50 % von Shirokura ================================================================================ Kapitel 1: Herzlose Eltern und herzlose Puppen ---------------------------------------------- Die Wahrscheinlichkeit, ohne Penis auf die Welt zu kommen, liegt bei ungefähr 50 %. Minpha war noch nie ein Glückskind gewesen. Traurig zog er sich die überweite Kapuze seines pinken Hoodies über den Kopf und ein kleines Seufzen entkam seinen Lippen. Er fühlte sich nicht wohl in seine Haut. Warum hatte ihn die Natur nicht ein wenig eindeutiger formen können? Was sollte er denn mit dem Teil zwischen seinen Beinen, wenn er doch aussah wie ein Mädchen? Egal, was er anzog, alle fanden ihn nur süß und niedlich. Schon als Kind hatte ihn keiner für einen Jungen gehalten. Da hatten auch all die blauen Sachen, die man ihm anzog, sehr zum Leidwesen seiner Eltern, nicht geholfen. Pünktlich mit seiner Pubertät hatte Minpha dann begonnen, gegen das Rollenmodel, das sie ihm aufzwingen wollten, zu rebellieren. War in Mädchenuniform zur Schule gegangen, hatte begonnen, seine Haare wachsen zu lassen und zu färben. Das war nirgendwo auf Begeisterung gestoßen. Zu Hause nicht, bei Lehrern nicht und bei Klassenkameraden ebenso wenig. Als sie ihn nach der Schule das erste Mal krankenhausreif geprügelt hatten, hatten ihn seine Eltern erst einen Tag später dort besucht. Er hatte es ja schließlich darauf angelegt, so zugerichtet zu werden, also bräuchte er auch nicht mit Mitleid zu rechnen. So war es dann weiter gegangen. Je ablehnender sie ihm begegnet waren, umso weiter hatte er es auf die Spitze getrieben, bis sie ihn mit seiner Volljährigkeit auf die Straße gesetzt hatten. Er kam allein klar, so war es nicht. Sie unterstützten ihn auch finanziell, ob er wollte oder nicht, aber trotzdem hatte es verdammt weh getan. Das tat es noch immer. Irgendwie. Aber zu ihnen zurück zu gehen, kam nicht in Frage. Nicht, so lange sie ihn nicht akzeptierten. Er machte sich nun mal gern zurecht, fand sich am Hübschesten, wenn ihm ein zuckersüßes, pinkes Prinzesschen aus dem Spiegel entgegen blickte. Und wenn schon?! Er war ihr Sohn, verdammt. Sie hätten ihn unterstützen müssen. Sie hätten ihm vermitteln müssen, dass er richtig war, so wie er war. Das er seinen Weg finden würde. Das er wertvoll war. Doch genau das hatten sie nicht getan. Genauso wenig wie alle anderen. Minpha fühlte sich nicht zugehörig. Nirgendwo. Die Jungs wollten ihn nicht, weil er zu pink war. Die Mädchen wollten ihn nicht, weil er einen Penis hatte. Und wirklich eine Frau werden wollte er auch nicht. Es graute ihm vor dem Gedanken, sich chirurgisch zu Brüsten verhelfen zu lassen oder gar seinen Unterleib entsprechend umformen zu lassen. Warum war er nur nicht einfach als Mädchen geboren worden? Dann wäre alles perfekt gewesen... Doch so, wie er war, zerrten alle an ihm rum. Schubsten ihn entweder Richtung Mädchen oder Richtung Junge. Was er denn mit Frauen wolle, wo er doch so offensichtlich schwul war? Kein Mann zog sich schließlich so an, wenn er nicht bei Typen laden wollte. Warum er sich keinen BH ausstopfen wolle? Nur ein klein wenig? Dann wäre die Illusion perfekt. Warum er keine hohen Absätze trug? Dann wäre er gleich viel größer. Warum er sich die Haare nicht schnitt und schwarz färbte, weil er dann bestimmt doch irgendwie als Junge durchgehen würde? Wenn er nur Hosen trüge, würde das schon werden. Überhaupt schien jeder auf der Welt eine Meinung dazu zu haben, wie leicht seine Identitätskrise zu bewältigen wäre. Niemand kam auf die Idee, ihn einfach in Ruhe zu lassen. Oder gar zu lieben. Dabei sehnte sich Minpha so nach Geborgenheit in dieser für ihn so schwierigen Zeit, aber es schien eine unlösbare Aufgabe, jemanden wirklich für sich zu begeistern. Klar, einen Fan für die Nacht zu finden, war kein Problem. Die meisten Mädels und Jungs, die ihn auf den Konzerten anhimmelten, waren schon nackt, wenn er nur mit dem Finger schnippte. Das er keinen Hehl aus seiner Bisexualität machte, war übrigens eine weitere Eigenart, für die ihn seine Eltern verachten. Er merkte erst, dass er düster vor sich hin stierte, als Koichis Stimme ihn aus seinen Gedanken riss. "Alles in Ordnung, Engelchen?", fragte dieser leise und musterte Minpha kritisch. "Ja. Alles gut", log er automatisch. Koichis feine Augenbrauen zogen sich augenblicklich nach oben. Er mochte es nicht, belogen zu werden, was Minpha eigentlich sehr genau wusste. "Sicher?", hakte er nach. Der Jüngere nickte scheu und sah demonstrativ weiter den Anime. Zumindest starrte er auf den Bildschirm, nahm jedoch gar nicht wirklich wahr, was sich dort abspielte. Zu sehr war er in seine schlechte Laune vertieft. Gelegentlich huschte sein Blick zu Koichi, der entspannt in Jogginghosen und Bandshirt neben ihm lümmelte. Seine langen, rosa Haare hatte er zu einem Knoten zusammen gefasst. Minpha mochte den Älteren sehr. Sie waren sich so ähnlich. Wie Brüder im Geiste. Zunächst waren sie nur wegen der Offensichtlichsten ihrer Gemeinsamkeiten zueinander hingezogen worden: Ihrer Vorliebe für eine gewisse Farbe. Für ein Bild miteinander. Zwei hinreißende Bassistinnen mit pinken Haaren, die eigentlich Jungs waren. Noch dazu war Minpha so entsetzlich viel kleiner als Koichi, dass man sie tatsächlich für Geschwister halten könnte. Es hatte Spaß gemacht, miteinander Bilder zu machen und schnell hatten sie weitere Schnittmengen gefunden. Inzwischen war Minpha Koichis Freundschaft unendlich kostbar, wusste dieser doch immer, was ihn bewegte, konnte immer verstehen, warum er wie reagierte. Bei ihm konnte er er selbst sein, ohne sich genieren zu müssen, was er so eigentlich gar nicht kannte. Er war sehr schweigsam geworden mit den Jahren, da er nach vielen sehr schmerzhaften Erfahrungen, irgendwann das meiste von sich, so gut es ging, in sich eingesperrt hatte. Immer wieder als gestört und ekelhaft bezeichnet und verstoßen zu werden, war einfach zu schmerzhaft geworden. Was blieb, war die hübsche, pinke Püppchen-Oberfläche, die er noch bereit war, zu zeigen. Der Rest blieb unter Verschluss. Zwar konnte er sich, Dank des Visual Kei, zumindest stylen, wie er wollte, aber das war dann auch schon alles. Noch immer wurde er viel zu oft wegen seines Aussehens dumm angemacht und so war er zu dem stillem, oft ärgerlichen, jungen Mann geworden, der er heute war. Niemand außer Koichi wusste auch nur annähernd, was in ihm vorging. Und er war dem Älteren so wahnsinnig dankbar, dass er so viel Zeit mit ihm verbrachte. Es war schön, endlich jemanden zu haben, der einem ähnlich war, der einen nicht ansah, als wäre man verrückt, wenn man Dinge aussprach, die einen beschäftigten. Und so sammelte er langsam Mut, um das Thema anzuschneiden, dass ihn nun schon seit ein paar Tagen beschäftigte.   "Koi-Chan?", fragte er leise, als der Abspann lief. "Ja?" Sofort wandte sich der Ältere ihm zu. Nichts als Wärme lag in seinem Blick, was Minpha die Kraft gab, in Worte zu fassen, was ihm auf der Seele lag: "Bist du gern ein Mann?" Überrascht riss Koichi seine Augen auf, um dann jedoch ernst zu antworten: "Meistens schon. Warum fragst du?" Minpha stieß Luft aus und sah dann anklagend in seine Körpermitte. "Ich weiß nicht... Ich glaube, ich nicht besonders... All die Kleider, die pinken Sachen... Das passt doch gar nicht zusammen..." "Wärst du lieber eine Frau?" "Ich weiß nicht. Manchmal." "Wann?" "Wenn mich keiner haben will. Ich bin kein Junge, ich bin kein Mädchen. Was bin ich?" Koichi stupste dem Kleinen auf die Nase, die dieser sofort kraus zog. "Du bist Minpha." "Was heißt das schon?" "Das musst du selbst raus finden." "Aber das ist so schwierig." "Ich weiß, Engelchen, aber ich kann es dir leider nicht abnehmen." Seine von Bassspielen rauen Fingerkuppen strichen über Minphas Handrücken. "Ich will wie ein Junge aussehen. Oder so bleiben und ein Mädchen sein", maulte der Jüngere. Koichi seufzte. "Aber du magst doch gar keine Jungssachen. Sogar hier, zu Hause vor dem Fernseher, trägst du ein Röckchen." "Vielleicht ist das nur so, weil die mich so gemacht haben. Wenn ich nicht mit den Bands angefangen hätte, wäre ich vielleicht ganz normal." Er sah deutlichen Widerstand im Blick seines besten Freundes, doch der hielt sich nicht damit auf, Minpha zu widersprechen, sondern drang, wie es nun Mal seine Art war, direkt zum Kern der Sache vor: "Engelchen, was ist denn passiert?" Minpha sah betreten auf seine Füße, die in süßen, pink gepunkteten Ballerinas steckten. Immer merkte Koichi, dass er ihm etwas verheimlichte. Woher, das war Minpha ein Rätsel, auch wenn der Ältere ihn immer wieder darauf hinwies, dass man ihm jede Gefühlsregung im Gesicht ablesen konnte. Wenn das wirklich so war, mussten doch all die Menschen, die ihm zusetzten, auch sehen, dass es ihn verletzte. Oder bemerkten sie das tatsächlich und es war ihnen einfach nur scheißegal, was er fühlte? "Wir waren gestern Abend auf einer Party und da war so ein Mädchen. Sie war total süß und wir haben rumgeknutscht, ich dachte, wir würden... du weißt schon. Wir waren schon im Hotelzimmer und ich hatte nur noch eine Shorts an. Sie fummelte sogar darin rum, aber plötzlich stand sie auf und zog sich wieder an. Sie hätte sich geirrt, sie sei definitiv lesbisch und könne noch nicht einmal etwas mit Männern wie mir anfangen. Dann ist sie gegangen." Ohne ein Wort nahm Koichi ihn in den Arm. "Warum kann ich nicht normal sein?", flüsterte Minpha leise an seiner Brust. "Engelchen..." Der Ältere klang traurig und streichelte Minphas Kopf durch die Kapuze. "Ich werde nie jemanden finden, werde für immer eine Attraktion für unsere Fans bleiben. Welcher normale Mann wird denn von einem Fan entjungfert? Ich habe meine Unschuld auf Tour an eine Fremde verloren. Das ist lächerlich. Ich bin armselig", murrte er und wand sich aus der Umarmung. Er war so unzufrieden, dass es weh tat. "Hat es dir denn keinen Spaß gemacht?", fragte Koichi mit schräg gelegtem Kopf. "Es war ok." "Aber irgendwann hattest du doch bestimmt schon guten Sex?" "Ja, aber ist schon länger her." "Warum? Keine Zeit?" "Ich will jemanden kennen lernen. Keinen Fan. Ich will zu jemandem gehen können, egal was ist. Jemandem vertrauen können. Sachen zusammen ausprobieren. Ich möchte nicht jedes Mal Angst haben, dass ich beim Sex heimlich gefilmt werde." "Du willst eine Beziehung?" "Schätze schon." Verdrießlich spielte er mit seinen Haaren. Koichi dagegen blinzelte ihn aufmunternd an. "Das ist doch schön." "Schon, aber ich werde nie jemanden finden", beharrte Minpha schmollend. "Natürlich wirst du das. Du bist wundervoll." Sehnsüchtig sah er Koichi an. "Warum kannst du es nicht sein?", fragte er den Älteren trotzig, der seine Finger unter Minphas Kapuze gleiten ließ und ihm das Haar verwuschelte. "Das weißt du ganz genau." Minpha seufzte. Natürlich wusste er das. Zu lebhaft war noch die Erinnerung, als er sich dem Älteren, geflutet vom Adrenalin eines Lives, an den Hals geworfen hatte. Das Küssen war ja noch ganz geil gewesen, aber als es ans Eingemachte ging, hatte bei beiden Flaute geherrscht. Hatten sie doch das alles eher lustig, als sexy gefunden und auch partout keinen hochbekommen vor lauter Gekicher und Gekabbel. Schließlich hatten sie beschlossen, den Quatsch zu lassen und einfach schlafen zu gehen. "Wie soll ich denn jemanden kennen lernen? Auf Arbeit darf ich nicht sprechen und danach bin ich immer so müde… Es ist hoffnungslos… Und außerdem sind immer alle erschrocken, wenn sie merken, dass ich kein Mädchen bin. Ist das wirklich so unglaublich?" Koichi kniff sein linkes Auge ein wenig zusammen. Ein sicheres Zeichen dafür, dass er nicht antworten wollte. "Für viele schon." "Aber viele in der Szene haben ein Puppengesicht und laufen in Mädchenklamotten rum und haben trotzdem richtige Freundinnen. Oder Freunde. Das kotzt mich so an! Was stimmt nicht mit mir?! Warum sind immer alle so Scheiße zu mir? Als ob ich wirklich eine Puppe ohne Herz wäre!" Unzufrieden verschränkte er die Arme. "Engelchen… Sei nicht wütend… Sie sind nun mal so. Lass dir nichts gefallen und halte aus. Irgendwann wirst du jemanden finden." "Und wann?", fragte Minpha, der sich irgendwo zwischen Wut und Verzweiflung befand. Wieder entwich dem Älteren ein Seufzen und er zog ihn zurück in seine Arme. "Ich weiß es nicht, aber ich hoffe bald." Minpha wünschte sich aus ganzem Herzen, dass Koichi recht hatte. Er fühlte sich so einsam. Hatte ihn doch nicht einmal seine Familie akzeptieren können, wie er war, weil sie sich für ihn geschämt hatten. Es war so bitter. Nicht einmal seine eigenen Eltern liebten ihn. Wie sollte es da jemand anderes tun? Schnell versuchte er den Gedanken zu verdrängen, schmiegte sich fest an die Brust seines besten Freundes und ließ sich von dessen langsamen Herzschlag beruhigen. Kapitel 2: Betrunkene, Kunsthaar und eine weiche Jacke ------------------------------------------------------ Erschöpft wartete Minpha vor dem Club auf das gerufene Taxi. Der Tag war verdammt lang gewesen und er wollte einfach nur ins Bett. Selbst das Luftholen fiel ihm inzwischen schwer, weil die Korsage, die er trug schon seit Stunden seine Atmung einschränkte. Außerdem war ihm verdammt kalt. Fröstelnd schlang er seine Jacke fester um sich und dachte schon einmal darüber nach, welchen Manga er nachher im Bett vor dem Einschlafen lesen würde, als ein gelalltes "Na Hübsche, was machst du denn so spät noch allein auf der Straße?" seine wohlverdiente Ruhe störte. Großartig. Er hätte am Liebsten vor Frustration geschrien. Musste das jetzt wirklich noch sein? Als wenn der Abend nicht schon beschissen genug gewesen wäre! Heute hatte mal wieder keiner kapieren wollen, dass sie ihre Finger bei sich zu behalten hatten. Nur weil er hübsch aussah, war er verdammt noch mal kein Allgemeingut, auf dem nach zwei bis drei Bier jeder seine Flossen parken konnte, wie es ihm gerade passte. Und das waren nur Leute gewesen, die er kannte. Dass er jetzt auch noch von Fremden blöd auf der Straße angequatscht war echt der Gipfel! Genervt drehte er sich um. Er hatte den Kerl noch nie gesehen und keine Ahnung, wo er auf einmal her gekommen war, aber fest stand, dass er ihn auf dem völlig falschen Fuß erwischte, wenn er sich jetzt nicht zügig und vor allem still davon machte. Und das lag nicht daran, dass er ein Mann war oder es schon spät war oder Minpha ihn einfach unattraktiv fand. Es lag an der Art, wie er ihn behandelte. Oder zu behandeln gedachte. Es ging um den verdammt abzüglichen Unterton, die Wortwahl und überhaupt das ganze überhebliche Auftreten des Mannes. Dieser Penner hielt sich für den Stärkeren und wenn es etwas gab, das Minpha so richtig ankotzte, dann waren das besoffene Assis, die nachts Leute auf der Straße belästigten. Insbesondere kleine, pinkhaarige, vermeintliche Frauen. "Ich bin kein Mädchen. Verzieh dich", zischte er also feindselig und bedachte den Betrunkenen mit einem angewiderten Blick, während der unverdrossen näher wankte. Automatisch scante Minpha den potentiell gefährlichen Mann. Er war verdammt groß und sah auch ziemlich kräftig aus, war aber extrem betrunken, entsprechend unsicher auf den Beinen und wahrscheinlich schwerfälliger in seinen Reaktionen. Negativ war, dass er vermutlich aufgrund seines massiven Alkoholkonsums ein vermindertes Schmerzempfinden hatte. Man müsste also auf ziemlich starke Reize setzen, um ihn in den Griff zu bekommen. Positiv war auch, dass er Minpha offenbar vollkommen unterschätzte, so selbstgefällig, wie er grinste. Er hatte wohl keine Ahnung, auf was er sich einließ, denn der kleine, pinkhaarige Junge hatte viel Erfahrung mit ungewollten Verehrern. Es war nämlich leider nicht das erste Mal, dass ein zudringlicher Mistkerl glaubte, er könne sich alles erlauben. "Oho. Ein Junge also? Das ist ja noch geiler", nuschelte der Mann direkt vor dem Bassisten und strich ihm allen Ernstes mit seinen schwitzigen, nach Schnaps stinkenden Fingern über die Wange. Sofort wich Minpha angeekelt einen Schritt zurück. "Fass mich nicht an, Mistkerl!", fauchte er und das Adrenalin begann, durch sein Blut zu rauschen. Sein Instinkt sagte ihm, dass es gleich ungemütlich werden würde und in der Regel konnte er sich auf ihn verlassen. Der Mann ließ sich von Minphas abweisenden Verhalten in keinster Weise beeindrucken. "Jetzt sei doch nicht so. Wir könnten so viel Spaß miteinander haben. Ich bin auch ganz zärtlich." Die Dreistigkeit dieses Widerlings verschlug selbst dem in dieser Hinsicht leidgeprüften Bassisten für einen Moment die Sprache. Fassungslos schüttelte er nur den Kopf über die verdammt verdrehte Wahrnehmung dieses abstoßenden Menschen. Wie konnte er es wagen?! Er wollte sich gerade zur Wehr setzten, als hinter dem Typen ein raues "Er hat nein gesagt. Bist du taub, Pisser?" durch die Nacht donnerte. Sofort drehte sich der Besoffene um und Minpha nutzte seine Chance, um an ihm vorbei zu spähen, weil er sich absolut nicht vorstellen konnte, wer ihm da zur Hilfe gekommen war. Die Stimme kam ihm vage bekannt vor, aber er konnte sie nicht zuordnen. Seine Überraschung kannte keine Grenzen, als er dort SaZ stehen sah. Der große, kräftige, langhaarige Bassist von Dezert mit den charakteristischen blondierten Spitzen wirkte vollkommen entspannt und steckte sich in aller Ruhe eine Kippe an während er den Mann, den er so eben beleidigt hatte, leicht fragend, aber keineswegs beunruhigt ansah. Die Gelassenheit, die der Neuankömmling ausstrahlte passte in keiner Weise zu der angespannten Situation. Außerdem war es Minpha fragte schleierhaft, warum er ihm half. Er konnte sich nicht erinnern, je etwas mit ihm zu tun gehabt zu haben, das über eine oberflächliche Begrüßung hinaus ging. Er wusste nur, dass seine Band ziemlich harte Musik machte und er ein wenig älter war, als er selbst. Wie alt genau, wusste er aber nicht. Was allerdings absolut augenscheinlich war, dass SaZ, auch wenn sie vielleicht nicht viele Jahre trennten, deutlich erwachsener wirkte als er selbst. Das gleiche Gefühl hatte er bei Koichi auch oft. Wer hätte gedacht, das Koichi und SaZ etwas gemeinsam hatten, dass über die Wahl ihres Instrumentes hinaus ging? Aber jetzt, wo er SaZ so dastehen sah, war es unübersehbar: Wie Koichi ruhte er irgendwie ins sich. Wirkte abgeklärt. Unerschütterlich. Und für den immer etwas unsicheren Minpha ziemlich faszinierend. "Was mischst du dich ein, Fettsack?!", polterte da der Besoffene los und wankte bedrohlich auf SaZ zu. Da platzte Minpha endgültig der Kragen. "Nenn ihn nicht so, Arschloch!", giftete er und nutzte die Tatsache, dass ihm der Fremde den Rücken zugewendet hatte, um ihm kräftig in die Kniekehle zu treten. Sofort ging er zu Boden, wo Minpha, der völlig rot sah, ihm einen Arm auf den Rücken drehte und sein Knie zwischen die Schulterblätter rammte. Schnell war der Betrunkene auf dem Bauch liegend auf der Straße fixiert. Der Mann winselte gepeinigt auf, als Minpha probeweise dessen Arm verdrehte, um den perfekten Winkel zu finden, in dem dich der Mistkerl unter ihm keinen Millimeter mehr rühren konnte, ohne sehr heftige Schmerzen in der Schulter zu durchleben. "Jetzt fühlst du dich nicht mehr so stark, hmmm?", knurrte der Pinkhaarige bedrohlich. "Entschuldige dich!", forderte Minpha kalt. "Vergiss es, Schwuchtel." "Wie hast du mich genannt?" "Schwu-Aaaaah." Der Schrei des Mannes, als er dessen Arm ganz langsam entgegen der Muskulatur drehte, hallte durch die Nacht und Minpha hätte gelogen, wenn er behauptet hätte, es machte ihm nicht ein klein wenig Spaß, diesen Scheißkerl zu quälen. Doch als das Gebrüll seines Opfers verklang, hörte er jedoch etwas noch viel Schöneres: SaZs schadenfrohes Lachen. Überrascht sah er zu ihm auf und seine diabolisch funkelnden Augen ließen ihn wohl eine Sekunde unachtsam werden, denn er Mann unter ihm rüttelte plötzlich ganz heftig und erst in letzter Sekunde erwischte ihn Minpha wieder und behielt die Kontrolle. "Zwing mich nicht, dir den Arm auszukugeln", zischte er warnend. "Schon gut. Schon gut." "Ich warte immer noch auf eine Entschuldigung." "Entschuldigung...", jammerte der Betrunkene gequält und nun hatte auch sein Peiniger ein Lächeln im Gesicht. Primär allerdings nicht wegen der Entschuldigung sondern wegen dem Publikum. "Alle Achtung. Hätte dir gar nicht zugetraut, dass du dich so gut wehren kannst, Kleiner. Hast ja alles im Griff, wie mir scheint", meinte SaZ und grinste Minpha an, während er gemütlich näher kam. Bei ihnen angekommen, trat er dem Betrunkenen beiläufig, aber beherzt in die Rippen, bevor er sich zu ihm herunter beugte und brummte: "Sei froh, dass die Security wahrscheinlich gleich kommt, weil du so laut geschrien hast, sonst würdest du dir wohl in wenigen Minuten wünschen, du hättest diese hübsche, pinke Blume nie belästigt. Ich bin mir sicher, der Süße hat bestimmt noch viel gemeinere Tricks auf Lager." Seine Stimme klang extrem beängstigend und er unterstrich das Ganze noch damit, dass er dem Typen dämonisch lächelnd ins Gesicht aschte. "Und jetzt wird unser bezaubernder Engel dich loslassen und du wirst dich brav verpissen. Wir wollen doch nicht, dass jemand ernsthaft verletzt wird." Der Fremde knurrte nur. "Du erlaubst?", fragte SaZ trotzdem mit leicht ironischem Unterton, verbeugte sich formvollendet und hielt Minpha seine Hand hin, um ihm hoch zu helfen. Dieser sah ihn im ersten Moment nur verwundert an. SaZ war irgendwie verdammt beeindruckend. Wie konnte er nur so ruhig bleiben? Perplex griff Minpha schließlich, ohne groß darüber nachzudenken, zu und ließ sich von SaZ auf die Beine ziehen. So direkt vor ihm stehend, fiel ihm zum ersten mal auf, wie verdammt groß er war. Und wie gut er roch. Gar nicht nach Alkohol, obwohl er auch auf der Party gewesen war. Entgegen Minphas Erwartungen schob er ihn auch nicht sofort schützend hinter sich, sondern blieb einfach stehen und zog an genüsslich seiner Zigarette. Es war ungewohnt, nicht automatisch wie ein Mädchen behandelt zu werden. Überhaupt wirkte er Größere völlig ungerührt, zollte selbst dem Betrunkenen, der sich gerade mühsam aufrappelte, kaum Beachtung. In dem Moment hielt auch endlich hinter ihnen das bestellte Taxi. Unschlüssig machte Minpha ein paar Schritte drauf zu, drehte sich dann aber um und suchte SaZs Blick. "Wollen... wollen wir uns das Taxi vielleicht teilen?" Unbeteiligt zuckte der Angesprochene mit den Schultern und setzte sich in Bewegung, während er ein "Ok" brummte und seine Kippe austrat. "Ja, verpisst euch nur, ihr feigen Tucken!", brüllte der Besoffene ihnen heiser nach. Sofort fuhr Minpha herum, bereit, diesem Drecksack einen wohlverdienten Nachschlag zu geben, doch SaZ hielt ihn am Handgelenk fest. "Scheiß auf ihn. Lass uns verschwinden." Wütend und irritiert sah der Kleinere SaZ an, der seinen Blick mit unerschütterlicher Ruhe erwiderte. "Komm schon. Mach dir nicht deine Hände an ihm schmutzig. Die brauchst du doch zum Bass spielen." Seine Stimme war so sanft. Minphas Wut schwand. Zögerlich nickte er, worauf hin seinem Gegenüber der Schatten eines Lächelns übers Gesicht glitt. Etwas kribbelte in Minphas Bauch und er blinzelte verwundert, während er SaZ misstrauisch beäugte. Wie hatte er ihn so schnell beruhigen können? Und warum ging er so ungezwungen mit ihm um? Machte er sich wirklich Sorgen, dass er sich verletzten konnte? Und wenn ja, warum? "Dann los", unterbrach SaZ seine Grübeleien und strich mit seinem Daumen über Minphas Puls, bevor dessen Handgelenk losließ und in den Fond des Taxis stieg. Eine Gänsehaut breitete sich von dort aus, wo er über die empfindliche Haut gestrichen hatte. Unwillkürlich rieb sich der Kleinere über die Stelle und folgte ihm schnell in das Taxi, bevor er stotternd seine Adresse nannte und danach angestrengt aus dem Fenster starrte. Er war auf einmal so durcheinander, konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sein Kopf fühlte sich an wie ein Bienenstock. So viele Fragen und keinerlei Antworten. Und nach wie vor kribbelte sein Handgelenk wohlig, wo SaZ im über die Haut gestrichen hatte. Ob er das wohl absichtlich getan hatte? Es war bestimmt nur ein Versehen gewesen. Es war absolut unmöglich, dass er Interesse an ihm haben könnte. Er war bestimmt schon genervt. "Hab ich dir weh getan?", ließ ihn SaZs Stimme aufschrecken. Verständnislos sah er den Fragenden an, bis er dessen Blick folgte und bemerkte, dass er immer noch schützend seine Hand um sein Handgelenk gelegte hatte. Beschämt ließ er los, presste seine Lippen zusammen und schüttelte stumm den Kopf. "Zeig", forderte sein Gegenüber und schüchtern hielt Minpha ihm sein Handgelenk hin. Er wusste gar nicht, was auf einmal mit ihm los war, aber er konnte vor Verlegenheit kaum aufsehen. SaZ dagegen war immer noch die Ruhe selbst, betrachtete das dargebotene Handgelenk von allen Seiten, bevor sich wieder in seinen Sitz fallen ließ. "Du bist nicht sehr gesprächig, huh?", brummte er. Minpha schüttelte den Kopf. "Du musst vor mir nicht die Doll-Nummer abziehen. Ich hab dich sprechen hören." Überfordert kniff der Pinkhaarige seine Augen zu. Irgendwie war ihm alles zu viel. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, sein Mund war ganz trocken und seine Hände waren eiskalt. Er hörte es neben sich rascheln, als SaZ sich bewegte. "Hey, ist alles ok?" Diese warme Stimme... Wieder schüttelte Minpha den Kopf, hatte einen riesigen Kloß im Hals. Ihm wurde plötzlich furchtbar schlecht. "Kann ich dir irgendwie helfen?" Er wollte ihm helfen? Wirklich? Minpha atmete tief ein und öffnete zögerlich die Augen. Er sah besorgt aus. Tatsächlich. "Scheiße, ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn du mich nur mit großen Augen anschaust. Fuck, zitterst du?! Sollen wir anhalten?" Da merkte der Pinkhaarige, dass SaZ recht hatte. Er zitterte. Vielleicht, weil die Anspannung nachließ? Zu viel Adrenalin? "Ist dir kalt?" Schon hatte er seine Jacke ausgezogen und als Minpha nicht reagierte, drückte er ihn ein wenig nach vorn und legte sie ihm um die Schultern. Sie war so schön warm. Und roch so gut. Erst da bemerkte er, wie nah SaZ ihm war. Schüchtern suchte er seinen Blick und als er ihn fand, wurde ihm ganz anders. Nicht nur seine Jacke war warm. Sein Blick war es auch. Wie in Trance griff Minpha sich eine von SaZs Haarsträhnen und ließ sie zwischen seinen Fingern hindurch gleiten. Sie war ganz glatt und weich und man merkte keinen Unterschied zwischen der Naturfarbe und den blondierten Spitzen. "Sie sind so schön lang", murmelte er dabei mehr zu sich selbst, als zum Besitzer der Haarpracht. Verblüfft weiteten sich SaZ Augen, bevor er den Blick niederschlug. "Ja... Deine aber auch." "Die Zöpfe sind nicht echt", wiegelte Minpha ab. "Wirklich?" "Meine eigenen gehen nur bis zum Kinn. Man merkt den Unterschied, wenn man sie anfasst." "Darf ich?" Minpha nickte und holte einen seiner Zöpfe vor, um sie neben seinen Pony zu halten. Zögerlich ließ SaZ seine Hände durch die rosanen Haare streifen. "Fuck, du hast recht. Deine echten Haare sind viel weicher!" Minpha nickte wieder und bemerkte zu seiner Überraschung, dass er lächelte. Er fühlte sich wohl, wenn SaZ ihn anfasste. Er mochte die Art, wie er ihm durch die Haare strich und er wollte ihm nah sein. Noch näher sein. Ob er sich wohl an ihn kuscheln durfte? Leider hielt in diesem Moment das Taxi und als er sich umsah, merkte er, dass es vor dem Haus stand, in dem seine Wohnung war. Bedauernd kramte er sein Geld hervor und bezahlte den Fahrer, bevor er "Danke, SaZ. Gute Nacht" flüsterte und aus dem Fond glitt. "Schlaf gut, Minpha", wehte dessen warme Stimme an sein Ohr, bevor er die Tür zu schlug und das Taxi davon fuhr. Er sah ihm nach, bis es hinter der nächsten Ecke verschwand und ging dann nachdenklich zum Hauseingang, wo ihm plötzlich siedend heiß bewusst wurde, dass er SaZs Jacke noch über den Schultern hatte. Erschrocken befühlte er den weichen Stoff. Er musste sie ihm unbedingt zurück geben! Aber er hatte nicht einmal seine Telefonnummer! Mit einem tiefen Seufzen kuschelte er sich in den nach SaZ duftenden Stoff und schlich in seine Wohnung. Gleich morgen würde er versuchen, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Kapitel 3: Ein zweifelhafter Ruf, ein Geschenk und pinke Gitarrengurte ---------------------------------------------------------------------- "Koi?" "Ja?" Mit großen Augen sah Minpha den Älteren an. Er hatte lange genug vergeblich mit sich gerungen, um eben das Thema, das ihn permanent beschäftigte, nicht anzusprechen. "Sag mal, kennst du Saz? Von Dezert?" "Ich hab ihn ein paar mal gesehen. Warum fragst du? War er gemein zu dir?" Sofort wurde der Kleinere stutzig. "Warum glaubst du, dass er gemein war?" "Seine Band hat keinen besonders guten Ruf. Von ihm selbst hab ich zwar nichts Spezielles mitbekommen, aber ich hab gehört, der Sänger würgt bei Lives sogar Mädchen aus dem Publikum." "Oh", machte Minpha nur. Dabei war SaZ doch so nett gewesen... Ob er sich in ihm getäuscht hatte? "Warum interessierst du dich für SaZ?", kam Koichi wieder auf die eigentliche Frage zurück. "Er hat mir auf der Party letztes Wochenende seine Jacke geliehen und ich treffe mich morgen mit ihm, um sie ihm zurück zu geben." Koichi blinzelte ein paar Mal, wirkte vollkommen erstaunt. "Du triffst dich mit SaZ? Von Dezert? Weil du seine Jacke hast?" "Ja. Hab ich doch gesagt." Er hatte Koichi wahrscheinlich noch nie so erstaunt gesehen. "Ist das die Jacke, die du gerade anhast?" "Wie kommst du darauf?", fragte Minpha ertappt. Natürlich war sie es. Er liebte die Jacke und wollte sie am Liebsten behalten. "Sie ist dir mindestens drei Nummern zu groß und -", er zögerte, bevor er weiter sprach, "...sie ist gar nicht niedlich." "Ich finde sie hübsch", murrte Minpha, "Und sie ist voll weich und SaZ hat gesagt, ich brauche sie nicht extra zu waschen, also kann ich sie auch tragen." Koichi brach in leises Gelächter aus. "Engelchen, du musst dich doch nicht vor mir rechtfertigen." "Mach ich gar nicht", schmollte Minpha und wurde ganz nervös unter Koichis forschendem Blick. "Saaaag mal..." Der neugierige Ton des Älteren versprach nichts Gutes. "Kann es sein, dass du SaZ gern hast?" Der Jüngere seufzte. "Vielleicht..." "Wie kam es dazu?" Leise erzählte Minpha die Geschichte mit dem Betrunkenen und der Fahrt im Taxi. Und dass er SaZ am nächsten Tag auf Twitter angeschrieben hatte und sie Handynummern ausgetauscht hatten. "Er schreibt total wenig. Ich glaube, ich nerve ihn", schloss er schließlich seine Erläuterungen. "Vielleicht ist er einfach nur vorsichtig. Ich denke, du bist nicht die Art von Mensch, mit der er sich normalerweise umgibt." "Ja. Leider. Er und seine Freunde sind alle ziemlich düster..." Konzentriert starrte Minpha ins Nichts, während er fieberhaft darüber nachdachte, was SaZ mögen könnte. Oder viel mehr, wie er ihn dazu bringen könnte, ihn zu mögen. "Versprichst du mir was?", fragte Koichi da ernst. "Was denn?" "Verbieg dich nicht. Wenn er dich nicht so mag, wie du bist, ist es Zeitverschwendung." "Meinst du nicht, er schämt sich, mit mir gesehen zu werden, wenn ich mich so wie immer kleide?" Koichi schnaufte. "Wenn er sich für dich schämt, kann er dir gestohlen bleiben. Glaub mir, das tut dir nur weh." Traurig ließ Minpha seinen Kopf hängen. Sogar seine eigenen Eltern schämten sich für ihren femininen und das tat sehr weh. War es da nicht ganz natürlich, dass er sich vor diesem Schmerz schützen wollte? "Außerdem war er doch nett zu dir, obwohl du ein Kleidchen angehabt hast und hat dir sogar seine Jacke geliehen. Wenn er dich bei der Labelparty gesehen hat, hattest du doch sicher nicht Hoodie und Jeans an", fuhr der Größere fort. Eigentlich hatte Minpha nie Hoodie und Jeans an. Außer vielleicht, wenn er krank war. Aber selbst dann trug er lieber einen kuscheligen Pyjama. "Stimmt! Meinst du, er mochte das?", war Minpha sofort Feuer und Flamme. "Naja. Zumindest scheint es ihn nicht zu stören", antwortete Koichi vorsichtig, "Hattest du denn den Eindruck, er hätte Interesse an dir?" "Ich weiß nicht... Aber er hat mich hübsche, pinke Blume genannt. Und Süßer. Oh! Und bezaubernder Engel." "Das hast du dir alles gemerkt?" "Klar! Ich war erstaunt, weil ich bei ihm nicht mit sowas gerechnet habe. Deswegen ist es wohl hängen geblieben. Aber vielleicht hat er das gar nicht so gemeint. Er hat es ja nicht direkt zu mir gesagt, sondern zu dem Betrunkenen." "Er hätte sich die Komplimente aber auch verkneifen können. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen", meinte Koichi vergnügt, "Aber mach dir nicht zu viele Hoffnungen. Du weißt ja, wie sie sind. Ich möchte nicht, dass du verletzt wirst, Engelchen." Minpha nickte und war unendlich froh, Koichi in seinem Leben und haben. Es hatte ihm sehr geholfen, mit ihm zu sprechen und ihm für den Moment sogar ein wenig der Angst vor dem Treffen mit SaZ genommen. Trotzdem trat Minpha am nächsten Tag unsicher von einem Bein auf das andere. Hätte er sich vielleicht mehr schminken sollen? Oder weniger? Oder weniger pink? Vielleicht lieber schwarz? Und was, wenn SaZ das Geschenk nicht mochte, das er für ihn hatte? Seine Nervosität steigerte sich von Minute zu Minute und zu allem Überfluss war er, aus Angst davor, zu spät zu kommen, auch noch eine halbe Stunde zu früh am vereinbarten Treffpunkt eingetroffen. Ruhelos wischte er auf seinem Handy herum, um sich die Zeit zu vertreiben, nahm aber vor Aufregung gar nicht richtig wahr, was er da sah, denn all seine gedanklichen Kapazitäten wurden davon beansprucht, nicht auf der Stelle all seinen Ängsten nachzugeben, zu verschwinden und sein Handy auszuschalten. Es gab so viele furchtbare Dinge, die gleich geschehen konnten! Allen voran die Möglichkeit, dass SaZ vielleicht gar nicht auftauchen würde. Nachdem er zehn Minuten damit zugebracht hatte, sich Horrorszenarien auszumalen, schoben sich ein paar stark abgenutzte Chucks in sein Sichtfeld und ein ihm inzwischen sehr bekanntes Parfum stieg ihn in die Nase. Nachdem er sich tagelang in die so riechende Jacke gekuschelt hatte, hätte er SaZ Duft unter tausenden erkannt. Erschrocken sah er auf und nahm seine Kopfhörer ab. Was machte er denn schon hier? Es waren doch noch zwanzig Minuten? "Du bist ja schon da", stellte der Ankömmling fest und sein ruhiger Blick wühlte Minpha vollends auf. Er deutete eine Verbeugung an und nickte, während er ihm nervös seine Jacke entgegen streckte. Mit einem kleinen Lächeln schlüpfte SaZ gleich hinein, was Minpha ganz verlegen machte, musste doch daran denken, dass er selbst sich noch vor wenigen Stunden in den weichen Stoff geschmiegt hatte und da schob der Größere auch schon seine Hände in die Jackentaschen und seine Augen weiteten sich erstaunt. Wie geplant, zog er ein kleines, naturfarbenes Papiertütchen aus der linken Tasche und betrachtete ungläubig die Packung, auf die Minpha sorgfältig ''Vielen Dank für die Hilfe' geschrieben hatte. "Für mich?", fragte er leise und Minpha grinste wie ein Honigkuchenpferdchen, während er eifrig nickte. Viel vorsichtiger als er es SaZ zugetraut hätte, zupfte dieser die Tüte auf und zog das schwarze, schlicht wirkende Lederarmband mit dem silbernen Verschluss heraus. Minphas Gedanken rasten. Was, wenn er es doof fand? Was wenn er keine Geschenke von ihm annehmen wollte? Was, wenn er sich angemacht fühlte? Aber SaZ warf Minpha nur einen erstaunten Blick zu, bevor er das Schmuckstück genauer betrachtete. In die beiden schmalen Lederstreifen, die spielerisch miteinander verschlungen waren, waren unauffällig unzählige Kanjis eingeprägt. Sie erzählten von Stärke, Ruhe, Geduld, Unbeugsamkeit. Als Minpha das Armband im Laden gesehen hatte, hatte es ihn so sehr an SaZ erinnert, er es einfach hatte kaufen müssen. Nervös versuchte er, im Gesicht des Beschenkten zu lesen, ob es ihm gefiel, da er nach wie vor schwieg. Seine Fingerkuppen strichen über das Leder und als er schließlich aufsah, wirkte er unglaublich bewegt. Seine Augen waren riesig und seine Lippen fest aufeinander gepresst. Minpha hatte schon Angst, er würde ihm das Geschenk vor die Füße werfen, ihn eine Schwuchtel nennen und abhauen, aber das genaue Gegenteil passierte: Er machte eine tiefe Verbeugung und bedankte sich leise, bevor er versuchte, sich das Armband selbst anzulegen, aber mit nur einer Hand kläglich an dem kleinen Verschluss scheiterte. Vorsichtig nahm Minpha es ihm aus der Hand und half ihm, wobei er zwangsläufig seine Haut berührte. Sie war so schön warm... Mit einem scheuen Lächeln ließ er den kleinen Haken einschnappen. "Danke." Minpha glaubte, zu hören, dass SaZs Stimme ein wenig belegt war, aber vielleicht war das auch Wunschdenken. Es schien das Armband auf jeden Fall zu mögen. Verzückt betrachtete Minpha das schwarze Leder an SaZs Handgelenk. Es machte ihn stolz und ein wenig verlegen, dass er sein Geschenk tatsächlich angenommen hatte und sogar trug, allerdings ging ihm dann auf, dass er ihm ja nun die Jacke wieder gegeben hatte, was der Grund ihres Treffens war. War jetzt schon wieder alles vorbei? Das durfte er nicht zulassen! Er wollte SaZ unbedingt näher kennen lernen! "Kennst du schon den neuen Laden drei Straßen weiter? Die haben auch fünfsaitige Bässe!", griff er nach dem ersten Strohhalm, der ihm einfiel. "Nein. Wollen wir zusammen hin?" "Gern, wenn das ok für dich ist", nuschelte Minpha leise. "Warum sollte es denn nicht ok für mich sein?" Der Ernst in seiner Stimme schüchterte den Kleineren völlig ein. Und wie immer, wenn er eingeschüchtert war, begann er, ein wenig zu stottern. Das war auch eine Grund gewesen, weshalb er in Pentagon gern die Doll-Rolle eingenommen hatte. Sich durch Interviews zu stottern, wäre der blanke Horror für ihn. Da sagte er lieber gar nichts. Aber schweigen war hier keine Option. "Vie-Vie-Viel-", er holte tief Luft und straffte seine Schultern, "Vielleicht schämst du dich ja, mit mir gesehen zu werden." Puh, es war raus. Zögerlich blickte Minpha auf und wäre am Liebsten weg gelaufen, als er die tiefe Falte an SaZs Nasenwurzel sah. Er sah ernsthaft angenervt aus. Großartig. "Warum sollte ich mich wegen dir schämen?", fragte SaZ misstrauisch und Minpha musste schlucken. Sein Kopf arbeitete fieberhaft an einer vorteilhaften Antwort, aber alles, was ihm einfallen wollte, war die Wahrheit, also griff er zum Saum seines schwarzen Kleidchens und wedelte ein wenig damit, bevor er, darauf konzentriert, sich nicht zu verhaspeln, langsam begann, zu sprechen. "Weil ich ein Junge mit pinken Haaren bin, der ein Kleid und Lidschatten trägt. Und Lipgloss", kontrastierte er und wappnete sich innerlich für das Ende ihrer kurzen Bekanntschaft, als SaZ einfach stehen blieb. Nervös hielt auch er an und schaute seinem Gegenüber ins Gesichts. Doch anstelle von Abscheu, Spott oder all den anderen negativen Emotionen, die er erwartete, zu sehen, schmunzelte dieser und steckte sich in aller Ruhe eine Zigarette an, bevor sie ihren Weg fortsetzten. "Na und? Sieht doch niedlich aus", dann verdüsterte sich sein Blick, "Außerdem solltest nicht eher du dich schämen, mit mir gesehen zu werden?" Irritiert blinzelte Minpha. "Was? Warum?" Weil er so düster aussah vielleicht? SaZ lachte bitter. "Stimmt irgendwas mit deinen Augen nicht, Kleiner? Ich bin fett. Die Leute, die uns zusammen sehen, haben bestimmt Angst, dass ich dich auffresse." "Was? Quatsch! Du siehst gesund aus! Außerdem bist du doch auch so groß!" Wärme durchströmte den Kleineren, als sich der Hauch eines Lächelns in SaZs ernsten Gesicht ausbreitete. "Für dich wirkt doch jeder groß, Winzling. Chiaki ist deutlich größer als ich und nur halb so breit. Das Label wird nicht müde, mich immer wieder darauf hinzuweisen." "Ich finde nicht, dass du zu dick bist", beharrte Minpha trotzig und überging großzügig die Bezeichnung Winzling. "Dann musst du wirklich blind sein." "Ach halt die Klappe, SaZ. Ich kann finden, was ich will", murrte Minpha und das Gelächter seines Gegenübers zog seinen Blick unweigerlich an. Wie süß er aussah, wenn er lachte. Er hatte dann so bezaubernde Grübchen an den Mundwinkeln und um seine Augen wurde ein hauchdünnes Netz an Falten sichtbar. Am Liebsten hätte Minpha ihn angefasst, doch aus Angst vor Zurückweisung und weil der andere ihn, streng genommen, auslachte, verschränkte er die Arme vor der Brust und schmollte. "Wenn du rumzickst, bist du so niedlich", kicherte SaZ entzückt. Empört blies Minpha die Backen auf. Er war nicht niedlich! Zumindest nicht gerade! Nie wurde er für voll genommen. "Keine Angst, Kleiner. Das heißt nicht, dass ich dich nicht erst nehme. Ich nehme dich sehr, sehr ernst." Erstaunt sah der mürrische Pinkhaarige auf. Das war völlig neu für ihn. Er versuchte, Spott in SaZ Augen zu finden, aber er wirkte völlig aufrichtig. "Diese ganzen Rüschen und Schleifchen können mich nicht täuschen. Du hast es faustdick hinter den Ohren und lässt dir nichts gefallen. Ich komme aus den Schatten und ich erkenne einen finsteren Kerl, wenn ich ihn sehe. Spätestens wenn er einen doppelt so schweren Typen umnietet und ihn vor meinen Augen sadistisch quält." "Ich war gar nicht sadistisch!", rief Minpha aus und spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. "Oh bitte! Das war traumatisierend! Du hast gelächelt, als er vor Schmerz geschrien hat. Ich hatte Alpträume von kleinen rosa Elfen, die mich von hinten anspringen und mir die Arme brechen", lachte SaZ. "Du hast von mir geträumt?", wollte Minpha sofort grinsend wissen, was SaZ dazu brachte, peinlich berührt den Boden zu fixieren. "Vielleicht", murrte er dabei und kratzte sich am Kopf. Minpha hätte sich für seine bescheuerte Frage treten können. Warum musste er immer alles versauen? Zum Glück waren sie schon fast da und wie sie so auf die Glastür des Musikladens zugingen, in der sie sich spiegelten, wurde Minpha zum ersten Mal so richtig bewusst, wie verschieden sie aussahen. SaZ überragte ihn um mehr als einen ganzen Kopf und trug weite, schwarze Klamotten. Seine pechschwarzen, langen, glatten Haare mit den blondierten Spitzen flossen ihm seidig über die breiten Schultern. Neben dem kräftigen Mann wirkte der feingliedrige Minpha nur noch zierlicher in seinem kurzen, schwarzen Kleidchen, zu dem er helle Strümpfe, eine rosane Jacke sowie weiße Chucks trug. Wo SaZ seine Augen großzügig schwarz umrandet hatte, trug Minpha ein helles, leicht pinkes Makeup. Seine Hände wirkten winzig neben den großen Händen seines Begleiters... Man hätte meinen können, das alles wäre schlimm für Minpha, aber das Gegenteil war der Fall: Er liebte es. Bei Pentagon war er nur der Kleinste unter einem Haufen zierlicher Jungs, der eben Kleidchen trug, weil das in Visual Kei-Bands nun mal so üblich war, aber hier neben SaZ wirkte er genau so, wie er es wollte. Er ließ Minpha irgendwie leuchten, stark erscheinen. Sie sahen fantastisch zusammen aus. Sein eigenes strahlendes Lächeln, das ihm aus der Glasfront entgegen leuchtete, war dem Pinkhaarigen fast schon selbst unheimlich. "Warum freust du dich so?", fragte SaZ ruhig und drückte seine Kippe in dem Aschenbecher vor dem Laden aus. "Das verrate ich dir nicht", meinte Minpha vergnügt. Was sollte er auch sagen? SaZ hätte ihn für bescheuert gehalten. Und für schwul. Ob er wohl auf Männer stand? Oder viel wichtiger: Ob er wohl auf ihn stehen könnte? Forschend sah er zu dem Schwarzhaarigen auf, der seinen Blick fragend erwiderte. "Was denn?", fragte SaZ nach einer Weile erneut nach und konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen, obwohl er es sichtlich versuchte. "Nichts", kicherte Minpha, während er sich in der ungeteilten Aufmerksamkeit seines Begleiters sonnte und dann öffnete sich schon die Schiebetür für sie und gab den Blick auf all die hübschen Bassgitarren frei. Drei Stunden später saßen die beiden gut gelaunt zusammen in einem Cafe. "Das traust du dir nicht!", rief Minpha kichernd aus. "Du unterschätzt mich, Kleiner. Warum sollte ich mir das nicht trauen?", meinte SaZ mit provokant verschränkten Armen, "Ich hab ihn doch schon gekauft, dann muss er auch mit auf die Bühne." "Aber er ist rosa!" "Na und? Deine Haare sind auch rosa. Glaubst du, nur du hast Anspruch auf all die rosanen Dinge auf dieser Welt?" Die Rede war von dem Gitarrengurt, den sie beide gekauft hatten. Das Model war nämlich, wie bereits erwähnt, rosa. Als SaZ bemerkt hatte, dass Minpha ihn sich einpacken ließ, hatte er ebenfalls einen erstanden. "Aber du trägst doch gar kein rosa! Die anderen werden dich auslachen." SaZ grinste nur abfällig. "Und warum sollte mich das stören?" "Aber was ist, wenn jemand bemerkt, dass wir den gleichen Gurt haben? Das wird Fragen aufwerfen!" "Und wenn schon. Du redest doch sowieso nicht und ich antworte prinzipiell nie auf irgendetwas, auf das ich keine Lust habe. Und überhaupt, warum sollte jemand einen Zusammenhang herstellen? Und selbst wenn sie wüssten, dass wir das zusammen gekauft haben, was macht das schon? Darf ich dich nicht kennen? Gibt es in deinem Vertrag eine Klausel, die es dir verbietet, mit bösen Jungs Gitarrengurte zu kaufen? Haben sie vielleicht Angst, ich fessel dich damit und fress dich dann?" Gebannt starrte Minpha ihn an, denn ihm wurde klar, dass seine Gedanken auf einmal vollkommen entgleisten. Er wollte nämlich viel lieber gefesselt und vernascht werden, aber er hätte sich eher die Zunge abgebissen, als das auszusprechen. "Das kannst du ja mal versuchen. Ich bin mir sicher, am Ende bist du der Gefesselte", meinte er stattdessen düster lächelnd. "So gefällst du mir schon viel besser. Mach dir nicht so viele Sorgen." Er hatte ja recht. Minpha machte sich einfach immer viel zu viele Gedanken um alles. Aber irgendwie irritierte ihn SaZs Einkauf trotzdem extrem. Er konnte das Thema unmöglich ruhen lassen, bevor er keine zufriedenstellende Antwort auf die Frage aller Fragen hatte. "Mal ernsthaft: was willst du mit einem pinken Gitarrengurt?", verlangte er also zu wissen. "Er wird meinen Bass halten, dass ich im Stehen spielen kann", meinte SaZ unschuldig. "Das tun die schwarzen auch", hielt der Kleinere unbeeindruckt dagegen. "Aber sie erinnern mich nicht an dich. Ich hab oft lange Ärmel oder Schweißbänder dran. Dann sehe ich das Armband nicht." Sprachlos starrte Minpha ihn an und glaubte, zu träumen. Machte SaZ ihn an? Das war unmöglich. Oder? "Oh. Ich hab deinen Ausschalter gefunden", grinste der Größere frech. Das holte Minpha zurück ins Hier und Jetzt. "Sehr witzig", murrte er. "Awwww. Jetzt schmollst du wieder!" Der Schwarzhaarige sah ihn an, wie man kleine Kätzchen ansah. Zuerst versuchte Minpha noch, böse zurück zu starren, aber irgendwann musste er doch kichern, vor allem weil sein Bauch so kribbelte, wenn ihn SaZ so verzückt anlächelte. Kapitel 4: Ein Messer, eine unangemessene Wohnung und Lavendelduft ------------------------------------------------------------------ Seufzend lag Minpha auf seinem Bett und unterdrückte den Drang, SaZ zu schreiben. Leider waren ihre Kaffeetassen viel zu schnell leer gewesen und eine weitere gemeinsame Aktivität vorzuschlagen, hatte er sich schlicht weg nicht getraut, auch wenn er mit Freuden den Rest des Tages mit SaZ verbracht hätte. Es ließ sich nicht leugnen. Minpha dachte nahezu ununterbrochen an ihn. Ob es SaZ wohl genauso ging? Ob er ihn wieder sehen wollte? Vielleicht mochte er ihn ja auch. Ein hoffnungsvolles Seufzen entfuhr Minpha und da summte auch schon wie auf Befehl sein Handy. Eine Nachricht von SaZ! Sein Puls schoss augenblicklich in die Höhe und er versuchte mit zittrigen Fingern den Entsperrcode in sein Handy zu tippen. Minpha scheiterte fünf Mal, bevor der Sperrbildschirm endlich verschwand und er den Inhalt der Nachricht lesen konnte. 'Bist du gut zu Hause angekommen?', stand da. Mehr nicht. Kritisch beäugte der die Worte. Machte er sich etwa Sorgen um ihn? Hatte das etwas zu bedeuten? Anderseits schrieb ihm Koichi auch solche Sachen und da war es einfach freundschaftliches Interesse. Schnell schrieb er zurück: 'Ja. Und du?' Es dauerte nur wenige Sekunden, da hatte SaZ schon geantwortet: 'Ich wünschte, ich wäre es nicht. Hier ist die Hölle los. Warum bin ich nur in diese verdammte Band-WG gezogen?' Er wohnte in einer WG? Mit seiner Band? Minpha schauderte bei dem Gedanken, mit seinen Bandkollegen zusammen zu wohnen. Wenn da nur genug Alkohol floss, würde er wohl mit verschlossener Tür schlafen müssen. Es war schon manchmal auf Tour eine Zumutung, da wollte er nicht auch noch in seiner Freizeit ständig auf der Hut vor Streichen oder Zudringlichkeiten sein müssen. 'Ist was passiert?', fragte er beunruhigt. 'Nur der übliche Wahnsinn. Chiaki hat Sora mit einem Schlachtermesser gejagt, als ich die Tür geöffnet hab... Ich will mal wissen, wo er das her hat. Eigentlich verstecken wir immer alle Messer. Und Miyako höre ich gerade durch die Wand weinen. Ich komme mir vor wie ein Oberarzt in der Psychatrie.' Das war ja furchtbar! Wieder einmal war Minpha froh, dass er allein wohnen konnte. Seine Wohnung lag zwar nicht besonders zentral, aber das störte ihn nicht. Besser als die ganze Zeit jemanden auf der Pelle sitzen zu haben. SaZ tat ihm furchtbar leid. 'Du Armer. Was ist denn mit Miyako?', schrieb er zurück. 'Keine Ahnung. Vielleicht, weil er langsamer war als Sora und Chiaki ihm einen Streifen abgeschnitten hat.', kam prompt die Antwort. Entsetzt blinzelte Minpha. 'Das kann nicht dein Ernst sein! Geh hin und finde raus, warum er weint! Was ist, wenn er Hilfe braucht?' 'Muss ich wirklich?' 'Ja verdammt!' 'Dann kann ich aber nicht mehr mit dir schreiben.' 'Geh schon zu ihm!' 'Na gut. Bis später.' Mir zusammengepressten Lippen starrte Minpha auf den Chatverlauf. Erlaubte sich SaZ einen Scherz mit ihm oder hauste er wirklich unter solchen Bedingungen? Er beschloss, ihn, sobald es ging, zu besuchen, um sich ein eigenes Bild zu machen. Eine Stunde später, als er gerade auf der Couch lag und ein einen Manga las, bekam er die nächste Nachricht von SaZ. 'Er will nicht aufhören, zu weinen.' 'Ist er verletzt?', beeilte sich Minpha, zu fragen. 'Ne. Ich glaube, er hat einen Nervenzusammenbruch oder so.' 'Dann bring ihn ins Krankenhaus?' 'Wenn ich Krankenhaus sage, weint er noch mehr und schreit mich an. Aber ich verstehe kaum, was er sagt, weil er sich ständig verschluckt und schluchzt', kam nach einiger Zeit als Antwort. Irgendwie funktionierte das alles schriftlich nicht, also blieb Minpha wohl nichts anderes übrig, als anzurufen, sonst würde das hier noch Stunden dauern. So viel Geduld hatte er nicht. Warten war noch nie eine Stärke von ihm gewesen. Nach zweimal Tuten ging SaZ auch schon ran. "Hi." Er klang angespannt und man hörte es leise schluchzen. "Ist er das im Hintergrund?" "Ja." Dann wurde es Zeit für die Fragestunde. Er atmete tief durch und legte los. "Reagiert er auf dich, wenn du was sagst?" "Ja." "Hat er irgendwie Wahnvorstellungen oder so?" "Nein. Nur einen Weinkrampf oder so." "Er hyperventiliert auch nicht, oder?" "Nein." "Hat er vielleicht Medikamente oder Drogen genommen?" "Er hat was getrunken, aber das ist wohl schon länger her." "Hat er jemanden, wo er hin kann und Ruhe hat?" "Nicht, dass ich wüsste." "Dann gib ihn mir mal bitte." "Aber..." "Mach schon." Minpha war selbst über seinen Befehlston erstaunt, aber es schien zu wirken, denn er hörte SaZ leise was im Hintergrund sagen, bevor eine fremde Stimme ein "Ja?" schluchzte. "Hallo Miyako. Ich bin Minpha von Pentagon. Ich weiß, wir kennen uns nicht, aber vielleicht kann ich dir ja helfen. Warum weinst du denn?" Ein Wortschwall, der durch permanentes Schniefen und Schluchzen kaum zu verstehen war, drang aus dem Handy. Alles, was er verstand war Chiaki, Messer, Krach und Wahnsinn. Als Miyako geendet hatte, meinte Minpha ruhig: "Sag mal, wie wäre es, wenn du ein paar deiner Sachen packst und bei mir übernachtest? Ich wohne allein, hier ist es total ruhig und habe sogar eine Badewanne." "Wirklich?", fragte Miyako kläglich. "Ja, sonst würde ich es dir nicht anbieten. Meine Wohnung ist allerdings ziemlich pink, aber wenn dich das nicht stört, kannst du gern her kommen. Das war sicher viel Stress für dich heute. Du brauchst bestimmt nur einen stillen Ort und ein wenig Zeit zum Ausspannen und es wird dir schnell besser gehen." "Aber wir kennen uns doch gar nicht", schniefte der Gitarrist. Er war schon viel besser zu verstehen, weil er langsam ruhiger wurde. Minpha zögerte. "SaZ weiß offensichtlich nicht weiter und irgendwie muss man die Lage bei euch ja entspannen." "Warum hilfst du ihm? Es kann dir doch egal sein" Er klang extrem misstrauisch. "Ich schulde SaZ was." Das schien eine Antwort zu sein, mit der er was anfangen konnte. "Wenn es wirklich ok für dich ist", krächzte Miyako mit noch immer zittriger Stimme. "Ja das ist es. Gibst du mir noch mal SaZ?" Es raschelte. "Was hast du ihm gesagt? Er hat aufgehört." SaZ klang fassungslos. "Ich hab ihm angeboten, bei mir zu schlafen. Ich glaube, er muss nur mal kurz raus bei euch, dann wird das schon wieder." "Miyako darf bei dir schlafen?!", echote SaZ und klang angepisst, "Warum darf ich nicht?" Zum Glück skypten sie nicht, sonst hätte er beobachten können, wie Minpha rot wurde. Schon der bloße Gedanke daran, dass er bei ihm schlafen wollen könnte, sprengte seine Vorstellungskraft bei Weitem. "Weil du nicht geweint hast", presste Minpha schließlich hervor. "Soso? Wenn ich flenne, darf ich bei dir schlafen?" SaZ klang lauernd. Was sollte das jetzt? "Nein." "Warum nicht?" Verdammt, warum hackte er jetzt so darauf rum? Minpha war völlig aus dem Häuschen und hätte am Liebsten aufgelegt vor lauter Aufregung. Er fing schon an, zu schwitzen. "Du bist der WG gewachsen. Du wirst nicht weinen." Wenigstens klang seine Stimme einigermaßen gleichgültig. "Woher willst du das wissen?", ließ SaZ einfach nicht locker. "Ich glaube, wenn Chiaki mit einem Messer auf dich zu gerannt käme, wärst du ziemlich unbeeindruckt." Der Ältere klang amüsiert. "Der Penner kann froh sein, dass ich nicht mit dem Messer auf ihn losgehe. Nie hat man hier seine Ruhe." "Warum wohnst du mit ihm zusammen, wenn es so anstrengend mit ihm ist?" "Primär, weil wir alle keine Kohle haben. Und außerdem ist Chiaki eigentlich gar nicht so übel. Nur manchmal ein wenig extrem. Aber man kann sich trotzdem auf ihn verlassen und er ist ein außergewöhnlicher Musiker. Ich mag ihn eigentlich ganz gern. Und er hat Sora bestimmt auch nicht weh getan. Zumindest nicht ernsthaft. Das ist nur Spaß bei denen. Miyako ist noch nicht so lange dabei und erschreckt sich manchmal noch ein wenig." "Ist er nicht schon zwei Jahre in der Band?", platzte es aus Minpha heraus. "Oh. Da hat sich ja jemand informiert." Man konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. Ertappt hielt Minpha inne. Wie peinlich. Natürlich hatte er sich informiert, nach dem, was Koichi über Dezert gesagt hatte. Und eigentlich hatte er auch mehr über SaZ raus finden wollen. Viel mehr. "Schon gut, Kleiner. Ich freu mich, dass du dich für meine Band interessierst." Genau. Für seine Band. Merkte SaZ denn wirklich kein bisschen, dass Minphas Interesse in erster Linie ihm galt? Sah er denn nicht, wie er ihn immer anlächelte? Wie glücklich Minpha in seiner Nähe war? Aber andrerseits kannten sie sich nicht. Er wusste nicht, wie still und mürrisch der Pinkhaarige normalerweise war. "Hab ich was Falsches gesagt?", riss SaZ ihn aus seinen Gedanken. Oh. Er hatte gar nicht geantwortet! "Nein nein. Ich war nur abgelenkt. Sorry", beeilte er sich, zu sagen. "Also bring ich Miyako jetzt zu dir? Dann brauche ich noch deinen Nachnamen wegen dem Klingelschild." Er wollte ihn herbringen? Hier her? Jetzt war das Herzrasen perfekt. "J-Ja...", stammelte Minpha und nannte seinen Nachnamen. SaZ würde in seine Wohnung kommen! Er musste aufräumen und staubsaugen! Und die ganzen niedlichen Sachen verstecken! Am Besten auch noch streichen! "Ok. Dann bis gleich." "J-Ja... Bis... bis gleich." Eine Stunde später ließ er die beiden herein. Minpha hatte dem Drang, seine Wohnung grundlegend zu verändern, nur mühsam, aber doch erfolgreich, widerstanden. Überwiegend allerdings aus Zeit- und nicht aus Vernunftgründen, wie er sich eingestehen musste. Nun war er bemüht, sich seine grenzenlose Aufregung nicht anmerken zu lassen. Miyako wirkte ziemlich desolat. Seine Augen waren völlig rot und verschwollen und seine Nase gerötet. Sein Blick huschte unstet hin und her, schien an nichts haften zu bleiben und seine Hände waren tief in den Taschen der schwarzen, weiten Hosen, die er zu einem verwaschenen Bandshirt trug, vergraben. Erstaunlicherweise war er trotz allem geschminkt. SaZ dagegen wirkte neben ihm wie ein Fels in der Brandung, obwohl er sich neugierig umsah, nachdem die Begrüßung und Vorstellungsrunde erfolgreich überstanden waren. Minpha war klar, dass seine Wohnung auf die meisten Leute ziemlich abgefahren wirkte. Sie lag für Tokyo unglaublich ruhig. Gegenüber war eine alte Tempelanlage, weshalb man einen wirklich hübschen Blick hatte. Er wusste nicht genau, wie viel sie gekostet hatte, denn sie war ein Geschenk seine Großmutter zur Volljährigkeit gewesen, aber es war offensichtlich, das sie nicht wirklich günstig war. Es war ihm etwas unangenehm, aber er hätte das Geschenk nicht ablehnen dürfen. Das wäre eine unglaubliche Beleidigung gewesen und nachdem er von seinen Eltern raus geworfen worden war, war er eigentlich auch ganz froh gewesen, eine sichere Bleibe zu haben. Und so lebte er ganz allein in dieser Eigentumswohnung. Er war seiner Großmutter sehr dankbar, dass sie zu ihm hielt. Überhaupt war sie der einzige familiäre Bezugspunkt, den er noch hatte. Sie war liebevoll und großherzig, wohnte aber leider weit im Norden und entsprechend selten sahen sie sich, was Minpha wirklich unglaublich bedauerte. Überhaupt hatte er viel zu wenig Zeit für sie und sie war ja nun ganz allein. Ihr Mann was schon lange tot, Minpha konnte sich nicht einmal an ihn erinnern, ihre einzige Tochter redete nicht mehr mit ihr, dennoch beteuerte sie immer wieder, dass sie nicht allein oder gar einsam sei. Sie hatte einen großen Freundeskreis und wirkte immer vollkommen zufrieden. Minpha beneidete sie um ihre Ruhe und hoffte, er würde dem Leben eines Tages genauso gelassen entgegen blicken können. Der Streit zwischen ihr und seiner Mutter tat ihm unendlich leid, ging es doch im Wesentlichen um ihn. Seine Großmutter hatte ihre Tochter und ihren Schwiegersohn jahrelang scharf dafür kritisiert, wie sie Minpha behandelten. Sie hatte immer auf ihren Standpunkt verwiesen, dass man seinem Kind mit Liebe und Verständnis entgegen treten sollte, so lange es niemandem schadete, doch die Fronten hatten sich nur immer weiter verhärtet, was schließlich nach Minphas Rauswurf endgültig zum Bruch geführt hatte. Er fühlte sich oft schuldig deswegen, aber wann immer er etwas dazu zu ihr sagte, wurde sie sauer und versicherte ihm, er hätte nichts falsch gemacht, allein seine Mutter sei Schuld an der Sache. Abgesehen von seiner Großmutter, Koichi und vielleicht noch der Band lebte er tatsächlich ziemlich isoliert. Es war entsprechend selten, dass er zuließ, dass ihn jemand zu Hause besuchte. Er lud auch nur ungern Menschen hier her ein, weil die Unverhältnismäßigkeit seiner Wohnung doch immer viele Fragen aufwarf. Oft mehr, als er bereit war, zu beantworten. Umso aufgeregter war er nun, dass er einen ihm völlig fremden Übernachtungsgast und auch noch seinen Schwarm im Flur stehen hatte. Was hatte er sich nur dabei gedacht, Miyako hier her einzuladen? Aber irgendwie musste er jetzt da durch, also fing zögerlich an, zu sprechen: "Ich hab mein Bett für dich vorbereitet. Ich schlafe dann auf der Couch. Das Schlafzimmer ist die Tür hinten links. Da kannst du gern deine Tasche abstellen. Wenn du mehr Kissen oder Decken brauchen solltest, bedien dich am Schrank. Das Bad ist gegenüber. Dort ist auch die Badewanne, die du gern benutzen kannst. Wenn du willst kann ich dir zeigen, wie man die Sprudeldüsen zuschaltet." Der Blonde nickte eifrig und eilte auf besagtes Zimmer zu, wobei er leise "Sprudeldüsen" wisperte. Minpha blieb allein mit SaZ im Flur zurück und wagte sich kaum, ihn anzusehen. "Wohnst du allein hier?", brach sein Besuch das Schweigen. Minpha nickte schüchtern. "Deine Wohnung ist... hübsch." Ängstlich sah Minpha auf. Bereit auf Abscheu zu stoßen, schrie seine Bleibe doch förmlich Sugardaddy. In Japan war es gar nicht so unüblich, dass wohlhabende Männer ihren Langzeitgeliebten Wohnungen überließen oder gar kauften, um Hotelzimmer und dergleichen zu umgehen. Doch SaZ Augen wirkten ganz ruhig. Er konnte keinerlei Urteil darin erkennen. "M-Meine Oma hat sie mir geschenkt, weil meine Eltern mich raus geworfen haben. Sie hatte sie vorher vermietet", nuschelte er. "Du hast echt Glück, so eine Großmutter zu haben." "J-Ja. Das stimmt." Das sanfte Lächeln seines Gegenübers brachte ihn vollends durcheinander. "Warum bist du so aufgeregt?", wollte der Schwarzhaarige wissen. Hilflos zuckte Minpha mit den Schultern. "Ich hab nicht so oft Besuch." "Ist es wirklich ok, dass er hier schläft? Du kennst ihn doch gar nicht." "Ich denke schon. Wir haben bestimmt viele Gemeinsamkeiten." Hatte er sich das eingebildet oder war tatsächlich ein dunkler Schatten durch SaZ Gesicht gehuscht, bevor er wieder so aussah wie immer? "Du kannst ihm ja diesen Sadistenkram beibringen, dann nietet er Chiaki beim nächsten Mal einfach um und muss nicht heulen." "Aber dann weint vielleicht Chiaki und der darf ganz sicher nicht hier schlafen, wenn er andere zum Spaß mit Messern angreift", meinte Minpha grinsend. In dem Moment kam auch schon Miyako auf sie zu. Er sah wirklich völlig erschöpft aus. "Möchtest du vielleicht einen Tee oder so?", fragte Minpha sofort fürsorglich. Der Angesprochene nickte mit gesenktem Kopf. "Ok. Dann mache ich dir jetzt einen beruhigenden Kräutertee und danach lassen wir dir ein Bad ein, dass du erst einmal runter kommst", sagte er freundlich und an SaZ gewandt: "Möchtest du auch einen Tee?" Wieder wirkte SaZ für den Bruchteil einer Sekunde düster, bevor sich sein Gesicht wieder glättete und er brummte: "Nein danke. Ich muss dann auch mal los." "Schon?", entschlüpfte es Minpha ungewollt. "Ja. Ich muss erstmal zu Hause für Ordnung sorgen." Er sah ihn dabei nicht einmal an. "Kann ich dich ruhigen Gewissens hier lassen?", fragte SaZ Miyako und seine Stimme klang derart schneidend, dass Minpha ihn überrascht musterte. Der Blonde nickte aber nur wortlos, woraufhin SaZ sich mit einer flüchtigen Umarmung bei ihnen verabschiedete und schon fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Einen Moment lang war Minpha ratlos. Hatte er etwas Falsches gesagt? Aber vielleicht war SaZ auch wirklich im Stress oder wollte einfach seine Ruhe. Kein Wunder bei dem Tag. Da fiel sein Blick auf schon auf seinen Gast. Miyako wirkte so elend, als könne er kaum stehen, also bugsierte er ihn erst einmal auf die Couch, breitete eine weiche Decke über dem desolaten Bündel aus und bereitete den versprochenen Tee zu. Einige Zeit später standen sie in Minphas pastellblauen Bad und das Wasser lief plätschernd in die Wanne. "Möchtest du lieber Lavendel oder Melisse? " Er hielt seinem Gast die entsprechenden Badezusätze vor die Nase. "Lavendel bitte" Sofort schüttete Minpha eine entsprechende Menge des Badezusatzes in das Wasser, das sich zart lila färbte und in Sekundenschnelle von Schaum bedeckt war. Angenehmer Lavendelduft stieg auf und Minpha fuhr fort: "Shampoo und so stelle ich dir auch raus. Die Haarkur kann ich sehr empfehlen. Hier ist auch noch ein Peelingschwamm." Er stellte besagte Produkte auf den Badewannenrand. "Handtücher sind dort. Ich habe sie schon mal aufgehängt, dass sie schön warm sind, wenn du aus der Wanne kommst", er zeigte auf ein paar hellgrüne Handtücher auf dem Handtuchheizkörper hingen. "Die Sprudeldüsen machst du hier an und aus und die Stärke regelst du hier". Minpha tippte auf die entsprechenden Knöpfe des Panels. "Hier ist auch ein Bluetooth-Lautsprecher, falls du Musik hören möchtest. Wechselklamotten hast du dabei?" "Ja." "Ok. Dann lass ich dich mal allein", schloss der Hausherr seine Erklärungen. "Minpha?" Fragend sah er Miyako an, der furchtbar unsicher wirkte. "Danke. Das alles ist wirklich nett von dir." "Gern", strahlte Minpha und verließ das Bad. Es fühlte sich gut an, jemandem zu helfen. Hoffentlich entlastete er SaZ damit ein wenig. Kapitel 5: Ein Kaffeevollautomat, Wahrheiten und eine Menge Besuch ------------------------------------------------------------------ Miyako war den Rest des Tages sehr schweigsam gewesen und hatte sich früh schlafen gelegt. Er war wohl einfach völlig erledigt, was ja auch mehr als verständlich war. Leider hatte sich SaZ aber auch nicht mehr gemeldet. Minpha gab sich ja Mühe, das nicht über zu bewerten, aber er wurde das penetrante Gefühl nicht los, dass irgendetwas nicht stimmte. Er hatte so komisch geschaut, bevor er abgehauen war. Sorgenvoll deckte der Pinkhaarige den Frühstückstisch, als er leise Schritte im Flur hörte. Ein blonder Strubbelkopf kam zum Vorschein und große Augen spähten unsicher in die Küche. Ein zaghaftes Lächeln huschte über Miyakos Gesicht, als er Minpha entdeckte. "Guten Morgen", meinte er leise und kam herein. "Guten Morgen. Möchtest du einen Kaffee?" "Gern." Es war seltsam für Minpha, dass sein Gesprächspartner noch passiver war als er selbst, doch andererseits machte es auch irgendwie Spaß, sich um jemanden zu kümmern. Vor allem, wenn er so dankbar wirkte wie Miyako, von dem er für jede Kleinigkeit ein kleines Lächeln bekam. Gerade schloss sein Gast beide Hände um die dampfende Kaffeetasse, die er sich gerade geholt hatte. Er beäugte mit großen Augen die schwarze Flüssigkeit und schnupperte lächelnd daran, bevor er vorsichtig schlürfte und dabei genießerisch die Augen schloss. Offenbar mochte er den Kaffee. Er war aber auch besonders gut, seit sich Minpha diesen sündhaft teuren Vollautomaten geleistet hatte. Aus diesem Gerät kam Kaffee, den qualitativ Lichtjahre von dem üblichen Filterkaffee trennte. "Geht es dir besser?", fragte Minpha nach einer Weile vorsichtig und beobachtete fasziniert, wie sich die Lider mit den kräftig getuschten Wimpern hoben und der Blonde ihn, wahrscheinlich das erste Mal seit er hier war, direkt ansah. Er hatte wirklich riesige Augen und Minpha wunderte sich ein wenig, dass er sich schon vor dem Frühstück geschminkt hatte. Sein Gast sagte lange nichts, doch als Minpha die Hoffnung auf eine Antwort gerade begraben wollte, begann er leise, zu sprechen: "Ja. Hier ist es wie im Urlaub. In der WG geht es ganz anders ab. Normalerweise stört mich das auch nicht, aber in letzter Zeit kam irgendwie alles zusammen. Wir hatten so viel zu tun mit der Band und dann ist meine Mom sehr krank geworden. Ich war fast jeden Tag im Krankenhaus und das ist alles so stressig gewesen, ich kam kaum zum Schlafen und wenn, dann lag ich wach und hab mir Sorgen gemacht. Dann hat letzten Monat mein Freund Ren mit mir Schluß gemacht, weil ich zu wenig Zeit für ihn hatte und wenn wir dann doch mal allein waren, hab ich vor Erschöpfung keinen hoch gekriegt oder bin schon lange vorher eingeschlafen. Ich war einfach so ausgelaugt, aber er hat das wohl als mangelnder Interesse empfunden. Dabei hab ich ihn so geliebt..." Tränen füllten seine großen Augen, was Minphas Kehle zuschnürte. "Ich hab gestern Nachmittag irgendwie plötzlich das erste Mal seit Monaten nichts zu tun gehabt und es war keiner zu Hause gewesen und da hab ich angefangen, zu trinken und auf einmal hab ich mich so einsam gefühlt... und ihn angerufen. Und als ich dann seine Stimme gehört habe, ist es mit mir durchgegangen. Ich habe Ren angebettelt, mich zurück zu nehmen. Ich hätte so dringend Halt gebraucht, aber er hat mir vorgeworfen, dass ich all meine Zeit nur mit der Band verpulvere und in meiner Verzweiflung hab ich ihm geschworen, ich verlasse Dezert für ihn. Er hat mich ausgelacht, gesagt, er hätte längst jemand Besseren als mich gefunden und aufgelegt. Leider hat Chiaki gehört, was ich gesagt hab. Er hat die halbe Bude auseinander genommen und hat dabei unser Messerversteck gefunden. Du hättest sehen sollen, wie er die Klinge dieses einen Messers angesehen hat. Als wäre er verliebt. So lange ich dabei bin, hab ich ihn noch nie so gesehen, auch wenn die anderen angedeutet haben, dass wir die Klingen wegen ihm verstecken, wenn man sowas sieht, ist das plötzlich was ganz anderes. Als er mich bemerkt hat, sah er auch irgendwie ganz anders aus. Er hat so komisch geschaut. Total unheimlich. Er hat geflüstert, ich dürfe die Band nicht verlassen und da kam auf einmal Sora rein. Und dann haben sie sich wegen dem Messer gestritten und Sora hat Chiaki richtig übel beleidigt, woraufhin der ihn mit dem Messer in der Hand schreiend durch die Wohnung gejagt hat. Ich hab es noch gerade so in mein Zimmer geschafft, bevor ich angefangen hab, zu weinen. Alles ist irgendwie über mir zusammen gebrochen und ich konnte einfach nicht mehr aufhören. Es war grauenhaft. Und dann kam SaZ. Der hatte sich in all der Zeit eigentlich kaum um irgendwas geschert, war auch, wenn nichts anstand, nie in der WG. Und plötzlich drückt er mir sein Telefon in die Hand und nimmt mich mit hier her. Ich wusste gar nicht, was mit mir passiert. Du bist wie eine gute Fee. Ich kann gar nicht glauben, dass ich hier sein darf. Alles ist so leise und hübsch und riecht so gut." "Ich glaube, das war einfach alles ein wenig viel für dich. Es ist nur verständlich, dass du bei so viel Stress zusammen brichst. Und schön, dass es dir hier gefällt. Wenn es mit deinen Terminen passt, kannst du auch gern noch ein paar Tage bleiben, wenn es dir hilft." "Wirklich? Einfach so?" "Ja. Einfach so. Die Stille scheint dir gut zu tun. In ein paar Tagen bist du sicher wie neu. Du scheinst ja sehr belastbar zu sein. Ich wäre bestimmt schon viel früher zusammen geklappt. Ist deine Mutter noch im Krankenhaus?" Miyako schüttelte den Kopf und seine blonden Strähnen flogen dabei wild umher. "Willst du sie vielleicht zu Hause besuchen?" "Nein. Da ist mein Vater. Er will mich nicht sehen. Es gibt nur Streit, wenn ich dort auftauche und ich will nicht, dass Mama sich unnötig aufregt." "Oh", machte Minpha, kam ihm das doch leider nur zu bekannt vor. Es war schon irgendwie erstaunlich, wie viele sich letztendlich mit den gleichen, oder zumindest ähnlichen, Problemen rumschlugen, fühlte man sich doch oft, als wäre man der Einzige auf der Welt, der solche Qualen litt. "Er kommt mit meinem Lebensstil nicht klar. Aber ich denke, da muss ich dir nichts vorjammern, wenn dich deine Eltern raus geworfen haben." Miyako klang so bitter, als er das sagte. "Wir können ja zusammen jammern", grinste Minpha also verschwörerisch, um ihn aufzumuntern, was tatsächlich klappt, denn er sah seinen Gast das erste Mal wirklich lächeln. Das Eis war gebrochen. Zunächst tauschten sie stundenlang nur Geschichten über ihre Eltern aus, entdeckten dabei immer mehr Gemeinsamkeiten. Miyako war deutlich lebhafter, als er erwartet hatte und sie verstanden sich so gut, dass sie den ganzen nächsten Tage zusammen verbrachten. Sie gingen zusammen einkaufen, kochten und aßen zusammen bis sie abends vor dem Fernseher strandeten. Miyakos Management hatte ihn für zwei Wochen aus allen Terminen raus genommen, weshalb das auch kein Problem war. Sie futterten gerade einträchtig Chips, als lauter Metal den Raum beschallte. Die Geräuschquelle entpuppte sich als Miyakos Handy, der umgehend abnahm. "Hey SaZ", begrüßte er den Anrufer leise und wickelte sich fester in die flauschige Decke, in die er sich gekuschelt hatte. "Nein. Ich darf noch ein paar Tage bleiben. - Nein. Ich weiß nicht wie lange. Ein paar Tage eben." Er seufzte. "Soll ich dir vielleicht Minpha geben?" Gespannt sah der Hausherr auf und sein Herz begann unverzüglich damit, schnell zu klopfen. Saz hatte sich, seit er Miyako her gebracht hatte, nicht mehr gemeldet, was ihn von Tag zu Tag mehr beschäftigte und ihn in seiner Annahme bestätigte, dass der Ältere sauer auf ihn war. Aber vielleicht bildete er sich das alles nur ein und SaZ hatte einfach nur keine Zeit gehabt? "Na gut. Bis dann." Miyako legte auf und eine gewaltige Enttäuschung befiel den Pinkhaarigen. "Er wollte nicht mit mir sprechen?", fragte er sofort und schämte sich ein wenig, weil er dabei so verletzt geklungen hatte. Er wünschte, er hätte seine Stimme besser im Griff, aber jetzt war es eh zu spät. Sein Gegenüber presste die Lippen zusammen und sah ihn forschend an. "Nein. Er sagt, er hätte keine Zeit." "Ach so." Jetzt war er ernsthaft besorgt. Es wurde Zeit für Antworten. "Meinst du, er ist irgendwie sauer? Er war auch, als er dich abgeliefert hat, schon so komisch." "Weißt du, SaZ hat eine Schwester. Sie ist... krank. Er verbringt viel Zeit bei ihr." "Oh. Was hat sie denn?" "Das erzählt er dir vielleicht besser selbst." Mit großen Augen sah Minpha den Gitarristen an. Es schien irgendetwas Schlimmes zu sein. Er traute sich nicht, weiter zu fragen, nachdem Miyako so eindeutig die Auskunft verweigert hatte. "Was ist das eigentlich mit dir und SaZ?", wechselte der da auch schon das Thema. Das bewegte sich gerade in eine Richtung, die Minpha ganz und gar nicht gefiel. So offen er auch sonst war, wenn er jemanden mochte, so verschlossen war er in Herzensangelegenheiten. "Wie meinst du das?", stellte er also argwöhnisch eine Gegenfrage. "Ich verstehe nicht, in welcher Beziehung ihr zueinander steht", präzisierte Miyako. "Wir kennen uns", hielt Minpha sich bewusst vage. Er wollte nicht zu viel verraten. "Was ist das denn für eine Aussage? SaZ kennt verdammt viele Menschen. Das erklärt nicht, warum er mich gerade hier her gebracht hat." "Ich schätze, es war ein Zufall, dass du jetzt bei mir gelandet bist. Wir haben uns an dem Tag getroffen. Danach hat er mir geschrieben, was bei euch los ist und das du dich nicht beruhigst und naja, dann haben wir telefoniert." "Aber warum um alles in der Welt schreibt er dir sowas? Das ist nicht seine Art." Minpha zuckte mit den Schultern. "Erst hat er gefragt, ob ich gut angekommen bin." Ein tiefes Seufzen entwich seinem Gegenüber. "Aber warum interessiert ihn sowas denn? Ist er deine Mama oder was? Das ist extrem untypisch für ihn. Normalerweise kümmert ihn nichts und niemand außer seiner Familie." "Er ist aber nicht der Erste, der mich sowas fragt. Eigentlich kenne ich es nicht anders." Miyakos nachdenklicher Blick durchbohrte ihn. "Vielleicht würde ich auch gern wissen, ob du gut angekommen bist..." "Was? Warum?" Minpha war verwirrt. Was sollte das auf einmal? "Weil du so kawaii bist. Das zieht bestimmt viel Abschaum an. Du bist so verdammt verwirrend." "Wieso verwirrend?" Das wurde ja immer schöner. Man sah deutlich, dass Miyako mit sich rang, was man ihm in der Situation auch nicht verdenken konnte. Sie kannten sich schließlich noch nicht lange und er war hier zu Gast. Trotzdem entschied er sich dazu, weiterzusprechen. "Man weiß nie wirklich, was in dir vorgeht. Man stellt dir direkte Fragen und du antwortest auch, aber Minuten später fällt einem auf, dass du eigentlich gar nichts gesagt hast. Bei den wichtigen Dingen bekommt man dich einfach nicht zu fassen. Als würdest du verschwimmen." Traurig ließ Minpha den Kopf hängen. Nach so kurzer Zeit hatte ihm das noch nie jemand vorgeworfen. Vielleicht ging es so schnell, weil sie zusammen wohnten? "Ich weiß. Das sagen viele. Fühlst du dich deswegen unwohl hier?", fragte er leise, doch Miyako legte ihm lächelnd eine Hand auf den Unterarm. Wohl, um ihn zu beruhigen. "Dazu habe ich keinen Grund. Es ist sogar erschreckend, wie leicht du es mir machst, mich hier wohl zu fühlen." Minpha fiel ein Stein vom Herzen. "Da bin ich froh. Darf ich dich was fragen?" "Klar." "Wann bin ich verschwommen?" Er hatte den Eindruck, er konnte Miyako sowas fragen. Er wirkte in keinster Weise empfindlich, war vielleicht sogar in einigen Punkten zu ehrlich, was zwar ungewohnt, aber auf eine seltsame Weise angenehm war. "Über deine Eltern und die Band und diesen ganzen Kram redest du ganz normal, aber wenn es um z. B. SaZ geht, weichst du aus. Und das interessiert mich nun mal am meisten, weil ich ja deswegen hier zu sein scheine. Aber fühle dich jetzt nicht gezwungen, mir irgendwas zu erzählen, was du nicht möchtest. Sag einfach: 'Es ist kompliziert.' Das machen alle so." Minpha war blinzelte irritiert. Er wollte ihm ja alles erzählen, aber andererseits kannte er ihn kaum. Und was, wenn er SaZ alles erzählen würde? Sie waren schließlich in einer Band. Da hatte man viel Zeit, zu tratschen, wenn man reden durfte. Was, wenn sie sich dann gemeinsam vor ihm ekelten oder über ihn lachten? Alte Ängste hatten den Pinkhaarigen erbarmungslos im Griff. Er war selbst über die Kälte in seiner Stimme erschrocken, als er sagte: "Wir kennen uns eben. Was sollte da schon sein?" Doch Miyako ließ sich davon nicht beeindrucken. "Du vertraust mir nicht", stellte er ruhig fest. Es schwang keinerlei Vorwurf oder Enttäuschung darin mit. "Bei mir geht das leider nicht so schnell", gab Minpha mit gesenktem Kopf zu. Was sollte er auch sonst dazu sagen? Leugnen wäre lächerlich gewesen. "Was kann ich tun, um das zu ändern?" Minpha konnte kaum glauben, dass da Miyakos Reaktion auf sein Geständnis war. Seine Art, zu denken, war ihm wirklich vollkommen fremd. Während er noch erstaunt war und fieberhaft eine passende Antwort suchte, fuhr Miyako schon fort: "Ich weiß! Ich finde raus, warum SaZ nicht mit dir reden will!" Eine Sekunde später begann er schon, auf sein Handy einzutippen. "Warte!", rief Minpha erschrocken über die plötzliche Wende, "Was hast du vor?" "Ich frage Sora, ob SaZ was gesagt hat. Wenn jemand was weiß, dann er. Und keine Sorge. Ich sag niemanden, dass dich das interessiert hat. Es geht alles von mir aus, ok?" Sein Gesicht wurde von einem offenen, optimistischen Lächeln erhellt und Minpha konnte bei dem Anblick nicht anders, als vorsichtig zu nicken. So Recht traute er der Sache nicht, aber andererseits wollte er auch unbedingt wissen, was los war. "Du bist unglaublich niedlich, wenn du so misstrauisch schaust", meinte Miyako schmunzelnd. "Klappe", murrte Minpha und verschränkte die Arme, was Miyako einen Laut der Verzückung entlockte. "Zum Anbeißen!", quietschte er, was Minpha ziemlich annervte. Immer wurde er behandelt, wie ein niedliches kleines Häschen. "Wenn du nicht willst, dass ich dir was ABbeiße, behalt solche Kommentare für dich", maulte er. "Wieso so empfindlich? Du wirst doch bestimmt permanent von Kerlen angemacht." "Mich stört es nicht, von Kerlen angemacht zu werden. Ich mag es nur nicht, wenn man mich behandelt wie ein putziges Kleinkind. Auch wenn ich nicht so aussehe, ich bin ein erwachsener Mann." "Du bist Männern gegenüber also nicht abgeneigt? Warum hab ich dich dann letztens auf einer Party mit einer Frau rumknutschen sehen? Oder war das gar keine?" Erst jetzt bemerkte Minpha, wie spielend leicht ihm Miyako diese Information entlockte hatte. Er war wirklich geschickt bei sowas. "Ich bin bi. Genau genommen sogar pansexuell", meinte er also ehrlich, weil es eh schon zu spät war, noch zu leugnen. Aber noch bevor sein Gegenüber reagieren konnte, bekam der Blonde eine Nachricht und während er diese las, verzog sich sein Gesicht zu einer Maske des Staunens. Und es schien kein positives Stauen zu sein. "Was ist den los?", fragte Minpha beunruhigt. Ganz langsam hob sein Miyako den Blick und sagte ungläubig: "Sora glaubt, SaZ ist eifersüchtig." "Auf wen?" Der Pinkhaarige verstand nur Bahnhof. "Auf mich." Minpha fiel alles aus dem Gesicht. "Warum?", krächzte er entgeistert. "Weil ich hier noch ein paar Nächte schlafe. Chiaki hat ihn wohl damit geärgert, dass wir wahrscheinlich vögeln und dann ist er ausgetickt." Sprachlos sah Minpha seinen Gast an, der hektisch etwas in sein Handy tippte. "Wie kommt er denn darauf?", fragte er niedergeschlagen. "Du bist mein Typ." Der Pinkhaarige war vollkommen überfahren von dieser unverblümten Wahrheit und konnte nur "Was?" keuchen. "Ich steh auf süße Traps. Sorry", meinte Miyako da auch noch leichtfertig. "Aber..." Minpha verstand die Welt nicht mehr. Für was für ein Flittchen hielt SaZ ihn eigentlich, dass er glaubte, er würde nach ein paar gemeinsamen Tagen gleich mit jedem ins Bett springen? Ihm wurde kotzübel. "Alles ok, Minpha?" Miyakos Stimme klang, als käme sie von weit weg, dabei saß er doch direkt vor ihm. Er schüttelte nur den Kopf, den Blick fest auf seine eigenen Hände gerichtet, die sich in seinem Schoß stark verkrampften. Er war überfordert. Und wie immer, wenn er das war, glättete sich sein Gesicht und der Rest seines Körpers spannte sich extrem an. Außerdem bekam er keinen Gedanken mehr zu fassen und war unfähig, auch nur ein verdammtes Wort über die Lippen zu bekommen oder gar Blickkontakt zu jemanden aufzunehmen. Er wurde buchstäblich zu der Puppe, die er für die Band immer mimte. "Ähm, Minpha?" Heftige Verunsicherung schwang in der Stimme seine Gastes. Er musste jetzt was sagen... "Ich brauche kurz eine Sekunde...", gelang es ihm nach einiger Zeit tatsächlich, unter größter Anstrengung zu hauchen. Der Satz hatte gerade seine Lippen verlassen, da klingelte es zweimal kurz an der Tür und ein Schlüssel knackte im Schloss. Alarmiert sprang Miyako auf. "Es ist nur Koi", flüsterte Minpha gegen den Tornado in seinem Kopf an. "Hey Engelchen!", krakelte der Neuankömmling da schon wie immer in die Wohnung und als keine Antwort kam: "Min-Chan, bist du da?" "Ähm... Er ist hier", rief Miyako zögerlich. "Oh! Störe ich?", fragte Koichi, ohne rein zu kommen. Er hatte wohl Angst, irgendwo reinzuplatzen, da Minpha eigentlich wirklich nie Besuch hatte. Hektisch schüttelte er den Kopf. "Er schüttelt den Kopf", brüllte Miyako. Wie konnte ein so schmales Kerlchen so ein Organ haben? Da kam Koichi auch schon rein und erfasste sofort die Situation. "Engelchen! Ist was passiert?" Sekunden später fand sich Minpha schon in einer sanften Umarmung wieder. Ganz langsam ließ er sich gegen seinen besten Freund sinken und entkrampfte langsam. "Wer bist du eigentlich? Du kommst mir irgendwie bekannt vor... Was ist mit Min? Warst du das?", sprudelten die Fragen nicht gerade freundlich, um nicht zu sagen feindselig, aus Koichis Mund, während er Minpha sanft an sich drückte, ihm seine Kapuze aufsetzte und ihm zärtlich den Rücken tätschelte. "Ich bin Miyako." Auch der Gitarrist klang nicht gerade begeistert. "Von Dezert, huh?" Inzwischen schwang offene Ablehnung in Koichis Stimme. "Ja. Was dagegen?" "Noch nicht. Außer du bist hierfür verantwortlich." Minpha schüttelte heftig den Kopf und machte sich los. Panisch sah er Koichi an. Sie sollten sich nicht streiten! Miyako war doch sein Gast! "Sht, Engelchen. Ganz ruhig." Sanft strich er ihm eine Strähne hinters Ohr, die sich beim Kopfschütteln aus der Kapuze geschoben hatte. "Miyako hat nichts getan...", schaffte Minpha es endlich, zu sprechen, "Er ist hier, weil es ihm nicht gut geht. Er soll sich ausruhen. Und er wollte mir nur helfen." "Was ist denn passiert?" In knappen Worten schilderte ihm Minpha die Situation. Koichi hörte ruhig zu, um dann festzustellen: "Wenn Miyako das klar stellt, ist doch alles in Ordnung. Oder lad SaZ doch einfach hier her ein. Dann kann er sich selbst ein Bild machen." "Unter welchem Vorwand soll ich ihn denn einladen?" "Miyako könnte sich einsam fühlen", schlug Koichi vor. "Hah! Das glaubt er dir nie", amüsierte sich Miyako. "Du brauchst noch Klamotten", versuchte er es weiter. "Er wird irgendwas Richtung 'Die kann er sich verdammt noch mal selbst holen. Und überhaupt, ich hacke mir eher meinen Fuß ab, als dass ich ihn in sein Drecksloch von Zimmer setzen würde' sagen, schätze ich". Dabei imitierte er SaZ Tonlage so gut, dass Minpha kichern musste. "Das könnte auch ein Zitat von Tsu sein!", lachte Koichi mit, "Wobei der noch an jeden Satz Bitch anfügen und wie eine Diva mit der Hand fuchteln würde." "Bin ich froh, dass in meiner Band alle nett sind", meinte Minpha amüsiert. "Die kleinen Zicken nennst du nett? Wenn sie wochenlang nicht miteinander reden und keiner weiß mehr warum? Dann hab ich doch lieber Tsu, der mich einmal zusammen brüllt und dann ist es wieder alles gut." "Ich finde Schweigen besser", beharrte Minpha. "Das wundert mich nicht. Wenn jemand dabei ist, könntest du ja nicht einmal antworten, wenn dich einer anbrüllt", überlegte Miyako laut und grinste dabei, bevor er an Koich gerichtet, fortfuhr: "Aber sei froh, dass bei euch nur geschrien wird. Zwischen Sora und Chiaki kommt es immer mal wieder zu handfesten Prügeleien. Als ich das das erste Mal mitbekommen hab, war ich völlig schockiert." "Macht SaZ da auch mit?", fragte Minpha sofort interessiert nach, was Koichi zum Lächeln brachte. "SaZ? Fuck, nein. Also was vorher war, kann ich nicht beurteilen, aber seit ich in der Band bin, stand er immer nur daneben und hat geraucht. Wobei... Nein! Einmal, als sie sich, nur in Shorts bekleidet, geprügelt haben, hat er es mit seinem Handy gefilmt und gedroht, er würde das Video verkaufen und damit reich werden, wenn sie nicht sofort aufhören würden." Sie tauschten noch eine ganze Weile haarsträubende Bandgeschichten aus und hatten richtig Spaß zusammen, bis Koichi wieder zur eigentlichen Frage zurück kam: "Und wie kriegen wir SaZ nun hier her?" "Vielleicht muss er ja gar nicht her kommen. Wir können doch auch einfach ein paar meiner Klamotten und mein Gitarrchen aus der WG holen und dann sieht er ja, dass wir nicht ineinander verschlungen sind", schlug Miyako vor. "Eigentlich keine schlechte Idee", stimmte Koichi sofort zu. Gerade, als Minpha Zweifel äußern wollte, klingelte es an der Tür. "Hattest du nicht gesagt, hier wäre es still? Hier ist ja mehr los als in der WG", rief Miyako ihm amüsiert nach, als er sich auf den Weg in den Flur machte. Da Koichi schon da war, konnte es eigentlich nur ein Paketbote oder ein Nachbar sein. Kapitel 6: Eine Menge Tee, große Hände und eine Wand im Hausflur ---------------------------------------------------------------- Er wusste nicht, wie lang er nun schon im Türrahmen stand und SaZ anstarrte. Die Zeit schien wie in Zeitlupe zu vergehen. Jeder Wimpernschlag zog sich bis in die Ewigkeit. Ihn so vollkommen unerwartet zu sehen, war ziemlich viel für den ohnehin schon überreizten Pinkhaarigen. Da nun tagelang Funkstille zwischen ihnen geherrscht hatte, wusste er auch nicht so recht, wie er sich dem Älteren gegenüber verhalten sollte. SaZ schaute auch so verdammt neutral. "Hi!", krächzte Minpha irgendwann unsicher und war dabei so aufgeregt, es war ein Wunder, dass überhaupt irgendwas aus seinem Mund gekommen war. Er versuchte ein klitzekleines Lächeln, doch der Schwarzhaarige sah ihn unverändert ernst an. "Hi. Ich wollte mal sehen, wie es unserem Gitarristen so geht. Hab ihm auch Klamotten mitgebracht", meinte er und wedelte mit der Tasche, die er in der Hand hatte. "K-Komm rein. Wir sind im Wohnzimmer. Koichi ist auch da." "Koichi? Von Mejibray?" Dieser verdammt neutrale Tonfall. War er böse? Oder gleichgültig? "J-Ja. Ich bin sehr gut mit ihm befreundet." Schüchtern ließ er SaZ rein, schloss die Tür und ging mit weichen Knien voraus ins Wohnzimmer. Ihm war schon schlecht vor lauter Nervosität. SaZ war hier! "Hi", begrüßte der die Runde ruhig und hatte schon wieder eine Zigarette in der Hand, als er sich in Minphas Sessel nieder ließ. "Darf ich?" Der Hausherr nickte, zog einen pinken Aschenbecher aus dem Zwischendeck seines filigranen, weißen Couchtisches und stellte ihn vor SaZ ab. Alle sahen den Neuankömmling gespannt an und das Klicken seines Feuerzeuges schallte unendlich laut durch den Raum, als er sich seine Kippe ansteckte. Es war so still, man hörte sogar das Knistern des verbrennenden Tabaks. Er sog den Rauch ganz tief ein und stieß ihn genüsslich aus, bevor er Miyako die Tasche mit den Klamotten zuwarf. "Ich hab dir n paar Sachen mitgebracht." "Wie fürsorglich", meinte der Blonde misstrauisch. "Tja. So bin ich." Die Kälte und SaZs Stimme setzte Minpha wirklich zu, der froh war, neben Koichi zu sitzen, was ihm ein wenig Sicherheit gab. "Hast wohl Angst, dass ich als pinkes Prinzesschen heim komme?", fragte Miyoko unterdessen amüsiert, wofür ihm Koichi hinter Minphas Rücken in die Seite boxte und ihn mit einem giftigen Blick durchbohrte. "Ich hab eher Angst, dass du gar nicht mehr heim kommst", murrte SaZ, "Du scheinst es dir hier ja sehr gemütlich gemacht zu haben." Er klang extrem schneidend und es bestand kein Zweifel daran, dass er sauer war. Minpha ergriff eine leise Panik, die rasant anschwoll. Er wollte ihn nicht jetzt schon verlieren! Miyako dagegen streckte sich betont wohlig aus und schnurrte: "Ja. Es gibt Schlimmeres. Mir fehlt nur mein Gitarrchen." "Du siehst doch wieder ganz fit aus. Wann kommst du zurück?", fragte SaZ kühl. "Ich bin doch erst ein paar Tage hier. Entspann dich mal. Bei Ren war ich früher manchmal wochenlang und es hat keinen gestört", kicherte Miyako leichtsinnig und Minpha erstarrte, hätte die Worte am liebsten zurück in den Mund des Blonden gestopft. Ren war sein Exfreund! Das traf doch garantiert den falschen Nerv! Und tatsächlich: SaZs Augenbraue zog sich bedrohlich nach oben und seine Augen funkelten offen wütend. Da verlor Minpha die Nerven. "Willst du vielleicht einen Tee?" Alle im Raum sahen ihn irritiert an, bis SaZ zerstreut bejahte. Sofort sprang Minpha auf. "Willst du mitkommen und dir eine Sorte aussuchen?" Wortlos stand der Schwarzhaarige auf und folgte dem Hausherren in die Küche, wo der unverzüglich damit begann, Wasser zu erhitzen und seine Teekisten hervorzukramen. "Du hast echt verdammt viele Sorten Tee", meinte SaZ leise, während Minpha versuchte, sich mental auf etwas für ihn sehr Bedeutendes vorzubereiten. Er hatte beschlossen, aufs Ganze zu gehen. Sie kannten sich zwar noch nicht lange, aber er wollte nicht, dass der andere von falschen Voraussetzungen ausging. Und er wollte ihn nicht jetzt schon über einen dummen Eifersuchtsstreit verlieren. SaZ hatte ein Recht darauf, zu wissen, was los war. Und was, wenn SaZ gar nicht eifersüchtig war? Er hatte genug vom Rätsel raten und wenn ihn die letzten Tage mit dem offenen Miyako, der immer gerade heraus war, eins gelehrt hatten, dann war es, dass es nichts brachte, sich aus Angst vor Zurückweisung immer nur in Andeutungen und Spekulationen zu verlieren. Man musste die Karten offen auf den Tisch legen und sehen, was der andere daraus macht. Klar konnte man dabei nicht nur gewinnen, sondern auch verlieren, aber das war immer noch besser, als es gar nicht erst zu versuchen. Also nahm Minpha all seinen Mut zusammen, holte tief Luft, drehte sich zu SaZ um und begann, zu sprechen: "I-Ich habe nichts mit Miyako, falls du das glaubst, weil... weil ich irgendwie... naja... ich...", er seufzte, "Ich mag dich", stammelte er zusammen, während er seine Füße fixierte. Es war raus. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und er sah ängstlich auf. SaZ aber starrte ihn nur erstaunt an. Es passierte nichts. Keine Regung. Lange. Viel zu lange. Minphas Herz tat weh. "Du magst mich?", fragte der Größere irgendwann leise. Minpha nickte niedergeschlagen. Das war nicht gerade die Reaktion, die er sich erhofft hatte. "Wie meinst du das?" Hatte er denn nicht zugehört? Sofort schlug seine Trauer in Empörung um. Das durfte doch nicht wahr sein! Wie schwer von Begriff war der Typ denn? Machte er sich über ihn lustig? "Wie soll ich das schon meinen?!", giftete der Pinkhaarige verletzt. SaZ sah ihn argwöhnisch an. "Naja... Du weißt schon..." "Nein! Ich weiß nicht!" Was stimmte denn nicht mit dem!? Er überwand hier seine Ängste und machte ein Liebesgeständnis und der verdammte Idiot schaute ihn an wie das achte Weltwunder und fragte, wie er das meinte?! Minpha hätte ihn am Liebsten mit einem kräftigen Tritt vor die Tür gesetzt! Was für ein dämlicher- "Er will wissen, ob du ihn in platonischer oder sexueller Hinsicht magst. Unser Dickerchen ist solche Geständnisse nicht gewöhnt", kicherte da Miyako, der gerade breit grinsend hinter SaZ auftauchte und ihm in den Bauspeck kniff. Blitzschnell griff dieser nach seinem Handgelenk und sah ihn vernichtend an. "Mach das noch mal und ich brech dir dein dürres Ärmchen", drohte er düster, doch Miyako kicherte völlig unbeeindruckt. "Und wer spielt dann Gitarre? Chiaki wird durchdrehen", meinte er frech und klimperte mit den Wimpern, worauf hin SaZ ihn knurrend los ließ. "Koi und ich wollen bitte den grünen Tee mit Ananas und Erdbeere", fuhr der Blonde, an Minpha gewandt, fort und huschte wieder aus der Küche. "Wie lange stand der schon dort?", murrte SaZ genervt und der Pinkhaarige konnte nur mit den Schultern zucken. Er hatte in seinem Ausnahmezustand überhaupt nichts von dem ungebetenen Zuhörer mitbekommen, bevor der angefangen hatte, zu sprechen. Da machte der Größere einen Schritt auf ihn zu. "Magst du mich wirklich auf diese Weise?" Minpha konnte nur nicken, weil seine Kehle wie zugeschnürt war. "Es tut mir leid, dass ich so reagiert habe. Ich konnte einfach nicht glauben, dass jemand wie du-" "Jemand wie ich?", reagierte der Kleinere sofort allergisch, doch SaZ gab ihm keine Chance, sauer zu werden, denn er schob sofort ein "Jemand, der so hübsch ist, mich auf die Art anziehend finden könnte" nach. Minpha schoss augenblicklich die Röte ins Gesicht. Er wusste vor Verlegenheit gar nicht, wo er hin sehen sollte. SaZ hatte ihn hübsch genannt. Seine Wangen glühten. "Wollen wir vielleicht... spazieren gehen oder so?", fragte der Größere nach einer Weile, da Minpha nur verschämt rumstand. "Ich hab Besuch..." "Na und?" "Hast Recht." SaZ steckte seinen Kopf ins Wohnzimmer. "Wir sind weg", setzte er die beiden in Kenntnis. Ein kleines "Aber..." von Koichi drang an Minphas Ohr, aber da schob ihn SaZ schon sanft in den Flur, wo sie in ihre Schuhe und aus der Wohnung schlüpften. Sie gingen lange schweigend und ziellos nebeneinander her, streiften einfach durch Minphas Nachbarschaft, ohne je stehen zu bleiben. Nach und nach schmolz Minphas Scham und irgendwann traute er sich, aufzusehen. Sie waren schon ziemlich weit weg von zu Hause, mussten bestimmt schon eine halbe Stunde unterwegs sein. Unsicher musterte er seinen Begleiter und als er SaZs Blick auffing, lächelte er, "Es ist echt hübsch hier." "Ja...", nuschelte Minpha. "Was meinst du, wie lange wir noch laufen müssen, bis du dich beruhigt hast? Ich hab Hunger." "Ähm... Da vorn ist ein Restaurant. Die haben aber nur traditionelles Essen." "Werden wir da schief angesehen?" "Also mich kennen sie eigentlich. Der Besitzer ist sehr nett." "Ok. Cool." "Ich hab kein Geld dabei", gestand Minpha. Er hatte genau genommen gar nichts dabei. Nicht einmal sein Handy. "Kein Problem. Ich lade dich ein." "Danke." "Ich hätte gedacht, du zickst jetzt rum", meinte SaZ und klang fast ein wenig enttäuscht. "Ich geb dir das Geld nachher wieder." "Tust du nicht." "Doch." Sein Stolz rebellierte massiv gegen seine Verlegenheit und gewann. SaZ grinste breit. "Ich werd's nicht annehmen." "Dann esse ich eben nichts." "Ich will dir aber nichts voressen. Wie sieht das denn aus, wenn der Fette die ganze Zeit frisst, während seine hübsche Begleitung hungern muss." "Iss allein oder leb damit, das Geld für mein Essen wieder zu kriegen", beharrte Minpha trotzig, auch wenn das 'hübsch', das SaZ gesagt hatte, wie verrückt in seinem Magen kribbelte. "Und wenn es ein Date ist? Darf ich es dann bezahlen?" "Nein." "Aber das ist so üblich." "Es ist üblich, dass der Mann bezahlt. Wir sind beide Männer. Willst du damit sagen, ich wäre eine Frau?!" SaZ zündete sich schmunzelnd eine Zigarette an, bevor er fragte: "Brichst du einen Streit vom Zaun, um deine Verlegenheit zu überspielen?" "Ach, halt die Klappe", murrte Minpha ertappt. Da streifte SaZs Hand seine. Sofort war sein Ärger verflogen und sein Puls stieg sprunghaft an. Fast vorwurfsvoll betrachtete er die große Hand seiner Begleitung, die seiner so nah war. Es brauchte einen ganzen Straßenblock, bis er es wagte, sie mit seiner anzustupsen. Als SaZ ihn nach einer Weile wieder wie zufällig streifte und dabei anlächelte, nahm er all seinen Mut zusammen, griff er nach nach der Hand des Schwarzhaarigen und verschränkte ihre Finger miteinander. Das war zwar, objektiv betrachtet, keine große Sache, aber Minpha war dabei so aufgeregt, dass sein ganzer Körper kribbelte. Er hatte noch nie mit jemandem in der Öffentlichkeit Händchen gehalten. Es fühlte sich unglaublich an. Er konnte an nichts anderes mehr denken, als an diese große, warme Hand, die da gerade seine hielt. Selbst SaZ schien auf einmal nicht mehr ganz so entspannt, sagte aber nichts dazu. Als sie in Sichtweite des Restaurants auf eine belebtere Straße abbogen, ließ Minpha jedoch lieber los. Er wollte sein Glück nicht überstrapazieren. Zwei Stunden später saßen sie immer noch zusammen und aßen vergnügt. Wie von selbst war Minpha nach und nach aufgetaut und inzwischen war die Stimmung ausgelassen und zwanglos. Zumindest bis SaZ beim Dessert fragte: "Was erwartest du jetzt eigentlich von mir?" Minpha blieb vor Schreck erst einmal das Essen im Halse stecken, was eine fürchterliche, minutenlange Hust- und Würgeattacke zur Folge hatte, während der er verzweifelt um Luft und Würde rang, ihm jedoch beides verwehrt blieb. Nach einer Weile kam SaZ fürsorglich um den Tisch herum, klopfte ihm sanft auf den Rücken und murmelte beruhigende Worte. Er kehrte erst wieder auf seinen Platz zurück, als Minpha irgendwann, mühsam die Tränen wegblinzelnd wieder zu Atem kam. "Geht es wieder?" Mit brennendem Hals nickte er erschöpft und peinlich berührt, während er sich der vagen Hoffnung hingab, dass SaZ seine Frage vielleicht wieder vergessen hatte, aber nur ein Blick in dessen Gesicht überzeugte ihn vom Gegenteil. "Weißt du, ich weiß einfach gern, woran ich bin." Minpha zögerte lange, bevor er leise antwortete: "Ich weiß nicht, was ich erwarten kann, weil ich mit sowas keine Erfahrung habe." Er hielt sich bewusst vage. SaZ wirkte erleichtert. "Ich war auch noch nie mit nem Mann zusammen." Der Pinkhaarige seufzte. "Nein. Ich meinte, ich war überhaupt noch nie mit jemandem zusammen." SaZ Augen wurden, wie Minpha befürchtet hatte, kugelrund. Unendliches Staunen sprach aus ihnen und sein Blick war so durchdringend, dass Minpha wieder ganz verlegen wurde. "Das heißt, du hast noch nie..." Entsetzt schnappte Minpha nach Luft. "Natürlich! Ich hatte nur keine Beziehung oder sowas." Eingeschnappt verschränkte er die Arme. Hier als Jungfrau abgestempelt zu werden, war ja wohl die Höhe. Vertraulich beugte sich SaZ vor. "Wie kommt das?" Minpha hätte nie gedacht, dass er so neugierig sein konnte, also beschloss er, ehrlich zu sein, dass das Thema hoffentlich ein für alle Mal beendet war. In sachlichem Tonfall begann er also, zu erläutern: "Menschen wie ich fallen im Allgemeinen in die Kategorie 'Special interest'. Wenn mich jemand wollte, dann wollte er nicht mit mir essen gehen oder Händchen halten sondern ins Lovehotel. Ich habe meine Unschuld an einen Fan verloren. Genau genommen habe ich beide davon an Fans verloren." SaZ Augen wurden noch größer und sein Mund klappte ein wenig auf. Innerlich wappnete sich Minpha schon für eine lange Reihe an impertinenten Fragen bezüglich seines Sexlebens, die er weder hören noch beantworten wollte und die seine Zuneigung zu SaZ wahrscheinlich schmelzen lassen würden wie Eis in der Sonne. Er wurde nicht gern wie eine Kuriosität behandelt. Niemand mochte sowas. In diesem kurzen Moment trauerte er SaZ schon hinterher, der sich zweifelsohne gleich selbst entzaubern würde. Doch wieder überraschte sein Gegenüber ihn, denn er fragte nichts Perverses: "Du hast also noch nie so Pärchenkram gemacht? So Händchenhalten und Dates und so?" "Nein", erwiderte er perplex. "Auch nicht während der Schulzeit?" "Welchen Teil von noch nie begreifst du nicht?" SaZ ging gar nicht auf die Anfeindungen ein, sondern zog es vor, Minpha erneut zu entwaffnen: "Bedauerst du das denn gar nicht?" Der Kopf des Pinkhaarigen legte sich schräg. So direkt hatte er darüber nie nachgedacht, doch das Echo in ihm war eindeutig. "Schon", sagte er tonlos. "Wir sind gearscht", stellte SaZ da feierlich fest und Minpha blinzelte verwirrt. "Wie meinst du das?" "Naja. Ich weiß nicht, wie das mit Kerlen so geht. Du hast keine Ahnung von Beziehungen, aber einfach nur vögeln scheinen wir beide nicht zu wollen." "Du willst nicht?" SaZ lachte laut. "Versteh mich nicht falsch. Selbst wenn ich keine praktische Erfahrung in den Dingen habe, die wir miteinander anstellen könnten, verdammt, ich will es. Ich bin bereit, alles mit dir zu machen, was dir gefällt. Ich meine, fuck, ich bin auch nur ein Kerl. Und ich bin so verdammt scharf auf dich, ich würde auf der Stelle unter den Tisch kriechen und dir einen blasen, wenn du es verlangen würdest, aber eben nicht nur. Wenn ich einfach nur ficken wöllte, würde ich mir nie so viel Mühe machen. Das geht deutlich unkomplizierter. Aber du... Ach keine Ahnung. Der Gedanke, dass dich jemand anfasst, der nicht ich bin, fuckt mich so ab. Als Chiaki behauptete, Miyako wäre bestimmt gerade mit dir zu Gange, bin ich voll ausgeklinkt. Das hat mich total erschreckt. Ich hab verdammt noch mal andere Probleme, als wer mit wem vögelt. Sowas hat mich noch nie gejuckt, doch du bist offensichtlich eine Ausnahme. Obwohl du ein Kerl bist. Obwohl du auf Pink stehst und obwohl du verdammt noch mal in einer ganz anderen Liga spielst als ich. Und dann komme ich zu dir, um Miyako notfalls an seinen gebleichten Haaren aus deiner Wohnung zu zerren und aus der Band zu mobben, falls er dich wirklich beschmutzt hat und du sagst mir einfach, dass du mich magst. Wie in einem verdammten Shojo-Manga. Das reißt mir echt den Boden unter den Füßen weg! Ich meine, was soll ich denn jetzt machen? Du willst nicht wie ein Mädchen behandelt werden. Ich hab keine Erfahrung mit Jungs und du weißt generell nicht, was zu tun ist... Was machen wir denn jetzt?" Sprachlos beäugte Minpha den Schwarzhaarigen, der sich richtig in Rage geredet hatte. Er hätte nie für möglich gehalten, dass SaZ überhaupt zu so einem Ausbruch fähig war. Als der fragende Blick seines Gegenübers immer drängender wurde, sprach er das aus, was ihm als erstes einfiel. "Wie wäre es, wenn du mir den ganzen Pärchenkram zeigst und wir das machen, was uns Spaß macht? Und wenn wir dann soweit sind, kann ich dir ja bei den anderen Dingen zeigen, was so möglich ist und da machen wir dann auch einfach das, was Spaß macht?" "Du willst Pärchenkram mit mir machen?" "Ja." "Das heißt, wir sind zusammen?" "Schätze schon." "Aber ist das denn ok für dich? So in der Öffentlichkeit und so?" "Normalerweise werde ich sowieso für ein Mädchen gehalten. Ich denke nicht, dass es da großartig Probleme gibt." "Aber du musst dich nicht unbedingt als Mädchen zurecht machen, um mir zu gefallen oder so." "Ich mag das gern. Stört es dich?" "Was? Nein! Im Gegenteil! Aber ich finde dich auch ohne hübsch." "Woher weißt du, wie ich ohne das alles aussehe?" SaZ wirkte ein wenig beschämt, als er nuschelte: "Ich hab mir im Internet Fotos angesehen. In manchen Werbekampagnen warst du nicht feminin zurecht gemacht." Er kratzte sich unbehaglich am Kopf. "Sorry, ich klinge wie ein Stalker..." Minpha lachte herzlich. "Schon gut. Ich hab mir auch Fotos von dir angesehen." "Wirklich?", fragte er mit erstaut aufgerissenen Augen. "Klar." Das glückliche Lächeln des Älteren ließ seinen Magen kribbeln. Als sie Stunden später auf dem Heimweg waren, griff er wieder nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger miteinander. "Minpha? Ich muss dringend noch was loswerden." Gespannt sah er zu dem Schwarzhaarigen auf. "Ich hab nicht viel Zeit. Zum einen ist da die Band und dann noch meine Familie. Meine Schwester ist sehr krank. Ich verbringe sehr viel Zeit mit ihr." "Meinst du, ich kann sie vielleicht mal kennen lernen?" Erstaunt blinzelte SaZ. "Du möchtest sie kennen lernen?" "Macht man das nicht irgendwann so als Pärchen? Die Familie kennen lernen?" Unvermittelt riss SaZ den Kleineren an sich und schlang seine Arme fest um ihn. "Du machst mich fertig...", flüsterte er in seine Haare. Minpha war zwar überrumpelt, schmiegte sich aber wie von selbst an ihn. Er fühlte sich so sicher in seinen Armen. So gewollt. Als sie irgendwann wieder vor Minphas Tür standen, schauten sie sich fragend an. "Äh... Soll ich mit hoch kommen?" Minpha zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht, ob die anderen noch da sind und wenn nicht, dann wäre es ungehörig nach dem ersten Date." "War das unser erstes Date?" "Schätze schon. Wir sind Händchen haltend hin gegangen, haben gegessen und sind Händchen haltend zurück gegangen. Theoretisch müsstest du mich jetzt an der Tür absetzen." "Aber Miyako ist da drin und er schläft bei dir." SaZs Augen wurden ganz schmal. "Du bist ganz schön eifersüchtig, huh?" "Klar. Sieh dich an." Da stellte sich der Kleinere auf die Zehenspitzen, packte SaZ am Nacken und drückte seine Lippen auf die des Älteren. Dabei entwich ihm ein kleines Seufzen, denn es fühlte sich so viel besser an, als er erwartet hatte. Seine Lippen waren so weich und sein sein Bart kratzte an Minphas Kinn. Mit Schmetterlingen im Bauch drückte Minpha ihm noch einen Kuss auf die Wange. "Du hast keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Ich bin doch jetzt dein Freund", meinte er mit einem sanften Lächeln. "Kann ich Miyako nicht trotzdem einfach mitnehmen? Oder dich?", quengelte SaZ. "Nichts da. Es geht ihm wirklich nicht gut. Er bleibt. Und ich auch. Das ist schließlich meine Wohnung. Und mein Handy ist da drin. Es ist sowieso ein Wunder, das Koichi noch keine Hundestaffel losgeschickt hat, um mich zu suchen. Ich muss langsam mal..." Er schloss gerade die Hauseingangstür auf, als er ein "Minpha?" von SaZ ihn inne halten ließ. Er hatte sich noch nicht einmal umgedreht, da zog ihn der Größere schon harsch an sich und gab ihm einen Kuss, der ihm den Atem nahm. Voller Feuer, besitzergreifend und verlangend trafen ihre Lippen erneut zusammen und dieses mal blieb es nicht bei einem scheuen Küsschen. Ein wohliger Schauer rann über Minphas Rücken, als SaZ große Hand in die Haare an seinem Hinterkopf fuhr und ihm jede Möglichkeit zum Entschärfen der Situation nahm. Überwältigt schlang er seine Arme um seinen Hals und drückte sich bereitwillig an ihn, als seine andere Hand auf seinem unteren Rücken dicht über seinem Hintern zum Liegen kam und seine Zunge fordernd seine pink geglossten Lippen teilte. Nur zu gern öffnete er seinen Mund, kam SaZs sogar bereitwillig entgegen und umspielte dessen Zunge mit seiner. Die Art, wie der Ältere ihn küsste, war berauschend. Wie in Trance zog er ihn, den Kuss zu keinem Zeitpunkt unterbrechend, in den Hausflur und seufzte auf, als er eine Wand im Rücken spürte, gegen die ihn SaZ drückte. Er brannte lichterloh, als sich SaZs Bein zwischen seine schob und er mit seinem Oberschenkel gegen die rasant wachsende Beule in seinen Shorts drückte. Mit einem vom Kuss erstickten Stöhnen bohrte er seine Nägel in den Nacken des Schwarzhaarigen, worauf hin dieser ihn nur noch gieriger küsste und noch fester an die Wand presste. Nie hätte Minpha erwartet, dass so eine ungezügelte Gier in dem immer ruhigen SaZ schlummerte und er liebte die Art, wie er mit ihm umsprang. Er wollte mehr. Viel, viel mehr. "Komm mit hoch", raunte Minpha also heiser an SaZs Lippen. "Doch nicht beim ersten Date", brummte dieser und verwickelte ihn wieder in einen Kuss, wobei seine Hand aus Minphas pinkem Haar an sein Kinn wanderte. Doch der wollte sich nicht so einfach abspeisen lassen. "Ist doch egal. Komm mit", drängte er. "Was ist mit den anderen?" "Komm!", endgültig am Ende seiner Geduld angekommen, schlüpfte er aus der Umarmung, packte SaZ am Handgelenk und zog ihn in Richtung Treppe. "Da bist du ja Engelchen", schallte es da durch den Flur und Minpha wäre am Liebsten mit SaZ abgehauen. Extrem genervt drehte er sich um. "Ja. Hier bin ich." Koichi hielt in der Bewegung inne und fragte vorsichtig: "Alles ok?" Minpha wollte gerade zu einer vernichtenden Antwort ansetzen, als SaZ ihm zuvor kam. "Ja. Alles bestens. Ich wollte gerade los! Liebe Grüße an Miyako. Bis dann, Kleines!" Der von der Situation völlig überforderte Minpha, bekam einen kleinen Kuss auf den Mund und schon fiel die Tür hinter SaZ ins Schloss. Und so stand er da nun. Mit einer Latte. Im Hausflur. Neben Koichi. Großartig. "Ähm Minpha?" Er antwortete nicht. "Seid ihr jetzt zusammen?" "Ach halt die Fresse, Kochi...", murrte er irgendwo zwischen Wut, Geilheit und Verwirrung und stapfte mit hängenden Schultern in seine Wohnung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)