniedlich!“ Jonas studierte das Bild genauer. In einer der Ecken zog sich ein feiner Sprung durchs Glas und auch der Rahmen wirkte, als hätte er schon einige Umzüge mitgemacht. „Sind das deine Eltern?“ „Ja.“ „Leben sie auch hier in Berlin?“ „Nein.“ „Sind sie noch in … Ich glaub, ich hab dich gar nich‘ gefragt, woher du eigentlich kommst.“ „Stuttgart.“ „Also leben sie noch in Stuttgart?“ Noch während Jonas redete, realisierte er, dass Erik ungewohnt kurz angebunden war. Vorsichtig drehte er sich um und tatsächlich war das Lächeln aus Eriks Gesicht verschwunden. „Meine Eltern sind bei einem Autounfall gestorben, als ich fünfzehn war.“ „Fuck. Ich … Sorry.“ „Ist in Ordnung. Konntest du ja nicht wissen. Ich gebe zu, dass es nicht gerade mein Lieblingsthema ist, aber ich kann durchaus darüber sprechen.“ Jonas nickte nur. Er hatte keine Ahnung, was er darauf erwidern sollte. Seine verdammte Neugierde hatte die Stimmung zwischen ihnen ordentlich versaut. „Deine Pizza wird kalt“, merkte Erik an. „Setz dich doch zu mir.“ Dankbar nahm Jonas Eriks Angebot an, aber jeder Versuch, ihr Gespräch neu aufleben zu lassen, verlief rasch im Nichts. Irgendwann war das letzte Stück Pizza gegessen und Jonas machte sich auf den Heimweg. Sein Schal hing vergessen an Eriks Garderobe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)