The Splintered Truth von Meilenstein ================================================================================ Prolog: Das Erwachen --- Planänderung ------------------------------------- [Nr. 7]   Der Beamte am Hafen starrte sie verdutzt an, als er die Passagierin nach Name und Grund des Besuchs fragte. „Nummer Sieben. Grund Auftrag.“ Antwortete die Frau schnell, jedoch betont und deutlich. Sie meinte das mit voller Ernsthaftigkeit. Bevor der Wachmann auf die ungewöhnliche Antwort reagierte und die Frau bei ihrem Vorhaben Voranzuschreiten stoppte, unterbrach ihn eine ältere Dame, die ihn regelrecht anbrüllte, um den Mann nach dem Weg zu fragen. Ihre krächzende und nervenaufreibende Stimme ließ alle Umstehenden kurz zusammenzucken. Der Beamte reagierte erschrocken, bevor er der älteren Dame eine Antwort gab. Die Passagierin mit dem Namen ‚Nummer Sieben‘ zog ihren schwarzen Mantel enger um sich und die Kapuze weiter über ihr Gesicht, daraufhin eilte sie in einem zügigen Tempo aus der kleinen Hafenstadt. Am Ende der Straße, allerhöchsten waren es drei Kilometer, lag ihr Zielort. Zügig wanderte sie durch die kleine Stadt namens Orange. Obwohl es sich bei diesem Ort um die Hauptstadt der gemäßigt-tropischen Sommerinsel Ranger Island handelte, und obwohl er ein Touristenmagnet war, so verhielten sich die Bewohner nervös und zurückhaltend, sollte ein Tourist den Namen des Ortes lautstark aussprechen. Die Mantelträgerin wusste wieso. Die Gerüchte besagten, dass die Bewohner dieser Insel an einen Fluch glaubten, der Unheil brachte, wenn ein Bewohner dieser Insel den Namen der Stadt aussprach.   Der Name der Stadt stammt vom Gründer. Ein erfolgreicher und internationaltätiger Handelskaufmann hatte vor einigen Jahrzehnten angefangen Lagerdepots auf den Sommer- und Winterinseln zu bauen. Diese sollten zunächst als Zwischenhafen für die Handelsfrachter zwischen den Kontinenten dienen. Auf der großen Plankarte des damaligen Unternehmens bekam jedes Lager eine Farbe zugewiesen. Der einfachen Übersicht geschuldet wurden die Depots nach diesen Farben benannt. Nach vielen kleineren Wirtschaftskrisen in den letzten Jahrzehnten ging der Handelskaufmann bankrott. Er verschwand spurlos, der Untergrund wusste wieso. Viele Depots, die von einer Vielzahl Arbeitern bewohnt wurden, wurden verlassen, während andere sich hielten und zu Städten heranwuchsen. Orange war einer dieser Städte. Warum diese nicht wie die anderen verlassen wurde, war in heutiger Zeit nur noch Spekulation. Niemand wusste den Grund. Die Gerüchte behaupteten Bodenschätze, die von reichen Geschäftsleuten unter Verschluss gehalten wurden, aber das heutige Standbein der Stadt war der Tourismus.   Das Städtchen, dessen Häuser aus massivem Stein erbaut wurden, um der Feuchtigkeit, die vom heißen Sommerwind getragen wurde, zu trotzen, wirkte im Vergleich der großen luxuriösen Städte im Land ‚Festa‘ schlicht. Ihre Schlichtheit hatte jedoch einen Charme, der jährlich Touristen anzog. Abgesehen davon herrschte auf Ranger Island eine permanente erholsame Stille. Der Wald, der Orange umringte, bot den Bewohnern zusätzlichen Schutz gegen den Wind, so war das Erholen an öffentlichen Plätzen in der prallen Sonne keine Besonderheit. Unter großen Schirmen saßen die Einheimischen schweigend auf ihren Stühlen, als wollten sie ihre Gespräche nicht in Gegenwart von Fremden führen. Nummer Sieben störte etwas Anderes. Die Aufmerksamkeit der skeptischen und misstrauischen Bewohner könnte dazu führen, dass irgendjemand auf die idiotische Idee kommen könnte und Fragen stellte. Vereinzelt kamen Passanten der Fremden entgegen, während sie an ihnen vorbeischritt, ohne ihnen weitere Beachtung zu schenken. Die Menschen warfen ihr verwunderte Blicke zu. Sie schätze, dass dies ihr Kleidungsstil verursachte. Ihre Hände vergrub sie in den Manteltaschen, und selbst bei diesen Temperaturen behielt die Person ein schnelles Schritttempo bei. Der Blick der Fremden blieb konzentriert. Die Frau verweilte nie lange an einem Ort. Sie lief ihre Wegpunkte ab, die sie sich im Voraus festgelegt hatte. Um Polizisten machte sie einen Bogen. Sie hatte gehört, dass der neue Kommissar dieser Insel sehr viele nervige Fragen stellte und unbestechlich war.   Sie setzte ihre Suche am Stadtrand fort. Im Schatten des Waldes war die hitzige Atmosphäre viel leichter zu ertragen. Große massive hohe rötliche Nadelbäume, die spitzige hohle Nadeln trugen, schirmten das Sonnenlicht ab, dennoch wuchs allerlei dazwischen. Dornige Büsche, Beerensträucher mit kleinen roten und schwarzen Beeren, kleinere dünne Nadelbäume, die besonders biegsam waren und schwer zu stutzen. Zähe Schlingpflanzen, wildwachsende schwarze und dunkelrote Rosen, vereinzelte dicke massive runde Hecken und eine Menge Wildgras. Insgesamt wirkte alles sehr trocken, aber die Pflanzen hatten sich angepasst und speicherten das Wasser in ihren metertiefen Wurzeln. ‚Sie haben es bemerkt. Ich verliere Zeit. Mir bleibt keine andere Wahl.‘ Kurz wog sie ab, ob die Wahrscheinlichkeit groß war, dass dies bemerkt werden würde. Sie hob ihre rechte Hand. Ein bläuliches Leuchten umgab ihre Hand. „Hände hoch. Was machen Sie da?“ Eine junge männliche Stimme sprach die Frau von der Seite an. Bevor die Mantelträgerin hochsah, reagierte ihr Körper. Ihre Reflexe sprangen an, bevor sie selbst die Situation realisierte. Nur wenige Informationen waren entscheidend, wie sie vorging. Wie viele, wo und was. Es war ein Polizist, kleiner als sie und ein Mensch. Eine nicht nennenswerte Bedrohung, die sie schnell ausschalten konnte. Ihr Arm lag schon um den Hals des Mannes, während sie hinter ihm stand. Der Polizist schnappte nach Luft und er versuchte sich zu befreien, aber der Griff war stärker. „Nicht mein Ziel.“ Bewusstlos ließ sie den jungen Mann zu Boden sacken. Waffen, Munition, Wertgegenstände und Geld wurden ihm abgenommen, dann entfernte sich die Frau vom Geschehen. Ihr Zeitfenster hatte sich geradeeben um einen großen Teil reduziert.   Die aufmerksame Polizei war auch dem amtierenden Verwalter von Orange geschuldet. Dieser residierte in einer prächtigen Villa, die nicht weit vom einzigen Hafenstädtchens der Insel stand. Der Bürgermeister selbst arbeitete jedoch die meiste Zeit im prachtvollen Rathaus der Stadt. Viele beschrieben ihn als harsch, unfreundlich, anstrengend und zielstrebig. Mit eiserner Hand beherrschte der Mann die Stadt. Sein öffentliches Engagement war international bekannt, jedoch wusste nur der Untergrund, dass dieser Mann nicht davor zurückschreckte seine Feinde mit allen erdenklichen Mitteln aus dem Weg räumen zu lassen. Der Mann war reich und mächtig, aber die Insel gehörte ihm nicht und was außerhalb von Orange und dem Hafenstädtchen geschah, das hatte der Mann nicht zu entscheiden. So wie sich das Gerücht mit dem Fluch hielt, so war auch die andere Behauptung immer wieder zu hören, dass ein Unwesen diese Insel beherrschte. Nummer Sieben hatte von Personen gehört, die als Auftrag bekamen, diese Person aufzusuchen, aber bisher kehrte niemand zurück.   Auf dem Dach eines kleinen Hauses, nahe dem Stadtrand und ohne direkten Sichtkontakt zu anderen Menschen, streckte die Frau ein weiteres Mal ihre rechte Hand aus. Sie durfte keine Zeit mehr verlieren. Die Mantelträgerin hatte einen Auftrag, für die sie gut bezahlt wurde. Sie war auf der Suche nach einer bestimmten Person. Der letzte bekannte Aufenthaltsort des Gesuchten war auf dieser Insel. Er wurde auf den Sicherheitskameras eines Schiffes gesehen, welches am Hafen angelegt hatte. Nachdem er das Schiff verlassen hatte war er gen Westen, in Richtung Orange, gegangen.   Aus dem blauen Schimmern, welches ihre Hand umschloss, formten sich drei kleine, bläulich leuchtende Kugeln. Sie fingen an sich um ihre Hand zu drehen. Im nächsten Moment schossen sie davon, wie Jagdhunde, die eine Witterung aufgenommen hatten. Die Kugeln positionierten sich in regelmäßigen Abständen, jedes Mal, wenn die Mantelträgerin eine von ihnen erreichte. Sie musste so nur den Kugeln folgen, solange sie den Zauber aufrechterhielt.   Die Mantelträgerin lief über einen Feldweg, der nach Westen aus der Stadt führte. Nach ihrer Erinnerung von der Inselkarte, war in dieser Richtung der Weg, der die Touristen zu den Regenbogenmuschelklippen führte. Davor galt es jedoch ein mehrerer Kilometerlanger Feldweg zu überwinden.   Zielstrebig folgte sie ihren bläulichen Kugeln, bis diese sich augenblicklich auflösten. In der Ferne entdeckte sie ihr Ziel. Mitten auf dem Pfad lief jemand beirrt umher. Ein großer, schlanker Mann mit einem zerschlissenen Ledermantel und einem vernarbten Gesicht. Er schien etwas zu suchen. Mit nachdenklichem Blick schaute er auf ein Gerät in seiner Hand. Eilig kam die Mantelträgerin näher. „Hier ist es… hier ist es… das Signal wird stärker! Es wird hier definitiv in der Nähe passieren. Ich muss hier…“, flüsterte er sich selbst aufgeregt zu. Als der Mann die Frau bemerkte, erstarrte er. Sie war nah an ihn herangekommen, ohne dass es ihm aufgefallen war. Nur wenige Meter trennten die beiden.   Die Frau im schwarzen Mantel zog einen kleinen dunkelbraunen Baseballschläger hervor, der schnell auf doppelte Größe anwuchs und fest im Griff eines goldenen Handschuhs mit einer römischen Sieben darauf sprintete sie auf den Mann zu. „Nicht du schon wieder! Wie hast du mich gefunden?“, rief er genervt. Fast schon panisch griff er nach etwas in seinem Ledermantel. Der Mann zog eine handelsübliche Pistole hervor, ähnlich der Waffen der Polizei, und versuchte nach dem Entsichern den Abzug zu drücken. Auch dieses Mal reagierte ihr Körper schneller, als sie selbst realisieren konnte. Der Angriff des Baseballschlägers erfolgte schnell. Schneller als der Abzugsfinger des Mannes. Das Knacken von Knochen erschütterte die Umgebung, folgend ein lautes Aufheulen und ein metallisches plumpes Geräusch. Blut verteilte sich auf dem Feldweg. Die Hand des Mannes wurde schwer getroffen. Ein zweiter Schlag folgte und traf leicht den rechten Oberschenkel des Mannes. Ein lauter Schrei folgte. Der Mann wich humpelnd zurück. Zitternd hob er seine verletzte Hand. Unbarmherzig holte die Mantelträgerin erneut aus, bevor sie die Granate vor ihr auf dem Boden realisierte. Ein Lichtblitz zuckte durch die Luft. Ein wenig benommen davon taumelte sie zurück.   Es dauerte wenige Minuten, bis die Angreiferin wieder sehen konnte, wenn auch nur schwach. Die Frau streckte ihre freie Hand aus. Ein rotes Licht entschwebte ihrer Handfläche und schoss in den Wald. Die Frau sprintete ihm, trotz mangelndem Sehvermögen, hinterher. Sie holte ihren Gejagten langsam ein, der immer noch einige Meter entfernt vor ihr war. Der Angeschlagene humpelte durch den Wald, während er knurrend seine Hand hielt. Die rötliche Magie, war im Gegensatz zu ihrer blauen Variante, der Verfolger. War ihr Ziel bekannt und dessen Route absehbar, würde die rötliche Kugel nie ihr Ziel verfehlen. Durch den leicht bergigen Wald, stürmte die Mantelträgerin mit Leichtigkeit über die sperrigen Wurzeln und den hinderlichen dornigen Büschen. Ihre sich selbst auferlegten Trainingsherausforderungen in den letzten Monaten machten sich bezahlt. Das prägnante rote Leuchten würde sie zudem niemals aus den Augen verlieren. In der Ferne nahm sie das schwere Keuchen wahr. Unbeholfen und weniger agil preschte ihr Ziel durch den Wald. Es war abzusehen, dass die dornigen Büsche oder die hervorstechenden Äste aus den umgefallenen Bäumen für Schnittverletzungen sorgen könnten. Die Verfolgerin erkannte die frischen Blutspritzer auf den Bäumen. Es war nur eine Frage der Zeit bis er fiel.   In einem günstigsten Moment, als zwischen ihr und ihrem Ziel ein gerader Pfad durch den Wald ohne Hindernisse zu erkennen war, nahm sie an Geschwindigkeit zu. Der Absprung durch ihren rechten Fuß nach vorn, ließ den Teil der massiven Wurzel, der unter ihrem Fuß war, zerbersten. Sie hielt ihren Schläger schräg nach unten, um in entsprechender Reichweite mit einem Hieb dem Verfolgten sein Ende zu bereiten. Es waren nur noch wenige Meter. Es war aussichtslos für ihn, egal wie schnell er versuchte von ihr wegzulaufen.   Sein Weg endete abrupt an einer Klippe, in die der Wald endete. Spitze Felsen ragten vor ihm aus der Tiefe des Wassers empor und würde einen Fall tödlich bestrafen. Der verwundete Mann stoppte und fiel auf die Knie. Die Ummantelte stürmte hinterher, ihren Schläger fest im Griff. Eine Melodie ließ sie jedoch erstarren. Eine einfache Melodie, dessen Abfolge jeder musikalische Anfänger in kurzer Zeit beherrschte. Diese Tonabfolge hatte sich ihr in den Kopf gebrannt. Wenn diese Melodie ertönte, dann wusste sie Bescheid. Unter keinen Umständen durfte sie zögern. Die Frau hielt inne und sie senkte ihren Schläger. Hastig zog die Verfolgerin ihr Smartphone aus der Manteltasche hervor. ʽMR. Cʼ, erblinkte als Name des Anrufers. Mit einer leichten Berührung beendete sie die Melodie und die Sorge, dass ihr Zögern den Anrufer verärgern konnte. „Boss…“, sagte die Ummantelte in einem respektvollen Ton. Das Sonnenlicht traf ihr Gesicht. Die Frau schaute zur Seite, da das Sonnenlicht in ihren Augen brannte. Der verwundete Mann vor ihr sprang in dem Moment auf, aber er reagierte zu langsam auf den schnellen Hieb gegen seinen Oberschenkel. Schreiend warf er sich wieder zu Boden. „Bist du etwa nur seine Marionette…?“, brummte der Verwundete. Er hielt sich schwer bei Bewusstsein. Mühevoll schaute der Mann zu seiner Peinigerin hoch. Völlig emotionslose Augen hielten ihn unter Beobachtung. „…ist er schon tot?“, sprach eine düsterverzerrte Stimme. Bevor die Schlägerin antwortete, rief der Verwundete dazwischen: „Spar dir deine Arroganz, ich bereue nichts! EGAL WIE ES ENDET!“ Ein Lachen war aus dem Smartphone zu hören, als die Mantelträgerin die Lautsprecherfunktion aktivierte.   „Ich habe nicht vor mich zu rechtfertigen, alter Freund. Ich möchte mich eher bedanken. Deine nette Geschichte und deine Ansichten haben tatsächlich mein Gedankenfenster erweitert. Ich hätte nicht so tunnelhaft denken sollen. Das wäre sicherlich unschön geendet. Trotz deines Verrats und dem unnötigen Stress, wie auch immer du sie verschwinden lassen hast, hast du mir sehr geholfen. Immerhin habe ich durch dich meine Pläne geändert.“ „Du wirst nicht weit kommen, man wird dich bemerken! Du bist nicht so perfekt wie du denkst, und deine Pläne sind lückenhaft!“, brüllte der Verwundete zornig, da erwiderte Mr. C laut und deutlich: „Ich bin hier fertig, Nummer Sieben. Bitte tu deine Pflicht, aber davor möchte ich meine ursprünglichen Befehle an dich ändern. Du sollst nun nicht mehr nach ihnen suchen, sie töten und meine Kristalle zurückholen. Ich möchte stattdessen, dass du zurückkommst. Ich habe deinen Lohn für deine Arbeit überwiesen. Du kannst den Auftrag den anderen überlassen, du hast deinen Teil erfüllt. Also… beeil dich!“ Die Stimme verstummte. Das Smartphone verschwand in der Jackentasche. Für einen Moment herrschte unangenehme Stille. Selbst die Möwen waren nicht mehr zu hören, die sonst wild schreiend über die Insel kreisten.   ʽDer Kodex wird eingehalten!ʼ, waren die einzigen Gedanken, die der Mantelträgerin durch den Kopf gingen, während sie schließlich mit dem Baseballschläger ausholte. Der Kodex, das einzige, an das sich die Frau hielt, stand über alles und jedem. Verräter, die seine Regeln brachen, mussten mit ihrem Leben bezahlen. Der Verwundete kniete entkräftet vor ihr, während sein Blut sich auf dem Boden verteilte. Müde sah er zu ihr hoch. „Zur Hölle mit dir“, brummte er. Der Schläger sauste schnell auf sein Ziel, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)