Das sechste Jahr von CruelLamia (Wie weit würdest du gehen, um deine Liebe zu beschützen?) ================================================================================ Kapitel 1: Feiges Opfer ----------------------- Er starrte in rotglühende Augen. Sie musterten ihn, wollten ihn der Lüge überführen. Aber er blieb standhaft. Seine Maske war hart, kalt und undurchdringbar. Sein letzter Schutz. Er musste diese roten Augen davon überzeugen, dass er es ernst meinte, dass von ihm keine Gefahr ausginge. Ansonsten wäre alles verloren.   Der letzte Schritt würde am schwierigsten sein. Er musste Schwäche zeigen. Er musste seine Schwäche zeigen. Durfte sich dabei aber nur soweit öffnen, dass nicht die ganze Wahrheit zu erkennen war.   Gleich würde ihn der Ansturm in seinem Kopf überrollen. Er bereitete sich darauf vor. Es musste überzeugend wirken. Er musste sich wehren mit der ganzen Macht, die ihm zur Verfügung stand. Diese roten Augen durften nicht nicht in seinen Kopf eindringen. Nicht gleich.   Er hatte nicht mit Schmerzen gerechnet. Falsch! Er hatte mit Schmerzen gerechnet, aber nicht, dass diese so stark sein würden. Sie vernebelten seinen Verstand, bis nichts mehr übrig war als reiner Schmerz. Er musste es ausblenden, sich konzentrieren. Sonst wäre alles umsonst gewesen. Sein feiges Opfer so sinnlos.   Vorsichtig ließ er einen kleinen Riss in seine Deckung. Er war winzig, kaum zu sehen, noch weniger zu spüren, aber die roten Augen hatten die Schwachstelle entdeckt und bombardierten sie. Sein Schutzschild wurde immer dünner.   Er durfte nicht zu ungeduldig werden. Sein Widerstand musste überzeugend sein.   Rote Augen glühten in seinem Schädel, brannten ein Loch in seine Seele, versuchten den Widerstand zu brechen, sich unberechtigter Weise Zugang zu seinen Erinnerungen zu verschaffen, zu seinen Gedanken, seinen Gefühlen – der Wahrheit.   Jetzt!   Feine Risse bildeten sich auf dem Schild, der sein Inneres abschirmte. Sie verästelten sich zu einem filigranen Muster, das sich weiter und weiter ausbreitete. Das Netz verdichtete sich. Und plötzlich zersprang der Panzer. Die schwebenden Splitter glitzerten, fingen das Licht seiner reinen Seele ein und reflektierten dieses in den schönsten Farben des Regenbogens.   Blutrote Augen verfolgten diese zerstörerische Szene, leuchteten bei dem Anblick des zerbrochenen Jungen. Das Rot begann sich in den Splittern zu spiegeln. Nach und nach wurde das Licht durch Blut ersetzt. Und als endlich alle Scherben den Tod eingefangen hatten, fielen sie in sich zusammen. Und die Seele des Jungen war frei und ungeschützt.   *Legilimens*   Harry lag auf seinem Bett in dem kleinen Zimmer, das früher einmal Duddleys kaputtem Spielzeug vorbehalten gewesen war, und starrte an die Decke. Ein Bein ließ er baumeln und scharrte dabei über den bereits abgenutzten Teppich.   Er dachte nach. Das neue Schuljahr würde bald wieder anfangen. Ein weiteres Jahr, indem er ständig auf der Hut sein müsste, nicht einem wahnsinnig gewordenen, machtgierigen und eigentlich schon mehrfach vernichteten Zauberer schutzlos ausgeliefert zu sein.   Aber da hatte er keine Wahl.   Der Orden des Phönix hatte immer noch nicht herausfinden können, wo Voldemort sich versteckt hielt. ‚Und wenn sie’s wüssten, würden sie mir bestimmt nichts sagen.‘, dachte Harry verbittert.   Obwohl er schon unzählige Male gegen den Dunklen Lord gekämpft hatte, immer stärker geworden war und bessere magischen Fähigkeiten besaß als die Hälfte der Mitglieder des Ordens zusammen, behandelten sie ihn immer noch wie ein kleines Kind. Verdammt! In den 5 Jahren, in denen er bis jetzt in Hogwarts war, hatte er den verrückt gewordenen Professor Quirrell besiegt, einen Basilisken zur Strecke gebracht, gegen Dementoren und Werwölfe gekämpft, am Trimagischen Turnier teilgenommen und viele seine Mitschüler in Verteidigung gegen die dunklen Künste unterrichtet. Er hatte sogar Umbridge überlebt. Und niemals war Er-dessen-Name-nicht-genannt-werden-darf, fern. Er hatte ihn gequält, gepeinigt, verletzt und darüber hinaus mehrfach versucht, ihn zu töten. Und doch lebte er immer noch.   Aber nein! Anstatt dass er ernst genommen wurde, hörte er nur irgendwelche Ausflüchte, falsche Besorgnis und Halbwahrheiten.   „Harry, du musst dich verstecken.“ „Harry, pass bloß auf dich auf.“ „Nein, du musst wieder zu den Dursleys, damit der magische Schutz aufrechterhalten bleibt.“ „Du bist noch viel zu jung zum Kämpfen.“ „Nein, wir nehmen dich nicht mit auf die Suche nach Du-weißt-schon-wem.“   Pah! Irgendwann würde Harry seinem größten Widersacher sowieso gegenüberstehen. Er würde gegen ihn kämpfen müssen und einer von ihnen wird sterben. So lautete die Prophezeiung. Und dann – da war er sich absolut sicher – würde niemand mehr auf sein Alter Rücksicht nehmen. Sie würden ihn nur zu gerne opfern, um sich selbst zu retten. Also warum sollte er das noch künstlich hinausziehen? Raus auf die Straße, sein Schicksal erfüllen. Töten oder getötet werden.   Welch‘ Ironie!   Wenn er bei mit den Leuten im Orden zusammen war, wurde er behandelt wie ein rohes Ei. Da war er ihr kostbarer Prinz, der vor allem Übel der Welt beschützt werden musste. Jetzt fühlte er sich eher wie Vieh, dass darauf wartete, zur Schlachtbank geführt zu werden.   Wie sehr er das alles hasste. Wie sehr er sie alle hasste.   *Occlumens*   Glühende Augen brannten sich in sein Inneres. Sie waren nicht überzeugt. Es hatte nicht gereicht.   Das hatte er auch nicht erwartet. Er musste noch ein bisschen weiterkämpfen, noch mehr Kräfte mobilisieren, sich gegen diesen stechenden Blick wehren, der unbarmherzig Stück für Stück seine Seele auseinandernahm.   *Legilimens*   Das sechste Schuljahr hatte gerade begonnen und es lief bereits jetzt nicht sehr gut für Harry. Nicht nur, dass er gleich eine Auseinandersetzung mit seinem Lieblingsfeind, Draco Malfoy, hatte, bevor sie überhaupt in der Schule angekommen waren und er diesem auch noch gnadenlos unterlegen gewesen war, – er war unvorsichtig und wurde überrumpelt – nein, es gab mal wieder einen neuen Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste. Wobei ‚neu‘ nicht ganz zutreffend war.   Es handelte sich um niemand Geringeren als Professor Severus Snape, der, aus für Harry unerfindlichen Gründen, es sich seit Harrys ersten Jahr auf Hogwarts zur Aufgabe gemacht hatte, ihm das Leben zur Hölle zu machen. Also würde er Harry jetzt auch noch sein Lieblingsfach verleiden und dafür sorgen, dass er schlechte Noten bekam.   Dazu kam noch, dass Dumbledore sich wieder einmal sehr geheimnisvoll gab. Harry musste sich irgendwelche fremden Erinnerungen über Tom Riddle anschauen. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wozu das gut sein sollte.   ‚Tom ist ein böser Junge gewesen. Verstanden!‘   Wieso dann noch Stunden damit zubringen, sich diesen Mist genau anzuschauen? Man konnte nichts ändern und die Beweggründe des Verrückten interessierten ihn nun schon mal gar nicht. Aber der Schulleiter wollte das so, also tat Harry es.   Irgendwann bekam Harry eine neue Erinnerung zu sehen, die anders war als die früheren. Es war eine von ihrem neuen Professor für Zaubertränke, Horace Slughorn – der Ersatz für Snape.   Professor Slughorn war ein merkwürdiger, gedrungener Zauberer. Er war angeblich eine Koryphäe auf seinem Gebiet, weshalb der Dunkle Lord ihn schon länger auf seine Seite zu ziehen versuchte. Dieser lehnte aber mehrfach ab und versteckte sich seither in Muggelhäusern, deren Besitzer im Urlaub waren.   Eigentlich wollte der frühere Zaubertränkeprofessor auch nicht nach Hogwarts zurück. Aber die Aussicht, den großen Harry Potter seiner Sammlung hinzufügen zu können, – ja, eindeutig merkwürdig – ließ ihn seine Meinung ändern. Natürlich musste Harry bei der Rekrutierung dabei sein. Es gab keinen besseren Lockvogel. ‚Wie war das noch mal mit dem Vieh und der Schlachtbank?‘   Diese Erinnerung war anders als die vorherigen. Sie sah seltsam aus. Wahrscheinlich manipuliert.   Endlich kam Dumbledore zum Kern des ganzen Theaters der letzten Monate. Harry sollte doch tatsächlich von dieser aufgedunsenen Spinne – eine bessere Beschreibung für diesen Mann fiel ihm einfach nicht ein – die echte Erinnerung besorgen.   Das konnte doch jetzt echt nicht wahr sein. Warum? Tom hatte doch eindeutig nach Horkruxen gefragt. Die Erinnerung war manipuliert. Also wird Slughorn dem Jungen alles über Horkruxe erzählt haben, was es zu wissen gab. Ansonsten hätte es keinen Sinn gemacht, die Erinnerung zu verändern.   Dafür diese ganzen Monate Zeitverschwendung? Er hatte sich Erinnerungen anschauen müssen, die nicht einmal für das eigentliche Vorhaben im Entferntesten sinnvoll gewesen waren und jetzt soll er weiter seine Freizeit opfern, um an eine Erinnerung zu kommen, deren Inhalt der Alte doch genau kannte? Harry war sich absolut sicher, dass Dumbledore genau über diese Horkruxe Bescheid wusste.   Was sollte das also? Beschäftigungstherapie für Harry?   Aber Dumbledore wollte es so, also tat Harry es. Wie ein braves, gut dressiertes Hündchen.   Das hatte Harry zumindest vor. Am Anfang. Aber das stellte sich als schwieriger heraus, als gedacht.   Slughorn wollte partout nicht mit ihm darüber reden und ging ihm konsequent aus dem Weg.   Harry war das aber soweit egal. Es interessierte ihn nicht wirklich und machte nur noch halbherzige Versuche, an die gewünschte Erinnerung zu gelangen. Seine Freunde nervten ihn damit, dass er sich mehr anstrengen müsste. Wenn Dumbledore die Erinnerung habe wollte, musste sie wohl sehr wichtig sein. Eigentlich hatte Harry nicht vorgehabt, den beiden überhaupt davon zu erzählen. Aber der alte Direktor hat Harry geradezu genötigt, dies zu tun. Warum, konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen.   Eines Abends verließ er den Gemeinschaftsraum mit der Ausrede noch einmal mit dem Zaubertränkeprofessor sprechen zu wollen. In Wirklichkeit wollte er aber bloß vor seinen beiden Freunden flüchten, die sich mal wieder gegenseitig ankeiften und sich zeitgleich schmachtende Blicke zuwarfen. Sowohl Ron als auch Hermine waren nicht in der Lage, ihre Gefühle dem jeweils anderem zu gestehen. Harry konnte sich im Moment dieses Drama nicht weiter antun. Er wollte allein sein.   Harry lief für eine Stunde ziellos im Schloss umher, hing seinen Gedanken nach und genoss die Ruhe.   Plötzlich wurde er von einem leisen Murmeln aus seinen Gedanken gerissen. Irritiert schaute Harry sich um. Er wusste nicht, wo er war. Er war so in sich vertieft gewesen, dass er nicht auf den Weg geachtet hatte. ‚So ein Mist!‘, schallte er sich selbst.   Wieder ein Flüstern. Harry versuchte die Quelle zu orten und zog sich vorsichtshalber seinen Tarnumhang um. Man konnte nie wissen, was einen erwartete.   Er ging leise in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Hinter einer Ecke sah er sanftes Licht durch ein Türspalte dringen. Die Tür war nicht geschlossen, war vielleicht wieder aufgesprungen, nachdem jemand sie fest hatte zuschlagen wollen.   Bemüht keine Geräusche zu machen, schlich er näher an den schmalen Spalt heran. Harry konnte nun ein Stück in den Raum sehen. Jemand hockte auf dem Boden, aber man konnte nicht erkennen, wer es war. Er unterdrückte den Impuls die Tür weiter aufzumachen, sonst würde er sich verraten.   Immer mal wieder wurde ein Zauberspruch gesprochen, aber so leise, dass Harry nichts verstehen konnte. Auch die Farbe der Zauber ließen keinen Rückschluss auf ihre Identität zu. Es waren unterschiedliche violette Schattierungen. Noch nie hatte er einen Zauber in dieser Farbe gesehen.   Weiter passierte nichts. Wer auch immer es war, er tat nichts Verbotenes. Harry wollte sich gerade wieder abwenden als die Person ihre Arme nach vorn streckte.   Er sah noch mal genauer hin und ihm stockte der Atem. Er wusste, wer das war, konnte diejenige an ihren langen, feingliedrigen Fingern erkennen. Niemand, den er sonst kannte, hatte so elegante Hände. Aber was ihn wirklich schockierte war das, was er auf dem linken Arm entdeckt hatte. Fast höhnisch sprangen ihn die Schlange und der Totenkopf entgegen.   ‚Nein! Nein, nein, NEIN! Nicht sie. Wieso sie?‘ Das konnte doch einfach nicht wahr sein. ‚Sie ist ein Todesser? Seit wann? Warum?‘ Er konnte nicht mehr klar denken. Mit aller Macht hielt Harry sich am Türrahmen fest, weil seine Beine ihm den Dienst versagen wollten. Ihm war schlecht. Er wollte nur noch hier weg, aber das Zittern ließ ihn keinen Schritt machen. Kalter Schweiß lief ihm den Rücken runter und in seinem Kopf pochte ein unbeschreiblicher Schmerz. Sein Herz verkrampfte sich, schlug so schnell als wollte es aus seiner Brust springen, um dann in tausend Stücke zu zerfallen.   ‚Warum ausgerechnet sie?‘   Er mobilisierte seine letzten Kräfte, um von dort zu verschwinden, bevor er zusammenbrechen würde. Denn das würde er auf jeden Fall, das wusste er. Es war unausweichlich. Aber nicht hier. Nicht vor ihr.   Er rannte.   Harry konnte nicht sehen, wo er hinlief. Tränen trübten seinen Blick. Er rannte die Gänge entlang, wich umherschwebenden Geistern aus, lief um diese Ecke, kreuzte die nächste Abzweigung, stürmte Treppen hoch oder flog sie scheinbar hinunter. Immer weiter. Einfach nur immer weiter. Weg!   Der Boden unter ihm war plötzlich weicher. Er musste irgendwie aus dem Schloss gelangt sein. Aber es war noch nicht genug. Er rannte immer noch weiter.   Plötzlich hielt ihn etwas am Fuß fest und er stürzte der Länge nach hin. Im letzten Moment konnte er sich gerade noch mit seinen Händen abfangen.   Harry schaute zurück und wollte den anschreien, der auch immer ihn festgehalten hatte, als sein Blick auf der Wurzel hängen blieb, über die er gestolpert war. Wütend schaute er sie an und versuchte sie mit seinen Blicken zu verbrennen. Aber diese tat ihm den Gefallen nicht. Beinahe trotzig blieb sie an Ort und Stelle, rührte sich nicht.   Er holte seinen Zauberstab heraus. „Inflammare!“ und schon hatte ein einziges Wort geschafft, woran sein Blick gescheitert war. Diese dreiste Wurzel stand kurz in Flammen, bis sie schnell von der Hitze aufgezehrt war und nun von sanften Winden als Asche davongetragen wurde.   Jetzt konnte er nicht mehr an sich halten. Es war ihm egal, wer ihn sah oder wer ihn hörte. Harry schrie seinen Schmerz in die Nacht hinaus. Tausende Vögel flogen aufgeschreckt aus den Bäumen des Verbotenen Waldes, bedeckten mit ihren schwarzen Schwingen die Sterne und den Mond und ließen die Nacht von einer alles verzehrende Dunkelheit verschlingen, so düster wie die Gedanken des Jungen, der eigentlich ein strahlender Held sein sollte.   Der Schrei hatte Harrys letzte Kraft verbraucht. Nun saß er an einen Baum gelehnt und ließ die Tränen stumm über seine Wangen strömen. Seine Arme schlang er um seine Beine und versuchte krampfhaft das Zittern zu unterdrücken.   ‚Nein, nein, nein, nein, nein, nein, …‘ Immer wieder. Er versuchte mit aller Macht die Bilder zu verdrängen, wollte nicht glauben, was er gesehen hatte. Es durfte einfach nicht wahr sein. Wie konnte das bloß passieren? Was hatte er verbrochen, dass er das verdient hatte?   Der Schmerz fraß sich weiter in seine Seele, in sein Herz. Er liebte sie doch so sehr. Und genau das war es gewesen, was ihn bisher hatte durchhalten lassen, woran er sich festgehalten hat. Dass er, obwohl ihm so viele schlimme Dinge widerfahren sind, so viele Menschen bereits seinetwegen gestorben waren, seine Eltern, Cedric, Sirius, dass er immer noch lieben konnte. Auch wenn sie seine Gefühle niemals erwidern würde.   Sie standen auf unterschiedlichen Seiten. Er hatte es gewusst und stumm hingenommen, hatte es still akzeptiert. Es spielte einfach keine Rolle, weil er davon ausgegangen war, dass sie sich nie im Kampf gegenüberstehen würden. Aber nun hatte dieses dämliche Mal alles verändert. Er wusste, dass sie dazu bestimmt gewesen war, es eines Tages zu bekommen. Schließlich bestand ihre ganze Familie aus Todessern. Aber er hatte gedacht, dass noch Zeit bliebe.   Was für ein Idiot er doch war. Er hätte es sich denken können, hätte es wissen müssen. Immerhin wurde schon länger gemunkelt, dass jetzt auch schon minderjährige Zauberer das Mal empfangen würden. Und trotzdem hatte er es ignoriert. Hatte nicht mal an die Möglichkeit denken wollen. Vielleicht hatte er es einfach nicht wissen wollen. Denn die süße Unwissenheit war besser als die grausame Realität, der er sich jetzt stellen musste.   Beim großen Endkampf zwischen Voldemort und ihm wird sie in seinen Reihen kämpfen und bei seinem zweifelhaften Glück, würde er irgendwann genau ihr gegenüberstehen. Er könnte sie nicht angreifen. Das würde sein Verhängnis werden.   Voldemort würde seine Schwäche erkennen und diese sofort gegen ihn verwenden. Er würde sie, ohne zu zögern, foltern und töten und damit Harry zerbrechen. Sie würde seinetwegen leiden, obwohl sie nicht mal davon gewusst hätte.   Voldemort bräuchte keinen Todesfluch mehr auf ihn zu schicken, denn sein gebrochenes Herz würde ihn in den Tod reißen.   Vielleicht sollte er sich einfach auf der Stelle selbst umbringen. Er würde vielen Menschen damit einen Gefallen tun, vielleicht sogar viele Leben retten. Wer weiß, wie viele noch werden sterben müssen, nur weil er lebte. Sein Leben war doch absolut wertlos.   Mit diesen Gedanken stand er auf und ging zurück ins Schloss. Wie in Trance ging er langsam die dunklen Gänge entlang, die Treppen hinauf. Immer weiter. Bis hinauf in den Astronomieturm.   Wenn er tot wäre, würde sie ganz sicher überleben. Für sie gäbe es dann keinen Grund zu kämpfen. Vielleicht konnte sie ja ein ganz normales Leben führen, wenn Voldemort sein Ziel erreicht hatte. Sie hätte die Möglichkeit dazu. Sie hatte eine Familie, die sie liebte. Er, Harry, hatte nichts.   Er kletterte auf das kleine Geländer und sah nach unten.   Plötzlich sah er sich dort unten liegen. Seine Kleider zerfetzt, in seiner Haut klafften großen Male verrottenden Fleisches, durch welche sich genüsslich Maden fraßen. Krähen, Ratten und anderes Getier labten sich an seinem toten Fleisch und zerrten mit ihren Schnäbeln und Mäulern an Haut, Muskeln und Sehnen, um endlich auch seine leere Hülle vom Antlitz dieser Erde zu tilgen.   Angeekelt drehte sich Harry ruckartig um und stürzte auf seine Knie. Er versuchte, konzentriert zu atmen, um den Würgereiz zu unterdrücken, der sich unbarmherzig einen Weg in seinen Hals bahnte.   Nein! So wollte er nicht enden. Er wollte nicht sterben. Es musste einen anderen Weg geben, sie zu schützen. Wenn sie nur auf der gleichen Seite wären, dann wäre es etwas Anderes. Aber sie waren es nicht. Sie hatte sich für die dunkle Seite entschieden und er sich für die andere.   ‚…‘   Er riss erstaunt die Augen auf. War das die Lösung? So einfach? Er müsste nicht sterben und sie würde nicht in den Krieg zwischen ihm und Voldemort verwickelt werden, wenn es keinen Krieg zwischen ihnen gäbe. Er müsste nur sie Seiten wechseln, sich Voldemort anschließen, alles verraten, woran er bisher geglaubt hatte. Könnte er das? Könnte er dem Mörder seiner Eltern widerstandslos folgen?   Die Frage war schnell beantwortet. ‚Ja! Für sie kann ich es. Für sie werde ich es. Hauptsache, sie ist in Sicherheit.‘   Würde Voldemort ihn akzeptieren? Immerhin hatte er Harry schon mal das Angebot gemacht, mit ihm auf der gleichen Seite zu kämpfen. Und er hatte abgelehnt.   ‚Aber die Umstände haben sich geändert. Ich muss es einfach versuchen. Für sie.‘ Er durfte Voldemort nicht verraten, wer sie war. Sie wäre sonst das ideale Druckmittel gegen Harry und er war sich sicher, dass Er-dessen-Namen-nicht-genannt-werden-darf keine Skrupel hätte, dieses auch in jeder erdenklichen Weise zu nutzen. Er musste also sehr vorsichtig sein.   Harry überlegte, wie er sich am besten mit seinem Erzfeind in Verbindung setzen könnte. So einfach kann er nicht aus Hogwarts weg. In zwei Wochen war das nächste Hogsmeade-Wochenende. Das müsste reichen. Bis dahin hatte er genug Zeit, sich etwas einfallen zu lassen. Und natürlich musste er sich auf das Treffen mit Voldemort vorbereiten. Er hoffte, dass er ihn nicht gleich tötete, bevor er überhaupt ein Wort sagen konnte.   Nachdem Harry diesen Entschluss gefasst hatte, wurde er langsam wieder etwas ruhiger und der Druck auf seiner Brust verschwand. Auch die Tränen waren versiegt und er konnte wieder ruhig atmen. Als er sich sicher war, dass er sich wieder im Griff hatte, stand er auf, um in seinen Schlafsaal zurückzugehen.   Er schaute noch einmal in den Nachthimmel hinauf und konnte dort noch einen einzelnen schwarzen Raben erkennen, der einsam seine Kreise zog. Kapitel 2: Locant second ------------------------ Die nächsten Tage verschanzte Harry sich in der Bibliothek. Hermine und Ron waren zunächst skeptisch gewesen, aber er brauchte ihnen nur zu erzählen, dass er seine Noten etwas verbessern wollte und schon hatte er seine Ruhe. Hermine war sofort begeistert von dieser Idee und wollte wohl nicht glauben, dass es eine Lüge sein könnte. Ron dagegen war erst sehr misstrauisch gewesen, weil Harry ja nun nicht gerade für seinen Lerneifer bekannt war. Aber nachdem er schnell das Angebot mit ihm zusammen in die Bibliothek zu gehen und mit ihm gemeinsam zu lernen, ausgeschlagen hatte, – er hätte ja wirklich ausversehen etwas lernen können – ließ er Harry doch lieber in Ruhe.   Bereits am zweiten Tag fand Harry, was er gesucht hatte. Es war nur sehr wenigen Zauberern bekannt, dass Harrys und Voldemorts Zauberstab eine Verbindung hatten. Die Kerne ihrer Stäbe bestanden aus jeweils einer Phönixfeder desselben Vogels. Aber genau diesen Umstand wollte er für sich nutzen. Es musste doch möglich sein, den Zwilling seines Zauberstabes ausfindig zu machen. Und tatsächlich fand er einen sogar ziemlich simplen Zauberspruch dafür. Eigentlich war er dafür gedacht, verlorene Socken oder Schuhe wiederzufinden. Denn manchmal verschwand einfach der linke oder der rechte, aber nie beide zusammen. Der Zauber bewirkte, dass eine magische Spur zwischen diesen beiden zueinander gehörenden Gegenständen entstand, die von verschiedenen Tieren, wie zum Beispiel Eulen oder Katzen, verfolgt werden konnten. Diese mussten aber direkt in den Spruch miteinbezogen werden. ‚Perfekt!‘, freute sich Harry. Und Hedwig würde sich auch freuen, mal wieder etwas Ausflug zubekommen. Er hatte erst überlegt, ob es wirklich eine gute Idee wäre, seine Schneeeule zu nutzen. Immerhin war Voldemort unberechenbar. Aber er sah ein, dass er auch in diesem Punkt keine andere Wahl hatte. Er musste schon von vorne herein den Beweis erbringen, dass wirklich er es war und man ihm keine Falle stellen wollte. Und so zeigte er auch, dass er es ernst meinte. Immerhin schickte er seine Hedwig, seine beste Freundin. Hoffentlich würde er das nicht bereuen.   Am folgenden Tag stand Harry sehr zeitig auf. Er schnappte sich verschiedene Sockenpaare und Schuhe und seinen Feuerblitz und schlich sich heimlich aus dem Schlafsaal und aus dem Schloss. Die Ländereien von Hogwarts waren weit und dadurch ideal, um den neuen Zauberspruch zu üben. Die eine Hälfte seiner Sachen steckte Harry in einen Sack und versteckte diesen in einem Baum in der Nähe des verbotenen Waldes, den man vom Schloss aus nicht sehen konnte. Die anderen versteckte er mit Hilfe seines Besens überall auf den Ländereien von Hogwarts. Eine Socke ließ er sogar in den Großen See fallen, wo diese prompt vom Riesenkraken verspeist wurde.   Zufrieden mit sich ging er in den Gemeinschaftsraum zurück. Nach dem Unterricht heute Nachmittag würde er mit seiner Eule zusammen den Zauber üben können und wenn alles klappte, würde er bald mit Voldemort sprechen und danach hoffentlich noch leben.   „Harry, wo warst denn?“, fragte Ron überrascht, als Harry mit seinem Feuerblitz in den Schlafsaal trat. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht, Alter! Erschreck mich doch nicht so!“ Harry setzte ein freches Grinsen auf. „Entschuldige, Ron. Ich konnte nicht mehr schlafen und da dachte ich, ich flieg noch ein paar Runden vorm Frühstück.“ „Ach so! Leg das nächste Mal doch wenigstens eine Nachricht hin. Ich dachte schon, Sonstwas ist passiert, da man dich ja normalerweise früh kaum aus dem Bett bekommt.“ „Ja, werde ich. Noch mal sorry. Wollte nicht, dass du dir Sorgen machst.“ Seine Gedanken gingen aber in eine völlig andere Richtung. ‚Ein Wunder, dass es ihm überhaupt aufgefallen ist, da er in letzter Zeit ja nur noch Augen für Hermine hat.‘   Er seufzte stumm, räumte seinen Besen an seinen Platz und ging mit den anderen Gryffindors in die Große Halle zum Frühstück. Ron und Hermine schienen sich heute ausnahmsweise zu verstehen und so verlief das Frühstück relativ ruhig. Der einzige Wermutstropfen war ein blonder Slytherin, der Harry unablässig böse Blicke zuwarf, worauf dieser aber nur genervt die Augen verdrehte, was besagten Slytherin nur noch wütender machte. Glücklicherweise hatten sie heute nicht ein Fach mit dem befeindeten Haus zusammen und so wurde der Tag noch richtig angenehm.   Nachdem die letzte Stunde – Kräuterkunde – vorbei war, schnappte Harry sich seine Sachen, verabschiedete sich hastig von seinen Freunden mit der vagen Begründung, dass er noch etwas vorhabe, und stürmte dann ins Schloss, um seine Schulsachen loszuwerden und seinen Besen zu holen. Danach rannte er hoch in den Westturm, in dem sich die Eulerei befand, wo Hedwig augenblicklich auf ihn zu geflogen kam und sich dem nach Luft ringendem Harry auf die Schulter setzte. Als Harry endlich wieder zu Atem gekommen war und überprüft hatte, dass ihn hier keine belauschte, erklärte er seiner Freundin in Ruhe, was er vorhatte. Diese drehte ihren Kopf leicht schräg und schaute ihn skeptisch aus ihren klugen Augen an. „Ich weiß, dass es ein ziemliches Risiko für uns beide ist. Aber ich habe einfach keine andere Idee, wie ich sie beschützen kann. Ich hoffe, du hilfst mir.“, flüsterte er. Hedwig knabberte wie zur Bestätigung kurz an Harrys Ohrläppchen und erhob sich dann in die Lüfte. Harry schaute seiner Freundin kurz dankbar hinterher und startete dann ebenfalls mit seinen Besen und zusammen flogen sie zu dem Baum, wo Harry seine Sachen versteckt hatte.   „Okay! Der Spruch heißt „locant second“. Die Betonung liegt jeweils auf dem „o“. Mit dem Zauberstab muss ich dabei das Unendlichkeitszeichen beschreiben, ein Wort eine Hälfte, und zum Schluss ein Schlenker nach außen. Die Bögen sollen jeweils das Tier und den Zwilling – so stand es zumindest in dem Buch – einkreisen. Erst der Helfer, dann der Gegenstand. Hmpf! Die haben glücklicherweise eine Zeichnung in das Buch gemacht. Nur die Beschreibung und ich hätte nicht gewusst, was ich machen soll.“ Er übte kurz die Worte mit der Bewegung ohne Zauberstab, bis er sich sicher war. Immerhin wollte er seine Freundin nicht ausversehen verletzen, nur, weil er zu ungeduldig war. „Wollen wir’s versuchen?“, fragte er seine Hedwig, die ihn schon die ganze Zeit gespannt beobachtete. Ein Schuhu und Harry schnappte sich seinen Zauberstab und zog aufs gerade Wohl eine Socke aus dem Sack.   „Locant second.“ Harry war sich sicher, alles richtig gemacht zu haben. Aber Hedwig sah ihn einfach nur an und schien immer noch auf etwas zu warten. Dann, als er sich schon seufzend seinen Fehlversuch eingestehen wollte und sich auf den Rasen gesetzt hatte, flog Hedwig plötzlich los. Der Junge war so perplex, dass es einige Sekunden dauerte, bis er begriff, dass der Spruch doch gewirkt hatte. Schnell schwang er sich auf seinen Besen und flog der weißen Eule hinterher.   Er hatte sie gerade eingeholt, als sie im Sturzflug auf den Boden sank und gekonnt eine Socke aus einem Gebüsch hervorzottelte. Sie flog zurück zu Harry und er nahm ihr die Socke ab. „Ja. JA! Das ist die Richtige!“ Er strahlte über das ganze Gesicht. „Das hast du wahnsinnig toll gemacht, meine Schöne. Lass uns zurückfliegen. Am Baum warten ein paar leckere Eulenkekse auf dich.“ Harry war sehr stolz auf seine Schneeeule. Und auf sich. Er hätte nicht gedacht, dass er diesen Zauber gleich beim ersten Mal hinbekommen würde. Wie leicht lernen doch war, wenn einen niemand ablenkte.   Zurück am Baum wurde Hedwig erstmal mit dem versprochenen Eulenkeks belohnt und Harry beobachtete sie aufmerksam. „Geht’s dir auch wirklich gut? Gibt es irgendwelche Nachwirkungen?“ Als Antwort wurde er in den Finger gezwickt. „Ja, ja! Schon gut.“, lachte er. „Ich will doch nur, dass dir dabei nichts passiert.“ Sie schauten sich kurz stumm an. „Lust auf noch eine Runde?“ Ein begeistert klingendes Schuhu kam als Antwort. Harry lächelte. Er hatte einfach die beste Eule, die es auf der Welt gab. „Na dann los! Aber bitte tu mir einen Gefallen und mach nicht noch mal so eine Sturzflugaktion. Nicht, dass du dich doch noch verletzt. Das würde ich mir nie verzeihen.“ Bei diesen Worten flog Hedwig auf seine Schulter, zwickte ihn kurz ins Ohrläppchen und kuschelte sich dann an Harrys Wange, bevor sie sich wieder von ihm löste und sich neben den Schuh setzte, der ihr nächstes Versuchsobjekt sein sollte.   Sie verbrachten die nächsten 2 Stunden damit, Harrys Sachen wieder zusammenzusuchen und Harry hatte so viel Spaß wie schon lange nicht mehr. Auf seinem Besen fühlte er sich frei und unbezwingbar. Der Zauberspruch gelang ihm jedes Mal und Hedwig fand immer auf Anhieb den richtigen Gegenstand. Nur bei der Socke, die der Kraken verschluckt hatte, gab’s Probleme. Der Spruch schien zwar zu wirken, weil Hedwig sich kurz in die Lüfte erhob, kreiste aber nur kurz 3 Meter über der Erde und kam dann wieder zu ihm hinunter. Aber auch das konnte er als Erfolg verbuchen. Denn so wusste Harry, falls dieser Zauber doch nicht bei seinem und Voldemorts Stäben funktionieren würde, würde seine Eule wenigsten nicht auf ewig umherirren. Jetzt hatte er nur noch 2 kleine Probleme zu lösen, bevor er seinen Plan in die Tat umsetzen konnte. 1. Er musste einen Brief an seinen Todfeind schreiben; 2. Da sein Zauberstab den Platz des Gegenstücks bei dem Spruch einnehmen musste, brauchte er einen anderen Zauberstab. Aber darüber würde er sich später den Kopf zerbrechen. Jetzt musste er sich erstmal beeilen, dass er noch pünktlich zum Abendessen kam, sonst würde er nur unnötigen Verdacht erregen.   Harry brachte seine Hedwig noch zurück in den Eulenturm und rannte dann in die große Halle. Hermine und Ron hatten sich wohl mal wieder gestritten, denn zwischen ihnen auf der Bank klaffte ein großes Loch. Seufzend setzte er sich zwischen sie und verstaute seinen Besen erstmal unter den Tisch. Unschlüssig schaute er seine beiden Freunde an und wusste nicht, was er sagen sollte oder wen er zuerst ansprechen sollte. Das laute Knurren seines Magens nahm ihn fürs Erste die Entscheidung ab. Wenn die beiden sich schon ignorierten, dann konnte er auch erstmal in Ruhe essen. Er unterhielt sich mit Dean, Neville und Seamus über die Hausaufgaben, die sie noch für morgen zu erledigen hatten und war froh, mal wieder auf andere Gedanken zu kommen.   Das Essen ging leider viel zu schnell vorbei und sie mussten zurück in den Gryffindorturm. Ron und Hermine gingen in einem größeren Abstand der Gruppe hinterher, weigerten sich aber immer noch miteinander zu reden oder wenigsten sich anzuschauen. So kam es dann auch, dass die beiden sofort in ihre Schlafsäle verschwanden und jeder seine Hausaufgaben für sich allein machte. Die vier Jungs blieben allein im Gemeinschaftsraum zurück und hatten es tatsächlich bis 22:00 geschafft, ihre kompletten Hausaufgaben nicht nur für den morgigen Tag, sondern auch schon ein paar Aufgaben, die sie für die folgende Woche aufbekommen hatten, zu erledigen. Zufrieden zogen sich dann drei der vier in ihren Schlafraum zurück. Nur einer blieb noch sitzen und meinte, er sei noch nicht müde und wolle noch etwas lesen.   Harry war froh, als er endlich allein war. Jetzt konnte er endlich diesen Brief schreiben. Er kramte einen Bogen Pergament hervor, strich ihn auf dem Tisch glatt und starrte darauf. ‚Was soll ich schreiben?‘ Unpassender Weise kamen ihm solche Begrüßungen wie „Lieber Voldemort“, „Tach auch Voldi“, „Hi Tommyboy“ oder auch „Liebster Todfeind“ in den Kopf. ‚Oh je! Wenn ich sowas schreibe, findet er eine Möglichkeit, wie er mich mit Gedanken töten kann.‘ Er hätte nie gedacht, dass es so schwer sein könnte, einen Brief zu schreiben. Er hatte ja nicht nur mit der Anrede zu kämpfen, sondern mit seinen gesamten Formulierungen. Was konnte er ihm überhaupt schreiben, was durfte er auf keinen Fall erwähnen? Es war zum Verzweifeln. Aber nach endlosen zwei Stunden, hatte er ein paar Zeilen verfasst, die hoffentlich gehen würden.   Sehr geehrter Lord Voldemort, Sehr geehrter Herr Riddle Hallo Tom, An Tom Marvolo Riddle An Lord Lord Lord Voldemort,   Sie wundern sich bestimmt, warum ich Ihnen schreibe. Ich möchte Sie um eine Unterredung bitten. Ich habe viel nachgedacht. Ich möchte mich mit Ihnen treffen. Das übernächste Wochenende Am übernächsten Samstag werde ich mich allein um Punkt 10:00 in Hogsmeade in der kleinen Gasse hinter dem Eberkopf befinden. Ich möchte mich den Ihren Todessern Ihnen anschließen. Meine Beweggründe Es hat sich viel verändert. Sie hatten mir ja bereits einmal das Angebot gemacht, mich ihnen anzuschließen. Ich hatte abgelehnt. Habe aber in der Zwischenzeit meine Meinung geändert. Keine Falle.   Hochachtungsvoll Mit freundl Harry Potter   Ja! Das würde gehen. Kurz und prägnant. Alles Weitere würden sie dann im Gespräch klären. ‚Wenn ich bis dahin überlebe.‘, dachte er verbittert. Er schrieb den Brief noch mal ordentlich ab und warf das Original in den Kamin, in dem nur noch die restliche Glut glimmte. Das Pergament nahm schnell die Hitze der Glut auf, fing Feuer und wurde von den Flammen verzehrt. Harry vergewisserte sich, dass wirklich nichts von dem Brief übriggeblieben war, was darauf hinweisen könnte, was er getan hatte oder was er noch zu tun beabsichtigte. Erst dann ging er in den Schlafsaal, versteckte den Brief in seinem Bett und fiel in einen unruhigen Schlaf.   Am nächsten Morgen wachte Harry mit Kopfschmerzen auf.  Er hatte nicht gut geschlafen und war immer wieder schweißgebadet aufgewacht. Ein Alptraum jagte den nächsten und so fühlte er sich noch viel erschöpfter als am Abend zuvor. Hinzu kam, dass er noch immer nicht wusste, wie er an einen zweiten Zauberstab kommen sollten. Er hatte überlegt, nachts sich einfach einen von seinen Freunden auszuleihen. Aber was sollte er machen, wenn sie dann aufwachten und merkten, dass 1. der Zauberstab weg war und 2. er selbst auch nicht mehr in seinem Bett lag. Wie sollte er das erklären? Er hatte natürlich auch überlegt, alle mit einem Schlafzauber zu belegen. Aber das Problem dabei war, dass er keinen solchen Zauber kannte. Nur einen Trank. Und da er nun mal keine Leuchte in Zaubertränke war, darüber hinaus keine Zutaten und keine Zeit hatte, fiel das leider auch aus. Aber eigentlich könnte er selbst einen Schlaftrank gebrauchen, so schlecht hatte er die letzten Nächte geschlafen. ‚Na klar! Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen?“, mental schlug er sich gegen die Stirn.   Es war noch sehr früh – mal wieder – und alle seine Mitschüler schliefen noch selig in ihren Betten. Harry stand leise auf, nahm seine Sachen und ging ins Bad, um sich fertig zu machen. Dass er so zeitig schon wach war, würde sein Anliegen noch glaubhafter machen. In dem Bemühen besonders bemitleidenswert auszusehen, schlich er sich aus den Turm und hinunter zum Krankenzimmer.   Madam Pomfrey sah auf, als zu so früher Stunde die Türen zu ihrem Reich geöffnet wurden. Normalerweise lagen jetzt noch alle in ihrem Betten. Neugierig legte sie ihr Buch „Heilung magischer Brüche aller Art (Herzen ausgeschlossen) für Profis“ zur Seite und wartete geduldig, bis der Besucher ihr Büro erreicht hatte. Ein völlig erschöpft aussehender Harry Potter stand ihr gegenüber, obwohl ‚stand‘ eine eher optimistische Formulierung war. Er sah aus, als würde er jeden Moment zusammenbrechen. Erschrocken rannte sie sofort zu ihm, um ihn zu stützen und auf einen Stuhl zu helfen. „Was ist denn passiert, Mr. Potter? Sie sehen ja furchtbar aus. Welchen Fluch haben sie abbekommen? War es wieder dieser Malfoy-Spross? Sie müssen endlich lernen, sich zu vertragen!“   Harry musste bei diesem Ausbruch unwillkürlich lächeln, hatte sich aber schnell wieder im Griff, bevor die besorgte Heilerin etwas bemerkte. „Nein, mich hat kein Fluch getroffen. Ich kann nur seit einigen Nächten nicht mehr richtig schlafen. Und langsam macht sich wohl der Schlafmangel bemerkbar.“ Sie schaute ihn erst skeptisch an, bevor ihr Blick weicher wurde. „Haben Sie wieder Alpträume?“ Ein schwaches Nicken war die Antwort. „Sie hätten früher zu mir kommen sollen.“ Kurzerhand machte sie auf dem Absatz kehrt, ging zu einem Schrank, vor dem sie mit ihrem Zauberstab ein paar komplizierte Schnörkel zog und leise etwas murmelte, worauf hin die Türen sofort aufsprangen. Unbeirrt nahm sie 2 Phiolen, schloss den Schrank wieder auf die gleiche Weise und ging zu Harry zurück.   Das erste Fläschchen wurde entkorkt und Harry in die Hand gedrückt. „Das ist ein Stärkungstrank, damit sie den Tag heute noch überstehen. Morgen ist ja Wochenende. Nutzen Sie die Zeit, um sich richtig zu erholen.“ Harry schüttete sich den Trank in den Rachen. Schaden würde er ihm nicht, und ein bisschen erschöpft war er ja wirklich. „Das hier ist der Schlaftrunk. Den kennen Sie ja bereits.“ Wieder dieser nachsichtige Blick. „Den nehmen Sie heute Abend vor dem Schlafengehen und morgen früh sollte es Ihnen dann wieder viel besser gehen.“ „Danke, Madam Pomfrey.“ Und er schaffte es tatsächlich, sie dankbar und schüchtern anzulächeln. „Ich werde Dumbledore informieren, dass sie wieder Alpträume haben. Viell…“ „NEIN!“ Harry riss geschockt die Augen auf. Dieser alte Mann würde am Ende noch herausfinden, was Harry vorhatte. Madam Pomfrey sah Harry irritiert an. Mit so einem Ausbruch hatte sie nicht gerechnet. „Ich meine, …“, er seufzte. „Ich will nicht, dass Direktor Dumbledore sich noch meinetwegen Sorgen machen muss. Er hat doch zurzeit sowieso genug zu tun und ich habe nur ein paar Alpträume. Die werden bestimmt bald wieder vorbei sein.“   Sie sah zweifelnd auf den sichtlich nervösen Jungen hinunter. Konnte sich aber auf sein Verhalten keinen Reim machen. Eigentlich war sie verpflichtet, Dumbledore Bescheid zu geben. Nicht nur, weil Harry wieder Alpträume hatte, sondern weil der Direktor ihr aufgetragen hatte, ihn jedes Mal zu informieren, sollte Harry ihre Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Egal, worum es ging. Aber sie mochte diesen Jungen. Und es war ihm sichtlich unangenehm. Es schien ihm wichtig zu sein, dass Dumbledore nichts davon erführe, auch wenn sie absolut nicht nachvollziehen konnte, was daran so schlimm sein sollte. Aber sie würde ihm diesen Gefallen tun. „In Ordnung. Aber nur unter einer Bedingung. Das nächste Mal suchen Sie mich bitte früher auf, wenn es wieder Probleme gibt und nicht erst, wenn sie vor Erschöpfung kaum noch laufen können.“ Harry schenkte ihr daraufhin ein zurückhalten charmantes Lächeln. „Versprochen.“ „Gut. Dann können sie jetzt wieder gehen. Und vergessen Sie nicht: ab heute Abend wird sich erholt!“   Harry lächelte sie noch einmal dankbar an und verließ dann die Krankenstation. Er musste zugeben, er hätte nicht erwartet, dass es so einfach werden würde. Klar, als sie meinte, sie würde den alten Direktor informieren, dachte Harry schon, alles ist vorbei, aber das konnte er glücklicherweise noch abwenden. Nur gut, dass die Heilerin ihn mochte und ihm vertraute. So hatte sie nicht einmal einen Diagnosespruch angewendet, um seine Behauptungen zu überprüfen. Heute Abend konnte er also seine Mitschüler betäuben, sich einen fremden Zauberstab ausleihen und seinem Todfeind einen Brief schicken, ohne dass jemand etwas bemerken würden. Ein diabolisches Lächeln stahl sich auf seine Lippen.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Der Tag verlief widererwarten ruhig. Harry war zurück im Gemeinschaftsraum der Gryffindors, bevor seine Kameraden aufgewacht waren und so hatte niemand seine Abwesenheit bemerkt. Nach dem Frühstück ging er zusammen mit Ron und Hermine – sie hatten wohl mal wieder einen Waffenstillstand – zum Unterricht. Sie hatten Verwandlung zusammen mit – wie sollte es anders sein – den Slytherins. Aber selbst Malfoy schien an diesem milden Frühlingsmorgen keine Lust zu haben, Harry zu provozieren. Und so kam der Abend ereignislos näher.   Die Gryffindors saßen fröhlich schwatzend beim Abendessen, während Harry überlegte, wie er seinen Freunden den Trank verabreichen sollte. „Harry! Wo bist du denn schon wieder mit deinen Gedanken?“, fragte Ron mit vollem Mund und Harry konnte zerkauten Rollbraten auf dessen Zunge erkennen. Angewidert drehte er sich weg. „Wäh, Ron! Kannst du nicht erst dein Essen runterschlucken, bevor du redest? Das ist so widerlich!“ Hermine war sichtlich pikiert über Rons Tischmanieren. „Mit dir rede ich doch überhaupt nicht. Also geht dich das auch überhaupt nichts an. Du musst deine Nase nicht immer in fremde Angelegenheiten hineinstecken.“ Harry rollte mit den Augen. Hatte er nicht gerade noch überlegt, dass es heute den ganzen Tag über so ruhig gewesen war? Wie ging das Muggel-Sprichwort noch mal? Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Es war Abend. Aber es gab anscheinend immer noch ein Noch-später. „Ich muss doch deine Visage ertragen, also ist es doch meine Angelegenheit. Und wenn ich wegen deines Anblicks nichts essen kann und mir kotzübel wird, habe ich ja wohl das Recht, was zu sagen.“ „ES REICHT!“, donnerte Harry. „Wir haben alle begriffen, dass ihr zwei momentan nicht miteinander klar kommt. Aber macht das gefälligst unter euch aus und zieht uns nicht mit runter. Und anstatt, dass ihr euch entweder ankeift oder anschweigt, könntet ihr mal versuchen, miteinander zu reden, so dass bei uns endlich mal wieder ein bisschen Ruhe einkehrt!“ Harry war sauer! Er wollte seine Wut über seine beiden Freunde eigentlich nicht so hinausschreien, so dass alle es mitbekamen. Aber er hatte es getan und es hat sich gut angefühlt, endlich mal seinen Frust rauszulassen; wenigsten ein bisschen von dem, was ihn in letzter Zeit beschäftigte.   Es wurde auffällig still in der großen Halle. Hermine und Ron sahen ihn nur mit weit aufgerissenen Augen und aufgeklappten Mündern an. Ihm reichte es und verließ mit schnellen Schritten die Halle und wollte sich nur noch schnell in seinem Bett verkriechen. Aber natürlich war ihm das nicht vergönnt. Noch bevor er die Treppen erreicht hatte, wurde er an der Schulter festgehalten, herumgewirbelt und gegen eine Wand gepresst. Er sah in zwei kalte graue Augen. „Was soll das Malfoy?“, fragte Harry abfällig. „Ist dir aufgefallen, dass wir uns heute Morgen nicht in den Haaren hatten und hast jetzt Entzugserscheinungen oder was?“ Der Slytherin zog seine Augen zu Schlitzen zusammen, ließ aber den kleineren Jungen nicht los. „Pah! Das hättest du wohl gerne. Im Gegensatz zu anderen, brauche ich nicht die Aufmerksamkeit, des großen Harry Potters.“ „Das sieht aber gerade ganz anders aus.“, konterte Harry kühl. Malfoy zog seinen Zauberstab und setzte seine Spitze unter Harrys Kinn. „Pass auf, was du sagst! Es könnte dir hinterher leid tun.“ Ein bösartiges Funkeln schlich sich in seine Augen. „Immerhin ist niemand von deinem Fanclub hier. Du bist mir also schutzlos ausgeliefert. Was ich nicht alles mit dir anstellen könnte. Mmmhhh!“ Ein genießerischer Ausdruck trat jetzt in sein Gesicht. „Es gibt so viele Flüche, die ich gerne mal ausprobieren würde. Du wärst dafür das ideale Versuchsobjekt.“ Malfoy blickte zufrieden auf sein verunsichertes Opfer und flüsterte ihm ins Ohr: „Na, Angst, Potter?“ Es schien, als ob er extra jedes Quäntchen Hass, das er für Harry empfand, in diesen kurzen Satz einfließen ließ. Aber Harry antwortete schon fast gelangweilt mit seinem Standardsatz für diese Situationen. „Träum weiter, Malfoy.“   In diesem Moment hörten sie, wie sich ihnen mehrere Stimmen näherten und Malfoy ließ sofort von Harry ab. „Noch mal Glück gehabt, Potter!“, flüsterte er und verschwand, bevor die Gryffindors sie beide zusammen sehen konnten. Harry wollte weg, bevor die anderen ihn sahen, doch seine Beine wollten ihm nicht gehorchen und leicht zitternd blieb er an der Wand gelehnt, bis seine Freunde ihn erreicht hatten. „Harry, was ist denn los? Ist was passiert?“, fragte Seamus sofort, der Harrys Zustand sofort erkannt hatte. „Ja.“, sagte Angesprochener widerwillig. Er hätte das ganze lieber für sich behalten, aber leugnen konnte er nichts, da man ihm offensichtlich ansah, dass etwas nicht stimmte und ihm wollte auf die Schnelle auch keine glaubhafte Lüge einfallen. „Malfoy hat mich abgefangen.“ „Oh, Mist! Was hat das Arschloch gemacht? Welchen Fluch, hast du abbekommen?“ „Es ist alles in Ordnung. Er hat nur versucht, mich einzuschüchtern. Ihr habt ihn vertrieben, bevor er irgendetwas machen konnte. Mir geht’s gut, wirklich.“ Er schaute in zweifelnde Gesichter. „Leute, es ist alles klar! Er hat mich nur überrumpelt. Es war eine anstrengende Woche und ich habe nicht sehr gut geschlafen in letzter Zeit und habe einfach nicht aufgepasst. Er hat mich lediglich überrascht. Das passiert mit Sicherheit nicht noch mal.“   Mit der Erklärung zufrieden, gingen sie nun gemeinsam in den Gryffindorgemeinschaftsraum. Harry hatte sich langsam wieder beruhigt. So etwas durfte ihm nicht noch einmal passieren. Wenn er sich so überraschen ließe, würde bei seinem Treffen mit Voldemort ganz schnell von einem grünen Blitz getroffen werden. Aber eins nach dem anderen. Jetzt musste er sich erst einmal was einfallen lassen, wie er seinen Freunden den Schlaftrunk einflößen sollte. Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und blieb dann an einem rothaarigen Jungen hängen, der sich in einem Sessel vor dem Kamin eingerollt hatte. Ron sah sehr mitgenommen aus. Harry spürte kurz, wie sich sein Gewissen meldete. War er etwas zu hart zu dem Jungen gewesen? Er ging zu seinem Freund und setzte sich gegenüber. „Hey, Ron!“, sagte er vorsichtig. „Es tut mir leid. Ich hätte euch nicht so anfahren dürfen.“ „Schon okay, Harry!“, entgegnete dieser müde. „Du hast ja recht. Wir benehmen uns zurzeit wirklich wie kleine Kinder.“ Diese Einsicht überraschte Harry nun doch. „Ich will ihr ja sagen, was ich für sie empfinde. Ganz ehrlich! Aber ich weiß einfach nicht wie. Und ich habe Angst, dass sie mich zurückweist.“ Ron seufzte gequält und Harry konnte sehen, dass er sich eine Träne verkneifen musste. Jetzt hatte er wirklich Mitleid mit seinem Freund. Harry wusste ganz genau, wie es war, jemanden zu lieben und sich sicher zu sein, niemals eine Chance auf ein gemeinsames Glück zu bekommen. Aber Ron hatte sie. Da war sich Harry sicher. Man konnte den beiden schließlich ansehen, was sie füreinander empfanden. Und da hatte er plötzlich eine Idee. Es war perfekt! Es würde Ron und Hermine näherbringen und ihm gleichzeitig bei seinen Plänen helfen. „Warum fragst du sie nicht einfach, ob sie mit dir nächsten Samstag nach Hogsmeade geht? Ich werde mir etwas einfallen lassen, warum ich keine Zeit habe, und ihr könntet endlich mal in Ruhe reden.“ Ron war bei diesen Worten hellhörig geworden und strahlte Harry nun aus großen Augen an. „Das wäre wirklich in Ordnung für dich? Ich meine, wir vernachlässigen dich ja ohnehin schon sehr.“ Jetzt musste Harry laut lachen. „Mach dir deswegen mal keine Sorgen. 1. Ist es ja mein Vorschlag und 2. Gehe ich davon aus, dass ihr zwei, wenn ihr endlich zusammen seid, noch weniger Zeit für mich haben werdet. Aber das ist okay. Solange ihr mich nicht völlig vergesst. Und so habe ich immerhin mehr Zeit zum Lernen.“ Nun musste auch Ron grinsen und somit war es beschlossene Sache. Ron würde Hermine nach einem Date fragen und Harry konnte sich unauffällig zu seinem Treffen mit Voldemort begeben.   „Na, habt ihr euch wieder vertragen?“, fragte Neville, der sich sichtlich freute, dass wenigsten ein Streit geklärt war. Dieser ruhige, schüchterne Junge, mochte einfach keine Auseinandersetzungen. „Jupp, alles geklärt.“, sagten die beiden Freunde gleichzeitig. „Na wenn das kein Grund zum Feiern ist.“, setzte Dean nach. „Ja, das würde ich auch so sehen.“, kam jetzt auch Seamus dazu. „Ich habe noch ein paar Flaschen Butterbier in unserem Schlafraum. Die würde ich zur Feier des Tages sponsern.“ Harrys Augen leuchteten auf. Hatte er gerade eine verdammte Glückssträhne? „Na dann wäre das doch geklärt!“ Seamus stand auf und scheuchte seine vier Freunde in ihren gemeinsamen Schlafsaal.   Seamus hatte leicht untertrieben mit seinen „paar Flaschen“, wie Harry überrascht feststellte. Das war genug Butterbier, um das ganze Wochenende im Rausch zu verbringen und das will was heißen, wenn man bedenkt, dass da kaum Alkohol enthalten ist. Im Nachhinein hätte er sich aber auch dafür schlagen können, dass er nicht auf die Idee gekommen war, einfach alle betrunken zu machen. Aber praktisch war es schon. So brauchte er weniger von dem Trank für jeden, da Alkohol die Wirkung des Trankes verstärken würde. Ja, er hatte wirklich mal was in Snapes Unterricht gelernt. Egal welchen Trank du einnehmen willst, nie zusammen mit Alkohol. In den meisten Fällen kommt es nur zu einer Verstärkung der Wirkung, weil Alkohol den Kreislauf anregt, aber er könnte auch unter Umständen mit dem Trank reagieren und seine Wirkung pervertieren. Und was dann dabei herauskommen könnte, mochte man doch lieber nicht austesten.   Es wurde immer später und die 5 Freund schwatzten fröhlich und alle schienen ihre Sorgen, was Liebesleben und Schularbeiten anging, vergessen zu haben. Soviel Glück hatte Harry natürlich nicht. Im Moment konnte er es sich nicht leisten, sich gehen zu lassen. Immerhin hatte er noch eine Aufgabe zu erfüllen. Und darum musste er sich jetzt langsam mal kümmern. Er beobachtete seine Freunde genau und wartete den richtigen Zeitpunkt ab. Fast gleichzeitig hatten sie ihre Gläser geleert. Perfekt. Harry stand auf und holte eine neue Flasche. Er goss sich sichtbar einen ordentlichen Schluck ein und füllte die angebrochene Flasche dann flink und unbemerkt mit dem gelblichen Inhalt der kleinen Phiole auf. Er schwenkte die Flasche ein paar Mal, damit sich der Trank gut verteilen konnte und ging dann zu seinen Freunden, die so in ihr Gespräch vertieft waren, dass sie von all dem nichts mitbekommen hatten.   Ja, er hatte ein schlechtes Gewissen als er seinen Freunden das mit Schlaftrunk versetzte Butterbier einschenkte. Ja, er fühlte sich mies, als er sich wieder auf seinen Platz setzte und gespannt die kleine Gruppe beobachtete, die nichts ahnend und ihm vertrauend aus ihren Bechern tranken. Und ja, er wusste, dass er einen Schritt zu weit gegangen war, als vier jung Zauberer bewusstlos zu Boden sanken. Aber nein, er hatte keine andere Wahl gehabt. Er hatte sich entschieden.   Jetzt musste er nur noch überlegen, wessen Zauberstab er sich ausleihen sollte. Das war gar nicht so einfach, denn keiner glich seinem auch nur ansatzweise. Sein Stab bestand aus Stechpalmenholz. Nevilles und Seamus‘ aus Kirschholz, Rons aus Weidenholz und Deans‘ aus Mahagoni. Und auch keiner von ihnen hatte eine Phönixfeder als Kern. Also würde er es so machen, wie ihm es Ollivander damals gezeigt hatte. Und der Stab, mit dem er am wenigsten Schaden anrichtete, der sollte es werden.   Als erstes ging Harry zu Ron, atmete einmal tief durch und nahm den fremden Zauberstab in die Hand und begann, ihn zu schwingen. Ein roter Blitz zuckte aus der Spitze und traf die gegenüberliegende Wand. ‚Okay, das wird er wohl nicht.‘ Der nächste war Nevilles. Dieser Versuch endete damit, dass alle Gegenstände in diesem Raum anfingen zu zittern und Harry den Stab lieber sofort fallen ließ, um Schlimmeres zu vermeiden. Nun würde er Deans testen. Zweifel machten sich in Harry breit. Was, wenn nun kein Zauberstab geeignet war? Bei dem Versuch mit einem störrischen Stab, könnte er Hedwig verletzen oder/und seinen Zauberstab zerstören. Es musste einfach ein geeigneter dabei sein. Er nahm Deans Stab in die Hand. Das dunkle rotbraune Mahagoni war glattpoliert und schimmerte sanft. Der Stock war elastisch und 10 Zoll lang. ‚Einhornhaar‘, glaubte Harry, sich zu erinnern. Er schwang kurz das Holz und aus seiner Spitze brach ein sanftes Licht hervor, das ihn einhüllte und wärmte. Er fühlte sich geborgen. Auch wenn er nicht verstand, warum das so war. Aber es spielte auch keine Rolle. Der Zauberstab hatte ihm seine Zustimmung gegeben, ihn für heute Nacht, aber nur für heute Nacht zu nutzen, damit er seine Liebe beschützen konnte.   Das Licht verblasste und Harry war unglaublich erleichtert. Jetzt konnte er den Zauber wirken, der Hedwig hoffentlich erlaubte, seine Nachricht zu überbringen. Er holte schnell den Brief, verstaute die Karte des Rumtreibers und Deans Zauberstab, warf sich den Tarnumhang über, ignorierten das verschlafene Protestgemurmel der fetten Dame, als er durch das Portraitloch schlüpfte, und lief schnell zur Eulerei.   Sein Glück sollte noch die restliche Nacht anhalten, denn er begegnete niemanden auf seinem Weg. Auch war niemand auf oder in der Nähe des Turms, wie er seiner Karte entnehmen konnte. So war er auch vor unliebsamen Überraschungen sicher.   Hedwig war sofort hellwach als sie ihr Herrchen wahrnahm und flatterte sofort auf seine Schulter. „Hallo, meine Schöne!“, sagte er leise und genoss für einen Moment ihr weiches Gefieder an seiner Wange. „Es ist soweit. Bist du bereit?“ Ein zustimmendes Schuhu war die Antwort. „Du musst sehr vorsichtig sein. Ich glaube zwar nicht, dass er dir etwas tut, immerhin wird er viel zu neugierig sein, was ich von ihm will, aber mach dich darauf gefasst, dass er dich nicht wieder zurückfliegen lässt. Aber sei geduldig. Wenn alles gut läuft, hole ich dich in einer Woche wieder ab. Ich bin dir sehr dankbar, meine Schöne, dass du Risiko für mich auf dich nimmst.“ Er streichelte ihr noch kurz über die weißen Federn und wurde mit einem sanften Zwicken ins Ohr belohnt. Dann holte er die beiden Zauberstäbe heraus. Vorsichtig legte er seinen auf den Boden und Hedwig setzte sich daneben. Er holte den Brief heraus, überflog noch einmal die wenigen Worte, die so wichtig waren und befestigte ihn an das Bein, welches seine Eule ihm entgegenstreckte.   Er schloss die Augen und konzentrierte sich. Das hier war zu wichtig. Deans Zauberstab lag warm und ruhig in seiner Hand und wartete auf seinen Einsatz. Harry musste sich auf die Phönixfeder als Kern eines Zauberstabs konzentrieren. Sonst würde seine Schneeeule womöglich noch direkt zu Fawkes fliegen. Zu Dumbledore. Mit dem Brief. Na und? Dann könnte er sich immer noch herausreden, dass er eine Idee gehabt hatte und diese erstmal testen wollte. Der alte Mann würde ihm eh glauben. Zumal er schon vor Monaten darum gebettelt hatte, bei der Suche nach Voldemort mithelfen zu dürfen. Es wäre also glaubwürdig. Er hoffte, dass er es nicht austesten musste.   Es war soweit. Harry öffnete seine Augen, nickte seiner Hedwig noch einmal zu, lächelte sie zuversichtlich an, hob den geborgten Zauberstab und sprach: „Locant second!“ Es war perfekt. Er konnte direkt spüren, wie sich die Worte mit seinen Handzeichen verbanden, sich um seinen Stab und seine Eule legten und der Zauber sich ausdehnte, immer weiter, um sein Ziel zu suchen, um seine Aufgabe zu erfüllen. Ein paar Minuten stand er einfach nur da und genoss dieses Gefühl. Dann hörte er ein Schuhu von seiner Freundin, die vom Boden abhob, noch eine Runde um Harry flog und dann in den Nachthimmel verschwand, um seinen Brief an seinen Bestimmungsort zu bringen.   An Lord Voldemort,   am übernächsten Samstag werde ich mich allein um Punkt 10:00 Uhr in Hogsmeade in der kleinen Gasse hinter dem Eberkopf befinden. Ich möchte mich Ihnen anschließen. Keine Falle.   Harry Potter   Zwei Raben mit großen schwarzen Schwingen begleiteten die schöne Schneeeule ein Stück auf ihren ungewissen Weg. Kapitel 3: Vorbereitungen ------------------------- Harry hatte es tatsächlich geschafft. Der Suchzauber auf seinen Zauberstab hatte funktioniert. Davon war er überzeugt. Seine Hedwig konnte nun den Brief überbringen. Damit hatte er innerhalb von nur ein paar Tagen geschafft, was dem gesamten Orden des Phönix‘ in anderthalb Jahren nicht gelungen war. Er hatte Voldemorts Versteck ausfindig gemacht. Hätten sie ein bisschen Vertrauen in Harry gehabt und hätten seine Hilfe angenommen, wer weiß… Vielleicht hätten sie den Dunklen Lord schon vor Monaten gefunden. Und vielleicht wäre dann jetzt schon alles vorbei gewesen. Sie hätte kein Todesser werden müssen. Aber die Ignoranz und der Mangel an Vertrauen der Ordensmitglieder Harry gegenüber hatte das verhindert. Sie hatten ihn unterschätzt, jetzt müssten sie mit den Konsequenzen leben.   Aber noch müsste er abwarten. Bis zu dem Treffen war noch eine Woche Zeit. Zu viel Zeit für Harrys Geschmack. Er hätte das Treffen lieber schon hinter sich. Jetzt sollte er sich wohl als erstmal um den Zustand des Jungenschlafsaals kümmern. Er hatte dort ein ziemliches Chaos hinterlassen. Harry nahm seinen Zauberstab wieder an sich, verbarg sich unter seinem Tarnumhang und schlich zurück in Gryffindor-Turm. Das Schwierigste an diesem Unterfangen war, die Fette Dame, die in ihrem Gemälde übertrieben laut vor sich hin schnarchte, zu überzeugen, ihn wieder hineinzulassen. Harry wusste, dass sie wach war.  Sie war nur beleidigt, weil er sich mal wieder nachts hinausgeschlichen hatte. Es kostete ihn eine weitere halbe Stunde, bis sie endlich bereit war, ihn wieder hineinzulassen, allerdings nicht ohne ihm das Versprechen abzunehmen, dass er zu ihrem Konzert kommen würde, das sie zusammen mit ein paar Gemälden im zweiten Stock plante, darunter auch eines mit Harfe spielenden Wichtel. Wer denkt sich denn bitte so etwas aus? Harry hoffte einfach, dass die Natur der Wichtel auch in einem Bild durchkommen würde und das ganze Unterfangen in einem Desaster endete, bevor er an diesem Konzert wirklich würde teilnehmen müssen.     Im Schlafsaal angekommen, ließ er erstmal seine schlafenden Freunde zu deren Betten schweben. Flüsternd sprach er die Reparaturzauber. Schnell sah alles wieder so aus wie vorher und nichts erinnerte mehr an die Zauberstabtests, die er noch vor einer Stunde hier gemacht hatte. Er spülte noch schnell die Gläser aus, um den Rest des Schlaftrunks zu vernichten, füllte sie aber gleich wieder mit Butterbier auf, sonst wäre es zu auffällig gewesen. In seiner Tasche wurde es warm. Der geliehene Zauberstab wollte zu seinem Besitzer zurück. Harry nahm ihn in die Hand und einem inneren Impuls folgend, führte er den Stab an seine Lippe und küsste sanft das dunkle Holz des Griffes. „Danke!“, murmelte er noch und legte den Stab behutsam neben Dean Thomas. Am liebsten hätte er sich umgezogen, aber er sollte am nächsten Morgen wohl besser in dem gleichen Zustand aufwachen, wie seine Kameraden. Also legte er sich widerwillig mit Sachen ins Bett. Er ließ noch einmal den Tag Revue passieren, lachte leise über sein unverschämtes Glück und fiel dann schnell – auch ohne Schlaftrunk – in einen traumlosen Schlaf.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Am nächsten Morgen wurde er von einem lauten Poltern und anschließendem schmerzvollen Stöhnen geweckt. Verschlafen öffnete er die Augen und konnte schemenhaft erkennen, dass Neville aus seinem Bett gefallen war. „Wie spät ist es?“, kam es gequält aus der anderen Ecke des Zimmers. Die Stimme hörte sich verdächtig nach einem heiseren Seamus an. „Müsst ihr so laut sein?“ Rons Protest wurde von einem durchs Zimmer geworfenem Kissen begleitet. „Es ist gleich zehn.“, beteilige sich jetzt auch Dean an der recht wortkargen Unterhaltung. Von Neville war nur ein Wimmern zu hören. Hoffentlich hatte sich der Junge bei dem Sturz nicht verletzt. Bei so einem Tollpatsch konnte man ja nie wissen. Harry setzte seine Brille auf und nach ein paar Mal zwinkern konnte er auch wieder klare Konturen erkennen. Neville saß an sein Bett gelehnt und hielt sich stöhnend den linken Arm, auf den er wahrscheinlich gefallen war. Kein Blut. Also konnte es nicht so schlimm sein. Harry packte seine Brille wieder auf seinen Nachttisch. „Seid leise! Ich will weiterschlafen!“ „Nee, wir müssen hoch, sonst verpassen wir das Frühstück!“ Seamus‘ Worte wirkten auf Ron, wie ein Zauberspruch. Denn kaum waren die Worte „Frühstück“ und „verpassen“ in einem Satz gefallen, sprang der rothaarige Junge aus seinem Bett und war prompt im Bad verschwunden. Nun kamen auch die anderen Gryffindors langsam in die Gänge, nur Harry weigerte sich vehement, ihnen zu folgen. Er brauchte unbedingt noch etwas Ruhe nach dieser langen Nacht. Aber die bekam er nicht.   Nachdem seine vier Freunde sich frisch gemacht und umgezogen und endlich den Schlafsaal verlassen hatten, schaffte es Harry einfach nicht wieder, einzuschlafen. Er wurde irgendwie unruhig. Die letzte Woche hatte er mit den Vorbereitungen verbracht, um mit Voldemort Kontakt aufzunehmen. Er war also die ganze Zeit beschäftigt gewesen. Was sollte er nun tun? Er konnte nicht nur rumsitzen bzw. rumliegen und abwarten. Da würde er wahnsinnig werden. Seufzend stand er auf. Er würde also damit beginnen, zum Frühstück zu gehen.   In der Großen Halle wurde er schon übermäßig freudig von seinen Freunden begrüßt. „Na! Hste s dir dch nch nders uberlecht?“ Ron würde es wohl nie schaffen, erst zu schlucken und dann zu sprechen. Harrys Antwort bestand aus einem dumpfen Grummeln und genervten Blick, während er sich auf seinen Platz zwischen Ron und Hermine setzte. Letztere schaute ihn nur missbilligend an. Die anderen hatten ihr wohl schon erzählt, dass sie am Abend zuvor zu tief ins Glas geschaut hatten. ‚Nur gut, dass sie den Rest nicht kennt. Sonst würde sie mich mit ihren Blicken töten.‘ Er sah seine Freundin entschuldigend an, deren Blick sofort ein bisschen nachsichtiger wurde. Woran lag es eigentlich, dass ihm nie jemand lange böse sein konnte? Er zuckte mental mit den Schultern und machte sich fast ausgehungert an sein Frühstück.   Plötzlich hatte er das Gefühl, mit einem glühenden Speer durchbohrt zu werden. Er sah von seinem Essen auf, direkt in zwei graue Augen, die ihn mit deutlichem Missfallen musterten. ‚Was habe ich denn nun schon wieder gemacht? Ah! Wahrscheinlich geatmet.‘ Malfoy ging ihm zurzeit extrem auf die Nerven. Nicht mal in Ruhe essen konnte er, ohne dass der Slytherin versuchte, ihn zu provozieren. Da fiel Harry auch wieder ein, dass er dieses Jahr schon zweimal von Malfoy überrumpelt worden war. Ein kleines teuflisches Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Der blonde Junge sah kurz irritiert aus, bevor er wieder seine kalte Maske aufsetzte. Aber schon dieser kurze Moment reichte aus, um Harrys Laune noch etwas anzuheben; hatte er es doch geschafft, den Eisprinzen von Slytherin kurz aus der Fassung zu bringen. Und außerdem hatte dieser ihm unbewusst bei der Lösung seines derzeitigen Problems geholfen. Jetzt wusste Harry nämlich, wie er die Woche bis zum Treffen mit Voldemort effektiv nutzen konnte.   Voller Tatendrang verabschiedete sich Harry von seinen Freunden mit der Aussage, er müsste noch Hausaufgaben machen. Dessen neuerwachter Lerneifer war für seine Freunde in der Zwischenzeit nichts Neues mehr und so ließen sie ihn ohne weiteres Nachfragen ziehen. Harry hatte nicht gelogen. Als erstes ging er in ihren Gemeinschaftsraum und holte seine Schultasche, die er am Abend zuvor einfach nur abgeworfen hatte und verschwand kurz darauf in die Bibliothek. Er würde wirklich als erstes seine Hausaufgaben machen und sich dann mit seinem Privatprojekt beschäftigen. Er würde nicht mehr sehr viel Freizeit haben, aber das würde es bestimmt wert sein.   Und so verbrachte er das Wochenende und die folgende Woche. Wenn er seine Hausaufgaben erledigt hatte, recherchierte er für seine eigenen Zwecke und fast jede Nacht machte er dafür sogar einen Ausflug in die Verbotene Abteilung der Bibliothek. Seine Freunde waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um seine Veränderung zu bemerken. Das war ihm nur recht. Und auch Dumbledore konnte nicht bemerken, dass sich sein Lieblingsschüler immer mehr zurückzog. Dafür war der Schulleiter selbst zu selten anwesend. Er verschwand immer mal wieder. Das ging seit Anfang des Schuljahres so. Manchmal waren es nur ein paar Tage, manchmal sogar ein paar Wochen. Aber je weiter das Schuljahr voranschritt, umso häufiger und länger blieb der Beschützer von Hogwarts ebendiesem fern. Und wenn er dann plötzlich wieder auftauchte, wirkte er erschöpft und müde. Aber so hatte er wenigstens weniger Zeit, Harry mit diesen dämlichen Erinnerungen zu belästigen. Harry hatte nicht vergessen, dass er sich noch immer um die Erinnerung von Slughorn kümmern musste. Aber solange der Alte nicht da war, konnte Harry sich getrost Zeit lassen. Aber lange würde er das nicht mehr aufschieben können.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Die Woche ging erstaunlich schnell um und Harry wurde mit jedem Tag nervöser. Am Freitag hatte seine Nervosität seinen Höhepunkt erreicht. Natürlich ließ er sich das nach außen hin nicht anmerken, aber in seinem Inneren tobte ein Sturm, der aus seinem Gefängnis ausbrechen wollte. Er wusste genau, wenn ihn jetzt jemand nur schief anschauen würde, würde er vermutlich explodieren. Und so entschied er sich, erstmal in den Schlafsaal zu gehen, sich aufs Bett zu legen und ein paar Entspannungsübungen zu machen. Zumindest wenn er das Glück hätte, nicht dabei gestört zu werden.   Natürlich tauchte Ron nur ein paar Minuten nach ihm auf und warf sich laut stöhnend auf sein Bett. Harry war klar, dass das ein Ruf nach Aufmerksamkeit war und wenn er diesen ignorieren würde, er weiter solch versteckte nach Aufmerksamkeit heischende Versuche ertragen müsste. Also gab er sich lieber gleich geschlagen und seufzte lautlos. „Was hast du denn, Ron?“ Er bekam ein lautes, theatralisches Seufzen als Antwort. ‚Okay! Er will also meine volle Aufmerksamkeit.‘ Widerwillig stand Harry auf und setzte sich zu seinem Freund aufs Bett. Behutsam legte er eine Hand auf den Rücken des Unglücklichen und versuchte es noch mal. „Was ist denn los?“ Dann sprudelten die Worte nur so aus dem Rothaarigen heraus. „Ich trau mich nicht, Harry! Was, wenn sie doch nein sagt? Willst du nicht doch lieber mitkommen? Was, wenn wir uns wieder streiten oder nur anschweigen und feststellen, dass wir gar keine Gemeinsamkeiten haben? Was, wenn wir eigentlich nur deinetwegen miteinander befreundet sind? Sie wird mich bestimmt auslachen. ICH KANN DAS NICHT!“ Der letzte Satz klang schon richtig verzweifelt. Harry atmete einmal, zweimal, dreimal, … zehnmal tief durch. ‚Lieber auf Nummer sicher gehen, bevor ich noch etwas tue, was ich hinterher bereue.‘ „Ron! FRAG SIE EINFACH!“ Zu spät, er hatte geschrien. Wie konnte dieser kleine Vollidiot auch einen Abend vorher auf die Idee kommen, kalte Füße zu kriegen? Wollte er ihm etwa alles kaputt machen? Er konnte die beiden morgen absolut nicht gebrauchen. Dieser feige Gryffindor – nein, es schließt sich wohl nicht aus – würde ihn wirklich noch alles versauen. ‚Durchatmen!‘, ermahnte Harry sich selbst. „Du wirst es nie wissen, wenn du sie nicht fragst. Also meiner Meinung nach hast du nur die beiden Möglichkeiten. Entweder du fragst sie und hast danach Gewissheit oder du fragst sie nicht und wirst dich ewig mit der Frage ‚Was wäre, wenn…?‘ rumquälen. Ich persönlich würde die erste Variante vorziehen. Aber falls du kneifst, rechne bloß nicht mit meiner Unterstützung! Und jetzt reiß dich mal zusammen und beweise, dass der Sprechende Hut dich in das RICHTIGE HAUS GESTECKT HAT!“ Und schon wieder war er laut geworden.   Mit einer gewissen Genugtuung schaute Harry in das fassungslose Gesicht seines Freundes. Er hatte ihn noch nie angeschrien. Er hätte es vielleicht auch lieber lassen sollen, aber Merlin! Das hatte gut getan. Ron musste aufhören, wegen jeder Kleinigkeit zu ihm zu kommen und endlich lernen, Entscheidungen allein zu treffen. Dieser machte aber nicht den Eindruck, das überhaupt zu wollen. Umso überraschter war er von Rons nächsten Worten. „Es… es tut mir leid, Harry! Du hast absolut recht. Ich muss wohl einfach mutig sein und meine Zweifel überwinden. Und deswegen werde ich sofort da runter gehen und sie fragen! Danke, Harry.“   Perplex schaute Harry seinem Freund hinterher, der innerhalb von wenigen Sekunden eine 180°-Wendung gemacht hatte und nun selbstsicher in dem Gemeinschaftsraum hinunterging. ‚Vielleicht…‘, überlegte er, ‚…sollte ich ihn öfter Anschreien. Das scheint, ihm gut zu tun.‘ Endlich hatte er seine Ruhe und konnte versuchen, ein bisschen zu entspannen. Er setzte sich im Schneidersitz auf sein Bett, legte seine Hände in seinen Schoß und versuchte, seine Atmung ruhig und kontrolliert zu halten. Ein und wieder aus, ein und wieder aus.   Ein und wieder aus.   Lautes Jubelgeschrei schreckte Harry aus seiner Konzentration. Freudestrahlend kamen drei junge Zauberer in den Schlafsaal geschlendert. Vorneweg Ron mit dem breitesten Grinsen, flankiert von Dean und Seamus, die ihm immer wieder gratulierend auf die Schultern klopften. „Ich schätze mal, sie hat ja gesagt?“, fragte Harry in einer Mischung aus Freude und Resignation. „Jaaaaa, hat sie!“ Er konnte es kaum glauben, aber das Grinsen auf Rons Gesicht wurde noch breiter. „Na dann herzlichen Glückwunsch! Und vermassle es morgen nicht.“ Augenblicklich wurde der rothaarige Junge weiß wie eine Kalkwand. „Ich habe mir ehrlich gesagt, noch nichts überlegt. Es ist ja auch mein erstes Date. Ich habe absolut keine Ahnung, was man da so macht.“ Seamus lachte und schlang freundschaftlich einen Arm um Rons Schultern. „Mach dir mal keine Sorgen. Nach dem Abendessen halten wir hier oben einen Kriegsrat ab. Wir werden uns schon was Tolles, für euer erstes Date ausdenken. Nicht wahr, Harry?“ Er nickte begeistert und dachte dabei: ‚Solange es nicht in der Nähe vom Eberkopf ist, ist mir das völlig egal.‘ „Na dann wäre das ja geklärt.“, meinte Dean. „Jetzt lasst uns aber fertig machen und zum Abendessen gehen. Ich habe riesigen Hunger.“ Harry hatte irgendwie die Befürchtung, dass dieser Abend furchtbar werden würde.   Das Essen verlief erstaunlicherweise völlig entspannt. Ron und Hermine stritten sich nicht, warfen sich aber immer wieder verlegene Blicke zu. Nervig, aber dafür ruhig, ohne irgendwelche negativen Spannungen. Der Abend selbst sollte aber eine neue Zerreißprobe für den zukünftigen Verräter werden. Zu fünft – Neville war jetzt auch wieder bei ihnen – saßen sie im Jungenschlafsaal der Sechstklässler und überlegten gemeinsam, was Ron und Hermine zusammen machen könnten. Das Wort ‚Eberkopf‘ fiel genau 10mal – Harry hatte mitgezählt – auch wenn es jedes Mal nur als Scherz gemeint war, weil es dort definitiv nicht die richtige Atmosphäre für ein erstes Date oder ein zweites oder drittes oder überhaupt irgendein Date gab, so hatte er doch das Gefühl, dass diese Dementorenbrut ihn mit Absicht so quälte. Es wurde immer später und Harry fühlte sich erschöpft und ausgelaugt. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es schon nach drei Uhr morgens war. Er musste jetzt unbedingt schlafen. Er konnte es sich absolut nicht leisten, morgen müde und entkräftet zu einem Treffen mit Voldemort zu gehen. Es stand mehr auf dem Spiel als nur sein Leben. „Leute, es reicht langsam. Lasst uns schlafen gehen. Wenn Ron morgen müde und mürrisch ist, wird er alles versauen und dann hätten wir uns das alles hier sparen können.“ „Ich glaube, ich bin viel zu nervös, um zu schlafen.“ Harry stöhnte innerlich auf. Das durfte doch nicht wahr sein. Hilfesuchend schaute er zu seinen anderen Freunden, aber die schauten nur mitleidig und verständnisvoll zu Ron. Nein! Er hatte nicht vor, sich die ganze Nacht um die Ohren zu schlagen und Händchen zu halten. Wenn das die anderen machen wollten, bitte schön. Aber ohne ihn. Er musste morgen fit sein. „Ron! Versuch wenigstens zu schlafen.“, probierte er es noch einmal auf nette Art. Immerhin waren sie Freunde. Oder? „Willst du morgen dein Date vermasseln, nur weil du wegen Schlafmangel erschöpft bist?“ Merlin! Es hätte ihm nicht weniger egal sein können. Ron sah ihn einfach nur an. Seine Augen wurden immer größer und schienen beinahe aus seinen Augenhöhlen springen zu wollen. Sein Mund verzog sich zu einer entsetzt wirkenden Fratze und Harry glaubte wirklich zu sehen, wie Rons Gesicht immer grüner wurde. Beinahe schon flehentlich schaute Ron ihn mit seinen blassblauen an. Aber darauf würde er sich nicht einlassen. „Mach, was du willst, aber ich werde jetzt schlafen gehen. Ich kann nämlich kaum noch die Augen offen halten.“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, schloss Harry die Vorhänge seines Himmelbettes.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Am nächsten Morgen weckte ihn sein Wecker pünktlich um acht Uhr. Harry war noch ein bisschen irritiert aufgrund der mal wieder viel zu kurzen Nacht. Mit einem halbherzigen Schlag wollte er die Ursache seines zerstörten Friedens zum Verstummen bringen. Der wich aber gekonnt aus – immerhin hatte er jetzt über 5 Jahre Übung – und zwickte Harry dafür schmerzhaft mit seinem Schnabel in die Hand. Das hatte natürlich den gewünschten Effekt und Harry war sofort wach. Seine schmerzende Hand massierend versuchte er, sich zu orientieren. Was war heute für ein Tag und was… Ihm wurde schlagartig schlecht. Heute war es also soweit. Heute würde er sich mit Voldemort treffen. Zumindest, wenn seine Hedwig ihm wirklich den Brief hatte übergeben können – was, wenn die Zeit nicht gereicht hatte und seine Schneeeule den Dunklen Lord noch gar nicht erreicht hatte? – und dieser selbsternannte Lord bereit war, ihm zuzuhören. Immerhin konnte es ja auch sein, dass ihm nachher hinter dem Eberkopf mehrere Todesser auflauern würden und ihn schnell mit einem gezielten Fluch töteten. Er hoffte, dass der Dunkle Lord sich darüber im Klaren war, dass er, Harry, für ihn, Voldemort, lebend viel nützlicher sein konnte. Diese ganzen Gedanken halfen aber nicht dabei, ihn zu beruhigen. Im Gegenteil. Sein Bauch fühlte sich an, als würde 30 Schnatze darin eine Party feiern und seine Beine wurden definitiv die ganze Zeit von unsichtbaren Klatschern attackiert.   Eine halbe Stunde später hatte er seine Lebensgeister wieder soweit geweckt, dass er zumindest nach außen hin selbstsicher wirkte. Er ging hinunter in die Große Halle zum Frühstück, um sich ein bisschen zu stärken, aber allein bei dem Anblick von Essen wurde ihm wieder schlecht. Glücklicherweise war es noch sehr früh und die Halle dementsprechend leer, sodass niemand mitbekam, dass er sein Essen lieber mit der Gabel erstach, als es zu essen. Irgendwann gab er seinen aussichtslosen Kampf auf und entschied sich, schon mal an den Treffpunkt zu gehen. Es würde nicht schaden, wenn er ein bisschen früher auftauchte. Und gerade als er das Schloss verlassen wollte, begegnete er natürlich genau diesem einen Menschen, den er erfolgreich die letzte Woche aus dem Weg gegangen war. „Potter!“, kam es herrisch von Malfoy. Doch bevor dieser Luft holen konnte, um weiter zu reden, hatte Harry bereits das Wort ergriffen. „Ja, so heiße ich. Wärst du bitte so freundlich, mich zu entschuldigen? Ich habe bedauerlicherweise keine Zeit, dein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit zu befriedigen. Ich habe etwas zu erledigen.“ Und schon war Harry an diesem vorbei und ließ einen überrumpelten Malfoy zurück.   Eigentlich hatte Harry ja vorgehabt langsam zu gehen und so noch ein bisschen Zeit zu schinden, bis er beim Eberkopf eintraf, aber Malfoys Auftauchen hatte ihn unbewusst zu einem schnelleren Tempo getrieben. So kam es, dass er eine halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit am Treffpunkt ankam und sich seine Füße in den Bauch stand. Das war für seine Nerven nicht unbedingt förderlich, da er sich bei jedem kleinsten Geräusch gehetzt umsah.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Endlich war es soweit. In einer Minute wäre es genau 10 Uhr und dann könnte er endlich etwas tun und wäre nicht mehr zur Untätigkeit verdammt. Es wäre ihm sogar gerade egal, wenn er gegen 100 Todesser gleichzeitig kämpfen müsste, Hauptsache er könnte IRGENDETWAS tun. Auf einmal hörte er einen lauten Knall und sah erschrocken auf. Er hatte zwar damit gerechnet, dass Voldemort seine Todesser schicken würde, um ihn zu holen, aber das plötzliche Auftauchen der vier, die ihn eingekreist hatten, schockte ihn dann doch und ließ ihn kurz erstarren. Ein paar Minuten standen sie einfach nur da. Harry vermutete, dass sie auf eine Falle warteten. Er konnte deutlich die Unsicherheit spüren, die von den vier maskierten Gestalten um ihn ausgingen. Es geschah sicherlich nicht alle Tage, dass sie den Auftrag erhielten, Harry Potter – den Jungen, den Voldemort vor allen anderen tot sehen wollte – abzuholen und auch noch lebendig und unverletzt zu ihrem Herrn bringen. Letzteres war nur eine Vermutung, weil immer noch keine Zauberstäbe direkt auf ihn gerichtet waren. Und genau das gab ihm seine Selbstsicherheit zurück. Er straffte seine Schultern und sah den Todesser vor ihm herausfordernd an. Der schaute kurz zu seinen Kameraden, nickte kurz und berührte Harry dann an der Schulter.   Er konnte spüren, wie ihm der Boden unter den Füßen weggerissen wurde, sein Magen verkrampfte sich, es drehte sich alles um ihn herum und sein Kopf pochte fürchterlich. Und so schnell dieses Gefühl gekommen war, so schnell war es auch wieder vorbei und er stand wieder mit beiden Beinen fest auf den Boden. Naja! Fest war nicht ganz das richtige Wort. Seine Beine zitterten und er musste tief durchatmen, um sich nicht zu übergeben. „Scheiße!“, rief er laut. „Ich hasse apparieren.“ Von weitem konnte er eine ihm sehr vertraute Stimme lachen hören. Harry richtete sich auf und sah noch, wie sich seine vier Begleiter aus einer tiefen Verbeugung erhoben und anschließend den Raum verließen. Den stechenden Schmerz seiner Narbe versuchte er zu ignorieren. Kapitel 4: Das erste Treffen ---------------------------- Harry sah sich um. Er befand sich in einer weitem Raum mit wenigen Fenstern, die ebenso wenig Licht hindurch ließen. Die wenigen Strahlen, die ihren Weg dennoch hinein fanden, tauchten diesen Raum in ein beinahe unwirkliches Zwielicht. Es gab ein paar wenige Kerzen. Einige davon schwebten, andere steckten in Kandelabern, die aus den Wänden herauszuwachsen schienen. Die Kandelaber selbst sahen merkwürdig verformt aus, so als würde die Hitze der Kerzen beginnen, sie zu schmelzen. Aber auch das Licht der Kerzen konnten diesen Raum nicht heller machen. Alles schien von dem schwarzen Stein, aus dem dieser Raum bestand, geschluckt zu werden. Am anderen Ende der Halle stand eine Art Thron aus dem gleichen Material. Und auf diesem hatte es sich sein Todfeind gemütlich gemacht und sah Harry aus kalten Augen entgegen. Hinter ihm auf der Lehne saß seine Hedwig und für einen kurzen Moment vergas Harry den Schrecken um ihn herum und freute sich, dass es seiner Freundin scheinbar gut ging.   „Hedwig!“, rief er und sie folgte sofort seinem Ruf und setzte sich auf seine Schulter, um mit ihm zu schmusen. „Na, meine Schöne, hast du mich vermisst?“, fragte er liebevoll. Sie schuhute zur Bestätigung und zwickte ihm sanft ins Ohr. Kurz genoss er das Gefühl und wandte sich dann seinem Gastgeber zu, der das Widersehen gelangweilt verfolgt hatte.   Harry ging langsam auf ihn zu und blieb zwei Meter vor Voldemort stehen. „Danke, dass du mich empfängst.“, sagte er mit fester Stimme, die sicherer klang, als er sich selbst fühlte. Eine Weile sah Voldemort ihn einfach nur an, sagte kein Wort. In seinen Händen hielt er seinen Zauberstab und strich mit seinen dürren Fingern beinahe liebevoll über das glatte Holz. „Ich gebe zu, dass du mich neugierig gemacht hast, Harry Potter.“, sagte Voldemort mit einer Stimme, die mehr an das zischeln einer Schlange erinnerte als an die eines Mannes. „Und das nicht nur, weil du einen Weg gefunden hast, mich aufzuspüren und seit dem niemand versucht hat, meinen Unterschlupf zu stürmen.“ „Ich habe doch geschrieben, dass es keine Falle ist.“ „Pergament ist geduldig, so sagt man. Schreiben kann man viel, aber deswegen muss es noch lange nicht wahr sein.“ Der Dunkle Lord sah ihn mit undurchdringlichen Blick an. „Warum hast du um das Treffen gebeten?“ „Ich will mich dir anschließen. Das stand auch in den Brief.“ „Dein Mangel an Höflichkeit lässt sich wohl auf deine schlechte Muggelerziehung zurückführen, an der ich zugegeben nicht ganz unschuldig bin. Nur aus diesem Grund liegst du noch nicht schreiend am Boden wegen deiner Respektlosigkeit. Aber sei gewarnt, Harry, strapaziere meine Geduld nicht.“ Voldemort stand auf und ging langsam auf Harry zu, den lippenlosen Mund zu einer harten Linie gepresst.   Harry wusste, was Voldemort hören wollte. „Ich will mich… Euch anschließen, mein Lord.“ Es fühlte sich komisch an, diese Worte das erste Mal auszusprechen. Er hoffte, dass es ihm mit der Zeit leichter fallen würde. „Schon besser. Aber mich interessiert, WARUM.“ „Ich habe meine Gründe.“ Harry sah fest in die scharlachroten Augen seines Gegenübers und bereitete sich innerlich auf den Kampf vor, der gleich beginnen würde.   *Occlumens*   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Rote Augen brannten sich tief in seine Seele. Sie hatten jetzt alles erfahren. Alles, was sie wissen wollten. Bis auf eines. Sein Geheimnis. Das einzige, das er unbedingt schützen musste. Niemals! Niemals! Niemals würde er sie verraten, er würde sie nicht preisgeben. Die Augen suchten weiten, bohrten tiefer, rissen große klaffende Wunden in seinen geschundenen Geist. Und plötzlich bildete sich langsam ein Gesicht vor seinem inneren Auge; noch keine klaren Konturen erkennbar, aber es würde nicht mehr lang dauern. Siegessicher leuchteten die roten Augen auf. ‚Nein!‘ „STOPP!“, schrie er laut und sammelte seine letzten Kräfte, um den Angreifer endgültig aus seinem Kopf zu verbannen, aus seinem Geist, aus seiner Seele. Die Energie, die er dabei freisetzte, war so gewaltig, dass sie beide von den Füßen gerissen und wie bei einer Explosion durch den Raum geschleudert wurden.   Harry landete unsanft auf seinem Rücken. Es fühlte sich an, als würde alle Luft mit einem Mal aus seiner Lunge gepresst. Er war am Ende seiner Kräfte. Länger hätte er diesem Ansturm auf sein Inneres nicht standhalten können. Aber es hatte funktioniert. Es war alles so verlaufen, wie er es geplant hatte. Voldemort hatte nur die Informationen bekommen, die Harry ihm geben wollte. Mehr als nötig und damit nicht zu wenig. ‚Habe ich ihn überzeugt?‘ Nur am Rande bekam er mit, wie mehrere Todesser, alarmiert durch den Lärm, den sie am Ende ihres mentalen Machtkampfes verursacht hatten, hereingestürmt waren und nun mit gezückten Zauberstäben um Harry herumstanden.   „Es ist alles in Ordnung. Geht!“, zischte es von der anderen Seite her. Die Todesser sahen sich unschlüssig um. Harry konnte sich leicht die irritierten Gesichter unter den Masken vorstellen und musste leicht lachen. ‚Böser Fehler.‘, merkte er sofort, als sein Rücken unter der leichten Vibration seines Lachens schmerzhaft protestierte. Noch während die Todesser unsicher den Raum verließen, kam Voldemort auf ihn zu, sah ihm lange stumm in die Augen, bevor er seinem Zauberstab zog und auf Harry richtete. „Episkey.“, murmelte er und Harry bemerkte beinahe dankbar, dass sein Rücken nicht mehr schmerzte und er wieder aufstehen konnte. Und überraschender Weise tat auch seine Narbe nicht mehr weh. „Danke!“, sagte er ein wenig misstrauisch. Voldemort deutete ein Kopfnicken an und schritt dann zielsicher auf seinen Thron zu. Mit einem Schlenker seines Zauberstabs erschien direkt daneben ein gemütlich aussehender Sessel. Harry verstand das als Aufforderung und ließ sich zu allzu gerne in den bequemen Sessel fallen. Der war auf jeden Fall bequemer als der harte Steinboden.   „Ich muss gestehen, ich bin beeindruckt.“, sagte Voldemort nach kurzer Zeit. Harry sah ihn daraufhin fragend an. „Du bist viel stärker geworden seit unserer letzten Begegnung.“ Harry schnaubte abfällig. „Dumbledore tut auch sein Bestes dafür, dass ich stärker werde.“ „Du scheinst keine sehr hohe Meinung mehr von ihm zu haben.“ „Nein! Ich glaube eher, er wird langsam senil.“   Voldemort gab einen merkwürdigen Laut von sich, der weit entfernt an ein Glucksen erinnerte. „Ich bin froh, dass du dich nicht umgebracht hast, Harry. Das wäre eine absolute Verschwendung deiner Fähigkeiten gewesen. Obwohl ich dann natürlich auch nie etwas von dem Mädchen gewusst hätte. Das ist ein ziemliches Risiko von dir. Ich könnte schließlich immer noch herausfinden, wer sie ist. Aber anstatt ihr und dir all das zu ersparen, hast du dich entschieden, weiterzuleben.“ „Ja, ich bin ein Egoist. Ich lebe gern.“ Harry meinte das ernst. Er mochte sein Leben. Trotz all der Schrecken, die ihm ihm bisher widerfahren waren, liebte er das Leben und hatte vor, es so lange zu leben, wie es ihm möglich war. Der Selbstmordgedanke war eine simple Überreaktion gewesen, weil er für einen kurzen Moment einfach zu geschockt und überfordert gewesen war.   „Sag mir, wer das Mädchen ist!“, forderte Voldemort. Harry verengte seine Augen zu Schlitzen. „Das werde ich Euch ganz sicher nicht sagen. Haltet Ihr mich wirklich für so dumm? Du wirst sie gegen mich verwenden und versuchen, mich durch sie zu kontrollieren. Ich bin bereit, auf deine Seite zu wechseln. Reicht das denn noch nicht?“ Jetzt war Harry wütend und er musste sich sehr zusammenreißen, um nicht seine Kontrolle zu verlieren. Manchmal ging einfach sein Temperament mit ihm durch.   Voldemort entging nicht, dass Harry schon wieder zum Du gewechselt war. Er erwog kurz, seine frühere Drohung mit einem kurzen Cruciatus-Fluch zu unterstreichen, entschied sich aber erstmal dagegen. Im Moment wollte er eher wissen, wohin dieses Gespräch noch führen würde.  „In Ordnung... Für den Moment zumindest. Wie, glaubst du, könntest du mir von Nutzen sein?“   Harry schaute ihn irritiert an. War das nicht offensichtlich? „Das liegt ja wohl auf der Hand. Dumbledore vertraut mir zu 100 Prozent. Einen besseren Spion als mich gibt es überhaupt nicht. Auch wenn er mich häufig bei seinen Plänen außenvorlässt, weil er mich für zu jung hält, werde ich doch über das meiste informiert. Das, was ich von ihm nicht erfahre, kann ich über meine beiden Freunde in erfahren bringen. Rons Eltern und seine älteren Brüder sind ja im Phönixorden.“ Er sprang auf und lief zwischen dem Sessel und dem Thron auf und ab.   Voldemort beobachtete teils amüsiert, teils genervt das Hin und Her seines Gegenübers. „Und was kannst du mir bisher erzählen, mein bester Spion?“   Harry überging den sarkastischen Tonfall. „Ich denke, dass er weiß, dass du irgendetwas mit Horkruxen machst und auch wenn ich keine Ahnung habe, was das eigentlich ist, glaube ich, dass der Alte danach sucht. Ich soll so eine dämliche Erinnerung von deinem alten Professor Slughorn besorgen. Die, die der Alte hat, wurde manipuliert.“ Abrupt blieb Harry stehen und schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. „Mrmph! Das muss ich ja auch noch machen.“ Harry war eindeutig gestresst. Das hatte Voldemort doch schon längst in seinen Erinnerungen gesehen. Warum sollte er das jetzt noch mal wiederholen? „Außerdem ist er häufig weg und kommt immer total erschöpft wieder. Und wenn man bedenkt, wie wichtig ihm diese dämliche Erinnerung ist, obwohl ja eigentlich klar sein sollte, was da wirklich passiert ist, dann ist das der einzig logische Schluss.“, beendete Harry seinen Vortrag und sah dem Dunklen Lord direkt in die Augen.   „Mir hätte klar sein müssen, dass mein alter Professor das herausfindet. Er hat sich schon immer viel zu gern in das Leben anderer eingemischt.“ Das Schlangengesicht verzog sich zu einer nachdenklich wirkenden Fratze und kurz darauf trat ein entschlossener Ausdruck darauf. „Ich werde dir die Erinnerung geben.“ „Hä?“ ‚Sehr intelligenter Ausspruch, Harry.‘, schallte er sich selbst.   Voldemort schaute ihn leicht belustig an, soweit dies mit dieser Fratze, die ein Gesicht sein sollte, möglich war. „Immerhin war ich auch an dieser Unterhaltung beteiligt. Demzufolge habe ich die gleiche Erinnerung. Und ich gebe sie dir, damit du dich nicht mit diesem schleimigen Subjekt herumschlagen musst.“   Harry blieb kurz der Mund offenstehen, gewann aber nach ein paar Sekunden seine Fassung zurück. „Heißt das, wir sind uns einig?“ „Ja, das heißt es wohl. Du hast recht. Es wäre eine Verschwendung, dich zu töten. Du bist lebend wirklich viel nützlicher. Es wäre wirklich ein Jammer um deine Fähigkeiten.“ „Ja und außerdem bin ich als Person auch noch ganz liebenswert.“ Harry sah seinen neuen … Lord … herausfordernd an. „Knie nieder!“, befahl dieser nun. „Nein!“ Harry konnte einen schnellen Wechseln von Emotionen in den roten Schlangenaugen sehen, Wut, Ungeduld, aber auch ein bisschen Neugierde. Letzteres war mit Sicherheit der einzige Grund, warum er überhaupt noch Stand. „Ich bin keiner deiner Speichellecker und gedenke auch nicht, einer zu werden. Mir ist bewusst, dass ich das Dunkle Mal erhalten werde. Aber ich werde keiner von denen. Diese dämliche Prophezeiung hat mich zu mehr gemacht, als sie jemals sein werden. Und sie sollen auch sehen, dass ich nicht zu ihnen gehöre, dass ich über ihnen stehe. Das sind meine Bedingungen. Wenn du sie akzeptierst, werde ich an deiner Seite stehen und jeden deiner Befehle befolgen.“ Ja, auch ein Harry Potter hatte seinen Stolz und er würde nicht mit diesem zu Kreuze kriechenden Gewürm den Boden vor Voldemorts Füßen lecken.   Der Dunkle Lord saß ruhig auf seinem Thron und hörte sich an, was der Junge vor ihm zu sagen hatte. Es gefiel ihm nicht. Es gefiel ihm überhaupt nicht. Aber er musste zugeben, dass er ein bisschen beeindruckt war. Der Bengel war mutig, solche Forderungen zu stellen. Es war so gar nicht die gryffindor‘sche Art. Es war eher slytherin. Er war wie er. Ja, er musste zugeben, dass der Junge recht hatte. Ob es ihm passte oder nicht. Dieser junge Zauberer war ihm in verschiedener Hinsicht sehr ähnlich. Und er war mächtig. Die Prophezeiung sagte schließlich aus, dass er der Eine war, der die Macht hätte, ihn zu besiegen. Nein! Harry Potter war mit Sicherheit kein gewöhnlicher Todesser. Und es hatte mit Sicherheit noch mehr Vorteile Dumbledores Goldenen Jungen, den Retter der Zaubererwelt, an – wie hatte er es formuliert? – seiner Seite zu haben. „Also gut! Ich werde es für den Anfang tolerieren. Aber wenn du auch nur den kleinsten Fehler machst, werde ich das noch einmal überdenken.“ Die auflodernden Augen und die grollende Stimme ließen keinen Zweifel an der eigentlichen Aussage hinter den Worten. Machst du auch nur einen kleinen Fehler, wird dich ein Schicksal ereilen, in dem nicht mal der Tod dir Erlösung versprechen wird.   Harry deutete eine Verbeugung an, als Zeichen, dass er verstanden hatte. Immerhin eine kleine Respektbezeugung. Damit war Voldemort erst einmal zufrieden. Er stand auf und ging auf den Jungen zu und wollte nach seinem linken Arm greifen. „Nein!“ Langsam fing dieser Junge an, ihn richtig wütend zu machen. Vielleicht sollte er es sich doch noch mal überlegen und ihn doch auf der Stelle töten. „Wenn ich spionieren soll, wäre es besser, wenn niemand erfährt, dass ich mich dir angeschlossen habe. Und da ich meinen Schlafraum immer noch mit vier anderen Jungs teile, die keine Rücksicht auf Privatsphäre nehmen, wäre so eine offensichtliche Stelle mehr als nur leichtsinnig.“ „Und wo möchtest du’s hinbekommen, Harry Potter?“, zischte Voldemort gereizt durch zusammengepresste Zähne.   Harry sah ihn mit einem undurchdringlichen Blick an. Dann öffnete er seine Hose und ließ sie auf den Boden gleiten. Er stellte sich breitbeinig hin, zeigte auf die Innenseiten seiner Oberschenkel und sagte: „Such dir eine Seite aus.“   Hätte Voldemort noch Augenbrauen gehabt, wären diese bei diesen Worten in den Himmel gewandert. So weiteten sich nur kurz seine Augen und ein teuflisches Grinsen zierte seinen lippenlosen Mund. Er ging in die Hocke und setzte seinen Zauberstab an Harrys rechten Oberschenkel an, kurz unter dem Schritt. Er murmelte ein paar Worte, während sein Stab beinahe zärtlich die Form zog, um das Mal entstehen zu lassen. Als er fertig war, begutachtete er noch kurz sein Werk, bevor er sich wieder aufrichtete.   Harry hatte ihn dabei die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen und er tat es auch nicht, als er in die Knie ging, um seine Hose wieder hochzuziehen. Er musste zugeben, dass ihm dieses kleine Machtspielchen gefallen hatte.   Gerade als er seinen Gürtel wieder zugemacht hatte, wurden die Türen hinter ihm aufgerissen und zwei Männer kamen geradewegs auf sie zugelaufen. Er wusste genau, wer es war. Er konnte die Präsenz seines Rivalen deutlich spüren und die der anderen Person war der ersten so ähnlich, dass es nur Dracos Vater, Lucius Malfoy, sein konnte. „Potter!“, rief der Kleinere und zog seinen Zauberstab. Harry verdrehte genervt die Augen und schaute dann über seine Schulter in die Richtung, aus der die Stimme kam. „Ja, mein Name hat sich seit heute Morgen nicht geändert.“ Belustigt beobachtete er, wie sein Gegenspieler von dessen Vater am Arm festgehalten wurde und dieser ihn zusammen mit sich auf die Knie zwang. Man konnte die Anspannung der beiden förmlich mit Händen greifen. Es kostete beide eine enorme Selbstbeherrschung, ihre Aggressionen gegen Potter in Zaum zu halten und stattdessen ihren Lord den nötigen Respekt zu zollen. „Ihr könnt wieder aufstehen.“, erklang die Stimme ihres Meisters. Lucius Malfoy schaute irritiert zwischen seinem Lord und dessen größten Feind hin und her. Man sah ihm deutlich an, dass er wissen wollte, was der Potter-Junge hier zu suchen hatte. „Der junge Mr. Potter gehört jetzt zu uns.“, erbarmte sich Voldemorts nach kurzer Zeit.   Unglauben breitete sich in den beiden Gesichtern aus und Harry musste sich das Lachen verkneifen. Die beiden sahen sich in diesem Moment so ähnlich und verhielten sich auch noch perfekt synchron. „Da… das… Das ist doch sicher ein Trick. Herr, erlaubt mir…“ ‚Aah, Papa Malfoy hat seine Stimme wieder gefunden.‘ Harry amüsierte diese Szene wirklich. „SCHWEIG!“, donnerte Voldemort. „Glaubst du, ich hätte seine Motive nicht eingehend überprüft? Denkst du, ich würde mich so leicht zum Narren halten lassen?“ Seine Stimme war nun gefährlich leise geworden. „Sei versichert, Lucius, Mr. Potter ist aus freien Stücken zu mir gekommen. Seine Beweggründe sind absolut überzeugend. Er gehört jetzt zu mir.“ Dracos Augen weiteten sich vor Schreck bei der letzten Formulierung. Sie ließ keine Zweifel daran, dass weitere Widerworte nicht toleriert und besonders hart bestraft werden würden.   ~Manchmal frage ich mich, womit ich diese Inkompetenz verdient habe.~, zischte Voldemort. Parsel! Automatisch glitt auch Harry in die Schlangensprache, damit die anderen sie nicht verstehen konnten. ~Dem kann ich nur zustimmen.~ Irritiert schaute Voldemort zu Harry. Er wusste, dass dieser die Schlangensprache verstehen und sprechen konnte. Lucius hatte ihm von dem Vorfall in Harrys zweitem Jahr erzählt. Aber er war sein Leben lang der einzige Zauberer mit dieser Fähigkeit gewesen, wenn man seinen Onkel außer Acht ließe, den er nur kurz getroffen hatte und der in der Zwischenzeit auch schon lange verstorben war, verrottet in den Eingeweiden von Askaban. Er würde sich erst noch daran gewöhnen müssen, dass es einen weiteren Zauberer mit dieser Fähigkeit gab.   Die zischelnden Laute erinnerten Harry an etwas. Er griff sich an die Stirn und fühlte die kleinen Erhebungen seines Fluchmals. Müsste er nicht Schmerzen haben? ~Merkwürdig.~ ~Was ist merkwürdig?~ Voldemort sah auf den Kleineren und begriff, was diesen gerade beschäftigte. Er hatte sich schon gefragt, wann es ihm auffallen würde. ~Meine Narbe tut nicht mehr weh. Wie kommt das?~ ~Das liegt wohl daran, dass wir jetzt keine Feinde mehr sind, Harry. Der Teil des Fluchs verschwand, als ich dich vorhin geheilt habe.~ Harry stutzte kurz, lächelte dann aber zufrieden. ~Das ist interessant. Hatte schon befürchtet, dass ich jetzt mit Dauerkopfschmerzen leben müsste.~ ~Das wäre doch sehr unvorteilhaft gewesen. Wie sollst du dich darauf konzentrieren, meine Befehle entgegenzunehmen und auszuführen, wenn du die ganze Zeit unter Kopfschmerzen leiden müsstest. Ich denke, so ist es besser.~ Harry kniff die Augen zusammen. ~Also hattest du vorhin schon beschlossen, mein Angebot anzunehmen? Warum musste ich mich dann noch anpreisen?~ ~Einfach, weil ich neugierig war, wie du mich von dir überzeugen wolltest. Und außerdem hätte ich mich immer noch dazu entschließen können, dich einfach zu töten. Niemand weiß, dass du hier bist, niemand hätte dich retten können. Sehr leichtsinnig.~ Harry zuckte mit den Schultern. ~Bin froh, dass du es nicht getan hast und ich denke, aus unserer Verbindung können wir beide nur profitieren. Immerhin hast du jetzt einen Gegner weniger, der dich tot sehen will und als dein neuer Verbündeter werde ich dir helfen, deinen anderen großen Gegner in die Knie zu zwingen.~ Harry stockte kurz. ~Da fällt mir ein, meintest du vorhin nicht, dass ich die Horkrux-Erinnerung von dir bekommen könnte?~ ~So ungeduldig? Na gut! Daran soll es jetzt auch nicht scheitern.~   Der Dunkle Lord hielt sich seinen Zauberstab kurz an den Kopf. Als er ihn wieder wegnahm, blieb ein kleines silbernes Fädchen daran hängen. Er ließ es in eine Phiole gleiten, die plötzlich in seinen Händen erschienen war. Sie wurde ordnungsgemäß verkorkt und Harry übergeben. Ungläubig beobachteten die beiden Malfoys die Szene und konnten sich doch keinen Reim darauf machen. „Danke, das ist mir eine große Hilfe, mein Lord! Haben wir dann alles besprochen?“, fragte Harry wieder normal. „Ja, für den Moment. Du kannst gehen. Einer meiner Todesser wird dich zurückbringen.“ Harry verbeugte sich leicht und schritt dann erhobenen Hauptes an den beiden blonden Männern vorbei. Er lächelte Draco kurz arrogant zu. „Wir sehen und dann in der Schule, Malfoy.“ Lucius wurde komplett ignoriert.   „Ach, Harry?“ Angesprochener blieb kurz stehen, drehte sich aber nicht um. „Enttäusche mich nicht!“ „Habe ich nicht vor.“, kam sofort die Antwort. Hedwig flatterte Harry hinterher und setzte sich auf seine Schulter. Sie hatte es sich die ganze Zeit auf Voldemorts Thronlehne bequem gemacht. „Na, meine Schöne! Willst du mit apparieren oder lieber nach Hause fliegen?“ Wie zur Antwort, was sie vom Apparieren hielt, krallte sie sich leicht, aber schmerzhaft in Harrys Schulter, stieß sich dann von ihm ab und flog in den Himmel. Es begann bereits zu dämmern. Es hatte alles länger gedauert, als er angenommen hatte.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Alle drei sahen zu, wie Harry den Raum verließ. „Ich habe einen neuen Auftrag für dich, Draco. Den wirst du zusätzlich zu deinen anderen beiden noch erledigen müssen.“ Draco nickte. „Natürlich, Herr.“ „Ich will, dass du Potter beobachtest. Es scheint, dass unser junger Held verliebt ist und das ausgerechnet in eine von uns, eine Todesser. Sie weiß nicht von ihrem Glück, dass der berühmte Harry Potter ein Auge auf sie geworfen hat. Mich würde wirklich interessieren, wer das Herz des Jungen gestohlen hat.“ Dracos Augen funkelten und sein Gesicht verzog sich zu einem diabolischen Grinsen. „Es wird mir ein Vergnügen sein, Herr.“   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Als Harry den düsteren Raum verließ, wurde er auch sofort von einem ihm unbekannten Todesser – verdammte Masken – in Empfang genommen und zurück nach Hogsmeade seit-an-seit-appariert. Der Todesser verschwand sofort wieder und Harry war nun allein und brauchte erst einmal ein paar Minuten, um sich von diesem furchtbaren Apparieren zu erholen. Sein Körper war von der ganzen Tortur, die er über sich ergehen lassen musste, noch ziemlich mitgenommen. Aber er hatte es überstanden. Natürlich fing es jetzt erst richtig an. Er wusste, dass er unter permanenter Beobachtung stehen würde. Das war ihm aber egal. Er hatte nicht vor, Voldemort zu verraten. Trotzdem würde es lästig werden. Und er musste aufpassen, dass er sich gegenüber seinen Freunden – konnte er sie jetzt überhaupt noch so nennen? – und vor allem Dumbledore nicht verriet. Er spürte die kleine Phiole in seiner Hand und freute sich. Zumindest hatte er eine Ausrede, wo er heute den ganzen Tag gewesen war. Er könnte behaupten, er hätte eine Slughorn-Jagd veranstaltet und war letztendlich als Sieger daraus hervorgegangen. Harry musste lachen, als er sich das wortwörtlich vorstellte.   Als er sich wieder etwas gefangen hatte, ging er gemächlich zurück zum Schloss. Da es schon recht spät war und es bald Abendessen geben würde, war niemand mehr draußen unterwegs und er konnte in Ruhe nachdenken. Er hatte alles geschafft, was er erreichen wollte und sogar ein bisschen mehr. Es war gut gewesen, seine Gedanken, wie er sich seine Zukunft bei Voldemort vorstellte, aus seinen Erinnerungen herauszulassen. Vorbereitet hätte dieser wohl anders reagiert. Auch hatte er nicht verraten, welchen Zweck seine nächtlichen Ausflüge in die Bibliothek wirklich hatten. Er hatte sich ein paar neue Fähigkeiten angeeignet, die Voldemort erstmal nicht kennen musste. Es schadete nie, ein paar Asse im Ärmel zu haben. Und sie… Der Dunkle Lord würde nie herausbekommen, wer SIE war. Auch das hatte er sehr geschickt gelöst.   Harry war froh, dass dieser Tag endlich um war. Er konnte es noch gar nicht richtig fassen. Er hatte sich tatsächlich Voldemort angeschlossen.   Sein Blick war nach vorn gerichtet. Er ging immer weiter und folgte dem Pfad, der ihm die Zukunft bringen würde. So konnte er nicht sehen, wie sich 5 riesige Raben aus dem schwarzen Wald erhoben und die letzten Sonnenstrahlen vertreiben wollen. Kapitel 5: Horkruxe ------------------- Harry war tief in seinen Gedanken versunken. Unbewusst hatte er den Weg in den große Halle eingeschlagen und stutzte kurz, weil sich plötzlich die Präsenz anderer Zauberer in sein Bewusstsein drängte. Er hatte sich aber schnell wieder im Griff und ließ sich seine kurze Verwirrung nicht anmerken. Es waren kaum Schüler anwesend. Nur vereinzelte kleine Grüppchen saßen an den vier großen Tischen und schwatzen munter und warteten, dass es endlich Zeit zum Abendessen wurde. Nach dem Knurren seines Magens zu urteilen, würde es auch bald soweit sein. Harry überlegte, ob er noch mal in den Gemeinschaftsraum gehen und sich umziehen sollte, entschied sich aber dagegen. Er würde ohnehin schon zeitig genug auf seine Mitschüler treffen und so hatte er wenigstens noch ein paar Minuten seine süße Ruhe. Er holte die kleine Phiole aus seinem Umhang und drehte sie unablässig in seinen Fingern hin und her und beobachtete dabei, wie der silberne Gedankenfaden ähnlich flüssigen Quecksilbers in dem kleinen Glas hin und her schwappte. Das hatte etwas beinah Hypnotisierendes. ‚Was wird darauf wohl zu sehen sein?‘   Er musste schon eine Weile so gesessen und auf die kleine Flasche in seinen Händen gestarrt haben, denn plötzlich betraten Ron und Hermine die große Halle. Obwohl er mit den Rücken zu ihnen saß, wusste Harry es sofort und versteckte schnell die Erinnerung von Voldemort aus der Zeit, in der er noch Tom Riddle hieß, wieder in seinem Umhang.   Die beiden Gryffindors beeilten sich, zu ihrem Freund zu kommen und riefen schon auf halben Weg fröhlich seinen Namen, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. „Harry!“ Angesprochener drehte sich ruckartig um und tat so, als ob er sie wirklich erst jetzt mitbekommen hätte. Er schaute in die glücklichen Gesichter, zog eine Augenbraue hoch und fixierte dann Ron mit einem fragenden Blick. Dieser grinste nur. Das Paar kam auf den Jungen zugeeilt und setzte sich neben ihn auf die Bank. Harry grinste wissend. „Es scheint ja, dass ihr einen tollen Tag hattet.“ „Ja!“, gab Ron selbstbewusst zur Antwort. Das Mädchen in seinen Armen wurde leicht rot auf den Wangen und ihr Freund drückte einen kurzen Kuss auf diese.   Die Große Halle füllte sich in der Zwischenzeit mit hungrigen Schülern und Lehrern. Bald würde das Essen erscheinen. Nun kamen auch ihre restlichen Freunde an den Tisch. Dean, Seamus, Neville und Ginny – letztere besetzte sofort den ungewohnt freien Platz neben Harry – starrten regelrecht das frischverliebte Paar an und man sah ihnen an, dass sie jedes Detail von ihrem Date wissen wollten. „Jetzt lasst euch doch nicht alles aus der Nase ziehen!“, quengelte Ginny. „Oder muss ich bei Snape einbrechen und Veritaserum klauen?“ Ron sah seine Schwester böse an. „Das geht dich überhaupt nichts an, Ginny!“ „Na, ich kann dir zumindest erzählen, wie der Tag angefangen hat.“ Alle Augen wanderten neugierig zu Seamus, der dreckig grinste. „Die beiden waren heute Morgen so nervös, dass sie nicht mal einen Bissen runterbekommen haben. Da habe ich mir natürlich Sorgen gemacht und bin ihnen gefolgt.“ Er setzte eine übertrieben unschuldige Miene auf, bei der jedem sofort klar war, dass sein Handeln nicht nur reiner Nächstenliebe entsprungen war. „Den ganzen Weg bis nach Hogsmeade haben die sich angeschwiegen. Das war ja nicht zum Aushalten. Total langweilig, sag ich euch. Im Dorf angekommen, dachte ich schon, dass sie das Date sofort beenden würden. Ron wollte unbedingt in den Honigtopf, Hermine aber lieber zu ‚Derwisch und Banges‘. Und die haben richtig angefangen, sich zu streiten. Ich meine, immerhin haben sie sich wenigsten nicht mehr angeschwiegen, aber wirklich besser war’s auch nicht. Und da hab‘ ich mir gedacht, ich bewerfe sie mal mit einem Schneeball, um die hitzigen Gemüter ein bisschen abzukühlen. Nur blöd, dass kein Schnee da war. Dann ist mir glücklicherweise wieder eingefallen, dass ich ein Zauberer bin und kurz darauf hatte jeder der beiden, einen großen Schneeball am Kopf. Ihr hättet mal sehen sollen, wie blöd die aus der Wäsche geguckt haben. Musste mich dann schnell hinter einer Regentonne verstecken. Habe sie dann nur noch lachen gehört. Als ich mir sicher war, dass sie nicht mehr da waren, um mich zu verfluchen, habe ich mich wieder aus meinem Versteck hervorgetraut, wusste aber dann nicht mehr, wo sie sind und habe mich dann lieber anderen Sachen gewidmet.“ Während seines Vortrags wurden sowohl Ron als auch Hermine immer röter im Gesicht, auch wenn es bei beiden aus unterschiedlichen Gründen war. Hermine war total verlegen und Ron wurde immer wütender. „DAS. WARST. DU?“ „Pst! Ron! Schrei nicht so!“, zischte Ginny schnell. „Die anderen gucken schon alle her.“ Ron warf Seamus noch einen bösen Blick zu, hielt aber seinen Mund. „Guck nicht so böse! Immerhin habt ihr ja gelacht, also kann es nicht so schlimm gewesen sein. Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich nicht eingegriffen hätte.“, schmollte der rotblonde Gryffindor.   In diesem Moment erschien endlich das Essen auf den Tischen. „Was ist dann passiert?“, fragte nun Ginny und schaute neugierig zu Hermine. „Oh, ich glaube, da kann ich weiterhelfen.“ „DEAN!“, kam es zeitgleich von Ron und Hermine. „Sorry, Leute, aber ich kann doch nichts dafür, dass ihr zu Madam Rosmerta geht und ich da schon zufällig in einer Ecke im Schatten sitze und darauf achte, dass ihr mich nicht seht.“, sagte er unschuldig. „Auf jeden Fall kamen die beiden rein und ich habe mich schon gewundert, warum sie so gelacht haben und ihre Haare ein bisschen nass aussahen. – Gute Arbeit, Seamus!“ Die beiden Jungs grinsten sich an. „Auf jeden Fall haben sie sich dann endlich gesetzt und sich jeder ein Butterbier bestellt. Und dann wurde es total langweilig. Ey! Sie haben sich zwar nicht angeschwiegen, wie bei dir, Kumpel, aber das wäre immer noch besser gewesen, als dieses sinnlose Geplänkel.“ Wie zur Verdeutlichung gähnte Dean erstmal herzhaft. „Schule, Hausaufgaben, Quidditch, Harry – nichts gegen dich, Alter“, Angesprochener zuckte nur kurz mit den Schultern,“ – und Familie. Zwischendurch haben sie sich was zum Essen bestellt und gegessen. Irgendwann kommen sie dann auf ihre Zukunftsvorstellungen zu sprechen, das war auch nicht wirklich spannender. Im Gegenteil. So vorhersehbar. Ehrlich, das war schon scheußlich süß und klischeehaft. Ein Häuschen mit Garten, 3 Kinder, Hermine will in die Zaubereipolitik gehen und Ron will Profiquidditchspieler werden, ein Hund, zwei Katzen, zwei Eulen, keine Elfen. Darauf hat Hermine bestanden. Und ich dachte mir nur so. Ey! Ihr habt schon euer ganzen Leben geplant und euch noch nicht einmal geküsst. Und das, obwohl man Hermine angesehen hat, dass sie nur darauf gewartet hat. – Ähm! Könnte mal bitte jemand Ron seinen Zauberstab wegnehmen? Danke, Ginny. – Aber Ron war viel zu schüchtern und ich dachte schon, der kriegt das nie gebacken. Als sie sich dann am Nachmittag endlich zurück ins Schloss begeben wollten, sah ich meine Chance, den beiden ein bisschen unter die Arme zu greifen. Als Ron Hermine ungeschickt in ihren Umhang helfen wollte, habe ich mit einem Schlenker meines Zauberstabs dafür gesorgt, dass Ron ein bisschen gegen Hermine stolpert und schon lag sie in seinen Armen. Und man bin ich froh, dass dann Hermine die Initiative ergriffen hat. Sie hat Ron zu sich runter gezogen und dann einfach geküsst. Ich glaube, der hätte das sonst nie auf die Reihe bekommen.“ Triumphierend nahm Dean erstmal einen großen Schluck Kürbissaft. „DAS. WARST. DU?“, kreischte der Rothaarige jetzt wie ein zickiges Mädchen. Sein Gesicht war so dunkel angelaufen, dass man sich wirklich Sorgen machen musste, ob nicht jeden Moment Dampf aus seinen Ohren kommen würde. „RON! Sei endlich still!“ Ginny sah sich peinlich berührt um und vergrub dann ihr Gesicht in Harrys Schulter, als ob sie sich verstecken wollen würde. Harry quittierte das mit einer hochgezogenen Augenbraue, sagte und tat aber ansonsten nichts. „Du kannst doch froh sein.“, kam es jetzt schüchtern von Neville, der auch etwas zu dem Gespräch beitragen wollte. „Wenn die zwei nicht gewesen wären, hättet ihr es vermutlich nie geschafft. Du solltest dich lieber bei den beiden bedanken, anstatt sie anzufahren.“ Ron beruhigte sich wieder etwas. Er wusste, dass der andere Junge recht hatte. „Danke!“, flüsterte er kleinlaut. Hermine strahlte, zog ihren neuen Freund in die Arme und gab ihm einen kurzen Kuss auf seine wuscheligen Haare.   Harry, der nur mit mäßigem Interesse zugehört hatte und lieber sein Roastbeef mit der Gabel traktierte, schaute die beiden nun voller Zuneigung an. „Ich freue mich für euch beide. Wurde auch endlich mal Zeit, dass ihr zusammenkommt.“ Er schaffte es tatsächlich, sein Lächeln und seine Worte ehrlich wirken zu lassen. Aber eigentlich war es ihm in der Zwischenzeit völlig egal. Dieses ständige Hin und Her der beiden in den letzten Monaten hatte ihn mürbe gemacht. Er hoffte nur, dass die Streitigkeiten der beiden damit endlich ein Ende hatten. Es war ihm sogar egal, dass die beiden nichts von dem getan hatten, was sie gestern Nacht noch mit Ron besprochen hatten. So gesehen war es eine absolute Zeitverschwendung gewesen. Aber wenigstens waren sie ihm nicht in die Quere gekommen.   „Danke, Kumpel!“ „Danke, Harry!“, sagten Angesprochene gleichzeitig. Endlich war dieses Thema abgeschlossen und jeder widmete sich jetzt erstmal seinem Essen, wobei niemanden entging, dass Ron und Hermine sich gegenseitig fütterten. Harry wusste nicht ganz, ob er angewidert oder eifersüchtig sein sollte.   Plötzlich wurde die Tür zur Großen Halle geöffnet und alle Schüler, mit Ausnahme von Harry, sahen sich um. „Malfoy!“, knurrte Ron. „Klar, dass der mal wieder zu spät kommen musste. Sonst hätte er wahrscheinlich nicht genügend Aufmerksamkeit bekommen. … Was starrt der denn so?“ Harry wusste, auch ohne seinen Rivalen ansehen zu müssen, was Ron meinte. Er konnte die Blicke in seinem Rücken spüren. Nicht hasserfüllt, so wie sonst, sondern eher abschätzend, neugierig. Als der Slytherin an ihrem Tisch vorbei ging, sah Harry auf und sie sahen sich kurz mit ausdruckslosem Blick in die Augen. Draco schaute noch kurz zu der kleinen Weasley, die viel näher bei Harry saß, als es nötig gewesen wäre. Sein Gesicht verzog sich kurz angewidert, bevor er sich wieder abwandte. Jetzt wurde er aber seinerseits von Harry beobachtet.   Der blonde Slytherin schritt hoheitsvoll an seinen Platz und wurde neugierig von seinen Hauskameraden gemustert. Aber niemand stellte eine Frage. ‚Sie wollen wahrscheinlich wissen, was Voldemort von ihm wollte. Ich würde ja zu gerne Mäuschen spielen, wenn er’s ihnen erzählt.‘ Kurz überlegte er, wie es wäre, ein Animagus zu sein, verwarf diesen Gedanken aber wieder sofort. Eine Maus wollte er ganz sicher nicht sein. „Hey, Harry!“ Ron hatte ihn mal wieder erfolgreich aus seinen Überlegungen gerissen. „Was gibt’s?“ „Was hast du heute eigentlich den ganzen Tag gemacht?“ Harry grinste, fischte die kleine Phiole aus seinem Umhang und hielt sie so, dass nur Ron und Hermine sie sehen konnten. „Ist das DIE Erinnerung?“, flüsterte Hermine, so dass niemand außer ihren beiden Freunden sie verstehen konnten. „Jepp!“ „Wie hast du das geschafft?“ „Das bleibt mein kleines Geheimnis.“ Harry lächelte geheimnisvoll, bevor er die Phiole wieder unauffällig verschwinden ließ. Er schaute kurz wieder zu den Slytherins und bemerkte, wie Malfoy seine Augenbrauen zusammengezogen hatte und skeptisch zu ihnen schaute. Harry war sich sicher, dass er die Phiole erkannt hatte und konnte sich gut vorstellen, was nun in dem blonden Kopf vor sich ging. Er schenke seinem Rivalen ein bösartiges Lächeln und widmete sich dann wieder seinem Essen, das kalt und zerpflückt vor ihm lag. Indes schauten ihn seine alten Freunde mit unergründlichen Mienen an. „Harry,“, begann das brünette Mädchen, „wie…“   Sie wurde jäh unterbrochen als eine Tür in der Nähe des Lehrerpodiums geöffnet wurde und ein erschöpft wirkender Dumbledore zu seinem Platz schlich. Die Veränderung an ihm, war kaum wahrnehmbar, aber Harry spürte es sofort. Ihr Direktor schien in den letzten Wochen um Jahrzehnte gealtert zu sein. Er nahm sich zusammen und lächelte dem Alten kurz triumphal zu und nickte leicht. Die Augen des weißhaarigen Mannes blitzten kurz verstehend auf. Nur wenige Minuten später flog eine Schuleule in die Große Halle und direkt auf Harry zu. Sie setzte sich auf seine Schulter und streckte ungeduldig ein Bein aus. Sie war sichtlich genervt, dass sie zu so später Stunde noch Post austragen musste. Nachdem Harry ihr die Botschaft abgenommen hatte, schaute sie noch angewidert auf den Teller mit Harrys Essensresten, kreischte kurz empört und flog wieder weg. Harry zuckte nur mit den Schultern und wollte die Nachricht lesen, aber er wurde von allen um ihn herum angestarrt. „Von wem ist der Brief?“, fragte Ginny ein wenig säuerlich und versuchte noch näher an Harry heran zu rutschten, um etwas sehen zu können. „Das werde ich erst wissen, wenn ich ihn gelesen habe und da er nur an MICH adressiert ist, würde ich ihn auch gerne ALLEINE lesen.“ Ginny machte aber keine Anstalten, von ihm abzurücken und starrte immer noch auf das Stückchen Pergament in seinen Fingern. Da Harry absolut keine Lust auf solche Spielchen hatte, stand er einfach auf, beachtete dabei Ginny nicht, die perplex ihrer Lehne beraubt zur Seite kippte, murmelte kurz ein „Wir sehen uns später, Leute.“ in die Runde und verließ schnell die Große Halle. Er brachte noch ein paar Flure und Abzweigungen zwischen sich und den Rest der Schüler, spürte am Rand, dass ihn jemand verfolgte, verschwand dann in ein unbenutztes Klassenzimmer, registrierte mit einem zufriedenen Grinsen, wer ihm gefolgt war, lehnte sich an einen Tisch mit dem Rücken zur Tür und öffnete endlich den Brief.   Lieber Harry,   ich freue mich, dass du es endlich geschafft hast, diese Erinnerung zu bekommen. Bitte triff mich noch heute Abend um 11:00 in meinem Büro.   Mit herzlichen Gruß Albus Dumbledore   PS: Ich mag Zuckerkonfekt.   ‚Ich frage mich, woher er das schon wieder gewusst hat.‘ Während er den Brief las, öffnete sein Verfolger leise die Tür und schlich sich an ihn heran. Harry packte den Brief in seine Tasche, griff dabei beiläufig nach seinem Zauberstab und drehte sich um. Er sah in hellgraue Augen. „Hast du mich verfolgt, Malfoy? So gekrängt, dass ich heute keine Zeit hatte, mit dir zu spielen?“ Harry konnte nicht widerstehen und schnurrte die letzten Worte. „Lass den Scheiß, Potter!“, antwortete dieser verunsichert. Harry lachte laut. „Was denn? Hast du etwa Angst? Immerhin bist du doch mir gefolgt. Also was willst du?“ Seine Worte klangen hart und hatten nun nichts mehr von dem immer freundlichen Jungen, dem Liebling Dumbledores und der gesamten Zaubererwelt.   Draco war kurz irritiert, fing sich aber schnell wieder. „Ich will wissen, was du geplant hast. Du kreuzt aus heiterem Himmel bei Du-weißt-schon-wem auf, tust so, als ob du dich ihm anschließen willst und dann hockst du hier mit deinen Anhängseln als wäre nie etwas gewesen. Wen willst du hier also verarschen? Ich weiß, dass du ein doppeltes Spiel spielst und wenn der Dunkle Lord das herausbekommt, dann bist du sowas von fällig.“ Jetzt wurde Harry sauer. Mit einem kurzen Schlenker seines Zauberstabs fixierte er seinen Rivalen an der Wand. „Jetzt hör mir mal genau zu, Malfoy! Es geht dich einen Scheißdreck an, was ich tue und was nicht. Was ich mit Voldemort besprochen habe oder was ich mit anderen bespreche oder tue, geht nur die und mich etwas an. Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Sondern nur mir selbst und … naja … Voldemort. Ich erfülle meine Aufträge und du erfüllst deine. Und ich glaube kaum, dass du die Anweisung erhalten hast, meine Loyalität in Frage zu stellen oder meine Methoden zu hinterfragen. Und du solltest gefälligst schnell lernen, dich um deinen eigenen Kram zu kümmern, bevor dein auffälliges Verhalten uns beide noch in Schwierigkeiten bringt. Hast du mich verstanden?“ Draco hatte sein Gesicht zu einer wütenden Fratze verzogen, nickte aber leicht. Er konnte im Moment ja doch nichts tun. „Wunderbar.“ Harry setzte ein strahlendes Lächeln auf. „Ich muss jetzt los, habe noch etwas zu erledigen. Kann also leider nicht weiter mit dir spielen. Der Zauber verliert in ca. einer halben Stunde an Wirkung, dann kannst du hier wieder verschwinden.“ Er schaute seinem Rivalen noch einmal mit unergründlichen Blick tief in die Augen und verließ dann das alte Klassenzimmer.   Draco hing an der Wand, unfähig sich zu bewegen und überlegte, seit wann sich Harry Potter, der gutmütige Junge, so verändert hatte.   Harry ging fröhlich die Flure entlang. Er brauchte sich nicht zu beeilen, er hatte noch genügend Zeit bis zu seinem Treffen mit Dumbledore. Er ließ das Aufeinandertreffen mit Draco noch einmal Revue passieren und musste lächeln. Ja, diese Spielchen mochte er. Harry konnte sich nicht genau erinnern, wann er angefangen hatte, die Machtspielchen zu genießen. Aber es berauschte ihn förmlich und er lechzte nach mehr. Er war sich ziemlich sicher, dass sein Rivale ihm noch häufiger die Möglichkeit dazu geben würde. Dieser konnte einfach nicht anders. Und er würde ihn trotz seiner Drohung nicht in Ruhe lassen. Draco hatte mit aller Wahrscheinlichkeit den Auftrag bekommen, herauszufinden, wer Harrys heimliche Liebe war. Und dieses Spiel würde für Harry noch unglaublich interessant werden. Aber er müsste sehr vorsichtig sein, damit er sich nicht verriet. Aber er konnte einfach nicht widerstehen. Wenn er dazu bestimmt war, eines Tages durch einen anderen Zauberer unterzugehen, dann würde es sicher nicht Voldemort sein; sondern einzig und allein Draco Malfoy.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Er wanderte noch eine Weile ziellos durch die Gänge Hogwarts – die Genehmigung des Direktors, die dem Brief beigelegen hatte, da ja schon lange Speerstunde war, in seinem Umhang versteckt – bis er sich kurz vor 11 Uhr an dem Wasserspeier widerfand, der den Eingang zur Dumbledores Büro darstellte. „Zuckerkonfekt“, sagte Harry leise und schon wurde ihm der Zugang gewährt. Er stellte sich auf die Wendeltreppe und ließ sich nach oben tragen. Er setzte eine Maske auf und zeigte die Miene, die Dumbledore von ihm gewöhnt war. Ein leicht schüchterner, vertrauensseliger, aber aufgeschlossener Junge, der in seinem kurzen Leben schon so viel Leid gesehen hatte und sich nichts sehnlicher wünschte, als alles Böse von dieser Welt zu vertreiben, damit alle in Frieden leben konnten. Er klopfte und die Tür öffnete sich augenblicklich. Harry trat ein und ging direkt auf den Professor zu, der hinter seinem Schreibtisch saß und den Jungen aus müden Augen musterte. Dann stahl sich ein kleines Lächeln auf sein Gesicht. „Guten Abend, Professor!“, sagte Harry freundlich. „Schön, dass sie wieder da sind.“ „Ich freue mich auch wieder hier zu sein, Harry. Ich danke dir. Möchtest du ein Zitronenbonbon?“ Harry lehnte höflich ab. „Du hast es also endlich geschafft, die Erinnerung von Professor Slughorn zu bekommen?“ Er wusste, dass diese Frage rhetorisch gemeint war. „Ja, Sir!“, antwortete er dennoch und beeilte sich, die kleine Phiole hervorzukramen und sie Dumbledore zu geben. „Woher wussten Sie das eigentlich?“ Der Direktor sah ihn mit seinem geheimnisvollen Lächeln an, was ihm augenblicklich einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. „Ah! Ich denke, ein paar Geheimnisse sollte man sich im Alter bewahren. Ein paar Tricks, um mit der Jungend noch ein bisschen länger Schritt halten zu können. Findest du nicht?“ Er zwinkerte Harry verschwörerisch zu. Natürlich! Wie hätte Harry auch nur erwarten können, darauf eine Antwort zu erhalten. Wahrscheinlich hatte es der Alte nicht mal gewusst, sondern schon seit Wochen eine Eule mit dieser Nachricht auf Abruf bereitgestellt, um ihn zu sofort zu überfallen und heran zu zitieren, sobald er die gewünschte Erinnerung in seinen Händen hielt. Harry schaute leicht perplex aufgrund dieser Gedanken. Sollte es so einfach sein? War es jedes Mal so gewesen, wenn er bisher geglaubt hatte, dass Dumbledore scheinbar alles wusste? Bereitete er alles für die eventuell eintretenden Fälle vor, um hinterher den Eindruck zu erwecken, dass er jedem und allem überlegen war? Es musste sehr anstrengend sein, sich jede Eventualität zu überlegen und auf jeder der möglichen Ausgänge vorbereitet zu sein. Das klang irgendwie eher nach Eigenschaften, die Slytherin bevorzugt hätte. Sehr interessant. Harry grinste ihn spitzbübisch an. „Dann sollten wir nicht noch weitere Zeit verstreichen lassen, Professor.“ In der Zwischenzeit, war er schon neugierig, was in der Erinnerung zu finden sein würde. Er hätte vielleicht einfach mal Voldemort fragen sollen, was Horkruxe eigentlich sind. So müsste er sich gedulden, bis der Alte bereit war, es ihm zu zeigen. Das Denkarium war bereits auf dem riesigen Schreibtisch aufgestellt und der Direktor beeilte sich, den Inhalt der Flasche hineinzugeben. „Nun endlich werden wir die Wahrheit sehen.“ Er griff nach Harry und zog ihn mit sich in die Erinnerung.   Sie waren in den Privaträumen von einem ca. 50 Jahre jüngeren Professor Slughorn. Dieser saß mit ein paar von seinen Lieblingen um einen Tisch und unterhielten sich. Slughorn war beeindruckt von seinem Schüler Tom, der immer über verschiedenste Angelegenheiten informiert war, über die er gar nichts hätte wissen können. Nach einer Weile wurden die Schüler in ihre Schlafräume geschickt, aber Tom blieb noch und fragte nach ein paar Schmeicheleien den Professor, was er so unbedingt wissen wollte. „Sir, könnten Sie mir sagen, was Sie über … über Horkruxe wissen?“ Natürlich druckste der Professor erst ein bisschen herum, bevor er dann die ersehnten Antworten gab.   Harry hörte gebannt zu. Horkruxe waren Gefäße, in denen man einen Teil seiner Seele einschließen konnte, die man zuvor durch Töten eines anderen Menschen in zwei Teile zerrissen hatte. Tom wollte seine Seele in sieben Teile zerreißen, also sechs Horkruxe erschaffen, weil sieben eine magische Zahl war. Aber er konnte ihm den Zauber zur Übertragung des Seelenstücks in das vorgesehene Gefäß nicht nennen. Alles natürlich rein theoretisch. Kein Wunder, dass die Spinne nicht wollte, dass jemand die echte Erinnerung sieht. Er hatte Tom ja mit diesen Informationen geholfen, der mächtigsten Zauberer aller Zeiten zu werden.   Und schon war die Erinnerung wieder vorbei und sie standen wieder im Büro des Direktors. „Nun Harry, hast du die Bedeutung dessen verstanden, was da gerade passiert ist?“, wollte der alte Mann wissen. Harry dachte kurz nach. Er hatte genau verstanden, was da passiert war und was das zu bedeuten hatte. Aber er musste den Schein seiner kindlichen Naivität aufrechterhalten. „Sie glauben, es ist ihm gelungen, Sir? Er hat einen Horkrux erschaffen? Und deswegen ist er damals nicht gestorben, als er versucht hat, mich zu töten?“, fragte er also gespielt geschockt. „Ich befürchte, nicht nur einen. Ich habe in den letzten Monaten versucht, Beweise für meine Theorie zu finden und hatte damit sogar Erfolg. Tom hat es wohl wirklich geschafft, sechs Horkruxe zu erschaffen. Ich habe einen gefunden und ihn vernichtet. Einen zweiten hast du sogar schon zerstört. Damals in deinem zweiten Jahr. Erinnerst du dich?“ Harry machte große Augen. „Das Tagebuch?“ „Ja, genau.“, lächelte Dumbledore. „Du bist sehr klug.“ ‚Pah! Als ob das gerade so schwer gewesen wäre.‘, dachte er, setzte aber ein leicht stolzes Lächeln auf, als ob ihm das Lob seines Schulleiters wirklich wichtig wäre. „Was war der andere Horkrux?“ „Ein goldener Ring. Ein Familienerbstück der Gaunts, der Familie seiner Mutter. Dieser Ring zeigt außerdem, dass er der direkte Nachfahre von Salazar Slytherin ist.“ „Oh, also muss der Ring wohl sehr wichtig für ihn gewesen sein.“ „Ja, das denke ich auch. Ich glaube, dass er nur Gegenstände zur Erschaffung eines Horkuxes verwendet hat, denen er eine besondere Bedeutung beimisst, genauso, wie er nur bedeutsame Tode zur Herstellung der Horkruxe genutzt hat. Ich befürchte, dass dein Tod ein solcher für ihn gewesen wäre und dass er zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle sechs zusammen hatte. Vermutlich wollte er mit deinem Tod seinen letzten Horkrux erschaffen. Wie wir wissen, ist er damit gescheitert.“ „Und haben sie schon konkrete Vorstellungen, um was für Gegenstände es sich handelt?“ „Ich kann nur raten, mein lieber Harry. Hast du denn eine Idee?“ Verwirrt blickte Harry auf. Dann sickerte die Erkenntnis langsam in sein Bewusstsein. „Das Medaillon und der Becher von Helga Hufflepuff.“ Dazu waren also die früheren Erinnerungen gut gewesen. Sie sollten ihn wohl stückweise auf das hier vorbereiten. Deswegen musste er sich ansehen, wie Voldemort – damals noch Tom Riddle – bei Borgin & Burke’s gearbeitet und die „Verkaufsgespräche“ geführt hatte, wo auch dieser Becher aufgetaucht war und er auch wieder in den Besitz seines Familienerbstückes, das Medaillon, gekommen war. Er füllte sich irgendwie manipuliert und sein Zorn auf Dumbledore wuchs noch ein bisschen mehr. „Aber zusammen mit dem Ring und dem Tagebuch wären wir erst bei vier. Was könnten die anderen Horkruxe sein?“ Der alte Mann lächelte erfreut. „Ja, zu dem gleichen Schluss bin ich ebenfalls gekommen.“ ‚Wer hätte das gedacht?.‘ Harry konnte sich geradeso zusammenreißen, um diesen Gedanken nicht laut auszusprechen. Dumbledore hatte diese Erkenntnis doch geradezu erzwungen. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie Toms hohen Ansprüchen gerecht geworden wären.“ „Dann sind die anderen beiden Gegenstände vielleicht auch welche, die den Gründern gehört haben?“ „Durchaus möglich. Aber ich weiß leider nicht welche dafür in Frage kämen. Es gibt aber auch Grund zu der Annahme, dass auch seine Schlange eines seiner Horkruxe ist.“ Harry musste die Überraschung auf seinem Gesicht nicht einmal spielen. „Die Schlange? Kann ein Lebewesen denn überhaupt ein Gefäß für ein Seelenstück sein? Immerhin enthält es ja bereits eine eigene Seele.“ Er stellte es sich sehr ungemütlich vor, als ob zwei Personen gleichzeitig an einer Stelle stehen wollten und keiner bereit wäre, auch nur einen Millimeter von diesem Platz zu weichen. „Anscheinend ist es möglich, ja. Das würde das merkwürdige Verhalten dieser Schlange erklären und auch Voldemorts besonders starken Einfluss auf sie.“ „Mrmpf… Also hätten wir noch das Medaillon, den Becher, irgendeinen weiteren Gegenstand, der vermutlich mal einem der Gründer gehört hat, und die Schlange. Bleibt jetzt nur die Frage, wo sich diese Horkruxe befinden.“ „Ich suche schon lange nach ihnen und ich denke… vielleicht… bin ich kurz davor, einen weiteren gefunden zu haben. Es gibt Zeichen, die Anlass zur Hoffnung geben.“ „Und wenn es dann so weit ist“, rief Harry rasch, „darf ich dann mitkommen und helfen?“ Das wäre die perfekte Möglichkeit, um den alten genauer im Auge zu behalten. Aber er machte sich eigentlich keine Hoffnung, dass dieser ihn wirklich mitnehmen würde. Dumbledore sah seinen Schützling sehr aufmerksam an. „Ja. Ja, ich denke doch.“ „Ich darf?“, fragte Harry vollkommen überrascht. Es war absolut neu, mal nicht zu hören, dass es viel zu gefährlich für ihn wäre und genau dieses so plötzlich geänderte Verhalten, machte ihn noch misstrauischer. „Ich denke, du hast dir dieses Recht verdient und ich könnte wahrscheinlich deine Hilfe gut gebrauchen.“ Harry war tatsächlich sprachlos. Damit hatte er niemals gerechnet. Nach so langer Zeit durfte er endlich mal bei einem Vorhaben gegen Voldemort dabei sein und bei der Vorbereitung für seine Vernichtung helfen. Nur zu schade, dass er das jetzt gar nicht mehr wollte. Er musste Voldemort unbedingt so schnell wie möglich davon in Kenntnis setzten, was er eben erfahren hatte. Es würde ihn mit Sicherheit nicht erfreuen, dass seine Lebensversicherungen nach und nach zerstört werden sollen. So besessen, wie Dumbledore von den Horkruxen war, bedeute das wohl, wenn alle zerstört wären, würde Voldemort sterblich sein, könnte also getötet werden. Das war keine Option. Das Risiko war viel zu hoch. Selbst wenn Voldemort nicht spüren sollte, dass seine Horkruxe zerstört wurden – und so schien es jedenfalls – würde er es mit Sicherheit früher oder später bemerken. Was sollte ihn davon abhalten heimlich weitere zu erschaffen? So verkrüppelt, wie seine Seele in der Zwischenzeit schon war, würden ein oder zwei Horkruxe mit Sicherheit nicht weiter ins Gewicht fallen. Und dann wären alle Mühen umsonst gewesen und sie hätten einen nur noch verrückteren und unberechenbareren Dunklen Lord. Nein, das kam sicher nicht in Frage.   „Du siehst müde aus, Harry.“, sagte der Schulleiter mit einem sanften Lächeln. „Du solltest jetzt langsam ins Bett gehen. Es war ein anstrengender Tag für dich.“ ‚Wenn du wüsstest.‘ Er nickte leicht, noch immer in seinen Gedanken versunken. „Mach dir nicht zu viele Sorgen, Harry. Das tut deinem jungen Geist nicht gut. Jetzt geh! Husch, husch!“ ‚Husch, husch? Wie alt bin ich denn?‘ „Ja, Professor, ich danke Ihnen. Gute Nacht.“ „Gute Nacht, Harry, und ich wünsche dir angenehme Träume.“ Harry lächelte seinen Professor noch einmal treudoof an und ging dann zur Tür. Kurz bevor er die Tür öffnete, drehte er sich noch einmal um. „Professor! Mir ist gerade eingefallen, … Ähm! Wie haben sie denn diesen Horkrux, also diesen Ring zerstört?“ Er schaute seinen Schulleiter mit großen neugierigen Augen an, sich innerlich ärgernd, dass er fast vergessen hatte, diese Frage zu stellen. Allerdings erwartete er nicht wirklich eine Antwort. Und natürlich tat Dumbledore ihm auch nicht den Gefallen, diese Information mit ihm zu teilen. „Ah, ich denke, so spannend diese Geschichte auch ist, sie ist doch eher etwas für einen anderen Tag. Du solltest jetzt wirklich schnell wieder in den Gryffindorturm gehen.“ Harry war schon fast draußen also Dumbledore ihn noch einmal zurück rief. „Ah, und Harry?“ Gespannt blickte Angesprochener auf. „Und keine Umwege. Ich erwarte, dass du direkt in den deinen Gemeinschaftsraum gehst, egal wie verlockend Hogwarts bei Nacht auch sein kann.“ Ein beinahe schon spitzbübisches Lächeln zierte dabei Dumbledores Gesicht. Es schien Harry genauso falsch, wie der ganze Mann an sich. Wie hatte er das nur all die Jahre übersehen können? „Natürlich, Professor. Gute Nacht.“ und damit war Harry durch die Tür verschwunden.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Harry ging mit ruhigen Schritten die Flure entlang. Bevor er in den Gemeinschaftsraum zurückging, wollte er noch kurz nach seiner Hedwig schauen, ob sie wieder angekommen war und es ihr gut ging. Immerhin wollte er sie am nächsten Tag schon wieder auf diese vermutlich lange Reise schicken. Auf dem Weg zur Eulerei, kam er wieder an dem Klassenzimmer vorbei, an dem er vorhin mit Draco zusammengestoßen war und hörte einen lauten Rumms mit anschließenden schmerzhaften Stöhnen. ‚Ups!‘ Er musste sich zusammenreißen, um nicht laut aufzulachen. ‚Da hat der Zauber wohl doch länger als eine halbe Stunde gehalten.‘ Er beeilte sich, außer Sichtweite der Tür zu kommen, damit Draco ihn nicht sah, wenn er jeden Moment aus der Tür gestürmt kommen würde. Mit einem tobsüchtigen Todesser mit schmerzendem Hinterteil wollte er sich dann doch nicht anlegen. Er schaffte es, um die nächste Ecke zu biegen, bevor die Tür aufgesprengt wurde und ein stöhnender und Flüche vor sich hinmurmelnder Slytherin aus dem Klassenraum gehumpelt kam und sich in Richtung Kerker wandte. Innerlich lachend setzte Harry seinen Weg fort.   Ein paar Minuten später hatte er seinen Zielort erreicht. Hedwig kam wieder sofort auf ihn zugeflogen und setzte sich auf seine Schulter. „Oh, meine arme Kleine. Du siehst sehr erschöpft aus.“ Er streichelte sanft ihr weiches Gefieder. „Ruh dich aus. Ich befürchte, ich muss dich morgen Nacht schon wieder losschicken. AU!“ Sie zwickte ihn sehr fest ins Ohr, um ihren Protest kundzutun. „Ich weiß, dass du eben erst wieder angekommen bist. Und es tut mir wirklich leid. Aber ich wüsste niemanden, den ich sonst mit so einer wichtigen Aufgabe betrauen könnte.“ Diese Worte schienen die Schneeeule etwas zu besänftigen und sie kuschelte sich wieder an Harrys Wange. „Danke, Hedwig! Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann. So, jetzt aber ab zu deinem Schlafplatz und erhole dich.“ Sie schuhute einmal leise und flatterte dann irgendwo hinauf in die Spitze des Westturms. Etwas beruhigt machte Harry sich endlich auf den Weg zum Gryffindorturm. Er musste auf jeden Fall noch den Brief schreiben.   Als er im Gemeinschaftsraum seines Hausen angekommen war, stellte er erleichtert fest, dass niemand mehr wach war. Er kramte eine kleine Pergamentrolle und seine Schreibfeder aus seiner Tasche hervor, die er glücklicherweise noch nicht weggeräumt hatte und begann, zu schreiben. Diesmal brauchte er nicht lange zu überlegen und wusste sofort, wie er den Text formulieren musste.   An Lord Voldemort,   habe wichtige Informationen.   H.P.   Kurz, knapp, fertig. Er faltete den Brief ordentlich zusammen und ging hoch in den Schlafsaal. Er würde ihn wieder in seinem Bett verstecken. Harry zog sich schnell um, krabbelte in sein Bett und zog die Vorhänge seines Himmelbettes zu. Er fuhr sanft mit seinen Fingern über das Dunkle Mal an seinem Schenkel und musste lächeln. Auch wenn er diesen Ausgang des Tages sich erhofft hatte, war er dennoch überwältigt, dass alles so funktioniert hatte. Selbst Dumbledore schöpfte keinen Verdacht und ließ sich täuschen. Und er würde seiner Liebe niemals in einem ernsthaften Kampf gegenübertreten müssen. Harry kämpfte zwar jetzt für die Dunkle Seite, aber er war so glücklich wie schon lange nicht mehr.   Und während der Auserwählte so in Gedanken in den Schlaf sank, erhoben sich zwei weitere schwarze Flügelpaare in den Nachthimmel und flogen zu den fünf Raben, die bereits seit der Dämmerung den Himmel beherrschten. Kapitel 6: Sectumsempra ----------------------- Es war Sonntag und Harry ließ es sich nicht nehmen, lange, sehr lange zu schlafen. Er hatte die letzten zwei Wochen viel zu wenig Erholung bekommen und konnte das langsam, aber sicher in seinen Gliedern spüren. Seine Zimmerkameraden hatten versucht, ihn zum Frühstück zu wecken und waren dabei mit ihrer Kreativität an ihre Grenzen gegangen. Es fing an, mit dem obligatorischen Bettdecke-wegziehen und Kaltes-Wasser-übern-Kopf-kippen, wurde ersetzt mit einem energischeren Weckheuler und gipfelte dann in einem Kitzelfluch. Aber sie hatten keinen Erfolg, da Harry einen Dauerprotego gezaubert hatte, als ihm die Gefahr seitens seiner Mitschüler gewahr wurde. Sie hätten ihren Freund sicherlich weiter als unfreiwilliges Versuchskaninchen genutzt, wenn sie nicht von der Aussage: „Ich glaube, ich weiß, warum Voldemort so böse geworden ist. Seine Freunde haben ihn bestimmt auch nicht ausschlafen lassen. Da muss man ja durchdrehen.“ doch ein wenig eingeschüchtert gewesen wären und schleunigst das Weite gesucht hätten. Harry war zufrieden und kuschelte sich wieder in seine Decke und schlief bis zum Mittag. Bis zu dem Augenblick als Harry ausgeschlafen, frisch geduscht und zurechtgemacht, in einem sexy Outfit im Gemeinschaftssaal aufgetaucht war, hätte sich niemand auch nur in die Nähe des Schlafsaals gewagt. Er streckte sich noch einmal genüsslich, dass wirklich jeder seine Bauch- und Brustmuskel bewundern konnte, setzte ein fröhliches Lächeln auf und fragte unschuldig: „Wollen wir zum Essen gehen? Ich habe riesigen Hunger.“ Die Anspannung, die bis eben noch im Raum geherrscht hatte, verflog augenblicklich. Alle waren froh, dass der Auserwählte wieder bessere Laune hatte.   Sie gingen alle zusammen in Richtung der Große Halle. Ginny schien zu versuchen, Harry mit ihren Blicken auszuziehen. Als das misslang, klammerte sich an seinen Arm. Er quittierte das mit einem genervten Stöhnen, welches aber geflissentlich von der Fünftklässlerin ignoriert wurde. Sie waren gerade vor den großen Flügeltüren angekommen, als sie auf eine Gruppe Slytherins stießen, angeführt von niemand Geringerem als Draco Malfoy. Sie blieben kurz stehen und musterten die Gryffindors vor ihnen mit unverhohlener Neugierde. Erst als ihr Prinz sich wieder in Bewegung setzte, schauten sie, eindeutig gespielt, desinteressiert in der Gegend herum, folgten ihm dann und drängelten dabei die Gruppe auseinander. Auch Ginny wurde von Harrys Arm weggedrängt. „Na, Potter! Für wen hast du dich denn so aufgebrezelt? Glaubst du, dass dich deine Angebetete so bemerken wird?“ Draco hatte so leise gesprochen, dass Harry große Mühe hatte, ihn zu verstehen. „Keine Sorge, Malfoy! Ich bekomme schon genau die Aufmerksamkeit, die ich will!“, flüsterte er genauso leise zurück und drehte sich dann ruckartig um, um mit den anderen an seinen Tisch zu gehen, wo schon das Essen auf sie wartete. ‚Mist! Wieso habe ich das gesagt? Das hätte ich mir verkneifen müssen. Ich muss besser aufpassen!‘   „Was war denn mit denen los?“, fragte Ron verwirrt und riss Harry gekonnt aus seinen Gedanken. „Keine Ahnung!“ „Sind die nicht immer komisch?“ „Zumindest haben die sich heute Morgen auch schon merkwürdig verhalten.“ „Ja, haben immer zu uns geguckt und getuschelt.“ „Die planen sicher etwas. Wir sollten die nächste Zeit noch mehr auf der Hut sein als sonst.“ Harry ignorierte die hitzige Debatte über das merkwürdige Verhalten ihrer Hausfeinde. Er hatte eine ziemlich genaue Vorstellung, was mit denen los war. Draco hatte ihnen anscheinend von Harrys Besuch bei dem Dunklen Lord erzählt und die Tatsache, dass er das überlebt hatte und sich ihnen anscheinend sogar angeschlossen hatte, sorgte für ein gewisses Interesse. Und alle brannten jetzt darauf, zu erfahren, was Harrys Sinneswandel verursacht hatte. Aber so würden sie nur unweigerlich Aufmerksamkeit darauf lenken, dass etwas nicht stimmte. Er würde mit ihnen reden müssen. Am besten so schnell, wie möglich. Solche Aufmerksamkeit war alles andere als gut. Die anderen Häuser könnten ebenfalls darauf aufmerksam werden, dass sich etwas verändert hat. Das musste er so schnell wie möglich verhindern. Aber wie könnte er es schaffen, mit allen gleichzeitig zu reden, ohne dass es auffällig wäre? Harry hatte absolut keine Lust, mehrere kleinere Grüppchen zu sich zu holen und dann immer und immer wieder das gleiche erzählen zu müssen. Und er wollte sich auch nicht darauf verlassen, dass einer oder ein paar wenige, seine Worte übermittelten. Bei Schlangen musste man aufpassen, dass sie nicht plötzlich nach einem schnappten. Am günstigsten wäre es, wenn er selbst in Slytherin sein könnte, aber… ‚Warum eigentlich nicht? Ich weiß ja, wo der Eingang ist. Das wäre am einfachsten und effektivsten.‘ Es gab nur einen kleinen Haken bei der Sache. Natürlich gab es auch Slytherins, die (noch) keine Todesser waren. Die mussten vorher verschwinden. Also musste er wenigstens eine Schlange vorher einweihen, damit diese sich darum kümmern konnte. Harry wusste auch schon ganz genau, wen er dafür einspannen wollte. Zufrieden mit seiner Idee widmete er sich ganz seiner Spaghetti in Kürbis-Rahm-Soße.   Als Harry fertig mit essen war, bemerkte er, wie sich ein paar Slytherins von ihrem Tisch erhoben und zum Ausgang gingen. In dem Moment, als sie die große Halle verlassen hatten, stand auch Harry auf, entschuldigte sich bei seinen Hauskameraden, er müsse noch in die Bibliothek und folgte dann den drei Slytherins Richtung Kerker. Sie hatten es glücklicherweise nicht eilig und so hatte er sie schon kurze Zeit später eingeholt. „Malfoy!“, rief er dem Blonden zu, dessen Bodyguards, Crabbe und Goyle, ignorierend. „Kann ich dich mal kurz sprechen?“ Angesprochener, drehte sich um und guckte skeptisch zu dem Gryffindor, konnte aber keine Feindseligkeit oder Arglist in dessen Augen erkennen. „Was willst du, Potter?“, fragte Malfoy in einem ebenso neutralen Ton. „Unter vier Augen.“ Erwiderte Harry und sah seinem Gegenüber dabei fest in die Augen. Draco nickte leicht und wandte sich dann zu seinen beiden Gorillas. „Geht schon mal vor und wartet im Gemeinschaftsraum auf mich!“ Sie gehorchten ohne Widerworte. Als beide verschwunden waren, gingen Harry und Draco eine Weile schweigend nebeneinander her. Plötzlich ergriff Harry den Umhang des Slytherins und zehrte ihn hinter eine Statue. „Was soll der Scheiß, Potter!“, fauchte dieser als er den Schock überwunden hatte. „Und wo sind wir hier?“ Harrys Augen blitzten belustigt auf, seine Stimme dagegen klang kalt und gelangweilt. „Wir sind in einem Geheimgang. Davon gibt es ein paar in Hogwarts. Ich dachte, hier können wir uns in Ruhe unterhalten, ohne dass uns irgendein neugieriger Idiot belauscht und mitbekommt, was wir besprechen bzw. auch keiner merkt, dass wir uns normal unterhalten. Das würde ein paar unliebsame Fragen aufwerfen. Findest du nicht?“   Draco musste einsehen, dass Potter Recht hatte, was nicht hieß, dass er ihn später nicht doch noch einen kleinen Fluch auf den Hals hetzen würde, als Rache dafür, dass er ihm so einen Schreck eingejagt hatte. Und außerdem hatte sie eh noch eine Rechnung offen. „Also was gibt es?“, seufzte er ergeben. „Das Verhalten deiner tollen Hauskameraden ist zu auffällig. Sie gaffen mich die ganze Zeit an und tuscheln. Es ist ein Wunder, dass noch kein anderer bemerkt hat, dass es meinetwegen ist. Alle denken bis jetzt, dass ihr etwas gegen das Haus Gryffindor plant. Aber was glaubst du, wie lange noch? Irgendwann begreifen sie, dass da nichts kommen wird und fangen dann doch an, euer Verhalten genauer zu hinterfragen. Und was passiert, wenn sie herausfinden, dass ich nicht mehr der liebe, nette Junge bin, der sie vor allem Übel der Welt beschützen will, sondern im Gegenteil, mich diesem Übel auch noch angeschlossen habe? Ich habe keine Lust wegen euch in Askaban zu landen. Obwohl ich dann mit euch allen gewiss nette Gesellschaft hätte. Glaub ja nicht, dass ich allein untergehen werde, wenn euer dämliches Verhalten mich verrät.“ „Und was soll ich da deiner Meinung nach tun? Sie sind halt neugierig. Willst du ihnen das verübeln? Mich würde ja selbst brennend interessieren, was dich nun wirklich dazu bewogen hat, die Seiten zu wechseln. Mal ganz ehrlich! Wegen eines Mädchens wird es ja wohl nicht gewesen sein, auch wenn du das dem Dunklen Lord glauben gemacht hast.“ „Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass du das nicht verstehst, Malfoy.“, zischte Harry gefährlich zwischen zusammengepressten Zähnen, sodass Draco kein Zweifel blieb, dass er das Thema lieber fallen lassen sollte, wenn er unversehrt wieder hier raus wollte. „Ist ja schon gut! Jetzt sag endlich, was du von mir willst!“ Der Slytherin wurde immer gereizter. „Damit dieses Getuschel ein Ende hat, habe ich mir überlegt, euch heute Abend mal in eurem Gemeinschaftsraum zu besuchen und dann könnt ihr mich direkt fragen, was ihr wissen wollt, bevor das hier noch komplett ausartet. Und mir wäre es ganz lieb, wenn alle anwesend wären, natürlich mit Ausnahme der Nicht-Todesser. Und dafür brauche ich deine Hilfe. Könntest du bitte dafür sorgen, dass heute Abend, sagen wir Punkt 5 Uhr, alle da sind und wir ungestört reden können?“   Draco war sprachlos. Harry Potter, der Harry Potter hatte ihn, Draco Malfoy, gerade um einen Gefallen gebeten und sogar ‚bitte‘ gesagt. Und er wollte sogar freiwillig in die Schlangengrube kommen. Irgendetwas lief hier schief. Ja, er musste wohl träumen. Er merkte gar nicht, dass er mit den Gedanken abgedriftet war, bis eine Hand vor seinen Augen rumfuchtelte und nervige Schnippgeräusche machte. „Erde an Malfoy! Kannst du dich nicht mal ein paar Minuten konzentrieren? Ich hatte nicht vor, hier den restlichen Tag zu verbringen.“ „Ich habe nachgedacht!“, konterte der Blonde bissig. „Ach, sowas kannst du? Pass auf, dass du dich dabei nicht verletzt.“ „Pass bloß auf, Potter! Immerhin bist DU derjenige, der zu MIR gekommen ist, weil er MEINE Hilfe braucht. Solltest du da nicht ein bisschen netter sein?“ „Th! Ist ja nicht so, dass es nicht auch zu deinem Vorteil wäre, wenn schnell alles wieder in gewohnten Bahnen verläuft. Schließlich zieht ihr Slytherins auch ganz schön viel Aufmerksamkeit auf euch.“ Er konnte wie Wahrheit dieser Worte leider nicht abstreiten. „Ja, ja! Ist ja schon gut. Ich kümmere mich darum, dass alles bereit ist, wenn du kommst. Kann ich jetzt gehen? Ich weiß ja, dass viele deine Verehrerinnen jetzt gerne hier so eng bei dir stehen würden und sicher dafür auch gerne den ein oder anderen Unverzeihlichen aussprechen würden, aber ich bevorzuge doch lieber einen etwas größeren Abstand. Und ich denke, eine Dusche könnte jetzt auch nicht schaden.“, sagte er in seiner gewohnt arroganten Art. Harry hatte genug und schuppste den Slytherin einfach wieder auf den Gang hinaus. Der landete unsanft auf seinen Hintern. „Ey!“ Während Malfoy sich wieder aufrappelte, trat Harry gemütlich hinter der Statue hervor und sah belustigt auf seinen Rivalen. „Wir sehen uns dann heute Abend.“, meinte er noch, bevor er leise lachend den Gang hinunterlief. Mürrisch wandte sich Draco wieder Richtung Kerker. Das war jetzt schon das zweite Mal, dass er wegen Potter auf seinem Hintern gelandet war. Und nun müsste er sich etwas einfallen lassen, wie er die kleinen Nicht-Todesser-Plagegeister heute Abend aus seinem Kerker vertreiben konnte.   Harry ging unterdessen in die Bibliothek, – nicht ohne vorher seinen Tarnumhang, den Brief und seine Schulsachen zu holen – um die nächsten vier Stunden bis zu seinem Auftritt in der Schlangengrube mit Hausaufgaben und Lernen zu verbringen. Nur wenige Schüler waren da, was aber nicht sehr verwunderlich war, denn immerhin war Sonntag und schönes Wetter. Da hatte keiner Lust, seine wertvolle Zeit, in einer staubigen Bibliothek mit alten Büchern zu verbringen. Das kam Harry gerade recht. So konnte er sich wenigstens auf seinen Lieblingsplatz, in der hinteren Ecke der Bibliothek setzten. Dort konnte er unauffällig und ungestört arbeiten. Und so schaffte er es, bereits nach drei Stunden mit allem fertig zu sein. Er überlegte, was er die restliche Stunde noch machen konnte. Es lohnte nicht, sich noch seinen privaten Recherchen zu widmen, da er dazu neigte, darüber die Zeit zu vergessen. Er überlegte, was er später zu den Slytherins sagen sollte. ‚Sie werden wissen wollen, warum ich die Seiten gewechselt habe und das werde ich ihnen unter keinen Umständen erzählen.‘ und hoffte dabei zum wiederholten Male, dass Draco nichts in dieser Richtung erwähnt hatte. Er würde ihnen auch deutlich zu verstehen geben müssen, dass mit ihm nicht zu spaßen war und dass sie ihn ernst nehmen müssten. ‚Na das sollte kein Problem werden. Hauptsache, Draco verscheucht vorher alle Babyschlangen.‘ Ein leichtes Lächeln umspielte seinen Mund. Harry hatte überhaupt keine Zweifel, dass das Oberhaupt des Hauses Slytherin das schaffen würde. Aber neugierig, wie dieser das bewerkstelligen wollte, wurde er jetzt schon. Er griff nach seinen Tarnumhang. Er könnte ja jetzt schon in die Kerker gehen und sich alles in Ruhe anschauen und Punkt fünf Uhr, wenn Draco bis dahin seinen Auftrag erfüllt hatte, würde er sich zu erkennen geben. ‚Dieser Auftritt wäre auf jeden Fall slytherin-like.‘ Die Entscheidung war getroffen und so zog er sich schnell seinen Tarnumhang um und schlich aus der Bibliothek zu den Kerkern.   Er musste ein Stück laufen, um den Eingang zum Slytherin-Gemeinschaftsraum wieder zu finden. Er war vor vier Jahren zwar schon einmal hier gewesen, aber die Wege in den Kerkern sind verschlungen und weit. Und der Gemeinschaftsraum lag immerhin unterhalb des Großen Sees. Aber er konnte deutlich spüren, als er sich ihm näherte. Er blieb neben dem Eingang stehen. Nur ein kahle Mauer, wie jede andere hier unten. Kein Portrait, keine Statue, nichts, was darauf hindeuten würde, dass sich dahinter die Räume des Hauses Slytherin befanden. Man musste schon sehr schlau und gewitzt sein, um sich hierher zu finden. Dass Crabbe und Goyle noch nicht verloren gegangen waren, war ihm ein Rätsel.   Harry wartete geduldig, bis jemand hinein oder hinaus gehen wollte. Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich endlich der verborgene Eingang und ein heulender Erstklässler kam herausgerannt. Harry war so überrascht, einen Slytherin weinen zu sehen, dass er fast die Gelegenheit hätte verstreichen lassen. Kurz bevor der Eingang wieder verschlossen war, schlüpfte er in den Gemeinschaftsraum. Er wurde von einem leicht diffusem Licht empfangen genommen, das in sanften Grüntönen den Raum leicht erhellte. An den durch Zauber verstärkten Fenstern konnte er kleine Fische erkennen, die sich im Schwarzen See tummelten. Dieser Raum hatte schon etwas Magisches. Harry hatte aber keine Zeit, diesen Augenblick richtig in sich aufzunehmen, da er schnell drei weiteren Erstklässlern ausweichen musste, die wie der erste weinend aus dem Gemeinschaftsraum rannten. Erst jetzt begann Harry, seine Umgebung richtig wahrzunehmen. Der Raum war voller Slytherins und es wurde lautstark diskutiert. „Draco! Kannst du mir mal verraten, was das alles soll? Ich wollte noch vor dem Essen in die Bibliothek!“ „Und ich wollte mich noch mit der Kleinen aus Ravenclaw treffen.“ „Kann ich mich nicht einfach wieder ins Bett legen?“ „HALTET DIE KLAPPE!“, sagte jemand laut und energisch von weiter hinten. „Ihr werdet noch alle, früh genug erfahren, um was es geht. Und jetzt helft mir gefälligst, diese kleinen Bälger rauszuwerfen!“   Draco war genervt. Draco war richtig genervt. Seine Stimme und seine Haltung sprachen Bände, obwohl sein Gesicht die gleiche Kälte ausstrahlte, wie sonst auch. Aber allein sein Blick und seine schneidende Stimme sorgten dafür, dass alle Slytherins parat standen und keiner wagte mehr Widerworte zu geben. Bis auf ein paar vorwitzige Erst- und Zweitklässler, die offensichtlich noch nicht begriffen hatten, wer hier das Sagen hatte. Aber ein Blick zu Crabbe und Goyle genügte und schon wurden diese Störenfriede am Kragen gepackt und aus dem Raum geworfen. „Und nicht vergessen,“, rief Draco hinter ihnen her „ihr kommt erst nach dem Abendessen wieder hier rein.“ Er drehte sich wieder zu seinen Kameraden um. „Sonst noch jemand da, der nicht hierher gehört? Pansy, Millicent, Daphne! Ihr durchsucht noch mal alle Mädchenschlafräume. Theodore, Miles, Adrian! Ihr macht das gleiche bei den Jungs. Seid gründlich!“ Beeindruckt beobachtete Harry, wie selbst die beiden Siebtklässler Draco aufs Wort gehorchten. ‚Anscheinend hat er wirklich alles im Griff und hat seinen Titel „Prinz von Slytherin“ nicht für umsonst.‘ Bereits nach wenigen Minuten waren die sechs Schüler wieder zurück. „Niemand mehr da.“, sagte Pansy. „Bei uns war auch keiner mehr.“, bestätigte Adrian.   Die meisten Slytherins waren schon vor einer Stunde geflüchtet, als Draco lauthals verkündet hatte, dass sie zu verschwinden haben. Nur die paar wenigen Nachzügler, die noch nicht wirklich begriffen hatten, wie das hier lief, hatten gewagt, Draco zu ignorieren. Sie dürften es jetzt aber gelernt haben, nachdem er ihnen offen mit den schlimmsten Flüchen gedroht und sie hatte hinausschmeißen lassen. „Verrätst du uns jetzt endlich, was los ist?“ Draco schlenderte zu seinem Lieblingssessel, von dem aus er den ganzen Raum überblicken konnte, ließ sich elegant hineinfallen, so dass er ein Bein über eine Armlehne geschwungen hatte, starrte das kleine Grüppchen vor sich ruhig an und setzte dann ein teuflisch fieses Grinsen auf. „Wir bekommen gleich Besuch. Und zwar von niemand Geringerem als Harry Potter.“ Ungläubig starrten die Slytherins ihren Prinzen an. „Das glaube ich nicht.“ „Du machst doch Witze!“ „Harry Potter soll sich wirklich freiwillig in unsere Schlangengrube begeben? Allein?“ „Weiß der überhaupt, wo der Eingang ist?“ „Wie will der denn hier reinkommen?“ „JETZT SEID MAL FÜR EINEN MOMENT STILL!“ Draco hasste diesen Krach. Mussten diese Idioten denn alle durcheinander reden? „Er hat mir heute Mittag gesagt, dass er hier um 5 auftaucht. Es passt ihm anscheinend nicht, dass ihr so viel Aufmerksamkeit erregt. Ich habe keine Ahnung, ob er weiß, wo unser Eingang ist oder wie er hier reinkommen will. Er hat mich nicht danach gefragt, also habe ich ihm auch nichts gesagt. In ein paar Minuten werden wir’s ja sehen. Solange werdet ihr euch doch noch gedulden können.“ Und wieder war Harry erstaunt, wie gut Draco seine Leute im Griff hatte. Keiner wagte es auch nur noch einen Mucks von sich zu geben.   Harry schaute auf seine Armbanduhr und stellte zufrieden fest, dass es endlich 5 Uhr war und er sich zu erkennen geben konnte. Dazu stellte er sich in die Mitte des Raum, verkniff sich ein Grinsen, als er sich die überraschten Gesichter vorstellte und zog sich den Tarnumhang über den Kopf. Kaum hatte er sich zu erkennen gegeben, flog ihm bereits ein Fluch entgegen, den er aber noch rechtzeitig mit einem „Protego!“ abschirmen konnte. Er schaute sich um, um herauszufinden, wer ihn denn verfluchen wollte und entdeckte Blaise Zabini, der mit schreckgeweiteten Augen zu Harry schaute und seinen Zauberstab erhoben hatte. Die umstehenden Slytherin schauten verwirrt zwischen Harry und Blaise hin und her, teilweise geschockt, weil der Gryffindor so plötzlich aufgetaucht war, verwirrt, weil Blaise einen Zauber auf diesen gerichtet hatte, wütend, weil Harry den Fluch so leicht blocken konnte und unschlüssig, weil sie nicht wussten, wie sie sich jetzt verhalten sollten. Nur Draco Malfoy saß noch immer lässig auf seinem Platz und schaute scheinbar desinteressiert auf die Szene vor sich. Harry empfand diese Szene mehr als komisch und musste sich erneut ein Lachen verkneifen. „Zabini!“, sagte Harry mit einem bösartigen Grinsen auf dem Gesicht. Alle – bis auf Draco – hielten die Luft an. „Ich bin froh, dass wenigstens einer hier so gute Reflexe hat, um einen möglichen Überraschungsangriff abzuwehren. Aber du solltest vielleicht noch zwischen Freund und Feind unterscheiden lernen.“ Er schaute in die braunen Augen seines Angreifers und sein Grinsen wurde eine Spur breiter. „Oder siehst du mich etwa als Feind?“ Blaise Lippen verzogen sich kurz zu einem kleinen arroganten Lächeln und er steckte seinen Zauberstab wieder weg. Sie nickten sich kurz in gegenseitigem Einverständnis zu. Jetzt schienen sich auch wieder die anderen Slytherins aus ihrer Starre zu lösen. „Potter!“, kam es aggressiv von Miles Bletchley. „Wie zum Teufel bist du hier hereingekommen?“ „Durch den Eingang.“, erwiderte Harry unbeeindruckt. „Verarsch mich nicht! Wer hat dir das Passwort verraten?“ „Alter, jetzt beruhige dich doch mal!“ Pucey hielt seinen Hausgenossen zurück, als dieser seinen Zauberstab gezückt hatte und ihn auf Harry richtete. „Das ist doch völlig egal. Er ist jetzt hier. Mich würde eher interessieren, ob es stimmt, was Draco gesagt hat, ob er wirklich die Seiten gewechselt hat.“ Und dann schaute er zu Harry. „Zeig uns dein Mal!“ Harry zog eine Augenbraue nach oben und schaute den Slytherin an. „Nein!“ „Wieso nicht?“ „Weil ich es nicht an der gleichen Stelle habe wie ihr.“ Ein hämisches Lachen folgte. „Na klar! Es ist IMMER auf dem linken Unterarm. Wen, glaubst du, kannst du mit so was verarschen?“ „Wohl jeden, der kein Hirn im Kopf hat, so wie du!“ Harry musterte Pucey mit kaltem Blick. „Ich bin nicht wie ihr von anderen Todessern umgeben, denen es scheißegal ist, ob mein Mal zu sehen ist oder nicht. Ich bin immer noch in Gryffindor. Ich weiß nicht, wie es bei euch ist, aber wir haben dort Gemeinschaftsduschen und wir schlafen auch nicht jeder für sich in einen Raum. Es würde doch sehr auffallen, wenn ich plötzlich mein Verhalten ändern würde und immer alleine duschen gehen oder immer etwas Langärmeliges anhaben würde. Was glaubst du, wie lange würde es dauern, bis jemand misstrauisch wird? Dann hätte ich mich schneller verraten als du „Dunkler Lord“ sagen könntest. Also hat Voldemort mich an einer anderen Stelle gezeichnet. Und ich werde mich bestimmt nicht vor euch ausziehen, um dir das zu beweisen.“ „Ich glaube dir kein Wort. Und ich habe ganz sicher keine Lust, mich von dir verarschen zu lassen.“ Pucey zog blitzschnell seinen Zauberstab und feuerte einen Fluch nach dem anderen auf Harry ab. Seine Kameraden taten es ihm gleich. Doch alle Zauber prallten an Harry ab und flogen durch den weiten Raum, zerstörten in bunten Lichtblitzen die Einrichtung des Slytheringemeinschaftsraumes. Nur Blaise hielt sich im Hintergrund und Draco hing weiter in seinem Sessel und zuckte mit keiner Miene. Er hatte ebenfalls einen magischen Schild hochgezogen, damit die von Harrys Schild abgelenkten Flüche ihn nicht treffen konnten. Harry stand einfach nur ruhig da, provozierend gelangweilt. Dieser Anblick machte die Slytherins aber nur noch wütender und sie verdoppelten ihre Anstrengungen, den Schutzschild ihres Gegners zu schwächen. Doch dieser wollte einfach nicht nachgeben. Plötzlich hörte er, wie jemand „Sectumsempra“ schrie. Harry kannte diesen Fluch nicht, wusste aber instinktiv, dass er schwarzmagischer Natur war. Diese Art von Fluch hätte einen einfachen Protego leicht durchbrochen. Aber Harrys Schild war kein einfacher Protego und so prallte auch dieser Fluch ab und wurde direkt auf Dracos Kopf umgelenkt. Dieser reagierte blitzartig, stieß sich von der Sessellehne ab und kam hart auf dem kalten Steinboden der Kerker auf. Harry sah geschockt auf die Rückenlehne des Sessels. In der Höhe, wo nur wenige Sekunden zuvor noch Dracos Kopf gewesen war, klaffte jetzt ein riesiger Schlitz, der sich diagonal über die gesamte Lehne zog und durch den man problemlos hindurchsehen konnte. Schlagartig war es so still in dem Raum, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Draco fand als erstes seine Stimme wieder. „Spinnst du, Bletchley!“ Ihm waren alle Gesichtszüge entglitten. „Du hättest mich fast erwischt.“ „Ich habe doch nicht auf dich gezielt.“, entgegnete Bletchley gelassen. „Woher hätte ich denn wissen sollen, dass der Fluch von Potters Schild abprallt? Der hätte sauber hindurchgehen müssen.“ Draco schaute seinen Gegenüber verständnislos an. „Dir ist schon klar, wer das ist? Harry Potter! Der Junge, der lebt und einfach nicht tot zu kriegen ist. Wie, glaubst du, hat er bisher jeden Kampf mit dem Dunklen Lord überlebt? Glück? Ich bin ja auch der Meinung, dass der schon immer mehr Glück als Verstand hatte. Aber denkst du wirklich, er würde immer noch leben, wenn er keine schwarzmagischen Flüche abwehren könnte? Ich glaube nicht, dass er zufällig Jahrgangsbester in Verteidigung gegen die Dunklen Künste geworden ist. Und ich wette, so gut, wie er sich vor schwarzmagischen Flüchen schützen kann, kann er sie bestimmt auch anwenden. Ich würde an deiner Stelle sehr vorsichtig sein. Und jetzt reicht es langsam mit dem Kindergarten hier. Potter IST ein Todesser. Egal, ob oder wo er das Dunkle Mal hat. Ich habe ihm selbst beim Dunklen Lord gesehen und der hat es mir selbst gesagt. Oder willst du etwa behaupten, ich lüge?“ Blechtley entschied sich klugerweise den Mund zu halten, sah aber nicht so aus, als hätte er begriffen, was Draco ihm erklären wollte und starrte stattdessen hasserfüllt auf Harry.   Harry selbst starrte noch immer wie betäubt auf den Schnitt. Das Gespräch sickerte nur langsam in seinen Kopf. ‚Doch! Ich hatte bisher immer nur Glück gehabt. Den Schildzauber habe ich doch erst vor einer Woche oder so gefunden. Und das war auch bloß reiner Zufall gewesen. Hatte doch eigentlich nach was ganz anderem gesucht.‘ Er starrte weiter auf die Lehne. Bilder drängten sich langsam in seinen Kopf. Er sah Draco dort sitzen, wo der Fluch eingeschlagen war. Er sah, wie der Slytherin nicht schnell genug hatte reagieren können. Er sah, wie der Fluch Dracos Kopf getroffen hätte und dieser nun von einem diagonalen Schlitz… Die Erkenntnis sickerte unendlich langsam in sein Bewusstsein und ihm wurde schlagartig schlecht. Draco hätte tot sein können. Hätte der blonde Slytherin nicht schnell genug reagiert, wäre er jetzt nicht mehr am Leben. Langsam wandte er den Blick von dem Sessel ab und schaute zu der Gruppe, die noch immer leicht geschockt zusammengedrängt dastand. Harry fixierte Bletchley, hob blitzartig seinen Zauberstab und schon war der arrogante Slytherin in der Luft und an die Wand hinter ihm geschleudert. „Bist du wahnsinnig?“ Harry sprach gefährlich leise. „Wenn du mit schwarzen Flüchen nicht umgehen kannst, dann benutze sie nicht. Du hättest einem deiner Freunde ersthaften Schaden zufügen können. Du hättest jemanden töten können.“ Harry verengte seine Augen zu Schlitzen. Blechtley schien langsam zu begreifen, in was für ein gefährlichen Situation er sich befand. Sein Arm zuckte, doch bevor er einen Zauber sprechen konnte, hatte Harry ihn bereits durch einen Schlenker seines Zauberstabs an die Wand gepinnt. Keine Sekunde später fing der Junge an, zu schreien. „Was hast du getan?“, schrie Pansy Parkinson aufgebracht. Harry lachte leise. „Nicht viel. Nur eine kleine Illusion auf seine Augen gelegt. Er sieht, wie der Fluch, den er auf mich geschickt hatte, auf ihn zukommt. Er muss zusehen, wie er seine Haut aufschneidet und er langsam verblutet. Immer und immer wieder. Ich schätze, das sollte der Fluch bewirken?“ Er erwartete keine Antwort. Die geschockten Gesichter waren Antwort genug. Alle starrten ihn fassungslos an. DAS hätten sie dem Goldjungen, dem Liebling Dumbledores, niemals zugetraut. Der Spitzname Sankt Potter war wohl nicht länger passend. Selbst Draco hatte seine Mühe, aufgrund dieser Eröffnung seine Maske aufrechtzuhalten. Die Minuten verstrichen, in denen nur das jämmerliche Kreischen des Slytherins zu hören war. „Lasst euch das eine Warnung sein, mich nicht zu unterschätzen. Malfoy hat recht. Ich kann mehr schwarzmagische Flüche, als ihr denkt. Und ich habe keine Scheu, sie einzusetzen, wenn ich es für notwendig halte.“ Die Schreie wurden immer leiser. Der Junge hatte wohl einfach keine Kraft mehr. Seine Kehle musste auch schon völlig ausgetrocknet sein. Er würde die nächsten Tage kaum Stimme haben. Glück für ihn, wenn er ungesagte Zauber beherrschte, aber Harry bezweifelte es.   „Wenn jetzt keine weiteren Unterbrechungen kommen, würde ich gerne mal über das sprechen, weswegen ich hierher gekommen bin.“ Harry schaute jedem einzelnen in die Augen und vergewisserte sich, dass er wirklich die gesamte Aufmerksamkeit von jedem hier in diesem Raum hatte. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es für euch ungemein spannend ist, zu erfahren, warum ich die Seiten gewechselt habe. Aber ich werde es euch nicht sagen und ihr werdet es auch nicht herausbekommen, indem ihr mich beobachtet. Ich bin nicht so dämlich und unvorsichtig, dass ich mich so einfach verraten würde. Und das solltet ihr auch nicht sein, wenn ihr noch länger in Voldemorts Diensten stehen wollt. Es bringt also absolut nichts, euch so komisch den Gryffindors gegenüber zu verhalten. Die wissen nämlich noch weniger als ihr, nämlich gar nichts. Ihr zieht nur die Aufmerksamkeit auf uns und damit auf mich. Das kann ich absolut nicht gebrauchen. Und da ihr jetzt einen winzigen Vorgeschmack bekommen habt, wozu ich fähig bin, denke ich, dass wir uns verstanden haben.“ Das war keine Frage. Er erwartete das jetzt einfach. „Beim nächsten Mal wird es Konsequenzen geben. Und ob es dann bei einer Illusion bleibt, kann ich euch nicht versprechen.“ Angespannt schauten die Angesprochenen zu dem Jungen an der Wand hoch, der nur noch ein gequältes Wimmern von sich geben konnten, schauten aber schnell wieder weg. Die meisten wagten nicht, Harry anzusehen, nickten aber, um zu zeigen, dass sie verstanden hatten. ‚Wer hätte gedacht, dass Slytherins mal so friedlich wie Minimuffs sein können?‘ Er drehte sich zu Draco. Sie nickten sich kurz zu. Eine Welle der Erleichterung durchströmte ihn. Er hatte große Mühe den aufkommenden Impuls, Draco zu umarmen, zu unterdrücken. Er war so unendlich froh, dass dieser so geistesgegenwärtig gewesen war und rechtzeitig vom Sessel gerutscht war; so froh, dass dieser noch lebte. Aber der Gedanke daran, was hätte passieren können, ließ schon wieder Übelkeit in ihm aufsteigen. „Finite incantatem!“ Harry drehte sich zu seinem Opfer und ließ den Illusionszauber und den Jungen selbst von der Wand fallen. „Das nächste Mal wird es für dich ganz sicher nicht nur eine Illusion sein. Hast du mich verstanden?“ Miles Blechtley war erschöpft und die Erinnerungen an diese Folter ließen ihm Tränen in die Augen schießen. Es kam nur noch ein ersticktes Wimmern über seine Lippen. Harry nickte und sprach schnell ein paar Reparaturzauber. Schon sah der Gemeinschaftsraum wieder aus, wie vorher. Nur auf dem Sessel erinnerte eine schwarze Narbe, wo der Fluch eingeschlagen war. Harry hätte den Sessel am liebsten in Flammen aufgehen lassen, aber er riss sich zusammen, warf den Tarnumhang über und verließ den Gemeinschaftsraum der Schlangen, in dem jetzt eine unangenehme Stille herrschte. Sicher hatte niemand mit diesem Ausgang des Treffens gerechnet. Zum Essen wollte Harry jetzt ganz sicher nicht gehen. Nach dem, was gerade passiert war, konnte er seinen Schulkameraden nicht in die Augen sehen, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Er musste sich erst wieder beruhigen. Außerdem hätte er jetzt sowieso keinen Bissen herunterbekommen. So entschloss er sich, seinen Brief gleich abzuschicken. Vielleicht hatte sich Hedwig ja schon ausreichend erholt.   Erst als er an der Eulerei angekommen war und sich sicher war, dass sich niemand in seiner Nähe befand, kam er unter dem Tarnumhang hervor. Hedwig kam wie immer sofort zu ihm geflogen und machte es sich auf ihrem Lieblingsplatz, seiner linken Schulter bequem. Gedankenverloren schaute Harry in die einsetzende Dämmerung. Er konnte beobachten, wie sich 10 riesige Raben laut krächzend aus dem Verbotenen Wald erhoben und versuchten die letzten Strahlen der Sonne zu verschlucken, noch bevor diese gänzlich untergegangen war. Kapitel 7: Erinnerungen ----------------------- Harry stand etliche Minuten einfach nur da und starrte gedankenverloren auf die untergehende Sonne. Erst als diese sich endlich der Nacht gebeugt hatte und die Dämmerung einsetzte, konnte er sich aus seiner Erstarrung reißen. Er streichelte seine schneeweiße Eule, die sich das gurrend gefallen ließ. Nach weiteren fünf Minuten war er endlich in der Lage, den Brief an Hedwigs Bein zu befestigen und sie mit einem gemurmelten Danke auf ihre Reise zu schicken. Während sich das letzte Licht des Tages verflüchtigte, ließ Harry zum wiederholten Male die letzten Tage Revue passieren. Angefangen mit seiner Entdeckung, dass seine große Liebe ein Todesser war, seine daraus resultierende Verzweiflung und die damit einhergehende Überlegung zum Selbstmord, wobei er glücklicherweise noch rechtzeitig wieder zur Vernunft gekommen war. Weiter mit seinem Entschluss, sich seinem Todfeind anzuschließen; seine Recherchen, das Wissen und die Fähigkeiten, die er sich dadurch in so kurzer Zeit angeeignet hatte; das Treffen mit dem Dunklen Lord, die Qualen, als Voldemort versucht hatte, Harry seine Geheimnisse zu entreißen; das Dunkle Mal, welches er als Zeichen seines Verrates und seiner Treue gleichermaßen trug; die Horkrux-Erinnerung; Dumbledore; die Slytherins; Draco… „Nein!“ Leise aber bestimmt drang dieses einzelne Wort über seine Lippen. Unwirsch schüttelte er die Erinnerung der letzten Stunden ab. Er wollte jetzt nicht darüber nachdenken. Sonst würde er sich womöglich noch zu irgendeiner nicht zu vertuschenden Dummheit hinreißen lassen. Wie würde es morgen weitergehen? Er war jetzt ein anderer. Aber niemand würde hinter seine Fassade schauen können, wenn er es nicht wollte. Nicht mal Dumbledore hatte etwas bemerkt. Wie sollten es da die anderen Lehrer? Professor McGonagall, seine Lehrerin in Verwandlung und Hauslehrerin von Gryffindor, vertraute viel zu sehr auf seine naive Gutgläubigkeit. Dabei hatte er diese schon am Ende seines zweiten Jahres in Hogwarts auf schmerzliche Weise verloren, als er blind einem Jungen aus einem Tagebuch vertraut hatte. Hagrid, Wildhüter, Lehrer für Pflege magischer Geschöpfe und Hüter der Schlüssel und Ländereien von Hogwarts, sah in ihm immer noch den elfjährigen Jungen, der teils fasziniert, teils ungläubig in die Welt der Zauberei eintrat und nicht verstehen konnte, dass er etwas Besonderes, ein Zauberer sein sollte. Niemals würde der sanfte Halbriese ihm zutrauen, ein schlechtes Wort auch nur zu denken. Snape, sein verhasster Lehrer für ehemals Zaubertränke, jetzt Verteidigung gegen die Dunklen Künste und Hauslehrer von Slytherin, sah in ihm eh nur einen Abklatsch seines angeblich ach so arroganten Vaters, den Harry nicht einmal kennengelernt hatte. Wenn er wirklich mitbekommen sollte, dass Harry sich verändert hatte, würde er es wahrscheinlich einfach als Bestätigung seiner bisherigen schlechten Erwartungen ansehen. Natürlich bestand auch die Möglichkeit, dass Voldemort ihn von seinem Wechsel unterrichten würde, aber in diesem Fall müsste er sich erst recht keine Sorgen machen, dass dieser sein Geheimnis verraten würde. Ehrlich! Harry glaubte keinen Moment daran, dass Snape wirklich auf Dumbledores Seite stand. Firenze war wohl der einzige, dem Harry es wirklich zutrauen würde, dass er etwas bemerken würde. Nicht an Harry selbst oder seinem Verhalten. Sondern eher durch dessen Fähigkeit die Zukunft in den Sternen lesen zu können. Immerhin ist er ihr Lehrer für Wahrsagen – neben der Trelawney – und ein Zentaur. Aber er würde niemals versuchen, die in den Gestirnen beschriebene Vorbestimmung zu ändern. Dafür war ihm sein Eid zu wichtig. Und wer weiß, vielleicht hatte er ja schon von Anfang an gewusst, dass Harry sich eines Tages den Dunklen Mächten anschließen würde. Madam Pomfrey war zwar keine Lehrerin, aber auch sie hatte mehr mit Harry zu tun, da er schon fast ein Dauergast im Krankenflügel war und sich die Heilerin immer sehr aufopfernd um ihn gekümmert hatte. Sie hatte ihn durch seine schlimmsten Zeiten begleitet, die Auswirkungen der schwarzen Flüche gesehen, mit denen die Dunkle Seite ihn belegt hatte. Hatte gesehen, wie sehr Harry unter Voldemort und dessen Grausamkeit litt, sowohl körperlich als auch geistig. Die fürsorgliche Poppy würde unter keinen Umständen vermuten, dass ausgerechnet er sich dem Monster anschließen würde, das so viel Leid über ihn gebracht hatte. Die anderen Lehrer dagegen kannten ihn nicht gut genug. Sie hatten sich nie mit der Person ‚Harry Potter‘ auseinandergesetzt, um mögliche Nuancen veränderten Verhaltens erkennen zu können. Und Slughorn zu guter Letzt... Erstens kannte er Harry sowieso noch nicht lange. Und zweitens war dieser so besessen von seiner Idee, den Jungen, der lebt, als Trophäe zu bekommen, dass er über jedes merkwürdige Verhalten hinwegsehen würde. Hauptsache, er könnte sich einbilden, den Auserwählten zu formen und dafür in der Zukunft viele kleine Annehmlichkeiten einzuheimsen, die er zweifellos erwartete. Genauso wie von allen anderen, die die zweifelhafte Ehre hatten, in der Vergangenheit und Gegenwart seinem besonderen Club anzugehören. Slughorns Unvermögen, den wahren Charakter anderer richtig einzuschätzen, war in der Vergangenheit zu seinem Verhängnis geworden und wird es in naher Zukunft wieder sein. Und da glaubt dieser, seine Fehler vertuschen zu können, indem er seine Erinnerungen so schlecht manipuliert, dass man die Veränderungen gar nicht übersehen kann und dann hat diese aufgedunsene Spinne nicht mal die Courage, seine Fehler zuzugeben. ‚Er ist so völlig anders als Dumbledore.‘ Harry konnte absolut nicht nachvollziehen, was diese beiden ungleichen Zauberer zu so etwas wie Freunde gemacht haben sollte.   Vor seinem inneren Auge blitzte kurz ein Bild auf, wie die beiden im Büro des Alten saßen und sich Tee und Zitronendrops bzw. kandierte Ananas – die Lieblingsnascherei von Slughorn, wie dieser sehr gerne und sehr häufig erwähnt hatte – schmecken ließen. Sie unterhielten sich und Dumbledore bedankte sich bei Slughorn, dass dieser endlich dazu bereit gewesen war, die echte Erinnerung von den Horkruxen und Tom Riddle herauszugeben, wobei der Zaubertränkeprofessor ihn nur verwundert ansah.   Harry schlug sich die Hand vor sein Gesicht. ‚Keine gute Vorstellung. Keine gute Vorstellung! Wie konnte ich das bloß übersehen? Wie dämlich kann man denn sein? Früher oder später wird der Alte bestimmt zu Slughorn rennen und dann kommt raus, dass es nicht dessen Erinnerung war, die ich ihm gebracht habe. Er wird sofort wissen, dass es die Erinnerung von Voldemort ist. Dann fliegt alles auf. So ein Mist. Mist! MIST!‘ Harrys Gedanken rasten. Es musste eine Lösung her und zwar so schnell wie möglich. Am besten noch schneller.   Unstet ließ er seinen Blick über den Wald schweifen, als könnten die dort im Verborgenen lebenden Kreaturen, ihm im schwindenden Tageslicht die Antworten geben, nach denen er suchte. Sein Blick glitt zurück, blieb kurz an Hagrids Hütte hängen. Dahinter, im Garten, entdeckte er zwei riesige schwarze Schatten, die normalerweise nicht da waren, konnte aber im Zwielicht nicht erkennen, um was es sich dabei handelte. Er schaute weiter am Ufer des Sees entlang und blieb dann an einem riesigen Mann hängen, der sich ein wenig schwerfällig in Richtung des Verbotenen Waldes bewegte. Harry beobachtete kurz seinen alten Freund und eine innere Ruhe überkam ihm. Es brachte nichts, jetzt in Panik zu verfallen. Er war schon so weit gekommen, hatte Lösungen gefunden, wo er gar keine Probleme vermutet hatte. Und auch dieses Mal würde er einen Weg finden. Da war er sich sicher. Plötzlich überkam ihm ein leichter Stich der Sehnsucht nach seinem alten Freund, der, im Gegensatz zu allen anderen, nie irgendwelche Erwartungen in ihn gesetzt hatte, nie Unmögliches von ihm verlangt hatte, sondern ihm immer nur mit offener Freundlichkeit entgegengekommen war. So beschloss Harry erstmal seine Gedanken an Slughorn beiseite zu schieben und verließ die Eulerei, um mal wieder seit langer Zeit einen Tee bei Hagrid zu trinken.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Als Harry kurze Zeit später an Hagrids Vordertür anklopfte, war gänzlich alles Sonnenlicht der Nacht gewichen und abgesehen von dem blassen Kerzenschein, der aus den Fenstern der Hütte des Wildhüters, drang, war es stockfinster. Er musste nicht lange warten, bis sich die alte Holztür unter leichtem Protest öffnete und ein überdurchschnittlich großer und breiter Mann mit langen schwarzen Haaren, die genauso kraus wie sein ebenso langer Bart waren, in dem Durchgang erschien. „Harry! Was machst du denn so spät noch hier draußen? Du solltest nicht so spät noch unterwegs sein. Es ist doch gleich Ausgangssperre. Na, komm rein, bevor dich jemand sieht!“ Harry blickte dankbar zu seinem alten Freund hinauf. Dieser hatte sich in den fünfeinhalb Jahren, in denen sie sich jetzt kannten, kaum verändert. Sicher, Hagrid war ein wenig älter geworden und man konnte immer mehr graue Haare in der dunklen Mähne erkennen und er wirkte jetzt auch müder und abgekämpfter als früher, aber das war zu erwarten, wenn man bedachte, was der sanftmütige Riese in der Zwischenzeit alles erlebt hatte. Aber trotz allem blickten seine schwarzen Augen noch genauso lieb und freundlich, wie am ersten Tag. Harry fühlte sich in seiner Gegenwart immer ein klein wenig überwältigt, aber auch geliebt und beschützt, ein Gefühl, das er nicht kannte, bis der Wildhüter ihn von seinen Verwandten weggeholt hatte. Und dafür war Harry ihm dankbar und würde es für immer sein. „Danke, Hagrid!“, sagte er und schlüpfte an ihm vorbei in das chaotisch wirkende Zimmer. Auf seinem Weg zu dem riesigen Tisch mit den etwas zu großen Stühlen musste er mehreren Schinken, die von der Decke hingen, ausweichen und wäre fast auf dessen Hund Fang getreten, als dieser unter den Tisch kriechen wollte.   „Also, was hast du auf dem Herzen? Geht es schon wieder um diesen Malfoy-Jungen?“, fragte Hagrid, während er eine riesige Tasse mit frischgebrühten Tee vor Harry abstellte. Harry verkrampfte sich sofort bei dieser Frage und kurz schoss ihm durch den Kopf, woher der Halbriese das wissen konnte, bevor sein Gehirn wieder anfing, zu arbeiten und er die Frage darauf zurückführen konnte, dass er und Draco ja schon seit der ersten Klasse Auseinandersetzungen hatten und Hagrid mehr als eine davon direkt mitbekommen hatte. Statt einer Antwort schüttelte er nur leicht den Kopf und schloss seine Finger, um den heißen Becher. Harry konnte sofort spüren, wie die Wärme über seine Hände und Arme hinauf wanderte. Er hatte gar nicht bemerkt, wie kalt ihm war. Der Schock vorhin hatte ihm körperlich wohl mehr zugesetzt, als er angenommen hatte. „Nein, nicht direkt. Es ist in letzter Zeit viel passiert und ich wollte mal wieder etwas abschalten und zur Ruhe kommen. Und ich hatte mal wieder Lust, dich zu besuchen.“, antwortete er so nah an der Wahrheit wie möglich und brachte sogar ein leichtes Lächeln zustande. Er hätte nicht gedacht, dass es ihm so schwer fallen würde, Hagrid zu belügen. Schnell überlegte er, wie er das Thema unauffällig wechseln konnte, als ihm wieder die beiden Schatten hinter der Hütte einfielen, die ihm vorhin aufgefallen waren. Entschlossen stand er auf und ging zu dem Fenster, durch das er einen Blick in den Garten werfen konnte. Es war schwierig in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Doch nach und nach gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit und er konnte Konturen von etwas Großem ausmachen. Und plötzlich erkannte er, was da draußen war, was der riesige Schatten war. Entsetzt stürzte Harry nach hinten, riss einen Stuhl um, stolperte und landete unsanft auf seinen Hintern. „Ha… Hagr… Hagrid…“, stammelte er, unfähig seine aufkeimende Angst in Worte zu fassen. „Ja, es ist furchtbar, nicht wahr?“, betrübt starrte der Halbriese vor sich hin. Harry verstand ihn nicht. Da draußen in seinem Garten saß eine riesige Acromantula und könnte jeden Moment über sie herfallen oder zumindest über Harry, wenn es dabei um Hagrids Haustier Aragog oder eines seiner Abkömmlinge handelte. „Ich hatte meine größte Mühe, Aragog dort wegzuholen. Normalerweise fressen Acromantulas ihre Toten auf. Aber ich konnte das doch nicht zulassen. Er sollte doch eine richtige Beerdigung bekommen.“ Der Wildhüter schluchzte laut auf und schnäuzte geräuschvoll in ein Taschentuch. Erst jetzt begann Harry langsam zu begreifen, was hier passiert ist. Er rappelte sich auf und ging noch mal zum Fenster, zwang sich genauer hinzusehen. Und ja, jetzt fiel es ihm auf. Nicht nur, dass die riesige Spinne sich nicht bewegte, nein, sie lag sogar verkehrt herum, ihre langen Beine merkwürdig gekrümmt. Wie hatte er das übersehen können? „Jetzt lassen mich die anderen Spinnen nicht mehr auch nur in die Nähe ihrer Netze. Es ist das erste Mal, dass ich irgendwo im Wald nicht willkommen bin. Sie sind richtig bösartig geworden. Haben mich wohl wirklich nur wegen Aragogs Befehl in Ruhe gelassen.“ Harry wunderte das nicht. Aber er verstand, dass das für Hagrid ein großer Schock gewesen sein musste. Für ihn waren alle Lebewesen, egal ob Mensch, Tier oder Monster von Grund auf gut. Er war es nicht gewöhnt von irgendwelchen Kreaturen angegriffen zu werden. Und wenn doch mal etwas passierte, hatte er immer eine Ausrede für das entsprechende Wesen gehabt. Und nun wurde einfach so sein Weltbild zerstört. Sein ältestes und liebstes Haustier starb und plötzlich wurde er von dessen Nachwuchs angegriffen. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie.   Stumm starrte Harry auf den toten Körper der Acromantula. Er erinnerte sich daran, wie Ron und er ihr in ihrem Zweiten Jahr begegnet waren, als sie die Wahrheit über die seltsamen Übergriffe in der Schule herausfinden sollten. Tom Riddles Tagebuch hatte damals die Spur zu Hagrid und dessen Haustier geführt, obwohl dieser selbst der eigentliche Schuldige war und als Erbe Slytherins den Basilisken auf die muggelstämmigen Schüler gehetzt hatte. Aber das war jetzt vorbei. Der Basilisk war tot und Voldemort nicht länger sein Feind. Und trotzdem lief es ihm kalt den Rücken runter, als er sich daran erinnerte, wie sie in Aragogs Senke angekommen waren und sich dieser riesigen Spinne gegenübersahen. Ihm war damals schon aufgefallen, dass die riesige Spinne schon sehr alt gewesen war. Die eigentlich schwarzen Haare waren ergraut gewesen und die acht Augen waren allesamt blind. Doch er konnte kein Mitgefühl entwickeln. Nur zu genau erinnerte er sich daran, wie dieses riesige Vieh nichts getan hatte, als dessen Kinder sich auf Ron und ihn stürzten. Er konnte nicht traurig sein, dass diese Kreatur tot war.   „Was hast du jetzt mit ihm vor?“ „Ich wollte ihm im Garten vergraben. Habe sogar schon ein Loch ausgehoben, hinterm Kürbisbeet.“ ‚Das war also der andere Schatten gewesen.‘ „Wollte ich eigentlich schon gestern machen. Aber Professor Slughorn kam vorbei und wir haben geredet und auf Aragog angestoßen.“ Überrascht drehte sich Harry zu Hagrid um. Slughorn war hier gewesen? Er konnte sich gar nicht vorstellen, dass der selbstverliebte Zaubertränkeprofessor so viel Anteilnahme an dem Tod eines Monsters nehmen würde. Seine Neugierde war geweckt. „Was wollte denn Professor Slughorn hier?“ „Naja! Er wollte Aragog die letzte Ehre erweisen, wie er sagte. Er meinte, dass er solche Geschöpfe verehren würde.“ Harry unterdrückte ein Schnaufen. Er konnte sich lebhaft vorstellen, was Slughorn an diesem Monster verehrte. Der hatte bestimmt heimlich der toten Acromantula eine Menge Gift abgezapft. „Ich kann’s verstehen, weißt du. Es gibt nicht viele, die zu schätzen wissen, wie schön diese Wesen sind.“ Es war immer wieder überraschend, wie jemand, der so groß und kräftig war wie dieser Halbriese, ein so sanftes Gemüt haben konnte und tatsächlich über den Tod eines Monsters weinen konnte. Aber genau das tat Hagrid. Der Gryffindor schaute sich kurz hilflos um, wusste nicht, was er tun sollte, ging dann aber zu seinem Freund und legt ihm in einer beruhigenden Geste eine Hand auf die Schulter und sprach beruhigend auf ihn ein. Nach kurzer Zeit hatte sich der ältere Mann wieder beruhigt. „Danke, Harry. Es ist ganz lieb von dir, dass du da bist. Aragog hätte das gefallen.“ Oh, da war er sich sicher. Diese Riesenspinne hatte ihn ja auch zum Fressen gern gehabt. „Und warum haben du und der Professor Aragog nicht gestern Abend schon beerdigt?“ „Das wollten wir ja. Aber dann haben wir erstmal auf den Kleinen“ – ‚Kleinen?‘ – „angestoßen. Der Professor hatte extra Elfenwein mitgebracht. Und naja… Wir haben uns über Aragog unterhalten und dann noch über andere magische Wesen. Professor Slughorn war sehr interessiert. Und der Elfenwein hat auch einfach zu gut geschmeckt. Waren dann irgendwann beide nicht mehr in der Lage, den Zauber zu sprechen. Weiß nicht genau. Kann mich nicht genau erinnern. Auch nicht, wann der Professor eigentlich wieder gegangen ist. Als ich heute Morgen aufgewacht bin, war ich auf jeden Fall alleine.“ Harrys Gedanken rasten. Die aufgedunsene Spinne – und er meinte nicht die, die tot hinter der Hütte lag – hatte sich also ausgerechnet gestern Abend betrunken. Da waren seine Erinnerungen doch bestimmt durch den Alkohol ein wenig, wenn nicht sogar sehr getrübt. Immerhin hatte sogar Hagrid einen Filmriss und der vertrug viel. Bestimmt viel mehr als dieser vornehm tuende Aufschneider. Vielleicht könnte er das zu seinem Vorteil nutzen. Es wäre doch gar nicht so unwahrscheinlich, wenn er ihn im betrunkenen Zustand abgefangen hätte und ihm in diesem Zustand die Erinnerung abgeschwatzt hätte. Harry müsste ihm nur ein, zwei falsche verschwommene Erinnerungen einpflanzen und schon wäre sein Problem gelöst. Aber leider hatte der Junge noch keine Idee, wie er das anstellen sollte. Also würde er mal wieder eine Nachtschicht in der verbotenen Abteilung einlegen müssen. Aber er bezweifelte sowieso, dass er diese Nacht schlafen konnte. „Harry… Harry? Hörst du mich?“ „Hä? Ja?“ Angesprochener schüttelte schnell seine Gedanken ab. „Entschuldige bitte, Hagrid. Ich war gerade mit meinen Gedanken ganz woanders. Was hattest du gesagt?“ Er bemühte sich, ein bisschen verlegen auszusehen und lächelte den Halbriesen schüchtern an. Der war damit zufrieden und wiederholte bereitwillig seine Frage. „Würdest du mir vielleicht helfen, Aragog zu beerdigen? Ich weiß, es ist schon dunkel, aber alleine schaffe ich das einfach nicht.“ „Natürlich, Hagrid.“, sagte er sanft. Auch wenn der Gryffindor nicht nachvollziehen konnte, wie man so ein Monster lieben konnte, konnte er doch verstehen, dass sein Freund dabei nicht allein sein wollte. Ja, das konnte er sehr gut nachvollziehen. „Lass es uns dann aber gleich machen, bevor noch irgendetwas dazwischen kommt.“ Dass er eigentlich lieber ganz schnell in die Bibliothek wollte, sagte er natürlich nicht.   Schweigend gingen sie in den Garten. Harry starrte auf das riesige Ungetüm, welches von dem schwachen Licht aus dem Inneren der Hütte angestrahlt wurde. Und obwohl es eindeutig tot war und auf dem Rücken lag, bereitete ihn der Anblick großes Unbehagen. Er schluckte. Hagrid blieb neben seinem ehemaligen Haustier stehen, streichelte es über die grauen Beine und weinte stumme Tränen, die sich in seinem Bart verfingen und ihn noch älter wirken ließen. „Mach’s gut, Aragog.“, sagte der Wildhüter nur leise und trat dann ein paar Schritte zurück. Harry wollte die andächtige Stille nicht stören und bediente sich deswegen Ungesagter Zauber, um die Acromantula erst in das Loch zu legen und dann mit Erde zu überschütten. Kurz blieben sie noch vor dem Grab stehen, bevor sie wieder in die Hütte hineingingen. Zu seinem Bedauern musste Harry feststellen, dass sein Tee in der Zwischenzeit völlig kalt geworden war. Er hätte jetzt wirklich etwas Wärmendes gebrauchen können. Zwar hätte er ihn auch mit einem Zauber wieder aufwärmen können, aber durch Magie aufgewärmter Tee schmeckte einfach widerlich. Kapitel 8: Wissen ist Macht --------------------------- Einige Zeit später machte Harry sich auf den Weg in die Bibliothek. Er war noch etwa eine Stunde bei Hagrid geblieben, hatte zugesehen, wie der Halbriese sich betrank, ihm zugehört, wie er von seinem Hausmonster geschwärmt hatte und hatte ihn schließlich ermuntert, sich hinzulegen und zu schlafen, als er anfing, ein Lied über einen sterbenden Zauberer zu singen. Da Harry glücklicherweise seinen Tarnumhang dabei hatte, konnte er sich unbemerkt in die Bibliothek schleichen. Nicht zum ersten Mal wunderte er sich, dass sie nicht durch einen oder mehrere Zauber vor unbefugten Betreten geschützt war. Selbst bei der Verbotenen Abteilung fehlte jeglicher Schutzzauber. Nur die Bücher selbst waren verzaubert, damit sie nicht gelesen werden konnten, wenn man keine Erlaubnis dazu hatte. Wenn man es dennoch versuchte, machten sie sich mit lautem Gekreische bemerkbar und es war schwierig, sie wieder zu schließen, bevor sie unerwünschte Aufmerksamkeit auf einen lenkten. Harry lächelte. Selbst dieser Fluch war simpel und sehr leicht zu umgehen, wenn man ihn erst einmal erkannt hatte.   Als er vor wenigen Wochen das erste Mal hier war, um wirkungsvollere Verteidigungszauber zu finden, stand er eine ganze Weile unschlüssig zwischen den Büchern und wusste nicht, wie er es anstellen sollte, auch nur ein Buch in die Hand zu nehmen, ohne dass es anfing, zu schreien. Diese Erfahrung hatte er bereits in seinem ersten Jahr gemacht und hatte wirklich keine Lust, diese zu wiederholen. Und während er so die Gänge entlang lief, dem Flüstern der Bücher zuhörte, kam ihm eine Idee. Es war eine Erlaubnis notwendig, um diese mit dunkler Magie gefüllten Bücher zu öffnen und zu lesen. In der Regel wurde diese von einem Lehrer erteilt. Aber die Bücher mussten dann doch irgendwie erkennen, wer berechtigt war, sie zu lesen und wer nicht. Und je nachdem, wie der Zauber beschaffen war, konnten man ihn bestimmt umgehen oder für sich nutzen. Harry war sich sicher, dass Tom Riddle in seiner Zeit auf Hogwarts viel Zeit in der verbotenen Abteilung verbracht und sich dabei nicht nur die Buchrücken angesehen hatte. Es kam auf einen Versuch an. Harry entschied sich für ein Buch, strich sanft mit seinem Finger über den Rücken und ließ rein intuitiv ein bisschen seiner Magie in es hineinfließen. Das Buch nahm sofort die angebotene Magie in sich auf und auf der Stelle erstarb das Flüstern. Er nahm es vorsichtig heraus, atmete noch einmal tief durch und öffnete es… Es blieb stumm.  Das Buch war ein normales Buch in seinen Händen und er konnte es ohne Probleme lesen.   Nach ein paar weiteren Versuchen mit anderen Büchern hatte Harry das Prinzip verstanden. Diese Bücher nutzen seine Magie nicht als eine Art Blutopfer, sondern testeten nur, ob er würdig war, in ihnen zu lesen. War er es nicht, blieb das Flüstern und er machte einen großen Bogen um das entsprechende Buch. In der Zwischenzeit konnte er sogar Bücher lesen, die ihm Anfang verschlossen geblieben waren. Einige davon hatte er später aus purer Neugierde noch einmal getestet und plötzlich konnte er auch diese öffnen. Anscheinend wurde er immer mächtiger und das erkannte auch der Fluch, der auf diesen Büchern lag, und unterwarf sich Harrys Magie immer mehr und mehr. Also waren die Bücher mit einem Zauber belegt, der erkennen konnte, wie viel Macht derjenige, der es lesen wollte, hatte. In der Regel sollten nur die Lehrer in der Lage sein, die Bücher zu öffnen und konnte dann einem Schüler ein bestimmtes Buch „leihen“. Wahrscheinlich gab es sogar hier Unterschiede und nicht jeder Lehrer hatte die gleiche Berechtigung. Wahrscheinlich war Dumbledore der einzige, der Zugriff auf alle Bücher hatte. Und mit Sicherheit hatte niemand damit gerechnet, dass ein Schüler hinter das System kommen würde und dann auch noch mächtig genug war, es für sich zu nutzen. Wie dumm. Spätestens nach Tom Riddle hätten zusätzliche Schutzmaßnahmen getroffen werden müssen. War Dumbledore wirklich so überheblich, zu glauben, dass nie wieder ein anderer Schüler nach Voldemort so mächtig werden würde? Und wenn dem so war, wieso glaubte der alte Mann dann, dass Harry eine Chance hatte, den Dunklen Lord zu besiegen? Harry hatte das dumpfe Gefühl, dass der alte Schulleiter ihm noch viel, viel mehr verheimlichte.   Harry suchte selten nach bestimmten Zaubern. Er ließ sich meistens von seinen Instinkten leiten, wenn er mal wieder etwas stöbern und sich so nützliche Zauber aneignen wollte. Da viele dieser Bücher keine Titel oder Titel in unbekannten Sprachen hatten, war es fast unmöglich, ein Buch zu einem bestimmten Thema zu finden. Aber es war Harrys Glück, dass er so neugierig war und schon viele Bücher durchgeblättert hatte. So wusste er, in welchem Buch er die Erinnerungszauber suchen musste und ging zielsicher auf das Regal zu.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Eine Stunde später schloss er ein handgroßes Buch, welches in dunkelgraues Leder gebunden war und besah sich noch einmal den Titel.   Nemu Ärtd nunek na Degno v   Diese Sprache hatte etwas befremdlich Vertrautes. Sie erinnerte ihn an den Spiegel, den er zufällig in seinem ersten Jahr gefunden hatte. Zu seinem Glück war nicht das ganze Buch in dieser Sprache geschrieben. Es war anscheinend eine Übersetzung und nur den Titel hatte man vernachlässigt. Er räumte es wieder ordentlich an seinen Platz und lächelte leicht. ‚Das wird einfacher werden, als ich gedacht hatte.‘   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Auf dem Rückweg zu seinem Schlafsaal machte er einen kleinen Umweg, wie immer, wenn er nachts aus der Bibliothek kam. Er hatte es sich seit dieser schicksalshaften Nacht, die die Entscheidung für sein weiteres Leben gebracht hatte, angewöhnt. Er blieb kurz vor einer Tür stehen. Damals war diese offen gewesen. Ein Flüchtigkeitsfehler, der wohl nie wieder geschehen würde. Bedauerlich für ihn, aber es war besser so. Wenn die falschen Leute erfahren würden, was in diesem Raum nachts passierte und vor allem, wer da drin war… Er wollte lieber nicht darüber nachdenken, was dann geschehen würde. Nein, die Tür musste zu bleiben, nur so würde es niemand außer ihm selbst wissen. Und er würde das Geheimnis sicher bewahren. Nur zu gern, hätte er seine Hand auf das Holz gelegt und sich der irrsinnigen Vorstellung hingegeben, so eine Verbindung mit der Person dahinter aufzubauen, aber wahrscheinlich lag ein Schutzzauber auf der Tür, der sofort seine Anwesenheit verraten hätte. Leise seufzend widerstand er dem Drang, etwas Dummes zu tun und ging weiter seinen Weg in den Gryffindor-Turm.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Der nächste Morgen kam schnell und obwohl Harry wie so oft in letzter Zeit nicht genügend Schlaf bekommen hatte, war er noch vor allen anderen wach und gut gelaunt. Und er hatte auch nicht vor, sich seine gute Laune so schnell vermiesen zu lassen. Deswegen gewährte er sogar Ginny, sich an seinen Arm zu hängen und zusammen mit den anderen Gryffindors gingen sie hinunter zum Frühstück.   Der Anblick der Slytherins, die ihnen vor der Großen Halle entgegen kamen, hätte beinahe seinen Vorsatz zunichte gemacht. Harrys Augen verengten sich zu Schlitzen als sein Blick auf Miles Bletchley fiel. Dieser sah erschrocken auf und ging dann ganz schnell weiter. Der Gryffindor konnte sich ein kurzes fieses Grinsen nicht verkneifen. ‚Der weiß jetzt, wo sein Platz ist.‘ Und beruhigt stellte er fest, dass auch die anderen Slytherins sich wieder normal benahmen. Sie warfen seiner Gruppe einen abschätzigen Blick zu und gingen dann weiter zu ihrem Haustisch. Nur Draco blieb noch kurz vor ihm stehen, flankiert von seinen beiden Bodyguards und schaute von oben auf ihn herab. „Na, Narbengesicht! Hast wohl doch noch jemanden gefunden, der sich trotz deiner hässlichen Visage mit dir sehen lässt. Oder sollte ich lieber fragen, wie viel die kleine Schlampe verlangt?“ Draco musterte Ginny verächtlich von oben bis unten und verzog angewidert das Gesicht. „Ah! Ich schätze, so viel wird es ja nicht sein. So arm, wie die Weasleys sind, ist die kleine Schlampe sicher für jeden Knut dankbar. Dann kann sie sich vielleicht irgendwann mal Sachen auch in ihrer Größe leisten.“ Harry hätte am liebsten laut losgelacht. Zwar übertrieb der blonde Slytherin maßlos, aber er konnte nicht bestreiten, dass Ginny versuchte, auch in ihrer langweiligen Schuluniform aufzufallen. Dieses Bemühen zeigte sich in einer etwas zu engen Bluse, die sich verdächtig über ihre Brüste spannte, und einem Rock, der ihr wohl vor einem Jahr perfekt gepasst hatte. Nicht wirklich das, was er als attraktiv empfand. Sie tat ihm fast leid, da es offensichtlich war, dass sie sich seinetwegen so anzog, um besonders ihm zu gefallen. Er war sich der Ironie dieses Verhaltens ihrerseits nur allzu bewusst, was nicht unbedingt dazu beitrug, seine Beherrschung nicht zu verlieren und sein rechter Mundwinkel zuckte verdächtig, was auch den drei Slytherins nicht entgangen war, die ihn kurz überrascht anschauten, bevor sie wieder zurück in ihre Rollen verfielen.   Ginnys Fingernägel krallten sich schmerzhaft in seinen Unterarm und verhinderten dadurch erfolgreich, dass er seinem Drang nachgab. Stattdessen hielt er überrascht inne, als das rothaarige Mädchen beschämt ihren Kopf schluchzend in seiner Schulter vergrub. Leicht genervt tat er, was von ihm als Auserwählter und anständiger Gryffindor erwartet wurde und nahm sie in den Arm. Draco schnaubte verächtlich und wollte sich schon wegdrehen, als ein anderer Rotschopf an Harry vorbei und mit erhobenen Zauberstab auf Malfoy zu raste. „Das wirst du bereuen, du mieses, kleine Frettchen!“ Ron war die Zornesröte ins Gesicht gestiegen und sah jetzt aus wie eine überreife Tomate. Aber der Slytherin lachte nur. „Och! Du brauchst doch nicht gleich so wütend zu werden. Ich habe doch gesehen, dass du dir das kleine Schlammblut angelacht hast. Ich bin mir sicher, sie gibt dir auch ein paar Sickel, wenn du lieb Männchen machst, wie sich das für brave kleine Wiesel gehört.“ Das war zu viel. Wutschnaubend feuerte Ron einen Fluch auf Malfoy ab. Dieser aber parierte diesen mit Leichtigkeit. Sofort stellten sich Crabbe und Goyle beschützend vor ihren Anführer und hoben drohend ihre Zauberstäbe. „Lasst mal, Jungs!“, sagte Draco noch immer leicht belustigt. „Der ist schon gestraft genug. Immerhin hat er jetzt ein rolliges Schlammblut am Hals.“ Augenblicklich drehte der Slytherin sich um und betrat die Große Halle. Die anderen beiden folgten ihm sofort und beachtete nicht länger die kleine Gruppe von Gryffindors.   Harry kam nicht umhin, mal wieder still zu bewundern, wie sehr Draco seine Slytherins im Griff hatte. Ein Wort und sie parierten. Er selbst dagegen hatte die Gryffindors nicht so im Griff, obwohl er ja auch sowas wie ein Anführer ihres Hauses war. Aber dafür war er in der Vergangenheit wahrscheinlich einfach zu sanft und zu lieb gewesen. Das zeigte sich vor allem daran, dass er eine kleine Rothaarige im Arm hielt und ihr tröstend über den Rücken streichen musste, weil sie sich einfach nicht beruhigen konnte und immer noch heulte, während ihr Bruder wütend vor sich hin schimpfte und eine leicht zitternde Hermine versuchte, dessen Aufmerksamkeit zu erregen. Die anderen, die noch um sie herumstanden, schauten vorwurfsvoll auf Harry und beschwerten sich, dass er nichts unternommen hatte. „JETZT REICHT‘S!“, donnerte er plötzlich los und Ginny löste sich vor Schreck aus seiner Umarmung. Seine gute Laune war jetzt definitiv im Kerker. Und er konnte nicht mal den Slytherins die Schuld in die Schuhe schieben. Die hatten nur getan, was er von ihnen verlangt hatte und benahmen sich wieder ganz normal. Dazu gehörte natürlich auch, dass sie sich gegenseitig beleidigten. „Was hätte ich denn tun sollen? Dass Ginny sich an mich geklammert hat, hat mir nicht unbedingt den Spielraum gegeben, irgendwie zu reagieren. Hätte ich irgendwelche Flüche Malfoy auf den Hals gejagt, hätte ich sie ausversehen treffen können. Und weil Ron unbedingt mal wieder den Beschützer raushängen lassen musste, stand der mir zusätzlich in der Schussbahn. Außerdem lasst ihr euch alle viel zu leicht provozieren.“ Er fuhr sich mit der rechten Hand durch seine strubbeligen Haare und versuchte so ein paar nervige Strähnen aus seinem Gesicht zu streichen. Natürlich ohne Erfolg. „Wir kennen Malfoy jetzt schon seit über fünf Jahren. Immer zieht er die gleiche Show ab und kommt mit den gleichen dummen Sprüchen an. Das wird doch langsam langweilig. Ignoriert diesen aufgeblasenen Schnösel doch einfach und geht nicht immer auf seine Provokationen ein. Dann wird’s ihm vielleicht auch irgendwann mal zu langweilig.“ Genervt ließ er seine schockierten Hauskameraden stehen. Er war wirklich der letzte, der was gegen einen guten Schlagabtausch hatte. Das konnte wirklich amüsant sein. Aber den Kindergarten, den seine Mitschüler jedes Mal veranstalteten, war einfach nur lächerlich. Mit Worten konnten die sich einfach nicht wehren. Immer musste gleich ein Zauberspruch ran oder es flogen die Fäuste. Selbst Hermine, die sich früher nie gescheut hatte, dem blonden Slytherin ihre Meinung ins Gesicht zu sagen, hatte aufgehört ihm Paroli zu bieten. Stattdessen wartete sie darauf, dass andere für sie Partei ergriffen. Kein Wunder, dass die Slytherins sie alle nicht ernst nahmen. Harry ging an seinen Haustisch, schnappte sich ein trockenes Brötchen und einen Apfel und verließ die Halle wieder. Seine Kameraden ignorierte er dabei völlig. Er hatte jetzt absolut keine Lust, sich mit diesen auseinanderzusetzen und Vorzeigegryffindor zu spielen.   Als erstes hatte sie heute Morgen Zaubertränke. Also begab sich Harry schon mal auf den Weg in die Kerker zu dem Klassenraum von Professor Slughorn und aß im Laufen seine karge Mahlzeit. Am liebsten würde er sich auf einen Platz weiter hinten setzen. In die Ecke. Ein Einzelplatz. Aber er hatte den Bogen heute schon extrem gespannt und wenn seine sogenannten Freunde zum Unterreicht kamen und er sich noch weiter abkapseln würde, würden sie ihn wahrscheinlich nicht mehr in Ruhe lassen und ihm pausenlos auf die Pelle rücken. Dann könnte er seinen „Plan“ mit Slughorn gleich vergessen. Also müsste er sich wohl oder übel zusammenreißen und sich wieder mit ihnen vertragen, sich sogar für sein Benehmen entschuldigen. Und hoffentlich sie soweit beruhigen, dass sie ihn nach der Stunde mit ihrem Zaubertränkeprofessor alleine lassen würden. Nicht zufrieden mit der jetzigen Situation ließ er sich auf seinen üblichen Platz fallen und wartete geduldig auf Hermine und Ron.   Leider trafen die Slytherins vorher ein. ‚Na toll! Jetzt muss ich mich auch noch vor den Schlangen zum Idioten machen. Da werden die dann aber schön was zum Lachen haben.‘ Leicht verbittert sah er zu, wie die anderen ihre Plätze einnahmen. Draco schaute kurz auf und nickte ihm unauffällig zu. Harry erwiderte schnell die Geste, bevor es jemand bemerken konnte. Dann kamen auch endlich die beiden Gryffindors. Sie schauten skeptisch zu ihrem Freund und Harry bemühte sich, ein entschuldigendes Lächeln aufzusetzen. Sichtlich erleichtert eilten sie zu ihrem Freund und setzten sich zu ihm. Ron wollte schon was sagen, aber Harry ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. „Entschuldigt, Leute, dass ich eben so ausgerastet bin.“ Er sprach so leise wie möglich, damit weder die Slytherins, noch die vier Ravenclaws, die soeben den Klassenraum betreten hatten, ihn hören konnten. „Ich glaube, ich bin einfach nur etwas überreizt. Die letzten Wochen waren doch sehr stressig gewesen.“ Hermine lächelte ihn beruhigend an. „Mach dir mal keine Sorgen. Wir wissen, dass du die letzte Zeit sehr gestresst warst. Nicht nur die Sitzungen bei Professor Dumbledore, sondern auch die Erinnerung, die du von Professor Slughorn holen solltest. Das allein war ja schon anstrengend genug und um die Schule musstest du dich ja auch noch kümmern. Und Malfoy kann es auch einfach nicht lassen mit seinen fiesen Sprüchen. Klar, dass du irgendwann mal ausrasten musstest.“ Ron nickte eifrig zu dem Gesagten. Hatte er das jetzt richtig verstanden? Schoben sie seinen Ausbruch wirklich auf die Slytherins, obwohl sich seine Wut eindeutig gegen seine Leute gerichtet hatte? Überrascht und erleichtert zugleich setzte er das scheue Lächeln auf, welches sie ohne Zweifel jetzt von ihm erwartete. „Danke, Hermine. Ich wusste, dass ihr es verstehen würdet. Ich werde mich nachher noch bei den anderen entschuldigen.“ „Ach, mach dir deswegen keine Gedanken.“, kam es von Ron. „Jetzt, wo du die Erinnerung hast, wird es ja auch wieder bei dir etwas ruhiger werden.“   „Was wird ruhiger werden?“ Ernie Macmillan, der einzige Hufflepuff, der Zaubertränke belegt hatte und deswegen schon seit Anfang des Schuljahres bei dem Trio saß, gesellte sich zu ihnen. „Ach, nichts Wichtiges.“, sagte Ron schnell. Ernie zuckte nur mit den Schultern. Er war es schon gewöhnt, dass die drei ihre Geheimnisse hatten.   Dann wurde auch schon der große Bauch durch die Tür geschoben, der zu ihrem Professor gehörte. Wie immer grüßte er fröhlich und lächelte dabei besonders Harry, Hermine und Zabini an. Diese aufgedunsene Spinne versuchte nicht mal zu verheimlichen, dass er seine Lieblinge hatte und sie bevorzugte. Sie bekamen eindeutig mehr Punkte als anderen Schüler, aber das wenigstens unabhängig ihres Hauses. So war wenigstens Gryffindor nicht im Nachteil, wie sie es die fünf Jahre davor bei Snape gewesen waren.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Nach dem Unterricht bat Harry Ron und Hermine, schon mal vorzugehen, weil er noch kurz etwas mit Professor Slughorn bereden wollte. Die beiden Gryffindors zwinkerten ihm kurz verschwörerisch zu und gingen dann schon mal zu ihrem nächsten Unterricht. Harry wartete geduldig bis alle Schüler den Raum verlassen hatten. Slughorn selbst stand mit seinem Rücken zu ihm und bemerkte ihn nicht. Mit einem Ungesagten Zauber schloss der Gryffindor die Tür und legte gleichzeitig einen Schutz- und einen Stillezauber darüber, damit er ungestört seiner Aufgabe nachgehen konnte. „Professor!“, rief er, nachdem er seine Vorbereitungen abgeschlossen hatte. Dieser drehte sich erschrocken um. „Meine Güte, Harry! Sie haben mich vielleicht einen Schrecken eingejagt. Ich dachte, es wären schon alle gegangen.“ „Ja, ich wollte nur noch kurz etwas mit ihnen besprechen, Sir.“ Slughorns Miene verdüsterte sich augenblicklich und er drehte sich wieder zu dem Regal um, um seine Zaubertrankzutaten zu sortieren. „Wenn es schon wieder um diese Erinnerung geht, dann…“ „Nein, Sir!“, unterbrach Harry ihn rasch. „Darum geht es nicht. Hagrid…“ Harry verstummte und biss sich leicht auf die Unterlippe. Ein gequälter Laut entschlüpfte seinem Mund und zwang den Zaubertränkeprofessor, sich wieder zu seinem Schüler umzudrehen. Harry stand unsicher vor ihm und suchte nach den richtigen Worten. Sofort wurde Slughorns Blick milder und er ging auf Harry zu, um ihn aufmunternd anzuschauen. „Ich habe gehört, dass Sie dem Wildhüter sehr nahe stehen. Wollen Sie mit mir wegen seines… Haustieres sprechen?“ Harry holte tief Luft und schaute dem alten Mann fest in die Augen. „Ja, Sir. Ich war gestern Abend da. Er hat mir erzählt, dass Sie bei der Beerdigung dabei waren und ihm geholfen haben.“ „Ja, ich war da gewesen. Aber ob ich wirklich so eine große Unterstützung gewesen bin, wage ich zu bezweifeln.“ Harry sah, dass er angestrengt nachdachte. „Wir haben ziemlich viel getrunken, immer wieder auf die tote Acromantula angestoßen. Ich kann mich kaum noch erinnern, was alles passiert ist und schon gar nicht, wie ich wieder ins Schloss gekommen bin.“   ‚Jetzt!‘ Harry hatte sich genau den Moment herausgesucht, in dem sein Professor über seinen Rückweg nachdachte. Das war die Erinnerung, der Zeitraum, den er brauchte. „Memorostens!“ Harry hatte blitzschnell seinen Zauberstab gezogen und den Fluch auf Slughorn gesprochen. Dieser war völlig überrumpelt und hatte so keine Zeit den Fluch abzuwehren. Die Erinnerungen von dem Abend brachen aus den Augen seines Opfers heraus und liefen wie ein Film immer wieder zwischen ihm und Harry ab, während Slughorn selbst vollkommen still dastand. Ein äußerst nützlicher Nebeneffekt dieses Zaubers. Es war genauso, wie er es sich gedacht hatte. Die Erinnerung war verschwommen, benebelt vom Alkohol. Er würde nur wenige Dinge verändern müssen.   Harry atmete tief durch. Soweit hatte alles funktioniert. Es war aber auch so einfach. Zwischendurch hatte er überlegt, ob er Legilimentik nutzen sollte, um die Erinnerungen von der Spinne zu manipulieren, hatte den Gedanken aber gleich wieder verworfen. Slughorn konnte mit Sicherheit Okklumentik. Das hätte dann nur noch zu mehr Problemen geführt. Und selbst wenn dem nicht so gewesen wäre und Harry in dessen Inneres hätte eindringen können, war er dennoch nicht geübt. Er hätte wahrscheinlich ewig gebraucht, um die richtigen Erinnerungen zu finden und wer weiß, was er bis dahin noch alles von Slughorns Erinnerungen, Gefühlen und abartigen Wünsche aufgeschnappt hätte. So war es besser. Er musste sein Ziel nur dazu bringen, an den Moment zu denken, den er sehen wollte und schon konnte er auf diesen Moment zugreifen. Und außerdem war es nicht so leicht, diesen schwarzmagischen Fluch abzuwehren. Ein einfacher Schutzschild reichte nicht aus. Man musste entweder rechtzeitig den richtigen Gegenfluch sprechen oder sich mit dem schwarzmagischen Schild schützen. Und innerhalb von Hogwarts war er wohl der einzige, der diesen beherrschte. Obwohl… Bei Dumbledore und Snape konnte man sich nie sicher sein, was diese wirklich wussten und konnten.   Harry richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf sein Opfer. „Wenn du mir einfach die Erinnerung gegeben hättest, die ich wollte, hätten wir uns beide diesen Mist ersparen können.“ Harry schloss kurz die Augen und konzentrierte sich. Er ließ Slughorns bruchstückhafte Erinnerung immer wieder vor seinem geistigen Auge ablaufen und begann dann, die Bilder stückchenweise anzupassen. Als er mit dem Ergebnis zufrieden war, öffnete er wieder die Augen und erhob erneut seinen Stab. „Memormuto!“ Nun veränderte sich auch die Bilder vor ihm.   Er konnte sehen, wie Slughorn völlig betrunken zurück zum Schloss torkelte und auf dem Gelände auf einen herumstreunenden Harry traf.   Als nächstes sah man beide im Schloss, Harry stützte seinen Professor und half diesem in seine Räumlichkeiten zu gelangen.   Dann saßen sie gemeinsam auf einer Couch und unterhielten sich. Harry musste den Professor abhalten, eine weitere Flasche Wein zu öffnen.   Im nächsten Bild sah man Slughorn fürchterlich weinen und Harry ihn trösten.   Die letzte Szene zeigte, wie der Professor Harry eine Erinnerung gab, Harry sich artig bedankte und dann den Professor allein ließ.   Das war perfekt. Genauso sollte es aussehen. Wie hatte dieser Stümper nur seine eigene Erinnerung mit Tom und dem Horkrux so schlecht manipulieren können? Das kann doch unmöglich schwerer sein, als fremde Erinnerungen zu verändern.   Es wurde Zeit den Zauber abzuschließen, immerhin musste er noch in den nächsten Unterricht. „Rememoriae!“ Die veränderten Bilder flogen zurück, wo ihre Originale hergekommen waren. Slughorn schaute kurz irritiert zu Harry, als wäre ihm wieder etwas eingefallen, was er bis jetzt vergessen hatte. „Ich wollte mich eigentlich nur noch mal bei Ihnen bedanken, Sir, dass Sie sich doch umentschieden haben und mir die echte Erinnerung gegeben haben.“ Beinahe schüchtern blickte er zu seinem Professor hinauf und versuchte irgendein Zeichen zu entdecken, ob der Zauber nicht doch schiefgegangen war, den Zauberstab fest umklammert. Nur für den Fall. Slughorn dagegen sah so angespannt aus, als ob er jeden Moment platzen würde. „Reden wir nicht mehr davon. Ich glaube, sie müssen zu ihrem nächsten Unterricht, Mr. Potter.“, sagte er scharf und machte damit deutlich, das für ihn das Gespräch beendet war. Sichtlich verärgert drehte er sich um. ‚Anscheinend ist ihm gerade wieder eingefallen, dass er ja doch seine wohlbehütete Erinnerung rausgerückt hat.‘ Harry grinste diabolisch. „Natürlich, Sir.“   Er schnappte sich seine Sachen und machte sich auf den Weg zu seiner nächsten Stunde, Kräuterkunde, wo seine beiden ehemaligen besten Freunde bestimmt schon auf ihn warteten. Ihr Verhalten heute hatte auch den letzten Zweifel, den Harry wegen ihrer Freundschaft empfunden hatte, verpuffen lassen. Nein, solche Freunde brauchte er ganz sicher nicht Seine gute Laune war wieder da und fröhlich lief er durch die Flure des alten Schlosses.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Weasley und Granger waren schon an den Gewächshäusern, wo ihr nächster Unterricht stattfinden sollte. Sie warteten auf ihre Lehrerin als plötzlich ein lautes Kreischen aus dem Verbotenen Wald kam und sie aufschreckte. Es klang wie das laute Krähen unzähliger Vögel. Kapitel 9: Aussprache --------------------- Der Tag ging schnell voran und schon hatten die Schüler ihre letzte Stunde, Verteidigung gegen die Dunklen Künste bei Professor Snape. Seit Anfang des Jahres übten sie jetzt schon immer wieder ungesagte Zauber, genauso wie in Zauberkunst und auch Verwandlung. Der Sinn dahinter war, in einem echten Kampf einen entscheidenden Vorteil zu erhalten, da der Gegner erst einmal nicht wusste, welcher Fluch auf ihn zukommt. Nicht jeder Zauberer hatte ein Talent dafür. Manche schafften nur einfache Zauber und anderen gelang es nie, ohne Worte zu zaubern, da es eine enorme Konzentration erforderte, die nicht jeder aufbringen konnte. Professor Flitwick, ihr Lehrer für Zauberkunst, und Professor McGonagall hatten dafür vollstes Verständnis und versuchten ihre Schüler auch immer wieder zu ermutigen, es weiter zu versuchen, während der ehemalige Zaubertränkeprofessor jeden, der es nicht schaffte, immer wieder mit Freuden niedermachte und ihnen immer wieder vor Augen hielt, wie erbärmlich sie seien und dass sie es wohl nie schaffen würden. Harry war natürlich sein Lieblingsopfer. Obwohl er die ungesagten Zauber perfekt beherrschte, unterstelle Snape ihm immer wieder, dass er schummelte und die Sprüche vor sich hin murmeln würde.   Auch in dieser Stunde war es nicht anders. Der Professor sah immer wieder mit Missfallen auf den jungen Gryffindor, ließ höhnische Bemerkungen fallen und hielt sich auch bei den anderen Schülern nicht zurück, außer natürlich bei den Slytherins. Alles wie immer. Scheinbar. Nur Harry fiel auf, dass etwas anders war. Der Professor beobachtete ihn häufig. Häufiger als sonst und jedes Mal, wenn Harry ihn dabei erwischte, wirkte Snapes Blick nachdenklich. Natürlich! Es hätte ihn auch gewundert, wenn Snape noch nicht von seinem Seitenwechsel erfahren hätte. Stellte sich jetzt nur die Frage, was dieser mit dieser Information anfangen würde. Er war sich sicher, dass da noch etwas kommen würde.   Und er wurde nicht enttäuscht. Kurz vor Ende der Stunde kam Snape auf Harry und Weasley, die in dieser Stunde zusammen üben sollten, zugerauscht und blieb wutschnaubend vor dem rothaarigen Jungen stehen. Dessen Gesicht hatte in der Zwischenzeit, die gleiche Farbe angenommen wie seine Haare. Er versuchte, seit einer halben Stunde einen Fluch auf Harry zu schießen und hatte dafür angestrengt die Lippen aufeinander gepresst und bei seinen Versuchen, sich zu konzentrieren, vergaß er zwischendurch immer wieder zu atmen. „Sie sind erbärmlich, Weasley.“, kam es kalt von Snape. „Sie werden das wohl nie lernen.“ Nur ganz kurz schaute er zu Harry und dieser sah die Aufforderung in den schwarzen Augen, bevor der Professor sich wieder zu dem erschöpften Schüler drehte. „Ich werde Ihnen mal zeigen, wie das funktioniert.“ Schnell zog er seinen Zauberstab und richtete ihn auf Harry. Harry wusste, was von ihm erwartet wurde und rief laut „Protego!“. Der Schild war stark und ließ selbst den Verteidigungslehrer kurz schwanken.   „Potter! Wie oft soll ich es Ihnen eigentlich noch sagen? Wir üben hier UNGESAGTE Zauber. Das heißt OHNE Worte.“ „Ja.“ „Ja, SIR!“ Harry grinste. „Aber, Professor! Sie brauchen mich doch nicht ‚Sir‘ zu nennen.“ „Das reicht jetzt!“, donnerte es zurück. „Ich werde mich doch nicht von Ihnen zum Narren halten lassen. Nachsitzen. Heute Abend nach dem Abendessen in meinem Büro.“ Niemand sah, wie er Harry leicht zunickte.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   „Alter! Du tust mir so leid.“, versuchte Weasley Harry zu trösten. Verteidigung gegen die Dunklen Künste war endlich vorbei und Snape hatte sie mit einem riesen Haufen an Hausaufgaben entlassen. Auch Thomas und Finnigan gesellten sich dazu. „Das war total ungerecht. Wieso hat er es eigentlich immer auf dich abgesehen?“ Niemand war mehr sauer auf Harry wegen seines Ausrasters am Morgen. Alle schienen sein merkwürdiges Verhalten auf die Slytherins zu schieben, da die sich die letzten Tage ja auch seltsam verhalten hatten. Keiner kam auch nur auf den Gedanken, dass Harry selbst sich verändert haben könnte. Wie naiv. Und doch war Harry froh deswegen. Er musste unbedingt sein Temperament zügeln. Irgendwann würde ihn das noch in Schwierigkeiten bringen.   „Du solltest deswegen mit Professor Dumbledore sprechen.“ „Mmh?“, irritiert schaute er Granger an. „Wieso sollte ich?“ „Na, immerhin wollte Professor Snape dich verfluchen. Unterricht hin oder her. Eine Lehrkraft darf einen Schüler nicht verfluchen. Auch zu Übungszwecken nicht. Das ist in der Schulordnung so festgelegt. Weil die Lehrer ja stärker sind als die Schüler, dürfen nur die Schüler untereinander und auch nur unter Aufsicht, Zauber und Flüchen gegenseitig üben.“ Er starrte sie einen Moment nachdenklich an. „Hermine, das bringt doch nichts.“, sagte Harry schließlich. „Dumbledore hat schon immer Ausreden für Snape gefunden. Ich kann mir schon gut vorstellen, was er sagen wird: ‚Aber Harry, mein Junge, woher willst du wissen, dass Professor Snape dich verfluchen wollte? Du sagtest doch, ihr habt ungesagte Zauber geübt. Also kannst du doch den Zauber, den er genutzt hat, gar nicht kennen. Er hat mit Sicherheit nur mit einem Lichtstrahl auf dich gezielt.‘ Ehrlich, Hermine, darauf kann ich gut verzichten.“ Außerdem war er viel zu neugierig, was Snape ihm zu sagen hatte.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Ein paar Stunden später war Harry auf den Weg zu Snapes Büro. Es hatte noch eine lange Diskussion zwischen ihm und Granger gegeben, warum er nicht mit Professor Dumbledore über Snapes ungerechtes Verhalten reden wollte. Schlussendlich hatte sie aufgegeben. Sein Argument, dass ihre Streiterei sie nur vom Lernen abhalten würde, hatte sie überzeugt, kleinbeizugeben. Als sie beim Abendessen noch mal davon anfangen wollte, hatte Harry sie schlichtweg ignoriert. Jetzt stand er vor der schweren Holztür von Snapes Büro in den Kerkern und klopfte. „Herein!“, kam es gedämpft von der anderen Seite und Harry beeilte sich, der Einladung nachzukommen. In den unterirdischen Gewölben von Hogwarts war es doch sehr kalt. „Sie wollten mich sprechen, … Sir?“ Harry konnte sich diese kleine Spitze nicht verkneifen. Aber Snape machte ihm nicht die Freude, darauf einzugehen und ignorierte diese kleine Provokation. Statt einer Antwort machte er ein Zeichen mit der Hand, dass Harry sich setzen sollte. Seufzend kam er der Aufforderung nach.   Der grüne Sessel war gemütlich, weich und bequem und das Polster passte sich perfekt seinem Körper an. Harry saß schräg vor dem kleinen Kamin, in dessen Inneren ein warmes Feuer vor sich hin loderte und langsam die Kälte aus seinen Knochen vertrieb. Snape erhob sich von seinem Schreibtisch, reichte Harry eine Tasse, deren heißer Inhalt nach verschiedenen Kräutern roch, und setzte sich dann auf den anderen Sessel, der Harrys gegenüber stand.   Lange sahen sich einfach nur in die Augen, belauerten sich gegenseitig, wer denn den Anfang machen würde. Es war eine angenehme Ruhe, die zwischen ihnen herrschte. Harry wurde bewusst, dass sie beide wohl noch nie so lange in einem Raum gewesen waren, ohne dass beleidigende Kommentare gefallen waren. So war die Gesellschaft des anderen Mannes ganz erträglich. Und das leise Knacken aus dem Kamin hatte eine beruhigende Wirkung. Aber dann unterbrach Snape die Stille.   „Warum?“ In dieser Frage lag kein Vorwurf, keine versteckte Aggressivität. Bloß reine Neugierde. Verblüfft schaute Harry ihm in die Augen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Er Ihnen meine Beweggründe nicht mitgeteilt hat, wenn er sich schon die Mühe gemacht hat, Sie überhaupt in Kenntnis zu setzen.“ „Natürlich hat er mir Ihre Gründe genannt. Er hat mich darauf angesetzt, herauszufinden, wer das Mädchen ist, welches für Ihren Sinneswandel verantwortlich ist. Aber ich bin nicht dumm, Potter. Ich weiß, welche Fähigkeiten Sie in Okklumentik besitzen. Deswegen zweifle ich auch sehr an Ihren Motiven. Vielleicht sollte ich meine Frage umformulieren? Haben Sie sich Ihm wirklich angeschlossen oder ist das ein törichter Versuch, ihm eine Falle zu stellen? Auf welcher Seite stehen Sie?“   Alarmiert sah Harry auf. Bis jetzt war er felsenfest davon überzeugt gewesen, dass Snape treu hinter Voldemort stand und Dumbledore hinterging. Aber was, wenn er sich irrte? Wenn Snape doch auf Dumbledores Seite stand? „Auf welcher Seite stehen Sie denn?“   Snape zog überrascht eine Augenbraue hoch. „Meine Loyalität steht hier nicht zur Diskussion. Beantworten Sie meine Frage!“ „Nein!“ Harry schüttelte den Kopf. So leicht würde er sich nicht unterkriegen lassen. „Von mir werden sie keine Antwort erhalten, bevor ich mir nicht sicher sein kann, dass ich meine Antwort überleben werde. Denn nur mal angenommen, ich habe mich tatsächlich Voldemort angeschlossen und Sie sind ein Verräter, rennen Sie sofort zu Dumbledore und der steckt mich schneller nach Askaban, als ich meinen Zauberstab ziehen könnte. Andersherum: Wenn ich den Dunklen Lord ausspioniere und Sie stehen noch immer treu zu Ihm, werde ich wohl beim nächsten Aufeinandertreffen mit Ihm, Bekanntschaft mit einem schönen grünen Lichtblitz machen. Danke, aber beide Möglichkeiten empfinde ich nicht als sehr reizvoll.“ Sie waren eindeutig in einer Pattsituation. Denn für Snape bestand die gleiche Gefahr wie für Harry, wenn er die falsche Antwort geben würde. Aus diesem Grund war Harry sich auch sicher, dass er keine Antwort von seinem Professor erhalten würde. Für ihn war dieses Gespräch damit beendet. Er wollte schon aufstehen und hinausgehen, als Snapes nächste Worte ihn innehalten ließen.   Ein resigniertes Seufzen kam von dem Lehrer und er sah plötzlich um viele Jahre gealtert aus. Er war in dem Sessel zusammengesunken, seine Haut blasser als sonst und durch den Schein des Kaminfeuers wurden seine Falten noch deutlicher hervorgehoben. Seine Augen wirkten mit einem Mal fast leblos und sehr, sehr müde; mit einer Spur Resignation. „Ich stehe auf… deiner… Seite.“   Irritiert schaute Harry auf ihn herab. Was hatte das jetzt zu bedeuten? Eine Falle? Aber ein Blick auf diesen gebrochenen Mann genügte, um seine Zweifel verschwinden zu lassen. „Wieso?“ Die Frage kam nur leise über seine Lippen. Seine Gedanken rasten und er versuchte, das alles zu verstehen. Wie konnte es sein, dass dieser Mann, der ihn, seit er ihn kannte, nur fertig gemacht hatte, nun hinter ihm stehen sollte, egal für welche Seite er sich entschieden hatte?   „Nein!“, langsam kam wieder Leben in die eingesunkene Gestalt und er sah Harry herausfordernd an. „Ich habe dir deine Frage beantwortet. Jetzt bist du dran. Danach sehen wir weiter.“ „Ich habe wohl keine andere Wahl.“, zischte Harry aus zusammengebissenen Zähnen. Dann schaute er direkt in die Augen seines Professors und sagte mit fester Stimme: „Ich habe wirklich die Seiten gewechselt.“ Aufmerksam beobachtete er seinen Lehrer, wartete angespannt auf dessen Reaktion.   „Gut.“ Ein leichtes Lächeln zierte Snapes Lippen.   Damit hatte er allerdings nicht gerechnet. „Sie sehen erleichtert aus. Warum? Ich hätte jetzt eher mit Vorhaltungen gerechnet, ob ich wahnsinnig sei oder so was. Oder, dass ich bereits entwaffnet und in Ketten gelegt wäre und auf meinen letzten Kuss warten würde.“   Snape entschlüpfte ein kleines Glucksen, woraufhin ihn Harry nur ungläubig anstarrte. Er hatte sich aber schnell wieder unter Kontrolle und wurde ernst. „Nun das ist ganz einfach. Ich denke, dass deine Überlebenschancen auf der Seite des Dunklen Lords höher sind.“ „Warum?“ „Wegen der Prophezeiung.“ „Sie wissen von der Prophezeiung?“, fragte Harry verwirrt. Woher sollte Snape sie kennen? Hatte Dumbledore etwas mit ihm darüber gesprochen? Warum hätte der das tun sollen?   „Ja.“ Ein trauriges Lächeln umspielte Snapes Lippen, was nur noch mehr Fragen in Harry aufwarf.   „Sie wissen von der Prophezeiung. Und Sie kennen den Inhalt? Und Sie glauben trotzdem, dass ich auf Voldemorts Seite sicherer bin?“ „Ja, genau deswegen.“   Harry sah ihn skeptisch an. Er konnte die Aufrichtigkeit der Worte in seinen Augen lesen und doch… Er konnte es nicht benennen. Das war nicht alles gewesen. Da steckte mehr dahinter. Harry wollte schon zu einer Frage ansetzen, aber der entschlossene Blick in Snapes Gesicht und seine plötzlich abwehrende Körperhaltung ließ ihn innehalten. Snape sah nicht so aus, als wäre er bereit, ihm seine nächste Frage zu beantworten. Er sah Snape noch eine Weile nachdenklich an und nickt dann leicht, um ihm zu signalisieren, dass er diese Antwort so akzeptieren würde. Vorerst. Es gab erstmal noch andere Fragen, die zu klären waren.   „Gut. Jetzt würde ich aber wirklich gerne wissen, warum Sie auf MEINER Seite sind.“ Snape stand auf und bedeutete Harry mit einer unwirschen Handbewegung, ihm zu folgen. Schweigend gingen sie zu seinem Schreibtisch. Snape holte seinen Zauberstab heraus und ließ eine flache Steinschale auf den Tisch schweben. ‚Ein Denkarium.‘ Geduldig wartete Harry darauf, dass sein Professor die Erinnerung als silbrigen Faden aus seinem Kopf zog und in die flache Steinschale eintauchen ließ. Es schien ihm wie eine kleine Ewigkeit zu dauern, bis sich endlich der Zauberstab vom Kopf seines Professors löste und die Erinnerung zuckend und sich windend in die abwechselnd klare und silbrige Flüssigkeit des Denkariums getaucht wurde. Einzelne Bilder tauchten immer wieder an der Oberfläche auf, ließen erahnen, welche Geheimnisse sich beim Eintauchen offenbaren würden. Harry schaute hoch, blickte in die schwarzen Augen und wartete auf die Erlaubnis in den Tiefen seiner Geheimnisse zu versinken. Ein kurzes Nicken war die Antwort auf die unausgesprochene Frage. Noch einmal atmete der Gryffindor tief durch und tauchte dann in die silbrig weiße Substanz ein.   Harry konnte unebenen Boden unter seinen Füßen spüren und die Sonne schien warm auf seiner Haut. Er öffnete die Augen. Snape war ihm gefolgt und stand nun zwei Meter von ihm entfernt, seine Züge von Qualen und Reue verzerrt. Seine Augen waren auf einen Punkt weiter vor ihm gerichtet. Harry folgte seinem Blick und blieb bei zwei Mädchen hängen, die miteinander spielten. Irgendwie kamen ihn beide bekannt vor, aber er konnte nicht sagen woher. Sie gingen nun zu den Schaukeln. Fasziniert beobachtete er, wie das eine Mädchen mit den dunkelroten Haaren immer höher schaukelte und dann am höchsten Punkt einfach losließ. Sie blieb kurz in der Luft schweben und ließ sich dann langsam zurück auf den Boden gleiten. Das blonde Mädchen fing an, zu schimpfen. Keiner der beiden bemerkte den schwarzhaarigen Jungen, der aus einer kleinen Entfernung, die beiden heimlich beobachtete.   Das Bild änderte sich. Nun konnte Harry sehen, wie sich der Junge mit dem rothaarigen Mädchen unterhielt. Er ging näher heran, um die Unterhaltung mitanhören zu können. „Ich bin ein Zauberer und du bist eine Hexe. Wir werden bald einen Brief bekommen und dann können wir nach Hogwarts, wo wir richtig zaubern lernen.“ „Meine Schwester hat gesagt, dass es gar kein Hogwarts gibt, dass du mich nur anlügst.“ „Ich lüge nicht. Hogwarts gibt es wirklich und wir beide werden da dieses Jahr noch hinkommen. Deine Schwester nicht. Sie ist ein Muggel.“   „Severus! Severus!“, schrie das kleine Mädchen in der nächsten Sequenz. Sie lief auf den Jungen zu und strahlte übers ganze Gesicht. Sie hielt einen Brief in der Hand, der Harry sehr bekannt vorkam. „Ich habe ihn bekommen. Genau, wie du gesagt hast.“   Der nächste Teil der Erinnerung zeigte die Zuordnungszeremonie der Erstklässler. „Evans, Lily!“ Überrascht riss Harry die Augen auf und schaute zu Snape, aber in dessen Gesicht war keine Regung zu erkennen.Er hatte sich wieder hinter seiner Maske versteckt. „Gryffindor!“ ‚Das ist meine Mutter.‘ Und plötzlich verstand er, warum sie ihm so bekannt vorgekommen war. Ja, sie sah eindeutig so aus, wie auf dem Bild, was er von ihr und seinem Vater hatte. Nur halt sehr, sehr viel jünger. Und das andere Mädchen war also seine Tante Petunia gewesen. „Potter, James!“ Harrys Blick glitt zurück, heftete sich auf den Jungen, der jetzt langsam auf den Sprechenden Hut zuging. Bis jetzt sah er ihn nur von hinten. Ein kleiner Junge, der genauso aufgeregt war, wie alle anderen Schulanfänger. Strubbelige schwarze Haare, genauso wie seine eigenen. Als er an dem vierbeinigen Stuhl angekommen war, drehte er sich um und setzte sich mit einem frechen Grinsen. Harry stockte der Atem. Seit er nach Hogwarts gekommen war, wurde ihm immer und immer wieder gesagt, wie sehr er seinem Vater ähnlich sähe. Aber erst jetzt wurde ihm bewusst, wie sehr das wirklich stimmte. Hätte er nicht gewusst, dass er in Snapes Erinnerung war, hätte er ohne zu zögern behauptet, dass er selbst auf diesem Stuhl sitzen und auf das Urteil des Hutes warten würde. Dieses kam auch viel schneller als bei seiner eigenen Einteilung. „Gryffindor!“ Das Jubeln am Haustisch bekam er gar nicht mit. Er beobachtete seinen elf Jahre alten Vater, der mit erhobenen Haupt zu den Gryffindors lief, sich elegant auf die Bank setzte und neugierig zu dem Mädchen guckte, das einmal Harrys Mutter werden sollte. „Snape, Severus!“ Der Junge wirkte irgendwie traurig und Harry bekam leichtes Mitleid mit ihm. „Slytherin!“   Die nächste Szene spielte Jahre später. Es musste Ende des fünften Schuljahres sein, denn hin und wieder hörte Harry das Wort ‚ZAG‘. Die Prüfung für Verteidigung gegen die dunklen Künste war gerade beendet und die Schüler liefen hinaus ins Freie, um ein wenig zu entspannen oder – wie einige eifrige – sich schon auf die nächste Prüfung vorzubereiten. Harry beobachtete seinen Vater, wie dieser einen Schnatz immer wieder kurz freiließ, um ihn wieder einzufangen, kurz bevor dieser sich seiner Reichweite entziehen konnte. Dabei schaute James immer wieder zu einer Gruppe von Mädchen hinüber, die kichernd in seine Richtung starrten. Er genoss die Aufmerksamkeit sichtlich. Auch die anderen drei Rumtreiber waren anwesend. Sirius schaute scheinbar gelangweilt in der Gegend herum, aber wer genau hinsah, konnte erkennen, dass er auch immer wieder zu Mädchen hinschaute. Remus war in ein Buch vertieft und bekam von all dem nichts mit. Auch Peter Pettigrew war dabei. Bewundernd beobachtete diese Ratte Harrys Vater und ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. Dann kam der junge Snape an ihnen vorbei. Sofort sprangen James und Sirius auf und stellten sich ihm in den Weg. Geschockt musste Harry mitansehen, wie sein Vater und sein Patenonkel, den Slytherin beleidigten, öffentlich demütigten und verfluchten. Vorsichtig schaute er zu seinem Begleiter und er konnte ihm ansehen, wie schwer es diesem fiel, Harry diese Erinnerung zu zeigen, seine schlimmsten Erinnerungen mit ihm zu teilen. Aber gerade, weil er es tat, musste es wohl wichtig sein. Deswegen zwang Harry sich, sich wieder auf diese abscheuliche Szene zu konzentrieren. Er hätte nicht in Worte fassen können, wie angeekelt oder maßlos enttäuscht er von seinem Vater und seinem Patenonkel in diesem Augenblick war. Er hatte ja gewusst, dass sie sich unmöglich in der Schule, vor allem Snape gegenüber, benommen hatten, aber DAS hätte er ihnen niemals zugetraut. Nun trat eine weitere Person zu ihnen. Sie schien sehr aufgebracht und schrie James mehrfach an, dass er Severus in Ruhe lassen sollte. Harrys Mutter war sehr wütend. Sie schien die Freundschaft zu Snape all die Jahre aufrechterhalten zu haben. Aber das sollte sich im nächsten Moment ändern. „…Schlammblut.“ So schnell dieses eine Wort Snapes Mund entschlüpft war, so schnell sah man ihm an, dass er es aus tiefsten Herzen bereute. Aber Lily ging. Sowohl James als auch Severus wurden mit einem angewiderten Blick bedacht und schon war sie weg, genau wie dieser Teil der Erinnerung.   Harry schluckte hart, als sich das nächste Stück vor seinen Augen materialisierte. Er kannte diesen Ort, war erst vor zwei Tagen da gewesen. Sie standen jetzt vor Voldemorts Thron, Snapes jüngeres Ich vor ihm kniend. Er erzählte dem Dunklen Lord, dass er eine Prophezeiung mitangehört hätte, laut der bald jemand geboren werden würde, der ihn besiegen könnte.   Snape sah schockiert zu seinem Lord und flehte ihn an, Lilys Leben zu verschonen. Dieser willigte ein. Snape war ein guter und mehr als zuverlässiger Todesser. Wenn dies sein Wunsch wäre, könnte er mit dieser Schlammblutfrau machen, was auch immer er wollte.   Aufgelöst stand Snape vor Dumbledore und flehte diesen an, Lily zu beschützen. Er erzählte ihm, dass er Voldemort von der Prophezeiung erzählt hatte und dass dieser nun dachte, sie handele von Lilys Sohn. Dumbledore schaute ihn mit solcher Verachtung an, wie Harry es diesem Mann niemals zugetraut hatte. Er würde sie verstecken. Nicht nur Lily, sondern auch seinen Vater und ihn, Harry, selbst.   „Sie ist tot.“ Bedeutungsschwer hingen diese Worte in der Luft. Der Mann, von dem sie kamen, schien mehr eine Hülle zu sein, in der es kein Leben mehr gab und nie wieder geben wird. Es war mehr als eine Feststellung. Es war ein Vorwurf. Der Mann ihm gegenüber hatte versprochen, sie zu beschützen. Dafür hatte er alles verraten, woran er bisher geglaubt hatte, alles riskiert, was es noch in seinem Leben gab. Und letztendlich stand er ganz alleine da. Keiner hatte sein Versprechen gehalten. Der Dunkle Lord nicht, der Lilys Leben nicht verschont hatte, Dumbledore nicht, der sie nicht hatte schützen können. Er hatte sich doppelt abgesichert, um ihr Überleben zu garantieren und hatte versagt. Jetzt war er ein gebrochener Mann. Er würde alles geben, um mit ihr tauschen zu können. Der Wunsch zu sterben, war übermächtig. „Ihr Sohn lebt. Harry lebt. Wenn Sie Lily wirklich geliebt haben, …“ – Geliebt? Harry horchte auf. – „… wissen Sie, was Sie jetzt zu tun haben.“ Dumbledore war sich sicher, dass Voldemort nicht gänzlich vernichtet war. Er würde wiederkommen. Und wenn es soweit wäre, würde Harry Schutz benötigen… Snape sollte die Schuld an Lily sühnen, in dem er ihren Sohn beschützte. Und Snape willigte ein.   Sie tauchten wieder aus der Erinnerung auf. Harry sah geschockt auf seinen Lehrer. Seine Gedanken überschlugen sich und sein Atem ging stoßweise. Das waren zu viele Informationen gewesen. Snape hatte die Prophezeiung an Voldemort verraten und hatte damit eine Mitschuld am Tod seiner Eltern. Tränen brannten in seinen Augen, aber er zwang sich, diese hinunterzuschlucken. Das Grauen und die Bestürzung standen ihm ins Gesicht geschrieben und er kämpfte darum, seine Fassung nicht gänzlich zu verlieren.   Snape stand einfach nur da und beobachtete den Jungen. Er hatte ihm viel zugemutet, das wusste er. Aber er war sich auch sicher, dass er die Wahrheit erfahren musste. Jetzt mehr denn je.   Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte Harry sich wieder soweit im Griff, dass er etwas sagen konnte. „Warum? Ich verstehe es nicht. Sie haben meine Mutter geliebt. Okay, sie konnten nicht wissen, dass ich in der Prophezeiung gemeint sein könnte. Immerhin war ich da noch gar nicht geboren…“ Er stockte. Denn noch während er es aussprach, wusste er, dass es die Wahrheit war. Er konnte Snape keine Schuld am Tod seiner Eltern geben. Wie hätte dieser wissen sollen, dass Voldemort ausgerechnet den Sohn seiner großen Liebe als Bedrohung sieht. Außerdem hatte er versucht, sie zu beschützen. Er war kläglich gescheitert, aber er hatte es versucht. Aber das war es nicht, was ihn im Moment beschäftigte. „Sie haben mich die ganzen Jahre, wie EIN STÜCK DRECK BEHANDELT.“ Er wurde immer lauter und schrie die letzten Worte seinem Gegenüber entgegen, gemischt mit der ganzen Wut und dem Hass, die er die ganzen letzten Jahre immer mehr aufgestaut hatte, weil dieser ihn seit seinem ersten Tag so mies behandelt hatte.   Snape seufzte und schaute dem Jungen resigniert in die grünen Augen, die ihn so sehr an Lily erinnerten. „Du hast es doch gesehen. Du siehst genauso aus wie er. Die gleichen Haare, die gleiche Statur, der gleiche Gang. Jeden Tag muss ich dich sehen und sehe nur, wie er mich drangsaliert und gedemütigt hat. Ich erinnere mich daran, wie er durch die Flure stolziert ist und jeden, der ihm nicht gepasst hat, einen Fluch auf den Hals gehetzt hat. Und das nur, weil er es konnte. Er hat sich über alle Regeln hinweggesetzt und ist auch noch damit davon gekommen. Genauso wie du! Und immer wieder werde ich von Neuem daran erinnert, was ich durch ihn verloren haben und schließlich auch durch mich selbst. Ich bin schuld an ihrem Tod und jeden beschissenen Tag erinnerst du mich daran. Ich sehe in deine Augen und sehe ihre Augen, sehe meine Schuld.“ Der Schmerz und die Verbitterung in der Stimme schienen die komplette Luft aus dem Raum zu verdrängen.   Stumm musterte Harry den Mann vor sich. Ja, er konnte es verstehen. Zumindest jetzt, nachdem er die Erinnerungen gesehen hatte. Es musste furchtbar sein, den Schrecken seiner Jugend nicht entkommen zu können. Er sah ja wirklich genauso aus wie sein Vater. Aber jetzt? Snape hatte ihm gesagt, dass er auf seiner Seite wäre. Wie ist das möglich, wenn er doch eine solche Abneigung gegen ihn hatte – jeder Verpflichtung zum Trotz.   „Was hat sich geändert?“, fragte Harry leise. „Ich habe eingesehen, dass du nicht dein Vater bist. Ich habe lange dafür gebraucht, ich weiß.“ „Und was hat Sie letztendlich zu dieser Erkenntnis gebracht?“ Harrys Ton klang schärfer als beabsichtigt. „Du hast die Seiten gewechselt, um die Person zu beschützen, die du liebst. Du hast alles aufgegeben, woran du bisher geglaubt hast, nur um jemand anderen in Sicherheit zu wissen. Das hätte James niemals getan. Nicht einmal für Lily. Ich habe es getan. Nur leider viel zu spät. Und ich habe dabei alles verloren. Ich hoffe, dass es dir nicht ebenso ergehen wird.“ So wie sich die Erinnerungen gestaltet haben, musste Harry seinem Professor recht geben. James Potter hätte niemals so viel für eine andere Person riskiert. Wahrscheinlich hätte er eher alle im Stich gelassen, um sich selbst zu retten.   Professor Snape hatte sich in der Zwischenzeit auf den Stuhl hinter seinen Schreibtisch gesetzt. Leicht zusammengesunken saß er da und starrte ins Leere. Es hatte ihn enorm viel Kraft gekostet, sich den Bildern seiner Vergangenheit erneut zu stellen.   Unschlüssig stand Harry da. Wie sollte er sich jetzt verhalten? Er sollte trotz allem wütend auf Snape sein, ihn noch mehr hassen, als zu vor, jetzt wo er die Wahrheit kannte. Er wollte ihm die Schuld geben, an allem. An all dem Schlechten, was ihm in seinem Leben widerfahren war. Dass er bei den magiehassenden Dursleys aufwachsen musste, dass Voldemort ihn immer wieder gequält hatte, ihn immer wieder töten wollte, so dass er kaum eine ruhige Minute zum Durchatmen hatte. Der Mord an Sirius. Der Tod seiner Eltern. Aber er konnte es nicht. Es war zu lange her. Und auch wenn es jetzt noch Augenblicke gab, in denen er seine Eltern schmerzhaft vermisste, er kannte sie doch eigentlich gar nicht. Und überhaupt, wie sollte er den Mann für seine Taten verurteilen, wenn er selbst bereit war, das Opfer seiner Eltern mit Füßen zu treten?   Harry traf eine Entscheidung. Er ging um den Schreibtisch herum, blieb vor der zusammengesunkenen Gestalt stehen und beugte sich langsam hinab. Vorsichtig schloss er den reglosen Körper in seine Arme. „Ich vergebe dir.“ Kapitel 10: Teffen bei Nacht ---------------------------- Es war kurz vor Mitternacht als Harry endlich in seinem Bett lag und bereit war, in die Welt der Träume abzutauchen. Er musste sich keine Sorgen mehr über Alpträume machen. Seit Voldemort ihn bei ihrem Treffen mit dem Heilzauber Episkey geholfen und damit ihre jahrelange Feindschaft beendet hatte, wurde er nicht mehr unter Schmerzen in den Geist des Dunklen Lords gesogen, wenn dieser unter extremen Gefühlsschwankungen litt. Aber er konnte sie immer noch spüren. Voldemort hatte anscheinend ein genauso ungestümes Temperament wie Harry selbst. Eine von vielen Gemeinsamkeiten, wie Harry zum wiederholten Male seufzend feststellte.   Seit er in seinem zweiten Jahr herausgefunden hatte, dass er genau wie sein (ehemaliger) größter Erzfeind Parsel sprechen konnte, waren ihm systematisch immer mehr und mehr Ähnlichkeiten zwischen ihnen beiden aufgefallen. Und Dumbledore hatte das sogar bestätigt und ihm erklärt, dass bei dem missglückten Todesfluch, den Harry als Baby in dieser schicksalshaften Halloweennacht aufgrund des Opfers seiner Mutter überlebt hatte, Voldemort ein paar seiner Kräfte auf ihn übertragen hatte. Aber es waren ja die Entscheidungen, die einem zu dem machten, was man war, und nicht die die Fähigkeiten, die man besaß. Nicht wahr? Das hatte zumindest der Alte gesagt, nachdem der zwölfjährige Harry befürchtet hatte, dass er genauso werden würde, wie der blutrünstige dunkle Zauberer, der seine Eltern ermordet hatte. Nun… Eine Entscheidung hatte er auf jeden Fall getroffen. Aber irgendwie brachte diese nur noch mehr Gemeinsamkeiten zwischen ihnen zum Vorschein. Ob das nun allerdings gut oder schlecht war, ob er sich vielleicht wirklich dazu verdammt hatte, ebenfalls ein blutrünstiger dunkler Zauberer zu werden, musste sich erst noch zeigen. Es brachte nichts, jetzt darüber nachzudenken.   Gerade wollte Harry sich in seine Decke kuscheln als ein heftiger Schmerz in seinem rechten Oberschenkel ihn aus seinem leichten Dämmerzustand riss. Es brannte genau dort, wo sich sein Dunkles Mal befand. Er brauchte nicht lange, um zu verstehen, was diesen Schmerz verursacht hatte. Voldemort rief seine Todesser zu sich. Und er war das neueste Mitglied. ‚Nein! Ich soll wohl heute Nacht gar nicht mehr zur Ruhe kommen.‘ Harry überlegte angestrengt, wie er mitten in der Nacht unbemerkt das Schlossgelände verlassen sollte. Das Mal zog und zerrte an ihm, drängte ihn … wohin zu kommen? Hogsmeade? Wie praktisch, dass mit dem Schmerz gleich sein Zielort übermittelt wurde. ‚Eine Eule hätte es auch getan.‘, dachte er verbittert. Und er hätte mehr Zeit gehabt, sein Verschwinden vorzubereiten. Er hoffe, dass keiner seiner Mitschüler wach wurde und sich frage, wo er geblieben war.   Das Mal brannte weiter. Überdeutlich konnte er die Konturen der Schlange auf seinem rechten Oberschenkel spüren – als würde es erneut eingebrannt, nur dieses Mal tiefer als zuvor. Es würde wahrscheinlich erst aufhören, wenn er an seinen Bestimmungsort angekommen wäre. Der Schlaf würde wohl noch etwas auf ihn warten müssen.   Ein lautloser Seufzer verließ seinen Mund. Je schneller er bei Voldemort wäre, umso eher würde er sich wieder in seinem Bett verkriechen können. Er sollte sich wohl nicht beschweren. Er selbst hatte um ein Treffen gebeten. Nur hatte er nicht damit gerechnet, dass es so schnell stattfinden würde. Nur… Wie hinkommen? Mit seinem Tarnumhang könnte er ungesehen das Schloss und das Gelände verlassen. Aber zu Fuß nach Hogsmeade? Das würde eindeutig zu lange dauern. Und wenn der Dunkle Lord schon extra seinetwegen herkam, wollte er ihn nicht auch noch warten lassen. ‚Wie komme ich also am schnellsten zu meinem Lord?‘ Er musste sich bei diesem Gedanken kurz schütteln. Es würde lange dauern, bis er sich daran gewöhnt hatte, Voldemort als ‚seinen‘ Lord zu bezeichnen.   Harry hatte sich aufgesetzt und sah sich im Schlafsaal um. Seine Kameraden schliefen immer noch seelenruhig, nicht ahnend, welche Gefahr sich unweit der sicheren Mauern Hogwarts‘ versammelte; und noch weniger, dass diese Gefahr mit ihm, Harry, nun auch bis in diese schützenden Mauern vorgedrungen war. Ein neues, bisher unbekanntes Gefühl der Macht durchfloss ihn bei diesem Gedanken und er musst unwillkürlich lächeln. Er hätte niemals erwartet, dass er sich trotz seines Verrates -  oder gerade deswegen? – so gut fühlen würde.   Der Schmerz in seinem Bein holte ihn zurück in die Gegenwart und erinnerte ihn daran, dass er eine „Verabredung“ hatte. Er musste sich beeilen. Instinktiv schnappte er sich seinen Tarnumhang, die Karte des Rumtreibers und seinen Besen und verließ so schnell und leise wie möglich den Schlafsaal und den Gryffindor-Turm. Zielsicher brachten ihn seine Füße in die Eulerei. Schnell setzte er sich auf seinen Besen, überprüfte, ob der Tarnumhang richtig saß und sowohl ihn als auch seinen Besen verdeckte und schwang sich in die Lüfte. Ein paar der Eulen schienen ihn begleiten zu wollen, verschwanden dann aber in unterschiedliche Richtungen, nachdem sie ihn nicht mehr orten konnten.   Das Fliegen tat gut, machte seinen Kopf frei und Harry genoss für einen kurzen Moment die Stille. Er ließ den Wind alle negativen Gedanken und Gefühle fortwehen, bis nur noch er, sein Besen und die Stille existierten. Dann beschleunigte er, wurde schneller und schneller bis das beruhigende Säuseln des Windes zu einem ohrenbetäubenden Rauschen wurde, und mit seinen Gedanken und seinen Gefühlen auch sein ganzes Sein hinfort gerissen wurde und nichts mehr blieb als pure Freiheit.   Leider viel zu kurz.   Schon kurze Zeit später war Harry in Hogsmeade angekommen. Er landete ein Stück hinter dem Dorf und sah sich um. Aber hier schien niemand zu sein. Zumindest konnte er niemanden sehen. Hatte er sich geirrt? Nein! Harry war sich absolut sicher, dass er hierhin sollte. Dieses unterbewusste Drängen und auch die Schmerzen hatten aufgehört, also musste er hier richtig sein. Außerdem konnte er die Anwesenheit von 5 Zauberer spüren. Einer davon war eindeutig Voldemort. Alarmiert betrachtete er die Gegend, ob er irgendetwas Verdächtiges sehen konnte. Seinen Tarnumhang behielt er vorsichtshalber an, den Besen darunter verborgen.   Auf einmal veränderte sich etwas. Es war wie ein leichtes Sirren. Harry konnte es nicht wirklich benennen, es war nichts Greifbares, mehr ein Gefühl. Und dann bemerkte er nur ein paar Meter vor ihm eine kleine Fluktuation in der Luft. Neugierig ging er ein Stück darauf zu. Je näher er kam, desto verschwommener wurde die Landschaft vor ihm. Dunkle Schatten begannen sich formen, hoben sich stärker und immer klarer von ihrer Umgebung ab, bildeten Formen und Konturen. Dann erst spürte er die Barriere. Überrascht blieb er stehen. Er hatte spüren können, wie die Magie dieser unsichtbaren Mauer ihn aufhalten wollte und ihn zurück gedrängt hatte, während sie gleichzeitig sanft, beinahe zärtlich über seinen Körper geglitten war, als ob sie etwas suchen würde. Das Dunkle Mal! Und sie hatte es gefunden und ihm dann Einlass gewährt. Fantastisch! Ein Schutzschild, der nur die hindurchlässt, die sich als Anhänger Voldemorts ausweisen konnten. Es musste so ähnlich funktionieren, wie die Schilde von Hogwarts.   In stiller Bewunderung nahm Harry dann seine neue Umgebung näher in Augenschein. Hier waren also die Todesser, die er zuvor gespürt hatte. Sie versteckten ihre Gesichter hinter kunstvoll verzierten Masken und die schwarzen Roben mit Kapuze verdeckten den Rest ihrer Körper, so dass ihre Identität hinter der Gestalt des auf Erden wandelnden Todes verborgen blieb. Aber Harry konnte dennoch einen davon identifizieren. Lucius Malfoy. Er hatte ihn bei seinem ersten Treffen mit Voldemort gesehen und seine Aura, die seinem Sohn so ähnlich war, hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt.   Und einen anderen Todesser konnte Harry ebenso erkennen. Er war nicht zu verwechseln. Er trug weder die Maske, noch den Umhang wie die anderen. Peter Pettigrew.  Ein eisiger Schauer überlief Harry und die Wut und der Hass, die er für dieses Nagetier empfand, nahmen ihm für einen Moment den Atem. Wurmschwanz. Wie sehr er diesen Verräter doch verabscheute. Selbst jetzt, da er selbst zum Verräter geworden war, konnte er ihm nicht vergeben. Er widerte ihn an. Diese unwürdige Kreatur hatte aus Angst und Eifersucht und purem Eigennutz seine Eltern zum Tode verurteilt. Irgendwann, das schwor er sich, würde er den Körperteil, der ihm seinen Spitznamen gab, auf schmerzvolle Art entfernen. Alle beide!   Nur schwer konnte er seine Gefühle wieder beruhigen und den Blick von dieser jämmerlichen Gestalt nehmen. Er war so in seine Gedanken vertieft gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, wie Lucius und die beiden ihm unbekannten Todesser ihre Zauberstäbe gezogen hatten und deutlich angespannt die Gegend absuchten, während Voldemort in ihrer Mitte mit seinem Stab genau auf Harry zielte und mit seinen rotglühenden Augen versuchte, den unbekannten Eindringling auszumachen. Schnell nahm Harry seinen Tarnumhang ab, immer bereit einem plötzlich gesprochenen Fluch auszuweichen. Aber zu seinem Glück waren diese Todesser nicht so impulsiv, wie ihre zukünftigen Kameraden. Er hatte sich doch tatsächlich von diesem dämlichen Nagetier ablenken lassen, wodurch seine Aufmerksamkeit gesunken war. Sein Temperament würde ihn wirklich irgendwann noch den Kopf kosten. Er wusste es genau, aber er lernte es einfach nicht. Natürlich hätte er daran denken müssen, dass Voldemort wahrscheinlich spüren konnte, wenn jemand seine Barriere durchschritt. Harry sollte wohl dankbar sein, dass nicht sofort ein Fluch aufs Geradewohl in seine Richtung geschossen wurde. Er war sich nicht sicher, ob er ihn rechtzeitig bemerkt hätte. Sicher, er konnte die meisten Flüche, sogar schwarzmagische, abwehren, dafür hatte er einen speziellen Schild, aber es gab leider nicht einen Zauber, der in der Lage war die drei Unverzeihlichen Flüche zu blocken. Deswegen waren sie ja unverzeihlich.   „Mr. Potter!“ Als Voldemort ihn erkannte, senkte dieser augenblicklich seinen Stab. Seine Begleiter taten es ihm gleich, aber ihre Nervosität und Unsicherheit konnte man ihnen in ihrer Haltung ansehen. „Ich hatte noch niemanden so früh erwartet. Ich bin überrascht, dass du schon da bist.“   Leicht irritiert schaute Harry auf seinen Lord und ging dann auf die kleine Gruppe zu. Angekommen neigte er seinen Kopf zu einer leichten Verbeugung und sah dann direkt in die glühenden Augen. Von den anderen vernahm er ein überraschtes Aufkeuchen. Aber ein scharfer Blick ihres Herren ließ sie verstummen. „Du hast gerufen und ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte… Mein Lord.“ Ob er sich wohl je an die Anrede gewöhnen würde?   „Und das in einer beeindruckenden Zeit. Ich hatte dich frühestens in einer halben Stunde erwartet, genau wie die anderen auch.“   Harry betrachtete kurz den Besen in seiner Hand. Er hatte ihn instinktiv gegriffen und sich auf den Weg gemacht. Einen Weg zu nutzen, der länger gedauert hätte, wäre ihm gar nicht in den Sinn gekommen. Obwohl, wenn er seinen Tarnumhang nicht gehabt hätte, hätte er sich das sicher nicht gewagt. „Ich nehme an, es wäre zu auffällig, wenn plötzlich ein dutzend Slytherins auf ihren Besen durch die Nacht fliegen würden. Vorausgesetzt, es hätte jeder einen.“   „Außer sie hätten einen so beeindruckenden Tarnumhang wie du.“, entgegnete Voldemort und kurz flackerte ein gieriger Blick in seinen scharlachroten Augen auf. „Ansonsten gibt es wirklich keinen schnelleren Weg. Ich bin mir dieses Umstandes durchaus bewusst. Deswegen toleriere ich in eurem Fall diese kleine Verzögerung. Für alle anderen gibt es keine Entschuldigung für ein verspätetes Erscheinen nach meinem Ruf.“   „Wäre nett gewesen, wenn ich das früher gewusst hätte.“, brummte Harry und Voldemort lachte leise.   Voldemort setzte sich in Bewegung und bedeutete Harry, ihm zu folgen. „Wie dem auch sei. Dein überraschend frühes Erscheinen gibt uns die Gelegenheit, noch ein wenig zu plaudern.“ Der Haltung der Todesser war immer noch eine Mischung aus Verwirrung und Unglauben anzusehen, trotz der Masken, die jede Regung ihrer Gesichter verbargen.   ~Ich habe den Eindruck, deine Speichellecker sind mit der Situation etwas überfordert.~, begann Harry ihr Gespräch in Parsel. Es war schon praktisch, dass sie eine gemeinsame Sprache teilten, die sonst niemand verstand. Niemand würde sie belauschen können. Und es würde die Todesser nur noch mehr irritieren. Was Harry, wie er zugeben musste, ein beinahe sadistisches Vergnügen bereitete.   ~Und das verwundert dich?~, entgegnete Voldemort belustigt. ~Harry Potter, der Junge, der lebt, taucht plötzlich wie aus dem Nichts auf – und das ist nicht auf deinen Auftritt von eben bezogen – und anstatt ihn zu verfluchen oder gefangen zu nehmen, sind sie dazu verdammt, stumm zuzusehen, wie er in einem lockeren Plauderton mit ihrem Lord spricht. Keinen Kniefall, keine ehrfürchtige Haltung und dazu keine Bestrafung für diesen Mangel an Respekt. Wie würdest du an ihrer Stelle reagieren? Wie, frage ich dich, wenn von einem Tag auf den anderen dein Feind zu deinem Verbündeten wird?~ Harry sah Voldemort mit einer nach oben gezogenen Augenbraue teils fragend, teils ungläubig an. ~Ich meine natürlich, ohne dass du die Hintergründe kennen würdest. Ich muss wahrscheinlich aufpassen, dass die anderen nicht deine schlechten Eigenschaften übernehmen.~   ~Nichts, was sich nicht wieder durch einen gut platzierten Cruciatus in Ordnung bringen ließe.~   Ein bösartiges Lachen entrang sich Voldemorts Kehle. ~In der Tat.~   ~Allerdings ist deine Kreativität beeindruckend. Sich mit Besen und Tarnumhang aus dem Schloss zu stehlen, ist eine vorzügliche Idee. Ich war schon sehr gespannt, wie du es schaffen würdest. Die Möglichkeit mit den anderen Slytherins zu kommen, war dir ja nicht gegeben.~   ~Mmhhh… Ich hätte auch einen Geheimgang nehmen können. Aber dann wäre ich nicht so schnell hier gewesen. Und ich bin ja davon ausgegangen, dass ich so schnell wie möglich hier zu sein habe.~   ~Du kennst den Geheimgang nach Hogsmeade?~, fragte Voldemort und Harry konnte deutlich sehen, dass dieser beeindruckt war. Aber schnell war diese Emotion wieder abgeschüttelt und die Schlangenfratze wieder kalt und ausdruckslos. ~Das sollte mich wohl nicht überraschen. Du scheinst viele Geheimnisse zu besitzen, Harry Potter. Es wird mir ein Vergnügen sein, diese nach und nach zu ergründen.~   ~Das kann ich nur zurückgeben. Diese Barriere ist beeindruckend.~ Harry machte eine ausschweifende Geste mit seiner Hand, die die gesamte Fläche umfasste, die durch das diffuse Schillern der fast unsichtbaren Grenze umschlossen wurde. ~Die einzigen anderen Schutzzauber, die ich kenne und die zwischen einzelnen Personen selektieren können, sind zum einen der Blutschutz meiner Mutter, den Dumbledore noch erweitert hat, und der Fidelius-Zauber. Aber hier sind noch mehr Schutzzauber enthalten. Ich würde sagen: Bannkreise, ein Desillusionierungszauber und nach deiner Reaktion zu urteilen, als ich vorhin die Grenze überschritten hatte, der Heimlichkeits-Aufspürzauber.~   ~Wie scharfsinnig. Es kommt noch ein Muffliato hinzu. Der sorgt dafür, dass uns niemand belauschen kann. Außerdem habe ich die Zauber für die Bannkreise so verändert, dass sie Zauberer und Hexen, die ein Dunkles Mal tragen, hindurchlassen. Ich gebe zu, das stellte eine kleine Herausforderung dar, aber es hatte sich letztendlich gelohnt, wie du selbst sehen kannst. Du könntest als Malträger sogar direkt in den Kreis apparieren.~   ~Praktisches kleines Ding.~, sagte Harry mehr zu sich selbst als zu Voldemort. Dieses kleine schwarze Mal würde ab sofort sein Leben bestimmen. Aber tat es das nicht sowieso schon immer? Jetzt stand er nur auf der anderen Seite und musste nicht mehr tagtäglich um sein Leben fürchten. ~Willst du wissen, wie es funktioniert?~   Harry bemerkte, dass Voldemort es genoss, seine Überlegenheit zu demonstrieren und das anscheinend nicht nur, indem er mit Flüchen um sich warf. Und dass er sich gerne selbst reden hörte, war ihm schon bei dessen Auferstehung vor zwei Jahren aufgefallen. Aber in diesem Fall musste Harry ihn enttäuschen. ~Nein.~, antwortete er. ~Das weiß ich bereits. Du hast das Mal mit dem Proteus-Zauber belegt. Wenn du eines veränderst, dann verändern sich alle anderen mit. Hermine Granger, eine sehr intelligente Muggelgeborene aus meinem Haus, hat letztes Jahr diesen Zauber benutzt, um die Treffen zu organisieren, in denen wir und ein paar Mitschüler Verteidigung gegen die Dunklen Künste üben konnten. Umbridge hatte uns nur theoretisch unterrichtet. Das hätte uns ja wohl kaum auf einen Kampf gegen dich und deine Todesser vorbereitet. Und so musste ich ran und sie unterrichten.~   Abschätzend blickte Voldemort auf den Jungen herab. Sicher hatte er letztes Jahr bei ihrem Kampf im Ministerium mitbekommen, dass ein paar von Potters Freunden überdurchschnittliche Fähigkeiten in Defensivzauber besaßen – zumindest wenn man den Bildungsstandard dieser Schule betrachtete – aber er hätte nie gedacht, dass sie sich organisiert hatten und hinter dem Rücken dieser schlechten Entschuldigung einer Hexe geübt hatten. Aber dass Potter sie unterrichtet hatte, erklärte ihr langes Durchhaltevermögen in der Mysteriumsabteilung.   ~Mich würde nur interessieren, wie du die Differenzierung zwischen deinen Todessern und den Babytodesser geschafft hast. Ich gehe nicht davon aus, dass du alle zu dir rufst und dann die, die du nicht brauchst, wieder wegschickst, nur, weil du die Schüler sprechen willst. Außerdem wäre es doch sehr problematisch, wenn sie bei jedem Treffen, dass du abhalten willst, versuchen, aus dem Schloss zu kommen. Irgendwann würde das mit Sicherheit auffallen.~   ~Babytodesser? Mir gefällt dein Sinn für Humor.~ Ein dunkles, gehässiges Lachen erfüllte die Ebene, um gleich darauf von einer dröhnenden Stimme abgelöst zu werden. „WURMSCHWANZ!“   Angesprochener zuckte zusammen, als sein Name laut die süße Ruhe der klaren Nacht durchbrach. Er beeilte sich, dem Ruf seines Meisters nachzukommen. Nur schnell, ganz schnell, um ja keinen Fluch abzukommen, weil er zu langsam gewesen ist. „J… Ja, M… M… Meister?“ Mit zittriger Stimme und immer und immer wieder verbeugend kam Pettigrew mehr kriechend als laufend auf sie zu.   ‚Wie erbärmlich!‘. Harrys Gesicht verzog sich zu einer angeekelten Grimasse. „W… W… Was kann ich… kann ich für Euch tun, Herr?“ „Deinen Arm, Wurmschwanz!“ Zögerlich hob Angesprochener seine linke Hand. Voldemort grollte verärgert und griff brutal nach dem Arm, zog ihn zu sich und legte das Dunkle Mal, das sich schwarz von der ungesund aussehenden, fast gelblichen Haut abhob, frei.   ~Hier!~ Er deutete auf den Schädel, während Wurmschwanz vor Schmerzen wimmerte. ~Dieser Teil des Mals ist bei all meinen Todessern gleich. Egel, ob voll ausgebildeter Zauberer oder noch Schüler. Wenn ich diesen Teil benutze, werden ausnahmslos alle zu mir gerufen. Wie du bereits selbst festgestellt hast, wäre dies sehr problematisch für euch, die ihr Hogwarts nicht so leicht verlassen könnt. Deswegen habe ich diesen Teil modifiziert.~ Er zeigte dabei auf den Schlangenteil des Mals. ~So sieht er bei euch Schülern aus.~   Neugierig schaute Harry auf den schwarzen Schlangenkörper. Er musste zugeben, dass er sich nie so intensiv mit dem Dunklen Mal auseinandergesetzt hatte. Es war halt ein Totenkopf, durch den sich eine Schlange wand. Natürlich wusste er genau, wie seines aussah – er hatte stundenlang darauf gestarrt – und erkannte es in dem wieder, welches Voldemort ihm gerade zeigte. Aber als er versuchte, sich das Mal der anderen Todesser in Erinnerung zu rufen, scheiterte Harry. Er konnte den angedeuteten Unterschied nicht erfassen.   Voldemort holte unterdessen seinen Zauberstab heraus und zielte auf die Schlange auf Wurmschwanz‘ Unterarm. Die kleinen Schweinchenaugen weiteten sich vor Schreck. Pettigrew versuchte, sich aus den harten Griff seines Lords zu lösen. Aber der hielt ihn unnachgiebig fest, verstärkte seinen Griff sogar noch etwas und genoss den Schmerzensschrei, den dieser Schädling ausstieß. Harry musste Lächeln als ihn dabei ein boshaftes Gefühl der Genugtuung durchfuhr und unbewusst befeuchtete er seine Lippen.   Ein kurzer Schlenker des Zauberstabes und Harry beobachtete fasziniert, wie die Schlange anfing, sich zu bewegen. Sie schlängelte sich ein paar Mal beinahe liebevoll um die Schädel, während sie langsam verblasste. Kurz nachdem sie völlig verschwunden war, kam sie auch schon wieder zurück. Blass und ohne klare Konturen schlang sie sich um den grinsenden Schädel, nahm nach und nach Gestalt an und wurde dabei immer dunkler. Dann hatte sie wieder ihre alte Position eingenommen. ‚Moment!‘ Harry besah sich die Schlange etwas genauer. ‚Das ist nicht die gleiche Schlange.‘ Und tatsächlich. Sie war größer und dunkler. Wirkte im Vergleich zu vorher… ausgewachsen.   ~Und das ist das Mal, dass die anderen Todesser tragen.~, kommentierte Voldemort, nicht ohne eine Spur Stolz in seiner Stimme.   Also hatten die Schüler wirklich Babyschlangen in ihrem Dunklem Mal. Ein fieses Grinsen verzerrte kurz Harrys Mund. Anscheinend hatten sie auch noch den gleichen Sinn für Humor. ~Das gefällt mir.~ Kapitel 11: Gefährliches Spiel ------------------------------ „Herr!“ Lucius war zu ihnen getreten und kniete jetzt vor Voldemort.   „Sprich!“   „Die Schüler kommen, Herr.“ Sie schauten in die Richtung, in der sie die Neuankömmlinge vermuteten und tatsächlich konnten sie in der Dunkelheit schwach Umrisse mehrerer Personen erkennen, die sich ihnen eilig näherten. Ganz vorne an der Spitze lief Snape und führte das kleine Grüppchen Slytherins an. Harry konnte noch erkennen, wie die letzten Reste des Desillusionierungszaubers, den zweifellos Snape über sie gelegt hatte, von ihnen abglitten. „Ah, sehr gut. Danke, Lucius. Du kannst dich wieder zu den anderen gesellen. Du ebenfalls, Wurmschwanz!“ Der plötzlich schärfere Tonfall seines Meisters ließ den kleinen, dicklichen Zauberer zusammenzucken. Schnell verbeugte er sich – soweit es eben mit seinem plumpen Körper möglich war – und beeilte sich dann, so viel Platz wie möglich zwischen sich und Voldemort zu bringen und wäre dabei beinahe in Lucius hineingelaufen. Harry beobachtete mit grimmiger Freude, wie der ranghohe Todesser Wurmschwanz daraufhin am Kragen packte und auf den Boden schleuderte. Das Wimmern, das daraufhin folgte, war Musik in seinen Ohren. Seit wann ergötzte er sich bloß so an den Schmerzen anderer? Oder war es nur deswegen, weil es dieser Verräter war?   „Vielleicht ist es ganz gut, dass du schon da bist.“, unterbrach Voldemort Harrys Gedankengang. „So können wir gleich klar stellen, welche Position du von jetzt an einnimmst.“ Bevor Harry etwas erwidern konnte, durchschritten die Schlangen die Barriere. Sie schauten sich kurz um, entdeckten sie beide und schritten eilig auf sie zu. Kurz vor ihnen blieben sie stehen und ließen sich, wie die anderen Todesser zuvor, auf die Knie fallen. Auch wenn Harry wusste, dass dies nicht ihm galt, gab es ihm doch einen gewissen Kick, die anderen so unterwürfig vor ihm zu sehen. „Severus! Schön, dass ihr endlich da seid.“ Angesprochener erhob sich und blickte direkt in die scharlachroten Augen. „Du weißt ja, wie ungern ich warte. Aber keine Sorge! Unser Mr. Potter hier hat mir die Zeit über Gesellschaft geleistet und die Wartezeit vertrieben.“   Die Augen des Zaubertränkelehrers huschten kurz zu Harry, registrierten den Besen und das Stoffbündel in dessen Händen und ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Lippen, gut verborgen durch seine eigene Todessermaske. Dann richtete er seinen Blick wieder fest auf Voldemort. „Ja, Herr.“ Er trat beiseite, so dass Voldemort nun die Jungtodesser in Augenschein nehmen konnte.   „Ihr könnt aufstehen.“ In einer fließenden Bewegung kamen sie dem Befehl nach.   Harry betrachtete die Todesserroben der Slytherins. Es waren im Gegensatz zu denen der vollwertigen Todesser einfache schwarze Roben, die aber genauso den kompletten Körper verhüllten. Ihre Masken bedeckten nicht das ganze Gesicht, der Mund und die linke Wange blieben frei. Außerdem waren sie schmucklos, verrieten nichts über Status und Rang innerhalb der Reihen der Todesser. Aber welchen Rang sollte ein Schüler auch schon bekleiden? „Wann bekomme ich eigentlich so eine schicke Maske?“, fragte Harry mit einem leicht sarkastischen Unterton.   Voldemort begann, zu lachen. Es klang nicht so, als würde ihn die Frage amüsieren, aber dafür die gleich folgende Antwort umso mehr. „Gar nicht.“ Überrascht drehte sich Harry zu ihm. Was sollte das? Doch bevor er nach dem Warum fragen konnte, wurde er auch schon mit einem Wink der bleichen Hand zum Schweigen gebracht. „Du wirst keine brauchen. Vorerst wirst du ohnehin an keiner Unternehmung teilnehmen. Du hast andere Aufgaben, die im Vordergrund stehen. Und ich möchte nicht das Risiko eingehen, dass du zufällig enttarnt wirst. Und später, wenn das Versteckspiel nicht mehr notwendig sein wird“, ein triumphales Grinsen zierte das schlangenartige Gesicht, „wirst du ohnehin an meiner Seite stehen. Dann ist es nicht mehr notwendig dein hübsches Gesicht zu verhüllen.“   Ausdruckslos starrte Harry Voldemort an. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet und er wusste auch nicht, was er von dieser Entwicklung halten sollte. ~Das ist der Preis für deine Forderung, über den anderen zu stehen. Du hast doch selbst gesagt, sie sollen sehen, dass du nicht zu ihnen gehörst. Ich habe deinen Wunsch erfüllt.~ Bösartig grinsend blickte der Dunkle Lord auf Harry herab und genoss seinen kleinen Triumph. Ja, auch das war eine Möglichkeit, sich seine Loyalität zu sichern. Die ganze Welt würde Harry hassen und sich von ihm abwenden, wenn er sich eines Tages offiziell auf Voldemorts Seite stellen musste. Wer würde ihm dann noch glauben? Wer ihm vertrauen? Er könnte auch nicht behaupten, unter dem Imperius-Fluch gestanden zu haben. Zu viele wussten, dass Harry in der Lage war, diesen zu brechen, seit im vierten Schuljahr Barty Crouch jr. unter Einfluss des Vielsafttrankes als der Auror Alastor Moody, ihr Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste in diesem Jahr, die ganze Klasse zur Demonstration unter diesen Fluch gestellt hatte. Keine Chance für ihn, seine Meinung noch einmal zu überdenken – nicht, dass er das gewollt hätte. Aber ja! Keine Maske zu tragen, band ihn stärker an den Dunklen Lord. Aber wenn er dafür ein bisschen Macht über die Todesser bekommen würde, sollte ihm das recht sein.   „Ich verstehe. Dann ist das so.“   Soweit das überhaupt möglich war, wurde Voldemorts Lächeln noch eine Spur hinterhältiger. „Ich wusste doch, dass dir meine Idee gefällt. Nun“, er drehte sich wieder zu den Slytherins um, die immer noch unbeweglich vor ihnen standen, „wie ihr zweifellos mitbekommen habt, gehört unser hochgeschätzter Harry Potter ab jetzt zu unserer kleinen Gemeinschaft. Und um das von vorneherein klarzustellen: Ich erwarte, dass dieses Bündnis vorerst nicht bekannt wird. Mr. Potter hat einige Aufträge, die er für mich erledigen soll und ihr werdet ihn unterstützen, wo ihr nur könnt. Das bedeutet, gibt er euch einen Befehl, werdet ihr ihn sofort und ohne jedwede Widerworte befolgen, als hätte ich selbst ihn ausgesprochen. Ansonsten verhaltet ihr euch so wie immer. Sollte sich einer von euch meinen oder seinen Anweisungen widersetzen, so hat Mr. Potter das Recht, jede Strafe zu verhängen, die er für angemessen hält. Und natürlich wird das nur ein kleiner Vorgeschmack dessen sein, was ihr von mir zu erwarten habt.“   Eine leichte Unruhe breitete sich unter den Schülern aus, während nun Harry derjenige war, der ein boshaftes Grinsen zur Schau trug. ‚Das könnte jetzt interessant werden.‘   Voldemort verengte seine Augen zu Schlitzen. „Was hat das zu bedeuten?“, donnerte er los und ein weiteres Mal in dieser Nacht hallte seine Stimme bedrohlich über den Platz.   Niemand wagte, auch nur einen Mucks von sich zu geben. Von Harry schien er keine Antwort zu erwarten, weswegen dieser entspannt die Arme vor seiner Brust verschränkte und neugierig das Schauspiel beobachtete. Zu seiner Überraschung war es Draco, der schließlich in ehrfürchtiger Haltung hervortrat und zu Boden sank. „Herr…“   „Erhebe dich, junger Malfoy, und erzähle mir, was vorgefallen ist.“   Kurz und knapp schilderte Draco die Ereignisse der letzten Tage. Dass Potter bei ihnen im Gemeinschaftsraum gewesen war, um mit ihnen über ihr auffälliges Verhalten zu sprechen und dass es dabei zu einer Auseinandersetzung gekommen ist, die ein wenig außer Kontrolle geraten war. Auch Harrys Reaktion auf das ganze Geschehen und seine Warnung ließ er dabei nicht aus. „Tritt näher! Ich will es sehen.“, zischte Voldemort.   Draco tat, wie ihm befohlen. Er sah in die beängstigenden roten Augen und konzentrierte sich auf seine Erinnerungen von diesem Abend. Kurz spürte er das fremde Bewusstsein seines Lords, als dieser mit Legilimentik in seinen Geist eindrang. Nur sekundenspäter war es wieder vorbei. Ein kurzer Schauer durchlief seinen Körper, um das Gefühl der fremden Präsenz in ihm abzuschütteln.   „Interessant. Sehr bemerkenswerte Zaubersprüche, die du dir angeeignet hast, Harry. Sehr kreativ.“ ~Ich muss wohl Acht geben, dass meine Untergebenen deine Bestrafungen nicht irgendwann mehr fürchten als die meinen.~ „Auf jeden Fall sehr unterhaltsam.“ Keine Verärgerung schwang in der Stimme mit. Voldemort klang eher amüsiert. Das änderte sich aber schnell, als er nun den Jungen zu sich rief, der für diesen Vorfall verantwortlich war. „Miles Blechtley. Tritt vor!“ Zitternd und so blass, dass man die Haut kaum noch von der bleichen Maske unterscheiden konnte, trat Blechtley aus den Reihen und ließ sich wenig elegant vor seinem Lord nieder.   „M… Mein Herr. Es tut… tut mir leid. Ich wusste doch nicht, dass…“   „SCHWEIG! Ich brauche keinen weiteren zitternden und stammelnden Todesser. Wie erbärmlich! Weißt du, unser Mr. Potter hier hat recht. Man sollte nicht mit schwarzmagischen Flüchen um sich werfen, wenn man keine Kontrolle über sie hat. Oder willst du nach Askaban? Gefällt dir die Vorstellung, als wandelnder Toter vor dich hinzuvegetieren, gefangen in Trauer und Einsamkeit ohne jede Hoffnung auch nur eines Hauchs von Glück jemals wieder spüren zu können?“ Seine Stimme wurde zum Ende hin gefährlich leise. „Ich verspreche dir. Das wird nichts im Gegensatz dazu sein, was passieren wird, wenn du dich auch nur noch ein einziges Mal meinen Anweisungen widersetzt.“ Kurz ließ er seine Worte auf den winselnden Jungen einwirken. „Hast du mich verstanden?“   „Ja… ja, Herr. Ich werde… AAAHHHHHHHH!“ Harry war froh, dass die Barriere auch über einen Abhörschutz verfügte. Denn dieses Gebrüll, ausgelöst durch Voldemorts Cruciatus, hätte unweigerlich ganz Hogsmeade aufgeweckt. Der Schrei brachte Harrys Knochen zum Vibrieren und setzte sich in seinem Körper fest. Erinnerungen an seine eigenen Erfahrungen mit diesem Fluch wurden wach. Es war nicht angenehm.   „Nur als kleine Hilfe, damit du meine Befehle nicht vergisst.“, sagte Voldemort, nachdem er den Fluch unterbrochen hatte. „Geh mir aus den Augen.“   „Ja… Jawohl, H… H… Herr.“ Die Stimme war kraftlos, genauso wie der Körper. Schwerfällig schleppte sich Blechtley an seinen Platz zurück.   „Das war ein interessantes Schauspiel, der kleine Kampf, den ihr euch geliefert habt. Aber ich muss leider zu meiner Schande eingestehen, dass die Fähigkeiten einiger meiner Jungtodesser zu wünschen übrig lassen. Es wäre vielleicht ganz hilfreich, wenn du mit ihnen trainieren könntest, so wie du es mit deinen Freunden letztes Jahr getan hast. Wäre das möglich?“   „Natürlich, mein Lord. Das sollte sich einrichten lassen.“ Eine Mischung aus Überraschung und Aufregung breitete sich in Harry aus. Er war davon ausgegangen, dass die Babyschlangen nach ihrem Abschluss ein entsprechendes Training bekommen würden. Aber wahrscheinlich lag mehr hinter dieser Anfrage, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Immerhin würde er ihnen alles beibringen, was er im vergangenen Jahr auch seinen anderen Mitschülern bei der DA beigebracht hatte. Dadurch würden sie wissen, über welche zusätzlichen Fähigkeiten, Zauber und Flüche der Feind verfügte. In einem Kampf würde ihnen dieses Wissen einen entscheidenden Vorteil einbringen. Ein wissendes Lächeln erschien auf Harrys Lippen. Es würde Voldemort noch ein Stück mehr Kontrolle über Harry geben. Aber es störte ihn nicht. Im Gegenteil. Es hatte ihm Spaß gemacht, zu unterrichten und er freute sich darauf, es wieder tun zu können.   Kurz tauchten in seinem Kopf die Bilder seiner ehemaligen Freunde auf, wie sie zusammen trainiert und gekämpft hatten. Nur für ihn hatten sie sich in Gefahr begeben und ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Sie vertrauten ihm. Doch nun würde er sie ein weiteres Mal hintergehen. Harry schüttelte die Bilder ab. Es spielte keine Rolle mehr. Wehmut würde ihn nur behindern. Er hatte sich entschieden und er würde zu seiner Entscheidung stehen. Komme, was wolle.   „Vielleicht wäre es in diesem Fall günstig, wenn du eine feste Kontaktperson in Slytherin hättest, die dir bei der Koordination der Treffen helfen kann und auch sonst, wenn du etwas mit ihnen zu klären hast. Irgendwelche Vorschläge?“   Harry haderte kurz mit sich. Auch wenn er das eigentlich nicht wollte, so gab es doch nur eine Person, die dafür in Frage käme. Jede andere Wahl würde unweigerlich unbequeme Fragen nach sich ziehen. „Malfoy. Er hat bereits bewiesen, dass er für diese Position mehr als geeignet ist. Er hat mir in dieser Hinsicht bereits gute Dienste geleistet.“   „Ah! Wie der Vater, so der Sohn. Ich bin einverstanden.“ Mit einer kurzen Bewegung seiner bleichen Hand begann Dracos Maske sich zu verändern. Es bildete sich ein filigranes Muster aus dornenbesetzten Ranken in Silber und Hellgrün. Nur blass hob es sich vom Weiß seiner Maske ab, dafür aber umso deutlicher ihn von den übrigen Jungtodessern. Es stellte ihn nun auch offiziell über sie. Innerhalb von Hogwarts standen nur noch Harry und Severus im Rang über Draco.   Draco trat vor und kniete ein weiteres Mal in dieser Nacht auf dem Boden. „Danke, Herr.“, fast erstickt brachte er die Worte heraus, völlig überwältig von dieser Ehre, die ihm zu Teil wurde und war sich doch gleichermaßen bewusst, dass er nun höhere Erwartungen zu erfüllen hatte, und was geschehen würde, wenn er diesen nicht gerecht werden würde.   Voldemort winkte ab. „Bei mir musst du dich nicht bedanken.“ In einer fließenden Bewegung stand Draco wieder auf, wandte seinen Blick Harry zu. Kurz schaute sich die beiden früheren Kontrahenten in die Augen, beide Gesichter völlig ausdruckslos. Dann deutete Draco eine leichte Verbeugung an, die Harry mit einem ebenso kurzen Nicken erwiderte.   „Wunderbar!“ Voldemort klatschte einmal in seine spinnenartigen Hände, seinen Zauberstab dabei immer noch fest im Griff. Eine beinahe kindliche Freude spiegelte sich in seinem Gesicht wieder und ließ diese Schlangenfratze noch unheimlicher aussehen. „Komm, Harry! Wir hatten noch etwas Anderes zu besprechen. Der Grund für unsere heutige Zusammenkunft.“   Sie gingen ein paar Schritte weiter, während die Slytherins sich ein wenig entspannten, dankbar, dass sie nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit ihres Dunklen Lords standen, sich aber sehr bewusst, dass sie noch nicht entlassen waren. Unentschlossen standen sie da. Draco machte den Anfang und ging zu seinem Vater, der ihm sofort voller Stolz eine Hand auf die Schulter legte und flüsternd mit ihm ein Gespräch begann. Ein paar Slytherins stellten sich in kleinen Grüppchen zusammen, nur Blechtley blieb allein stehen und wurde von den anderen gemieden.   „Also, was hast du mir zu berichten?“, fragte Voldemort als sie außerhalb der Hörweite der anderen waren. Die Zeit der höflichen Plauderei war vorbei. ~War mit der Erinnerung alles zu deiner Zufriedenheit?~   ~Ja, es lief alles perfekt. Dumbledore hat nicht gemerkt, dass es nicht die von Slughorn war. Ich war nur überrascht, dass er sofort wusste, dass ich die Erinnerung hatte.~   ~Mmmhh… Ja, er scheint immer über mehr Dinge informiert zu sein, als er eigentlich sollte. Du musst Acht geben, was du im Schloss tust und sagst. Eine Enttarnung deinerseits würde uns beide zum Nachteil gereichen.~   ~Keine Sorge! Ich denke, er nutzt die Portraits, um an die Informationen zu gelangen. Es würde passen. Und ein paar „Spione“ wird er auch unter den Schülern haben. Ich werde mich nicht von ihm überrumpeln lassen.~   ~Gut.~   ~Auch, wenn ich mich ernsthaft frage, warum er auch mich überwachen lässt. Jetzt, wo ich so darüber nachdenke, hat er das seit meinem ersten Jahr in Hogwarts getan. Aber weshalb? Er hat keinen Grund, mir zu misstrauen.~   ~Er wird seine Gründe haben. Lass dir gesagt sein, Albus Dumbledore ist nicht der nette alte Zauberer, der er vorgibt, zu sein. Ein Mann, der so paranoid ist und jeden und alles um sich herum beobachtet, hat mit Sicherheit auch eine Menge Inferi im Kerker. Nun gut. Jetzt ist nicht die Zeit, um über den alten Mann zu philosophieren. Fahre fort!~   Jetzt war es so weit. Vorsichtig wägte Harry seine nächsten Worte ab, wohl wissend, dass es keinen Unterschied machen würde, wenn er sie schön verpackte. Er konnte nur hoffen, dass Voldemort seine Wut nicht an ihm auslassen würde. ~Letzen Endes hat deine Erinnerung keine neuen Erkenntnisse gebracht. Dass Slughorn dir die Informationen über die Horkruxe gegeben hat, war bereits an der manipulierten Erinnerung erkennbar. Allerdings hat er mir im Anschluss verraten, dass er die Horkruxe sucht und leider hat er auch bereits einen gefunden und… zerstört.~   ~WAS?~ Voldemorts Augen loderten auf. Jeden Moment, so schien es, würde ein Funke aus der glimmenden Glut springen und sie alle in Flammen setzen. Bereute er es, Harry die Erinnerungen gegeben zu haben? Gab er ihm die die Schuld, dass der Horkrux zerstört worden war? Harry hoffte, dass der Dunkle Zauberer noch viel Verstand besaß, um zu erkennen, dass Dumbledore den Horkrux zerstört haben muss, bevor Voldemort ihm die Erinnerung gegeben hat. Er musste sich doch sicher gewesen sein, dass sie Informationen ihm nicht schaden konnten. Oder? Sonst hätte er sie ihm doch niemals gegeben.   ~Wie kann er es wagen? Dieser elende Wurm!~ Dieser alte Narr hatte es tatsächlich gewagt, einen seiner Horkruxe zu zerstören, ein Stück seiner Seele. Blitzschnell drehte er sich um und entließ seine Wut mit einem gezielten „Crucio!“. Einer der Harry unbekannten Todesser ging schreiend zu Boden. Harry war überrascht, dass es nicht ihn oder Lucius Malfoy getroffen hatte. Immerhin hatte Harry – wie er jetzt wusste – einen dieser Horkruxe zerstört. Tom Riddles Tagebuch. Und Lucius Malfoy war dafür verantwortlich, dass es überhaupt soweit hatte kommen können, als dieser eben jenes Tagebuch in Harrys zweiten Jahr der kleinen Ginny Weasley untergeschoben hatte. Aber wahrscheinlich wusste Lucius nicht einmal, was es überhaupt mit dem Tagebuch auf sich hatte. Er bezweifelte doch sehr, dass Voldemort ihm genug vertraute, um ihm zu erzählen, dass es ein Stück seiner Seele enthielt. Allerdings war Harry froh, dass nicht er es war, der sich jetzt vor Schmerzen wand. Diese Erfahrung musste er nicht wiederholen.   Alle Gespräche waren verstummt. Nur die markerschütternden Schreie des Todessers hallten durch die Nacht. Geschockt und verwirrt blickten die Anwesenden auf das am Boden liegenden Häuflein aus Schmerz und Qual, nichts ahnend, dass dieser „nur“ Kollateralschaden war. Die Minuten verstrichen und noch immer hielt der Fluch an. Keiner wagte es, einzuschreiten und den Dunklen Lord aufzuhalten. Ein Ruck ging durch Harry und er überwand den Meter, der ihn von Voldemort trennte und legte ihm in einer beruhigenden Geste eine Hand auf den Oberarm. Voldemort drehte schlagartig seinen Kopf zu Harry, sah ihn mit hasserfüllten Augen an und schien ihn doch nicht zu sehen. Harry verstärkte seinen Griff und versuchte, ihn mit sanfter Gewalt zu zwingen, den Arm zu senken und so den Fluch zu unterbrechen. Mit sanfter, aber eindringlicher Stimme lenkte er, Voldemorts Aufmerksamkeit auf sich. ~Hör auf! Beruhige dich! Er kann nichts dafür. Und wenn du ihn weiter folterst, wird er seinen Verstand verlieren.~ Voldemorts Blick klärte sich ein wenig und das Gesagte schien langsam in sein Bewusstsein einzusickern. Er sah auf sein unschuldiges Opfer und gab dem leichten Druck von Harrys warmer Hand nach.   Mit einem warnenden Blick in Richtung der übrigen Todesser, kehrte er der Szenerie den Rücken zu und ging in die andere Richtung davon. Harry beeilte sich, ihm zu folgen. ~Das hätte nicht passieren dürfen. Das wird der alte Narr mir büßen. Welcher war es?~   Harry musste nicht nachfragen, um zu wissen, was Voldemort meinte. ~Ein Ring.~ Er wagte es nicht, das genauer auszuführen. Voldemort war ohnehin in tödlicher Stimmung. Er wollte nicht wissen, wie dieser reagieren würde, wenn Harry jetzt dessen Familie erwähnen würde. Er hoffte einfach, dass Voldemort nur einen Ring zum Horkrux gemacht hatte.   Voldemort war außer sich. Er musste sich sehr zusammenreißen, um nicht die Kontrolle über sich zu verlieren. Lieber hätte er jeden Anwesenden mit dem Cruciatus belegt, bis sie darum bettelten, von ihrem wertlosen Leben erlöst zu werden. Aber er wusste, dass das keine Lösung war. Das brachte sein zerstörtes Seelenstück nicht zurück. Der Schuldige würde immer noch leben, um ein paar Gegner ärmer und könnte weiterhin seine kostbaren Horkruxe zerstören. ~Wie hat er ihn zerstört?~   ~Das wollte er mir nicht erzählen.~   Auch wenn er nichts Anderes erwartet hatte, erzürnte ihn diese Antwort nur noch mehr. Die Wut ballte sich in ihm zusammen, wuchs stetig an, drängte gegen seine Haut und schien ihn zerreißen zu wollen. Er musste sich beruhigen. Er brauchte einen Plan. Er brauchte mehr Informationen. ~Hat er erwähnt, ob er noch andere Horkruxe gefunden hat?~   ~Er meinte, dass er Hinweise auf einen weiteren hat. Genaueres wollte er nicht erzählen.~   Harry musste hart schlucken als sich die Magie um Voldemort weiter zusammenzog. Es schien, als ob selbst die Magie in der Luft durch seine Gefühle beeinflusst wurde und gerade jetzt braute sich ein Sturm zusammen. Nach außen war nichts zu sehen. Die Gegend war ruhig, kein Lüftchen bewegte die Blätter an den Bäumen, das Gras unter ihren Füßen oder die Kleider an ihren Leibern. Aber dafür konnte es Harry spüren. Eine Hitze breitete sich plötzlich über seinen gesamten Körper aus, wie kleine Flammen, die an ihm lang züngelten und immer größer und heißer wurden, bis sie sich zu seinem Inferno entwickelt hatten, in dem Harry nun gefangen war. Er glaubte, seine Haut schmelzen zu spüren, bis nur noch blanker Knochen zurück blieb, der dann langsam verkohlte und zu Staub zerfiel. Seine Lungen brannten, als hätte er reines Feuer eingeatmet. Es war zehnmal schlimmer als der Cruciatus-Fluch und Harry wusste, dass er das nicht lange durchhalten würde.   ~Aber er hat mir zugesagt, dass… er mich mitnimmt, wenn er sicher weiß, … wo er ist.~, zischte er mit schmerzverzehrter Stimme. Auch Harrys mühevoll aufrechterhaltene Selbstbeherrschung bekam langsam Risse. Nur mit größter Anstrengung konnte er sich auf den Beinen halten, die immer mehr einzuknicken drohten. Doch er hielt stand.   Voldemort starrte ihn an. Sein Blick fast wahnsinnig, sein Verstand von Wut und Hass vernebelt. Harry wusste nicht, ob er überhaupt noch in der Lage war, seine Worte zu verstehen, ob er zu ihn durchdringen konnte, oder ob seine Magie ihn gleich in Stücke zerreißen würde und alle anderen, die hier versammelt waren hinterher. Nein! Das durfte nicht geschehen. Niemals würde er das zulassen. „Ich… Ich kann ihn… ihn aufhalten…“ Mit letzter Kraft krallte Harry sich in Voldemorts Unterarm. Der Kontakt hatte eben schon einmal funktioniert, um zu ihm durchzudringen. Harry hoffte, dass es auch jetzt reichen würde, denn zu mehr hatte er einfach keine Kraft mehr.   Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, in der Harry Voldemort einfach nur in die Augen starrte und seine Fingernägel in dessen Arm grub. Endlich begann sich die Magie langsam wieder zu beruhigen, die Flammen zogen sich zurück, wichen einer sanften Brise, die leicht mit Harrys Haaren spielte und sanft seine glühende Haut kühlte.   ~Gut. Dann wirst du verhindern, dass er ihn zerstört; ohne Verdacht zu erregen. Informiere mich umgehend, wenn es soweit ist. Wir werden dann einen Plan erarbeiten, wie wir den Horkrux unbemerkt in meinen Besitz zurückbringen. Es darf nicht noch einer zerstört werden!~   Erleichtert, dass es funktioniert hatte, versuchte Harry, wieder zu Atem zu kommen und stützte sich dabei halb auf Voldemort ab. Er war dankbar – auch wenn er das nie laut zugeben würde – dass der Dunkle Lord ihm die Zeit gestattete und ihn nicht einfach abschüttelte. Noch hatte er nicht genug Kraft gesammelt, um alleine stehen zu können und wäre unweigerlich vor aller Augen zusammengebrochen. Das war vielleicht seine Art, sich für seinen Ausbruch zu entschuldigen, der ihm mit Sicherheit fast das Leben gekostet hätte. Es hätte nicht mehr viel gefehlt und Voldemorts tödliche Magie hätte sich explosionsartig über ganz Hogsmeade ausgedehnt. Niemand hätte das überlebt. Wussten die Todesser eigentlich, wie mächtig ihr auserwählter Herrscher wirklich war? Verdammt! Er selbst hatte ja bis eben keine Ahnung gehabt. Er würde ganz sicher sein Möglichstes tun, um diesen Mann nie ernsthaft zu verärgern. Wie hatte er nur bis jetzt überleben können? Und wie verdammt noch mal hätte er je gegen ihn kämpfen UND gewinnen sollen? Die Prophezeiung war doch totaler Mist.   Nachdem Harry das Gefühl hatte, wieder alleine stehen zu können, löste er sich von seiner Stütze und verneigte sich leicht. ~Natürlich, mein Lord.~   Nun da sich beide wieder beruhigt hatten, gingen sie zu den Todessern zurück. Sie hatten nichts von tödlichen Gefahr mitbekommen, in der sie eben geschwebt hatten. Das war bestimmt auch besser so. Sie waren immer noch geschockt und verunsichert, wegen des kleinen Wutausbruches dessen Zeuge sie vorher gewesen waren. Sie überlegten wohl, was ihren Meister so in Rage versetzt hatte, dass er einen der Ihren ohne ersichtlichen Grund – egal, wie banal dieser auch seiner sollte – gefoltert hatte. Aber nachfragen würden sie nicht. Sie waren nur froh, dass ihr Lord sich wieder beruhigt hatte.   Der bedauernswerte Todesser, der die Wut abbekommen hatte, hatte seine Maske abgenommen, um besser Luft zubekommen. Ihm war deutlich anzusehen, dass er noch immer unter den Nachwirkungen des Cruciatus-Fluches litt. Auch wenn der Fluch keine körperlichen Auswirkungen hatte, seine Auswirkungen auf die Psyche, wenn er zu lange angewendet wurde, waren unbestreitbar. Das beste Beispiel waren die Longbottoms, Nevilles Eltern, die kurz nach Voldemorts Verschwinden vor 15 Jahren auf der Langzeitstation für Fluchgeschädigte im St.-Mungos-Hospital lagen, weil einige von Voldemorts treuesten Anhängern – darunter auch Bellatrix Lestranges, die Harrys Patenonkel, ihren eigenen Cousin, Sirius Black ermordet hatte – sie so lange mit eben diesen Fluch folterten, bis sie den Verstand verloren hatten. Nach allem, was Harry über die Folgen wusste, war es bei diesem Todesser sehr knapp gewesen. Viel länger hätte sein Verstand das nicht überstanden und er hätte das Schicksal der Longbottoms geteilt. Immer noch zitternd und bebend kauerte er zusammengesunken auf dem kalten, leicht feuchten Boden. Aber Harry hatte kein Mitleid. Er war nur dankbar, dass er nicht da lag… oder jemand anderes aus ihrer kleinen Runde. Auch wenn bei ihm eben nicht viel gefehlt hatte.   Wurmschwanz stand ängstlich an der Seite, während Lucius, Severus und der zweite unbekannte Todesser sich um den traumatisierten Zauberer kümmerten. Die Jungtodesser standen nur steif da, geschockt durch die Demonstration der Grausamkeit ihres Meisters. Dieser schaute aber nur gelangweilt auf die Szene, ehe er zu sprechen begann. „Lucius! Bring zusammen mit Rabastan Rodolphus zu deinem Anwesen. Narzissa soll sich um ihn kümmern. Seht zu, dass er sich erholt und schnell wieder einsatzbereit ist. Severus! Bring deine Schützlinge zurück ins Schloss. Wir sind für heute hier fertig. Ihr habt alle eure Befehle. Ich erwarte, dass es keine Probleme geben wird. Missachtung oder Fehlschläge dulde ich nicht. Ach, und Harry?“   „Ja, mein Lord?“   „Denke nicht, dass du über jeden Zweifel erhaben bist. Die Informationen, die du mir gegeben hast, sind äußerst nützlich, in der Tat, aber… Mein Vertrauen musst du dir erst noch verdienen.“   „Ich bin mir dessen absolut bewusst.“ Keiner der beiden sah, wie bei diesen Worten blassblaue Augen interessiert aufleuchteten.   Und während Snape die Slytherins einsammelte, Wurmschwanz in kriecherischer Haltung zu Voldemort eilte, Lucius und Rabastan mit Rodolphus disapparierten und Harry sich auf seinen Besen schwang, wurden sie von 15 Raben beobachtet, die still und leise ihre Runden am schwarzen Nachthimmel zogen. Kapitel 12: Lauernde Blicke --------------------------- Ein Traum. Er wusste es in dem Moment, in dem er seine Augen aufgeschlagen hatte. Niemals würde die Person, die jetzt über ihn auf seinem Bett kniend, die Arme neben seinem Kopf abgestützt und ihn verführerisch anlächelte, hier sein. Er wusste, er sollte den Traum abschütteln, wie er es schon so oft getan hatte. Er durfte sich nicht dieser Fantasie hingeben. Denn, wenn er dann aufwachte, würde es eine Leere in ihn zurücklassen, die ihn den ganzen Tag über quälen würde. Gepeinigt schaute er in die schönen Augen, die auf ihn herabblickten, ihm alles versprachen, was er sich so sehnlichst wünschte. Er sollte ganz schnell aufwachen. Aber er konnte es nicht, wollte nicht. Die letzten Wochen waren so anstrengend, so nervenaufreibend gewesen. Er sehnte sich nach ein bisschen Frieden, und wenn er nur eine Illusion war. Vorsichtig streckte er eine Hand aus und berührte leicht dieses schöne Gesicht, streichelte sanft die helle, gegen seine eigenen sonnengebräunten Finger fast weiße Haut. ‚So weich.‘ Genießerisch wurden die traumhaften Augen geschlossen und das Gesicht schmiegte sich in seine streichelnde Handfläche. Nur kurz verweilten sie so, bis er seine Hand weiter wandern ließ und in den seidig glatten Haaren vergrub. Er zog den Kopf näher zu sich, gab sich dem Traum völlig hin. Immer näher kamen sie sich. Nur wenige Zentimeter trennten sie noch voneinander. Er konnte schon den warmen Atem auf seinen Lippen spüren…   „Krähhhh! Krähhhh!“ Harry schreckte hoch. Verwirrt und desorientiert schaute er sich um, versuchte herauszufinden, wo er war und was er hier tat. Der Nebel in seinem Verstand lichtete sich und er schaute frustriert zu seinem Wecker. Stocksauer wollte er dieses dämliche Ding ergreifen und gegen die nächste Wand donnern. Es hatte ihn eine Stunde zu früh geweckt. Harry war sich absolut sicher, dass es das mit Absicht gemacht hatte. Es hatte ihn bestimmt beobachtet, bis es festgestellt hat, dass er sich in einem schönen Traum befand, um ihn dann in purer Boshaftigkeit da herauszuholen. Nur die Tatsache, dass dieser Wecker auf seinen beiden Hahnenfüßen äußerst schnell war und er sich unterm Bett versteckt hatte, bevor Harry ihn mit seiner Faust treffen konnte, bewahrte ihn vor größeren Schaden.   Erschöpft ließ sich Harry zurück auf sein Bett fallen. Erst jetzt spürte er, wie der Schock des plötzlichen Aufwachens nach einer mal wieder viel zu kurzen Nacht alle Wärme aus seinen Gliedern vertrieben hatte. Sein ganzer Körper zitterte und sein Herz raste. Der Schlafmangel forderte langsam seinen Tribut. Er sollte in Zukunft wirklich früher ins Bett gehen, sonst würde sein Körper irgendwann schlapp machen. Aber jetzt war er wach. Sein Kopf fühlte sich an, als hätte jemand ein Engorgio auf ihn gehext, aber sein Geist war klar. Es war erst sechs Uhr und die anderen schliefen noch selig.   ‚Dämlicher Wecker!‘ Nun würde er ohnehin nicht mehr schlafen können, also konnte er auch genauso gut aufstehen. Harry schnappte sich seine Sachen und ging ins Bad. Ein Blick in den Spiegel genügte und er wusste, dass er ganz dringend eine erfrischende Dusche benötigte. Die mitleidigen Kommentare des Spiegels überhörte er geflissentlich.   Auch wenn Harry sich wie gecruciot fühlte, er musste zugeben, dass es seine Vorteile hatte, so viel früher als seine Hauskameraden aufzuwachen und zu duschen. Sein Dunkles Mal war zwar nicht an so einer auffälligen Stelle wie bei den anderen Todessern, aber es war nicht völlig unsichtbar. Er konnte wohl von Glück sagen, dass keiner seiner Kameraden an dem interessiert war, was sich zwischen seinen Beinen befand, sonst wäre er mit Sicherheit schon aufgeflogen.   Harry konnte nicht behaupten, dass die Dusche erholsam oder wenigstens erfrischend gewesen wäre. Immer wieder holten ihn die Bilder seines Traumes ein, immer wieder erwachte in ihm der Wunsch, diese süße Lippen zu kosten und immer wieder kam die quälende Enttäuschung, weil ihm selbst im Traum dieses Gefühl verwehrt wurde. Es würde ein schlechter Tag werden.   Im Schlafsaal war immer noch alles ruhig. Nur vereinzelte Schnarcher waren zu hören. Es war noch Zeit, bis seine Klassenkameraden aufwachen würden. Sie würden ihn nicht vermissen, wenn er jetzt noch mal hinausging, solange er zumindest rechtzeitig wieder da wäre, um mit ihnen allen zum Frühstück zu gehen. Das hatten sie sich angewöhnt, seit dem merkwürdigen Verhalten der Slytherins vor zwei Wochen. Kurz überlegte er, ob er nicht seinen Feuerblitz nehmen und noch ein paar Runden fliegen sollte vor dem Frühstück, entschied sich aber dagegen. Am Abend hätte er eh noch Quidditch-Training und er sollte besser nicht mit Schlafmangel und leeren Magen einen Besen besteigen. Leise schlich er sich aus dem Schlafsaal. Das Portrait schwang zur Seite und die fette Dame beobachtete ihn misstrauisch aus noch halb geschlossen müden Augen, sagte aber nichts. Es war noch sehr früh, aber die Nachtruhe war offiziell vorbei und somit konnte Harry kommen und gehen, wie er wollte.   Der Weg vom 7. Stock bis zur Eingangshalle war weit. Eine unfaire Verteilung der Häuser, wie Harry fand. Sicher war es schon etwas Besonderes, wenn man in den hohen Türmen Hogwarts wohnen durfte und jederzeit hinausschauen und die weiten Ländereien überblicken konnte. Es hatte etwas Atemberaubendes. Harry fühlte sich jedes Mal dabei so klein und unbedeutend und zur gleichen Zeit aber frei und mächtig, wenn er dabei die anderen Zauberer beobachtete, wie sie sich wie kleine fleißige Ameisen unter ihm tummelten. Allerdings waren die Wege weit. Lediglich das Klassenzimmer für Wahrsagen war ebenfalls in der siebenten Etage; zumindest das von Professor Trelawney. Firenzes war im Erdgeschoss. Also sehr weit weg von Gryffindor und Ravenclaw, genauso wie viele andere Klassenräume und die Große Halle und natürlich auch die Küche. So gesehen, eine Menge Vorteile für Slytherin und Hufflepuff. Sie hatten kürzere Wege, konnten so länger schlafen und mussten nach einem anstrengenden Schultag nicht noch die vielen Treppen hochkraxeln, um in ihre Räume zu gelangen. Und wenn sie zwischendurch Hunger bekamen, dann konnten sie mal eben schnell in die Küche gehen, die sich wie ihre Gemeinschaftsräume ebenfalls in den Kerkern befand, und sich nach Herzenslust bedienen. Der Einzige Vorteil war, dass Harry es näher zur Bibliothek hatte, in der er in der Zwischenzeit die meiste Zeit verbrachte. Und falls er mal zwischendurch Hunger bekam, brauchte er nur Dobby zu rufen und der brachte ihm mit Freuden alles, was Harry sich nur wünschen konnte. Und natürlich auch das Bad der Vertrauensschüler, dass er als Kapitän seiner Quidditch-Mannschaft auch nutzen durfte.   Harrys Schritte hallten laut durch die Korridore, als er die vielen Treppen hinabstieg. Er versuchte nicht, leise zu sein. Er musste sich nicht verstecken. Die Gemälde erwachten aus ihrem nächtlichen Schlummer und sahen ihm unverhohlen neugierig hinterher. Nur die Wenigsten gaben sich Mühe, ihre Absichten hinter halb geschlossen Lidern oder gemalten Dekorationen zu verbergen. Sollten sie doch. Sollten sie ihn ruhig ausspionieren. Sie würden ja doch nichts finden. Ein Schüler, der nicht mehr schlafen konnte und das Schloss verließ, um noch ein bisschen vor dem Frühstück spazieren zu gehen, war ja nichts Ungewöhnliches. Nichts Verdächtiges. Sollten sie es ruhig Dumbledore erzählen. Harry war sich sicher, dass der Alte die Nachricht erhalten würde, sobald er die Eingangshalle durch die große Flügeltür verlassen hätte.   Aber auch wenn er wusste, dass er beobachtet wurde, auch wenn er wusste, dass sie ihm nichts nachsagen konnten, und auch wenn er sich einen Spaß daraus machte und ihnen bewusst erlaube, ihn auszuspionieren, war er dennoch froh, als er den Eingang zum Schloss hinter sich gelassen hatte. So ganz wohl fühlte er sich nie. Immer war diese kleine Unsicherheit, diese kleine Ungewissheit gegenwärtig und eine leise Stimme wisperte immer wieder ‚Aber, wenn doch?‘. Er konnte nie richtig durchatmen. Zielsicher brachten ihn seine Füße an den einzigen Ort in ganz Hogwarts, an dem er das noch konnte. Das Quidditch-Feld. Um diese Uhrzeit war hier niemand und er konnte einfach mal entspannen. Harry sprach kurz einen schwachen Dürrezauber und ließ sich dann auf das Stückchen Rasen fallen, das er soeben vom nächtlichen Tau befreit hatte. Die Augen geschlossen ließ er seine Finger durch das weiche Gras gleiten, genoss die Kühle des Morgens, die ein sanfter Wind über sein Gesicht streichen ließ, was ihn mehr belebte, als die klägliche Dusche nur weniger Augenblicke zuvor. Tief atmete er die frische Luft ein, roch das Gras und den beginnenden Frühling. Ein paar Tautropfen, die der Zauber wohl übersehen hatte, blieben an seinen Fingen haften und er verrieb sie sanft zwischen seinen Fingerspitzen. Wie kühlender Balsam. Es war fast perfekt.   Seine Ruhe wurde gestört von dem einzigen Menschen, dessen Anwesenheit er nicht ignorieren konnte, selbst wenn er es wirklich gewollt hätte. Draco Malfoy folgte ihm seit zwei Wochen, seit dem Treffen mit Voldemort in Hogsmeade, wie ein Schatten. Er nahm seine Aufgabe, Harrys heimliche Liebe herauszufinden sehr ernst, seit er im Rang aufgestiegen war. Und er gab einfach nicht auf. Wann immer Harry sich von seinen Klassenkameraden trennte, war Draco nicht weit, beobachtete ihn. Hoffte, dass Harry irgendwie sich und damit seine heimliche Liebe verraten würde. Und sei es nur, dass er sie etwas zu häufig oder zu lange ansah. Deswegen konnte Harry immer wieder Dracos Blicke auf sich spüren, darauf lauernd, dass er irgendetwas tat, um doch ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Wenn Draco nur wüsste, wie unnötig das doch war. Aber Harry musste zugeben, dass er die Aufmerksamkeit des Slytherins genoss. Er würde nie etwas finden und wenn Harry doch mal etwas von dem tun würde, was Draco sich erhoffte, würde er es nicht bemerken. Er würde sich stattdessen einfach nur ertappt fühlen. Harry schloss die Augen, ein sanftes Lächeln auf seinen Lippen.   Die ersten Tropfen, die auf sein Gesicht fielen, waren sanft und kühl, genauso wie man sich einen leichten Frühlingsregen vorstellte. Friedlich, aber erfrischend, angenehm und entspannend; sanfte Regentröpfchen, vor denen man nicht Reißaus nehmen musste. Aber ein Paar, das durch den Nieselregen spazieren ging, würde sich enger aneinanderschmiegen, vorgeben, sich gegenseitig vor dem Nass schützen zu wollen, dankbar für die Ausrede, um näher beieinander sein zu können. Seine Sachen würden nass werden, wenn er weiter hier liegen blieb, aber das störte ihn nicht. Er konnte sie jederzeit wieder trocken zaubern.     ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Zehn Stunden später lag Harry wieder auf der gleichen Stelle. Der angenehme Nieselschauer war einem leichten Sturm gewichen. Große, schwere, eiskalte Tropfen peitschten gegen sein Gesicht. Das war übertrieben. Aber sie trainierten jetzt schon anderthalb Stunden trotz des ungemütlichen Wetters und der Wind und die Kälte hatten Harrys Gesicht nicht wie erwartet taub, sondern noch empfindlicher werden lassen. Er sollte das Training abbrechen. Nicht zuletzt, weil ihn ein Klatscher von dem äußerst talentierten Jimmy Peakes getroffen hatte. Harry hatte ihn nicht gesehen. Er war in diesem Moment zu sehr auf Katie Bell, Ginny Weasley und Demelza Robins konzentriert gewesen. Sie trainierten ein neues Manöver. Sie waren auch schon richtig gut. Jemand, der die Strategie nicht kannte, würde sie nicht so einfach hinter den komplizierten Bewegungsabläufen erkennen. Es schienen teilweise nur einfache Züge zu sein. Sie hatten aber nur den Zweck, den Gegner zu irritieren und in falscher Sicherheit zu wiegen, bis es zu den eigentlichen Spielzügen kam. Die Abläufe an sich, hatten die Mädchen verinnerlicht. Nun sollten sie versuchen, einen Treffer zu landen. Das war jedoch nicht so einfach, denn der ‚Gegner‘ kannte die Taktik genau. Peakes und Ritchie Coote waren trotz ihrer Jungend richtig gute Treiber – sie kamen fast an die Weasley-Zwillinge heran – bombardierten die Jägerinnen regelrecht mit den gefährlichen Klatschern und schonten die Mädchen kein bisschen. Sie mussten sehr aufpassen, nicht von den schmerzhaften Geschossen, in denen die Jungs die Bälle verwandeln konnten, getroffen zu werden. Dazu kam, dass Ronald Weasley, ihr Torhüter, so viel Geltungsdrang besaß, dass er niemals absichtlich – nicht einmal für seine Teammitglieder – einen einzigen Quaffel durch seine Torringe durchlassen würde. Es könnte ja jemand denken, dass er ein schlechter Torhüter sei. Sei Ego würde das wahrscheinlich nicht verkraften. Deswegen trainierten sie jetzt schon anderthalb Stunden und der Quaffel war nicht mal in der Nähe der Ringe gekommen. Harry war sich sicher, dass ein Torhüter, der keine Ahnung von der Strategie hatte, keinen der Bälle gehalten hätte, aber er hatte zu Beginn des Trainings gesagt, dass sie erst aufhören würden, wenn sie den Spielzug erfolgreich abgeschlossen hätten. Und das hieß nun mal, dass der Ball durch einen der Ringe musste. Nur weil er sich selbst nicht mehr zu seinen Hauskameraden zugehörig fühlte, hieß das nicht, dass er irgendein anderes Haus im Quidditch gewinnen lassen, geschweige denn kampflos den Hauspokal überlassen würde. Er hatte immer noch seinen Stolz. In zweieinhalb Monaten war das letzte Spiel in diesem Jahr, Gryffindor gegen Ravenclaw. Und Harry würde gegen die eingebildeten Raben sicher nicht verlieren. Aber es waren dennoch noch elf Wochen bis zu dem Spiel. Und seine Spieler waren gut und motiviert. Die Jäger beherrschten den neuen Spielzug perfekt, der Hüter hielt jeden Quaffel, die Treiber schlugen jeden Klatscher präzise und kräftig. Er sollte vielleicht nicht so übertreiben und seine Teamkammeraden nicht bis zum Umfallen trainieren lassen. Zumal sie eben erst das Match gegen Hufflepuff spielerisch gewonnen hatten. Dieser Meinung waren sie mit Sicherheit auch. Denn andernfalls hätte Harry nicht diesen Klatscher abbekommen. Für ihn stand außer Frage, dass es Absicht gewesen war. Diese schwarze Eisenkugel hatte ihn perfekt an der linken Schulter getroffen, sodass Harry herumgerissen und vom Besen gefallen war. Er konnte wahrscheinlich froh sein, dass Peakes solange gewartet hat, bis er relativ nah am Boden war, um sich nicht ernsthaft zu verletzen. Abgesehen davon war es seiner eigenen Unachtsamkeit geschuldet, dass er ihn überhaupt hatte treffen können. Er war der Sucher. Er war in der Lage einen kleinen goldenen wallnussgroßen Ball ohne Probleme zu sehen. Da sollte ein großer schwarzer kein Problem sein. Hätte sie sich nicht lieber Weasley als Ziel aussuchen können? Die Ringe wären frei gewesen, die Mädchen hätten ihren Spielzug abschließen können und er müsste jetzt nicht kleinbeigeben und entgegen seiner Worte das Training beenden. Mit einem frustrierten Seufzer machte Harry ein Zeichen mit der Hand, dass sie aufhören konnten und sich umziehen gehen sollten.   Harry rappelte sich wieder auf, ignorierte seine schmerzende Schulter und Rücken und stieg wieder auf den Besen. Er war der Sucher. Also würde er jetzt auch noch den Schnatz fangen, egal, wie lang es dauern würde. Das musste sein, um seinen verletzten Stolz wiederherzustellen.   In weniger als einer halben Stunde hatte Harry den Schnatz gefangen und ging ein weniger zufriedener mit sich selbst in die Umkleidekabine der Gryffindors. Keiner seiner Teamkameraden war noch da, wie er erfreut feststellte. Er war nicht überrascht. Das Wetter war furchtbar und das Abendessen hatte bereits begonnen. Selbst die kleine Weasley, die nur schwer von Harrys Seite zu bekommen war, hatte sich anscheinend heute Abend lieber für das Essen entschieden, als auf unbestimmte Zeit auf ihn zu warten. Nur gut. Er hatte wirklich keine Nerven, sich heute noch mit ihr auseinandersetzen zu müssen.   Langsam zog er seine Sachen aus. Sie klebten an seinem Körper, nass und schwer von Regen und Schweiß, und erschwerten jede Bewegung. Seine Schulter war wohl doch schwerer in Mitleidenschaft gezogen, als er sich selbst eingestehen wollte. Nun war der Adrenalinrausch vorbei und die Schmerzen bohrten sich wie spitze, scharfe Pfeile in sein Bewusstsein. Aber er musste sich erst ausziehen und das ganze Ausmaß begutachten, bevor er sich heilen konnte. Glücklicherweise fühlte es sich schlimmer an, als es tatsächlich war. Harrys Körper war übersät mit Schürfwunden und blauen Flecken, darunter leichte Quetschungen und Prellungen. Also nichts, was ein paar gezielte Episkey und ein Abschwelltrank aus dem Erste-Hilfe-Schränkchen nicht heilen konnten. Nur nach ein paar Minuten sah Harrys Körper wieder so aus, als hätte er nicht eine knappe Stunde zuvor Bekanntschaft mit einem unbarmherzigen Klatscher gemacht und er seufzte erleichtert auf, als der Schmerz langsam seinen Körper verließ.   Anders als am Morgen konnte er die Dusche genießen. Das heiße Wasser belebte seine müden Knochen und vertrieb die restlichen Schmerzen aus seinen steifen Gliedern. Die Waschlotion roch angenehm nach Waldkräutern und wirkte beruhigend auf seinen rastlosen Geist. Harry hielt sein Gesicht in den sanften Wasserstrahl. Die Wärme lullte ihn ein und bevor er es ihm überhaupt bewusst wurde, waren seine Gedanken schon wieder in den Bereich abgedriftet, den er so unbedingt vermeiden wollte. Aber er versuchte erst gar nicht, die Bilder abzuschütteln, die sich in sein Bewusstsein drängten. Er war müde, erschöpft und hatte einfach keine Kraft mehr, sich dagegen zu wehren. Er wollte ein bisschen Frieden, ein bisschen Glück, auch wenn es nur in seiner Fantasie war.   Mit geschlossenen Augen fuhr Harry mit seinen Daumen über seine feuchten Lippen. Er genoss das sanfte Kribbeln, welches seine raue Fingerkuppe auslöste. Mit sanften Druck drängte sich sein Zeigefinger in seinen Mund, presste gegen die Zungenspitze, die sich ihm beinahe zögerlich entgegenstreckte. Wie würde sich wohl ein Kuss anfühlen? Wäre er sanft und zärtlich? Oder eher stürmisch und voller Leidenschaft? Er konnte sich beides gut vorstellen und oh! wie sehr würde er beides genießen. Gierig sog er auch noch seinen Mittelfinger in Mund, massierte mit beiden Fingerspitzen seine Zunge, spielte mit ihr, ließ sie seine Finger umschlingen. Er warf den Kopf in den Nacken und ein kleines Stöhnen entschlüpfte seinen Lippen. Seine Finger rutschten aus seinem Mund, glitten über sein Kinn, seinen Hals hinab, strichen sanft über seinen Adamsapfel. Federleicht wanderten sie seinen Körper hinab, fuhren über seine erwartungsvoll zuckenden Bauchmuskeln, immer tiefer und tiefer. Harry stellte sich dabei vor, wie andere Händen ihn streichelten, elegantere, mit seidig glatter, heller Haut. Wie sie seinen Körper erkundeten, seine Haut liebkosten oder auch mal fest zugriffen oder mit feinen Fingernägeln blassrosa Spuren auf seinen Armen und seinem Rücken hinterließen. In Harrys Kopf spielten sie mit ihm, machten ihn wahnsinnig, nach mehr verlangend, bis sie endlich ihren Weg zu seinem Schritt gefunden hatten, wo sich ihnen Harrys Erregung hart und verlangend entgegenreckte. Ein kleines Wimmern entkam seiner Kehle als seine Finger endlich seine Erektion erreichten und vorsichtig über die empfindliche Kuppe tanzten. Sie glitten den Schaft nach unten, bis sie an der Wurzel angekommen waren. Erst dann griff er richtig zu und begann seine Hand auf und ab zu bewegen, langsam aber fest. Das Wasser und die Seife halfen ihm, einen stetigen Rhythmus aufzubauen, den er nur kurz unterbrach, als er seinen Daumen sanft in kleine Öffnung an der Spitze drückte. „Aahh!“ Das Gefühl zusammen mit seiner Vorstellung ließen ihn schwach werden. Seine Beine fingen an, zu zittern und Harry musste sich mit seiner rechten Hand an den irritierend kalten Fliesen vor ihm abstützen.   Der Kontakt war ein Schock, holte Harry aber soweit in die Wirklichkeit zurück, dass er den Zauberer bemerkte, der sich eilig den Quidditch-Umkleideräumen näherte. „Dracooo.“ Da hatte ihn wohl jemand beim Abendessen vermisst und versuchte jetzt herauszufinden, was ihn so Wichtiges aufgehalten hatte. Harry konnte es nicht verhindern. Der Gedanke, dass Draco ihn beobachten würde, während er sich selbst verwöhnte, jagte einen wohligen Schauer durch seinen ganzen Körper.   Ja, er hätte damit rechnen müssen, dass der Slytherin ihn suchen kommen würde, nachdem er nicht mit seinen Teamkameraden beim Essen erschienen war. Vielleicht war er einfach nur zu erschöpft, um daran zu denken. Oder er hatte es unbewusst sogar gehofft? Wie würde Draco wohl reagieren, wenn er ihn so vorfinden würde? Zitternd und keuchend vor Lust? Natürlich würde er bleiben. Nicht wahr? Immerhin könnte es sein, dass Harry ein Name entschlüpfte, während er so selbstvergessen mit sich selbst beschäftigt war. Harry spürte, wie sich seine Slytherinseite in ihm regte. Ja… Er würde jetzt nicht aufhören. Sollte Draco ihn ruhig beobachten.   Das Wasser prasselte auf Harrys Nacken und Rücken, rann über seine Schultern, seine Arme, seinen ganzen Körper, tropfte unbemerkt in den kleinen Teich, der sich um seine Füße gebildet hatte. Seine feuchten Haare klebten an seinem Kopf, verdeckten seine Augen. Seine Stirn hatte er gegen seinen rechten Arm gepresst, der ihn vor den kalten Fliesen schützte, die Hand zur Faust geballt. Sein Atem ging stoßweise. Nachdem Draco beinahe lautlos hineingeschlichen war, hatte er sich fast augenblicklich hinter einen Korb mit nassen Handtüchern versteckt. Harry konnte sich gut seinen geschockten Blick vorstellen, als er die Situation erfasst hatte. Draco hatte sich seitdem nicht mehr bewegt. Er hockte hinter dem Korb, der ihm genügend Schutz bot, um nicht entdeckt zu werden, aber genug Möglichkeiten durch die geflochtenen Weidenzweige Harry genau zu beobachten.   Harry konnte Dracos Präsenz überdeutlich spüren. Seine Sinne waren völlig auf den Slytherin fixiert. Nur leider war es ihm nicht möglich, zu erkennen, in welche Richtung er schaute. Hatte er sich weggedreht? Oder starrte er ihn gerade an, verfolgte jede seiner Bewegungen? „Mmhhh, ahhh!“ Harry war völlig in der Vorstellung gefangen, dass diese grauen Augen, ihn beobachteten, zu sahen, wie er sich streichelte und verwöhnte. Harry drehte sich ein Stück, stellte sich leicht breitbeinig hin, schob sein rechtes Bein ein Stück nach vorne. Falls Draco ihn wirklich beobachtete, konnte er jetzt sein Dunkles Mal sehen und ihn genau beobachten. Langsam fuhr er mit seinen Fingerspitzen über die schwarze Markierung, liebkoste kurz die Schlange, die sich um den Totenkopf wand. Dann griff er wieder sein Glied, dass er immer schneller und schneller massierte. Harry konnte hören, wie Draco scharf die Luft einsog. ‚Also schaut er mir wirklich zu.‘ Bei dem Gedanken wäre Harry fast gekommen. Aber noch nicht. Noch wollte er das Spiel nicht beenden. Sollte er ihn noch weiter reizen? Tief in seinem Inneren wusste Harry, dass er das lassen sollte, dass es nur zu Problemen führen würde, wenn er die Idee, die sich gerade in seinem Kopf gebildet hatte, weiterführte. Aber er konnte nicht widerstehen. Er wollte Draco völlig aus der Fassung bringen.   Wieder veränderte Harry seine Position. Noch einmal pumpte er seine Erektion, bevor er sich von ihr löste. Sofort bedauerte er den Kontaktverlust und ein kleines Wimmern löste sich von seinen Lippen. Er drückte sich leicht mit seiner linken Hand von der Wand ab, brachte sich in eine halbwegs aufrechte Position. Den Kopf legte er in den Nacken, führte zwei Finger an seinen Mund, sog sie gierig ein, leckte und saugte an ihnen. ‚Kannst du sehen, wie gut ich mit meiner Zunge umgehen kann, Draco? Gefällt dir das?‘ Ein Keuchen war die Antwort auf seine unausgesprochene Frage. Und wie zu Beginn ließ er beide Finger aus seinem Mund gleiten und seinen Körper hinab streichen. Aber dieses Mal ignorierte er sein Glied. Stattdessen wanderten sie zu seinem Hintern. Dabei drehte er sich so, dass Draco einen perfekten Ausblick auf seinen Po hatte, die Beine leicht gespreizt. Kurz streichelte und massierte Harry seine Backen, zog das Vorspiel absichtlich in die Länge, steigerte damit seine Vorfreude und sein Verlangen. Dann endlich hatte er Erbarmen. Seine Fingernägel bohrten sich einmal kurz aber schmerzhaft in sein empfindliches Fleisch, bevor seine Hand zu dem Spalt glitt und seine Finger zwischen seinen Pobacken verschwanden. Mit seinem Zeigefinder reizte Harry seinen Eingang und die Muskeln zuckten in freudiger Erwartung. Als sein Finger endlich die Barriere durchbrach, konnte er ein lautes Stöhnen nicht unterdrücken. „AAAHH!“ So lange hatte er sich diesem Gefühl verweigert. Er konnte Draco stoßweise atmen hören. War er etwa erregt? Sein eigener Atem wurde immer unregelmäßiger, während er seinen Finger erst langsam, dann immer schneller, raus und wieder rein bewegte, immer ein bisschen tiefer. Aber bald war es nicht mehr genug. Er nahm einen zweiten Finger hinzu und begann, sich mit scherenartigen Bewegungen zu weiten. Weiter und tiefer. Weiter und tiefer. Bis er endlich diesen einen Punkt gefunden hatte, der ihn Sterne sehen ließ. Immer wieder strich er darüber, stöhnte und schrie beinahe vor Lust und Verlangen. Für einen kurzen Moment hätte er beinahe vergessen, dass er nicht allein war. Als er einen dritten Finger dazu nahm, waren seine Sinne vollkommen vernebelt. Aber Draco war schon immer sehr einnehmend, er hasste es, wenn man ihn ignorierte. Harry schob es auf den Charakter des Slytherin als dessen Präsenz sich mit voller Gewalt wieder in sein Bewusstsein bohrte. Es war so überwältigend, dass Harry für einen Moment die Luft weg blieb. Er konnte es nicht verhindern, als seine Beine unter ihm einknickten. Auf Knien weiter seinen Anus penetrierend griff er mit der anderen Hand um seine nach Aufmerksamkeit schreiende Erektion. Sie war in der Zwischenzeit so empfindlich geworden, dass er nur einmal zu pumpen brauchte und er kam. Hart. Und so sehr er auch seinen Höhepunkt hinausschreien wollte, er biss sich so fest auf die Lippen, dass er sein Blut schmecken konnte und zwang so den einen Namen zurück, der so unbedingt aus seinem Mund schlüpfen wollte. Nein, er würde sich nicht verraten.   Harry kniete auf dem Boden, seine Hände mussten ihn abstützen, damit er nicht gänzlich vor Erschöpfung zusammenbrach. Erst das Training, dann dieses köstliche Zwischenspiel, das zwar etwas aus dem Ruder gelaufen, nichtsdestoweniger einfach nur fantastisch gewesen war. Allerdings hatte er seit dem Mittag nichts mehr gegessen und das alles forderte jetzt seinen Tribut. Die Dusche war immer noch an und das Wasser prasselte stetig auf seinen Rücken. Seine Haut war jetzt so empfindlich, dass es sich langsam unangenehm anfühlte. Mit zitternden Beinen stand er auf, musste sich wieder an den kalten Fliesen abstützen. Er unterdrückte den Drang nach Draco zu schauen, der immer noch schwer atmend hinter dem Wäschekorb hockte. Erst als Harry stand, kam Bewegung in den blonden Zauberer. Langsam, ohne ein Geräusch zu machen stand er auf und verließ ebenso leise die Umkleide. Harry wollte schon erleichtert aufatmen als die Erkenntnis, was genau eigentlich gerade passiert war, ihn so hart traf, als hätte er einen Hippogreif beleidigt. Wie hatte er sich nur so vergessen können? Seine schockgeweiteten Augen richteten sich automatisch in die Richtung, in der das Schloss lag. In die Richtung, in die Draco jetzt rannte. ‚Oh, Merlin! Was habe ich getan?‘   Kapitel 13: Eine andere Perspektive ----------------------------------- Draco rannte den Weg hinauf zum Schloss. Er wusste nicht, was er denken sollte oder was er tun sollte. Er wusste nur eins: er musste hier weg. Musste die Bilder loswerden, die sich eben in seinen Kopf gebrannt hatten und ihn den ganzen Weg verfolgten, egal wie schnell er auch rannte. Am liebsten hätte er jetzt seinen Besen gehabt; vielleicht hätte er damit vor seinen Gedanken fliehen können. Aber wie schnell muss man fliegen, um sich selbst zu entkommen? Innerlich verfluchte er sich. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Wieso musste er auch unbedingt nach Potter suchen, nachdem er nicht beim Abendessen erschienen war? Was hatte er erwartet? Dass Potter auf ein geheimes Tête-à-Tête mit seiner Angebeteten gegangen war? Sicher nicht! Potter hatte sich in der ganzen Zeit nicht auffällig verhalten; nicht mal eine Andeutung, dass die besagte Person sich in seiner Nähe befand. Weder während irgendeiner Unterrichtsstunde, noch während der Mahlzeiten. Kein Kopfrecken, kein Umblicken, keine verstohlenen Blicke, nichts. Absolut nichts. Wenn der Dunkle Lord Draco nicht versichert hätte, dass es das Mädchen gäbe und sie in Hogwarts zur Schule gehen würde, hätte er bezweifelt, dass es überhaupt jemanden gab, an dem der Gryffindor interessiert war. Er war sich sicher gewesen, dass er nichts finden würde, genauso wie die unzähligen Male zuvor. Und trotzdem hatte er gehen müssen. Es hatte ihm einfach keine Ruhe gelassen. Selbst die kleine Weasley, die sonst nur schwer von Potters Seite abzukratzen war, war beim Abendessen. Natürlich war er da neugierig geworden. Vielleicht – nur vielleicht – hätte er ja dieses Mal Glück und könnte seinem Lord positive Nachrichten überbringen. Seine anderen beiden Aufgaben hatte er bisher auch nicht erledigen können. Noch zeigte sich der Dunkle Lord geduldig. Er hatte ihm bis zum Ende des Schuljahres Zeit gegeben, aber Draco wusste nur allzu gut, wie schnell die Laune von Ihm, dessen Name nicht genannt werden darf, umschlagen konnte und dann wurde schnell aus „Zeit bis zum Ende des Schuljahres“ ein Cruciatus-Fluch. Er hatte es oft genug bei seinem Vater miterlebt. Also hatte er diesem Drang nachgegeben und war Potter suchen gegangen. Seine erste Anlaufstelle waren die Quidditch-Umkleideräume gewesen. Manchmal brauchte Potter länger als der Rest seines Teams, weil er noch den Schnatz fangen musste und er für einen Aufrufezauber einfach zu stolz war.   Natürlich hatte er mit seiner Vermutung richtig gelegen. Draco hatte das Wasser rauschen hören, als er in die Umkleide der Gryffindors geschlichen war. Ein kurzer Blick auf die herumliegenden Sachen genügte und er wusste, dass Potter alleine war. Draco hätte jetzt umdrehen können, vielleicht ein bisschen außerhalb Stellung beziehen können, um zu gucken, ob noch jemand anderes kam oder einfach zum Schloss zurückgehen können. Aber nein! Er musste ja unbedingt in den Duschraum gehen. Bei Merlin! Nichts hätte ihn auf diesen Anblick vorbereiten können.   Da stand Potter splitterfasernackt unter dem heißen Wasserstrahl. Der Dampf hüllte seinen Körper ein, ließ ihn beinahe ätherisch wirken. Als wäre er nur ein Gemälde, bei dem der Maler seine Farben in Nebel getaucht hatte. All das schien es nur noch unwirklicher scheinen zu lassen, was Potter da gerade tat. Erst hatte Draco gedacht, Potter würde weinen, so wie er sich gegen wie Wand gelehnt hatte und sich seine Schultern hoben und senkten; und der abgehackte Atem. Dann sah er, wie sich die Hand des Gryffindor in eindeutiger Geste bewegte. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Damit hatte er ganz sicher nicht gerechnet. Ihm war nicht mal die Idee gekommen, dass er Potter bei so etwas überraschen könnte. Schnell versteckte er sich hinter einem Wäschekorb.   Spätestens jetzt hätte er das Weite suchen sollen. So schnell und so leise wie möglich wieder aus dem Duschraum raus und dann raus aus der Umkleide, zurück ins Schloss. Aber nein! Er blieb einfach da hocken. Warum war er dort geblieben? Und warum bei Merlin und Morgana konnte er nicht einfach wegschauen? Wie gebannt hatte er mit seinen Augen jede Bewegung des Gryffindor verfolgt. Hatte das Spiel seiner Rückenmuskulatur beobachtet, wie sich seine Schulterblätter hoben und senkten.   Und dann drehte Potter sich. Draco hatte schon befürchtet, dass der Gryffindor ihn jetzt sehen würde, aber er hatte Glück. Potter hatte sich nur eine bequemere Position gesucht. Dafür hatte Draco jetzt eine perfekte Aussicht. Er konnte direkt auf Potters Erektion sehen und sein Mund wurde schlagartig trocken. Er konnte es nicht vermeiden, dass eine Welle der Erregung ihn erfasste, die er bis jetzt erfolgreich zurückgehalten hatte. Aber was ihn wirklich seine Selbstbeherrschung verlieren ließ, war das, was Potter als nächstes tat.   Draco hatte es gewusst. Als er vor ein paar Wochen mit seinem Vater in das Treffen von Potter und seinem Lord hineingeplatzt war, hatte er für einen Moment gedacht, dass der Gryffindor sich gerade wieder die Hose zugemacht hätte. Aber er war so von der Tatsache abgelenkt gewesen, dass Potter überhaupt da gewesen war, dass dieses Ereignis komplett in Vergessenheit geraten war. Und ganz ehrlich, er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wo Potter das Dunkles Mal hatte. Warum hätte es ihn interessieren sollen? Aber es jetzt zu sehen, an so einer intimen Stelle und zuzusehen, wie Potter das Dunkle Mal auf so eine erotische Art streichelte, jagte einen Schauer durch seinen Körper, dessen Ziel sein immer härter werdender Schwanz war. Wieso machte ihn dieser Anblick nur so sehr an? Er konnte sich vorstellen, warum es Potter anmachte. Das Dunkle Mal stand ja irgendwie für das Mädchen, in das er verliebt war. Und er dachte mit Sicherheit an sie, während er sein Glied massierte und streichelte. Wieso fühlte er sich bei diesem Gedanken plötzlich unbehaglich? Aber bevor Draco diesen Gedanken weiter verfolgen konnte, tat Potter schon wieder das nächste, womit der Slytherin nicht gerechnet hatte. Potter leckte und saugte an zwei seiner Finger und zwar auf eine so erotische Art und Weise, dass Draco sich nicht entscheiden konnte, ob er diese Finger lieber mit seiner Zunge oder seinem Schwanz austauschen wollte. Und er hatte sich immer noch nicht entschieden, als genau diese Finger diesen muskulösen Körper herabglitten, diesen absolut perfekten Hintern massierten und dann in ihm verschwanden. Verdammt! Er musste hier weg. Er konnte nicht mehr klar denken. Seine rechte Hand zuckte unablässig, wollte so sehr in seinen Schritt greifen und seiner schmerzenden Schwellung ein bisschen Linderung verschaffen. Potter seufzte und stöhnte. ‚Verdammt, Potter!‘ Draco biss die Zähne zusammen, um das Grollen zurückzuhalten, das sich in seiner Brust zu bilden begann.   In dem Moment sackte Potter zusammen. Instinktiv wollte Draco hineilen, um ihn zu stützen, konnte aber gerade noch so den Impuls unterdrücken. Potter selbst ließ sich von seinem Sturz nicht beirren, fickte sich selbst immer weiter mit seinen Fingern. Und es dauerte nicht lange, bis er mit einem unterdrückten Schrei kam.   Einige Minuten vergingen, in denen beide wieder versuchten, zu Atem zu kommen, der eine befriedigt, der andere fast wahnsinnig um seinen Verstand kämpfend. Draco beobachtete, wie Potter langsam aufstand. Die Beine des Gryffindor zitterten so sehr, dass er sich an der Wand abstützen musste.   Verdammt! Er musste hier sofort weg.   So leise wie möglich stand Draco auf. Nur keine ruckartigen Bewegungen, nur keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Potter stand glücklicherweise immer noch mit dem Rücken zu ihm, versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Draco nutzte das und schlich sich aus dem Duschraum raus. Er versuchte weiter keine Geräusche zu machen, bis er die Umkleidekabinen verlassen hatte. Dann rannte er los.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Verdammt! Er hatte so viele Gelegenheiten gehabt, einfach zu verschwinden und einfach alles zu vergessen, was er gesehen hatte. Stattdessen war er da geblieben und hatte jeden Moment so tief in seine Seele eingesaugt, dass er jetzt mit der härtesten und schmerzhaftesten Erektion, die er jemals hatte, zum Schloss rannte, als sei der Dunkle Lord persönlich hinter ihm her. Alles in seinem Körper schrie, dass er sich Erleichterung verschaffen sollte. Einfach diesem alles verzehrendem Drang nachgeben. Hier und jetzt. Mitten in dem Labyrinth der Kerker von Hogwarts. Aber er würde dem nicht nachgeben. Verdammt! Er würde sich nicht auf Harry fucking Potter einen runterholen. Egal, wie heiß dessen Körper war. Egal, wie sehr ihn die Show angemacht hatte. Egal, ob er gerade den härtesten Ständer seines Lebens hatte. Merlin, verdammt. Er brauchte dringend eine kalte Dusche, musste die Bilder und seine Erregung wegspülen.   Draco war völlig außer Atem als er endlich im Gemeinschaftsraum der Slytherins angekommen war. Das Passwort hatte er mehr gejapst als gesprochen. Gut, dass der Eingang zu ihrem Gemeinschaftraum eine einfache Steinmauer war, die einfach zur Seite glitt, wenn man ihr das Passwort sagte. Er hatte gehört, dass die Gryffindors häufiger gezwungen waren, mit einem launischen Portrait zu diskutieren. Selbst wenn sie das richtige Passwort nannten, kamen sie anscheinend nicht immer sofort in ihren Raum. Wie lächerlich. Nur ein dämlicher Gryffindor konnte sich mit so etwas rumschlagen. Ein Slytherin hätte dieses launische Bild schon längst zu Asche gehext, wenn es seine Aufgabe nicht ordnungsgemäß erfüllte. Wozu war es sonst gut? Und in seiner Verfassung hatte er bestimmt nicht die Nerven, mit so einer Verschwendung an Farbe und Magie zu diskutieren, weil seine Aussprache in seinem abgehetzten Zustand nicht einwandfrei war.   Draco hatte gehofft, dass alle noch beim Abendessen waren und er ungesehen zu den Duschen kommen würde. Aber es wohl mehr Zeit vergangen, als er angenommen hatte. Eine kleine Gruppe Mädchen aus verschiedenen Jahrgängen hatte sich um den Kamin versammelt. Draco konnte noch Astoria Greengrass, die jüngere Schwester seiner Klassenkameradin Daphne, erkennen, die mit hochrotem Gesicht aus seinem bevorzugten Sessel gesprungen war, als sie ihn erkannte.   „Draco! Was ist denn mit dir los?“ „Nicht jetzt, Pansy!“, grollte er zurück. Nur schnell weiter. Er war jetzt definitiv nicht in der Verfassung, sich mit zwei pubertären Teenagerinnen auseinanderzusetzen. Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, eilte er an ihnen vorbei. Ihm war völlig egal, dass sie ihn so sahen. Abgehetzt, durcheinander, aufgeregt – auch wenn ihnen der Grund dafür nicht bekannt war – so völlig entgegen seines sonst so lässigen Verhaltens, dass es unweigerlich Fragen nach sich ziehen werden würde. Über diesen Punkt war er längst hinaus. Alles, was er im diesem Augenblick wollte, alles, was in diesem Augenblick für ihn zählte, war eine eiskalte Dusche, die alles in ihm betäubte, vor allem dieses unbändige Verlangen, dass in seinen Adern tobte.   Endlich war Draco bei den Duschen angekommen. Aber anstatt wenigstens einmal an diesem Tag, Glück zu haben, war er auch hier nicht allein. Theodor Nott war ebenfalls mit im Raum. Er war gerade fertig mit Duschen und trocknete sich die Haare mit einem grünen Handtuch mit silbernen Schlangenmotiv. Ohne großartig darüber nachzudenken, schnappte Draco sich dessen Sachen und warf sie durch sie Tür. „Verschwinde!“, blaffte er ihn an.   „Was ist dein Problem?“, fragte Theodor überrascht.   Draco antwortete nicht, sah ihn einfach nur herausfordernd an. Er konnte beobachten, wie Theodor Gedanken rasten, wie er darüber nachdachte, ob ihn die Antwort auf diese Frage wirklich interessierte und ob sie eine Auseinandersetzung mit Draco wert sei und erkannte den Moment, in dem sich der andere Slytherin dagegen entschied. Theodor wusste sehr gut, wozu Draco in der Lage war und das wollte er ganz sicher nicht am eigenen Leib erfahren. Also beeilte er sich, die Gemeinschaftsdusche zu verlassen, gerade als Dracos nächstes, beinahe schon bedrohlich klingendes „Verschwinde einfach!“ kam.   Draco war froh, dass es bloß Theodor in den Duschräumen gewesen war. Theodor würde keine weiteren Fragen stellen, sonders es einfach auf sich beruhen lassen. Er mischte sich nie in die Angelegenheiten anderer ein. Er war ein treuer Todesser und befolgte alle Befehle, ohne sie zu hinterfragen, weil die Ideale des Dunklen Lords seinen eigenen entsprachen. Aber darüber hinaus interessierte er sich für niemanden. Mit den Mädchen würde Draco allerdings weniger Glück haben. Mit denen würde er sich später noch auseinandersetzen müssen. Aber jetzt musste er sich erstmal um sich selbst kümmern. Er hätte dem ganzen auch entgehen können, wenn er einfach das Bad der Vertrauensschüler genommen hätte. Aber zum einen lag das im fünften Stock und er wäre niemals ungesehen dort hingekommen, und zum anderen konnte er sich nicht sicher sein, dass er leer gewesen wäre.   Mit einem Schlenker seines Zauberstabs, war er von seinen Sachen befreit, die schon unangenehm an seinem Körper geklebt hatten. Die Dusche stellte er so kalt wie möglich ein. Es war ein Schock, das kalte Wasser über seinen erhitzten Körper rinnen zu spüren. Trotzdem hieß er es willkommen. Die Kälte vertrieb das Brennen in seinen Adern. Er schloss die Augen und ließ das Wasser alle unerwünschten Emotionen und Gedanken wegspülen bis scheinbar nichts mehr zurückgeblieben war. Eine Welle der Erleichterung durchströmte seinen Körper. Langsam öffnete er seine Augen, seine Sicht durch einen Schleier der Tropfen, die von seinen Haarspitzen liefen und sich in seinen Wimpern verfingen getrübt. Sein Blick heftete sich auf die Wand vor ihm, an der er sich unbewusst abgestützt hatte. Sein Blick klärte sich. Einzelnen Wassertropfen rannen über die glatten Fliesen, wanderten immer weiter hinab. Genauso wie sie es auf Potters Körper getan hatten.   Wie von selbst kam die Vorstellung von Potters sonnengebräunten Rücken wieder in sein Bewusstsein, glänzend von den vielen einzelnen Wassertröpfchen, die an seiner seidigen Haut hängen geblieben waren. Ein einzelner dieser Tropfen fiel von seinen nassen Haaren, landete zwischen seinen Schulterblättern. Wie gebannt beobachtete Draco, wie dieser Tropfen Potters Wirbelsäule hinab lief. Draco fühlte das starke Verlangen, den Tropfen mit seiner Zunge aufzufangen. Aber bevor er diese Gedanken in die Tat umsetzen konnte, war der Tropfen bereits den unteren Rücken hinabgelaufen und zwischen den perfekt geformten Pobacken verschwunden. Genauso, wie kurz danach Potters Finger. Breitbeinig stand der Gryffindor vor ihm, den Rücken durchgedrückt, sein Hintern ihm leicht entgegengestreckt. Zwei seiner Finger verschwanden immer wieder in dem kleinen Loch, das sich eng um sie schmiegte. Draco konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken. Es wurde Zeit, dass er sich an dem Spiel beteiligte. In Gedanken zog der Potters Finger weg und stellte sich selbst ganz nah hinter ihn, presste seine harte Erektion in die verführerische Spalte.   Ein frustrierter Schrei verließ Dracos Lippen, gefolgt von einem schmerzverzerrten Wimmern, als seine rechte Hand gegen die Kacheln krachte. Verdammt! Die Dusche war eine dämliche Idee gewesen. Wie sollte man diese Bilder loswerden, wenn man sich an einen ähnlichen Ort begibt, an dem diese Bilder überhaupt erst entstanden sind? Die Gedanken würden ihn immer weiter verfolgen und ihn in die Knie zwingen, egal wie kalt das Wasser war.   Draco gab auf. Er konnte einfach nicht mehr. Seine Erregung war trotz des beinahe schon eiskalten Wassers kein bisschen kleiner geworden. Schmerzhaft schrie sein Schwanz nach Aufmerksamkeit. Wie sollte er das ignorieren? Er glaubte nicht, dass seine Erektion von alleine verschwinden würde. Und schon gar nicht, wenn die Bilder, wie Potter sich selbst befriedigte, sich immer und immer wieder in sein Bewusstsein drängten. Also ließ er sich darauf ein.   Draco schloss seine Augen und holte die Fantasie zurück, die er eben noch verdrängen wollte; Potter vor ihm, sein Hintern ihm entgegengesteckt. Draco rieb seinen Schwanz gegen diesen perfekten Arsch, ohne in ihn einzudringen. Er begann ganz langsam, steigerte aber kurz darauf sein Tempo, wurde immer schneller. In seiner Fantasie griff er mir seiner rechten Hand um den Gryffindor herum, um dessen Erektion zu massieren. Gleichzeitig fing er an, in den willigen Körper vor ihm zu stoßen. Normalerweise hätte er sich mehr Zeit gelassen, hätte die Fantasie ausgekostet und so weit in die Länge gezogen, bis er es nicht mehr aushalten konnte. Aber diesen Punkt hatte er schon lange überschritten. Also stieß er einfach immer und immer wieder zu, immer härter und schneller bis er sich in einem lauten Schrei auf seinen Lippen ergoss.   Einige Minuten – oder war es doch länger? – stand er einfach nur da, versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Er hob seine rechte Hand vor seine Augen und betrachtete das Ausmaß dessen, was er gerade getan hatte. Er hatte sich gerade wirklich einen auf Harry fucking Potter heruntergeholt. Er war verdammt.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Nachdem Draco fertig geduscht hatte, ging er zurück in den Schlafsaal. Die anderen Jungen aus seinem Jahrgang, mit Ausnahme von Theodor, hatten es sich auf ihren Betten bequem gemacht und diskutierten die Defensiv-Zauber, die Potter ihnen bei ihren ersten beiden Trainingsstunden gezeigt hatte. Dass Draco nackt war, als er an ihnen vorbei ging, schien niemanden zu stören. Ja, Potter hatte recht. Es war ein unglaublicher Vorteil, wenn man sein Dunkles Mal nicht verstecken musste. Noch mehr von Vorteil war es, dass es niemanden interessierte, wenn er nackt durch die Gegend lief. Sie kannten sich schon seit ihrer frühesten Kindheit und lebten seit fast sechs Jahren zusammen. Es gab nichts, was sie nicht schon gesehen hatten und Draco wusste, dass er sich für seinen Körper nicht schämen musste. Er wusste, dass er gut aussah. Kurz bewunderte er sich im Spiegel, an der Innentür seines Schrankes, bevor er sich wahllos ein paar Alltagsklamotten herausnahm. Es war schon zu spät, um sich noch in Schale zu werfen; und ganz ehrlich, er hatte es auch nicht nötig. Sorgsam achtete er darauf, dass er seine Mimik wieder unter Kontrolle hatte und seine gewohnt arrogant, distanzierte Maske des Eisprinzen trug. Mit seiner Erscheinung zufrieden ging Draco in den Gemeinschaftsraum.   Schnell überblickte Draco den großen Raum. Theodor saß wie erwartet allein in einer Ecke und las in irgendeinem Buch. Er sah nur kurz auf, als Draco den Raum betrat, nickte ihm kurz zu und widmete sich dann wieder seiner Lektüre. Solange ihn keiner ansprach und aufforderte, würde er sich keinem Gespräch anschließen. Pansy und Astoria saßen immer noch zusammen vor dem Kamin, gemeinsam mit Astorias Schwester Daphne, Millicent Bulstrode und Tracey Davis und ein paar anderen Mädchen aus niedrigeren Jahrgängen, bei denen er sich nicht die Mühe gemacht hatte, sich ihre Namen zu merken. Sollten sie irgendwann in den Reihen der Todesser aufgenommen werden, könnte er das nachholen.   Noch hatte ihn niemand aus der Gruppe bemerkt. Damit das auch noch ein Weilchen so blieb, setzte sich Draco in einen Sessel nahe der Treppe. Diese Ecke war kaum beleuchtet, da sie am weitesten von dem Kamin entfernt war und nur wenige der schwebenden Kerzen sich hierher verirrten, wenn kaum jemand in die Schlafsäle wollte. Und es würde geschätzt noch eine Stunde dauern, bevor alle in ihre Betten gehen würden. Aber Draco konnte keine Stunde mehr warten. Er brauchte jetzt ein bisschen Ruhe zum Abschalten und der Schlafsaal war leider keine Option. Es würde bestimmt nicht helfen, wenn seine Zimmergenossen die ganze Zeit von Potter redeten.   Potter.   Er konnte ihm einfach nicht entkommen. Schon irgendwie ironisch, dass er schon beinahe verzweifelt versuchte, nicht an ihn zu denken, nachdem er ihm die letzten beiden Wochen nachgeschlichen war. Draco lehnte sich in den Sessel zurück und legte einen Arm über seine jetzt geschlossenen Augen. Potter hatte sich verändert. Das war nicht zu leugnen. Es war ihm schon länger aufgefallen. Eigentlich seit ihrem vierten Schuljahr, als Potter zum vierten Teilnehmer für das Trimagischen Turnier ausgewählt worden war. Natürlich hatte er wie jeder andere auch geglaubt, dass Potter selbst seinen Namen in den Kelch geworfen hatte, um noch mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie hatten sogar Cedric Diggory – einen Hufflepuff!!! – angefeuert, nur um Potter eins auszuwischen. Mit diesem Ausgang hatte allerdings niemand gerechnet. Potter gewann, Diggory war tot und der Dunkle Lord war zurück. Obwohl, … Draco hätte wissen müssen, dass sich etwas anbahnte. Sein Vater hatte sich seit dem Quidditch-Spiel am Anfang des Jahres so merkwürdig verhalten. Immer, wenn er sich unbeobachtet gefühlt hatte, hatte wieder und wieder teils besorgt, teils hoffnungsvoll auf seinen linken Unterarm geschaut.   Zurückblickend betrachtet war es wohl dieser Moment. Der, in dem Dumbledore Potters Namen laut durch die große Halle gebrüllt hatte, dass Potter angefangen hatte, sich zu verändern. Er hatte sich immer mehr zurückgezogen, da sich auch seine beiden besten Freunde von ihm abgewandt hatten und ihm wie der Rest der drei versammelten Schulen vorwarfen, betrogen zu haben. Tolle Freunde. Als erstes dieses dämliche Wiesel. Draco selbst mag zwar arrogant und überheblich sein, aber er war nicht so von Neid zerfressen, wie dieser Blutsverräter. Und dann das Schlammblut, das tatsächlich lieber diesem Abschaum hinterhergerannt war, als sich um ihren Freund zu kümmern. Aber eines musste Draco ihr lassen. Sie hat in regelmäßigen Abständen daran gedacht, sich bei Potter einzuschleimen. Wenn sie kein dreckiges Schlammblut gewesen wäre, hätte sie mit ihrer hinterhältigen Art auch ganz gut in Slytherin reingepasst.   Nachdem Potter dann die erste Aufgabe mit Bravour gemeistert hatte, waren sie wieder plötzlich alle seine Freunde und feierten ihn hoch. Wie erbärmlich. Und auch Dumbledore hatte nie etwas getan, um seinen Goldjungen zu unterstützen. Weder mit Worten, noch mit Taten. Hat ihn genauso im Stich gelassen wie seine sogenannten Freunde. Draco hatte es nie verstanden, wie Potter Dumbledore danach noch weiter vertrauen konnte – nun, betrachtete man die jetzige Situation, hatte er das vielleicht auch nicht. Auch im nächsten Schuljahr hatte sich der Schulleiter, weiter von dem Narbengesicht abgewendet, ihn regelrecht ignoriert. Dabei hatte man es dem Jungen angesehen, dass er dringend die Hilfe des alten Mannes gebraucht hätte.   Draco hatte nie herausgebekommen, was eigentlich losgewesen war, hatte aber alles seinem Vater geschrieben. Er hatte dem Moment entgegengefiebert, in dem der Dunkle Lord Potter vernichten würde. Ohne Nachzudenken war er den Ideologien des Mannes gefolgt, den man genauso wenig umbringen konnte, wie den Jungen, der lebt. Er hatte erst alles zu hinterfragen begonnen, als sein Vater nach Askaban gebracht worden war. Die Angst, die seine Mutter gehabt hatte – nicht um seinen Vater oder um ihn, sondern um ihre Stellung und ihr Ansehen beim Dunklen Lord – hatte ihn wachgerüttelt. Draco war gezwungen gewesen, dass Dunkle Mal anzunehmen und wurde mit scheinbar unmöglichen Aufgaben betraut. Er war schlagartig in die Wirklichkeit katapultiert worden. Er konnte sich nicht länger hinter seinem Vater verstecken und musste selbst Verantwortung übernehmen. Da hatte er sich zum erstem Mal mit der Frage auseinandergesetzt, ob er das alles überhaupt wollte. Wollte er wirklich andere Menschen, ob Zauberer oder Muggel, quälen? Foltern? Töten? War der Weg des Dunkeln Lords wirklich der Richtige?   Draco begann zu Zweifeln und war zum ersten Mal in seinem Leben wirklich verunsichert. Er ließ sich das natürlich nicht anmerken. Das Familiencredo der Malfoys war ihm von seiner frühesten Kindheit an eingetrichtert worden: Sanctimonia Vincet Semper – Reinheit Wird Immer Siegen und damit auch die Verhaltensweisen, nach denen ein Malfoy zu leben hatte, um Erfolg zu haben. Die Überlegenheit und Arroganz, die er nach außen hin ausstrahlte, war sein Schutz, sein Panzer. Er ließ nie jemanden nah genug an sich heran, um verletzlich zu sein.   Das hatte Draco über die Jahre hinweg perfektioniert. Und niemand konnte seine Rüstung brechen. Niemand! Außer Harry Potter. Die Ikone des Lichts. Der Auserwählte. Ironischerweise war es genau er gewesen, seine Hassperson Nr. 1, sein Rivale seit ihrem ersten Jahr auf Hogwarts, der seine Zweifel beseitigte und ihm sein Selbstbewusstsein wieder gab.   Sein Vater war damals glücklicherweise nicht lange in Askaban gewesen. Lucius Malfoy hatte wohl doch einen gewissen Wert für den Dunklen Lord und so wurde er schon nach ein paar Wochen aus seiner Inhaftierung entlassen. Dracos Vater wurde hart, sehr hart für sein Versagen im Ministerium bestraft. Aber all der Schmerz, den er ertragen musste, änderte nichts an seiner Verehrung und Ergebenheit seinem Lord gegenüber. Draco war darüber zutiefst schockiert gewesen, behielt aber seine Gedanken für sich. Sein Vater erholte sich schnell und alles lief scheinbar wieder in gewohnten Bahnen.   Den anderen Slytherins seines Jahrgangs und dem über ihm wurde ebenfalls die Ehre zuteil, das Dunkle Mal tragen zu dürfen. Allerdings war es für sie freiwillig. Sie waren stolz. Sie hatten keine Zweifel so wie Draco. Sie mussten auch noch keine Aufträge erfüllen, nicht mal spionieren. Nur, wenn ihnen zufällig etwas auffiel, das interessant sein könnte, sollten sie es übermitteln. Und sie mussten nicht in regelmäßigen Abständen, dem Dunklen Lord Bericht erstatten. Aller vier Wochen, also genauso oft, wie es ihm laut Schulordnung möglich war, Hogwarts aus familiären Gründen zu verlassen. Manchmal nur für ein paar Stunden, manchmal das ganze Wochenende. Je nachdem, wie ihrem Lord der Sinn stand. Und es war genau so ein Treffen gewesen, als er sich plötzlich Potter gegenüber gesehen hatte. Bei ihrem Dunklen Lord. Und sie hatten sich nicht gegenseitig verflucht. Nein, im Gegenteil. Sie unterhielten sich fröhlich in Parsel. Es war schon ein Schock gewesen, als der Dunkle Lord ihm und seinem Vater eröffnet hatte, dass Potter sich ihm angeschlossen hatte. Und es hatte wirklich eine Weile gedauert, bis Draco es richtig begriffen hatte. Er war zuerst sehr skeptisch gewesen. Hatte wirklich geglaubt, Potter hatte sich irgendein Komplott ausgedacht. Aber Dumbledore hätte mit Sicherheit nie erlaubt, dass sein leuchtendes Vorbild einen schwarzen Fluch benutzte, wie er es vor zwei Wochen bei ihnen im Gemeinschaftsraum getan hatte.   Harry Potter warf mit schwarzmagischen Zaubersprüchen um sich? Harry Potter hatte sich dem Zauberer angeschlossen, der ihn schon mehrere Male töten wollte? Wenn sogar der Auserwählte bereit war, diesem Mann zu folgen, dann konnte das, was er tat, doch gar nicht so falsch sein. Unabhängig von Potters persönlichen Gründen, unabhängig von Dracos persönlichen Abneigungen gegen ihn, seit diesem Tag fühlte sich Draco wieder selbstsicherer und zuversichtlicher, war von sich und dem, was er tat, überzeugt.   Kaum zu glauben, dass ausgerechnet sein Rivale dazu beigetragen hatten. Auch wenn er dadurch nur noch mehr Aufgaben für den Dunklen Lord zu erledigen hatte.   Seine ersten beiden Aufgaben hatte Draco seiner Mutter zu verdanken, das Zauberkabinett, welches sich im Raum der Wünsche befand, zu reparieren und damit den Todessern ein Weg nach Hogwarts zu schaffen und Dumbledore zu töten. Mit der Vorstellung, jemanden direkt zu töten, hatte er immer noch Probleme. All seine indirekten Versuche waren bisher gescheitert. Die vergiftete Flasche Honigwein war zerbrochen, die Opalhalskette ist in ihrem Päckchen auf den Grund des Schwarzen Sees gesunken. Draco hat bis heute nicht verstanden, wie es dazu gekommen war. Und jetzt hatte er dank Potter noch mehr zu bewältigen. Ja, zugegeben, er war der erste Jungtodesser, der einen Rang hatte und alle anderen, mit Ausnahme von Potter, herumkommandieren konnte – das hatte er zwar vorher auch schon gemacht, aber jetzt hatte es etwas Offizielles – aber dafür musste er jetzt auch tun, was Potter ihm sagte. Und auch wenn dieser nichts Unmögliches von ihm verlangte, sondern ihn bisher nur wegen ihres Trainings bemühte, hatte es doch einen etwas bitteren Nachgeschmack. Sechs Jahre Feindschaft ließen sich eben nicht über Nacht vergessen. Und dazu musste er sich noch der am wahrscheinlichsten schwierigsten Aufgabe von allen Stellen. Herausfinden, in wen Potter verliebt war. Innerlich stöhnte Draco auf und rutschte ein Stück tiefer in den Sessel. Er hatte wirklich angenommen, dass er das schnell erledigt hätte, aber der Gryffindor war absolut diskret. Nichts, aber auch gar nichts war ihm anzumerken. Zwei Wochen und nicht mal ein falsches Augenzwinkern. Er hätte ihm ja wenigsten den Gefallen tun können und ihren Namen stöhnen, als er sich vorhin so ungeniert vergnügt hatte.   Musste er denn wirklich schon wieder daran denken? Draco öffnete seine Augen und starrte an die Decke, beobachtete die wellenartige Reflektion des Wassers, welches gräulich grün über die dunkle Decke waberte. Potter hatte sich nicht nur in seinem Verhalten verändert. Auch sein Körper hatte sich fantastisch entwickelt. Auch wenn es schwer zu beurteilen war, da Potter immer viel zu große Sachen trug, die seinen Körper vollständig versteckten, war das, was darunter verborgen war, mehr als bloß einen zweiten Blick wert. Er hatte Muskeln genau an den richtigen Stellen. Er hatte es schon gemerkt, als Potter ihn vor zwei Wochen in diesem Geheimgang an die Wang gepresst hatte. Draco hatte die Bauchmuskeln durch ihrer beiden Roben spüren können, wie sie sich perfekt an seinen Körper geschmiegt hatten. Jetzt bereute er es beinahe ein bisschen, dass er dieses Intermezzo so schnell beendet hatte. Von diesem Körper würde er sich gerne noch einmal gegen eine Wand pressen lassen. Verdammt! Potter dürfte ihn sogar an eine Wand fesseln, wie er es an dem Abend nach dem Treffen mit dem Dunklen Lord getan hatte, als er ihm in das leere Klassenzimmer gefolgt war, um ihn zur Rede zu stellen. In diesem Moment hatte er Potter dafür gehasst, dass er ihn so überrumpelt hatte und ihn stundenlang dort hängen gelassen hatte. Jetzt überkam ihm ein Schauer des Verlangens, wenn er sich vorstellte, Potter derart ausgeliefert zu sein. Unfähig, sich zu wehren und zulassen zu müssen, was auch immer er mit seinem Körper anstellen wollte…   Ruckartig setzte Draco sich auf. Wo kam dieser Gedanke denn her? Solche Fantasien hatte er bisher noch nie gehabt. Und dann ausgerechnet mit Potter? Vielleicht hatten die letzten beiden Wochen, in denen er den Gryffindor nicht aus den Augen gelassen hatte, seine Spuren bei ihm hinterlassen. Er fühlte sich beinahe ein bisschen besessen.   „Hey Draco, warum sitzt du denn hier hinten?“ Draco war sich nicht ganz sicher, ob er dankbar oder genervt sein sollte, dass er so abrupt aus seinen Gedanken gerissen wurde. Als er aber in die braunen Augen seiner Exfreundin blickte, entschied er sich für letzteres. „Komm doch mit an den Kamin. Wir haben noch Platz für dich.“, sagte Pansy mit einem Unterton, der wohl verführerisch klingen sollte. Seine Augen folgten ihrer Handbewegung und blieben an seinem Lieblingssessel hängen. Der Anblick der Fluchnarbe löste immer noch eine leichte Übelkeit in ihm aus. Astoria hatte sich neben den Sessel gestellt und schaute erwartungsvoll zu ihnen hinüber.   „Ich wollte einfach meine Ruhe, Pansy.“, erwiderte er abweisend. Er hatte jetzt keine Nerven, sich mit zwei Mädchen auseinanderzusetzen, von der die eine versuchte, ihn mit plumpen Anmachversuchen zu verführen und die andere ihm immer wieder schüchterne Blicke zu warf und keinen vollständigen Satz in seiner Nähe herausbrachte.   „Ach, sei doch nicht so, Draco.“ Wie Draco erwartet hatte, ignorierte sie seine Zurückweisung und setzte sich entspannt auf die Armlehne, legte sich ein Stück weiter in seine Richtung, als es der Anstand gestattet hätte. Sie benahm sich stellenweise, als wären sie immer noch ein Paar.   Draco hatte sich kurz nach Beginn des Schuljahres von ihr getrennt. Seine Eltern – besonders seine Mutter – hatten ihn zu einer Beziehung mit ihr gedrängt. Pansy wäre doch so eine hervorragende Partie, nicht nur reinblütig, sondern ihre Familie gehörte auch noch zu den Unantastbaren Achtundzwanzig. Ein weiterer Bonus, den seine Mutter nicht als so wichtig empfand, aber sein Vater anmerkte, war, dass es bisher keine Verwandtschaftsverhältnisse zu den Parkinsons gab. In einer Zeit, in der so extrem auf die Reinheit des Blutes geachtet wurde, war Inzucht auch ein großes Thema, wenn auch hinter verschlossenen Türen. Und das schlimmste war, dass er sich das auch noch selbst zuzuschreiben hatte. Er war ja so dumm gewesen und hatte sie zum Weihnachtsball beim Trimagischen Turnier eingeladen. Wenn er das nicht begonnen hätte, wären seine Eltern vielleicht nicht mal auf diese Idee gekommen.   Pansy hatte Draco angehimmelt und ihm jedes Wort nachgeplappert. Er fand diese Eigenschaft damals unterhaltend und dachte, sie wäre die perfekte Freundin. Aber wie sich herausstellte, war ihre Gesellschaft eher ermüdend. Wenn jemand keine eigene Meinung hatte, waren die Gespräche sehr einseitig. Und der Sex konnte diesen Mangel auch nicht ausgleichen. Mit Pansy war jeder Aspekt einer Beziehung einfach nur langweilig.   Draco versuchte, ein Stück von Pansy wegzurücken, aber das würde zu einer eher unbequemen Position führen. Damit war der Abend wohl vorbei. Er stand auf und war im Begriff zu gehen. Aber Pansy konnte man einfach nicht so leicht abschütteln.   „Jetzt warte doch mal. Wieso rennst du denn schon wieder weg? Du warst vorhin schon so komisch. Bist einfach an uns vorbeigerannt und hast mich völlig ignoriert.“ Pansy zog einen Schmollmund, der so gar nicht in ihr molliges Gesicht passen wollte. Wenn das verführerisch sein sollte, sollte sie das unbedingt noch mal vor einem Spiegel üben. Am besten einen besonders kratzbürstigen, der ihr eiskalt ins Gesicht sagte, dass sie nicht attraktiv und schon gar nicht sexy war und dass nichts auf der Welt helfen konnte, um das zu ändern. Vielleicht glaubte sie es ja, wenn es ihr etwas sagte, in dem ihr eigenes Gesicht zu sehen war.   Er war wirklich froh, dass er sich über seine Eltern hinweggesetzt und mit Pansy Schluss gemacht hatte. Ihr Verhalten war absolut unerträglich und inakzeptabel für eine Reinblüterin. Das hatte sogar seine Mutter eingesehen, der ihr Ruf über alles ging. Bei Pansys Verhalten musste er unwillkürlich jedes Mal an seine Tante Bellatrix denken, die sich immer wieder ihren Dunklen Lord an den Hals warf und das völlig ungeniert, unabhängig, wer in der Nähe war. Selbst wenn es sich dabei um ihren eigenen Ehemann handelte. Diesen Fakt ließ er allerdings bei seiner Mutter unerwähnt.   „Liebste Pansy.“ Sein Ton war so schneidend kalt, dass selbst Pansy, die normalerweise unempfänglich für Dracos bedrohliche Ausstrahlung war, weil sie sie schlichtweg ignorierte, einen Schritt zurück wich und ihn vorsichtig durch ihre schwarzen Haare hindurch anschaute. „Ich bin dir keine Erklärung schuldig. Was ich tue oder nicht tue, geht. Dich. Nichts. An. Und wenn ich keine Lust habe, mich mit dir zu unterhalten, gehe ich einfach. Du bist nicht meine Freundin und ich bin nicht dein Freund. Und das wird auch nie wieder der Fall sein. Deine Verführungsversuche sind allenfalls peinlich. Such dir jemand anderen, den du mit deinem unangebrachten Verhalten in Verlegenheit bringen kannst. Ich stehe nicht mehr zur Verfügung.“ Mit diesen Worten drehte er sich von ihr weg und ging die Treppen hinunter, zurück in seinen Schlafsaal. Ihm war egal, wie Pansy auf seinen Ausbruch reagierte. Er hatte laut genug gesprochen, dass die meisten im Gemeinschaftsraum ihn hatten hören können. Das gab genug Aufregung und Tratsch. Sein eigenes merkwürdiges Verhalten eine Stunde zuvor, würde nicht mehr erwähnt werden. Da war er sich sicher.   Er ging geradewegs auf sein Bett zu und ließ sich in die weichen Kissen fallen. Seine Kameraden waren immer noch in ein hitziges Gespräch über Defensivzauber und Potter vertieft.   Schon wieder Potter. Allein der Gedanke an den Namen erweckte in Draco den Wunsch, sich zu berühren und er spürte, wie das Blut in seiner Körpermitte schoss. Die Szene vorhin hatte eindeutig etwas in ihm ausgelöst, dem er sich nicht entziehen konnte. Aber selbst wenn Draco außer Acht lassen würde, dass es ausgerechnet Harry Potter war, wäre es idiotisch, dem auch nur einen weiteren Gedanken zu widmen. Das würde zu nichts führen. Potter hatte zwar die Seiten gewechselt, aber wegen eines bestimmten Mädchens. Jemand, der so etwas tat, ging nicht einfach wahllos mit jedem ins Bett. Keine Chance. Er sollte die Finger davon lassen. Er wusste es.   Aber Draco war nun einmal ein Slytherin und er wusste jetzt, was er wollte. Und er würde verflucht sein, wenn er sich nicht wenigstens ein bisschen in das Bewusstsein des Auserwählten bringen würde. So könnte er wenigstens nebenbei noch ein bisschen Spaß haben und ihre verlorene Rivalität in einem anderen Bereich wiedererwecken. Potter war heiß und Draco würde sich mit Freuden die Finger an ihm verbrennen. Mit zwei kurzen Schlenkern seines Zauberstabes hatte Draco die Vorhänge seines Bettes geschlossen und einen Stillezauber auf sein Bett gelegt. Kapitel 14: Alte Rechnungnen ---------------------------- Verdammt! Was hatte er nur getan? Was hatte er sich dabei nur gedacht? Gar nichts natürlich. Egal, wie vorsichtig er war, wenn es zu Draco kam, schaltete sein Verstand einfach ab. Wieso ließ ihn dieser Slytherin nur so die Kontrolle über sich verlieren? Harry hatte, seit er sich seine Gefühle eingestanden hatte, so penibel darauf geachtet, sich nichts anmerken zu lassen. Niemand könnte behaupten, irgendetwas über Harry Potters Liebesleben zu wissen. Noch vor einem Jahr war das anders gewesen. Jeder hatte damals mitbekommen, dass er ein nicht kleines Interesse an Cho Chang gehabt hatte. Jeder war der Meinung gewesen, ihm Ratschläge geben zu müssen und sonst einen Kommentar dazu beisteuern zu müssen. Zugegeben, er war das erste Mal in ein Mädchen verliebt gewesen, und er hatte wirklich Hilfe benötigt, aber im Nachhinein hatte sich diese Hilfe mehr als hinderlich als hilfreich erwiesen. Das war ihm eine Lehre gewesen. Er hatte ohnehin schon viel zu viel Aufmerksamkeit. Da musste er nicht noch mehr auf sich lenken. Und die Beziehungen oder Affären des Auserwählten waren Titelbildmaterial. Solche Journalisten wie Rita Kimmkorn würden alles ans Licht zerren und die Tatsachen verdrehen, bis das Verhältnis selbst daran zerbrochen wäre. Seine Partner wären nur lebende Zielscheiben für Voldemort. Also hatte er sich einfach von allem romantischen ferngehalten. Da er eh nicht bekommen konnte, wen er wollte, war es ihm auch nicht schwer gefallen.   Nicht, dass Harry seither völlig allein gewesen wäre. Er hatte seinen Spaß gehabt. Sex war ein gutes Mittel, um Stress abzubauen und abzuschalten. Es gab auch Möglichkeiten außerhalb von Hogwarts. Und wenn er seine Narbe verdeckte, konnte ihn niemand erkennen. Es waren definitiv genug Bilder vom ihm im Umlauf. Aber war seine Stirn verdeckt und die Narbe nicht sichtbar, sah man einfach durch ihn hindurch. Es gab keinen Jungen namens Harry Potter. Es gab nur die Fluchnarbe. Das war alles, was die Zaubererwelt an ihm interessierte.   Chang war nicht anders gewesen. Eigentlich konnte Harry froh sein, dass damals so viel schiefgelaufen war und sie nicht zu einander gekommen waren. Sie hatte ihn auch nur wegen seines Ruhms gewollt. Ihre eigene persönliche Trophäe zum Rumzeigen und Angeben. Aber nur solange er machte, was sie wollte. Und als sie gemerkt hatte, dass er nicht bereit war, ihren Knuddelmuff zu spielen, hatte sie sich einen anderen gesucht. Harry seufzte einmal tief. Es war jetzt so lange her und seitdem war so viel passiert, aber die Verbitterung darüber steckte immer noch tief in ihm.   In der Großen Halle war es fast leer. Es war schon spät und die meisten Schüler waren in ihre Gemeinschaftsräume zurückgekehrt, machten noch die Hausaufgaben für den nächsten Tag oder lümmelten vor den Kaminen und redeten fröhlich mit ihren Freunden über irgendwelche Nichtigkeiten. Nur ein paar vereinzelte Ravenclaws saßen noch an ihrem Haustisch. Es war interessant, welche Unterschiede es in ihren Lerngewohnheiten gab. Einige zogen es vor, ihr Essen herunter zu schlingen, damit sie schnell wieder in ihren Gemeinschaftsraum oder in die Bibliothek zum Lernen konnten, andere nahmen ihre Bücher gleich mit an den Tisch und waren darin so vertieft, dass sie Stunden zum Essen brauchten. Granger hätte in diesem Punkt hervorragend zu der letzteren Gruppe gepasst. Aber da sie nun mal in Gryffindor und nicht in Ravenclaw gelandet war, hatte sie viele Freunde, die genau darauf aufpassten, dass sie nicht in dieses Muster fiel. Harry dagegen zählte sich eher zu den Schlingern. Er zog die Ruhe der Bibliothek dem Krach der Großen Halle allemal vor. Nicht, dass er in diesem Punkt eine Wahl gehabt hätte. Er wurde von seinen Hauskameraden genauso gebremst wie Granger.   Aber heute war er froh, dass es auch die andere Gruppe gab, denn es war diesen Ravenclaw-Nachzüglern zu verdanken, dass er jetzt immer noch Essen auf den Tischen fand. Nicht, dass er Hunger gehabt hätte. Seine Dummheit hatte ihm gründlich den Appetit verdorben. Aber er musste etwas Essen. Es war ein anstrengender Tag gewesen und er brauchte Nahrung. Er würde heute früh zu Bett gehen und seinem Körper ein wenig von der Erholung geben, die er so dringend brauchte.   Er ignorierte die Ravenclaws, die neugierig aufsahen, als er an ihrem Tisch vorbei ging. Chang saß natürlich bei ihnen. Harry konnte ihren Blick auf sich spüren. Es war nervig. Als würde er nicht schon genug beobachtet werden. Wenigsten hatte er Draco für heute Abend verscheucht. Vielleicht würde es ja bei ihr auf die gleiche Art funktionieren? Harry schüttelte es bei dem Gedanken, sich vor ihr auszuziehen und sich vor ihr zu befriedigen. Der Gedanke war abstoßend. Er setzte sich mit dem Rücken zu ihr. Er hatte keine Lust, die ganze Zeit zu versuchen, den Blickkontakt mit ihr zu meiden. Lieber nahm er die Löcher in seinem Rücken in Kauf.   Nichts war seit Chang in irgendeine Art an die Öffentlichkeit gedrungen. Nicht mal seine ehemaligen Freunde hatten etwas über sein Sexualleben gewusst. Sie wussten nicht mal sein bevorzugtes Geschlecht. Selbst das hatte er völlig geheim gehalten. Und kaum war Draco mit ihm allein in der Dusche, hatte er nichts Besseres zu tun, als genau dieses Geheimnis zu lüften. Was wäre, wenn Draco die richtigen Schlüsse ziehen würde? Wenn er begriff, dass er gar nicht nach einem Mädchen, sondern nach einen Jungen suchen musste? Würde er es dem Dunklen Lord mitteilen? Hatte er es vielleicht schon? Das wäre mit Sicherheit sein Todesurteil. Voldemort vertraute ihm so schon nicht. Wenn er den Verdacht hätte, dass Harry ihn belogen hatte, dann würde er ihr nächstes Aufeinandertreffen bestimmt nicht überleben.   Er musste sich jetzt etwas einfallen lassen, um den angerichteten Schaden zu begrenzen. Vielleicht kam Draco ja nicht zu dem Schluss, dass es sich um Harrys Liebe um einen Mann handelte. Vielleicht dachte er nur, dass Harry etwas perverse Neigungen beim Sex mit Frauen hatte und sich gern fingerte? Das klang sogar für ihn abwegig. Und kein appetitanregender Gedanke. Er achtete nicht darauf, was er sich zum Essen nahm, füllte einfach seinen Teller mit dem, was ihm am nächsten stand.   Das Essen schmeckte wie Pappe. Nach nur ein paar Bissen fühlte er sich voll und schob seinen Teller weg. Besser als gar nichts. Vielleicht würde er sich später noch etwas von Dobby bringen lassen. Er wollte gerade aufstehen, als er bemerkte, dass Chang sich von ihrem Platz erhob. Harry überlegte, ob er es ignorieren und einfach mit ihr zusammen gehen sollte, blieb dann aber doch sitzen. Auf den peinlichen schweigsamen Aufstieg zu den Türmen konnte er verzichten. Aber Chang ging nicht zum Ausgang. Stattdessen ging sie genau auf ihn zu. Am liebsten wäre er jetzt aufgestanden und in die andere Richtung verschwunden. Aber es gab keinen offensichtlichen Grund für ihn, diesen Weg einzuschlagen und er wollte kein unnötiges Misstrauen erwecken. Also wartete Harry geduldig ab, bis sie neben ihm stand und mit einem vorsichtigen Lächeln auf ihn herabblickte.   „Hi, Harry. Darf ich… Darf ich mich setzen?“ Harry starrte sie mit gespielter Überraschung einen Moment lang an, bis sein Miene ausdruckslos wurde und er auf dem Platz ihm gegenüber deutete. Sie hatten seit ihrem letzten Streit am Ende des letzten Schuljahres kein Wort mehr miteinander gesprochen. Und er war nicht traurig darüber gewesen. Als sie aus dem Weg war, hatte er endlich Zeit gehabt, sich mit seinen anderen Gefühlen auseinanderzusetzen, die er bis dahin einfach nicht wahrnehmen wollte.   Chang saß leicht zusammengekauert auf der Bank, schaute unsicher zu ihm herüber. Sie öffnete ihren Mund, um ihn gleich darauf wieder zu schließen. Ihre Nervosität war nervenaufreibend und Harry hatte eigentlich keine Geduld, zu warten bis sie endlich ihre Sprache wiedergefunden hatte. Andererseits wollte er ihr auch nicht helfen. Er hätte einfach gehen können, aber sein Ruf als Goldjunge musste in Takt bleiben. Und die restlichen Ravenclaws beobachteten sie jetzt genau. Man konnte nicht von ihm erwarten, dass er sich ihr gegenüber über die Maßen freundlich oder zuvorkommend verhielt, nachdem was zwischen ihnen vorgefallen war, aber er müsste sich zumindest anhören, was sie zu sagen hatte. Wenn nur endlich Wörter aus ihrem Mund kämen.   Nach drei weiteren Anläufen schaffte sie es dann endlich, ihrer Stummfischmimik ein paar Töne beizufügen. „Weißt du… ich hatte überlegt… wir sind letztes Jahr nicht gerade im Guten auseinandergegangen. Und wir hatten nicht mal die Gelegenheit, uns auszusprechen und…“ Ihre Stimme zitterte leicht. Sie gab ihm ein entschuldigendes kleines Lächeln, welches ihn vor einem Jahr noch hätte schwach werden lassen. Aber die Zeiten waren vorbei.   „Und… was?“, fragte Harry kalt. Er hatte eine wage Ahnung, worauf dieses Gespräch hinauslaufen sollte.   „Ich dachte, … es ist jetzt so viel Zeit vergangen. Vielleicht… Vielleicht könnten wir noch einmal über alles reden und vielleicht… noch mal… noch mal von vorne anfangen?“   Harrys Blick blieb unverändert. Er hatte schon mit so etwas gerechnet. Seit ihrer unschönen Trennung hatte sie sich von einer Beziehung in die nächste gestürzt. Keine hatte länger als zwei Monate gehalten. Und immer wieder hatte er ihre Blicke auf sich gespürt. Sogar immer häufiger, je öfter sein Name im Tagespropheten erwähnt wurde. Seit dem Vorfall im Ministerium wusste jeder, dass Voldemort wieder auferstanden war und Harry war vom Jungen-der-nur-Aufmerksamkeit-will zum Auserwählten aufgestiegen. Und das lockte natürlich solche Nogschwänze wie Cho Chang an. Aber wenn er diese Farce schon überstehen musste, konnte er auch ein bisschen Spaß dabei haben. Und was wäre lustiger, als dieses eingebildete Miststück von ihrem schnellen Besen zu stoßen? „Was meinst du mit ‚noch mal von vorne anfangen‘?“ Sie noch weiter in Verlegenheit zu bringen, schien ein guter erster Schritt. Und dazu musste er nichts weiter tun, als sich dumm zu stellen.   „Na, du weißt schon… Wir beide…“ Sie atmete einmal tief durch. Natürlich war sie es nicht gewohnt, für die Zuneigung anderer arbeiten zu müssen. Verehrer hatte sie genug und war bisher immer nur umworben worden. Wenn sie etwas wollte, genügte ein kleines Lächeln und sie bekam alles, was sie sich wünschte und noch viel mehr. Aber Harry würde sie arbeiten lassen. Und dann würde er sie eiskalt abblitzen lassen. „Ich würde gerne noch mal mit dir ausgehen.“   Harry neigte den Kopf leicht zur Seite und runzelte die Stirn. „Ich… Ich weiß nicht.“   „Ich verstehe, wenn du… wenn du immer noch wütend auf mich bist. Ich war damals sehr unfair zu dir gewesen. Wegen Hermine… und so. Ich weiß ja, dass ihr seit der ersten Klasse sehr gut befreundet seid.“ Hatte sie wirklich so lange gebraucht, um zu begreifen, dass zwischen ihm und Granger nichts lief? „Wir könnten ja zu Anfang mit Hermine und Ron zusammen ausgehen, wenn dir das lieber ist. So eine Art Doppeldate. Dann wären wir auch nicht so unter Druck?“   ‚Aaahh! Granger ist ja jetzt mit Weasley zusammen. Kein Grund mehr, eifersüchtig zu sein.‘ Er war sowieso überrascht gewesen, dass jemand, der so von sich und seinem Aussehen überzeugt war, Granger als Konkurrenz betrachten könnte.   Harry schaute sie an, als würde er über das, was Chang gesagt hatte, intensiv nachdenken. „Mmmhh. Und ich müsste nicht mit irgendwelchen ungerechtfertigten Eifersuchtsanfällen rechnen? Ich rede nicht nur von Hermine. Sondern auch, zum Beispiel Rons jüngerer Schwester. Ginny ist auch wie eine kleine Schwester für mich. Und wir verbringen viel Zeit miteinander.“ Es machte wirklich Spaß, zu beobachte, wie ihr zuversichtliches Lächeln mit jedem Wort weiter in sich zusammen fiel. Weasleys kleine Schwester war ein ganz anderes Kaliber als Granger. Man musste keine schlaue Ravenclaw sein, um zu sehen, dass diese Göre Harry nicht als Bruder sah. Wäre Chang wirklich bereit permanent mit Weasley um seine Aufmerksamkeit zu konkurrieren und sich dabei zurückzuhalten und sie nicht zu verfluchen, nur um sich seine Freundin nennen zu können? Könnte sie ihre Eifersucht im Zaum halten, auch wenn sie wusste, dass er am Abend mit Weasley zurück in den Gryffindor-Turm gehen würde, während sie allein in dem anderen Turm saß? Gespannt wartete Harry auf eine Antwort.   „Ich… Sie…“ Sie schluckte hart und Harry konnte sehen, wie ihre Entschlossenheit ins Wanken geriet. „Sie ist wie eine kleine Schwester für dich?“   „Ja, aber sicher. Sie war ja auch immer dabei, wenn ich in den Ferien mit Hermine bei Ron zu Besuch war.“ Noch ein weiterer Schlag. Oh, wie sehr er das gerade genoss.   „Ich denke… Ich denke, ich würde damit klar kommen. Wenn sie für dich wie eine Schwester ist…“ Sie gab Harry ein hoffnungsvolles Lächeln. „Ich habe nicht vor, den gleichen Fehler noch einmal zu machen. Du hattest nie irgendein Interesse an Hermine gezeigt. Ich war bloß verunsichert und eifersüchtig. Deswegen habe ich damals so überreagiert. Aber ich habe sehr lange darüber nachgedacht und mir ist dann irgendwann klar geworden, dass es niemals einen Grund dafür gegeben hatte. Sie war deine Freundin und nicht mehr. Und bei Ginevra ist es das gleiche. Ich weiß, dass du kein solches Interesse an ihr hast. Deswegen, ja! Ich verspreche dir, dass es keine solchen Eifersuchtsanfälle geben wird.“   Harry schaute sie nachdenklich an. Chang war definitiv kein Mensch, der gerne teilte. Es würde ihr schwer fallen, Harry mit seinen Freunden zu teilen, besonders mit den weiblichen. Aber sie war anscheinend so entschlossen, den Auserwählten als ihren Freund zu bezeichnen, dass sie das in Kauf nahm. Harry war enttäuscht. Er hatte gehofft, dass Weasleys Namen allein reichen würde, damit sie einknickte. Aber da hatte er ihre Entschlossenheit wohl unterschätzt. Aber wenn seine Freunde sie nicht aus der Reserve locken konnte, vielleicht taten es ja ihre.   Harry nickte ihr kurz zu, als Zeichen, dass er sie verstanden hatte und ihre Aussage so akzeptierte. Als Antwort bekam er ein strahlendes Lächeln. Zeit, den anderen Punkt anzusprechen, den ihre Beziehung damals hatte scheitern lassen, bevor sie überhaupt begonnen hatte.   „Du warst damals sehr wütend auf Hermine gewesen wegen deiner Freundin und dem Fluch, den Hermine auf das Pergament gehext hatte. Hat sich das geändert?“ Es spielte eigentlich keine Rolle, trotzdem wartete er gespannt auf ihre Antwort. Wie weit würde sie sich verbiegen, um zu bekommen, was sie wollte?   Changs Miene nahm kurz einen harten Zug an. Es war nur für einen Bruchteil einer Sekunde, sagte Harry aber alles, was er wissen musste. „Ich bin immer noch der Meinung, dass es sehr unfair von Hermine gewesen ist, uns nicht zu sagen, dass sie das Pergament verflucht hatte. Wir hatten alle ein Recht darauf zu erfahren, worauf wir uns einlassen.“   „Ihr habt alle gewusst, worauf ihr euch einlasst. Wir haben die DA gegründet, damit ihr alle die Möglichkeit habt zu lernen, wie ihr euch schützen könnt. Und wir alle haben gewusst, dass wir große Schwierigkeiten bekommen, wenn man uns entdeckt. Jeder, der dieses Pergament unterschrieben hatte, hat sich einem großen Risiko ausgesetzt.“   „Trotzdem hätte ich gerne gewusst, was ich da unterschreibe. Und Marietta hätte nie…“   „Hätte uns nie verraten, wenn sie gewusst hätte, dass wir wissen würden, dass sie es gewesen ist? Wenn sie uns nicht verraten hätte, müsste sie jetzt auch nicht mit den Konsequenzen leben. Ich finde es nur fair. Sie hat uns alle verraten und jeder einzelne hatte ein Recht, zu erfahren, dass sie es gewesen ist. Ganz ehrlich, Cho. Ich verstehe nicht, wie du sie so in Schutz nehmen kannst. Klar sie ist deine Freundin, aber sie hat dich genauso verraten.“   Chang presste ihre Lippen hart aufeinander, bis nichts weiter als eine dünne Linie übrig blieb. Harry schaute sie scharf an. „Du hast es gewusst. Nicht wahr? Du hast gewusst, dass sie vorgehabt hatte, uns zu verpetzen. Und du hast sie nicht aufgehalten. Uns nicht einmal gewarnt.“   „Nein! Das ist nicht wahr.“, rief sie etwas lauter. Sie sah nun sehr aufgeregt aus. „Ich habe es nicht gewusst. Sie… Sie… Marietta war die Tage davor schon so angespannt. Und es wurde jeden Tag schlimmer. Ich hatte gewusst, dass sie … dass sie unter Druck von Seiten ihrer Familie stand.“ Harry unterdrückte das Bedürfnis die Augen zu verdrehen. Hoffte sie, mit ihrer Stotterei Mitleid zu bekommen? „Ihre Mutter arbeitet doch im Ministerium und…“ Ihre Stimme versagte.   „Das mag alles sein, ändert aber nichts daran, was passiert ist. Wenn sie solche Schwierigkeiten damit gehabt hatte, hätte sie gar nicht erst an den Treffen teilnehmen sollen.“   „Das hat sie meinetwegen getan. Sie wollte mir einen Gefallen tun. Sie hatte von Anfang nicht bei der DA mitmachen wollen. Ich habe sie überredet.“, gab Chang kleinlaut zu.   „Warum?“, platze Harry heraus. Sie musste doch vorher gewusst haben, in welche Lage sie ihre Freundin brachte, wenn sie sie um so einen Gefallen bat.   „Ich wollte einfach nicht allein zu den Treffen.“ Sie hatten wenigstens den Anstand schuldbewusst auf ihre Finger zu starren, während Harry sie bloß verständnislos ansah. Wie egoistisch konnte ein Mensch sein? Seine Freunde in so eine Lage zu bringen, nur weil man allein zu unsicher war.   „Dann wäre es vielleicht besser gewesen, wenn du nicht zu den Treffen gekommen wärst.“, sagte er kalt.   „Aber ich wollte doch in deiner Nähe sein.“ Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als sie bemerkte, was sie eben gesagt hatte und eine leichte Röte bildete sich auf ihren Wangen. „Ich… Ich meine… Wie hätte ich dir denn sonst näherkommen sollen? Du hattest seit Ced… seit dem Trimagischen Turnier nicht mehr versucht, mit mir zu sprechen. Und ich war auch zuerst dankbar dafür. Nicht… nicht, weil ich nicht mit dir zusammen sein wollte, sondern weil ich nach Ced… weil ich noch nicht wieder bereit für eine Beziehung gewesen bin.“   Auffällig war, dass sie ihm weder in die Augen sehen, noch über Diggorys Tod sprechen konnte. War es möglich, dass sie doch so etwas wie ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie auch Diggory nur benutzt hatte? Oder lag es daran, dass ihre Gefühle für ihn wenigstens ernst gewesen waren? Harry konnte sich nicht entscheiden.   „Und mit dir zu sprechen, war fast unmöglich. Du warst ja nie allein. Immer waren Ronald oder Hermine in deiner Nähe. Als es dann hieß, dass wir uns alle regelmäßig treffen könnten, um Verteidigung gegen die Dunklen Künste zu üben und du unser Lehrer sein würdest, habe ich gedacht, das wäre meine Chance, dir etwas näher zu kommen. Aber ich konnte doch nicht allein dahin. Also hatte ich Marietta gebeten, mich zu begleiten.“   „Wusste sie, wozu sie ihre Einwilligung gegeben hat?“ Chang sah von ihren Fingern auf, Verwirrung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Harry seufzte laut auf. „Ich meine, hat sie dich zu den Treffen begleitet, weil du lernen wolltest, dich zu verteidigen? Oder hat sie dich begleitet, damit du mir näherkommen konntest?“   „Oh! Ich… Ich…“ Wieder konnte sie ihm nicht in die Augen sehen. „Ich hatte sie gebeten, mit mir zusammen Verteidigung gegen die Dunklen Künste zu lernen.“   „Ah, jetzt bin ich überrascht. Ich habe mich immer gefragt, warum Marietta mich nicht leiden kann. Sie hat mich immer so böse angeschaut. Wenn sie dich zu Treffen wegen mir hätte begleiten müssen, wäre das eine plausible Erklärung gewesen.“   „Äh, naja.“ Sie fing an ihre Finger unter dem Tisch zu kneten. Harry war zwar nicht in der Lage, Emotionen zu spüren, aber ihre gesamte Erscheinung schrie nur so von Nervosität und Schuld. Sie haderte mit sich, ob sie weiter sprechen sollte oder nicht. Ihre Augen huschten hin und her, wussten nicht, wo sie hinschauen sollten. Wechselten zwischen ihren unruhigen Händen in ihrem Schoß und Harrys, die vor ihm unbewegt auf dem Tisch lagen, die Finger ineinander verschränkt. Hastig sprach sie weiter. „Marietta hatte gewusst, dass ich an dir interessiert war und sie hat gedacht, dass du mich überredet hättest, an den Treffen teilzunehmen. Sie wollte auf mich aufpassen, wie sie gesagt hat.“   Das war natürlich eine noch bessere Erklärung. Aber kein Grund, den man nicht hätte beseitigen können. „Und ich nehme nicht an, dass du irgendetwas gesagt hast, um sie zu berichtigen?“   Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. Harry konnte nicht behaupten, dass er überrascht wäre. Seine sogenannten Freunde waren auch nicht besser. Sie waren genauso manipulativ wie Chang. Nur mit dem Unterschied, dass Harry es rechtzeitig erkannt hatte, und sich gegen seine Freunde gewandt hatte. Marietta Edgecombe hatte da weniger Glück gehabt und musste nun für immer mit dem Wort Petze in Pickelschrift rumlaufen. Es war ein Fluch von Granger. Der war permanent.   „Was ist nun mit uns, Harry?“ Aus seinen Gedanken gerissen, schaute Harry sie ungläubig an. Ihr Blick war jetzt wieder auf ihn gerichtet, ihre Augen flehend, beinahe verzweifelt. Sie biss sich auf die Unterlippe und sah in diesem Moment so mitleiderregend aus, dass Harry nicht anders konnte und laut loslachte. Ihm war egal, dass jetzt alle Blicke auf ihn gerichtet waren. Es waren nur noch die paar Ravenclaw im Raum und Chang würde ihnen mit Sicherheit verbieten, herumzuerzählen, dass er sie hatte abblitzen lassen. Also konnte er sich ruhig ein bisschen gehen lassen.   „Was mit uns ist? Gar nichts. Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich jemals wieder mit dir ausgehe. Nicht nachdem, was zwischen uns vorgefallen ist, und schon gar nicht nachdem, was du mir eben erzählt hast.“ Er lehnte sich ein Stück in ihre Richtung, beobachtete die wechselnden Emotionen in ihrem Gesicht. Ihre dunkelbraunen Augen blickten schockiert, dann ungläubig auf ihn herunter. Sie hatte wirklich gedacht, dass sie ihn mit ihrer Mitleidstour rumkriegen würde. „Du benutzt sogar deine beste Freundin, um zu bekommen, was du willst. Nicht nur, dass du Marietta unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, zu den Treffen überredet hast, du hast auch noch gewusst, dass sie Probleme damit hat und als es schlimmer wurde, hast du nichts getan, um ihr zu helfen. Stattdessen hast du sie im Stich gelassen. Ich muss mich wohl bei Marietta entschuldigen. Wie es aussieht, ist nicht sie die Verräterin, sondern du. Du hättest diesen Fluch verdient.“   Bei diesen Worten stand Chang ruckartig auf und stürmte aus der Halle, ohne Harry oder ihre Freundinnen noch eines Blickes zu würdigen. Amüsiert beobachtete Harry, wie die Ravenclaws eilig ihre Sachen zusammenpacken und ihr hinterher rannten. Er konnte nicht glauben, dass Chang ernsthaft geglaubt hatte, dass er noch mal mit ihr ausgehen würde. Er hätte eher Lust, ihr einen richtigen Denkzettel zu verpassen. Sie hätte es wirklich verdient, mit diesen Pusteln im Gesicht herumlaufen zu müssen. Nur nicht mit dem Wort Petze. Schlampe würde besser zu ihr passen. ‚Das müsste sich doch eigentlich bewerkstelligen lassen…‘ Ein kleines teuflisches Grinsen legte sich auf Harrys Züge. Ja, dann würde sie niemanden mehr ausnutzen können. Keiner würde mehr mit ihr was zu tun haben wollen.   Ein kleiner Seufzer entschlüpfte seinen Lippen. Irgendwie war es schon schade. Er war schon lange nicht mehr aus dem Schloss geschlichen. Ein bisschen Ablenkung, um den Kopf frei zu bekommen, würde mal wieder ganz gut tun. Nicht, dass er dafür wirklich ein Mädchen in Erwägung gezogen hätte, und schon gar nicht Chang, aber… Harry stockte mitten in seinen Gedanken. Natürlich! Er könnte mit einem Mädchen ausgehen. Nicht ernsthaft, nur so tun als ob. Wenn er Mädchen datete, würde doch niemand vermuten, dass er auf Männer stehen könnte. Damit könnte er Draco von dem Gedanken abbringen. Das wäre zwar nicht fair den Mädchen gegenüber, aber das würde er in Kauf nehmen. Jetzt musste er sich nur noch entscheiden, wen er fragen sollte. Weasley würde sofort ja sagen, aber dann würde er sie gar nicht mehr losbekommen. Gryffindors waren im Allgemeinen keine gute Idee. Es würde ihn sehr einschränken, wenn er jemanden aus seinem Haus nehmen würde. Slytherins fielen genauso raus. Das könnte den falschen Eindruck erwecken und er wollte keines der Mädchen in Schwierigkeiten bringen. Eigentlich waren sie ganz in Ordnung, wenn man sie erst etwas besser kannte. Parkinson war etwas nervig, aber auch sie wollte er nicht zur Zielscheibe machen. Blieben also nur Hufflepuffs und Ravenclaws. Er wusste allerdings nicht, wer von den Mädchen gerade Single war und wer bereits in einer Beziehung steckte. Aber das hätte auch Zeit bis morgen. Morgen beim Frühstück, könnte er sich alle potentiellen Mädchen angucken und spontan entscheiden, mit wem er ausgehen wollte. Erleichtert, dass er eine Lösung gefunden hatte, schnappte er sich seinen Teller, den er noch vor Kurzem zur Seite geschoben hatte. Das Essen war zwar in der Zwischenzeit kalt, aber es schmeckte viel besser als vorher.   Als Harry kurze Zeit später auf den Weg in seinen Gemeinschaftsraum war, wurde er von zwei Raben aufgeschreckt, die plötzlich an einem Fenster neben ihm verbeiflogen und dabei mit ihren schweren Schwingen gegen Glas schlugen. Er beobachtete sie, wie sie sich in den Himmel erhoben und sich zu einer kleinen Schar gesellten, die am Nachthimmel ihre Kreise zogen. Kapitel 15: Zerbrechliche Freundschaft -------------------------------------- Am nächsten Morgen stand Harry zeitig, aber ausgeruht auf. Er hatte es am Vorabend wirklich geschafft, früher ins Bett zu gehen. Die anderen Gryffindors hatten ihn in Ruhe gelassen und sich lieber noch eilig mit ein paar überfälligen Hausaufgaben beschäftigt, dabei verzweifelt Granger angefleht, ihnen zu helfen, die das aber rigoros abgelehnt hatte. Sie hatte auf Weasleys Schoß gesessen, mit dem Rücken zum Eingang. So konnte Harry ungestört an ihnen vorbei und in den Schlafsaal gehen, wo er sich sofort hingelegt hatte. Er war heute Morgen sogar vor seinem garstigen Wecker wach geworden, der ihn aber deswegen sofort schmerzhaft in den Finger gezwickt und dann beleidigt unter seinem Bett versteckt hatte. Die nächsten Tage würde Harry sich mal wieder nicht auf ihn verlassen können.   Jetzt stand Harry im Gemeinschaftsraum und wartete auf die anderen, damit sie gemeinsam zum Frühstück gehen konnten. Er war etwas unruhig und lief die ganze Zeit vor dem Kamin auf und ab. Nicht nur, dass er Draco gleich wiedersehen würde – wie würde er wohl nach dem gestrigen Abend reagieren? – zum anderen musste er ein Date für das kommende Wochenende finden. Es war Hogsmeade-Wochenende und je schneller er seine geschlechtlichen Präferenzen klar gestellt hätte, umso eher könnte er wieder ruhig durchatmen.   Außerdem hatte er schon lange kein Date mehr gehabt. Genaugenommen hatte er bisher nur eines. Und das war mit Chang. Und das war gründlich schiefgegangen. Er hatte aber auch daraus gelernt. Es werden keine anderen Mädchen erwähnt und er würde einen eher unbekannten Ort auswählen, damit er nicht von anderen sich küssenden Pärchen unter Druck gesetzt wurde. Ihm war klar, dass er sein Date früher oder später würde küssen müssen, aber lieber später oder noch besser gar nicht. Aber für eine überzeugende Show musste Draco wenigsten einen Kuss sehen. Das würde sich nicht vermeiden lassen. Er wusste ganz genau welche Lippen er lieber küssen würde…   Harry schloss die Augen und stöhnte leise gequält auf. Solche Gedanken brachten ihn jetzt wirklich nicht weiter.   Bevor er sich seinem Selbstmitleid hingeben konnte, begann sich der Gemeinschaftsraum zu füllen. Als ersten kamen die Erst- und Zweitklässler, die auch sofort an Harry vorbeistürmten, als würde kein Essen mehr übrig sein, wenn sie bloß eine Minute später durch das Portrait gehen würden. Zwischen ihnen sah man vereinzelte Drittklässler, die noch schnell ihre Schulsachen vom Vorabend zusammen suchten und in ihre Taschen stopften. Dann sah er endlich den ersten Kopf aus seinem Jahrgang. Wie immer war es Granger, die sich als erstes von ihnen herunter bemühte. Sie schaute tadelnd auf eine Viertklässlerin, die hastig an ihr vorbeistürmte. Die Kleine grinste sie frech an und rannte dann zu ihren Freunden, die schon am Fuß der Treppe auf sie warteten. Gemeinsam gingen sie durch das Loch und zum Frühstück.   Harry beobachtete das muntere Treiben, wie immer mehr Schüler in den Gemeinschaftsraum eilten, sich in Gruppen zusammen fanden und gemeinsam zum Frühstück gingen. Auch sein Jahrgang bildete da keine Ausnahme. Nur, dass sie wirklich alle gemeinsam gingen. In der Regel war die kleine Weasley bei ihnen, aber der fünfte Jahrgang hatte donnerstags immer die ersten Stunden frei und sie nutzte die Zeit, um etwas länger zu schlafen. Zum Glück für Harry. Er konnte dieses lästige kleine Anhängsel nicht gebrauchen, wenn er ein anderes Mädchen um ein Date bitten wollte.   „Guten Morgen, Harry.“   „Guten Morgen, Hermine.“ Harry zwang sich zu einem leichten Lächeln als seine ehemals beste Freundin sich zu ihm gesellte.   „Ist alles in Ordnung mit dir? Ich habe dich gestern nach dem Training gar nicht mehr gesehen. Ron meinte nur, dass du noch den Schnatz fangen wolltest. Aber normalerweise brauchst du doch nicht so lange.“   Harry schluckte seinen Ärger hinunter. Sie wusste ganz genau, dass der Schnatz seinen eigenen Kopf hatte und alles tat, um nicht gefangen zu werden. Das längste Quidditch-Spiel hatte drei Monate gedauert. Da konnte man die halbe Stunde, die er am Vorabend benötigt hatte, nicht als lang bezeichnen. „Ich habe länger gebraucht, weil Jimmy mich mit einem Klatscher erwischt hatte. Ich musste mich also auch noch um meine Verletzung kümmern.“   „Oh, wie ist denn das passiert? Jimmy ist doch sonst so treffsicher.“ Sie sah wirklich überrascht aus. Dass es Absicht gewesen sein könnte, kam ihr gar nicht in den Sinn. „Wo hat er dich denn getroffen? Warst du schon bei Madam Pomfrey?“   Harry unterdrückte das Bedürfnis, seine Augen zu verleiern. „Nein, ich war nicht bei Madam Pomfrey. Es war nur meine Schulter und ich habe das allein hinbekommen.“   Granger schaute ihn missbilligend an. „Harry! Du solltest nicht so sorglos sein. Madam Pomfrey ist ausgebildet und kann das viel besser beurteilen als du. Was, wenn du etwas übersehen hast?“   „Hermine, bitte beruhige dich. Es ist alles in Ordnung. Ich habe genau aufgepasst und keine Stelle übersehen. Ich habe gleich danach ein paar Übungen gemacht und ich kann sie komplett bewegen und es tut nichts weh.“ Ein kurzer Schauer ging durch seinen Körper als er sich daran erinnerte, was genau das für Übungen gewesen waren und wer ihn dabei beobachtet hatte. Schnell schüttelte er die Bilder wieder ab. „Mir geht es wirklich gut.“   „Und warum hast du dann solange gebraucht?“ Sie verschränkte ihre Arme und schaute ihn mit einer leichten Ungeduld in ihrem Blick abwartend an.   Was sollte dieses Verhör? „Ich war danach noch etwas essen, wenn du nichts dagegen hast. Und entschuldige bitte, dass ich mich nicht bei dir angemeldet habe, als ich in den Turm gekommen bin. Du sahst nur sehr beschäftigt aus, wie du auf Rons Schoß rumgerutscht bist.“ Er war ihr verdammt noch mal keine Rechenschaft schuldig. Und wenn sie der Meinung war, hinter ihm her schnüffeln zu müssen – sie sollte sich doch bitte hintenanstellen – dann würde er auch entsprechend reagieren. Er musste zwar seine Tarnung aufrechterhalten, das hieß aber nicht, dass er sich alles gefallen lassen musste.   Granger wurde schlagartig rot. Aber bevor sie etwas erwidern konnte, kamen die Jungs die Treppe runter und Weasley hatte sie in den Arm genommen und geküsst. Ihre Wut, die ihr sogenannter Freund nicht einmal bemerkt hatte, war sofort vergessen.   „Guten Morgen, meine Schöne.“, lächelte Weasley Granger an, nachdem er den Kuss gelöst hatte. Sofort wurde sie noch eine Spur röter.   „Ah, Ron! Lass doch bitte dieses Süßholzgeraspel. Das ist ja zum frühen Morgen nicht zu ertragen.“ Finnigan stand gleich hinter Weasley und verzog spaßig angeekelt sein Gesicht. Dafür boxte der Rothaarige ihn leicht in den Oberarm. „Ah, ich bin verwundet. Schnell, bringt mich in die Krankenstation.“ Theatralisch hielt er sich seinen angeblich verletzten Arm und schaute mitleiderregend in die Runde. Er grinste frech, als alle anfingen, zu lachen. Selbst Granger bildete keine Ausnahme. Nur Harrys Miene blieb ausdruckslos. Er konnte an diesem gestellten Schmierentheater nichts Amüsantes finden.   „Was macht ihr denn schon wieder für Blödsinn?“, fragt Brown als sie mit Patil zusammen die Treppe vom Mädchenschlaftrakt herunterkam. Sie blieben ungefähr auf halber Stecke stehen und sahen misstrauisch zu ihnen herunter. Ihre Frage wurde völlig ignoriert.   „Na endlich kommt ihr. Ich bin schon fast am Verhungern.“, grinste Thomas sie an. „Ich dachte schon, ich müsste euch holen kommen.“   „Ich würde zu gerne mal sehen, wie du das schaffen willst. Durch den Glisseo kommst du keine zwei Meter weit.“   „Vielleicht. Aber wenn ihr euch nicht endlich beeilt, stelle ich mich auf die Treppe und sehe zu, wie ihr den Rest runterrutscht.“ Thomas ging einen Schritt auf die Treppe zu. Die Augen der beiden Mädchen weiteten sich vor Schreck.   „Ist ja schon gut, wir kommen ja schon.“, beeilte sich Patil zu sagen, bevor Thomas seine Drohung wahr machen konnte.   „Ach, Harry, du scheinst der einzige vernünftige Junge in Gryffindor zu sein.“ Brown steuerte geradewegs auf Harry zu und hakte sich bei ihm ein. Sie warf noch einen abschätzigen Blick auf das neueste Gryffindor-Pärchen und zog ihn dann Richtung Ausgang. Harry lies es über sich ergehen. Auch wenn ihre kleine Versuche, Weasley eifersüchtig zu machen absolut sinnlos waren, und die beiden sie entweder ignorierten oder belächelten, konnte er mit Browns Verhalten zumindest teilweise sympathisieren. Und er wusste, dass sie ihn loslassen würde, sobald sie durch das Loch gegangen waren.   „Ach, Lavender, jetzt übertreibst du aber. Du hast Neville völlig vergessen. Er ist ein netter Junge und hat nicht solchen Blödsinn im Kopf wie die anderen.“ Sie schaute kurz zu Longbottom, der ihr ein kleines schüchternes Lächeln schenke. Ihr Blick verzog sich kurz, bevor sie sich wieder abwandte.   Aus den Augenwinkeln nahm Harry war, dass Patil zu Longbottom ging und ihm aufmunternd zulächelte, bevor das Portrait zur Seite schwang und er mit Brown durch das Loch stieg.   Wie erwartet, ließ Brown ihn sofort los, als sie auf den Flur getreten waren. Stattdessen schnappte sie sich ihre Freundin und zerrte sie von Longbottom weg. Patil warf diesem noch einen entschuldigenden Blick zu und beeilte sich dann, mit ihrer Freundin schrittzuhalten.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Sie waren diesen Morgen etwas spät dran. Vereinzelte Schüler verließen bereits wieder die Große Halle, um sich auf ihre erste Stunde vorzubereiten. Seufzend bemerkte Harry, dass kaum noch Hufflepuffs und Ravenclaws an ihren Tischen saßen. Nur der Gryffindor-Tisch war voll besetzt – bis auf die ausschlafenden Fünftklässler – und der von Slytherin. Es ließ sich nicht vermeiden, sie mussten an allen Tischen vorbei.   Harry ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und zwang sich dazu, Draco nicht allzu viel Beachtung zu schenken. Sein Ausdruck blieb distanziert, als sein Blick kurz den des Slytherins einfing. Hatte er sich das eingebildet oder hatten Dracos Augen gerade merkwürdig verlangend aufgeblitzt. Er entschied sich, dass sein Verstand ihm einen Streich gespielt haben musste. Die Geschehnisse des gestrigen Abends hatte er immer noch nicht ganz verdaut. Er musste sich jetzt auf seine neue Aufgabe konzentrieren.   Die Gruppe nahm ihre gewohnten Plätze an dem langen Tisch der Gryffindors ein. Die Sitzordnung hatte sich ein wenig verändert, seit Weasley und Granger ein Paar geworden waren. Sie saßen jetzt Harry genau gegenüber, waren aber meistens zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie irgendetwas von ihm mitbekommen hätten. Zu Harrys Rechten saß Longbottom, neben ihm Thomas und Finnigan. Brown hatte Patil zu einer Gruppe von Siebtklässlerinnen gezogen, damit so weit wie möglich von dem Pärchen entfernt sitzen konnte. Harrys linker Platz blieb heute frei.   Harry füllte eine Schale mit Cornflakes und frischen Früchten, während er überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Er hatte das Gefühl beobachtet zu werden. Obwohl er das Gefühl schon gewohnt war, weil Draco seit fast drei Wochen nichts anderen tat, blickte er trotzdem nach oben und sah direkt in Changs dunkelbraune Augen. Sein Blick verhärtete sich und sie schaute sofort wieder weg. Sie würde bestimmt nicht so schnell wagen, ihn noch einmal anzusprechen. Und er würde ihre offene Rechnung auf jeden Fall begleichen. Er wusste nur noch nicht genau wie. Er konnte Granger ja schlecht nach dem Fluch fragen, den sie damals benutzt hatte. Das wäre zu auffällig gewesen. Und Harry selbst kannte nur schwarzmagische Flüche, die diesen Zweck erfüllt hätten. Davon war eher abzuraten.   Plötzlich drehte sich ein Mädchen zu Chang um, zeigte auf eine Stelle in einem dicken Buch, dass gegen einen schlanken Kerzenhalter gelehnt war. Dass der Kerzenhalter trotz des schweren Gewichts, das gegen ihn drückte, nicht umkippte, konnte nur an einem Zauber liegen, der Harry aber nicht vertraut war. Interessanter für ihn war aber, wie das Mädchen – Lisa Turpin glaubte Harry sich zu erinnern – und Chang miteinander umgingen. Sie schienen befreundet zu sein und das eigentlich eher unscheinbare Mädchen sah Chang mit solcher Verehrung in den Augen an, dass Harry beinahe schlecht geworden wäre. Chang dagegen genoss die Bewunderung der Kleinen.   Harry überlegte, ob das Mädchen auch gestern Abend mit in der Großen Halle gewesen war, als er und Chang sich unterhalten hatten. Er hatte nicht wirklich auf die anderen Ravenclaws geachtet. ‚Nein.‘, entschied er sich dagegen, nachdem er sich noch mal die Szene in Erinnerung gerufen hatte, wie die Mädchen nach Changs Abgang eilig ihre Sachen zusammengeräumt hatten. Damit wusste sie nicht, was zwischen ihm und Chang passiert war und Chang hatte es ihr mit Sicherheit nicht erzählt.   Harry betrachtete sie eingehend. Sie war nicht hässlich, eher nichts sagend. Er glaubte, sich dunkel zu erinnern, dass sie zusammen Zauberkunst und Verwandlung hatten. Und vielleicht auch Kräuterkunde? Harry konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Sie gehörte wohl zu den Menschen, die man sofort wieder vergaß, wenn man den Raum verließ. Außer Chang schenkte ihr niemand Beachtung. Also hatte sie auch keinen Freund. Sie sah viel zu schüchtern aus und die einzigen Jungs, die in ihrer Nähre saßen, sahen entweder in ihre Bücher oder zu Chang. Damit war die Kleine eigentlich ein perfektes Ziel für Harry. Nicht nur, um seine sexuelle Orientierung zur Schau zu stellen, sondern auch, um Chang eins reinzuwürgen. Es würde der eingebildeten Ravenclaw bestimmt nicht gefallen, wenn Harry ihr ihre unscheinbare Freundin vorzog. Und wenn Chang daraufhin mit der Kleinen nichts weiter zu tun haben wollte, hätte Harry dem Mädchen auch noch einen Gefallen getan. Es war besser keine Freunde zu haben, als dieses hinterhältige Miststück.   Harry hatte sich entschieden, wer sein Date sein sollte. Jetzt müsste er nur noch den richtigen Moment abpassen, um sie zu fragen.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Ob es nun wirklich der richtige Moment gewesen war, um ein Mädchen nach einem Date zu fragen, ließ sich bestreiten. Aber es war auf jeden Fall der perfekte Moment, um sowohl Draco wissen zu lassen, dass er sich mit einem Mädchen verabreden wollte und es Chang unter die Nase zu reiben, dass er lange über sie hinweg war – falls sie das am Abend vorher wirklich noch nicht begriffen haben sollte – und lieber ihre Freundin daten wollte als sie. Gerade als die beiden Ravenclaw aufgestanden waren und die Große Halle verlassen wollten, erhob sich Harry von seinem Platz und eilte hinterher. In der Höhe des Tischs der Slytherin hatte er sie eingeholt.   „Hey, Lisa. Warte mal.“   Überrascht drehte Turpin sich um und sah ihn mit großen Augen an. Auch Chang war stehen geblieben und beäugte ihn misstrauisch.   „Ähm. Was gibt es denn, Harry.“, fragte sie ein wenig zögerlich. Man sah es in ihrem Blick, dass sie nicht oft von Jungs angesprochen wurde.   Harry konnte die Blicke der Slytherins auf sich spüren und einer brannte ganz besonders und ging ihm so tief unter die Haut, dass er einen Schauer unterdrücken musste. Irritiert musste er sich erstmal wieder sammeln. Aber mit dem, was er als nächstes sagen würde, würde man sein kurzes Zögern als Nervosität interpretieren.   Er schenkte Turpin ein schüchternes Lächeln, was ihr augenblicklich eine sanfte Röte ins Gesicht zauberte. Harry musste zugeben, dass ihr das gut stand und sie gleich ein bisschen hübscher wirken lies. Viel lebendiger. Nicht wie der graue Bücherwurm, der sie war. „Weißt du, nächstes Wochenende ist doch Hogsmeade-Wochenende und ich wollte dich fragen, ob du hingehen willst.“ Harry schaute ihr in die Augen, die ihn nur fragend anstarrten. Ravenclaws galten im Allgemeinen als sehr intelligent. Wenn es aber zu zwischenmenschlichen Beziehungen kam, schien dieser Fakt plötzlich nicht mehr zu stimmen. Zumindest bei einigen. „Ich meine, mit mir. Ob du mit mir hingehen willst.“ Er tat ein bisschen verlegen und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Turpin würde sich bestimmt wohler fühlen, wenn er sich nicht so draufgängerisch gab, sondern eher wie der liebe, schüchterne Junge, der er noch vor einem Jahr gewesen war.   Aus den Augenwinkeln konnte er die teils überraschten, teils ungläubigen Blicke der Slytherins erkennen. Klar, die Sechst- und Siebtklässler hatten ihn ja auch in den letzten Wochen von einer ganz anderen Seite kennengelernt. Natürlich musste dieses Schauspiel auf sie befremdlich wirken, auch wenn sie wussten, dass es das Bild war, was er in der Öffentlichkeit zeigen musste. Aber es ging nicht um sie, sondern nur darum, einen bestimmten Slytherin von einem möglichen Verdacht abzubringen.   „Ich… Ich…“ Turpin war jetzt knallrot im Gesicht und bekam vor Aufregung kaum ein Wort heraus. Aber bevor sie sich soweit wieder im Griff hatte, dass sie hätte antworten können, stand eine vor Wut schnaubende Chang zwischen ihnen, packte sie brutal am Handgelenk und versuchte, sie von Harry wegzuschieben. Das arme Mädchen verzog schmerzhaft ihr Gesicht.   „Lass uns gehen, Lisa. Der meint das eh nicht ernst.“   Aber Turpin blieb wie versteinert an der Stelle stehen und sah verletzt zu ihrer Freundin hinauf. „Wie meinst du das?“   „Na, du weißt doch, dass Harry und ich letztes Jahr miteinander ausgegangen sind.“ Chang sah sie nicht mal an und bemerkte so auch nicht den überraschten Blick des Mädchens, als diese Worte unbedacht aus ihr herausplatzten.   Wütend machte sich Turpin von Chang los und rieb ihr schmerzendes Handgelenk. „Und du meinst, weil er auf dich gestanden hat, kann er jetzt nicht auch auf mich stehen?“ Da hatte sie wohl den Quaffel durch den Ring geworfen. Denn nach Changs Blick zu urteilen, hatte sie genau das damit sagen wollen.   „Nein, nein! So habe ich das doch überhaupt nicht gemeint.“, versuchte Chang sich zu verteidigen. „Ich meinte, dass ich ihn kenne und er nicht so nett ist, wie er immer tut.“   In der Zwischenzeit waren auch Weasley und Granger zu ihnen gestoßen und starrten ungeniert auf die Szene, die sich ihnen bot. Die jüngeren Slytherins fingen an, zu grinsen und ergötzten sich an dem Gratisspektakel. Nichts war schöner, als den Goldjungen von Gryffindor in einer peinlichen Situation zu erleben. Es wäre nur noch schöner gewesen, wenn einer von ihnen der Verursacher gewesen wäre. Auch die Jungtodesser machten mit. Die Scharade musste aufrechterhalten werden.   Turpin schnaubte abfällig. „Das sagst du doch nur, weil du eifersüchtig bist. Ich weiß, dass du gestern mit Harry gesprochen hast und ihn um ein Date gebeten hast. Und er hat dich abgewiesen. Und du bist nur sauer, weil er kein Interesse mehr an dir hat.“   Jetzt war Harry überrascht. Hatten die kleinen Raben also doch geschnattert. Anscheinend verlor Chang langsam ihre Macht über sie. Kurz überlegte er, ob er sich Sorgen machen müsste. Hatten sie auch erzählt, wie er sich Chang gegenüber verhalten hatte? Er war nicht unbedingt nett zu ihr gewesen. Das könnte seinen Ruf einen deutlichen Knacks geben. Aber er glaubte es nicht wirklich. Sonst wäre doch Turpin auf Changs Seite und würde ihn runtermachen und nicht sie.   Chang klappte der Unterkiefer runter und starrte ungläubig auf das Mädchen vor ihr. „Ich wollte dich bloß warnen. Aber wenn du der Meinung bist, alles besser wissen zu müssen, brauchst du nicht mehr zu mir zu kommen, wenn du Hilfe brauchst.“, sagte sie aus zusammengebissen Zähnen. Dann drehte sie sich um und verließ hocherhobenen Hauptes die Große Halle.   „Tch!“, konnte Harry Parkinsons Stimme höre. „Wird Zeit, dass die eingebildete Schnepfe mal einen Heuler bekommt. Zustimmendes Gemurmel kam von allen Seiten und Harry musste sich ein Lächeln verkneifen. Das war ja besser gelaufen, als er erwartet hatte.   „Entschuldige bitte.“, sagte Harry überzeugend schuldbewusst. „Ich wollte nicht, dass ihr euch streitet. Vergiss einfach, dass ich gefragt habe.“ Er ließ seinen Kopf ein wenig hängen und schaute traurig in die unscheinbaren Augen der Ravenclaw. Noch einmal holte er tief Luft, ließ sie mit einem kleinen Seufzer aus seinen Lungen weichen und wollte sich schon wegdrehen, als sein gekonntes Schauspiel Wirkung zeigte und Turpin ihn aufhielt.   „Nein, Harry, warte! Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest.“ Sie lächelte ihn scheu an und sammelte ihren ganzen Mut zusammen für ihre nächsten Worte. „Ich würde sehr gerne mit dir am Wochenende ausgehen.“ Als sie geendet hatte, war ihr Kopf so rot wie eine überreife Tomate.   Harry lächelte sie glücklich an. „Dann Samstag, ja? Treffen wir uns hier, nach dem Frühstück?“ Er wirkte auf einmal sehr aufgeregt.   Turpin brachte keine weiteren Worte heraus und nickte nur schnell, bevor sie sich umdrehte und eilig die Halle verließ.   „Ey, Alter. Ich gratuliere. Ich wusste gar nicht, dass du auf die Kleine stehst.“ Weasley klopfte Harry anerkennend auf die Schulter.   „Ja, Harry, warum hast du uns nichts davon erzählt?“, mischte sich auch Granger ein. Ihr Tonfall klang aber mehr vorwurfsvoll.   „Ja, Harry, warum hast du uns nichts davon erzählt? Vertraust du uns etwa nicht?“, kam es gespielt gekränkt von Tracey Davis. Die anderen Slytherin lachten laut.   Granger verzog daraufhin abschätzig ihr Gesicht, was die Schlangen nur noch lauter lachen ließ. Daraufhin schnappte sie sich Harry und Weasley und schob beide an ihren Oberarmen vor sich her.   Harry sah nicht, wie ein gewisser Slytherin verärgert seine Augen zu Schlitzen verengte. Kapitel 16: Macht und Wille --------------------------- Harry rieb sich über seine Augen und musste ein Gähnen unterdrücken. Er saß zusammen mit Granger und Weasley im Zauberkunst-Unterricht, in dem Professor Flitwick über Gedächtniszauber referierte und dabei immer wieder betonte, wie gefährlich eine unbedachte Anwendung von erinnerungsverändernden Zaubern und erst recht von Vergessenszaubern sei. Mit einigen Vergessenszaubern konnte man bestimmte Erinnerungen des Opfers löschen, andere konnte man durch den eigenen Willen beeinflussen und von einigen Minuten bis das gesamte Gedächtnis auslöschen. Dabei schüttelte der kleine Zauberer traurig seinen Kopf und erinnerte an Gilderoy Lockhart, der seit vier Jahren im St.-Mungo-Hospital auf der Langzeitstation für irreparabel Fluchgeschädigte lag.   Weasley sah Harry bei diesen Worten an und grinste schief. Harry ignorierte ihn und schaute wieder nach vorn. Seiner Meinung nach war Lockhart viel zu gut weggekommen. Er lag in einem warmen Bett und angeblich bekam er immer noch hin und wieder Post von einigen Fans seiner Bücher, in denen er von Abenteuern berichtete, die er nie erlebt hatte. Um sie als seine eigenen ausgeben zu können, hatte er den eigentlichen Helden das Gedächtnis gelöscht. Und weil nun sein eigenes ebenfalls gelöscht war, wusste niemand mehr, wer diese Heldentaten wirklich vollbracht hatte. Lockhart hatte so vielen Hexen und Zauberern einen Teil ihres Lebens unwiderruflich weggenommen. Dafür gehörte er nach Askaban. Es gab nur leider niemanden, der ihn deswegen anklagen würde.   Nicht einmal Dumbledore kümmerte es noch. Dabei hatte er damals diesen Blender eingestellt, um ihn bloßzustellen. Natürlich alles auf Kosten der Schüler, die in diesem Jahr mal wieder nichts in Verteidigung gegen die Dunklen Künste gelernt hatten. Und dabei hatte der Alte immer vermutet, dass Voldemort nicht wirklich tot gewesen ist. Und nachdem dieser mit Quirrell versucht hatte, den Stein der Weisen zu stehlen, war es nötiger denn je, einen kompetenten Lehrer in diesem Fach zu haben. Stattdessen bekamen sie diesen selbstverliebten Pfau. Wie die Schüler damals ihre ZAG- und UTZ-Prüfungen geschafft hatten, war Harry ein absolutes Rätsel.   Harry schluckte seine Wut hinunter und versuchte, sich wieder auf den Unterricht zu konzentrieren. Mit mäßigem Erfolg. Sie sollten noch die Bewegungen und Zaubersprüche üben, durften aber die Vergessenszauber selbst nicht an ihren Mitschülern ausprobieren. Ein Verbot, das auch dank Lockhart und seiner Dummheit entstanden war. Für Harry, der bereits erfolgreich einen schwarzmagischen Gedächtniszauber angewendet hatte, war das alles mehr als langweilig. Er übte nur halbherzig und beobachtete lieber seine Mitschüler.   Sein Blick fiel als erstes auf Turpin, sein Date in zwei Tagen. Sie übte einen Vergessenszauber. Soweit er das beurteilen konnte, stellte sie sich dabei nicht blöd an. Ihre Handbewegungen – ohne Zauberstab natürlich – waren präzise und die Betonung der Worte waren perfekt. Er bezweifelte, dass sie genug Willenskraft besaß, um jemandes Gedächtnis vollständig auszulöschen, aber für ein paar Minuten sollte es reichen. Als ob sie merken würde, dass er sie beobachtete, hob sie den Kopf und lächelte ihn scheu an. Er erwiderte kurz ihr Lächeln und wendete sich dann wieder ab.   Er ließ seinen Blick weiter wandern und blieb dann bei Draco hängen, der nicht daran dachte, sich an den Übungen zu beteiligen. Der Slytherin saß etwas weiter in der Ecke als üblich, halb im Schatten verborgen, als wollte er sich verstecken. Aber Harry konnte dennoch seine düstere Miene erkennen, wusste aber nicht, warum er in so einer schlechten Stimmung war. Selbst die anderen Slytherins hatten etwas Abstand zu ihrem Prinzen genommen. Es schien beinah, als hätte er eine unsichtbare Mauer aus Eis um sich herum aufgebaut. Harry war neugierig was ihn in so schlechte Stimmung versetzt hatte. Er würde ihn später fragen, wenn sie beim Training waren.   Harry riss sich von dem Anblick los und drehte sich wieder um. Granger schaute ihn missbilligend an. Er hob fragend eine Augenbraue und sie deutete auf das Buch vor ihm, in dem die Handbewegungen und die Zaubersprüche beschrieben waren.   „Welcher soll’s sein?“, fragte er leicht genervt. Er hatte ihre Auseinandersetzung am Morgen noch nicht vergessen.   Sie zeigte mit der Spitze ihres Zauberstabs auf einen Spruch, mit dem man vergessenen frühkindliche Erinnerung heraufbeschwören konnte und blickte ihn herausfordernd an. Harry musste ein selbstgefälliges Grinsen unterdrücken. Er richtete seinen Zauberstab auf Granger, die erschrocken ihre Augen aufriss, bevor sie einen überraschten Ausdruck annahmen. Dann fing sie an, zu lächeln. Harry konnte genau den Moment erkennen, in dem die Erinnerung zu Ende war. Sie schüttelte sich kurz und schaute Harry mit großen Augen an.   „Das… das war… ein ungesagter Zauber.“, stammelte sie. „Und du hast den Zauber gleich beim ersten Mal geschafft… Ohne Worte.“   „Der Spruch ist ja nun nicht so schwer. Das schaffst du bestimmt auch.“, erwiderte er trocken.   Sie wussten beide, dass das nicht stimmte. Der Spruch war schwer und erforderte selbst mit Worten ein hohes Maß an Konzentration. Granger hatte diesen ausgewählt, um Harry vorzuführen. Aber sie unterschätzte den Auserwählten gewaltig. An irgendeinen Punkt kam man mit auswendiggelerntem Wissen nicht mehr weiter. Dann zählten allein die Macht, die man hatte, und der Wille, diese zu benutzen. Granger war im Vergleich zu den meisten Schülern eine mächtige Hexe, aber auch ihr Potential hatte Grenzen, an denen sie langsam angekommen war. Harry dagegen war jetzt schon um einiges stärker als sie und er konnte spüren, dass sein Potential noch lange nicht erschöpft war.   Er lächelte sie versöhnlich an – immerhin durfte er sie nicht völlig gegen sich aufbringen – und schaute dann wieder in sein Buch, um wenigstens so zu tun, als würde er sich die anderen Zauber auch noch anschauen. Aus den Augenwinkeln erkannte er, wie Granger ihn durch zusammenpresste Augen anstarrte. Sie hatte ihn zwar immer angespornt, mehr zu lernen, aber sie hatte nie erwartet, dass er sie überholen könnte. Sie war wütend und verunsichert. Harry war zufrieden mit sich.   Weasley, der neben ihnen saß, bekam von alldem nichts mit.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Harry war froh, als die Stunde vorbei war. Er konnte Granger und ihre ihn durchbohrenden Blicke nicht länger ertragen. Glücklicherweise war das ihre letzte gemeinsame Stunde für den Tag gewesen. Nach dem Mittagessen hätte sie noch Arithmantik und er konnte sich ganz auf sich selbst konzentrieren. Nur noch das Essen überstehen.   Sie packten ihre Sachen zusammen. Turpin ging an ihnen vorbei und lächelte Harry schüchtern an, bevor sie eilig weiter ging. Weasley rempelte ihn daraufhin spielerisch an und zog vielsagend seine Augenbrauen nach oben. Am liebsten hätte Harry ihm sein süffisantes Grinsen aus dem Gesicht geschlagen. Eine untypische Reaktion für einen Zauberer. Aber für jemanden, der unter Muggeln aufgewachsen war und jeden Sommer gezwungen war, wieder zu ihnen zurückzukehren, ganz normal. Naja. Vielleicht auch nicht. Harry konnte sich nicht vorstellen, dass Tom Riddle körperliche Gewalt einem guten Fluch vorgezogen hätte. Er stellte sich den 15jährigen Tom mit erhobenen Fäusten vor und hätte fast angefangen, laut zu lachen, als etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich zog.   Wo wollte Draco hin? Normalerweise räumte der Slytherin seine Sachen ganz langsam zusammen, wenn sie gemeinsam Unterricht hatten, um hinter Harry herschleichen zu können. Aber jetzt konnte Harry spüren, wie sich Dracos Schritte schnell von ihm fortbewegten. Seine Neugierde war geweckt. Was hatte der Slytherin vor?   Harry beeilte sich und warf seine Sachen achtlos in seine Tasche. „Geht schon mal ohne mich zum Essen. Ich muss noch etwas erledigen.“ Er würde sich später eine Ausrede einfallen lassen. Ohne sich noch mal nach dem Paar umzudrehen, stürmte Harry aus dem Klassenraum.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Draco war schnell. Harry hatte Schwierigkeiten mit ihm mitzuhalten, ohne sich zu verraten. Gut, dass er seine Präsenz spüren konnte. Sonst hätte er ihn schon längst in dem Irrgarten aus Hallen und Treppen verloren. Er konnte nur mit Sicherheit sagen, dass er immer weiter nach oben ging. Sie waren jetzt in der siebenten Etage, aber wo genau, wusste Harry nicht. Er war noch niemals zuvor hier gewesen.   Es war so ruhig. Die Gänge zum Gryffindor-Turm waren mit schwatzenden Bildern versehen, denen anscheinend niemals der Gesprächsstoff ausging. Diese hier sagten gar nichts, beobachteten nur aufmerksam ihre Umgebung. Unbekannte Gesichter blickten auf ihn herab, musterten ihn misstrauisch, als ob sie wüssten, dass er nicht hierher gehörte. Beinahe verächtlich blickten arroganten Hexen und Zauberer aus ihren Rahmen auf sein Gryffindor-Emblem, das stolz auf seinem Umhang prangte. Und plötzlich war ihm klar, wo er sein musste. Ravenclaw. Irgendwo hier musste der Eingang zum Gemeinschaftsraum der Raben sein.   Was bei Morgana wollte Draco hier? Ein mulmiges Gefühl breitete sich in seinem Magen aus und er beschleunigte seine Schritte in dem Moment, als Draco seine verlangsamte. Und dann spürte er, wer bis eben noch aus seiner Reichweite gewesen war. Turpin. Das war nicht gut. Das war überhaupt nicht gut. Was hatte Draco vor? Er rannte beinahe, ignorierte dabei die Bilder, die anfingen, sich über sein Benehmen zu beschweren. Abfällige Kommentare über Gryffindors und rüpelhaftes Verhalten begleiteten seinen Weg.   Er wusste, dass er zu spät kam, als er einen Schrei hörte. Turpin taumelte aus einem Seitengang orientierungslos auf ihn zu. Sie hielt sich dabei den Kopf, als ob sie starke Schmerzen hätte. Hinter ihr kam Draco aus dem Gang und sah überrascht zu Harry. Der Slytherin blieb stocksteif stehen. Harry entschied sich, ihn erstmal zu ignorieren und sich auf das Mädchen zu konzentrieren. Turpin hatte keine offensichtlichen Verletzungen. Aber das musste nichts heißen. Es gab so viele Flüche, deren Auswirkungen nicht sichtbar waren oder erst viel später zum Tagen kamen. Er ging nicht davon aus, dass Draco so dumm war, einen schwarzen Fluch zu benutzen. Aber was hatte er mit dem Mädchen getan. Und warum? Sie verlor nun völlig ihr Gleichgewicht und Harry fing sie auf, bevor sie zu Boden fallen konnte. Ein kurzer Blick zu Draco zeigte ihm, dass dieser seine Augenbrauen missbilligend zusammengezogen hatte. Von Dracos Verhalten nur noch mehr irritiert, bekam Harry erstmal nicht mit, wie sich Turpin in seinen Armen wand und aus seinem Griff zu befreien versuchte. Erst als sie ihn anschrie, ließ er sie los.   Turpin stand vor ihm, rieb sich mit ihren Händen immer wieder über ihre Arme, wo er sie Sekunden zuvor noch festgehalten hatte, als wollte sie seine Berührung wegwischen.   Harry ging einen Schritt auf sie zu. „Lisa! Was ist los? Was hat…“   Sie hob ihren Kopf und der Blick in ihren Augen ließ ihn innehalten. Angeekelt schaute sie ihn an und wich dann einen Schritt vor ihm zurück. „Komm bloß nicht näher.“   Völlig überfordert mit der Situation schaute er zu Draco. Der Slytherin hatte eine entspannte Haltung angenommen und grinste diabolisch und zufrieden mit sich selbst. Ein Schauer ging durch Harrys Körper bei diesem Anblick, unterdrückte ihn aber sofort. „Was hast du mit ihr gemacht?“ Soweit das überhaupt möglich war, wurde Dracos Grinsen noch eine Spur breiter.   „Och, nichts weiter.“ Er kam langsam auf ihn zu. Jede Bewegung, jeder Schritt elegant und präzise, wie ein Raubtier, dass sich an seine Beute heranpirschte. Harry musste hart Schlucken, obwohl sein Mund auf einmal völlig ausgetrocknet war. Draco lehnte sich ein Stück vor und flüsterte ihm mit unschuldiger Stimme ins Ohr. „Sie hat mir nur erzählt, dass sie nun doch nicht mit dir ausgehen will.“   „Was?“ Harry konnte Dracos warmen Atem an seinem Ohr spüren und eine Gänsehaut breitete sich auf seinem ganzen Körper aus. Er konnte einen Moment lang nicht klar denken und so dauerte es, bis die Worte ihren Weg in sein Bewusstsein fanden und ihn zurück in die Wirklichkeit holten. Er riss die Augen auf und drückte Draco von sich weg. Er brauchte Abstand zu dem Slytherin, damit er wieder klar denken konnte.   Draco lachte leise, aber Harry ignorierte ihn. Er musste sich als erstes um Turpin kümmern. „Was hat er dir angetan?“   Sie schüttelte ihren Kopf und verzog daraufhin schmerzhaft ihr Gesicht. Sie presste ihre Hände gegen ihre Schläfen und ein kleiner Schmerzensschrei entwich ihrem Mund. Harry wollte wieder einen Schritt auf sie zugehen, aber sie wich ihm wieder aus.   „Er hat… Er hat mir gar nichts angetan. Komm einfach nicht näher. Hast du verstanden?“ Immer noch sah sie ihn mit Ekel in ihren Augen an.   Harry konnte nichts anderes machen, als zu nicken. Es brachte jetzt offensichtlich nichts, mit ihr darüber zu diskutieren. „Lass mich dich wenigstens auf die Krankenstation bringen. Dir geht es nicht gut.“   Wieder schüttelte sie ihren Kopf und wich noch weiter vor ihm zurück.   Draco verdrehte seine Augen und murmelte etwas, dass für Harry wie „Heldenkomplex“ klang. „Ist schon gut. Ich bringe sie in die Krankenstation.“ Draco umfasste ihren Arm und sie ließ sich ohne Proteste wegführen.   Harry blieb an der Stelle stehen und überlegte fieberhaft, was gerade eben passiert war.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Gedankenverloren ging Harry wieder hinunter zur Großen Halle. Er konnte den Weg nicht verlieren. Er musste nur Draco und Turpin folgen, bis er wieder in einer vertrauten Umgebung war. Aber auch danach blieb er auf sie fokussiert. Er war etwas überrascht, dass Draco die kleine Ravenclaw wirklich zur Krankenstation brachte. Machte er sich keine Sorgen, dass man dort rausbekommen könnte, was er mit ihr gemacht hatte? Denn, dass er etwas getan hatte, war offensichtlich, auch wenn er und Turpin es abstritten. Solche Symptome, wie das Mädchen gezeigt hatte, ergaben sich nicht aus dem Nichts heraus. Und warum sollte sie sonst Harry gegenüber so abweisend sein, wenn sie ihn nur wenige Minuten zuvor noch angelächelt hatte? Der Blick, mit dem sie ihn angesehen hatte… Angewidert, als ob Harry der ekelhafteste Zauberer der Welt wäre. Was hatte Draco nur für einen Fluch benutzt? Harry kannte keinen, der eine solche Wirkung hatte.   Sollte es ihm zu denken geben, dass er sich mehr über den Fluch Gedanken machte, den Draco verwendet hatte, als sich Sorgen, um die unschuldige junge Hexe zu machen, die diesen Fluch abbekommen hatte? Wem wollte er etwas vormachen? Über diesen Punkt war er längst hinaus. Das Mädchen interessierte ihn nicht. Er hatte selbst in der kurzen Zeit so viele schlimme Dinge getan, um den einen Zauberer zu schützen, was machte da das Leben einer kleinen Hexe schon aus? Es störte ihn eher, dass Draco seine Pläne vereitelt hatte. Vielleicht konnte er das wieder gerade biegen. Im Moment musste er abwarten. Turpin wollte ihn nicht in seiner Nähe haben. Er würde später noch einmal versuchen, mit ihr zu reden, wenn sie wieder aus der Krankenstation heraus kam. Vielleicht hatte Madam Pomfrey ja dann den Fluch schon gebrochen und er konnte mit ihr wie geplant am Samstag ausgehen. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, dass er Draco schon überzeugt hatte.   Harry ging in die Halle und steuerte auf den Gryffindor-Tisch zu. Erneut war sein schauspielerisches Talent gefragt. Er war den anderen ohnehin noch eine Erklärung für sein plötzliches Verschwinden schuldig. Die Wahrheit war besser als jede Lüge, die er hätte erzählen können. Zumal es sich herumsprechen würde, dass Turpin auf der Krankenstation war.   „Harry! Was ist denn mit dir los?“ Ausgerechnet die kleine Weasley hatte ihn als erstes entdeckt und machte sofort alle auf ihn aufmerksam und dass etwas nicht mit ihm stimmte. Er musste sehr mitleiderregend aussehen. Selbst Granger schaute ihn besorgt an, als er sich langsam auf seinen Platz setzte. Sofort waren alle Augen auf ihn gerichtet und jeder am Tisch wartete gespannt, dass ihr inoffizielles Oberhaupt das Wort ergriff.   „Es ist wegen Lisa.“, sagte Harry leise. Weasley neben ihm verzog das Gesicht. Es hätte ihn auch gewundert, wenn sie noch nicht erfahren hätte, dass er die Ravenclaw um ein Date gebeten hatte. „Ich weiß nicht, was auf einmal mit ihr los ist. Sie will plötzlich nicht mehr mit mir ausgehen.“ Das hatte zumindest Draco gesagt. Und es war Dracos Fluch. Warum sollte er daran zweifeln?   „Aber wieso denn das?“, fragte Finnigan überrascht. „Sie hat sich doch so über deine Einladung gefreut.“   „Ja, sie hat sogar Cho runtergemacht.“, bestätigte Thomas.   „Ich weiß es nicht. Sie hat nur gesagt, dass sie nicht mehr mit mir ausgehen will und dass ich mich von ihr fernhalten soll.“ Eine Weile war es völlig still an ihrem Tisch.   „Sei nicht traurig, Harry.“ Sein unerwünschtes rothaariges Anhängsel rutschte zu ihm und legte ihren Kopf auf seine Schulter, versuchte so von unten in seine Augen zu schauen. Sollte das sexy oder unschuldig wirken? Was auch immer ihre Absicht war, es ging daneben. Sie sah einfach nur lächerlich aus. „Wenn sie eben nicht will. Ich würde gerne mit dir gehen, wenn…“   „Vielleicht hat ja Cho was damit zu tun. Ich meine, …“ Beinahe dankbar schaute Harry zu Granger, weil sie die Nervensäge unterbrochen hatte. Granger sah wirklich so aus, als würde er ihr leidtun und nach einer Lösung suchen, „… vielleicht haben sie noch einmal miteinander gesprochen und Cho konnte Lisa doch überzeugen, dass sie nicht mit dir ausgeht.“ Sie sah wirklich mitfühlend und besorgt aus. Anscheinend hatte sie ihre Auseinandersetzung in dem Moment vergessen, in dem sie das Gefühl hatte, dass Harry ihre Hilfe brauchte.   Harry schüttelte den Kopf. „Nein. Was auch immer ihre Meinung geändert hat, hat nichts mit Cho zu tun. Nach der letzten Stunde hatte sie mich noch angelächelt. Dann habe ich gesehen, wie Malfoy ihr hinterher geschaut hat und dann schnell den Klassenraum verlassen hat.“ Kein Grund, zu lügen. „Deswegen bin ich vorhin so schnell weg. Ich hatte ein ungutes Gefühl und wollte wissen, was los ist.“ Er schaute auf seine Hände und knete sie unruhig, zeigte, wie unwohl er sich fühlte. Erleichtert stellte er fest, dass es Weasley dadurch zu unbequem auf seiner Schulter wurde und sie ihren Kopf wieder wegnahm. „Ich habe Malfoy aus den Augen verloren, aber kurze Zeit danach habe ich gesehen, wie sie zusammen aus einem Seitengang hinausgekommen sind.“ Nah genug an der Wahrheit.   „MALFOY!“, knurrte Weasley. „Da hast du doch deine Antwort. Dieser hinterhältige Slytherin hat sie bestimmt bedroht, damit sie nicht mit dir ausgeht, nur um dir eins reinzuwürgen.“   Thomas und Finnigan sahen sich mit einem merkwürdigen Ausdruck im Gesicht an, der deutlich zeigte, dass sie anderer Meinung waren, was sich da in dem Gang abgespielt haben könnte. ‚Klar, als ob die kleine schüchterne Ravenclaw in einem Gang mit einem Slytherin rumknutschen würde, nachdem sie sich mit einem anderen Zauberer verabredet hatte.‘ Wenn die Geschichte nicht noch weiter gehen würde, hätte Harry diesen Gedanken weiter geschürt. Es wäre bestimmt lustig gewesen, Draco zu beobachten, wenn er mit diesen Vorwürfen von den Gryffindors konfrontiert worden wäre.   Stattdessen schüttelte Harry wieder seinen Kopf. „Es sah nicht danach aus. Sie hat nicht gewirkt, wie jemand, der bedroht worden wäre oder so. Im Gegenteil. Malfoy war überraschend nett zu ihr gewesen. Hat sie sogar zur Krankenstation gebracht.“   Der ganze Tisch schaute überrascht zu Harry. Er konnte ihre verwunderten Blicke auf sich spüren und musste sich ein Lachen verkneifen.   „Wieso musste sie zur Krankenstation?“, fragte Granger vorsichtig.   „Sie sah aus, als ob sie Kopfschmerzen hätte und hat ein bisschen geschwankt!“   „HARRY!“ Seinen überraschten Gesichtsausdruck musste er nicht einmal spielen. Grangers Ausbrauch hatte ihn wirklich erschreckt. „Bist du nicht auf die Idee gekommen, dass Malfoy sie verflucht haben könnte?“, sprach sie nun wieder etwas leiser.   „Oh, glaubst du… Glaubst du wirklich?“   „Mensch, Harry! Wir reden hier von Malfoy! Natürlich ist das möglich. Das ist sogar sehr wahrscheinlich!“, pflichtete Weasley seiner Freundin bei.   Granger schaute sich in der Zwischenzeit um. „Sie sind beide nicht da. Vielleicht solltest du mal zur Krankenstation gehen und nach dem Rechten sehen. Nur zur Sicherheit.“   „Ja. Ja, vielleicht hast du recht.“ Zustimmendes Gemurmel kam von den anderen. „Ich geh dann mal. Wir sehen uns später.“ Er schaute noch mal alle an, bevor er sich erhob. Seine Blicke wurden teils mitfühlend, teils besorgt erwidert. Nur Weasley neben ihm schaute provokant weg. Als ob ihn das interessieren würde.   „Viel Glück, Harry.“   Harry verließ die Große Halle und ging zur Krankenstation. Draco und Turpin waren immer noch dort. Außer Madam Pomfrey war niemand bei ihnen. Sein Magen knurrte unangenehm. Er hätte sich irgendetwas vom Tisch mitnehmen sollen. Egal! Er würde später Dobby beauftragen, ihm etwas zu Essen in den Raum der Wünsche zu bringen.   Ein paar Meter vor dem Eingang blieb er stehen. Die Tür war zu. Wenn er hineingehen würde, würde er bestimmt sofort wieder weggeschickt werden und würde nichts erfahren. Er sollte sie vorher sicherheitshalber erst einmal belauschen. Die Räume waren schalldicht. Nichts, was einen treuen Anhänger von Weasley Zauberhafte Zauberscherze aufhalten würde. Harry grinste und einen Accio und zwei Minuten später, hielt er ein Langziehohr in seiner Hand.   Er vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war und steckte dann das eine Ende der Schnur in sein Ohr, während er das andere mit der ohrförmigen Öffnung auf den Boden legte. Die Schnur wurde immer länger und es dauerte nicht lange, bis sich das verzauberte Ohr unter der Tür durchgequetscht hatte.   „… wird nicht ewig anhalten. Aber ich kann nichts machen, um den Fluch vorher zu brechen.“ Harry konnte Madam Pomfreys Stimme erkennen. Die Zwillinge hatten nicht zu viel versprochen. Es klang wirklich so, als stünde er mit im Raum.   „Ich bin nur froh, dass die Kopfschmerzen endlich weg sind. Es ist nicht das erste Mal, dass ich einen Fluch abbekommen habe, aber solche Schmerzen hatte ich noch nie.“   „Das kann leider passieren, wenn man zwei solcher Flüche hintereinander abbekommt.“   ‚Zwei Flüche?‘   „Wer tut nur sowas?“, fragte das Mädchen mit Verzweiflung in der Stimme   ‚Derjenige steht mit im Raum.‘   „Offensichtlich jemand, der nicht will, dass du mit Potter ausgehst und zu feige ist, es dir ins Gesicht zu sagen.“   ‚Und derjenige wärst dann du selbst, mein lieber Draco.‘   „Aber dem armen Mädchen auch noch das Gedächtnis zu löschen… Dabei hätte so viel schief gehen können.“ Das war also der zweite Fluch. Aber was war der erste?   „Nur gut, dass sie da waren, Mr. Malfoy. Wer weiß, was sonst noch passiert wäre.“   ‚Pft!‘   „Ich kenne diesen Zauber nicht. Aber es ist klar, dass sie sich die nächste Zeit Mr. Potter nicht nähern sollten. Sonst setzt die Wirkung ein und sie fühlen sich von ihm abgestoßen.“   „Im Moment habe ich daran eh kein Interesse. Ich muss nur an ihn denken und es schüttelt mich überall.“   ‚Wie nett!‘ Harry wusste, dass sie nichts dafür konnte, aber er fühlte sich dennoch ein wenig beleidigt.   „Und was meinen Sie, wie lange wird die Wirkung andauern?“   ‚Was? Weißt du etwas nicht, wie lange dein eigener Fluch anhält?‘, dachte Harry spöttisch, obwohl er wusste, dass das mit zu Dracos Show gehörte.   „Das kann ich nicht genau einschätzen. Wie gesagt, ich kenne diesen Zauber nicht. Meine Diagnosezauber haben nur ergeben, dass er langsam nachlässt. Aber wie lange es dauert, bis er völlig verschwunden ist…? Ich würde schätzen, mehrere Wochen. Ich werde mich aber belesen und versuchen, dass wir ihn schneller brechen können.“   ‚Mehrere Wochen? Wirklich?‘ Harry stöhnte innerlich auf. Da konnte er sein Date mit Turpin wirklich vergessen. Er würde sicher nicht mehrere Wochen auf gut Glück warten, ob oder ob nicht der Fluch dann gebrochen war. Sie war nicht das einzige Mädchen in Hogwarts. Vielleicht war es ja auch schon genug gewesen und Draco war überzeugt, dass er auf Frauen stand. Aber wenn nicht? Er sollte lieber auf Nummer sicher gehen und sich ein neues Date suchen. Nicht für dieses Wochenende. Da würde kein Mädchen ja sagen, so kurz nachdem er ein anderes gefragt hatte. Und das hatte jeder mitbekommen. Der Nachteil, wenn man sowas in der Großen Halle machte. Zur Essenszeit. Er musste also ein bisschen Zeit verstreichen lassen und vielleicht sollte er die Nächste in einem etwas privateren Rahmen fragen. Draco hatte ihn sowieso immer im Blick und würde es mitbekommen. Er musste ja nicht ganz Hogwarts mit seinem Liebesleben unterhalten. Harry hoffte nur, dass er Draco erstmal von einem ersten Verdacht abgelenkt hatte, damit er jetzt ein bisschen Zeit hatte, um ein neues Date zu finden. Zuallererst musste er mit Turpin einen sauberen Abschluss finden. Sonst würde sein Ruf ganz gewaltig leiden.   Harry zog an der Schnur des Langziehohrs und es kam augenblicklich zurück, wurde immer kleiner. Er verstaute es schnell in seiner Tasche und klopfte dann zaghaft an der Tür, bevor er sich vorsichtig öffnete und hineinlugte.   „Ähm, Entschuldigung. Ich wollte…“   „Igh!“, kam es von dem Krankenbett, vor dem die Madam Pomfrey stand. Turpin saß darauf und schaute um die Heilerin herum. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht schien noch angeekelter zu sein als vorher, sofern das überhaupt möglich war.   „Na, na! Was ist das denn für ein Benehmen! Fluch hin oder her. Sie sind eine junge Dame und sollten sich entsprechend verhalten. Mr. Potter kann nichts dafür und ist extra herkommen, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Nicht wahr, Mr. Potter?“   Harry nickte zögerlich und warf einen traurigen Blick zu Turpin. Draco verzog verächtlich das Gesicht. Harry ignorierte ihn. Die Show war für die beiden Hexen.   „Wie geht es dir?“   „Besser, wenn du nicht in meiner Nähe bist.“ Sie drehte sich provokant von ihm weg. Gehörte das auch mit zu dem Fluch?   Er schaute sie kurz verletzt an, entschied, dass er von ihr keine Antworten bekommen würde und wendete sich direkt an die Heilerin. Draco und dessen selbstzufriedenes Grinsen ignorierte er.   „Sagen sie mir, was los ist?“ Er bemühte sich, seine Stimme besonders mitleiderregend klingen zu lassen.   „Das darf ich leider nicht ohne das Einverständnis von Ms. Turpin.“   „Malfoy weiß doch auch Bescheid.“, rief er aufgeregt. Merlin! Seine schauspielerische Leistung wäre eigentlich einen Artikel in der Hexenwoche wert.   „Mr. Malfoy hat Ms. Turpin hierher begleitet und war auf ihren Wunsch hin bei der Untersuchung dabei.“   Harry biss verärgert die Zähne zusammen. „Ich hätte sie ja hergebracht, aber sie lässt mich plötzlich nicht mehr in ihre Nähe.“   „Bei Merlin! Sagen Sie ihm doch einfach, was passiert ist, vielleicht geht er dann endlich und ich muss ihn nicht länger ertragen.“ Sie war so bissig. Das passte überhaupt nicht zu dem Bild, das er von ihr hatte.   „Also schön. Mr. Potter, wie es scheint, hat Ms. Turpin einen Fluch abbekommen, der dazu führt, dass sie sich von Ihnen, und zwar nur von Ihnen, abgestoßen, um nicht zu sagen angeekelt fühlt.“   „Oh!“ Was sollte man sonst auf so eine Aussage hin sagen?   „Die Wirkung wird zwar mit der Zeit nachlassen, aber ich kann noch nicht sagen, wie lange es dauert. Bisher habe ich keinen Gegenfluch.“   „Wer hat das getan?“ Natürlich wusste er die Antwort. Aber er würde sich keinen Gefallen tun, wenn er Draco beschuldigte.   „Das wissen wir nicht. Ms. Turpin hat ihren Angreifer leider nicht erkannt. Und auch Mr. Malfoy konnte niemanden sehen, als er sie gefunden hatte. Da hat jemand saubere Arbeit geleistet.“   Was anderes hatte er auch nicht von Draco erwartet. Aber sie wollte ihm nicht sagen, dass ihr Gedächtnis gelöscht worden war. Warum verheimlichte sie das?   „War es das dann endlich? Ich würde gerne meine Ruhe haben. Und ich kann mich nicht entspannen, solange er im Raum ist.“   „Ich gehe ja schon.“ Er schaute noch einmal traurig zu Turpin. „Unser Date am Samstag wird dann wohl nichts werden. Wir können es ja nachholen, wenn die Wirkung des Fluchs nachgelassen hat.“ Bis dahin würde er schon eine Möglichkeit finden, wie er sich einem anderen Mädchen zuwenden konnte, ohne dass sein Ruf Schaden nahm. Wahrscheinlich würde es sich eh von selbst klären. Wenn sie sich ihm gegenüber so auch vor den anderen Schülern benahm, konnte ihm keiner verübeln, wenn er sich jemand anderen suchte, Fluch hin oder her.   „Nein.“ Sie schaute ihn an und das erste Mal, seit sie von Dracos Fluch getroffen worden war, konnte er keinen Ekel in ihren Blick erkennen, sondern ehrliches Bedauern. „Ich denke nicht, dass wir das Date nachholen sollten. Wer auch immer den Fluch auf mich gehetzt hat, will nicht, dass wir miteinander ausgehen. Und bitte, nimm es mir nicht übel, aber ich möchte nicht immer darauf achten müssen, ob mich jemand verfluchen will oder nicht.“   Harry nickte verstehend und lächelte sie traurig an, um ihr zu zeigen, dass er nicht böse war. Aber sein Lächeln schien schon wieder eine Welle des Fluchs auszulösen und ihr Gesicht verzog sich wieder angewidert. Seufzend wendete er sich ab. Wenigstens brauchte er sich darüber jetzt keine Gedanken mehr zu machen.   Harry schaute noch kurz Draco, warf ihm einen Blick zu, der deutlich sagte, dass das Thema noch nicht beendet war und verließ dann die Krankenstation. Kapitel 17: Raum des Schreckens ------------------------------- Harry beeilte sich, in den Gryffindor-Turm zu kommen. Er war länger auf der Krankenstation gewesen, als er gedacht hatte. Er wollte unbedingt noch zu Weasley und Granger, bevor die Hexe in ihren nächsten Unterricht musste. Sie wollten bestimmt wissen, was bei seinem Besuch herausgekommen war und er wollte es ihnen lieber gleich erzählen, als dass sie später noch auf die Idee kommen würden, ihn zu suchen.   Er bog gerade in den Gang ab, als die beiden aus dem Portrait geklettert kamen. Granger sah ihn als erstes. „Harry! Da bist du ja. Wir haben uns schon Sorgen gemacht. Was ist passiert? Wie geht es Lisa?“   Ein kleines trauriges Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. „Ihr geht es soweit ganz gut. Zumindest, solange ich nicht in ihrer Nähe bin.“   Sie sahen ihn verwirrt an. „Was meinst du damit? Hat Malfoy…“   „Malfoy hat gar nichts getan.“, presste Harry zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Bei Merlin. Weasleys Besessenheit mit dem Slytherin war ja beinahe schlimmer als seine eigene. „Er hat Lisa lediglich geholfen, so unwahrscheinlich das auch klingen mag.“   „Was ist denn nun mit ihr passiert?“, fragte Granger vorsichtig.   „Jemand hat sie angegriffen und mit einem Fluch belegt, der dafür sorgt, dass sie sich vor mir ekelt.“   „Das ist ja schrecklich. Aber Madam Pomfrey konnte doch den Fluch bestimmt brechen?“, fragte sie hoffnungsvoll. Ihr blindes Vertrauen in die Heilerin und die Lehrer im Allgemeinen empfand Harry einfach nur als nervig.   „Nein. Sie kennt den Fluch nicht.“ Mit einem gewissen Maß an Genugtuung beobachtete Harry, wir ihr Gesicht bei seinen Worten zusammen fiel.   „Und du bist dir sicher, dass es nicht Malfoy gewesen ist? Wer soll es denn sonst gewesen sein? Hast du noch jemand anderen dort gesehen?“, fragte Weasley. Er wollte seine Theorie, dass der Slytherin der Böse war, einfach nicht aufgeben.   „Ich habe niemand anderen gesehen. Aber ich kenne mich dort auch nicht aus. Wer weiß, wo da überall Seitengänge sind. Aber Malfoy war es nicht. Warum hätte er sie sonst zur Krankenstation bringen sollen? Das Risiko wäre doch viel zu groß gewesen, dass er ertappt worden wäre.“   „Warum nimmst du Malfoy so in Schutz? Er ist ein mieser Slytherin. Wahrscheinlich hat er Lisa das Gedächtnis gelöscht und sie kann sich deswegen nicht an ihn erinnern.“ Damit hatte er genau ins Schwarze getroffen. Aber Lisas Gedächtnis wurde ja nicht gelöscht. Zumindest nicht nachdem, was Madam Pomfrey ihm erzählt hatte. Der Verdacht wäre natürlich sonst naheliegend gewesen, dass es Draco gewesen war. Deswegen hatte sie es ihm wohl nicht erzählt. Damit er nicht anfing, Draco zu beschuldigen. Nicht dumm. Und jetzt überaus hilfreich.   „Madam Pomfrey hat gesagt, dass Lisa ihren Angreifer nicht erkannt hat, nicht, dass ihr Gedächtnis gelöscht worden wäre.“, gab trocken zurück.   „Das heißt aber nicht, dass Malfoy nicht doch…“   „Ron! Das reicht. Madam Pomfrey hat das mit Sicherheit kontrolliert. Du kannst nicht immer Malfoy an allem die Schuld geben. Und wenn Harry glaubt, dass er es nicht war, dann glaube ich es auch.“   Weasley funkelte seine Freundin wütend an. Hatte Harry jetzt etwas einen Beziehungsstreit provoziert? Hoffentlich nicht. Das Theater wie vor ihrer Beziehung würde er nicht noch einmal überstehen.   Granger ignorierte die wütenden Blicke und konzentrierte sich wieder auf Harry. „Und wie geht es jetzt mit dir und Lisa weiter?“   „Sie will nicht mehr mit mir ausgehen. Auch dann nicht, wenn der Fluch seine Wirkung verloren hat. Sie hat gemeint, dass sie nicht immer aufpassen will, ob sie jemand verfluchen will oder nicht.“ Harry schaute auf seine Füße und ließ seine Schultern hängen.   „Oh, Harry! Das tut mir so leid.“, rief Granger aufgeregt und zog ihn eine tröstende Umarmung.   Harry ließ es über sich ergehen. Auch Weasley klopfte ihn aufmunternd auf den Rücken. „Danke, ihr beiden.“ Er lächelte traurig. „Aber ich habe dich jetzt lange genug aufgehalten. Du musst zum Unterricht.“   „Oh ja!“, rief sie plötzlich, als hätte sie völlig vergessen, dass sie noch Unterricht hatte. Als ob sie das je vergessen würde. „Ich muss mich beeilen. Kopf hoch, Harry. Wir reden später weiter. Ja?“   Er nickte ihr dankbar zu und hoffte, dass er das irgendwie würde vermeiden können.   „Ich begleite dich.“, rief Weasley schnell, als die Hexe sich umgedreht hatte und davon gehen wollte.   „Nicht nötig.“, antwortete sie bissig und ging einfach weiter, ohne sich noch mal zu ihrem Freund umzudrehen.   Weasley stand einfach nur da und schaute ihr hinterher. „Na dann hat sie halt Pech. Komm, Harry. Lass uns in den Gemeinschaftsraum gehen. Wir können eine Runde Zauberschnippschnapp spielen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und ging auf den Eingang zu ihrem Turm zu.   „Äh, Ron!“, sagte Harry vorsichtig. Das konnte er gerade nicht gebrauchen. Er wollte sich gleich mit den Slytherins zum Training treffen. „Ich denke, du solltest lieber Hermine hinterhergehen.“   „Wieso denn das? Die kriegt sich schon wieder ein.“, winkte er ab.   „Das glaube ich nicht. Du kennst doch Hermine. Je länger sie Zeit zum Nachdenken hat, desto wütender wird sie. Du solltest es lieber gleich klären.“   Weasley sah nicht so aus, als würde er Harry recht geben wollen. Wie ein trotziges Kind stand er vor dem Portrait. Die fette Dame schaute ungeduldig auf ihn herab.   „Ja, wahrscheinlich hast du recht.“, gab er dann doch widerwillig zu. „Ist es okay, wenn ich dich allein lasse? Ich meine…“   „Ja, klar. Kein Problem. Wirklich. Beeil dich lieber, bevor ihr Unterricht anfängt.“   „Danke, Kumpel.“ Damit drehte Weasley sich um und beeilte sich, seiner wütenden Freundin hinterherzulaufen.   Harry atmete erleichtert auf. Das hätte ihm jetzt gerade noch gefehlt. Er musste noch mal kurz in seinen Schlafsaal, die Karte des Rumtreibers und seinen Tarnumhang holen und würde dann zum Raum der Wünsche gehen.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Unter dem Tarnumhang verborgen schlich Harry durch Hogwarts. Je näher er seinem Ziel kam, desto weniger Schüler begegneten ihn. Es war erst Nachmittag und die meisten saßen in ihrem Unterricht. Zu dieser Zeit waren nur vereinzelte Sechst- und Siebtklässler anzutreffen, die ein paar freie Stunden hatten, da sie nur noch die Fächer besuchen mussten, in denen sie ihre UTZ‘ machen wollten. Aber auch von denen verirrte sich niemand in die Nähe von Harrys Bestimmungsort, was ihn ein wenig überraschte. Er hatte erwartet, dass die ehemaligen DA-Mitglieder hin und wieder den Raum der Wünsche aufsuchen würden, aber überraschenderweise hielten sie sich von ihm fern. Zumindest war es so in den letzten beiden Wochen gewesen. Vielleicht hatten sie keine Zeit? Vielleicht hatten sie sein Potential nicht erkannt und dachten, dass er lediglich zum Trainieren von Flüchen gedacht war? Oder vielleicht wollten sie einfach nur nicht an die Ereignisse zum Ende des letzten Jahres erinnert werden. Was auch immer der Grund für ihre Abwesenheit war, Harry war dankbar. Dass er den Raum der Wünsche für das gemeinsame Training mit den Babytodessern ausgesucht hatte, war schon riskant genug gewesen. Wenigstens war eine seiner Sorgen unbegründet gewesen. Aber bedauerlicher Weise kannte er nicht so viele geheime Räume in Hogwarts und die Alternative wäre noch risikoreicher gewesen. Sehr zu Harrys Bedauern.   Es wäre perfekt gewesen. Welcher andere Ort wäre besser gewesen, um die zukünftigen Todesser zu für ihren Herrn und Meister zu trainieren, als sein heimliches unzugängliches Versteck, dass seit ungefähr tausend Jahren verborgen in den Eingeweiden des Schlosses verborgen lag?   Die Kammer des Schreckens.   Selbst nach den Ereignissen in Harrys zweiten Jahr zweifelten immer noch viele an seiner Existenz. Alles sei nur ein makabrer Scherz gewesen. Niemals würde ein Monster in Hogwarts unbemerkt über Jahrhunderte lang leben können. Darüber hinaus: welches Wesen lebt denn schon so lange? Nun… Der Basilisk, der mehrere Jahrhunderte alt werden kann und auch bereits seit der Gründung von Hogwarts gelebt hat, war in der Zwischenzeit tot, verrottete in der Kammer, die für so lange Zeit sein zu Hause gewesen war. Natürlich gab es damals Gerüchte darüber, wie Harry Potter dieses Monster getötet hatte und es hatte sie wie ein Lauffeuer verbreitet. Aber so schnell, wie die Geschichte von Ohr zu Ohr getragen wurde, so schnell wurde sie auch wieder zu einem Flüstern und verstarb letztlich ganz. Niemand traute einem zwölfjährigen Schüler zu, dass er einen Basilisken töten konnte. Nicht einmal, wenn dieser Zwölfjährige Harry Potter höchstpersönlich war. Lieber glaubte man, das alles gar nicht wahr wäre. Und die versteinerten Schüler konnten unmöglich Opfer eines Basilisken gewesen sein. Immerhin waren sie nicht tot. Nur versteinert. Also weigerte man sich zu glauben und die Geschichte geriet in Vergessenheit. Genauso wie fünfzig Jahre zuvor.   Die Ignoranz der Zaubererwelt überraschte Harry immer wieder. Bei Voldemorts Rückkehr waren sie auch schon so blind gewesen. Wollten die Zeichen nicht sehen und sich lieber in einer falschen Sicherheit wiegen, bis es zu spät war. Und diese Ignoranz war auch der Grund, warum kaum jemand wusste, wo der Eingang zur Kammer des Schreckens lag. Selbst die Lehrer, die seine Geschichte glaubten – Dumbledores Fanclub – kannten den geheimen Zugang nicht. Und somit war der Eingang nie verschlossen worden. Es war auch unnötig, denn man musste Parsel sprechen können, um hineinzugelangen. Harry war der einzige an dieser Schule, der die Schlangensprache beherrschte. Sofern Voldemort es nicht irgendwie schaffte, Dumbledore an seiner langen Nase herumzuführen und einen Lehrerposten übernahm. Was für ein absurder Gedanke.   Der Schulleiter hatte Harry nie gebeten, die Kammer zu öffnen, damit er sie vollständig zerstören konnte. Mit ihren weiten Raum, getränkt in uralter dunkler Magie, tief unter dem Schloss versteckt, wäre sie der perfekte Ort gewesen. Aber wie sollte er mehrere Slytherins unbemerkt hineinschleusen? Die Maulende Myrte, die nach ihrem Tod genau das Klo, in dem sie ihren Tod gefunden hatte, als ihr neues Zuhause auserkoren hatte, hatte mit Sicherheit den Auftrag, Dumbledore sofort zu berichten, falls Harry versuchen sollte, in die Kammer zu gelangen. Und unauffällig ließ sie sich nicht öffnen. Und dann war da das Problem, dass Dumbledore in der Lage war, die Kammer zu betreten. Nicht durch den normalen Eingang, aber mit der Hilfe von Fawkes. Der Phönix wusste, wo die Kammer war und konnte ohne Vorwarnung auftauchen und das mit einem weißbärtigen, neugierigen Zauberer im Schlepptau.   Ohne Vorwarnung.   Das war der Grund gewesen, warum Harry die Idee verworfen hatte. Der Raum der Wünsche war zwar wesentlich bekannter, aber die Magie des Raumes sorgte dafür, dass niemand so einfach in dem Raum auftauchen konnte. Man musste durch die Tür und man musste den richtigen Wunsch kennen. Ansonsten zeigte sich der Eingang nicht und der leere Flur blieb ein leerer Flur mit nicht weiter als einem Wandteppich, auf dem Barnabas der Bekloppte versuchte, Trollen Ballett beizubringen.   Und genau in diesem Flur stand Harry jetzt und beobachtete den Teppich, wartete auf den richtigen Moment.   Die Trolle standen dümmlich auf einer Lichtung mitten im Wald in der Mitte des Wandteppichs. Ihre gräulich grüne Haut sah aus wie altes trockenes Leder, rissig und fleckig. Einer kratzte sich an seiner kahlen Schädeldecke, während zwei andere sich gegenseitig Insekten und Spinnen vom Körper sammelten und sich in den Mund steckten. Die übrigen beiden standen einfach nur da, starrten vor sich hin, während Rotz aus ihren Nasen lief, sich mit den Speichelfäden aus ihren Mündern verband und zäh zu Boden tropfte. Ihre Knüppel lagen achtlos auf der Seite auf einem Haufen. Sie waren dunkel verfärbt von dem Blut, mit dem das Holz immer und immer wieder während ihrer sinnlosen Prügelleien getränkt worden war.   Barnabas selbst saß am Rand des riesigen Werkes auf einem Stein und fuchtelte wild mit seinem Zauberstab herum. Fünf rosa Tutus wurden immer größer und größer bis sie auf eine passende Form für dreieinhalb Meter große Waldtrolle angewachsen waren. Zufrieden mit seiner Arbeit stand Barnabas auf und lies diese fünf rosa Monstrositäten hinter sich her schweben. Bei den Trollen angekommen versuchte er sie als erstes zu animieren, die Sachen anzuziehen. Die Trolle sahen ihn aber nur mit einem dümmlich, teilnahmslosen Blick an. Barnabas ließ sich davon aber nicht beirren und ließ das erste Tutu über den Kopf eines Trolls schweben und zog es ihm dann über. Die dünnen Träger zerrissen und alles, was von dem Kleidchen übrig blieb, war ein Fetzen rosa Stoff, der über den dicken Bauch des Waldtrolles hing. Der Troll schaute verwirrt an sich herab und gab irgendwelche Grunzlaute von sich. Ein anderer Troll wurde durch diese Laute aufmerksam und nahm sich ein Kleid von dem Boden. Er schaute seinen Kameraden an, dann das Stück Stoff und versuchte es dann, um seinen Bauch herum zu binden. Das empfindliche Material hatte dieser groben Behandlung nichts entgegenzusetzen und zerriss gleich beim ersten Versuch. Er zuckte mit den Schultern und steckte sich die Reste in den dreckigen Lumpen, der als Lendenschurz diente, das einzige Kleidungsstück, das Trolle gewöhnlich trugen. Wenn man Glück hatte.   In der Zwischenzeit setzten sich auch die anderen Unholde in Bewegung. Einer band sich das Tutu um den Kopf und schaute mit Glubschaugen und etwas, das wohl einem Lächeln gleichkommen sollte, seine Kameraden an. Er schlug einen auf die Schulter, um dessen Aufmerksamkeit zu bekommen, der schlug die Hand aber nur weg. Statt auf den anderen Troll zu reagieren, wischte der sich mit seiner Hand über sein Gesicht und starrte dann auf den Rotz, der an ihr hängen geblieben war. Er versuchte es abzuschütteln, aber seine Hand blieb weiterhin feucht und klebrig. Mit dieser Hand griff er dann nach einem Kleid und wischte sie daran ab. Der Stoff verklebte und verfärbte sich dunkel. Der Troll schaute auf sein dreckiges Kleid und versuchte dann, den Glibber wieder abzuwischen. Vergeblich. Bei dem Versuch zerriss er das ganze Kleid, in viele kleine Stofffetzen. Verärgert wollte er sich das letzte verbleibende Kleid nehmen, wurde aber von dem letzten Troll daran gehindert. Beide zogen an dem Stoff und wie erwartet zerriss auch der ohne Widerstand. Die beiden Trolle schaute sich nun beide wütend an. Sie schnaubten beide und Harry glaubte zu sehen, wie kleine Rauchwölkchen aus ihren Nasenlöchern kamen, ähnlich wie bei Drachen aus ihren Nüstern, kurz bevor sie Feuer spien. Was aber tatsächlich aus den Nasenlöchern der Trolle kam, war noch mehr Rotz.   Barnabas bekam von all dem nichts mit. Er hatte sich weggedreht und verzauberte einzelne Musikinstrumente, die eine ruhige Melodie zu spielen begannen. Die Töne lenkten die Trolle voneinander ab und ihre Köpfe drehten sich gleichzeitig zu der Quelle der ihnen unbekannten Geräusche.   Der Zauberer ignorierte die drohende Gefahr und ging fröhlich auf die fünf Trolle zu. Ehe sie sich versahen, hatte er eine Ballettstange mit Spiegel gezaubert und Trolle standen in Reih und Glied daneben. Verwirrt über die plötzlich veränderte Situation schauten sie sich um. Der Blick in den Spiegel hatte die erwartete Reaktion zur Folge. Nun, erwartet für Harry. Barnabas hatte sicher nicht damit gerechnet oder ganz einfach nicht darüber nachgedacht. Die Trolle sahen nicht sich in dem Spiegel, sondern nur fremde Trolle, die es zu verprügeln galt. Beinahe gleichzeitig schlugen sie mit voller Wucht auf den Spiegel ein, der in Millionen von Einzelteilen zersprang. Die Splitter prallten von ihrer ledrigen Haut ab, aber die fremden Trolle, die plötzlich verschwunden waren, und dieser unbekannte glänzende Regen machte sie nur noch wütender. Und in ihrer Wut stürzten sie sich auf das einzige Ziel, das noch da war. Barnabas. Der Troll, der das Tutu um seinen Kopf gebunden hatte, holte mit seiner riesigen Pranke aus und traf den Möchtegernballettlehrer seitlich am Kopf. Der Zauberer flog bis an das andere Ende von dem Wandteppich, wo er benommen versuchte, wieder aufzustehen.   Die anderen Trolle holten ihre Knüppel und humpelten so schnell es ihnen möglich war mit ihren schwerfälligen Bewegungen auf den am Boden liegenden Mann zu. Er tat Harry fast ein bisschen leid. Aber wer auf die Idee kam, dummen, hirnlosen Trollen tanzen beibringen zu wollen, musste mit so einem Ausgang rechnen. Und je öfter Harry die Szene mit ansehen musste, umso weniger Mitleid empfand er. Der Künstler, der diesen Wandteppich geschaffen hatte, musste ähnlich gedacht haben. Denn er hatte die Szene so eingerichtet, dass Barnabas nie sein Bewusstsein verlor. Egal wie oft und wie heftig er verprügelt wurde, immer blieb der Bekloppte oder besser der Verkloppte bei Bewusstsein und bekam die Attacken der verblödeten Trolle vollständig mit. Aber nicht nur die Attacken, sondern auch alles andere, was sich um ihn herum abspielte. Also auch wenn jemand in den Raum der Wünsche wollte.   Heute würde es allerdings anders sein; wie auch schon die paar Male zuvor, als Harry sich mit den Slytherins im Raum der Wünsche getroffen hatte. Harry musste nur auf den richtigen Augenblick warten.   Und dann war es soweit. In dem Moment, in dem Barnabas die Augen schloss, als ob die Keule, die gerade auf sein Gesicht zuraste, dadurch verschwinden würde, sprach Harry den Zauber, der die Figur des Barnabas fein geknüpft aus magischer Wolle erstarren ließ. Die Trolle ließen sich davon nicht beirren. Egal, ob der Zauberer sich leicht bewegte und versuchte, sich zu schützen oder bewegungslos liegen blieb, sie kloppten weiter auf ihn ein, bis es ihnen zu langweilig wurde und sie sich eine neue Beschäftigung suchten. Meistens bestand die darin, sich auf den Rasen setzten, dumpf vor sich hinstarrten und durch ihren Gestank Insekten und Aasfresser anlockten. Jedes Mal das gleiche. Auch wenn mit kleinen Abwandlungen. Nicht jedes Mal machte sich Barnabas die Mühe, Tutus für die Waldtrolle zu zaubern. Hin und wieder schaffte er es sogar wirklich, dass ein Troll einen Knicks versuchte und dabei umfiel. Aber spätestens dann fingen die Trolle wieder an, auf ihn einzuprügeln. Ein aussichtslosen Unterfangen.   Harry drehte sich von dem Trauerspiel weg. In ein paar Stunden, wenn das Training vorbei war und die Slytherins wieder gegangen waren, würden die Trolle von ihrem Opfer abgelassen haben und Harry würde den Zauber von dem Teppich nehmen. Barnabas würde die Reste der Tutus und der Zauberinstrumente, die in der Zwischenzeit von den Trollen zerstört worden waren, auflesen und dann wieder von vorn beginnen, als ob nie etwas gewesen war.   Der Gang war leer, niemand war in der Nähe. Es würde noch zehn Minuten dauern, bis Draco hier sein würde und erst danach würden die anderen Slytherins kommen. Genug Zeit, um alles in Ruhe vorzubereiten. Harry nahm seinen Tarnumhang ab. Es war niemand in der Nähe. Er stellte sich vor die riesige Steinwand und schlossen die Augen. Innerlich stellte er sich den Raum vor, wie er aussehen würde. Er hatte von Anfang an eine genaue Vorstellung gehabt und eine Weile gebraucht, bis er den richtigen Wunsch gefunden hatte, damit der Raum exakt seinen Vorstellungen entsprach. Erinnerungen an Dracos Gesichtsausdruck, als er ihm von dem Wunsch erzählt hatte, den er benutzen müsste, um in den Raum zu gelangen, rückten in sein Bewusstsein und Harry musste unwillkürlich lächeln. Es war nicht einfach, den Eisprinzen sprachlos zu machen.   Harry setzte sich in Bewegung. Dreimal musste er an der Wand vorbeilaufen und dabei konzentriert an seinen Wunsch denken. ‚Ich brauchen einen Raum, in dem ich die zukünftigen Todesser für den Erben Slytherins trainieren kann.‘ Das war sein Wunsch an den Raum der Wünsche gewesen. Jede andere Formulierung hatte nicht das erhoffte Ergebnis gezeigt. Mehrere Stunden hatte es gedauert, bis Harry damals den richtigen Wortlaut gefunden hatte.   Als er das dritte Mal an der Wand vorbeigelaufen war, begann sich eine Tür zu formen. Wie jedes Mal stand Harry davor und beobachtete mit klopfenden Herzen, wie Dornenranken aus dem Boden herauswuchsen und sich zu einem perfekten Torbogen trafen. Das Muster sah verdächtig nach dem gleichen aus, das seit zwei Wochen Dracos Todessermaske zierte. Aber der Eingang war noch nicht fertig. Während sich eine massive Holztür aus dem Stein unter dem Dornenbogen materialisierte, krochen Schlangen an den Ranken empor, wanden sich elegant um die spitzen Dornen. Sie zischelten bedrohlich, aber es waren nur Laute, keine Wörter.   Endlich war die Tür fertig. Ohne zu zögern griff Harry nach dem schlangenkopfförmigen Knauf in der Mitte. Die Flügeltüren öffneten sich langsam, aber ohne großen Widerstand und er konnte in den Raum der Wünsche, in seinen Raum eintreten.   Es war genauso, wie er es in Erinnerung gehabt hatte, wenn auch etwas kleiner. Ob es an seiner fehlerhaften Erinnerung lag – immerhin war er damals erst 12 Jahre alt und mit völlig anderen Dingen beschäftigt gewesen – oder ob die Magie des Raumes doch seine Grenzen hatte, konnte er nicht mit Sicherheit sagen. Aber das spielte auch keine Rolle. Nicht wirklich. Der Raum war immer noch riesig. Ausreichend Platz für ihn und die Slytherins, die bald hier eintreffen würden.   Betrachtete man die massive Holztür, erwartete man wohl einen anders gearteten Raum. Mehr einen Dschungel mit gefährlichen Pflanzen und Tieren. Das war es zumindest, was Harry gedacht hatte, als er sich das erste Mal ihr gegenübergesehen hatte. Er hatte mit einem erneuten gescheiterten Versuch gerechnet. Umso erstaunter war er gewesen, als er eingetreten war. Da war kein Dschungel, kein Holz, keine gefährlichen Kreaturen. Sondern nur Stein. Der ganze Raum war mit glatten, grauen Stein ausgekleidet. Ein breiter Weg führte weit in die große Halle, gesäumt von vielen riesigen, dicken Säulen, um die sich steinernen Schlangen wanden.   Harry ging in den Raum hinein. Die Tür fiel schwerfällig ins Schloss. Das Geräusch wurde durch den gesamten Raum getragen, begleitete Harry auf seinen Weg bis zum Ende der Kammer. Auf der Plattform am Ende blieb er stehen, schaute beinahe ehrfürchtig auf die riesige Statur von Salazar Slytherin, die bedrohlich die gesamte Kammer überblickte. Erinnerungen stürmten auf ihn ein und für einen kurzen Moment glaubte er, zu sehen, wie sich Salazars Mund öffnete und er erwartete jeden Moment den Basilisken zwischen seinen Lippen hervorkriechen zu sehen. Aber nichts passierte. Natürlich nicht. Der Basilisk lag in der echten Kammer des Schreckens und verrotte vor sich hin.   Harry wandte seinen Blick ab. Von der Statur. Von seinen Erinnerungen. Er war froh, dass er es geschafft hatte, diesen Raum so zu gestalten. Auch wenn es nicht die echte Kammer war, es war absolut perfekt. Bewundernd ließ er seinen Blick durch den Raum gleiten. Bald würde die Ruhe vorbei sein. Bald würden hier ein Haufen Babytodesser Zauber und Flüche üben und Harry musste ihnen Hilfestellung geben, wann immer es notwendig sein würde. Aber vorher würde er noch mit Draco reden. Zum einen wollte er unbedingt wissen, was das für ein Fluch gewesen war, den er bei Turpin angewendet hatte, und zum anderen wollte er wissen, warum er es getan hatte.   Ein Grummeln holte Harry aus seinen Gedanken und erinnerte ihn daran, dass er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Seufzend stellte er sein Gespräch mit Draco hinten an. Als erstes müsste er sich etwas zu Essen beschaffen. Kapitel 18: Der Verekelfluch ---------------------------- Harry lehnte an einer der Säulen in dem Raum des Schreckens, den er erschaffen hatte, den Kopf in den Nacken gelegt. Er wartete auf Dobby, den er beauftragt hatte, ihm etwas zu essen aus der Küche zu bringen. Wie erwartet, hatte der kleine Hauself vor Freude gequickt und war sofort losgeeilt, um Harry seinen Wunsch zu erfüllen. Der Raum hatte sich sofort angepasst und einen kleinen Tisch und zwei Stühle bereitgestellt. Teller, Besteck und Becher für zwei Personen waren darauf zu finden.   Seufzend verfluchte Harry sein Unterbewusstsein, dass schon wieder mehr gewünscht hat, als er beabsichtigt hatte. Der Raum war einfach zu sensibel und gerade was Harry anging, schien er besonders erpicht darauf zu sein, ihm all seine Wünsche zu erfüllen. Das war natürlich Einbildung. Der Raum behandelte jeden gleich und konnte auch nicht so tief in jemanden hineinschauen, dass man keine Macht mehr darüber hatte, was der Raum tat oder nicht. Aber Harry war zu sehr in seinen Gedanken bei einem anderen Zauberer gewesen und der Raum konnte ihn diesen Wunsch nicht erfüllen, also hatte er einfach sein Möglichstes getan. Und das hatte zur Folge, dass für zwei Personen gedeckt war.   Harry wurde aus seinen Gedanken gerissen, als plötzlich Dobbys Präsenz vor dem Eingang auftauchte. Die Tür öffnete sich einen Spalt und war dann auch schon wieder zu. Der kleine Hauself machte kein Geräusch als er sich Harry mit wackeligen Schritten näherte.   Der unsichere Schritt ließ Harry stutzen und er blickte in die Richtung, aus der Dobby kam. Aber statt eines Hauselfen mit großen runden Augen, riesigen Fledermausohren und einer viel zu langen Nase sah ein nur Berge von Essen, die langsam auf ihn zu schwebten. Jetzt konnte er auch das Klappern von Geschirr hören. Einzelne Teller und Platten stießen immer wieder gegeneinander, brachten sich gegenseitig zum Kippen und das Essen darauf zum Schwanken. Mehrmals glaubte Harry, dass gleich alles auf dem Boden landen würde, aber es wurde jedes Mal wieder rechtzeitig ausbalanciert. Hin und wieder konnte er eine einen Fetzen rosa Haut aufblitzen sehen, wie Arm, Schulter und auch mal der Kopf, auf denen ebenfalls Teller balanciert wurden, während die restlichen Platten und Schüsseln um den kleinen Kerl herumschwebten und ihn völlig unkenntlich machten. Das einzige, woran man erkennen konnte, dass es wirklich Dobby war, waren die Füße, die unter den Bergen von Essen hervorlugten. Der sockenverliebte Hauself hatte sich heute gleich zwei Paar angezogen. Das erste ging bis hoch zu den Knien und war knallgelb, dass es beinahe in den Augen brannte. Das zweite Paar ging nur bis zur Wade und hatte ein Karo-Muster, das abwechselnd gelb-grün und blau-rot blinkte. Ein viel zu großer Schal mit bestickten Feen, die sich gegenseitig jagten hatte sich in seinen Beinen verheddert.   Immer weiter bewegte sich das Essen zu dem kleinen Tisch, auf dem es niemals genügend Platz finden würde. Kaum war der Gedanke in Harrys Bewusstsein gedrungen, schon wurde der Tisch größer und größer bis ungefähr 20 Hexen und Zauberer bequem drumherum sitzen konnten. ‚Na hoffentlich haben die Anderen Hunger.‘   Harry kaute auf seiner Unterlippe herum, während er überlegte, ob er Dobby helfen sollte oder lieber nicht. Er sah aus, als ob er Hilfe bräuchte, aber Dobby war viel zu eigensinnig und stolz – soweit das ein Hauself eben sein konnte – und würde wahrscheinlich nur aufgeregt seine Hilfe ablehnen und dann doch einen falschen Schritt machen und schon würde das Chaos ausbrechen. Das wollte Harry lieber vermeiden. Am besten Dobby einfach machen lassen. Zumindest solange er nicht versuchte, jemanden das Leben zu retten. Dann lieber ganz schnell auf den Besen steigen und weg.   Noch während Harry mit sich haderte, passierte es. Dobby verhedderte sich noch mehr in seinem Schal und stolperte. Harry konnte gar nicht so schnell reagieren und schloss reflexartig seine Augen, um das Unheil nicht mit ansehen zu müssen. Gespannt wartete er auf das laute Scheppern, dass jeden Augenblick folgen musste.   Aber es kam nicht.   Vorsichtig öffnete Harry ein Auge, um dann gleich beide erstaunt aufzureißen. Kein Essen war auf dem Boden verteilt. Stattdessen stand alles ordnungsgemäß auf dem Tisch. Zwei riesige Schalen mit frischen Obst, Platten mit kalten Braten und Käse, Schüsseln mit dampfenden Gemüse, Pasteten, Brötchen und vieles mehr war sicher verteilt. Auch Krüge mit Butterbier und Kürbissaft, die Harry vorher noch gar nicht gesehen hatte, waren mit dabei. Er entdeckte eine Siruptorte und beäugte sie gierig.   „Dobby! Ich hatte dich gebeten, mir eine Kleinigkeit zu Essen zu bringen. Nicht, die ganze Küche zu plündern. Wer soll denn das alles essen?“   Der Hauself lag mit seinem Gesicht auf dem Boden, Arme, Beine, Ohren und Nase von sich gesteckt. Der Schal war mehrfach um seinen kleinen Körper und Beine gewickelt. Mühsam hob er den viel zu großen Kopf und sah ihn mit großen, runden Augen an. Irgendwie schaffte Dobby es, aufzustehen und dabei den Schal zumindest soweit zu entwirren, dass er nicht beim nächsten Schritt gleich wieder auf dem Boden landen würde.   „Sie haben nicht gesagt, was Sie essen wollen, Harry Potter, Sir. Und Harry Potter muss viel Essen, muss bei Kräften bleiben. Er hat seit einiger Zeit nicht mehr ordentlich gegessen. Dobby hat es bemerkt und macht sich Sorgen um Harry Potter.“ Harry beobachtete den kleinen Hauself, wie er aufgeregt gestikulierte und musste sich ein Lachen verkneifen, als Dobbys ohnehin schon riesige Augen noch größer wurden. „Oh, nein! Dobby hat Harry Potter verärgert. Dobby hätte sich nicht so viel herausnehmen dürfen. Das war nicht in Ordnung. Jetzt ist Harry Potter wütend auf Dobby…“   „Ich bin nicht wütend auf dich Dobby.“   „… Dobby muss sich bestrafen, weil er Harry Potter verärgert hat…“   „Nein, Dobby!“   Aber der Hauself hörte ihn nicht. Es war besorgniserregend. Harry hatte in der Zwischenzeit schon ein paar dieser diensteifrigen Geschöpfe kennengelernt und jedes neigte auf die eine oder andere Art dazu, sich zu verletzen, wenn sie der Meinung waren, etwas Falsches getan zu haben. Aber bei keinem war es so extrem gewesen, wie bei Dobby. Und das, obwohl Dobby ein freier Elf war, der keinem Herrn diente. Gut, insgeheim hatte Harry das Gefühl, dass Dobby sich ihm verpflichtet hatte. Zumindest war er über alle Maßen darauf erpicht, ihn zufriedenzustellen. Vielleicht würde er Dobby fragen, ob er mit ihm kommen wolle, wenn er mit der Schule fertig war. Vorausgesetzt, der kleine Elf hätte sich bis dahin nicht selbst zu Tode bestraft.   Harry schaffte es gerade noch so, zu Dobby zu eilen und ihm die Gabel aus der Hand zu winden, die der Elf sich gerade in den Handrücken rammen wollte.   „Dobby! Ich verbiete dir, dich zu bestrafen. Du hast nichts falsch gemacht und ich bin auch nicht böse auf dich. Ich war nur etwas überrascht wegen des vielen Essens.“ Er überlegte kurz. „Und eigentlich ist es richtig gut, dass du so viel Essen gebracht hast. Wir haben heute ein anstrengendes Training vor uns. Es kann nicht schaden, wenn wir uns vorher noch mal stärken und vielleicht für danach noch was zu essen hier hätten. Du hast gut mitgedacht. Danke schön, Dobby.“   Harry war erleichtert, als er bemerkte, dass diese kleine Notlüge den gewünschten Erfolg hatte. Dobby sah ihn an und sein Gesicht fing an, zu strahlen. Es wirkte ein bisschen grotesk, aber besser, als wenn er sich wirklich noch verletzt hätte.   „Danke, Sir. Harry Potter ist sehr freundlich.“ Jetzt wirkte Dobby ein bisschen beschämt, fing sich ab schnell wieder und wurde wieder zu dem aufgeregten, übereifrigen Geschöpft, dass Harry vor so vielen Jahren kennengelernt hatte. „Kann Dobby noch etwas für Sie tun, Sir?“   Das war der Grund, warum Harry glaubte, dass Dobby ihm gehörte – so eigenartig das auch für ihn klang, ein anderes Wesen zu besitzen. Aber war es nicht das, was Hauselfen für ihre Familien, ihre Herren waren? Besitztümer? Und wollten sie es nicht auch genauso haben? Es lag nun mal in der Natur der Hauselfen. Und auch wenn Dobby immer behauptet hatte, dass er ein freier Elf sein wollte, so wollte er in Wirklichkeit doch immer nur von den Malfoys weg. Er konnte nicht, wollte nicht frei sein. Deswegen erfüllte er jeden Wunsch, den Harry äußerte, als wäre er ein Befehl. Deswegen ließ er es nicht zu, dass jemand in seiner Gegenwart schlecht über Harry sprach und es selbst niemals tun würde. Deswegen bewahrte er jedes von Harrys Geheimnissen. Darauf konnte er sich verlassen. Selbst, dass er jetzt die Slytherins trainierte. Selbst, dass er sich Voldemort angeschlossen hatte. Dobby hatte nur einmal gefragt, ob er sich sicher sei, die richtige Entscheidung getroffen zu haben – gleich darauf wollte er seinen Kopf gegen eine Wand rammen, weil er Harrys Entscheidung in Frage gestellt hatte – und hatte dann sofort geschworen, dass das Geheimnis bei ihm sicher sei und dass er eher sterben würde, als irgendjemanden davon zu erzählen.   Das war das erste Mal, dass Harry nichts gegen die angekündigte Gewaltandrohung des kleinen Wesens gesagt hatte.   Harry war froh, dass er Dobby auf seiner Seite hatte und sich auf ihn verlassen konnte. Er hatte zwar auch Kreacher, der gezwungen war, jeden seiner Befehle zu befolgen, aber es war leichter, wenn man einen Hauselfen hatte, der das auch freiwillig tat. Vielleicht würde sich die Meinung des alten Hauselfs der Blacks ändern, wenn er wüsste, dass Harry jetzt auf der anderen Seite stand, aber er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, ihm das zu sagen und hatte bisher auch noch keine Notwendigkeit darin gesehen.   „Ja, du könntest tatsächlich noch etwas für mich tun.“ Die Augen des kleinen Wesens leuchteten auf und er lehnte sich eifrig ein Stück vor, um ja nicht eins seiner Worte zu verpassen.   „Draco wird jeden Moment hier sein.“ Harry konnte ihn schon spüren, wie er sich gemächlich dem Raum näherte. Dobby zuckte kurz bei dem Namen zusammen. Er hatte sich noch nicht daran gewöhnt, dass er wieder so häufig mit dem Sohn seines alten Herrn zu tun hatte. Am Anfang hatte er Draco sogar gedroht, dass er ihm wehtun würde, sollte er Harry auch nur ein Haar krümmen. Danach hatten Harry und Draco gemeinsam Dobby davon abhalten müssen, sich in einem hergezauberten Putzeimer mit Schmutzwasser zu ertränken. Seitdem kamen die beiden eigentlich gut miteinander aus, aber alte Verhaltensmuster zu durchbrechen, ist eben nicht so einfach.   „Ich muss noch etwas mit ihm besprechen, bevor die anderen kommen. Es wäre schön, wenn du dafür sorgen könntest, dass wir ungestört bleiben, bis wir fertig sind. Kannst du das machen?“   Dobbys Miene verfinsterte sich. „Er hat doch nichts getan, um Harry Potter zu schaden? Wenn er…“   „Nein, Dobby.“ Harry blickte belustig auf den Hauselfen herab. „Draco hat nichts getan, um mir zu schaden.“ – ‚Nicht wirklich.‘ – „Ich muss einfach nur etwas Privates mit ihm besprechen. Es wird sicher nicht lange dauern. Aber für den Fall, dass die anderen Slytherin vorher da sind, kannst du ihnen sagen, dass sie kurz warten sollen?“   „Ja, das kann Dobby machen. Dobby macht alles für Harry Potter.“ Aufgeregt nickte er und ließ seine Ohren flattern. Dobby war Harry so absolut ergeben. Er bräuchte ihn wahrscheinlich nach seinem Abschluss nicht einmal fragen, der Hauself würde ihm mit Sicherheit einfach folgen.   Mit einer tiefen, ehrerbietigen Verbeugung – die Nase schliff mit ihrer gesamten Länge über den Boden – drehte sich Dobby um und lief zur Tür. Harry begleitete ihn. Draco lief bereits vor der Wand auf und ab und würde jeden Moment hineinkommen.   Kaum hatte sich die Tür einen Spalt breit geöffnet, war Dobby auch schon hinausgeschlüpft, nicht ohne Draco einen warnenden Blick zuzuwerfen, den dieser aber nicht sehen konnte. Denn sobald die Lücke groß genug war, griff Harry nach dem Arm des Slytherin und zog ihn zu sich herein.   Draco war von dem plötzlichen Angriff so überrascht, dass er nicht mal daran dachte, seinen Zauberstab zu ziehen. Harry nutzte den kurzen Moment und drängte Draco gegen die Wand, setzte dabei ein bisschen mehr Kraft ein, als nötig gewesen wäre. „Was hast du getan? Und vor allem, warum hast du es getan.“, zischte er ihn an.   Draco brauchte nicht lange, um sich von den Schock zu erholen. Er war in keiner wirklichen Gefahrensituation. Harrys Zauberstab war noch in seinem Umhang verborgen und die Position an der Wand war zwar ein bisschen unbequem, aber nicht schmerzhaft. Er lachte leise und Harry konnte die Vibration in kleinen Wellen gegen seinen Körper spüren.   „Das habe ich dir doch schon gesagt. Die kleine Turpin will einfach nicht mehr mit dir ausgehen. Sie findet dich abstoßend.“ In Dracos Augen lag ein gefährliches Glitzern, sein Mund war zu einem hinterhältigen Lächeln verzogen. So sehr Slytherin.   Ein kurzer Schauer lief durch Harrys Körper. Um ihn zu vertuschen – Draco brauchte nicht zu wissen, was seine Nähe in ihm auslöste – drückte er Draco noch weiter gegen die Wand, drängte sich dabei unbewusst selbst noch näher an den Körper heran.   „Spiel keine Spielchen mit mir, Draco. Ich weiß, dass du Turpin verhext hast. Und ich weiß auch, dass du ihr hinterher das Gedächtnis gelöscht hast.“ Draco sah aber gar nicht danach aus, als ob er sich unwohl fühlen würde. Er schien diese Situation eher zu genießen.   Draco lehnte seinen Kopf leicht nach vorne, so weit, wie Harrys Griff es ihm erlaubte. Seine Lippen streiften Harrys Wangenknochen als er seine nächsten Worte flüsterte. „Dabei solltest du mir dankbar sein. Du wolltest doch nicht wirklich mit ihr ausgehen. Wir beide wissen doch, dass du nur an einer Person interessiert bist.“   Harry versteifte sich augenblicklich. Das konnte nicht sein. Draco konnte unmöglich wissen, an wem er interessiert war. Oder? War schon alles zu spät?   „Oder wolltest du sie eifersüchtig machen?“ Durch seine innerliche Panik hätte Harry Dracos letzte Worte beinahe überhört. Sie. SIE! Er wusste nichts. Hatte nicht mal einen Verdacht.   Erleichtert atmete Harry aus. Er hatte nicht mal bemerkt, dass er seinen Atem angehalten hatte. Seine gesamte Anspannung verließ mit der Luft seinen Körper. Unbewusst lockerte er aber dadurch auch seinen Druck auf Draco. Dieser nutzte die Gelegenheit, um sich seinerseits ein bisschen mehr gegen Harry zu drängen.   Die Nähe zu dem anderen Zauberer war berauschend. Wie leicht wäre es jetzt, seine Arme um den anderen zu schlingen, ihn zu sich zu ziehen, seine Lippen zu suchen und sie mit seinen zu verschmelzen. Ihre Körper noch weiter aneinander zu pressen und diesem Verlangen nachzugeben.   Der ihm nur allzu vertraute Geruch stieg Harry in die Nase. Draco roch nach einem kühlen Frühlingsmorgen, nach einer frischen Brise, nach mit Tau behangenen Gräsern. Genauso wie das Gras, auf dem Harry gestern Morgen noch gelegen hatte. Es war zu leicht, alles zu vergessen und sich in dem Augenblick zu verlieren, die hellgrauen Augen auf ihn gerichtet, völlig auf ihn fixiert. Genau wie am Abend zuvor.   Harry trat abrupt einen Schritt zurück als hätte er sich verbrannt. ‚Reiß dich endlich wieder zusammen, Harry!‘, ermahnte er sich selbst. Die Nähe des Slytherins tat Dinge mit ihm, die er so niemals erwartet hatte. Er musste aufpassen, dass er nicht die Kontrolle über sich verlor. Und Dracos merkwürdiges Verhalten half auch nicht gerade.   „Glaub, was du willst.“, sagte Harry, seine Stimme klang etwas belegt und er schluckte den Kloß hinunter, der sich in seiner Kehle gebildet hatte.   Draco löste sich glucksend von der Wand. „Ach, Potter, Potter, Potter. Wo bleibt denn dein Sinn für Humor? Und tu nicht so, als ob dir ernsthaft was an dieser kleinen unscheinbaren Ravenclaw liegen würde. Ich hätte dir einen besseren Geschmack zugetraut.“   Harry tat ihm nicht den Gefallen, darauf einzugehen. Stattdessen drehte er sich um und ging geradeweg auf den Tisch zu, setzte sich gegenüber der Siruptorte hin und nahm sich ein großes Stück.   „Was hat es denn mit dem ganzen Essen auf sich?“ Draco hatte sich Harry gegenübergesetzt und begutachtete die verschiedenen Speisen, die auf dem Tisch verteilt waren.   „Übereifriger Hauself.“, antwortete Harry zwischen zwei Bissen.   „Dobby, verstehe.“ Sein Ausdruck wurde etwas nachdenklich.   Harry zog fragend seine Augenbrauen nach oben, sein Mund zu sehr mit der köstlichen Torte beschäftig, um laut nach einer Erklärung zu fragen.   „Dobby war, seit ich mich erinnern kann, ein schwieriger Hauself. Ich weiß nicht, ob er schon immer so war oder so geworden ist. Ich habe nicht gefragt und auch nie darüber nachgedacht. Es war mir ganz ehrlich einfach egal. Ich habe mich immer über ihn geärgert, weil er nie etwas richtig machen konnte. Mein Vater und meine Mutter waren immer sehr grob zu ihm deswegen. Aber vielleicht wurde er auch so, weil er so grob behandelt worden war!?“   „Warum interessiert dich es jetzt?“, wollte Harry wissen. Er war wirklich neugierig, was Dracos Einstellung geändert hatte.   „Es fällt schon auf, wenn man einen anderen Hauselfen im Haus hat und plötzlich alles einfach funktioniert. Dipsy, unsere neue Elfe, ist auch sehr eifrig und bestraft sich auch, wenn sie etwas falsch gemacht hat, aber es passiert eher selten und ihre Strafen sorgen nicht dafür, dass sie ihre Arbeit nicht mehr verrichten kann. Vater hat sie noch nicht einmal selbst bestraft. Meine Mutter dagegen…“ Draco schüttelte sich, als wollte er unliebsame Gedanken abschütteln.   Harry sah Draco aufmerksam an, während er erzählte. Es war das erste Mal, dass Draco etwas Privates von sich preisgab und er war dabei so in seinen Gedanken vertieft, dass seine Maske kurz verrutschte. Für einen Bruchteil einer Sekunde konnte Harry Wut und Enttäuschung in den feinen Gesichtszügen seines Gegenübers erkennen. Und er war sich ziemlich sicher, dass das nicht auf Dracos Vater bezogen war.   Harry hatte immer angenommen, dass das Verhältnis zu Dracos Vater nicht einfach war, wegen der ganzen Erwartungen, die Malfoy an seinen einzigen Sohn, seinen Erben hatte. Er war immer davon ausgegangen, dass Draco wenigstens zu seiner Mutter ein besseres Verhältnis hatte. Aber da hatte er sich anscheinend geirrt.   „Dazu kommt, dass Dobby dich geradezu verehrt. Was auch immer ihn dazu bewegt, Narbengesicht.“, sagte Draco mit einem provozierenden Lächeln.   „Mein unvergleichlicher Charm. Was denn sonst?“ Sie fingen beide an, zu lachen. Es war beinahe unfassbar. Da saßen sie, ein Slytherin und ein Gryffindor gemütlich an einem Tisch und unterhielten sich wie alte Freunde.   „Na sicher.“, schnaubt Draco.   Aber es hielt nicht lange an. Sie mussten immer noch etwas klären und Harry würde nicht locker lassen. „Warum hast du Turpin verflucht?“   Die Veränderung trat sofort ein und gab Harry einen kleinen Stich, weil er die Ursache für den Stimmungswechsel des Slytherins war. Dracos offene, lockere Haltung war verschwunden. Er gab sich immer noch lässig, aber man konnte die innere Anspannung deutlich erkennen, wenn man wusste, wonach man suchen musste. Seine Miene war verschlossen und nichts deutete mehr daraufhin, dass sie eben noch gemeinsam gelacht hatten.   „Spaß.“, gab Draco trocken zurück.   „Tch. Und jetzt der echte Grund?“ Draco würde doch nicht allen Ernstes glauben, dass er ihm das abnahm.   Doch Draco sagte nichts. Stattdessen schaute er Harry nur mit leicht hochgezogenen Augenbrauen in die Augen. Ein stummes Statement, dass er nicht gedachte, seine Antwort noch einmal zu überdenken.   Seufzend schob Harry seinen leeren Teller beiseite. Das hatte keinen Sinn. Und so viel Zeit hatten sie nicht mehr, dann würden die anderen kommen. „In Ordnung. Verrätst du mir wenigstens, was das für ein Fluch gewesen ist?“   „Warum willst du das wissen? Du kennst selbst mehr als genug Flüche.“   „Das ist richtig. Aber die sind meist schwarzmagischer Natur, also kann ich die nicht benutzen.“   Draco lehnte sich ein Stück nach vorne und schaute Harry neugierig an. „Wofür benutzen?“   Harry überlegte kurz und entschied dann, dass es nicht schaden könnte, wenn er Draco von Chang erzählte. Er wusste ohnehin schon alles über die DA und Edgecombe. Kein Grund, ihm Changs Anteil an der ganzen Misere vorzuenthalten.   …   „Ich verstehe.“, begann Draco, als Harry geendet hatte. „Die kleine Schlampe hat wirklich mal einen Denkzettel verdient.“   „Also verrätst du mir, was du für einen Fluch bei Turpin verwendet hast?“   Die hellgrauen Augen blitzten gefährlich auf. Etwas Dunkles, Bedrohliches lag in ihnen und Harry war von sich selbst überrascht, wie sehr ihn dieser Blick erregte.   „Sehr gern. Wenn es dazu beiträgt, diesem Miststück eine Lektion zu erteilen, bin ich dabei.“ Harry hatte das Gefühl, dass Draco andere Gründe hatte, ihm zu helfen, behielt seine Vermutung aber für sich.   „Also?“   „Ich habe eine Abwandlung des Verekelfluchs benutzt.“   „Verekelfluch.“ Harry sah ihm mit ausdruckloser Miene an. Davon hatte er noch nie etwas gehört und der Name klang auch eher so, als hätte Draco ihn sich gerade ausgedacht.   „Ja, so heißt er. Du findest ihn im Buch der Zaubersprüche Band 7. Ich glaube, Seite 278, weiß aber nicht welche Auflage.“, meinte Draco belustigt. „Er sorgt dafür, dass sich eine andere Person angeekelt aus der Nähe des Zaubernden verzieht.“   Skeptisch schaute Harry zu Draco. Die Wirkung konnte er nicht abstreiten. Turpin ekelte sich wirklich vor ihm, aber „Wozu braucht man sowas?“.   „Der Fluch wurde angeblich von einem Zauberer erfunden, der eine Vorliebe dafür hatte, Muggel zu bestehlen. Er hatte selbst kein großes magisches Talent und konnte nur die einfachsten Zauber benutzen. Er wurde von seiner Familie verstoßen und versuchte, als Muggeln zu leben, konnte sich aber nie an ihre Art zu leben gewöhnen und deswegen hat er sie einfach bestohlen. Wenn sie ihn erwischten benutzte er immer diesen Fluch. Der Name des Zauberers ist nicht bekannt. In den Büchern heißt er einfach nur Der Dieb. Man kann ihn aber auch benutzen, um eine anhängliche Exfreundin loszuwerden.“   „Du sprichst aus Erfahrung?“   „Bedauerlicherweise. Aber er hält leider auch nicht sehr lange. Ich habe den Eindruck, wenn man ihn immer und immer wieder bei der gleichen Person benutzt, wird sie irgendwann immun.“   Harry schenkte ihm ein mitfühlendes Lächeln. Er konnte sich gut vorstellen, welche Exfreundin Draco sich vom Hals halten wollte. Aber etwas passte noch nicht. „Du hast gesagt, dass der Zauberer, der den Fluch spricht, für den anderen eklig wird. Allerdings ekelt sich Turpin vor mir und nicht vor dir.“   „Wieso sollte sie sich auch vor mir ekeln? Ich bin einfach unwiderstehlich.“ Mit einem kleinen süffisanten Lächeln lehnte sich Draco ein Stück weit nach vorne. Die Ellenbogen auf den Tisch abgestützt legte er seinen Kopf auf seine ineinander verschränkten Hände. Dabei schaute er Harry die ganze Zeit direkt in die Augen.   ‚Was soll das? Flirtet Draco etwa mit mir?‘ Schnell verdrängte Harry diesen Gedanken wieder. Das konnte es ganz sicher nicht sein. Das war bestimmt eher als Provokation gedacht, weil Harry kein so perfektes Äußeres hatte. Er trug eine Brille, seine Haare standen in alle Richtungen ab und ließen sich nicht mal durch Magie bändigen, trug viel zu große, abgetragene Muggel-Klamotten und zu allem Überfluss hatte er auch noch diese dämliche Narbe, die sein Gesicht entstellte. Kein Vergleich zu Draco bloody perfect Malfoy, der jede Hexe mit einem Augenaufschlag zum Schmelzen bringen konnte. Und nicht nur Hexen.   Innerlich seufzend schob er das Thema zur Seite. Keine Zeit für Selbstmitleid. „Du hast also an dem Fluch rumgebastelt.“   Mit einem leicht enttäuschten Gesichtsausdruck, den Harry sich nicht erklären konnte, lehnte sich Draco wieder auf seinen Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Ja. Es war gar nicht so schwer. Ich musste nur eine Kleinigkeit verdrehen und schon war die Wirkung so wie ich sie brauchte. Es hat nur leider eine kleine Nebenwirkung auf die Persönlichkeit. Aber das wird vergehen, sobald die Wirkung des Fluchs nachgelassen hat.“   „Auf die Persönlichkeit? Ach, deswegen hat Turpin sich so biestig verhalten.“   „Das war ein sehr amüsanter kleiner Nebeneffekt, findest du nicht, Harry?“ Selbstzufrieden schaute er auf. „Ich weiß gar nicht, warum noch keiner vorher auf diese Idee gekommen ist.“   „Ist vielleicht. Und hat es nur nicht aufgeschrieben.“   „Pft.“ Draco dreht sich gespielt beleidigt zur Seite und zeigte Harry die sprichwörtliche kalte Schulter.   Harry prustete los. Er war so ein spielerisches Verhalten von dem Slytherin nicht gewöhnt, aber es machte Spaß, Draco mal so ungezwungen zu erleben, ohne den Versuch, die ganze Zeit seine Maske aufrechtzuerhalten. Daran könnte er sich mit Sicherheit gewöhnen.   Draco grinste kurz, bevor er wieder ernst wurde. „Zurück zum Thema. Was hast du mit Chang vor? Willst du jedes Mal, wenn sie einen neuen Freund hat, ihn mit diesem Fluch belegen?“   „Mmhhh. Nein. Das Jahr ist nicht mehr lang und danach sehe ich sie wahrscheinlich nie wieder. Nicht, dass ich traurig darüber wäre, aber dann könnte sie in Ruhe weiterleben und noch mehr Leben zerstören. Ich möchte lieber eine längerfristige Lösung.“   „Da wäre Grangers Fluch wirklich perfekt gewesen, aber den kannst du ja leider nicht benutzen.“   Sie sahen sich einen Moment lang in die Augen und Harry konnte sehen, wie es in Draco arbeitete. Es schien beinahe, als hätte er persönliche Motive, Chang eins auszuwischen. Plötzlich erhellte sich Dracos Blick und nahm dann einen zufrieden boshaften Ausdruck an, den sogar Salazar Slytherin höchstpersönlich beeindruckt hätte.   „Ich habe eine Idee.“ Kapitel 19: Die Sicht des Gegners --------------------------------- Das Training war in vollem Gange. Draco stand etwas abseits, an eine der riesigen Säulen gelehnt, die Arme vor dem Körper verschränkt und beobachtete das Geschehen mit ausdruckslosem Blick.   Er hatte noch kurz mit Potter über seine Idee gesprochen, wie er dieser Schlampe Chang einen Denkzettel verpassen könnte, musste dann aber leider abbrechen. Potter hatte seine Karte herausgeholt, die das gesamte Schlossgelände zeigte und jeden, der sich darauf aufhielt, unabhängig irgendwelcher Tarnzauber.   Ein paar Meter vor der Wand, wo man den Eingang zum Raum der Wünsche heraufbeschwören konnte, waren ungefähr 10 Namen zu lesen. Alle gehörten zu Slytherins. Keiner von ihnen bewegte sich. Sie standen einfach nur an einer Stelle und schienen wie erstarrt. Plötzlich tauchte ein weiterer Name vor ihnen auf. Dobby. Der kleine Hauself lief aufgeregt vor der Gruppe auf und ab. Doch noch immer schien sich keiner der anderen zu bewegen. Alarmiert hatten sich die beiden Zauberer kurz in die Augen geschaut und waren dann zur Tür geeilt.   Mehrere Jungtodesser standen bewegungslos im Flur. Dobby lief vor ihnen auf und ab und erklärte ihnen immer wieder, dass Potter gesagt hatte, dass sie noch nicht in den Raum konnten und warten mussten.   Die Szene war einfach nur komisch und es war nur Dracos jahrelang antrainierte Selbstbescherung zu verdanken, dass er nicht laut loslachte. Potter beeilte sich, die Situation aufzuklären und Draco verhinderte erfolgreich, dass Dobby sich verletzte. Ja, in der Tat ein übereifriger Hauself.   Das Essen konnte die aggressiven Gemüter glücklicherweise etwas milder stimmen und sie konnte jetzt ganz normal ihr Training absolvieren.   Sie übten die Defensivzauber, die Potter ihnen gezeigt hatte. Eigentlich hätten sie diese schon im zweiten Schuljahr lernen sollen, aber durch diesen unfähigen Lehrer, den sie damals in Verteidigung gegen die Dunklen Künste gehabt hatten, Lockhart oder so ähnlich, konnten die wenigsten einen Fluch abwehren oder einen Schild heraufbeschwören.   Draco war die Ausnahme. Sein Vater hatte ihm viel in den Ferien selbst beigebracht und ihm dafür sogar seinen eigenen Zauberstab zur Verfügung gestellt. Natürlich war das eine gängige Praxis unter Slytherins, aber die meistens brachten ihren Kindern nur Angriffszauber und Flüche bei. Selbstverteidigung wurde in der Regel vernachlässigt, wenn er sich so die Fähigkeiten seiner Kameraden anschaute.   Lucius Malfoy dagegen hatte viel Wert darauf gelegt, dass sein Sohn sich auch richtig duellieren konnte. Das gehörte einfach zu den Fertigkeiten eines Reinblüters.   So standen sich Draco und Potter am Tage ihres ersten gemeinsamen Trainings gegenüber und duellierten sich, wie sie es schon vier Jahre zuvor hätten tun sollen. Keine schmutzigen Tricks, keine Gedanken den anderen zu demütigen und in die Knie zu zwingen. Einfach nur den anderen Slytherins zeigen, wie man sich duellierte, mit besonderen Augenmerk auf Schild- und andere Abwehrzauber.   Es war Draco nicht so schwer gefallen, wie er es zu anfangs gedacht hatte und er musste einsehen, dass es sogar Spaß machte, sich mit Potter zu duellieren. Es war eine neue Herausforderung. Zu Hause konnte er nur gegen seinen Vater antreten. Und auch wenn er noch lange nicht so gut war, kannte er doch dessen Taktik in- und auswendig. Außerdem kämpften sie gehandicapt, weil keiner seinen richtigen Zauberstab benutzten konnte. Da Draco den von seinem Vater hatte, nahm dieser sich den von Dracos Mutter.   Hier mit seinem eigenen Zauberstab und einem Gegner, dessen nächsten Schritt er nicht vorhersehen konnte, war es ein völlig neuartiges Gefühl. Es war aufregend und Draco hatte überraschenderweise wirklich Spaß gehabt.   Das Unterrichten selbst bereitete Draco aber weniger Vergnügen. Er gab seinen Kameraden zwar Tipps, half ihnen bei der richtigen Position, die richtige Aussprache, aber er wurde schnell ungeduldig und war schon genervt, wenn er etwas ein zweites Mal erklären musste. Unterrichten war definitiv nichts für ihn. Im Gegensatz zu Potter. Der war mit Feuereifer dabei und blieb immer noch ruhig und gelassen, wenn er etwas zum zehnten Mal erzählt hatte und sein Gegenüber immer noch nicht in der Lage war, einen wirkungsvollen Schild hochzuziehen.   Sie hatten jetzt ihre dritte Trainingsstunde und langsam sah es ganz passabel aus. Selbst Vincent und Gregory sahen nicht mehr so zerrupft aus, da sie nicht mehr alle Flüche abbekamen, sondern beinahe schon gekonnt parierten, blockten oder sogar auswichen.   Allen in allem sah es ganz manierlich aus. Kein Vergleich mehr zu ihrer ersten Stunde, als die meisten Flüche ihr Ziel trafen und schon nach einer viertel Stunde, die meisten Slytherin kampfunfähig waren, weil sie vor Lachen nicht mehr stehen konnten. Kitzel-, Tanz- und Schwellzauber. Kindisch. Aber immer noch besser, als wenn sie sich gegenseitig ernsthaft verflucht hätten. Aber auch solche Zauber konnten großen Schaden anrichten und den Gegner ausschalten. Etwas missmutig hatten sie dann aber doch eingesehen, dass es doch sinnvoll sein könnte, sich neben Angriffszaubern und Flüchen auch verteidigen zu können. Wenn nicht Potter selbst schon Beweis genug gewesen war, als er den Sectumsempra abgewehrt hatte, der dafür Draco selbst beinah erwischt hätte.   Unschöne Erinnerungen. Draco warf einen Blick auf die Karte, um sich von den negativen Gedanken abzulenken. Der Flur war leer und es sah auch nicht so aus, als würde jemand in diese Richtung unterwegs sein.   Unbewusst strich er mit seinen Fingerspitzen über das verzauberte Pergament. Ein faszinierendes Stück Magie. Potter hatte ihm erzählt, dass sein Vater und dessen Freunde während ihrer Schulzeit die Karte erschaffen hatten. Wer hätte gedacht, dass ein paar Gryffindors zu so etwas in der Lage waren?   Die Karte lag während ihrer Übungsstunden immer so, dass einer von ihnen sie im Blick hatte und sehen konnte, falls jemand Unerwünschtes sich dem Raum näherte. Bisher gab es noch keinen Zwischenfall, aber man konnte nie vorsichtig genug sein.   Draco war der einzige, der wusste, wie man die Karte aktivieren und deaktivieren konnte. Es war sicherer, wenn nicht zu viele darüber Bescheid wussten. Sie waren zwar Verbündete und dienten alle dem Dunklen Lord, aber letztendlich waren sie alle Slytherins. Einem Slytherin sollte man nicht zu viel Vertrauen. Kontrolle war immer besser.   Es war schon erstaunlich, dass Potter ausgerechnet ihm vertraute. Draco hatte Gryffindors Goldjungen seit dem ersten Schuljahr das Leben schwer gemacht, ihn verflucht, beleidigt und ihn bei jeder Gelegenheit sabotiert, meistens in Zaubertränke, weil Snape gerne weggesehen hatte. Keine Basis für Vertrauen. Und doch stand Draco hier, neben ihm die Karte des Rumtreibers, und war aus irgendwelchen Gründen Potters Rechte Hand, wenn man das so nennen wollte. Und auch wenn er es nur ungern zugab, es funktionierte gut. Draco hatte noch etwas daran zu knabbern, dass er Befehle seines Rivalen entgegen nehmen musste, aber…   ‚Oh, verdammt, Draco. Komm drüber hinweg!‘   Die Wahrheit war, dass Potter ihm seitdem nicht einen Befehl gegeben hatte. Im Gegenteil. Als es darum ging, den Befehl des Dunklen Lords nachzukommen, hatte Potter ihn aufgesucht und um seine Meinung gebeten – GEBETEN – hatte ihm ausführlich von seinen Gedanken und Plänen erzählt, wo und wie er die Treffen abhalten wollte und hatte Dracos Ratschläge beherzigt. Zusammen hatten sie ein gutes System erarbeitet, das perfekt mit den Stundenplänen aller zu vereinbaren war.   In der Regel fand das Training in zwei Gruppen statt. Eine am Montag und eine am Donnerstag. An diesen Nachmittagen hatte kaum einer von ihnen Unterricht. Montags lief im letzten Block Muggelkunde. Das hatte keiner von ihnen belegt und jetzt war Arithmantik. Nur ein paar wenige Slytherins hatten dieses Fach gewählt. Sie würden mit einmal Training in der Woche auskommen müssen. Dem Rest stand es frei Montag oder Donnerstag oder wenn sie wollten auch an beiden Tagen teilzunehmen. Nur für Draco bestand Anwesenheitspflicht. Als Potters Quasi-Stellvertreter musste er da sein und über alles Bescheid wissen, falls Dumbledore seinen Goldjungen unerwartet zu sich rufen würde. In diesem Fall müsste Draco das Training übernehmen. Er hoffte sehr, dass das niemals eintreten würde. Er hatte keine Geduld, den Lehrer zu spielen.   Hinzu kam der „Lehrplan“. Potter hatte ihm genau erzählt, welche Zauber sie in ihrer DA geübt hatten. Auf dieser Basis hatten sie eine Reihenfolge entwickelt, wann welcher Spruch trainiert werden würde. Als erstes Abwehrzauber mit Schwerpunkt Protego und Protego totalum, dann Entwaffnungszauber, dann die Lähm- und Schockzauber. Das war alles kein Problem für Draco. Schlimmstenfalls könnte er die Stunden übernehmen und die anderen unterrichten. Anders sah es mit dem Patronus aus. Dieses Highlight hatten sie sich für den Schluss aufgehoben.   Draco hatte sich daran probiert, nachdem Potter ihm ausführlich erklärt hatte, wie er funktionierte, und war kläglich gescheitert. Seitdem überlegte er krampfhaft, fand aber keine glückliche Erinnerung, die stark genug wäre. Er musste sich eingestehen, dass er nicht viele glückliche Erinnerungen hatte. Wie es bisher aussah, würde er an diesem Zauber scheitern. Und man konnte niemanden etwas beibringen, was man selber nicht beherrschte.   Ein violetter Lichtblitz raste auf Draco zu, holte ihn aus seinen Gedanken. Mit einem kleinen Schlenker seines Zauberstabs hatte er einen unsichtbaren Schild um sich aufgebaut und der Zauber verpuffte einen halben Meter vor ihm.   „Ah, entschuldige bitte, Draco. Das war ein Versehen.“, flötete es zuckersüß aus der Menge. Pansy sah ihn herausfordernd an, ließ keinen Zweifel daran, dass dieses „Versehen“ alles andere als ein Versehen gewesen war.   Draco ignorierte sie und ließ seinen Blick weiter über die Menge schweifen, blieb an Potter hängen. Der schaute ihn kurz mit gerunzelter Stirn an, bevor er sich wieder Gregory zuwandte und ihm zum gefühlten 100sten Mal erklärte, wie er seinen Zauberstab führen musste, um einfache Flüche abzuwehren.   Wenn man Potter so sah, konnte man ihn sehr leicht unterschätzen, mit seinen strubbeligen Haaren und seiner runden Brille, die seine schönen grünen Augen verdeckte. Kaum zu glauben, dass sie ihm bisher nie aufgefallen waren. Sie standen sich so oft gegenüber, haben sich gegenseitig regelrecht in die Augen gestarrt, aber ihm war nie aufgefallen, wie kräftig das Grün und wie ausdrucksstark Harrys Augen waren. Draco hatte sich erst bei dem Gespräch vorhin die Mühe gemacht, genauer hinzusehen. Und dann hatte er seine Mühe gehabt, wieder wegzusehen. Sie waren genauso grün wie das in Slytherins Wappen und wenn er lachte, leuchtete es genauso, wie der Blitz des Todesfluchs. Was genau hatte Potter in Gryffindor zu suchen, wenn alles an ihm geradezu Slytherin schrie? Nicht nur seine Augen, auch seine Persönlichkeit, wie Draco in den letzten Wochen feststellen konnte. Potter war ehrgeizig, schlau, konnte sogar hinterlistig sein, wenn es die Situation erforderte, und hatte allem Anschein nach Führungsqualitäten. Warum ihn der Sprechende Hut nach Gryffindor geschickt hatte, blieb Draco ein Rätsel.   Wie gebannt starrte er weiter auf den Gryffindor, verfolgte jeden seiner Bewegungen. Es sah ziemlich grob und etwas unbeholfen aus, aber jeder Zauber saß perfekt. Draco hatte sich zu Beginn ihrer Stunden immer wieder gefragt, wie Potter es schaffte, so effizient und präzise zu sein, obwohl seine gesamte Erscheinung daran zweifeln ließ. Er dachte zuerst, dass es ein Trick sei, damit der Gegner ihn unterschätzte. Aber das stimmte nicht. Jetzt, da er wusste, wie Potter unter seinen viel zu großen Sachen bzw. der unvorteilhaften Schuluniform aussah, war es einfach, sich die grazilen Bewegungen vorzustellen. Schon bei den kleinsten Gesten konnte er sich vorstellen, wie sich die seidig glänzende Haut über seine festen Muskeln spannte.   Dracos Finger zuckten unbewusst bei der Vorstellung in dem stummen Wunsch, mit eben diesen über Harrys Haut zu fahren. Oder doch lieber mit seiner Zunge? Nach dem Training, wenn sie beide leicht verschwitzt waren. Angefangen über Harrys Bauchnabel, das Sixpack nach oben gleitend, zwischen den Brustmuskeln entlang, anschließend der Schlagader folgend, um genüsslich an seinem Ohrläppchen zu knabbern, dabei spüren, wie Harrys Puls immer schneller und schneller würde, wie er es bei den Übungskämpfen nie geworden war. Sein Atem stoßweise heiß gegen seine Wange…   Wieder kam ein Zauber auf ihn zugerast und holte ihn aus seinem Tagtraum. Der gelbe Lichtblitz wurde von seinem Schild reflektiert und auf den Angreifer zurückgeworfen. Der fing ihn mit einer gezielten Bewegung seines Zauberstabes wieder ein und hatte dann auch noch die Frechheit, ihn amüsiert anzugrinsen.   „Wofür war das, Potter?“, fragte Draco genervt. Wenn er ihn schon aus seiner Fantasie herausholte, dann sollte er sie gefälligst Wirklichkeit werden zu lassen. Oder?   Aber Potter grinste ihn nur weiter an. „Ich habe mich nur gefragt, wo du mit deinen Gedanken bist. Anscheinend nicht beim Training, wenn ich mir deinen verträumten Gesichtsausdruck so ansehe.“   Auch Dracos Eisblick, der jeden anderen in die Knie gezwungen hätte, half nicht. Potters Grinsen wurde sogar noch eine Spur breiter. Er ärgerte sich aber am meisten über sich selbst. Er sollte nicht einfach so in Tagträume abtauchen und dabei seine Deckung vernachlässigen, selbst wenn es sich nur um Übungen handelte. Er war immerhin der Anführer der Slytherins und solche Fehler könnten ihn schnell seine Position kosten. Außerdem waren diese Übungsstunden die beste Zeit, um seiner Aufgabe nachzukommen. Hier hatte er die besten Chancen, herauszufinden, wer Potters heimliche Liebe war.   Immerhin war sie eine Slytherin und Jungtodesser. In mindestens einer der beiden Stunden musste sie anwesend sein. Aber auch hier hatte sich Potter bisher nichts anmerken lassen. Keine besondere Aufmerksamkeit, keine übermäßige Sorge, keine bevorzugte Behandlung. Es war frustrierend.   „Was hältst du davon, wenn wir Entwaffnungszauber mit ins Spiel bringen? Die Schildzauber sitzen soweit und müssen sowieso immer genutzt werden. Also wird es an Übung nicht mangeln.“   Draco löste sich von seiner Säule und ging provokant langsam auf Potter zu. Jeder andere wäre jetzt eingeknickt. Aber Potter tat ihm diesen Gefallen natürlich nicht. Er blieb einen halben Meter vor dem Gryffindor stehen und… gab auf. „Von mir aus.“, seufzte Draco. „Theodor! Behalte solange die Karte im Auge.“   Wie erwartet, setzte sich Theodor sofort in Bewegung und nahm Dracos Platz an der Säule ein. Er hätte lieber Blaise genommen, weil er sich sicher war, dass Blaise genauso gut von seiner Mutter trainiert worden war, wie Draco von seinem Vater, auch wenn der dunkle Slytherin nicht so gut war wie Draco selbst. Aber bei ihm war es deswegen nicht so schlimm, wenn seine Aufmerksamkeit nicht die ganze Zeit an Potters und seinen Übungskämpfen hing.   Aber Blaise hatte bedauerlicherweise Arithmantik. Deswegen musste seine zweite Wahl herhalten.   Draco blieb geduldig auf der Stelle stehen, während Potter sich von ihm wegdrehte und den ersten Entwaffnungszauber erklärte, den Expelliarmus.   „Ich zeige euch jetzt erstmal, wie der Zauber funktioniert. Anschließend werden Draco und ich uns duellieren, damit ihr sehen könnt, wie das ganze in einem Duell aussieht.“ Alle Schüler hatten sich zu einer kleinen Gruppe zusammengefunden und hörten konzentriert Potters Ausführungen zu. Einige waren dabei aber aufmerksamer als andere. Blechtley wirkte sehr gelangweilt und sah häufiger auf die Essenreste als auf seinen ‚Lehrer‘. Gerade er sollte sich zweimal überlegen, ob er Potter verärgern wollte.   Die Augen des in Ungnade gefallenen Slytherin huschten unruhig hin und her, bis sie von Dracos eiskalten Blick eingefangen wurden. Draco zog nur eine Augenbraue nach oben. Das genügte, um seinen Unmut über seine mangelnde Konzentration kundzutun. Blechtleys Blick verfinsterte sich kurz, wandte sich dann aber wieder Potter zu. Draco nahm sich vor, ihn etwas genauer zu beobachten. Möglich, dass er seine Lektion doch noch nicht gelernt hatte. Obwohl es nur schwer vorstellbar war, dass sich jemand bewusst Voldemorts Anweisungen widersetzen würde. Und das, nachdem er vor allen bestraft worden war.   „Der Spruch ist Expelliarmus. Den kennt ihr bestimmt alle noch aus dem Duellierclub von Lockhart.“ Wenn Draco sich so die Gesichter seiner Kameraden anschaute, war wohl eher das Gegenteil der Fall. Nur Millicent nickte aufgeregt. „Wie Professor Snape damals demonstriert hatte, wird dabei der Zauberstab über die Schulter geschwungen. So.“ In einer fließenden Bewegung hob Potter seinen Arm und beschrieb einen kleinen Kreis. „Zumindest fängt man so an, ihn zu üben, um ein richtiges Timing für Bewegung und Zauberwort zu finden und für den Anfang ist es einfacher, zu zielen.“   Wie aus dem Nichts tauchte fünf Meter von Potter entfernt eine steinerne Statur auf. Sie sah aus wie ein Zauberer mit Umhang und Spitzhut, hatte sogar einen hölzernen Stock in der Hand.   „Ex-pelliarmus!“ Laut und deutlich hallte das Wort durch den Raum, begleitet von einem blendend scharlachroten Blitz, und innerhalb eines Wimperschlages war der Statur der Stab entrissen. Er flog durch die Luft und landete genau in Potters ausgestreckter Hand. Mit einem kleinen Lächeln drehte er sich wieder zu seinen Schülern. „Den Zauberstab des Gegners zu fangen, ist natürlich der Idealfall und in einem echten Kampf kaum zu schaffen. Da kann man froh sein, wenn man es schafft, den Gegner zu entwaffnen. Wenn ihr das Timing richtig beherrscht, könnt ihr anfangen, den Kreis zu verkleinern, bis er kaum noch sichtbar ist. Ungefähr so.“ Blitzschnell hatte sich Potter wieder zu der Statur gedreht, die jetzt wieder eine neue Zauberstabattrappe in der Hand hielt. Diesmal machte er nur einen kaum merklichen Schlenker mit seiner Zauberstabhand. Der rote Blitz schoss aus der Spitze seines Zauberstabes und traf präzise sein Ziel. Wieder fing er den Stock mit seiner linken Hand auf. „In einem echten Kampf ist es besser, wenn der Gegner nicht vorher weiß, welchen Spruch ihr benutzt, damit er sich nicht darauf vorbereiten kann. Der Expelliarmus ist selbst sehr auffällig, wie ihr gesehen habt. Deswegen ist es von Vorteil, die Bewegung so unauffällig wie möglich zu machen. Und am besten ungesagt.“   Draco sah in teilweise skeptische Gesichter. Er wusste von den Slytherins in seinem Jahrgang, dass sie das Training ernst nahmen und auch dankbar waren für Potters Unterstützung. Aber bei den Siebtklässlern sah das anders aus. Er hatte gehört, wie sich Pucey mit zwei Mädchen unterhalten hatte, wie sinnlos sie die Defensivzauber fanden. Zeit, sich ein bisschen miteinzubringen.   „Genug geredet. Lass und anfangen.“ Schnell machten die anderen Slytherins Platz. Sie stellten sich zwischen den Säulen auf und ließen ihren beiden Anführern den riesigen Gang für ihr Duell. Zufrieden bemerkte Draco, wie zumindest seine Klassenkameraden einen Schutzschild heraufbeschworen. Gregory und Vincent waren noch nicht so gut, dass sie ihn lange halten konnten, aber Draco wusste, dass Pansy und Theodor sie unaufgefordert schützen würden, sollte ihr Schild zusammenbrechen. Die Siebtklässler taten nichts dergleichen. Wenn sie es immer noch nicht gelernt hatten, waren sie selbst schuld. Vielleicht sollte sich einer seiner Flüche ausversehen zu ihnen verirren. Vielleicht begriffen sie es dann.   Die steinerne Statur war verschwunden. Stattdessen standen jetzt Potter und Draco fünf Meter voneinander entfernt. „Gibt es noch irgendwelche Fragen, bevor wir anfangen?“ Verneinendes Gemurmel war zu hören, aber Draco achtete schon gar nicht mehr darauf. Er wollte sich endlich duellieren.   „Mach schon, Potter. Du kannst deine Niederlage noch so lange hinauszögern, aber ändern wirst du daran eh nichts.“ Herausfordernd stand er da und bedachte seinen ehemaligen Rivalen mit einem provozierenden Lächeln.   „Meinst du nicht, dass du dich da ein bisschen überschätzt, mein lieber Draco?“, erwiderte Potter genauso provokant.   „Oh, absolut nicht. Gewonnen hat der, der als letztes seinen Zauberstab noch hat.“ Sie verbeugten sich voreinander und nahmen ihre Kampfstellung ein, beide ein vorfreudiges Glitzern in den Augen.   „Angst, Potter?“   „Träum weiter, Malfoy.“   Das war der Startschuss.   „STUPOR!“ „CONFUNDO!“   Draco grinste als der rote Lichtblitz an seinem Schild abprallte und in die Säule neben Pucey einschlug. Er hatte aber keine Zeit sich auf die Reaktion des Slytherins zu konzentrieren, denn der Gryffindor vor ihm schwang schon wieder seinen Zauberstab für einen erneuten Angriff. Dracos Zauber war ebenfalls von Potters Schild aufgehalten worden und war sofort verpufft. Er hatte auch nicht erwartet, dass es so leicht sein würde. Das wäre doch sehr enttäuschend gewesen.   „CONFRINGO!“ Der Explosionszauber krachte in Dracos Schild und schob ihn zwei Meter weiter nach hinten. Er konnte die Hitze auf seiner Haut fühlen und schwankte etwas, hatte sich aber schnell wieder gefangen. Potter hatte glücklicherweise nicht allzu viel Kraft eingesetzt.   Aber was Potter konnte, konnte er schon lange. „EXPULSO!“, schrie er seinen Gegner entgegen.   Potter wich seinem Explosionszauber aus, der in eine der Säulen einschlug. Ein Großes Loch klaffte in dem grauen Stein und die Schlangen schlängelten aufgeregt drumherum.   „IMPEDIMENTA!“ Mit einer eleganten Drehung wich Draco dem Lähmzauber aus. So leicht würde er sich nicht außer Gefecht setzen lassen.   „TARANTALLEGRA!“ Draco musste sich ein Lachen verkneifen, als er in Potters überrascht aufgerissene Augen blickte. Natürlich hatte er Potter nicht getroffen. Viel zu leicht hatte der Goldjunge diesen Fluch auf halben Weg geblockt. Aber vier Jahre alte Erinnerungen fanden ihren Weg in sein Bewusstsein. Damals hatte Potter den Fluch nicht abwehren können. Draco würde einiges tun, um Potter noch mal so tanzen zu sehen.   Der Slytherin in ihm ließ Draco aber nicht in seiner Vorstellung verharren. Es gab immer noch ein Duell zu gewinnen. Es war nur ein Bruchteil einer Sekunde, in der Potter abgelenkt war, aber dieser gab Draco den Vorteil, den er brauchte. Ein leichter Schlenker seines Zauberstabes und schon schoss der markante scharlachrote Lichtblitz des Expelliarmus aus der Spitze heraus.   Es war knapp gewesen. So knapp. Aber im allerletzten Moment hatte sich Potter wieder im Griff gehabt und war Dracos perfekt platzierten Zauber ausgewichen. Der Zauber war nützlich, aber leider wirklich viel zu auffällig.   Mit todesgrün blitzenden Augen sah Potter Draco an. Sein Atem ging etwas schneller und ein aufgeregtes Lächeln lag auf seinen Lippen. „Also fangen wir jetzt endlich richtig an?“   „Bereit für deine Niederlage, Potter?“ Ohne ein weiteres Wort ging der Kampf weiter.   Abwechselnd rote, blaue und gelbe Blitze erfüllten den Raum zwischen den beiden Zauberern. Aber die meisten Flüche erzeugten keine solchen Blitze. Vereinzelt konnte man noch durch die Handbewegung die Zauber identifizieren, aber auch diese wurden immer weniger und wurden von Flüchen abgelöst, die sich erst durch ihre Wirkung zu erkennen gaben.   Das Duell dauerte an. Beide Gegner schenkten sich nichts. Mehr und mehr Steine wurden aus den Wänden, dem Boden und den Säulen herausgebrochen, verpulverisiert und hüllten den Ort in eine immer dichtere Staubwolke.   In der Zwischenzeit hatten sich sogar die Siebtklässler mit einem Schutzschild umgeben. Es war schwer, die einzigen beiden Zauber, die einen roten Lichtblitz erzeugten, zu unterscheiden. Nur für einen brauchte man eine Handbewegung, aber beide Zauberer beherrschten ihn so perfekt, dass man sie so gut wie nicht ausmachen konnte. Sie hatten angefangen, zu raten, wer welchen Zauber bzw. Fluch gerade verwendet hatte.   „Diffindo.“, meinte Millicent, als erst auf Potters Umhang, dann auf seinem Hemd mehrere feine Schnitte auftauchten. Auch die Krawatte war plötzlich viel kürzer.   „Stupor! Stupor!“, rief Gregory ganz aufgeregt.   „Nein, das war der Expelliarmus. Potters Hand hat ganz eindeutig gezuckt.“, widersprach Vincent.   „Niemals! Das hast du dir eingebildet.“, mischte sich jetzt Tracey mit ein.   „Incarcerus.“, rief Pansy als aus der Spitze von Dracos Zauberstab vier Seile auf einmal hervorschossen und blitzartig wie wütenden Schlangen auf Potters Hand- und Fußgelenke zurasten.   Potter reagierte schnell, aber er schaffte es, nur drei der vier Seile aufzulösen. Das vierte schlang sich um seinen linken Knöchel und riss ihn zu Boden. Er musste sich mit beiden Händen abstützen und schlug sich seine Fingerknöchel auf. Aber der Zauberstab blieb fest in seiner Hand.   Mit einem wilden Blick noch immer auf dem Boden kniend drehte er sich wieder zu Draco und schickte den nächsten Zauber auf seinen Weg.   Ein ohrenbetäubender Knall erfüllte die Halle, als zwei verschiedene Explosionszauber aufeinander trafen. Die Druckwelle war so stark, dass alle Anwesenden von ihren Füßen gerissen wurden, die Aufschreie der Slytherins gingen in dem Nachbeben der Zauber unter. Schutt und Staub flogen durch die Luft, kollidierten mit den schwächer werdenden Schutzschilden, bis sie gänzlich zusammenbrachen. Ein einzelner scharlachroter Lichtblitz bahnte sich seinen Weg durch die mit bloßem Auge undurchdringlichen Wolke. Mit einem Mal verklang der Nachhall der Explosion. Alles, was man noch hörte, war, wie ein Holzstab auf den Steinboden fiel. Kapitel 20: Flüche und Gegenflüche ---------------------------------- Langsam legte sich die Staubwolke und man konnte wieder die eigene Hand vor Augen sehen. Der Raum war ein Trümmerfeld. Überall lagen Geröll und Steine herum und auch das Essen waren nicht verschont geblieben. Der Tisch war unter dem Gewicht einer umgefallenen Säule zusammengebrochen, das Essen lag auf dem Boden verteilt. Alles war bedeckt von einer hellgrauen Staubschicht aus den pulverisierten Steinen so fein wie Asche.   ‚Wir haben es anscheinend etwas übertrieben.‘, dachte Harry, als er sich umsah, um das Ausmaß der Schäden zu begutachten.   Ihr Publikum lag zwischen den Trümmern. Vereinzeltes Husten und Stöhnen war zu hören, aber niemand wagte, etwas zu sagen, während sie sich gegenseitig aufhalfen.   Dracos Seil hing immer noch um Harrys linkes Handgelenk. Das andere Ende war zwischen zwei größeren Steinbrocken eingeklemmt. Harry teste kurz die Stabilität, bevor er sich an dem Seil auf die Füße zog. Sein ganzer Körper tat weh und protestierte unter der plötzlichen Bewegung. Aber es half nichts. Er streifte das Seil ab und machte sich die Schmerzen ignorierend auf die Suche nach seinem Gegner.   Draco lag nur zwei Meter von Harry entfernt. Im Gegensatz zu allen und allem anderen lag auf ihm keine Staubschicht. Seine Erscheinung war makellos. Der Slytherin lag auf seinem Rücken, die Beine leicht angewinkelt, einen Arm neben sich abgelegt, während der andere seine Augen verdeckte. Sein Atem ging ruhig und gleichmäßig. Sein Zauberstab lag einen halben Meter neben seinem Kopf.   Harry lächelte. „Willst du da so liegen bleiben?“, fragte er und konnte seine Selbstzufriedenheit über seinen Sieg einfach nicht aus seiner Stimme herausnehmen.   „Ach, halt die Klappe, Potter.“ Draco bewegte sich immer noch nicht.   Langsam begann der Staub um sie herum, sich aufzulösen und auch die Gesteinsbrocken verloren immer mehr an Substanz.   „Hör auf zu schmollen.“ Harry trat mit seinem Fuß leicht gegen Dracos Schuhe. „Du hast dich sehr gut geschlagen. Du hättest mich beinahe gehabt.“   Dracos Lippen verzogen sich zu einem undeutbaren Grinsen und er gluckste leise. Er nahm seinen Arm von seinen Augen und blickte Harry immer noch mit diesem Grinsen im Gesicht direkt an. „Noch nicht. Aber ich hoffe bald.“   Harry zog fragend eine Augenbraue nach oben, schüttelte aber gleich darauf den Kopf. Er wollte sich nicht schon wieder Gedanken darüber machen, ob Draco mit ihm flirtete. Das war Blödsinn. Vor allem in ihrer jetzigen Situation. Stattdessen streckte er seine Hand aus, um Draco aufzuhelfen.   Draco ergriff die dargebotene Hand und ließ sich hochziehen. Er klopfte sich den nicht vorhanden Staub von seinen Sachen und machte sich dann auf die Suche nach seinem Zauberstab.   Der Raum nahm immer mehr und mehr sein ursprüngliches Aussehen an. Die Löcher in den Wänden füllten sich mit neuem Stein, während sich der Schutt immer weiter auflöste.   Ein überraschter Aufschrei war zu hören und Harry schaute sich um, um die Ursache ausfindig zu machen. Crabbe saß auf den Boden und rieb sich sein großes Hinterteil. Die Slytherins um ihn herum lachten.   Harry grinste kurz in sich hinein, bevor etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Unter einem sich gerade auflösendem Stein, befand sich ein kleines Stück Pergament. Er wollte danach greifen, aber der Stein war noch zu massiv und er konnte ihn nicht durchdringen. Immer mehr verblasste das Hindernis und Harry konnte deutlich eine Schrift auf dem Zettel erkennen. ‚Draco.‘ Er blickte sich nach dem Slytherin um, der gerade seinen Zauberstab gefunden hatte und sich danach bückte.   Aus den Augenwinkeln sah Harry, wie Nott eine schwungvolle Bewegung vollführte und auch das Essen und das Trinken wieder auf den reparierten Tisch ihren Platz fanden. Draco gesellte sich zu Nott und kontrollierte die Karte des Rumtreibers. Harry hatte gar nicht an sie gedacht. Sie hätten sie ausversehen zerstören können. Seit er die Fähigkeit erlernt hatte, alle Lebewesen in seiner Umgebung zu spüren, hatte er sie nicht mehr selbst benötigt. Aber sie hatte seinem Vater gehört, er hat sie mit erschaffen. Harry sollte besser auf sie achtgeben. Draco untersuchte die Karte genau und nickte ihm dann zu. Erleichtert wandte Harry sich den anderen Slytherins zu.   „Ist irgendjemand verletzt?“ Draco und Nott brauchte er nicht fragen. Er hatte vollstes Vertrauen in ihre Fähigkeiten, sich bei einem solchen Übungskampf zu schützen, auch wenn er ein bisschen außer Kontrolle geraten war. Es war immer noch kein Vergleich zu einem echten Kampf und sie hatten noch nicht einmal schwarzmagische Flüche verwendet.   Die anderen Jungtodesser brauchten noch mehr Übung. Ihr jetziger Zustand bewies eindeutig, dass sie das Training brauchten. Beinahe jeder von ihnen hatte mehrere Schrammen und Schürfwunden und ihre Kleidung war an mehreren Stellen zerrissen. Einige mehr, andere weniger. Mit einer Kopfbewegung deutete Harry an, dass Draco und Nott ihnen helfen gehen sollten. Er selbst wendete sich wieder dem Stück Pergament zu, zu neugierig, was er darauf finden würde.   Endlich hatte der Stein sich aufgelöst und Harry griff nach dem Zettel. Er hatte sich nicht geirrt. Es war eindeutig Dracos Schrift. Darauf standen neun Initialen und hinter jeder stand eine kleine Notiz.   D. G.: hübsch und intelligent, aber sehr arrogant – näher im Auge behalten   P. P.: aufdringlich, nervig, sehr langweilig im Bett – dann wäre P. zu bedauern   M. B.: So einen schlechten Geschmack traue ich nicht mal P. zu. Selbst ohne Brille kann man ihr schwerfälliges Auftreten und ihre bullige Erscheinung nicht mit etwas Begehrenswertem verwechseln. Was ist P.s Typ? Vielleicht steht er ja auf sowas? (L.T.: unscheinbar, schüchtern à gibt es nicht in Slytherin)   T. D.: intelligent, kreativ/experimentierfreudig im Bett, Aussehen passabel – käme in Frage   L.B.: beängstigend, viel zu groß – überragt Potter um anderthalb Köpfe (Was ist P.s Typ?)   J.K.: lesbisch, Beziehung mit H., hübsch aber IQ wie V. oder G. – nicht auszuschließen   H.R.: bi, Beziehung mit J., ziemlich eingebildet, steht auf Sex an ungewöhnlichen Orten – nutzt J. nur aus. Mieser Charakter, selbst für eine Slytherin.   M.H.: langweilige Persönlichkeit, im Bett akzeptabel, hübsch - möglich   S.B.: Hübsch, solange sie den Mund zu lässt. Ernsthaft! Noch nie was magischer Zahnkorrektur gehört? Da sahen selbst G.s Zähne vorher besser aus. Da müsste P. beim Küssen aufpassen, dass er sich nicht verletzt.   Harry fing laut an, zu lachen und konnte nicht mehr aufhören. Das waren sehr interessante Gedanken. Sein Lachen erregte die Aufmerksamkeit der anderen. Er konnte die irritierten Blicke auf sich spüren und besonders ein Paar hellgrauer Augen, die ihn ansahen, als ob er den Verstand verloren hätte.   Draco ging auf Harry zu und hatte schon seinen Mund geöffnet, um zu fragen was los sei, als Harry ihm das Pergament entgegenstreckte und ihn amüsiert anschaute. Dracos Augen weiteten sich vor Schreck und er riss Harry den Zettel aus der Hand.   „Verdammt!“, presste Draco zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.   „Was ist denn los?“ Harry gluckste immer noch vor sich hin. „Ich fand das sehr interessant. Vor allem die Ergänzungen über deine eigenen Erfahrungen. Sehr aufschlussreich.“ Harry wusste, dass Draco es mit keinem dieser Mädchen ernst gemeint hatte. Die einzige richtige Beziehung, die der Slytherin bisher hatte, war mit Parkinson gewesen. Und nach allem, was er wusste, war Draco froh, dass er sie wieder los war.   Draco funkelte ihn wütend an. „Das solltest du nicht sehen.“   „Warum nicht?“, fragte er jetzt ehrlich neugierig. „Es ist ja nicht so, als ob ich nicht wüsste, dass Voldemort dich darauf angesetzt hat. Es hätte mich eher gewundert, wenn er es nicht getan hätte. Und jetzt weiß ich wenigstens mal, wie der Stand deiner Ermittlungen ist. Anscheinend habe ich mich noch nicht verraten.“   Draco seufzte schwer und griff sich in den Nacken, um die sich eben dort gebildete Verspannung weg zu massieren. „Nein, hast du nicht.“ Plötzlich legte sich ein teuflisches Grinsen auf seine Züge. „Aber du könntest mir ja einen kleinen Tipp geben.“   „Pft! Davon träumst du. Aber…“ Blitzschnell, wie man es von dem besten Sucher auf Hogwarts erwarten würde, hatte Harry Draco das Pergament wieder entrissen und beäugte neugierig die Notizen. „… vielleicht ändere ich ja meine Entscheidung noch.“ Mit einem spielerischen Funkeln in den Augen blickte er Draco an. Harry überlegte kurz, ob er Draco noch nach seiner Einschätzung zu den männlichen Slytherin fragen sollte, entschied sich aber schnell wieder dagegen. Draco machte kein Anzeichen, dass er vermuten würde, dass Harry auf Männer stand trotz seiner Performance am Abend zuvor. Schlafende Schlangen sollte man nicht wecken.   Harry wusste nicht, was für eine Reaktion er von seinem ehemaligen Rivalen erwartet hatte, aber dieser ernsthafte Blick und diese starre Haltung war es auf jeden Fall nicht. Überrascht wich er einen halben Schritt zurück. ‚Habe ich mir das eingebildet oder haben sich Dracos Augen gerade eine Spur verdunkelt?‘   Aber bevor er den Slytherin fragen konnte, was los war, wurden sie von einer sehr gereizten Stimme gestört.   „Seid ihr endlich fertig mit dem Herumgealbere oder was? Ich dachte, wir sind hier, um zu trainieren?“ Bletchley kam auf sie zu und sah alles andere als glücklich aus. Draco nahm Harry schnell wieder das Pergament aus der Hand und steckte es tief in seinen Umhang. Harry ignorierte ihn und schaute stattdessen kalt zu Bletchley. Er hatte nicht vergessen, dass dieser Widerling beinahe Draco schwer verletzt hatte und spürte eine kalte Wut in sich aufsteigen. Der Wunsch, diese nichtswürdige Kreatur leiden zu sehen, wurde jedes Mal stärker, wenn er ihn ansah. Manchmal, und es wurde immer seltener, fragte Harry sich, ob er schon immer diese sadistische Seite in sich gehabt hatte oder ob sie erst entstanden ist, als er angefangen hatte, sich mit den Dunklen Künsten zu beschäftigen.   Harry verschränkte die Arme vor der Brust und wartete, was Bletchley zu sagen hatte, nicht gewillt, mehr Zeit als nötig mit diesem Wurm zu verbringen.   „Ich dachte, du solltest uns etwas beibringen, zeigen, wie wir richtig kämpfen. Stattdessen zeigst du uns erst diese dämlichen Schildzauber und jetzt dieses Expellamus-Mist. Das war ein schönes Schauspiel, was ihr hier aufgeführt habt, aber in einem echten Kampf sind diese Zauber völlig sinnlos.“   Ein kaltes Lächeln zierte Harrys Lippen. Das kannte er doch schon. „Weißt du, Bletchley, als ich letztes Jahr die anderen unterrichtet hatte – nebenbei 28 Schüler aus den anderen Häusern – gab es auch jemanden, der meinte, dass solche Zauber in einem Kampf gegen Voldemort nichts bringen würden.“ Harry löste sich aus seiner Position und ging langsam, beinahe raubtierartig auf Blechtley zu. Eine dunkle Aura umgab ihn und jeder, der ein bisschen Verstand besaß, hätte schleunigst das Weite gesucht. „Nun… Ich habe den Expelliarmus in einem Kampf gegen Voldemort benutzt. Und ich habe diesen Kampf offensichtlich überlebt. Ich habe Smith damals gesagt, dass er gerne gehen könne, wenn er sich nicht damit abgeben wollte. Er ist geblieben. Wie alle anderen auch. Jeder einzelne von ihnen beherrscht diese Zauber aus dem Effeff. Wie willst du gegen sie kämpfen, wenn du ihnen auf dem Schlachtfeld gegenüberstehst? Sie können die meisten deiner Zauber abwehren und weil du keine Entwaffnungszauber kennst, kannst du dich nicht auf sie vorbereiten und sie treffen dich völlig unvorbereitet. Und schon bist du deinen Zauberstab los und besiegt.“   „Das ist Blödsinn!“ Bletchley wurde immer lauter. „Natürlich kenne ich die Zauber. Mich würde keiner unvorbereitet treffen.“   Hinter Harry hörte man ein kleines Glucksen. Draco hatte sich in Bewegung gesetzt und blieb neben Harry stehen. Er schaute seinen Mitschüler mit einer Mischung aus Belustigung und der gleichen Wut an, die auch Harry verspürte. „Du kennst die Zauber, ja? Wie hast du gerade den Entwaffnungszauber genannt? Expellamus? Bitte führe ihn uns doch mal vor. Ich bin zu neugierig, was passiert.“   Bletchleys wirkte wie ein in eine Ecke gedrängtes Raubtier. Die Zähne waren gefletscht und ein Grollen entwich seiner Kehle.   Unbeeindruckt blieben Harry und Draco vor Bletchley stehen. Harry überlegte kurz und schnalzte mit seiner Zunge, bevor er weiter sprach.   „Da das Training ein Befehl von Voldemort persönlich war, kann ich dir nicht anbieten, einfach zu gehen, wenn dir mein Unterricht nicht passt. Aber ich hätte folgenden Vorschlag für dich…“ Harrys Lächeln nahm leicht diabolische Züge an. „Da du ja glaubst, dass meine Art zu kämpfen so sinnlos ist, hast du bestimmt kein Problem, dich mit mir zu duellieren. Wenn du gewinnst, kannst du den Unterricht übernehmen und wir lernen, was du für richtig hältst. Wenn ich gewinne, dann machen wir den Unterricht genauso weiter, wie ich ihn geplant habe. Und das bedeutet, dass als Nächstes der E x p e l l i a r m u s dran ist.“ Er machte sich die Mühe, jeden einzelnen Buchstaben zu betonen und ihm damit noch mal seinen Fehler von eben vor Augen zu führen. Harry wusste, dass er ihn damit nur noch wütender machen würde, aber wenn es tatsächlich zu einem Kampf käme, wäre es nicht von Nachteil, wenn Bletchleys Wut sein Urteilungsvermögen trüben würde. Nicht, dass Harry das nötig hätte, aber je kürzer der Kampf, umso eher könnten sie weiter machen und nicht noch mehr Zeit verschwenden.   „Schon gut.“, presste Bletchley zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. „Lass uns diesen Kinderkram nur so schnell wie möglich hinter uns bringen, damit wir endlich mit den richtigen Zaubersprüchen anfangen können.“   Harry beobachtete skeptisch, wie Bletchley wieder zu den anderen Slytherins zurück ging. Er stellte sich etwas weiter abseits hin und sah niemanden in die Augen. Das war zu leicht gewesen. Oder? Schon das zweite Mal war er jetzt vor den anderen Jungtodessern bloßgestellt und gedemütigt worden. Es war kaum zu glauben, dass dieser arrogante Slytherin so leicht aufgegeben hatte. Harry wusste nicht so recht, ob er froh sein sollte, dass er ihre Zeit nicht mit einem sinnlosen Kampf verschwenden musste, oder ob er enttäuscht war, weil er nicht Gelegenheit bekommen hatte, Bletchley ein paar Schmerzen zuzufügen.   Harry richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die anderen Slytherins, die neugierig zwischen Bletchley und ihren beiden Anführern hin und her schauten. Soweit er das beurteilen konnte, hatte Nott in der Zwischenzeit alle Wunden geheilt.   ‚Nott ist ziemlich gut mit Heilzaubern. Könnte mir vorstellen, dass er ein sehr guter Heiler werden würde. Werde das mal bei Gelegenheit mit Voldemort besprechen. Es wäre praktisch, jemanden in den Reihen zu haben, der nicht nur kämpfen, sondern auch heilen kann. Außerdem wäre ein Todesser im St.- Mungo bestimmt auch nicht verkehrt.‘ Harry nickte Nott zu und bedankte sich stumm für seine Hilfe.   „Sind alle wieder fit?“ Einstimmiges Nicken und zustimmendes Gemurmel war die Antwort. „Gut! Dann werdet ihr jetzt selbst den Expelliarmus üben. Erst an Attrappen bevor ihr gegeneinander antretet. Ich will erst sichergehen, dass jeder die richtige Betonung kann, bevor ich euch aufeinander loslasse.“, sagte er mit einem kleinen Seitenblick auf Bletchley.   Es brauchte nur ein Augenzwinkern und schon ragten zwischen den Säulen hinter Harry steinerne Zaubererstatuen hervor identisch mit der, die er vorher schon zur Demonstration genutzt hatte. Es standen immer zwei Statuen zwischen zwei Säulen. Das gab genug Platz, damit die Slytherin sich nicht gegenseitig behindern konnten. „Versucht, genau zu zielen. Wenn ihr eine der Steinschlagen trefft, könnte sie euch das übel nehmen und sich vielleicht von der Säule lösen, um euch zu beißen.“ ~Das wäre doch schade, nicht wahr?~ Vielleicht bildete er sich das nur ein, aber die Steinschlangen schienen sich schneller zu bewegen, nachdem er Parsel gesprochen hatte. Auf jeden Fall wirkten die Slytherins etwas nervös und schauten ihn unsicher an.   Harry verdrehte die Augen und seufzte schwer. „Das war doch nur Spaß. Hat hier keiner Sinn für Humor?“   „Dein Sinn für Humor lässt sehr zu Wünschen übrig, Potter.“, erwiderte Parkinson. Ihre Stimme hatte eine repulsive Wirkung auf Harry. Er konnte nicht mal genau sagen, warum das so war, aber ihm wäre es lieber, wenn dieses Weib den Mund geschlossen halten würde. Aber er wusste, dass er so viel Glück nicht haben würde.   „Tz! Slytherin, die Angst vor Schlangen haben. Das dürfte der Lacher des Jahrhunderts sein.“   „Sehr witzig!“   „Sag ich doch.“   „Es reicht jetzt!“, mischte sich Draco ein, „Fangt endlich an, zu üben. Unsere Zeit ist gleich vorbei.“ Und wie Harry es gewöhnt war, hörten die Slytherins aufs Wort. Jeder stellte sich vor eine Statur. Einige übten erst die Bewegung, andere erst den Spruch, nur wenige versuchten es gleich richtig. Wie erwartet, gelang es Nott gleich beim ersten Mal. Harry konnte es an der Farbe des Zaubers erkennen. Leider traf er den Zauberstab seines „Gegners“ nicht, sondern erwischte den steinernen Zauberer bloß an der Schulter. Aber Harry war sich sicher, dass es nicht lange dauern würde, bis er den Zauber beherrschte.   Parkinson hatte sich ebenfalls gleich richtig an dem Zauber probiert. Auch sie enttäuschte Harrys Erwartungen nicht. Der Lichtblitz war viel zu orange und er schlingerte merkwürde auf sein Ziel zu, das er noch um einen Meter verfehlte. Stattdessen schlug der Zauber in eine Säule. Zu Harrys großer Überraschung löste sich tatsächlich der Kopf einer Steinschlange von dem Felsen und hisste stumm in Parkinsons Richtung. Sie drehte sich mit schreckgeweiteten Augen zu Harry um.   Harry überspielte seine Überraschung und zuckte mit den Schultern. „Du musst eben vorsichtiger sein.“ Sie funkelte ihn wütend an und drehte sich dann wieder zu der Säule um. Die Schlange schlängelte in der Zwischenzeit wieder an der Säule entlang, als wäre nie etwas gewesen.   Alle waren in ihren Übungen vertieft und Harry entschied sich, sie erst einmal selbst probieren zu lassen, bevor er ihnen Tipps gab. Er drehte sich zu Draco um, der wieder seinen Posten neben der Karte des Rumtreibers bezogen hatte und nachdenklich zu Parkinson starrte.   Harry ging zu ihm. „Was ist los? Überlegst du gerade, ob der kleine Austausch eben eine tiefere Bedeutung hatte und darin irgendein geheimes Zeichen versteckt war, dass ich unsterblich in Parkinson verliebt bin?“ Harry lachte leise.   „Ich hoffe einfach für dich, dass sie nicht deine Auserwählte ist.“ Er seufzte schwer. „Neun.“ Draco hatte das letzte Wort so leise gesagt, dass Harry es fast überhört hätte. Verwirrt sah er ihn an.   Jetzt war es an Draco leise zu lachen. „Neun Mädchen, die in Frage kommen. Nur neun. Leichter könnte es beinahe nicht sein. Und dennoch habe ich absolut keine Idee. Ich habe zwar Millicent, Hannah und Stella von der Liste gestrichen, aber nur, weil ich nicht glaube, dass du so einen schlechten Geschmack in Aussehen und Charakter hast. Aber eigentlich weiß ich auch das nicht. Vielleicht ist dir der Charakter völlig egal und du bist nur an einem hübschen Gesicht interessiert oder du siehst doch über das Aussehen hinweg, solange die Hexe selbst wenigstens einen guten Charakter hat. Keine Ahnung. Du machst es mir wirklich nicht leicht.“   „Mmh.“ Mehr konnte Harry im Moment nicht sagen. Ein ungutes Gefühl breitete sich in seiner Brust aus. Bisher hatte er das nur als Spiel gesehen. Aber er wusste nicht, wie wichtig es Voldemort wirklich war, hinter sein Geheimnis zu kommen. Das letzte, was er wollte, war, dass Draco Probleme seinetwegen bekam. „Was hat Voldemort gesagt, wird passieren, wenn du es nicht rausbekommst?“ In diesem Moment konnte er seine Sorge nicht aus seiner Stimme heraushalten.   Überrascht schaute Draco ihn an. „Er meinte, dass er nicht erwartet, dass du dich bzw. sie verrätst. Also eigentlich nichts.“   Harry nickte. Aber so einfach war es nicht. Voldemort war unberechenbar. „Du hast noch andere Aufgaben, nicht wahr?“   Draco blickte ihn misstrauisch an. „Woher willst du das wissen?“   „Du bist nicht der einzige, der seine Umgebung im Auge behält.“ Die Wahrheit war, dass ihm schon zu Beginn des Schuljahres aufgefallen war, dass Dracos Namen hin und wieder von der Karte des Rumtreibers verschwand. Er hatte eine Weile gebraucht, bis er dahinter gekommen war, dass Draco in den Raum der Wünsche ging. Aber er hatte keine Ahnung, was er dort machte. „Ich weiß nicht, was du tust, aber ich könnte versuchen, dir zu helfen. Dann hättest du wenigstens eine Aufgabe schon erledigt und müsstest dir wegen dieser keine Sorgen machen.“   Draco schnaubte verächtlich. „Du hast mir doch lang und breit erklärt, dass sich jeder um seine eigenen Aufträge zu kümmern hat. Falls du dich nicht erinnerst, das war der Tag, an dem wir uns bei Voldemort gesehen hatten. Der Tag, an dem du mich an die Wand gepinnt hast und mich für Stunden hast hängen lassen.“   Draco funkelte ihn wütend an. Harry schaute von unten durch seine zerzausten Haare und versuchte, so unschuldig wie möglich auszusehen. Die Aktion brachte den gewünschten Erfolg und Draco zog amüsiert einen Mundwinkel nach oben. „Lass den Mist.“   Aber Harry konnte sich nicht entspannen. Er machte sich Sorgen und suchte krampfhaft nach einer Lösung. Vielleicht konnte er Voldemort irgendwie überzeugen, Draco von diesem Auftrag abzuziehen.   Er ließ seinen Blick schweifen und blieb an Parkinson hängen. „Streich sie!“, sagte Harry, bevor er diesen Gedanken überhaupt in seinem Kopf formuliert hatte. „Ich kann ihre Stimme nicht ertragen. Ich will jedes Mal gleich umdrehen und gehen, wenn ich sie höre.“   Ohne ein weiteres Wort ging Harry wieder zu den Trainierenden. Aus den Augenwinkeln konnte er noch Dracos zögerliches Nicken erkennen.   Er hatte keine Ahnung, wie er Voldemort überzeugen sollte, das Thema ruhen zu lassen. Es wäre sein perfektes Druckmittel gegen Harry. Er konnte eigentlich nur hoffen, dass sich bald eine Möglichkeit ergeben würde, wie er seinem Lord seine Treue beweisen und endgültig sein Vertrauen gewinnen konnte. Das wäre wahrscheinlich die einzige Möglichkeit.   Sechs der angeblich neun in Frage kommenden Mädchen waren jetzt hier und zeigten traurige Versuche, einen einfachen Expelliarmus zustande zu bringen. Welche Verschwendung magischen Talents. Notfalls würde er eine der dummen Gören opfern. Wenn es sein müsste, würde er alle opfern. Hauptsache er war in Sicherheit.   Harry hörte ein dumpfes Kreischen und blieb abrupt stehen. Unwillkürlich sah er nach oben.   Die Abenddämmerung brach gerade an und Hogwarts wurde langsam in ein schummriges Zwielicht getaucht. Wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, wie sich aus den Schatten der Türme dunkle Gestalten lösten. Kurze Zeit später kreisten 20 Raben um die spitzen Dächer und zogen mehr und mehr die Dunkelheit um das Schloss. Kapitel 21: Leere Plätze ------------------------ Harry saß unruhig auf seinem Platz in der Großen Halle. Er versuchte, sich krampfhaft auf sein Essen und seine Mitschüler zu konzentrieren, um nicht auf den leeren Platz am Slytherin-Tisch zu starren. Immer wieder zwang er seinen Blick in eine andere Richtung. Seine Augen würden ihm ohnehin nichts anderes zeigen, als sein Geist erspürt hatte. Oder besser gesagt, nicht erspürt.   Draco war seit Freitagabend verschwunden. An sich nichts Ungewöhnliches. Er musste aller vier Wochen zum Rapport zu Voldemort und manchmal blieb er auch bis zum Sonntag. Aber bisher war er immer samstags nach dem Frühstück von seinem Vater abgeholt worden und war bis spätestens zum Mittagessen am Sonntag wieder da. Jetzt war das Abendessen bereits in vollem Gange und von dem Slytherin fehlte jede Spur.   Dazu kam, dass Draco dieses Mal bereits Freitagabend, direkt nach dem Unterricht abgeholt worden war und er war nicht allein gegangen. Miles Bletchley hatte gemeinsam mit den Malfoys das Schloss verlassen und war ebenfalls bis jetzt nicht wieder aufgetaucht.   Dabei war die letzte Woche schon anstrengend genug gewesen. Sein abgesagtes Date mit Turpin und der Grund dafür hatten sich wie Dämonsfeuer verbreitet. Sie waren beide mit Fragen bombardiert worden. Aber weil keiner von ihnen etwas dazu sagte und sie sich auch gegenseitig ignorierten, verloren die Schüler schnell wieder das Interesse.   Das hatte Harry genutzt, um Megan Jones, eine Hufflepuff aus seinem Jahrgang, um ein Date zu bitten. Dieses Mal hatte er sogar Granger und Weasley vorher informiert. Allerdings hatte sich das als Fehler erwiesen. Während Weasley begeistert von der Idee gewesen war, musste Harry sich von dessen Freundin einen halbstündigen Vortrag darüber anhören, dass er nicht mit den Gefühlen junger Hexen spielen sollte. Er könnte doch nicht sein, dass er schon wieder an dem nächsten Mädchen Interesse hat, wenn das mit der einen erst ein paar Tage zurück lag.   Zu seinem Glück dachte Jones da anders und hatte begeistert zugesagt. Doch schon am nächsten Morgen war das Date wieder abgesagt worden, weil Jones über Nacht merkwürdige Pusteln bekommen hatte.   Sie gab Harry die Schuld dafür. Er konnte es ihr nicht mal verdenken; war er es doch gewesen, der Draco erst auf diese Idee gebracht hatte. Oder? Es waren die gleichen Pusteln, die auch Edgecombe letztes Jahr bekommen hatte. Nur bildeten diese kein Wort und waren nicht permanent.   Obwohl nur wenige Schüler dabei gewesen waren, als Harry sie gefragt hatte, wusste am Ende des Tages ganz Hogwarts, was schon wieder vorgefallen war. Das hieß nicht nur die Schüler, sondern auch die Geister und die Portraits diskutierten aufgeregt über ihn und die Vorfälle, die sich um ihn herum ereigneten.   So war es nicht verwunderlich, dass Harrys nächster Versuch mit Hannah Abbott mit ängstlich aufgerissenen Augen und einem bedauernden Kopfschütteln abgelehnt wurde. Es war alles noch zu frisch. Er würde einige Zeit warten müssen, bis sich die Aufregung wieder gelegt hatte und dann einen weiteren Versuch starten.   Harry hatte noch mal versucht, mir Draco darüber zu sprechen, aber der Slytherin war ihm perfekt ausgewichen. Nicht mal in den beiden Trainingsstunden, die sie seitdem gehabt hatten, hatte er mit Draco sprechen können. Entweder war er oder Draco von ihren Mitschülern in Beschlag genommen worden und hinterher war Draco sofort verschwunden.   Freitagabend, nachdem Abbott ihm einen Korb gegeben hatte, wollte er sich in den Slytherin-Gemeinschaftsraum schleichen und Draco zur Rede stellen. Aber er hatte nur noch mitbekommen, wie Malfoy senior gemeinsam mit Draco und Bletchley sich in Snapes Büro in Luft aufgelöst hatten.   Harry hatte das Wochenende mit Lernen, Schularbeiten, Quidditch-Training und der verbotenen Abteilung der Bibliothek verbracht. Er hatte dafür gesorgt, dass er keine freie Minute hatte, um Nachzudenken und sich Sorgen zu machen. Aber jetzt konnte er sich nicht mehr ablenken. Dieses Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmte, konnte er einfach nicht abschütteln.   „… Mensch, Harry! Jetzt sag doch auch mal was dazu.“ Ronald Weasley hatte Harry seinen Ellenbogen in die Seite gerammt.   Genervt sah Harry seinen ehemaligen Freund an. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was er von ihm wollte. Worüber hatten sie sich unterhalten? Er schaute in die Runde und hoffte, einen kleinen Hinweis zu erhaschen, worum es ging.   Vor Granger lag ein Schulbuch aufgeschlagen. Tränke, wenn er die Abbildungen richtig deutete. Nichts Ungewöhnliches. Finnigan und Thomas schaufelten sich gerade eine weitere Portion der Kürbispastete auf ihre Teller. Longbottom starrte auf seinen leeren Teller und blinzelte hin und wieder verstohlen zum Ravenclawtisch. Ginevra Weasley funkelte ihren Bruder leicht säuerlich an. Ob es etwas mit dem aktuellen Thema oder der Tatsache zu hatte, dass sie sich seinetwegen nicht neben Harry hatte setzen können, ließ sich allerdings nicht sagen. Brown und Patil schienen mit sich selbst beschäftigt zu sein. Nichts deutete auf den Inhalt der Unterhaltung hin. Es sah nicht mal danach aus, dass sie sich überhaupt unterhalten hatten. Aber Weasley sah ihn immer noch auffordernd an und wartete auf eine Antwort.   Harry seufzte. „Sorry, ich habe nicht zugehört.“ „Alter! Was ist denn nur mit dir los? Du bist schon das ganze Wochenende so neben der Spur.“, beschwerte sich Weasley. Er verschränkte die Arme vor seiner Brust und lehnte sich zurück, bis er bemerkte, dass da keine Lehne war. Er schaffte es, sein Gleichgewicht wiederzufinden und funkelte dann Harry an, als ob es seine Schuld wäre.   „Ron! Lass Harry in Ruhe.“ Granger hatte den Blick von ihrem Buch losgerissen und schaute ihren Freund vorwurfsvoll an. „Harry hat zurzeit wirklich genug um die Ohren. Es ist doch verständlich, dass er gerade etwas abgelenkt ist, wenn alle Mädchen, die er einlädt, verflucht werden.“   Ah! Da war ja noch was. Genervt, dass das Thema schon wieder aufgegriffen wurde, aber auch ein bisschen dankbar für die Ausrede schenkte Harry Granger ein kleines schüchternes Lächeln.   Weasley Haltung entspannte sich wieder etwas und er schaute Harry jetzt mitfühlend an. „Ja, stimmt ja. Hast du in der Zwischenzeit eine Idee, wer das gewesen sein könnte?“   Harry schüttelte bedauernd den Kopf. Er bemerkte, wie verstohlene Blicke seine Klassenkameraden zu Mini-Weasley huschten. Hatten sie etwas sie im Verdacht? Lächerlich. Als ob sie solche komplexen Flüche bewerkstelligen könnte. Den einzigen, den sie gemeistert hatte, war der Flederwichtfluch. Und den demonstrierte sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit, um davon abzulenken, dass sie keinen anderen Fluch beherrschte.   „Ich denke ja immer noch, dass es Malfoy gewesen ist.“ Nahm das denn gar kein Ende? Selbst Granger verleierte bei der Aussage ihres Freundes die Augen. „Ich meine ja nur… Er ist doch der einzige, der wirklich ein Motiv hat. Das Frettchen würde alles tun, um Harry das Leben schwer zu machen.“   Das reichte. Harry stand auf. „Entschuldigt mich. Mit geht es nicht so gut.“ Überrascht schauten ihn seine Mitschüler an. Harry war es gerade egal, ob er sich seltsam verhielt. Er ertrug das jetzt nicht länger. Wenn er länger an dem Tisch sitzen bleiben würde, würde er noch irgendetwas sagen, was er später bereuen würde.   Als Harry zur Tür lief, huschten seine Augen wie von selbst zum Slytherin-Tisch und sah, wie nicht anders zu erwarten, zwei leere Plätze. Zabini hatte ihn bemerkt und zuckte beinahe unauffällig mit den Schultern. Harry seufzte. Er hatte nicht erwartet, dass die Slytherins etwas wussten, aber Zabinis Blick sagte eindeutig, dass sie sich ebenfalls Sorgen machten.   Harrys schaute weiter zum Lehrertisch. Der Platz in der Mitte war frei. Wie so häufig in diesem Jahr. Harry fragte sich, wie weit Dumbledore mit seiner Suche nach dem Horkrux war. Würde er ihn über den Stand auf dem Laufenden halten? Oder würde er ihn einfach holen, wenn es soweit wäre? Harry tippte aus Letzteres. Er hatte in der Zwischenzeit gelernt, dass der Schulleiter nicht gerne Informationen teilte. Nur dann, wenn er selbst es für unbedingt notwendig erachtete. Sehr manipulativ. Wie hatte Harry nur so lange brauchen können, bis er das bemerkt hatte?   Die Wut, die Harry auf Dumbledore hatte, half einen kurzen Moment seine Sorgen zu vergessen. Aber nur bis sein Blick auf den zweiten freien Platz am Lehrertisch fiel. Severus.   Warum war er nicht früher darauf gekommen? Er könnte Severus fragen, ob er weiß, was da los ist. Wenn jemand in diesem Schloss Antworten hatte, war er es. Kurz entschlossen bog Harry Richtung Kerker ab und eilte zum Büro des Hauslehrers von Slytherin.   Seit ihrem Gespräch von vor vier Wochen hatten sich ihr Verhältnis rapide verbessert. Nicht, dass das jemand mitbekommen hätte. Der ehemalige Zaubertränkeprofessor giftete ihn immer noch an und verpasste ihn bei jeder Gelegenheit Nachsitzen und Strafarbeiten. Ein- bis zweimal pro Woche. Die Zeit verbrachten sie aber größtenteils mit Reden.   Da Harrys Vater immer noch ein wunder Punkt für sie beide war, erzählte Severus meistens über Lily. Harry genoss die Geschichten. Seine Tante hatte sich nie die Mühe gemacht, ihm von seiner Mutter zu erzählen und alle anderen, Dumbledore, Sirius, Lupin hatten ihn nur ein paar Bruchstücke aus ihrer Zeit in Hogwarts oder ein paar wenige Episoden aus ihrem Leben danach mit seinem Vater erzählen können. Severus dagegen hatte sie schon vorher gekannt und erzählte ihm, wie sie ihre Magie entdeckt hatte und welche Wunder seine Mutter bereits in den jungen Jahren ohne Zauberstab erschaffen hatte. Es war wirklich fantastisch. Unkontrollierbare Magie zu kontrollieren war wirklich etwas Einzigartiges und wie Harry wusste, hatte nur Voldemort als junger Tom Riddle ebenfalls so etwas bewerkstelligen können. Viel präziser natürlich. Und gefährlicher. Aber dass Harrys Mutter ebenfalls ein wenig dazu in der Lage gewesen war, machte ihn unglaublich stolz auf seine Mutter. Er vermisste sie schrecklich.   Severus erging es in den Momenten nicht anders. Harry konnte es ihm jedes Mal ansehen, wie sehr ihn diese Erinnerungen, die er mit Harry teilte, schmerzten. Aber er tat es dennoch und Harry schätzte diese Geste sehr.   Sie unterhielten sich aber nicht nur über Lily Potter. Auch Voldemort und Dumbledore gehörten zu ihren bevorzugten Gesprächsthemen. Severus erzählte Harry alles, was in den Jahren vorgefallen war. Sein Verhältnis zu Dumbledore, als Severus noch Schüler gewesen war, wie und warum er sich dem Dunklen Lord angeschlossen hatten, wie sein Vertrauen zu beiden Männern ins Wanken geraten und schließlich gänzlich zusammengefallen war. Harry wusste, dass Severus etwas vor ihm verheimlichte, aber er drängte ihn nicht darauf. Er erzählte ihm immer mehr und wusste, dass er es ihm eines Tages anvertrauen würde. Nicht nötig, etwas zu erzwingen.   Harry klopfte entschlossen an die schwere Holztür. Es dauerte nicht lange und schon wurde sie geöffnet. Ein blasses Gesicht mit einer viel zu großen Nase und strähnigen schwarzen Haaren schaute auf ihn herab. Falls Severus überrascht war, ihn hier zu sehen, ließ er es sich nicht anmerken. Er trat einen Schritt zurück und ließ Harry eintreten.   Harry schaute sich in dem kleinen Büro um, das ihm im letzten Schuljahr viel zu vertraut geworden war und teilweise immer noch unschöne Erinnerungen in ihm wachrief. Aber das war Vergangenheit. Langsam wirkten die riesigen Regale vollgestopft mit Tränken und Trankzutaten und alten viel zu oft gelesen Büchern weniger bedrohlich auf ihn. In der Zwischenzeit kannte er die meisten Tränke und ihre Wirkungen und war auch mit Gegengiften viel besser vertraut.   Sein Blick glitt zu dem Kamin, in dem nur noch eine leichte Glut glimmte, bereit Anreisende ohne große Schwierigkeiten den Durchgang zu ermöglichen. Der Raum begann bereits auszukühlen.   „Weißt du, was da los ist?“ Harry konnte seinen Blick nicht von der Glut lösen, die schimmerte wie flüssiges Feuer. Seine Stimme klang seltsam müde in seinen Ohren.   „Nein. Es kam für mich genauso überraschend als Lucius am Freitag Draco und Miles Bletchley abgeholt hat. Auch er kannte den Grund nicht.“, entgegnete Severus. Natürlich hatte er sofort gewusst, was Harry meinte. Er versuchte nach außen ruhig zu wirken, aber Harry wusste, dass sein Lehrer genauso beunruhigt war, wie er selbst. Irgendetwas ging vor sich und sie würden keine Antworten erhalten, bis die beiden Schüler wieder da waren.   „Du warst nicht beim Abendessen.“, versuchte Harry ein Gespräch zu starten. Irgendwie musste er sich ablenken. Die Warterei machte ihn verrückt.   „Ich habe auf die Rückkehr der beiden gewartet, damit ich hinterher den Durchgang gleich wieder verschließen kann. Wir wollen doch nicht, dass plötzlich irgendwelche Dunklen Lords hier auftauchen.“ Dieser verunglückte Scherz passte so gar nicht zu dem eigentlich einschüchternd wirkenden Zauberer und zum Lachen war er schon mal gar nicht. Aber Harry schätzte den Versuch, die Spannung etwas aufzulockern und schenkte seinem Lehrer ein kleines müdes Lächeln. „Ich hatte gehofft, sie kommen rechtzeitig, damit ich noch etwas essen kann, aber zurzeit sieht es nicht so aus.“   „Ich könnte Dobby bitten, dass er uns etwas herbringt.“, bot Harry an. Er selbst hatte mal wieder mehr in seinem Essen herumgestochert als wirklich gegessen.   „Dobby? Der frühere Hauself der Malfoys?“ Severus schien überrascht. Bisher hatte Harry ihm noch nichts über sein Verhältnis zu dem eigensinnigen Hauself erzählt.   „Ja. Er ist immer sehr eifrig, wenn er mir einen Gefallen tun kann. Er würde uns mit Freuden etwas zu Essen herholen. Dobby!“ Es dauerte nur zwei Sekunden und schon war der kleine Hauself vor ihnen aufgetaucht und verbeugte sich tief vor Harry, seine lange Nase und die Fledermausohren wie immer auf dem Boden schleifend.   „Harry Potter hat gerufen. Was kann Dobby für ihn tun?“ Erwartungsvoll blickte das kleine Wesen auf den Zauberer, den er verehrte, seit er ihm das erste Mal begegnet war.   „Kannst du uns etwas zu Essen bringen? Aber bitte nicht so viel, wie beim letzten Mal.“, warf Harry schnell ein. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Severus es gutheißen würde, wenn sein Büro mit Essen vollgestellt wäre. „Für mich nur zwei Scheiben Toast mit etwas Braten und einem Glas Kürbissaft. Was möchtest du, Severus?“   Severus schaute mit großen Augen auf die kleine Gestalt, die nun ihn wiederum anstarrte und geduldig auf seine Bestellung wartete. Er hatte gewusst, dass Dobby von Dumbledore angestellt worden war, nachdem Lucius ihn durch Harrys Schuld befreit hatte. Aber gesehen hatte er ihn seitdem nicht. Die Erscheinung verschlug ihm den Atem. Hauselfen hatten normalerweise einen alten Putzlumpen oder ein abgenutztes Bettlagen, um sich ein bisschen zu verhüllen. Dieses Wesen dagegen trug einen grellen Muggelbadeanzug, zwei unterschiedliche Socken mit wirren sich bewegenden Motiven und einen… Gryffindor-Schal.   Hilflos schaute Severus zu Harry. Dieser zuckte aber nur leicht amüsiert mit den Schultern.   „Dobby, Professor Snape nimmt das gleiche und dazu…“   „Feuerwhisky!“, rief Severus schnell, ohne seinen Blick von dem Hauself zu lösen.   Harry hab fragend eine Augenbraue, wurde aber komplett ignoriert. „Streich das. Bring stattdessen eine Flasche Nesselwein.“, sagte er bestimmt.   „Dobby wird sofort alles bringen, Harry Potter, Sir.“ Er verbeugte sich noch einmal tief und war dann verschwunden.   Endlich löste sich Severus aus seiner Erstarrung und wandte sich Harry zu. Bevor er aber etwas zu seiner stornierten Bestellung sagen konnte, hatte Harry schon abgewunken und ging an ihm vorbei zum Schreibtisch. Ein kurzer Zauber und schon war ein zweiter Stuhl neben dem Schreibtisch erschienen. Harry bedeutete Severus auf seinem eigenen Stuhl Platz zu nehmen.   Severus seufzte schwer, kam aber der stummen Aufforderung nach. Es irritierte ihn, dass Harry ihn so herumkommandierte. Aber es irritierte ihn noch mehr, dass er es mit sich machen ließ.   „Feuerwhisky betäubt zu sehr die Sinne.“, meinte Harry, nachdem sich Severus gesetzt hatte. „Wir wissen nicht, was beim Dunklen Lord vorgefallen ist und wenn die beiden wieder hier sind, wirst du wahrscheinlich einen klaren Kopf brauchen.   Severus versuchte den Jungen böse anzufunkeln, versagte aber kläglich. Er wusste, dass Harry Recht hatte.   „Außerdem ist morgen wieder Unterricht. Du willst bestimmt nicht mit einem Kater Verteidigung gegen die Dunklen Künste kleinen undankbaren Bälgern beibringen müssen.“ Harry grinste ihn herausfordernd an.   Ein leichtes Grollen entfuhr Severus‘ Kehle, was Harry noch mehr grinsen ließ. „Dafür gibt es Tränke.“, brummte er leise vor sich hin.   Harry fing an, zu lachen.   In dem Moment verriet ein kleines Plopp, dass ihr Essen angekommen war.   „Danke, Dobby. Du kannst es hier auf den Schreibtisch stellen.“ Gut, dass Severus so ein ordentlicher Mann war und sein Schreibtisch nicht mit Dokumenten überhäuft. Es war genug Platz, ohne dass sie sich Sorgen machen mussten, etwas Wichtiges zu verschmutzen. Oder zu verderben.   Das Essen verlief in einer etwas lichteren Stimmung, auch wenn die Sorge der beiden Zauberer nicht völlig verflogen war.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Es war dreiundzwanzig Uhr als der Kamin endlich zum Leben erwachte. Severus hatte nach dem Abendessen versucht, Harry zu überzeugen, in seinen Gemeinschaftsraum zurückzukehren, aber Harry hatte sich geweigert. Er würde sich dort genauso Sorgen machen, nur konnte er dort mit niemanden drüber sprechen.   Sie waren am Schreibtisch sitzen geblieben, nachdem Dobby ihre Reste abgeräumt hatte. Jetzt standen dort nur noch eine halbvolle Flasche von dem Nesselwein und ein fast leerer Krug mit Butterbier auf dem Tisch. Severus hatte darüber hinaus ihre beiden Umhänge mir einem Wärmezauber belegt, damit sie nicht in dem immer kälter werdenden Büro erfroren.   Um sich abzulenken, hatte Severus Harry eines seiner Bücher ausgeliehen, ein seltenes Exemplar über schwarzmagische Tränke. In der Verbotenen Abteilung hatte er noch kein Tränkebuch in der Hand gehabt. Vielleicht war der Schutzzauber der Meinung, dass er noch nicht mächtig genug für diese Geheimnisse war oder es war reiner Zufall, dass er noch klein solches gegriffen hatte.   Die Zutaten waren Harry zum größten Teil unbekannt und er löcherte Severus mit vielen Fragen. Der Tränkemeister war überrascht, dass Harry so ein starkes Interesse an den Tränken zeigte, obwohl er in der Vergangenheit diesem Fach eher abgeneigt gewesen war. Nun, das war vielleicht auch ihm selbst zuzuschreiben. Er beantwortete gerne alle Fragen und schnell waren sie in einem Gespräch über Trankbrauerei vertieft, sodass beide erschrocken aufsahen, als plötzlich ein grünes Licht aus dem Kamin kam.   Als erstes kam Draco aus dem Kamin gestolpert und macht sofort Platz, damit sein Nachfolger ebenfalls ungehindert aus dem Kamin steigen konnte. Es dauerte nicht lange und schon war Bletchley ebenfalls aus dem Kamin gestiegen. Er sah sich kurz in dem Raum um und sein Blick blieb an Harry und Severus hängen. Sein Mund verzog sich zu einem hinterhältigen Grinsen.   „Guten Abend Professor Snape.“ Harry beachtete er nicht weiter. „Es ist sehr kalt bei Ihnen.“   „Er lässt immer das Feuer ausgehen, damit man nicht durch die Flammen steigen muss.“, erwiderte Draco eine Spur bissiger als man es von dem kühlen Slytherin gewohnt war.   „Ah, sehr rücksichtsvoll. Aber absolut unnötig. Das Feuer wird auch auf dieser Seite durch das Flohpulver absolut ungefährlich, wissen Sie, Professor?“ Bletchleys Stimme tropfte regelrecht vor Arroganz und Überheblichkeit. Er klopfte sich den Staub von seinem Umhang und sah dann noch einmal herablassend um sich. „Wenn Sie sich mich jetzt entschuldigen wollen, Professor Snape. Es war ein langer Tag und morgen ist wieder Unterricht. Malfoy.“ Er nickte noch kurz Draco zu und ging dann zur Tür hinaus. Harry hatte er die ganze Zeit völlig ignoriert.   Das war kein gutes Zeichen. Kapitel 22: Bühne frei ---------------------- „Dieses kleine arrogante Balg!“, schimpfte Severus los, sobald die Tür ins Schloss gefallen war. „Ich will ihn mal sehen, wie er mit einer Aschwinderin zurechtkommt. Und den Gefrierzauber für die Eier kennt er bestimmt auch nicht.“   Harry hatte sich in der Zwischenzeit daran gewöhnt, dass sich Severus ihm gegenüber im Privatem anders verhielt, als er es gewöhnt war. Mehr wie der Junge, der er noch in Hogwarts gewesen war, nicht wie der strenge Lehrer, der fast alle Wörter in seinen Sätzen punktierte und jeden verunsicherte und von dem jeder Blick ein mulmiges Gefühl hinterließ. Als ob er einen tief in die Seele schauen könnte. Nun, er beherrschte Legilimentik. Dieses Gefühl war also nicht ganz unbegründet.   Weiter vor sich hin schimpfend ging Severus zum Kamin, um die Überreste des durch den Übergang entstandenen Flohpulverfeuers zu löschen und anschließend den Kamin für weitere Reisende zu verschließen.   Draco ließ sich in der Zwischenzeit auf einen der beiden Sessel vor dem Kamin fallen.   Harry beobachtete ihn, ob es irgendwelche Anzeichen für Folter oder Verletzungen gab. Aber Draco sah einfach nur müde und erschöpft aus. Eigentlich sollte er lieber ins Bett gehen, aber Harry brachte es nicht über sich, ihn wegzuschicken. Er musste erst wissen, was vorgefallen war.   Als Severus von dem Kamin wegtrat, brannte bereits wieder ein wärmendes Feuer und Harry war dankbar. Der Wärmezauber verlor langsam wieder seine Wirkung. Severus beschwor einen dritten Sessel herauf und deutete Harry an, sich hinzusetzen, während er selbst Platz nahm.   Draco blickte auf und sah Harry direkt in die Augen. „Ihr braucht mich gar nicht erst fragen, was los war. Ich habe nämlich absolut keine Ahnung.“   Das war enttäuschend. Aber Draco musste doch sicher irgendetwas mitbekommen haben? „Warum hat das Treffen diesmal so lange gedauert? Von Freitagabend an?“, fragte Harry.   „Ich weiß es nicht. Ich war genauso überrascht, als mein Vater plötzlich da stand und meinte, dass er mich und diese Ratte Bletchley zum Dunklen Lord bringen soll. Er selbst wusste auch nicht warum.“ Draco war bemüht, seine eisige Maske aufrechtzuerhalten. Sein einziger Schutz gegen die Erschöpfung, die in seinem Geist steckte.   „Was ist passiert, als ihr angekommen seid?“, fragte Harry weiter.   „Erstmal gar nichts. Wir waren auf unserem Anwesen und mussten warten. Diese schmierige Ratte Pettigrew meinte, dass kurzfristig ein Todessertreffen einberufen wurde und der Meister erstmal keine Zeit für uns hätte. Er wollte uns aber nicht erzählen, worum es bei dem Treffen ging.“   „Ich weiß es auch nicht.“, beantwortete Severus die unausgesprochene Frage. „Ich habe zwar den Ruf gespürt, …“ – Harry wusste, dass man diesen Schmerz nicht ignorieren konnte. Er hatte ihn bereits selbst zu spüren bekommen. Der Ruf war gleichzeitig eine Warnung, ihn nicht zu ignorieren. – „… aber ich bin ja gezwungen, in diesem Schloss zu bleiben. Lucius hätte mir erzählt, wenn meine Anwesenheit erwünscht gewesen wäre.“   Harry nickte verstehend. Severus war der einzige Todesser, der sich erlauben konnte, den Ruf seines Lords zu ignorieren. Einige der wenigen Privilegien als Doppelagent.   „Innerhalb der Schulzeit erfahre ich solche Dinge meistens nur hinterher über den Tagespropheten. Oder durch den Orden.“ Jeder in Voldemorts Reihen, auch die Jungtodesser, wussten von Severus Rolle. Genauso wie jeder im Orden des Phönix. Es machte die Sache einfacher, weil seine Loyalität niemals direkt infrage gestellt werden konnte. Sowohl Dumbledore als auch Voldemort vertrauten Severus und die jeweiligen Anhänger vertrauten dem Urteil ihrer Anführer. Nur einige wenige zweifelten an Severus‘ Treue.   Sirius hatte ihm nie vertraut und auch Lupin war sehr argwöhnisch. Aber sie waren aufgrund ihrer gemeinsamen Vergangenheit voreingenommen und aus diesem Grund waren ihre Bedenken nie ernst genommen worden. Bei Mad-Eye Moody sah es anders aus. Aber er vertraute generell niemanden und schon gar keinem Extodesser. Und solange Dumbledore ihm vertraute, war die Meinung des ehemaligen Auroren uninteressant.   Auf der anderen Seite gab es auch den einen oder anderen, der Severus nicht glaubte. Vorneweg Bellatrix Lestranges. Severus hatte Harry erzählt, dass sie ihn offen beschuldigte und meinte, dass Voldemort eine falsche Entscheidung getroffen hatte, ihm zu vertrauen. Nicht, dass sie ihm das direkt in sein Schlangengesicht sagen würde, dafür hing sie doch zu sehr an ihrem kümmerlichen Leben, aber sie verbreitete das Misstrauen ihm gegenüber in ihren Reihen. Harry würde etwas dagegen unternehmen, wenn sich die Möglichkeit dazu bot.   „Wie ging es dann weiter?“, wollte Severus wissen und riss Harry aus seinen Gedanken. Er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf Draco, der leicht genervt die Augen verdrehte.   „Erstmal gar nicht. Wir haben die ganze Nacht in unserem Anwesen verbracht. Ich habe die ganze Zeit kein Auge zugetan.“ Wie um seine Aussage zu bekräftigen, gähnte Draco lautstark. Harry konnte verstehen, dass das anstrengend gewesen war. Er hatte auch seit Freitag kaum Schlaf bekommen.   Aus den Augenwinkeln heraus sah Harry, wie Severus versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken, aber kläglich scheiterte. Harry erging es nicht anders.   „Ich kann doch nicht schlafen, wenn zwei so schmierige Ratten in meinem Haus sind.“ Draco verzog angewidert sein Gesicht, bevor er weiter sprach. „Ich hatte Bletchley gefragt, warum er zum Dunklen Lord gerufen wurde, aber er hat nur dämlich gegrinst und meinte, dass er selbst um ein Treffen gebeten hatte. Mehr wollte er mir nicht erzählen. Am nächsten Morgen haben uns mein Vater und meine Tante abgeholt und uns zum Haus des Dunklen Lords gebracht. Ich musste dann wieder warten, während er erstmal mit Bletchley gesprochen hat. Ich durfte dann erst am Nachmittag zu ihm.“   Draco machte eine kurze Pause, um sich zu sammeln. Er war sehr müde und es war anstrengend, seine Gedanken zu sortieren. Harry nutzte die Pause, um Draco den Rest seines Butterbieres zu holen. Es war nicht das beste Getränk, um ihn wach zu halten, aber es würde wenigstens seine Kehle befeuchten.   Draco nahm den Krug entgegen und lächelte Harry dankbar an.   Harry blinzelte kurz vor Überraschung und ging dann auf seinen Platz zurück, das merkwürdige Kribbeln in seinem Bauch ignorierend.   Nachdem Draco einen Schluck getrunken hatte, erzählte er weiter. „Ich habe dann ganz normal meinen Bericht abgegeben; was alles passiert ist, wie das Training verläuft, der Stand meiner Aufträge, …“ Draco warf einen bedeutungsschweren Blick in Harrys Richtung. Er wusste sofort, was der Slytherin meinte. „Er wollte vor allem wissen, wie du dich machst, Potter.“   „Das ist nicht ungewöhnlich.“, warf Severus ein. „Mr. Potter muss sich erst noch des Vertrauens des Dunklen Lords würdig erweisen. Natürlich wird er da besonderes Augenmerk auf sein Verhalten legen.“   „Ja, mag sein.“, entgegnete Draco und lehnte sich zurück. „Das war aber auch schon alles. Danach wurde ich wieder nach Hause geschickt und sollte dort auf Bletchley warten. Ich hatte nicht erwartet, dass ich bis jetzt dort festsitzen würde. Ich habe auch in der letzten Nacht nicht viel Schlaf bekommen. Als Bletchley endlich wieder gekommen ist, hat er nur dämlich gegrinst und meinte, wir könnten zurückflohen. Das war’s.“   Harry seufzte. Das waren wirklich nicht viele Informationen. Voldemort hatte sich für sein Verhalten interessiert, aber wie Severus bereits gesagt hatte, war das zu erwarten gewesen. Was auch immer Bletchley von ihrem Lord gewollt hatte, sie mussten abwarten und schauen, was passierte. Aber er war froh, dass es Draco soweit gut ging.   „Hat Voldemort irgendetwas wegen deiner Aufträge gesagt, weil du bei dem einen nicht weiterkommst?“ Er musste einfach fragen. Dass Draco deswegen Probleme bekommen könnte, bereitete ihm momentan die größten Sorgen.   „Nein. Ich habe ihm kurz erzählt, was ich in der Richtung unternommen habe und wie undurchschaubar du dich verhältst. Er hat daraufhin einen komischen Laut von sich gegeben. Ich glaube, das sollte ein Lachen sein. Unheimlich.“ Draco schüttelte sich bei der Erinnerung. „Er meinte dann, dass er das nicht anders erwartet hätte. Ich soll aber weiter die Augen offen halten.“   Voldemort hatte gelacht? Hatte Draco ihm etwa auch von dem Vorfall in der Dusche erzählt? ‚Ich hoffe, dann wenigstens nicht allzu detailliert.‘ Wieder einmal hätte Harry sich für seine Dummheit an dem Abend ohrfeigen können. Das würde ihm definitiv nicht noch einmal passieren.   Severus zog fragend eine Augenbraue nach oben.   Harry schüttelte seine selbstmitleidigen Gedanken ab und grinste seinen Lehrer schief an. „Draco hat den gleichen Auftrag bekommen wie du. Er soll ebenfalls herausfinden, wer meine Angebetete ist. Vielleicht solltet ihr euch zusammen tun!?“   Severus schnaubte. „Verschwendete Zeit. Ich bin mir sicher, dass nicht einmal Veritaserum dir dieses Geheimnis entlocken könnte, Harry.“   Draco schaute kurz verwirrt zwischen den beiden Zauberern hin und her. Er wunderte sich, seit wann die beiden so vertraut miteinander waren, sagte aber nichts dazu.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Sie waren nicht mehr lange in Severus‘ Büro geblieben. Kurz nach Mitternacht waren Harry und Draco in ihre Schlafsäle zurückgekehrt. Harry verfluchte wieder einmal, dass er bis in den siebten Stock hinauf musste. Er war furchtbar müde und unter seinem Tarnumhang war es angenehm warm, so dass es ihm schwer fiel, die Augen offen zu halten. Aber irgendwie hatte er es geschafft, in sein Bett zu kommen und sogar am nächsten Morgen pünktlich aufzustehen. Verschlafen saß er im Zaubertrank-Unterricht und versuchte, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Er musste ein Gegengift herstellen.   Auch wenn er sich in der Zwischenzeit besser mit Gegengiften auskannte und keine Probleme hatte diese nach Anweisung zu brauen, stellte ihn das eigene Entwickeln eines Gegengiftes vor eine Herausforderung. Das Trennen des Giftes in seine einzelnen Bestandteile war nicht schwierig, auch nicht das Bestimmen der Zutaten und deren jeweiligen Gegengifte, aber das Brauen des eigentlichen Gegentrankes war sein Problem. Dazu fehlte ihm jegliche Intuition und es gab nichts, was man dazu auswendig lernen konnte.   Sein Notfallplan war ein Bezoar. Der half gegen die meisten Gifte, man musste ihn nur dem Opfer in den Hals stecken. Aber hier und jetzt half er ihm nicht weiter.   Missmutig schaute Harry in seinen Kessel und beobachtete die blubbernde sumpfgrüne Flüssigkeit, die giftiger aussah, als das Gift gegen das es wirken sollte. Neben ihm arbeitete Granger und hatte seit langer Zeit mal wieder Spaß neben ihm zu sitzen, weil sie etwas besser konnte als er und sie ließ es sich nicht nehmen, ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf aufmerksam zu machen.   Harry wünschte sich, dass einer der Slytherins irgendetwas in ihren Kessel tun würde und ihn zum explodieren brachte. Aber die trauten sich das bei Slughorn nicht. Draco konnte ihnen keine Rückendeckung geben, weil diese aufgedunsene Spinne ihn nicht mochte. Außerdem war Draco ohnehin nicht da.   Zabini kam heute Morgen mit einem Stück Pergament und ließ Draco im Namen von Severus entschuldigen, er bräuchte ganz dringend seine Hilfe. Ja, klar. Harry war sich ziemlich sicher, dass er, wenn er weiter in die Kerker vordringen würde, irgendwann Draco erspüren würde, wie er friedlich in seinem Bett lag und schlief. Natürlich hatte Severus ihn gedeckt.   Ein bisschen eifersüchtig wandte sich Harry wieder seinem Gebräu zu. Er konnte es ja verstehen. Draco hatte es bitter nötig, so wie er letzte Nacht ausgesehen hatte. Gerne würde sich Harry mit dazu legen…   „Fertig!“, rief Granger plötzlich und ließ Harry zusammenzucken. In seinem Kessel blubberte dunkler Schleim träge vor sich hin. Ein ungeübtes Auge hätte es mit Vielsafttrank verwechseln können.   ‚Hatte Granger nicht das Rezept für den Vielsafttrank, den wir im zweiten Schuljahr gebraut hatten, aus einem Buch aus der Verbotenen Abteilung?‘ Vielleicht wäre es sinnvoll mal nach diesem Buch zu suchen. Möglicherweise bekam er da ein paar Tipps, wie er Gegengifte richtig entwickelte. Oder er könnte einfach Severus fragen, ob er ihm hilft.   „Wunderbar, Ms. Granger. Ich hatte auch nichts anderes von Ihnen erwartet.“ Granger strahlte ihn an und wandte sich dann mit einem überlegenen Blick an Harry. Slughorn nutzte den Moment und warf einen Blick in Harrys Kessel und schüttelte dann nur traurig mit dem Kopf. „Ach Harry. Beim Brauen zeigen Sie wirklich genau gleiche wunderbare Talent wie Ihre Mutter, aber für das Entwickeln von Gegengiften fehlt leider jegliches Gespür.“   Zu Harrys Trost sah es in Weasleys und Macmillians Kessel ebenfalls nicht besser aus.   Den Rest des Tages verbrachte Harry in einer dumpfen Wolke aus Müdigkeit und Lethargie. Auch während des Trainings mit den Slytherins lief es nicht anders. Draco war glücklicherweise wieder soweit erholt, dass er die Aufsicht zum größten Teil übernehmen konnte und Harry musste nur die Karte des Rumtreibers im Auge behalten.   Aber trotz dessen, dass Harry sich zersplintert fühlte, entging ihm nicht, dass Bletchley dem Training ferngeblieben war.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Dienstagmorgen fühlte sich Harry wieder wie er selbst. Er hatte am Abend zuvor auf einen Ausflug in die Bibliothek verzichtet und war dafür zeitig ins Bett gegangen. Jetzt saß er an seinem Platz am Gryffindor-Tisch in der Großen Halle. Sein Anhängsel hatte es wieder geschafft, sich neben ihn zu setzen. Sehr nah. Zu nah. Harry fühlte sich etwas bedrängt, entschied sich aber, nichts zu sagen oder wegzurücken. Vielleicht würde Draco ihm den Gefallen tun und auch sie verfluchen.   Seine Hauskameraden schienen immer noch zu glauben, dass sie diejenige gewesen war, die Turpin und Jones das angetan hatte – außer ihr Bruder natürlich. Zumindest entnahm Harry das ihren vorsichtigen Blicken, die sie immer wieder in ihre Richtung warfen.   Aber nicht nur in seinem Haus war das Thema noch aktuell. Auch von den anderen Tischen konnte er neugierige Blicke auf sich spüren und hörte das Getuschel. Harry versuchte, sich nicht davon stören zu lassen. Seit Hagrid ihn damals in die Zaubererwelt geholt hatte, war er immer irgendwie im Zentrum der Aufmerksamkeit gewesen. ‚Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen können.‘, dachte Harry missmutig.   Seine Gedanken wurden unterbrochen, als die Posteulen in einem wilden Durcheinander von Braun- und Grautönen in die Große Halle geflogen kamen. Ganz automatisch suchte Harry nach einem weißen Fleck in dem Getümmel, aber seine Hedwig hatte anscheinend keine Briefe für ihn. Dafür erregte eine andere Eule seine Aufmerksamkeit. Genauer gesagt ein silbergrauer Uhu, der sich mit fast zwei Metern Flügelspannweite nicht nur durch sein einzigartiges Gefieder von seinen Artgenossen abhob. Zielsicher und elegant flog er zum Slytherin-Tisch und setzte sich auf Goyles Kopf. Der Junge schrie kurz auf und versuchte, den Vogel wegzuscheuchen, aber dieser bewegte sich kein Stück von seinem auserwählten Platz.   Nach einem kurzen Kampf, den Goyle eindeutig verlor, wurde dem Vogel endlich seine Last abgenommen. Ein riesiges Päckchen und ein Brief. Das Auspacken überließ Draco seinen Klassenkameraden, während er den Brief las. Der Uhu hatte sich in der Zwischenzeit etwas von Goyles Teller stibitzt und flog jetzt wieder nach Hause. Zum Abschied hatte er Goyle noch eins mit seinen riesigen Schwingen verpasst. Harry tat er fast ein bisschen leid, wie er so da saß, die Arme zum Schutz über seinen Kopf zusammengeschlagen, und wimmerte.   Die anderen Slytherins beachteten ihn nicht weiter. Sie schauten nach, was Draco alles für Kuchen und Süßigkeiten von zu Hause zugeschickt bekommen hatte. Obwohl er schon sechzehn Jahre alt war, bekam er immer noch solche Pakete. Sehr zur Freude von Crabbe und Goyle, die sich regelmäßig daran bedienten.   Als hätte Draco Harrys Blicke gespürt schoss sein Kopf plötzlich nach oben und schaute Harry direkt in die Augen. Es dauerte nur drei Sekunden, aber es reichte, um Harry zu signalisieren, dass sie gleich ein kurzes Theaterstück aufführen würden.   Draco setzte sich aufrecht hin und schaute gehässig in seine Richtung. „Na Potter! Was glotzt du so? Neidisch, dass deine Mutter dir kein Päckchen geschickt hat?“ Gespielt geschockt über seine eigene Gedankenlosigkeit, schlug er sich mit der Hand vor dem Kopf. „Ach, stimmt ja. Wie konnte ich das nur vergessen? Sie kann dir ja gar keine Päckchen schicken.“   Draco hatte nicht laut genug gesprochen, um das morgentlich Getümmel komplett zu übertönen, aber laut genug, dass man ihm am Gryffindor-Tisch verstanden hatte. Dort wurde es schlagartig still und alle starrten Harry an, warteten auf seine Erwiderung. Die plötzliche Ruhe blieb auch bei den anderen Tischen nicht unbemerkt. Auch hier begannen die Schüler nach und nach zu verstummen, zu neugierig, was gerade passiert war.   Harry spielte mit. Er stand abrupt auf, seine Hände waren zu Fäusten geballt. Die Kiefer zusammengepresst funkelte er seinen Rivalen an, als ob er ihm jeden Moment einen Unverzeihlichen auf den Hals hexen würde.   So wirkte es nach außen. Im Inneren war Harry vollkommen ruhig. Der Spruch berührte ihn nicht. Schon lange nicht mehr. Er war nur Mittel zum Zweck. Draco hatte ihm so mitgeteilt, dass sie miteinander reden müssten. Am unauffälligsten war es immer, wenn sie zusammen nachsitzen mussten. Dieser Spruch, hier und jetzt, war nur der Auftakt. Ihr eigentliches Theaterstück würden sie später vor Severus in Verteidigung gegen die Dunklen Künste aufführen. Hier einen großen Streit anzufangen, unter den Augen aller Lehrer wäre dumm.   Harrys rechte Hand zuckte. Aber bevor er seinen Zauberstab greifen konnte, waren Granger und Mini-Weasley neben ihm aufgesprungen und zogen ihn aus der Großen Halle. Etwas drastisch, aber sie hatten ihn, wie er erwartet hatte, gestoppt, bevor er einen Fluch auf Draco hexen konnte. Harry ließ sich widerstandslos wegbringen. Die Blicke, die er seinem Erzfeind zuwarf, waren mörderisch.   Sie brachten Harry nach draußen. Er versuchte, sich zu sammeln, atmete mehrmals tief ein und aus. Mini-Weasley strich ihm immer wieder beruhigend über den Rücken. So beruhigend fühlte es sich für Harry nicht an, aber er ließ es über sich ergehen.   Kurz nach ihnen kam auch der andere Weasley hinterher getrabt. Er sah ärgerlich seine Freundin und seine Schwester an. „Warum habt ihr Harry weggeschleppt? Dieses Frettchen hätte eine Abreibung verdient gehabt.“   „Spinnst du, Ron?“, entgegnete Granger wütend. „Harry kann doch nicht einfach vor der ganzen Schule – vor allen Lehrern! – Malfoy verfluchen. Dafür hätte er einen Schulverweis kriegen können. Willst du das?“   Weasley zuckte zusammen und schaute dann leicht beschämt zu seiner Freundin. „Natürlich will ich das nicht.“, antwortete er widerwillig. Man sah ihm an, dass er es aber doch lieber gesehen hätte, wenn Harry den Slytherin verflucht hätte. Nun, diesen Gefallen würde er ihm ganz sicher nicht tun.   „Geht’s wieder, Harry?“ Mini-Weasley schaute Harry besorgt an. Er schenkte ihr ein dankbares Lächeln, was sie sofort leicht erröten ließ.   „Ja, geht schon. Danke.“ Harry ließ seine Stimme ein wenig zittern.   „Willst du zurück in die Große Halle? Oder wollen wir noch ein bisschen hoch in den Gemeinschaftsraum gehen? Es ist noch ein bisschen Zeit, bevor der Unterricht anfängt.“ Sie schaute Harry hoffnungsvoll an, aber er schüttelte nur mit dem Kopf. Er hatte jetzt keine Geduld, um mit ihr zu spielen. Er war viel zu neugierig, was Draco von ihm wollte. Es musste etwas mit dem Brief zu tun haben, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass etwas Wichtiges drinstehen würde. Immerhin konnten Posteulen abgefangen werden. Das Risiko wäre viel zu hoch.   „Nein, ich muss noch schnell in die Bibliothek. Ich wollte noch etwas nachschlagen, bevor der Unterricht anfängt.“ Das war nicht mal gelogen. Harry hatte sich an ein Zaubertrankbuch erinnert, in dem letztes Jahr für Severus nach Zaubertrankzutaten gesucht hatte. Asiatische Antidotes. Der Titel klang vielversprechend. Vielleicht könnte er da noch ein paar Tipps zum Entwickeln von Gegengiften finden. Auf jeden Fall war es die perfekte Ausrede, um von dieser Göre wegzukommen, die ihn jetzt enttäuscht anschaute.   „Gut, wir kommen mit.“, meinte Granger plötzlich. Weasley und Harry schauten sie beide überrascht an. Wann war das letzte Mal gewesen, dass sie gemeinsam in die Bibliothek gegangen waren? Harry konnte sich nicht erinnern.   „Wieso wir?“ Weasley Abscheu vor Wissen zeigte sich nur allzu deutlich auf seinem Gesicht.   „Hab dich nicht so, Ron. Es könnte dir ganz sicher nicht schaden, auch hin und wieder ein Blick in ein Buch zu werfen.“ Er sah nicht so aus, als ob er ihr glauben würde. Granger seufzte. „Zumindest sollten wir Harry jetzt nicht alleine lassen.“   Also darum ging es. Sie wollte ihn kontrollieren. Damit er nicht doch heimlich zurück in die Große Halle rannte und Draco verfluchte.   Es half nichts. Er müsste wohl ein bisschen Zeit mit seinen Freunden verbringen. Kapitel 23: Geheime Worte ------------------------- Das Buch ‚Asiatische Antidotes‘ hatte sich als Zeitverschwendung erwiesen. Es beschrieb zwar detailliert fernöstliche Giftpflanzen, wo und wann sie genau zu finden waren, wie sie geerntet und verarbeitet werden mussten, außerdem genauso detailliert Tierwesensekrete und es gab auch genug Beispiele für fertige Mixturen, aber darüber, wie man Gegengifte richtig entwickelte, kein einziges Wort.   Granger hatte die ganze Zeit neugierig in seine Richtung geschaut und hatte ihm ihre Hilfe angeboten. Diese Genugtuung wollte er ihr aber nicht geben. Er würde selber eine Lösung finden und wenn er dafür jedes Buch durchlesen müsste, was jemals zu Gegengiften geschrieben worden war.   Sein „Danke, aber das ist nicht nötig.“ wurde aber völlig ignoriert und sie hatte ihm sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass seine Unfähigkeit mit den Gegengiften daherkam, dass er die Grundlagen nicht verstanden hätte. Er könnte zwar nach Anleitung arbeiten, hätte aber eigentlich keine Ahnung, was er da eigentlich tat. Kurzum hatte sie vor ihm eine Ausgabe von ‚Zaubertränke und Zauberbräue‘ von Arsenius Bunsen auf den Tisch geknallt.   Harry war so perplex, dass er erstmal nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte. Granger hatte ihn angeschaut, als ob sie irgendein strenggehütetes Geheimnis mit ihm geteilt hätte, obwohl sie ihm nur ihr Lehrbuch aus den letzten fünf Jahren gegeben hatte. Welches er, nebenbei bemerkt, selbst besaß.   Er sah entschuldigend zu Madam Pince, die bereits missbilligend in ihre Richtung schaute. Sie waren mal wieder zu laut gewesen. Harry stellte das Buch wieder zurück an seinen Platz. Er könnte später in sein eigenes Exemplar schauen, auch wenn er sich nicht viel davon versprach.   Weasley hatte währenddessen das neueste Heft seiner Lieblings-Comic-Reihe ‚Die Abenteuer von Martin Miggs, dem mickrigen Muggel’ herausgeholt und hatte die unliebsame Umgebung ausgeblendet. Harry bemerkte Grangers missbilligende Blicke. Vielleicht überlegte sie ja bereits, ob ihre Partnerwahl doch nicht so gut gewesen war.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Der Imperius-Fluch. In diesem Schuljahr lernten sie mehr in Verteidigung gegen die Dunklen Künsten über die Dunklen Künste selbst als den fünf Jahren zuvor. Ob es Teil des Lehrplans war oder ob sie das Severus zu verdanken hatten, wusste Harry nicht. Natürlich gab es Gemunkel – und er konnte nicht behaupten, dass er nicht selbst daran beteiligt gewesen war – dass ihr ehemalige Zaubertränkelehrer besessen von den Schwarzen Künsten wäre. Aber wenn Dumbledore irgendwelche Bedenken in diesem Bereich gehabt hätte, hätte er niemals zugelassen, dass der angebliche ehemalige Todesser dieses Fach übernahm.   Sicher!   Nun, wie die Vergangenheit gezeigt hatte, machte sich der Schulleiter wenig Gedanken über die Kompetenz und die Motivation seiner Lehrer für dieses Fach. Zugegeben, es war sicher schwierig jedes Jahr aufs Neue jemand Fähigen zu finden, aber die Wahl, seit Harry hier zur Schule ging, ließ sehr zu wünschen übrig.   Im ersten Jahr war es Professor Quirrell. Er hatte mit Sicherheit Kenntnisse auf dem Gebiet, hatte aber dafür ein Teil von Voldemort mit ins Schloss geschleppt. Hatte Dumbledore nicht irgendeine Art Schutz um die Ländereien gelegt, damit dieser dunkelste aller Zauberer nicht hier eindringen konnte? Quirrells Unsicherheit und Schreckhaftigkeit war zwar nur gespielt gewesen, machten aber keinen vertrauenserweckenden Eindruck, jemanden vor schwarzer Magie schützen zu können.   Im zweiten Jahr war es Lockhart. Nein, den Titel Professor hatte er beim besten Willen nicht verdient. Dieser Zauberer war mehr als unfähig gewesen und wenn es wirklich etwas wie einen strickten Lehrplan gab, hatte er sich ganz sicher nicht daran gehalten. Nichts gegen eigene Publikationen als Unterrichtsmaterial, aber dann Sachbücher, keine Abenteuerromane – egal ob sie auf wahren Begebenheiten basierten oder nicht.   Professor Lupin kam dann im dritten Jahr. Auch wenn er ein guter Lehrer gewesen war, konnte man nicht sagen, ob er wirklich die Qualifikation für diesen Fach besessen hatte. Harry wusste eigentlich bis heute nicht, was der Zauberer nach seinem Abschluss bis er als Lehrer wieder an Schule aufgetaucht war, gemacht hatte. Man merkte, dass er sich hervorragend mit gefährlichen magischen Tierwesen auskannte, was wohl darauf zuzuführen war, dass er selbst ein solches Wesen war. Aber ein Werwolf war aus vielen Gründen ungeeignet einen solchen Posten zu übernehmen. Nicht, dass Harry Werwölfe diskriminieren wollte, aber wie hoch das Risiko war, hatte er am eigenen Leib erfahren.   Jahr vier. Ein weiterer Beweis für Dumbledores Gedankenlosigkeit. Der verstörend und einschüchternd wirkende Exauror Alaster ‚Mad-Eye‘ Moody hatte sich als der fanatische Todesser Barty Crouch jr. entpuppt. Beide mit Sicherheit äußerst kompetent auf dem Gebiet der Dunklen Künste, aber als Lehrer waren beide absolut ungeeignet. Aber immerhin hatte sie in diesem Jahr etwas gelernt. Aber der Inhalt war sicher nicht für Viertklässler bestimmt gewesen. Und außerdem illegal.   Letztes Jahr war es Umbridge. Auch sie verdiente den Titel ‚Professor‘ in Harrys Augen nicht und gelernt hatten sie in diesem Jahr auch nichts Wichtiges. Es war reine Zeitverschwendung gewesen. Aber wenn man Schülern alles nur theoretisch aus Büchern beibringen wollte, brauchte man auch niemanden, der wirklich Ahnung von dem Fach hatte. Fairerweise musste Harry zugeben, dass Dumbledore in diesem Jahr keine Wahl gehabt hatte.   Es war wahrscheinlich nicht möglich, einen strikten Lehrplan einzuhalten, wenn man gezwungen war, jedes Jahr einen neuen Lehrer einzustellen. Irgendwann gingen einem die Optionen aus. Trotzdem! Harry hatte in seiner Zeit auf Hogwarts nur ein einziges Mal erlebt, dass Dumbledore einen Kandidaten zum Schutz der Schüler abgelehnt hatte. Und das hatte er nur in dessen Erinnerung gesehen. Voldemort hätte aber mit Sicherheit alle nötigen Qualifikationen gehabt – wenn man seine Vorliebe für die Anwendung der Unverzeihlichen außer Acht ließ.   Aber nur weil die Unverzeihlichen Flüche nicht angewendet werden dürfen, hieß das nicht, dass man nichts über sie wissen musste. Als sie in diesem Jahr mit den drei Flüchen angefangen hatten, hatte Granger angemerkt, dass sie das bereits im vierten Jahr durchgenommen hatten. Dies hatte zur Folge, dass Gryffindor zehn Punkte verlor und sie alle einen Aufsatz darüber schreiben mussten, warum es wichtig war, nicht nur Wirkung eines Fluchs zu kennen, sondern auch die die Hintergründe, wie Entstehung, ursprüngliche Absicht, genaue Wirkungsweise, andere Verwendungszwecke, wie man ihn erkennt, usw.   Harry musste zugeben, dass es sehr interessant gewesen war. Es war der erste Aufsatz gewesen, den er mit Begeisterung geschrieben hatte, sogar mehr als die verlangten drei Rollen Pergament. Aber natürlich war es nicht gut genug gewesen. Schlecht recherchiert, unsauber geschrieben, zu große Schrift und noch mehr Kritikpunkte, die er sich gar nicht alle hatte merken können. Immerhin hatte er mit einem A wenigstens bestanden.   Auch wenn sich seine Noten in diesem Fach nicht verbessert hatten – es wäre zu auffällig, wenn Severus ihn plötzlich fair benoten würde – so machte ihm das Fach seit ein paar Wochen wieder mehr Spaß. Auch die theoretischen Inhalte.   So saß Harry jetzt vor seinem aufgeschlagenen Buch ‚Im Angesicht des Gesichtslosen‘, bei dem ihm automatisch immer Voldemorts Schlangengesicht in den Sinn kam, und las das Kapitel über den Imperius-Fluch. Zumindest versuchte er das.   Draco saß hinter Harry und versuchte ihn die ganze Zeit zu provozieren. Er bewarf Harry mit kleinen Kügelchen und zielte dabei auf Harrys Hinterkopf. Immer, wenn eines davon in seinen unbändigen Haaren haften blieb, hörte er die Slytherins leise lachen. Harry versuchte es zu ignorieren und schüttelte nur hin und wieder seinen Kopf, um sich von seinem ungewollten Schmuck zu befreien.   Severus hatte es natürlich sofort bemerkt, ließ Harry aber noch eine Weile zappeln, bis er reagierte. Es war demütigend und Harry war sich sicher, dass Severus es genoss, ihn so leiden zu sehen.   „Mr. Potter!“, kam endlich die erlösende Ermahnung. „Sie glauben wohl, nur weil Sie den Imperius einmal abgeschüttelt haben, sind Sie gleich ein Experte auf diesem Gebiet und brauchen nichts weiter über ihn zu wissen?“   „Es war mehr als einmal.“, nuschelte Harry vor sich hin. Und dabei zählte er nur die paar Male, die der falsche Moody es versucht hatte.   „Wie war das?“, entgegnete eine eisige Stimme.   Harry zuckte zusammen, als ob er sich nicht bewusst gewesen wäre, dass er laut gesprochen hatte. Severus‘ Augen funkelten ihn kalt an und warteten auf eine Antwort. Harry schluckte.   „Genaugenommen war es mehr als einmal, Sir. Professor Moody hat genau viermal versucht, mich mit dem Fluch zu belegen.“ Seine Stimme klang diesmal etwas fester.   „Und deswegen sind Sie der Meinung, meinen Unterricht stören zu können? Zehn Punkte Abzug von Gryffindor und Nachsitzen heute Abend nach dem Abendessen in meinem Büro.“ Harry öffnete seinen Mund und wollte schon protestieren, besann sich aber noch rechtzeitig. Wie hätte er erklären sollen, dass ihm das zu lange dauerte und er noch vor dem Abendessen zum Nachsitzen wollte? Nun, die Stunde war ja noch nicht vorbei.   Plötzlich meldete sich Granger neben ihm zu Wort. „Professor, bei allem Respekt! Harry hat gar nichts getan. Malfoy hat…“   „Nun Ms. Granger, wenn Sie nicht möchten, dass Gryffindor noch weitere Punkte verliert, würde ich Ihnen raten nicht auch noch meinen Unterricht stören zu wollen.“ Augenblicklich war Granger verstummt. Sie hasste diese Ungerechtigkeit, aber noch mehr hasste sie es Punkte zu verlieren. Am meistens, wenn es ihretwegen war.   Sie warf Harry noch einen warnenden Blick zu, der geradezu schrie, dass er sich nicht provozieren lassen sollte und wandte sich dann wieder ihrem Buch zu. Harry verkniff sich ein breites Grinsen. Und wie er sich provozieren lassen würde. Sie waren noch nicht fertig.   Es dauerte auch keine zehn Minuten und schon ging es weiter. Draco hatte kleine Pergamentfetzen in Vögelchen verwandelt und ließ sie um Harrys Kopf kreisen. Eines der Papierviecher hatte sich auf Harrys Kopf niedergelassen, als wäre es ein Vogelnest. Harry keuchte überrascht auf. Er drehte sich zu Draco um und ließ die Vögel wieder auf ihn zurückschießen. Diese lösten sich aber in Luft auf, kurz bevor sie den Slytherin erreichen konnten. Ein selbstzufriedenes Lächeln erschien auf Dracos Gesicht und er deutete mit einem kurzen Kopfnicken nach vorn.   Harry erstarrte kurz und drehte sich dann langsam in die Richtung, in die Draco gezeigt hatte. Ein wildfunkelnder Severus stand direkt vor ihm.   „Mr. Potter!“ Severus‘ Stimme klang so gefährlich, dass automatisch jeder in dem Raum zusammenzuckte. „Ich würde Ihnen dringend raten, sich auf den Unterricht zu konzentrieren und diese Albernheiten zu unterlassen. Es sei denn, sie wünschen am Ende des Unterrichts keine Punkte mehr für ihr Haus zu haben. Weitere 50 Punkte Abzug für Gryffindor und das Nachsitzen fängt direkt nach dem Unterricht an.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und ging zurück zu seinem Tisch.   Sie mussten sich wirklich ein anderes System einfallen lassen. Wenn Harry immer so viele Punkte verlor, wenn er sich in Ruhe mit Draco unterhalten wollte, ohne hinterher lästige Fragen beantworten zu müssen, wo er denn gewesen sei und was er gemacht hätte, würde sein Haus wirklich bald keine Punkte mehr haben. Vielleicht konnte er Severus später überzeugen, ihm die Punkte zurückzugeben. Aber er glaubte nicht wirklich daran.   Die nächste Zeit hatte er erst einmal Ruhe und er konnte sich auf den Imperius-Fluch konzentrieren.   Kurz vor Ende des Unterrichts kam dann Dracos letzte Attacke. Harry spürte, wie sich etwas auf seinem Kopf bewegte. Er konnte zunächst nicht zuordnen, was war, aber als die Slytherins hinter ihm anfingen, laut zu lachen, wusste er, dass es nichts Gutes sein konnte. Selbst Weasley neben ihm konnte sich nicht zusammenreißen und fing an, zu kichern.   Harry wollte mit seinen Fingern durch seine Haare fahren, um rauszufinden, was Draco gemacht hatte, aber er wusste, dass es ihm so gar nicht gefallen würde. Was hatte der Slytherin heute nur mit seinen Haaren?   „Das reicht jetzt, Mr. Malfoy.“, donnerte auf einmal Severus‘ Stimme durch den Raum. „Sie werden Mr. Potter nach dem Unterricht beim Nachsitzen Gesellschaft leisten. Und jetzt hören sie auf, bevor ich mich gezwungen sehe, meinem eigenen Haus Punkte abzuziehen.“   „Ja, Professor.“ Dieser Mistkerl lachte immer noch. Oh, Harry würde sich ganz furchtbar rächen, egal was Draco da auf seinem Kopf gemacht hatte.   Als ob Severus‘ Harrys Gedanken gelesen hätte, ging er zu ihm und beschwor einen kleinen Handspiegel herauf, den er Harry vor sein Gesicht hielt. „Eindeutig eine Verbesserung.“   Harry schaute auf sein Spiegelbild und sein Unterkiefer klappte nach unten. In seinen Haaren steckten leuchtende Schleifchen in bunten Farben und sie blinkten. Er warf Severus einen giftigen Blick zu. Aber das schien ihn nur noch mehr zu amüsieren und sein rechter Mundwinkel zuckte verdächtig.   Das war genug. Der Unterricht war eh so gut wie vorbei. Harry räumte seine Sachen zusammen und stürmte zur Tür hinaus. Beim Umdrehen sah er noch, wie Draco sich vor Lachen an seinem Tisch festhalten musste, damit er nicht von seinem Stuhl fiel. Oh, er würde das sowas von zurückbekommen.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Harry war in die nächste Toilette geeilt, ohne darauf zu achten, ob sie für Jungen oder Mädchen war. In seinem jetzigen Zustand konnte er ohnehin auch als Mädchen durchgehen. Er stand vor dem Spiegel und versuchte, die Bänder aus seinen Haaren zu lösen. Er sah so lächerlich aus.   Die Slytherins könnten sich am nächsten Donnerstag bei ihrem Training auf was gefasst machen. Scharrade hin oder her, er würde ihnen noch einmal in Erinnerung rufen, wer er war und was er konnte. Nur zur Sicherheit. Für Draco würde er sich etwas Besonderes einfallen lassen.   Die Tür zum Klo öffnete sich und einen kurzen Moment überlegte Harry, welchen Vergessenszauber er dem unerwünschten Besucher verpassen könnte, aber es waren nur Granger und Weasley, die ihn gesucht hatten.   Weasley hatte immer noch ein Grinsen im Gesicht und sah aus, als ob er jeden Moment schallend loslachen würde. Harry schaute ihn nur verständnislos an.   Granger seufzte schwer und machte sich dann daran, die Schleifchen aus seinen Haaren zu lösen. Harry konnte nicht verhindern, dass er für einen kurzen Moment Dankbarkeit für sie empfand. Aber dieses Gefühl wurde bereits im nächsten Augenblick wieder zerstört.   Ihr Blick wurde erst ernst, dann wütend. Und er war direkt auf ihn gerichtet. Mit ihrem Zauberstab, der auf seinen Kopf gerichtet war, wirkte das schon ein wenig beunruhigend.   Harry schaute ihr über den Spiegel direkt in die Augen und hob fragend seine Augenbrauen.   „Du solltest du mehr zusammenreißen!“, sagte sie hart.   ‚Wie bitte?‘ „Wie bitte? Au!“ Der Zauber, der seinen Kopf von den Bändern befreite, wurde mit einem Mal viel derber und riss an seinen Haaren.   Aufgeregt redete Granger weiter. „Du lässt dich viel zu leicht provozieren, Harry.“   „Ich habe doch gar nichts getan.“ Hatte er wirklich nicht. Gut, er hatte die Papiervögel zu Draco zurückgeschickt, aber das war’s dann auch schon gewesen. Es ist ja nicht so, dass er bei Severus wirklich etwas anstellen musste, um Nachsitzen und Punkte abgezogen zu bekommen.   Aber sie reagierte gar nicht auf seinen Einwand. „Du hast uns allen eine Predigt gehalten, dass wir nicht auf die Provokationen der Slytherins eingehen sollen, sondern sie einfach ignorieren. Aber du springst sofort darauf an, wenn Malfoy dich auch nur schief ansieht.“   Was sollte das werden? Waren sie wirklich gerade im gleichen Raum gewesen und hatten das gleiche erlebt? Irritiert schaute Harry zu Weasley. Der sah ebenfalls so verwirrt aus wie Harry, aber bevor er ihr widersprechen konnte, sprach Granger weiter.   „Versuche gar nicht erst, Harry in Schutz zu nehmen, Ron! Du bist auch nicht besser. Egal, was passiert, für dich hat immer Malfoy Schuld oder ein anderer Slytherin. Du springst genauso schnell auf ihre Sticheleien an wie Harry. Und dann auch noch vor Professor Snape, der nur auf eine Gelegenheit wartet, uns Punkte abzuziehen und Strafarbeiten zu geben. Ihr schadet damit unserem Haus.“ Granger hatte sich in Rage geredet und war jetzt puterrot im Gesicht.   Harry und Weasley schauten sich nur hilflos an. Keiner von beide hatte eine Ahnung, was plötzlich mit ihr los war.   „Hermine, …“, begann Weasley in einem Versuch, sie zu beruhigen, aber ihr wütender Blick brachte ihn zum Schweigen.   Der Zauber, der Harrys Haare befreien sollte, riss von Grangers negativen Gefühlen beeinflusst an den Bändern. Der Schmerz kam unerwartet und Harry zog scharf die Luft ein. Er war sich sicher, dass er ein paar Haare verloren hatte.   „Was genau ist dein Problem?“, fuhr er sie an. Harry hatte genug von ihrer Wichtigtuerei. Als ob sie perfekt wäre und noch nie etwas Falsches getan hätte. Immer sah sie von oben auf anderer herab, weil sie sich für intelligenter und besser hielt. Nicht mal vor ihren Freunden machte sie halt, nicht mal vor ihrem festen Freund.   „Ich will nur, dass du dich an deine eigenen Worte hältst.“ Granger wurde immer lauter. „Du kannst nicht das eine sagen und das andere tun. Du solltest ein Vorbild sein. Aber stattdessen… Ach! Vergiss es einfach.“   Granger ließ ihren Zauberstab sinken und stürmte dann aus dem Raum. Weasley sah ratlos zu Harry, bewegte sich aber kein Stück. Wollte er seiner Freundin nicht hinterherlaufen?   „Was hat die denn bloß?“ Nein, er wollte ihr anscheinend wirklich nicht hinterherlaufen.   „Ich habe keine Ahnung.“ ‚Und eigentlich ist es mir auch egal.‘ Harry sah in den Spiegel und musste feststellen, dass immer noch ein paar Schleifchen in seinen Haaren blinkten. Seufzend nahm er seinen Zauberstab und begann die restlichen Bänder zu lösen.   „Mädchen. Und da soll jemand schlau werden.“ Weasley schüttelte seinen Kopf.   Harry musterte ihn kurz durch den Spiegel. Er wirkte so anders als seine Geschwister. In ihren Augen hatte er immer einen gewissen Ehrgeiz gesehen, Intelligenz. Dies fehlte dem jüngsten Weasley aber vollständig. Er wirkte eher etwas einfach und desinteressiert. Vielleicht könnte er mehr aus sich machen, wenn er es wirklich wollte, aus den Schatten seiner Brüder heraustreten. War das nicht sein größter Wunsch gewesen? Hatte der Spiegel Nerhegeb in ihrem ersten Jahr ihm nicht genau das gezeigt?   Hatte sich daran etwas geändert?   Nein. Harry war sich absolut sicher; Roland Weasley wollte immer noch überall der Beste sein. Er war nur einfach nicht bereit, irgendetwas dafür zu tun. Ihm war es am liebsten, wenn andere die Arbeit für ihn erledigten und er die Lorbeeren dafür einheimsen konnte. Hatte er sich deswegen für Granger entschieden? Mit ihr hätte er sicher gute Chancen nach der Schule ein sorgloses Leben zu führen, während sie die Knuts verdiente. Aber so würde er sie nicht halten können. Außerdem hatte Harry jetzt keine Nerven, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Sollte er lieber seinem einfachen Leben hinterherjagen.   „Du solltest ihr hinterhergehen.“, sagte Harry so behutsam wie möglich.   Weasley schaute ihn an, als hätte er gerade dazu gerade überhaupt keine Lust. „Nee. Sie soll sich erst ein bisschen beruhigen.“   Harry verdrehte die Augen. Hatten sie dieses Thema nicht erst vor Kurzem gehabt? „Ron! Wir reden hier von Hermine. Momentan ist sie sauer auf mich. Willst du, dass sie noch sauer auf dich wird?“ Das war sie schon, aber das musste er ja nicht erwähnen.   „Nein.“ Widerwillig sah Weasley zur Tür und dann mit einem flehenden Blick zu Harry. Aber Harry blieb unnachgiebig. „Ist ja gut, ich geh ja schon.“   Harry beachtete ihn nicht weiter, als Weasley zur Tür hinausging. Er musste jetzt erst mal seine Haare wieder in Ordnung bringen.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Granger hatte ihn den Rest des Tages ignoriert und Weasley hatte nur hin und wieder bedauernd zu ihm geschaut, aber ansonsten auch keinen Ton zu ihm gesagt. Nicht, dass Harry traurig deswegen gewesen wäre. Er hatte sich ein wenig entspannen können, da er nicht die ganze Zeit dazu gezwungen gewesen war, so zu tun, als ob ihm die Freundschaft zu den beiden irgendetwas bedeutete. Ihre Klassenkameraden hatten zwar neugierig zwischen ihnen hin und her geschaut, aber ein ratloses Schulterzucken von Harry und ein kaum wahrnehmbares Kopfschütteln von Weasley hatten gereicht, dass sie nicht weiter nachgefragt hatten.   Jetzt war der Unterricht endlich vorbei und Harry ging geradewegs zu Severus‘ Büro. Draco und Severus warteten bereits auf ihn. Die Stimmung war völlig anders, als noch ein paar Stunden zuvor. Da hatten sich die beiden Zauberer noch über ihn lustig gemacht und hatten beinahe ausgelassen gewirkt. Jetzt waren ihre Gesichter ernst und besorgt.   „Was ist los?“, kam Harry gleich zur Sache. Er setzte sich auf den freien Platz am Kamin und wartete, dass Draco zu erzählen begann.   Stattdessen reichte Draco ihm aber nur ein Stück Pergament. „Das ist für dich. Vom Dunklen Lord.“   Ungläubig sah Harry ihn an. Das Pergament war völlig leer. „Aha. Und wie kommst du darauf? Ich kann hier nichts erkennen.“   „Es stand in dem Brief von meinem Vater.“, erwiderte Draco. Sein Gesicht war komplett unbewegt und ließ keinen Schluss auf seine Gedanken zu.   „In dem Brief von deinem Vater stand, dass Voldemort mir einen Brief mitgeschickt hat? Das kann ich mir nur schwer vorstellen. Auch euer Uhu hätte abgefangen werden können.“ Harry schaute zu Severus in der Hoffnung, dass er ihm beipflichten würde, aber er sagte nichts dazu und wirkte genauso undurchschaubar wie Draco.   Draco verdrehte die Augen. „Es war natürlich verschlüsselt, Potter. Hältst du uns wirklich für so dumm?“ Darauf erwiderte Harry lieber nichts.   Harry schaute weiter auf den Brief in seinen Händen. Er hatte keine Ahnung, wie er ihn lesen sollte. Er wusste, dass es einen Zauber gab, der unsichtbare Tinte sichtbar machte, aber er konnte sich gerade nicht an ihn erinnern.   „Aparecium funktioniert nicht.“, meinte Draco plötzlich und ersparte Harry damit nachfragen zu müssen.   „Du glaubst, dass der Brief für mich ist und versuchst ihn dennoch zu lesen?“, fragte Harry. Er war nicht sauer, er wollte nur wissen, warum.   Draco zuckte mit den Schultern. „Ich war neugierig.“   „Ich konnte ihn auch nicht lesen.“, meldete sich jetzt auch Severus zu Wort.   „Das ist ja fantastisch. Warum versucht hier jeder meine Post zu öffnen?“ Die Frage war mehr an sich selbst als an seine Begleiter gerichtet. Aber Severus hatte wenigstens den Anstand ein bisschen schuldbewusst auszusehen. Vielleicht hatte sich Harry das aber auch nur eingebildet.   Ohne groß nachzudenken, zog Harry seinen Zauberstab und versuchte, die Tinte selbst sichtbar zu machen. Wenn die Nachricht darauf wirklich für ihn war, würde es doch bestimmt funktionieren. Oder? Aber es passierte gar nichts. Seufzend packte Harry seinen Zauberstab wieder weg.   „Du bist dir wirklich sicher, dass er für mich ist? Vielleicht ist er für Bletchley gedacht.“   „Absolut sicher, Potter. Ich denke eher, dass es um Bletchley geht.“, sagte Draco leicht gereizt.   „Zeig mal den Brief von deinem Vater.“ Harry streckte ihm eine Hand entgegen.   Dracos Blick huschte kurz zu Severus, bevor er widerwillig den Brief hervorholte und ihn Harry in die Hand drückte. Er zeigte auf den Abschnitt und Harry begann zu lesen.   Erinnerst du dich noch an das kleine Kätzchen, das uns zugelaufen ist? Es hatte gestern bei uns im Garten gespielt und plötzlich ist eine große Schlange vor ihr aufgetaucht. Ich hatte schon befürchtet, dass sie unser Kätzchen fressen will. Aber sie hatte sich nur aufgerichtet und hat gezischt, als ob sie dem Kleinen was erzählen wollte. Dann hat sie sich umgedreht und ist wieder weggeschlängelt.   Harry sah Draco ungläubig an. „Und deswegen glaubst du, dass das hier für mich ist?“ Er wedelte kurz mit dem leeren Stück Pergament in der Luft.   „Sicher, Potter.“ Draco schnaubte verächtlich. „Wir haben keine Katze. Und das einzige, was einem zugelaufenen Kätzchen nahekommt, bist nun mal du.“ Sein Mund verzog sich zu einem fiesen Grinsen. Dummerweise machte ihn das nicht weniger attraktiv.   Harry schüttelte kurz seinen Kopf, um die unerwünschten Gedanken abzuschütteln. Keine Zeit für Schwärmereien. Er überflog noch einmal kurz die Zeilen, bevor er Draco seinen Brief zurückgab. Es gefiel ihm nicht, mit einem kleinen Kätzchen verglichen zu werden. Er sah sich eher als Chimära – mit einem Schlangenschwanz versteht sich, nicht mit einem Drachenschwanz.   „Nun, wenn der Zettel wirklich für mich ist, wird Voldemort wahrscheinlich sichergestellt haben, dass wirklich nur ich den Inhalt lesen kann. Die Frage ist also, wie er sich das gedacht hat. Irgendwelche Vorschläge?“ Harry schaute erst zu Draco, dann zu Severus.   „Parsel.“, kam es wie aus einem Mund.   Harry lachte trocken. „Das glaube ich nicht. Das ist zu einfach und nicht sadistisch genug.“   „Du könntest es wenigstens probieren. Immerhin hast du uns nach unserer Meinung gefragt.“ Draco verschränkte die Arme vor der Brust und schaute ihn herausfordernd an.   Was hatte er zu verlieren? Gut, dass er in der Zwischenzeit kontrollieren konnte, wann er Parsel sprach und keinen Auslöser mehr brauchte, wie eine Schlange oder einen anderen Parselmund. Denn beides war gerade nicht zur Hand. Nicht mal ein Abbild einer Schlange war in diesem Büro. Wie konnte der Hauslehrer von Slytherin nicht wenigstens das Wappen seines Hauses hängen haben?   Harry seufzte und konzentrierte sich dann auf seine Aufgabe. ~Offenbare dich.~   Nichts geschah.   „Vielleicht hast du genuschelt.“, meinte Draco.   Ungläubig sah Harry ihn an. Draco zuckte mit den Schultern und starrte dann auf das Stück Pergament, als würde es ihm durch reine Willenskraft verraten, wie man es lesen konnte.   „Es wäre wirklich zu einfach gewesen. Zu naheliegend. Das passt nicht zum Dunklen Lord. Was hast du gesagt, Harry? Sadistisch?“ Severus stand auf und ging zu seinem Schreibtisch. Er öffnete eine Schublade, kramte kurz darin herum und ging dann wieder zurück. Er reichte Harry ein längliches Objekt. Es war aus Silber und hatte Ähnlichkeit mit einem Dolch. Die Klinge war zweischneidig und spitzzulaufend und sah so scharf aus, als ob sie ein Haar spalten könnte.   Draco sah neugierig auf den Gegenstand. Harry lächelte.   „Ein Brieföffner? Das ist aber nicht die feine Zaubererart.“ Harry bewunderte den Griff. Er war zierlich und hatte eine leichte Krümmung, passte perfekt in seine Hand. Ansonsten war er völlig schmucklos. Ein Zauber schützte das Silber, damit es nicht anlief.   Er setzte die Spitze an seinen Finger und schon quoll ein Tropfen Blut hervor. Harry hatte es nicht einmal gespürt. Die Klinge bewegte sich wie von selbst bis ein kleiner Schnitt entstand. Es genügte. Ein paar Tropfen fielen auf das Pergament. Das Blut schien etwas heller zu werden und Harry war sich fast sicher, dass es die gleiche Farbe war, wie Voldemorts Augen. Scharlachrot. Aber ansonsten passierte gar nichts.   „Versuch jetzt den Zauber.“, flüsterte Draco. Er konnte seinen Blick nicht von Harrys Finger lösen. Unbewusst leckte er sich über die Lippen.   Harry tauschte den Brieföffner mit seinem Zauberstab. „Aparecium!“ Sofort kam sein Blut in Bewegung. Es teilte sich, wurde zu langen dünnen Linien und schließlich zu Buchstaben. Voldemorts Nachricht war entschlüsselt.   Mitternacht von Sonntag zu Montag Hogsmeade Allein Kapitel 24: Treffen zu zweit ---------------------------- Drei kurze Zeilen. Das war alles gewesen. So ein Riesentheater nur um Harry mitzuteilen, dass er ihn sehen wollte. Untypisch für den dunklen Zauberer, der normalerweise sehr ausschweifend in seinen Erläuterungen war. Hätte Lucius Malfoy diese paar Worte nicht ebenfalls in seinem Brief verschlüsseln können? Nein! Stattdessen diese lächerliche kleine Anekdote. Harry ärgerte sich immer noch darüber.   Jetzt stand er hier in Hogsmeade – mal wieder viel zu früh – und wartete darauf, dass Voldemort auftauchte. Harry versuchte ruhig zu bleiben, aber die Nervosität ließ sich nicht vertreiben.   Severus, Draco und Harry hatten noch spekuliert, was Voldemort von ihm wollen könnte. Es konnte eigentlich nur um Bletchley gehen und was auch immer dieser mit ihrem Lord zu besprechen gehabt hatte. Was Gutes war es mit Sicherheit nicht. Aber es war sehr auffällig gewesen, dass Bletchley auch beim Donnerstagtraining nicht erschienen war. Draco und Harry hatten sich darauf geeinigt, es nicht weiter zu beachten. Erst einmal abwarten, was Voldemort zu sagen hatte.   Es war kalt und Harry war schrecklich müde. Warum mussten sie sich ausgerechnet in der Nacht zu Montag treffen? Harry hatte den nächsten Tag Schule und niemanden, der ihm eine Entschuldigung schrieb, wenn er nicht auftauchte.   Vielleicht sollte er noch ein Runde fliegen? Er hatte nichts zu tun und so würde er wenigstens noch ein bisschen den Kopf frei bekommen. Und dann könnte er den ganzen Platz im Überblick behalten. Hogsmeade war nicht so klein und Voldemort hatte den Treffpunkt nicht genauer benannt. Harry stand an der Stelle, wo schon das letzte Treffen stattgefunden hatte, da es am wahrscheinlichsten war, aber sicher war er sich nicht.   Aber bevor Harry seinen Plan in die Tat umsetzen konnte, wurde er von einem lauten Plopp nicht weit von ihm entfernt aufgeschreckt. Erschrocken drehte sich Harry um und starrte mit weitaufgerissenen Augen in das Gesicht von Lucius Malfoy. Sein Herz pochte wie wild in seiner Brust und er versuchte sich erst einmal wieder zu beruhigen. Er musste zugeben, dass das Apparier-Geräusch gar nicht so laut gewesen war. Im Gegenteil. Es war eigentlich sogar sehr leise gewesen, was nur von Malfoys großem Geschick auf diesem Gebiet zeugte. Harry war einfach viel zu nervös. Warum musste Malfoy auch so früh hier auftauchen?   „Potter?“ Halb rufend, halb flüsternd drang sein Name zu ihm, während Malfoy sich umschaute. Nicht gerade sehr diskret. „Wenn du hier bist, dann zeig dich!“   Harry nahm seinen Tarnumhang ab. Es wäre besser, wenn sie schnell wieder hier verschwinden würden. Obwohl es sicher ganz interessant wäre, Malfoy dabei zu beobachten, wie er seine Anwesenheit hier, zu dieser Uhrzeit erklären würde, wenn jemand ihn sehen sollte. Keine Anonymität ohne die Todessermaske. Allerdings würde ein Todesser ganz sicher für mehr Aufsehen und Panik sorgen, als ein herumirrender Reinblüter.   „Du bist tatsächlich schon da.“, sagte Malfoy in einer Mischung aus Überraschung und Erleichterung, bevor er wieder seinen gewohnten arroganten Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte.   „Ihnen auch einen wunderschönen guten Abend, Mr. Malfoy. Das ist aber nett von Ihnen, dass Sie sich die Zeit nehmen, um mich abzuholen.“ Harry konnte sich die kleine Provokation nicht verkneifen.   Malfoy zwinkerte kurz irritiert, dann wurde sein Ausdruck – zu Harrys großer Überraschung – eine Spur weicher. Er tat Harry nicht den Gefallen, auf diese Spitze einzugehen. Stattdessen erwiderte er den Gruß höflich.   „Guten Abend, Mr. Potter. Der Dunkle Lord hat mich beauftragt Sie abzuholen und deutete an, dass Sie wahrscheinlich zu früh am Treffpunkt sein würden. Wie es scheint, hat er damit richtig gelegen. Sind Sie bereit, dass wir apparieren können?“, sprach Malfoy während er auf Harry zulief   Diese offene Höflichkeit brachte Harry völlig aus dem Konzept. Er konnte nichts Hinterhältiges in seinen Augen erkennen. Lucius Malfoy war ihm bisher immer mit der größten Verachtung entgegengetreten. Was hatte sich geändert?   „Ähm, ja. Ich bin bereit. Zumindest soweit man zum Apparieren bereit sein kann.“ Harry atmete tief durch.   Malfoy hob fragend eine Augenbraue, während er Harry einen Arm hinhielt, an dem er sich festhalten konnte. Harry starrt auf den Arm und holte noch einmal tief Luft, bevor er danach griff. Es dauert keine Sekunde und schon waren sie aus Hogsmeade verschwunden.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Eine Sekunde später tauchen sie in einem Gang aus schwarzem Stein wieder auf. Harry wollte sich von Lucius lösen, aber seine Beine zitterten so stark, dass er sich lieber doch noch länger an dem Zauberer festhielt. Sein Atem ging stoßweise und es drehte sich alles. Eine sehr erniedrigende und sehr ernüchternde Situation. Egal wie mächtig und stark er werden würde, Apparieren würde ihn immer wieder in die Knie zwingen. Gegner hätten jetzt ein leichtes Spiel mit ihm. ‚Gut, dass ich mich hier unter Freunden befinde.‘ Wenn es Harry gerade nicht so schlecht gegangen wäre, hätte er über seine eigenen Gedanken gelacht.   Harry spürte, wie Malfoy stützend einen Arm um ihn legte. „Sie vertragen Apparieren nicht sehr gut.“ Das war keine Frage. Es war aber auch mehr als offensichtlich.   Harry schüttelte leicht mit dem Kopf und bereute sofort seine Entscheidung, weil ihm nun auch noch übel wurde. „Ich habe den Eindruck, dass es jedes Mal schlimmer wird.“   „Bevor wir nachher wieder disapparieren, zeige ich Ihnen noch eine Technik, wie man sich besser darauf vorbereiten kann. Ich schätze, Sie hatten niemanden, der Ihnen das gezeigt hat?“   „Ähm, nein.“ Überrascht schaute Harry auf. Malfoy wollte ihm helfen? „Danke, Mr. Malfoy.“   „Nichts zu danken, Mr. Potter. Geht es wieder besser?“   „Ja, danke sehr.“ Harry löste sich von ihm. Das Zittern hatte nachgelassen und auch die Übelkeit war wieder weg. Sein Kopf dröhnte zwar noch etwas, aber auch das würde gleich wieder vorbei sein. Momentan fühlte er sich eher benommen von der unerwarteten Freundlichkeit. Er wusste nicht, ob er das als gutes oder als schlechtes Zeichen sehen sollte. Vielleicht hatte ja auch Draco ein gutes Wort für ihn eingelegt?   Malfoy führte Harry ein paar Schritte den Gang entlang, bis sie vor einer großen schweren steinernen Flügeltür stehen blieben. Harry erinnerte sich wage daran. Als er das letzte Mal hergebracht wurde, hatten seine Begleiter mit ihm direkt in den Raum dahinter appariert. Malfoy schwenkte kurz seinen Zauberstab und schon öffnete sich die Tür – gerade weit genug, dass sie beide hindurchgehen konnten.   Der Raum hatte sich seit Harrys letztem Besuch nicht verändert. Er wirkte vielleicht ein bisschen bedrohlicher als beim letzten Mal. Die mitternächtliche Dunkelheit ließ kein Licht durch die getrübten Fensterscheiben. Dafür waren alle Kerzen entzündet. Die Flammen tanzten durch den Raum, ließen den geschmolzenen Kandelabern unheimliche Schatten wachsen, die sich schlangengleich durch den Raum bewegten und nach allem Lebendigen griffen, nur um sie mit sich in die Dunkelheit zu ziehen. Ein beeindruckendes Schauspiel und eine Warnung, was passieren würde, sollte man den Dunklen Lord verärgern.   Am anderen Ende des Saals saß Voldemort auf seinem Thron. Drei seiner Anhänger standen vor ihm. Nun, nicht alle drei standen. Bellatrix Lestrange saß zu seinen Füßen und spielte mit dem Saum seines schwarzen Umhangs und sah mit einer Mischung aus Wahnsinn und grenzenloser Verehrung zu ihrem Herrn hinauf. Voldemort beachtete sie aber nicht weiter. Er unterhielt sich mit den anderen beiden Zauberern.   Harry konnte sich an die beiden erinnern. Sie waren bei ihrem letzten Treffen in Hogsmeade dabei gewesen. Einer der beiden hatte Voldemorts Cruciatus abbekommen, aber Harry konnte nicht mehr sagen, wer von den beiden. Ihre Signaturen waren sich sehr ähnlich. Sie mussten Brüder sein. ‚Rabastan und Rodolphus.‘, erinnerte sich Harry. Etwas nagte an seinem Bewusstsein. Er überlegte, wo er die Namen einsortieren sollte, bis es ihm schlagartig wieder einfiel. Lestrange. Einer der beiden musste mit der verrückten Hexe verheiratet sein.   Irritiert weiteten sich Harrys Augen. Aber nur einen Moment, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Er war überrascht, dass sie sich so schamlos verhielt und das auch noch vor ihrem Ehemann. Allerdings schien keiner der beiden ein Problem mit ihrem Verhalten zu haben. Sie verhielten sich, als wäre sie gar nicht da. Es ging keine Anspannung von der Gruppe aus, wie man es vielleicht erwarten würde.   Aber Anspannung gab es. Und sie nahm zu, je weiter sich Harry der Gruppe näherte. Allerdings ging sie von seinem Begleiter aus. Harry unterdrückte den Drang, sich zu Malfoy zu drehen und zu fragen, was plötzlich los war. Sie hatten heute einen überraschend guten Start gehabt und Harry wollte das nicht durch eine unangebrachte Frage zerstören. Also schwieg er.   In der Zwischenzeit hatten sich Voldemort und die Lestrange-Brüder ihnen zugewandt und warteten auf ihre Ankunft. Malfoy ließ sich sofort auf seine Knie fallen, als er vor dem Thron angekommen war. „Mein Herr.“   „Ah, Lucius. Da bist du ja wieder und hast mir unseren jungen Mr. Potter mitgebracht. Gab es irgendwelche Schwierigkeiten?“ Voldemorts raue Stimme kratzte wie feines Sandpapier über Harrys Nervenenden und hinterließ ein feines Kribbeln auf seiner Haut, nicht völlig unangenehm, aber auch nicht willkommen.   „Nein, mein Herr. Mr. Potter war, wie Ihr es vermutet hattet, bereits da, als ich nach Hogsmeade appariert bin. Uns hat niemand bemerkt.“ Malfoy hielt seinen Kopf die ganze Zeit gesenkt.   Harry ging an Malfoy vorbei und verneigte sich leicht, sein Blick war dabei die ganze Zeit auf Voldemort gerichtet. „Mein Lord, du wolltest mich sprechen?“   In dem Moment drehte sich Bellatrix zu ihm um. Ihre Augen funkelten Harry hasserfüllt und mit abgrundtiefer Verachtung an. „Wie kannst du es wagen, du dreckiges Halbblut! Knie gefälligst nieder!“   Vielleicht wäre Harry schnell genug gewesen. Vielleicht hätte er seinen Zauberstab ziehen können und einen Fluch sprechen, der Bellatrix daran gehindert hätte, ihren auszusprechen. Aber Harry war erst 16 Jahre alt. Er durfte außerhalb von Hogwarts nicht zaubern oder die Spur auf seinem Stab würde das Ministerium an seinen Aufenthaltsort führen. Nicht sofort, denn so schnell reagierten sie nicht, aber sie würden es mit Sicherheit überprüfen. Und ihn selbst. Er war eindeutig schon zu oft wegen Zauberei Minderjähriger angeklagt gewesen. Dieses Mal gab es auch keinen Grund, der ihn vor einer Verurteilung bewahrte. Im Gegenteil. Die Gründe würde ihn nach Askaban bringen. Zaubern kam also nicht infrage. Stattdessen versuchte Harry sich wegzuducken, aber er war zu nah. Bellatrix zog ihren Zauberstab und Harry konnte noch das eine Wort hören, bevor seine Welt in Schmerz versank.   Harrys Lungen schienen sich mit Feuer zu füllen, seine Knochen zerschmolzen und hinterließen eine ätzende Säure, die sich durch sein Fleisch fraß. In seinem Kopf dehnte sich ein nie gekannter Druck aus und Harry war sich sicher, dass er jeden Moment platzen und Fetzen seines Gehirns den schwarzen Boden bedecken würde. Er wollte einfach nur, dass es aufhörte, sehnte eine Ohnmacht herbei oder besser noch, den Tod. Dann würde er nie wieder irgendetwas spüren, nie wieder Schmerzen.   Dann war der Schmerz plötzlich verschwunden. Alles, was blieb, war eine kratzende Kehle von den Schreien, die Harry zweifellos ausgestoßen haben musste. Langsam kam die Welt wieder in sein Bewusstsein zurück.   Harry war auf seinen Knien, wie Bellatrix es beabsichtigt hatte. Aber das verrückte Lachen, das er erwartet hatte, konnte er nicht hören. Zwei Paar starke Hände packten ihn rechts und links an seinen Armen und zogen ihn vorsichtig auf seine Füße. Als er den Kopf hob, sah er in paar hellgrauer Augen, die ihn besorgt ansahen, aber Harry konnte sich nicht auf sie konzentrieren. Der Mund vor ihm bewegte sich, die Worte kamen aber nicht in seinem Bewusstsein an. Sein Blick glitt an langen hellblonden Haaren vorbei und heftete sich auf die Gestalt dahinter.   Voldemort saß auf seinem Thron und sah tödlich wütend aus. ‚Habe ich doch mein Gehirn in seinem Thronsaal verteilt?‘ Noch leicht benommen versuchte Harry sich zu konzentrieren.   Dann konnte er es spüren. Die Magie in den Raum vibrierte und zitterte. Es war nicht so schlimm, wie in der Nacht in Hogsmeade, doch es half, dass Harrys Kopf augenblicklich wieder klar wurde. Er stellte sich aufrecht hin und drehte sich ein Stück in die Richtung, in die Voldemort mit wutverzerrten Gesicht starrte.   Harry wusste nicht ganz, was er von dem Bild halten sollte, was sich ihm bot. So sehr es ihn auch erschreckte, so sehr erfüllte es ihn auch mit Bewunderung und Ehrfurcht.   Bellatrix war nach hinten gefallen und lag nun mit dem Kopf nach unten auf den Stufen, die zu Voldemorts Thron führten. Sie versuchte, sich mit ihren Unterarmen abzustützen, aber es sah so aus, als würden sie jeden Moment nachgeben, so heftig zitterten sie. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihre Augäpfel schienen aus ihren Höhlen quellen zu wollen, sprachen von Angst und Entsetzen. Ihr Mund war von verschmierten blutroten Lippenstift entstellt, aufgerissen in einem stummen Schrei. Über ihr lauerte bedrohlich eine riesige Schlange. Nagini.   Naginis riesiger oberschenkelbreiter Körper war aufgebäumt und wurde von den tanzenden Schatten bedeckt, die über ihre Schuppen leckten und brachten Bewegung in die ansonsten reglose Gestalt. Ein Teil ihres über vier Meter langes Körpers lag auf Bellatrix‘ Beinen. Die Hexe hatte keine Chance, sollte Nagini sich entschieden, sie anzugreifen. Ihre Augen leuchteten als bestünden sie aus Feuer, die Kiefer waren auseinandergeklappt, die Giftzähne glänzten bedrohlich und warteten nur darauf, sich in weiches Fleisch zu versenken. Aber sie würde nichts ohne den Befehl ihres Meisters tun.   „Herr, bitte…“, stammelte Bellatrix.   „Schweig! Erspar mir dein Gejammer! Ich hatte einen eindeutigen Befehl gegeben und du hast ihn missachtet.“ Voldemort fletschte die Zähne. In dem schaurigen Licht, gepaart mit seinem lippenlosen Mund und der unnatürlich weißen Haut, die spindeldürren, langen Fingen, die spinnenartig seinen Zauberstab umklammert hielten, der viel zu magere Körper eingehüllt in schwarze Roben, sah er aus wie der Tod selbst.   „Aber Herr…“, versuchte Bellatrix es erneut.   „GENUG!“ Voldemort hatte sich von seinem Thron erhoben, sein Zauberstab zielte genau auf die am Boden liegende Hexe. „Crucio!“   Der Schrei war markerschütternd, aber Harry hatte kein Mitleid. Sie hatte es verdient. Er wünschte nur, dass er es hätte machen können. Bellatrix wandte und krümmte sich und schlug dabei ihren Kopf mehrfach gegen die Steinstufen. Nagini glitt von ihr herunter und schlängelte… auf ihn zu.   Harry war starr vor Schreck. Vergessen war Bellatrix, vergessen war Voldemort, vergessen waren die drei Zauberer, die eben noch um ihn gestanden hatten und jetzt eilig zur Seite sprangen. Alles, was Harry noch wahrnahm, waren die beiden riesigen gelben Augen mit ihren schlitzförmigen pechschwarzen Pupillen und der langen gegabelten Zunge, die immer wieder aus dem Maul hervorschnellte. Er erwartete beinahe, dass Nagini es aufriss und ihre langen Zähne in seinen Körper rammen würde. Aber nichts dergleichen geschah. Sie glitt an ihm vorbei, um ihn herum, wickelte sich ein paar Mal um seinen Leib. Kurz bevor sie ihren schweren Kopf auf Harrys Schulter ablegte, sah sie ihn von der Seite an und ließ ein weiteres Mal ihre Zunge hervorschnellen und streifte dabei seine Wange.   ~Mein Fressen.~ Es klang beinahe anklagend und genauso sah auch Naginis Blick aus, als sie von Harrys Schulter aus auf Bellatrix hinabstarrte.   Harry hatte seine Mühe unter dem Gewicht der Schlange aufrecht stehen zu bleiben. Er strauchelte und hatte Mühe zu atmen.   ~Nagini, ich befürchte, unser Mr. Potter steht heute nicht auf der Speisekarte.~ Voldemort hatte sich von der immer noch wimmernden Bellatrix abgewendet, ließ sie liegen als wäre sie Nichts.   Harry war sich nicht sicher, ob ihn diese Worte beruhigen oder doch eher beunruhigen sollten. Er japste angestrengt nach Luft, als Nagini noch mehr ihres Gewichtes auf ihn ablegte, um sich aufzubäumen. Sie zischte verärgert.   ~Sei nicht wütend, meine Liebe, vielleicht lasse ich dich später Bellatrix fressen.~ Nagini drehte ihren Kopf zu der am Boden liegenden Frau, drehte sich dann wieder zu Voldemort. Es sah aus, als würde sie ihren Kopf schütteln und ein angewidertes Zischen war zu hören.   Bildete Harry sich das ein oder konnte die wirklich die Launen der Schlange aus den Lauten heraushören? Gehörte das mit zu der Sprache? War das normal für einen Parselmund?   Voldemort grinste nur breit und zeigte dabei zu viele Zähne. Dafür schien aber seine Wut verflogen zu sein.   ~Ich bin jagen.~ Endlich glitt die Schlange von ihm hinunter. Harry hatte das Gefühl, dass sie extra langsam machte, um ihn zu ärgern. Erleichtert holte er Luft. Keiner sagte ein Wort, während die Schlange aus der Halle glitt. Nur Bellatrix‘ leises Wimmern war zu hören.   „Schaft sie mir aus dem Augen. Ich werde mich später um ihre Bestrafung kümmern.“ Voldemort schaute mit ausdruckslosem Blick auf sie hinab. Um ihren Kopf hatte sich eine kleine Lache mit dunkler Flüssigkeit gebildet. „Und Narzissa soll sich ihren Kopf anschauen.“   „Jawohl, mein Herr.“, antworteten alle drei Zauberer gleichzeitig. Die Brüder gingen zu Bellatrix und zogen sie mit einem Ruck auf die Füße. Sie waren viel grober zu ihr, als sie es mit Harry gewesen waren.   Ein kurzer Aufschrei entfuhr Bellatrix‘ Mund, als sie wieder auf den Boden zurücksackte. Sie hatte keine Kraft, um sich selbst zu halten und keiner schien gewillt, sie zu stützen.   Malfoy verdrehte genervt seine Augen. Dann zog er seinen Zauberstab. „Mobilcorpus!“, rief er und Bellatrix wurde von unsichtbaren Händen in die Höhe gezogen. Ihr Kopf war auf ihre Brust gefallen und wackelte merkwürdig hin und her, während sie versuchte, ihn anzuheben und erfolglos gegen den Zauber anzukämpfen, der eigentlich für leblose menschliche Körper gedacht war. Dabei gab sie immer wieder merkwürdige gurgelnde Laute von sich.   Malfoy ließ sie ihn drei Meter Abstand vor sich herlaufen, verneigte sich noch einmal tief vor seinem Meister, nickte Harry zu und verließ dann den Raum. Die Lestrange-Brüder taten es ihm gleich, aber Harry hielt sie auf, bevor sie durch die Seitentür hinter dem Thron Lucius folgen konnten.   „Ja?“ Gespannt schauten sie ihn an und warteten, was er von ihnen wollte.   „Ähm…“ ‚Wie immer sehr eloquent, Harry!‘, schallt er sich selbst. „Ich wollte mich für Ihre Hilfe eben bedanken.“ Er schaffte es, dass seine Stimme fest und selbstsicher klang, nicht so unsicher und verwirrt, wie er sich im Moment fühlte.   „Das war das Mindeste, Mr. Potter.“, antwortete der eine, während der andere ihn aufmunternd anlächelte und das Gesagt durch ein leichtes Nicken bestätigte. „Immerhin stehen wir in Ihrer Schuld.“ Mit diesen Worten drehten sich die beiden um und ließen einen sehr verwirrten Harry zurück.   In dem Moment, als sie durch die Tür gegangen waren, war diese verschwunden. Es blieb nichts zurück als nackter Stein. Keine Rille, keine Klinke, kein Schloss. Alles, was davon zeugte, dass da etwas gewesen sein musste, war die Blutspur, die Bellatrix hinterlassen hatte und genau an der Wand aufhörte. Sicher würden später ein paar Hauselfen kommen und diese entfernen. Oder Wurmschwanz bekam die zweifelhafte Ehre.   Hinter sich konnte Harry Voldemort leise lachen hören. Er drehte sich zu seinem Lord um, der belustigt auf ihn herabschaute. „Was meinten sie damit? Dass sie in meiner Schuld stehen würden, meine ich.“   „Ah, weißt du das nicht?“ Voldemort ging auf ihn zu, seine Augen funkelten. Harry konnte den Blick nicht deuten und versteifte sich, unsicher, was er zu erwarten hatte. „Immerhin warst du es gewesen, der mich gestoppt hat, als ich den Cruciatus bei unserem letzten Treffen gegen Rodolphus eingesetzt habe. Wenn du dich nicht eingemischt hättest, hätte er vermutlich seinen Verstand verloren.“   „Oh!“ Jetzt ergab das alles einen Sinn. Sie waren dankbar für Harrys Hilfe gewesen. „Du siehst nicht so aus, als ob es dich stören würde. Ich hätte eher damit gerechnet, dass du wütend deswegen bist.“   Wieder ein kleines Lachen. „Aber warum sollte ich wütend deswegen sein, Harry?“ ~Du willst doch eines Tages an meiner Seite stehen.~ Der plötzliche Wechsel zu Parsel hatte beinahe etwas Bedrohliches. ~Dann ist es doch nur angebracht, dass meine Todesser dich respektieren. Und fürchten.~ „Für beides hattest du einen guten Start. Die Jungtodesser fürchten dich schon für das, was du mit diesem Bletchley-Jungen getan hast. Und Lucius, Rodolphus und Rabastan respektieren dich, sind dir sogar dankbar für das, was du getan hast. Und nein, ich bin nicht verärgert deswegen. Rodolphus und sein Bruder sind wertvolle Anhänger. Ich hätte den Verlust einer der beiden sehr bedauert.“ ~Aber sei versichert, Harry, solltest du anfangen, meine Autorität zu untergraben, wirst du es bereuen. Ich muss nicht wissen, welche Slytherin dir etwas bedeutet, wenn ich nach und nach eine nach der anderen töte.~   Nun das war eindeutig eine Drohung gewesen. Harry schluckte den Kloß, der sich in seiner Kehle gebildet hatte, hinunter und nickte leicht zum Zeichen, dass er verstanden hatte.   „Gut.“ Voldemorts Lippen verzogen sich wieder zu diesem unheilvollen Lächeln. „Jetzt, da wir endlich nur noch zu zweit sind, kommen wir zum Grund deines Besuchs.“ Kapitel 25: Prophezeiungen -------------------------- Voldemort öffnete eine weitere verborgene Tür und Harry beeilte sich, hinterher zu kommen. Vor ihnen ersteckte sich ein langer nur spärlich beleuchteter Gang, der gerade breit genug war, dass sie nebeneinander hergehen konnten. Keiner sagte ein Wort, nur ihre Schritte hallten von den nackten Steinwänden wider.   Am Ende des Ganges war eine weitere Tür. Als Voldemort diese öffnete, musste Harry erst einmal seine Augen bedecken, so sehr blendete ihn das grelle Licht. Voldemort lachte leise.   Das Zimmer bildete einen perfekten Kreis und war ungefähr so groß, wie der Gemeinschaftsraum im Gryffindor-Turm. Er besaß eine durchgängige Empore, aber Harry konnte keine Treppen erkennen, die in den oberen Bereich führten. Der Raum selbst war mit verschieden merkwürdigen Instrumenten ausgestattet, die die verschiedensten Geräusche von sich gaben, aber so leise, dass sie zu seinem sanften unterschwelligen Murmeln verklangen. Einige dieser Geräte hatte Harry bereits in Dumbledores Büro gesehen, andere waren ihm auch schon in dem Büro des falsches Mad-Eye Moody aufgefallen. Aber die meisten kannte er nicht und von den wenigsten wusste er, welchen Zweck sie erfüllten.   Es gab vier riesige Schreibtische, alle überladen mit Pergamentrollen, Büchern, verschiedenen Federhaltern, Tintenfässern und schwarzen und grünen Kerzen. Insgesamt vier Türen, jeweils eine in eine Himmelsrichtung, führten aus dem Raum wieder hinaus. Die hohen Wände zwischen den Türen und die der Empore bestanden komplett aus Bücherregalen, die alle vollgestellt waren. Zu voll, um genau zu sein. Etliche Bücher schwebten vor den Regalen lang, unfähig noch einen freien Platz für sich zu finden. In der Mitte stand ein kleiner einfacher Holztisch mit vier Stühlen. Auf diesen steuerte Voldemort zu und bedeutete Harry, sich ihm gegenüber zu setzen.   Sobald sie saßen, tauchte mit einem fast lautlosem Plopp ein kleiner Hauself neben ihnen auf. Er sah noch sehr jung aus und der Putzlappen, den er sich umgebunden hatte, war nicht nur sauber, sondern sah aus wie neu.   „Was kann Simpy für Meister tun?“ Der riesen Augen des kleinen Elfs leuchteten aufgeregt und sahen mit großer Bewunderung zu Voldemort auf. Die Verbeugung war so tief, dass Harry sich nicht sicher war, ob der Kleine noch stand oder doch schon auf dem Boden lag.   „Bring uns bitte einen Tee. Am besten Earl Grey. Und etwas Gebäck.“ Harry konnte nicht sagen, was ihn gerade mehr schockierte. Dass Voldemort einen Hauselfen besaß, den er für seine Verhältnisse scheinbar gut behandelte, dass der böse Dunkle Lord gerade „bitte“ zu einem niederen Wesen – nicht Harrys Meinung – gesagt hatte oder dass er Gebäck wollte.   Harry konnte Voldemort nur erstaunt anstarren, während fünf Sekunden später eine dampfende Tasse vor ihm stand und eine große Schale mit verschiedene Keksen, außerdem ein Schälchen mit Zucker und ein Kännchen mit Sahne. Nach den Erinnerungen zu urteilen, die Dumbledore Harry gezeigt hatte, waren Hauselfen für Voldemort nichts weiter als Objekte, Mittel zum Zweck. Das passte nicht zu dem, was er gerade mit eigenen Augen sah. Aber vielleicht hatte Voldemort heute auch nur einen guten Tag? Beziehungsweise eine gute Nacht.   Das erinnerte Harry, dass er immer noch nicht wusste, warum er eigentlich hier war. „So, warum wolltest du mich nun sehen?“   Voldemort schaute ihn einen Moment lang nur stumm an. Harry erwartete, dass er gleich das unangenehme Gefühl bekommen würde, dass jemand versucht, in seinen Geist, einzudringen. Aber das blieb aus. Stattdessen lehnte sich Voldemort entspannt mit seiner Tasse zurück, sein Mund zu einem spöttischen Grinsen verzogen.   „Wie du sicher weißt, hatte ich vor einer Woche unerwarteten Besuch bekommen. Also unerwartet war er eigentlich nicht, da der junge Mr. Bletchley um ein Treffen gebeten hatte, aber es kam nichtsdestotrotz überraschend. Kannst du dir vielleicht vorstellen, was er von mir wollte?“   Harry schüttelte seinen Kopf. Darüber hatten sie sich zu dritt das Gehirn zermartert und waren dennoch zu keinem logischen Schluss gekommen. „Nein, ich wüsste keinen Grund. Ich weiß nur, dass er, seitdem er bei dir war, bei keiner Trainingsstunde mehr gewesen ist.“   „Ah ja, das Training. Wie geht es denn voran?“ Voldemorts Gesichtsausdruck hatte sich die ganze Zeit über nicht verändert.   Harry fühlte sich leicht verunsichert. Warum der plötzliche Themenwechsel? „Das Training läuft soweit ganz gut. Ich habe mit Malfoy zusammen eine Art Lehrplan erstellt. Wir sind zuerst die Schildzauber durchgegangen und sind jetzt bei verschiedenen anderen Verteidigungszauber, wie Entwaffnungszauber. Als nächsten kommen dann Angriffszauber dran.“   „Aha! Und das sind die Zauber, die du letztes Jahr mit deinen Freunden geübt hattest?“ Voldemort nahm einen Schluck von seinem Tee, ließ Harry dabei die ganze Zeit über nicht aus den Augen.   Was sollte das? Warum kam er sich gerade vor, als würde er verhört? Langsam wurde Harry ziemlich gereizt. Und leider konnte er das nicht aus seiner Stimme heraushalten. „Ja. Alles, was zur Verteidigung nützlich ist. Alles, was ich deinetwegen in den letzten Jahren gezwungen war, zu lernen.“   Voldemort lachte wieder leise. Harry fand das weniger amüsant. Was sollte das Ganze?   „Mmhhh… Und hast du deinen ehemaligen … Kameraden … erzählt, dass du meine Jungtodesser unterrichtest?“   „Was?“ Harry starrte ungläubig auf den Zauberer vor sich. „Warum sollte ich sowas tun?“   Voldemort setzte sich wieder aufrecht hin und stellte seine Tasse auf den Tisch. Trotz seiner sitzenden Position wirkte er auf einmal viel größer und… bedrohlicher. Auch das merkwürdige Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. Seine Züge waren hart, die roten Schlangenaugen schimmerten wie frischvergossenes Blut.   ~Sag du es mir, Harry.~ Der Wechsel zu Parsel machte das Bild komplett. Harry fühlte sich gerade wie das kleine Kätzchen aus Malfoys verschlüsselter Geschichte, das jetzt vor der großen bösen Schlange saß. ~Wieso kommt Mr. Bletchley zu mir und erzählt mir, dass du, mein zukünftiger Partner, alles deinen kleinen Gryffindorfreunden erzählst? Nicht nur, welche Zauber und Flüche du den Jungtodessern beibringst, sondern auch noch, wer welche Schwächen hat? Das wäre doch ein guter Schachzug. Bringe deinen Gegner selbst alles bei und in der Schlacht bist du es, der die Schwachstellen kennt. Sie wären so einfacher zu besiegen. Nicht wahr?~   Harry starrte einen Augenblick überrascht in Voldemorts Augen und wusste nicht, was er sagen sollte. Das hatte Bletchley also von ihrem Lord gewollt. Er hatte nach einer Möglichkeit gesucht, Harry zu verleumden, Voldemorts Vertrauen in ihn zu schmälern. Nun, dafür musste aber erst einmal Vertrauen da sein, oder nicht?   Harry musste plötzlich anfangen, zu lachen. Die Situation war zu surreal. Erst waren es nur ein leichtes Glucksen, aber bereits nach ein paar Sekunden musste Harry so heftig lachen, dass er seine Brille abnehmen musste, um ein Tränen aus seinen Augenwinkeln zu wischen.   Voldemort saß ruhig daneben und warteten, bis Harry fertig war. Harry war sich nicht ganz sicher, aber es sah so aus, als ob der eine Mundwinkel ein Stück nach oben gezogen war.   ~Wie weit würdest du gehen, um zu beschützen, den du liebst?~, fragte Harry nachdem er sich wieder beruhigt hatte. Er fühlte sich jetzt viel entspannter. Diese Anschuldigungen waren haltlos und er konnte das jederzeit beweisen.   ~Da ich noch nie so etwas wie Liebe empfunden habe, kann ich dir diese Frage nicht beantworten.~ Voldemort hatte sich wieder entspannt zurückgelehnt, ein Plätzchen in seiner Hand haltend.   Harry musste sich sehr zusammennehmen und sein Blick wieder auf Voldemorts Augen richten, sonst hätte er gleich wieder angefangen zu lachen.   „Nun, du weißt, was ich bereit war zu tun. Was ich bereit bin zu tun. Du hast es in meinem Geist gesehen. Ich würde ihr Leben nicht riskieren für so eine plumpe Finte. Immerhin müsste ich ihre Schwächen genauso preisgeben. Außerdem wäre es nicht sehr effizient. Die anderen würden die Schwächen der Babyschlangen kennen, aber da gibt es immer noch deine Todesser, über die sie nichts wüssten, und die sind in der Mehrzahl. Das wäre ein sehr schlechter Deal. Ich bin zwar ein impulsiver Gryffindor, aber sowas Dummes würde selbst ich nicht tun.“ Harry holte tief Luft und sah Voldemort fest in die Augen. „Und du glaubst es auch nicht. Sonst würde ich nicht hier sitzen.“   Gespannt wartete Harry auf Voldemorts Reaktion. Sein Lord ließ sich allerdings Zeit mit einer Antwort. Er aß seinen Keks und trank anschließend noch einen Schluck Tee, bevor er sich wieder Harry zuwandte. Sein Mund verzog sich wieder zu diesem viel breiten Grinsen mit den viel zu vielen Zähnen.   „In der Tat.“   Harry klappte der Unterkiefer herunter. „In der Tat? Was sollte das dann alles?“   „Ich wollte nur sehen, wie du auf die Vorwürfe reagierst. Vielleicht steckt ja doch ein Fünkchen Wahrheit in ihnen. Man kann nie wissen.“ Voldemort blickte süffisant grinsend auf Harry herab.   Harry konnte es nicht fassen. Dieses ganze Theater nur wegen einer dummen Reaktion auf noch dümmerer Vorwürfe? Voldemort hätte ihn auch einfach fragen können oder in seinen Kopf sehen. Wäre nicht das erste Mal. Stattdessen führte er diese Schmierenkomödie auf.   „Ich hoffe, dass du dich gut amüsiert hast.“, erwiderte Harry bissig. Er mochte es nicht, wenn man so mit ihm spielte. „Gab es noch weitere Vorwürfe?“   „Nein. Zumindest keine, die Mr. Bletchley ausgesprochen hätte. Er hatte noch ein paar andere Ideen, dich zu diffamieren, aber die hatte er alle verworfen. Sie waren noch viel lächerlicher als diese Behauptung.“   Harry nickte nur. Natürlich hatte Voldemort in dem Kopf des Slytherin herumgewühlt und der Trottel hatte es noch mal bemerkt, nicht mal vermutet. Wie kann man nur so dumm sein? Weiß er nicht, wer sein Meister ist? „Was hast du jetzt mit ihm vor?“   „Er muss natürlich weg. Sowas kann ich in meinen Reihen nicht gebrauchen.“, antwortete Voldemort kalt.   Harry sah alarmiert auf. „Ich hoffe, du erwartest nicht von mir, dass ich ihn töte. Eine Leiche in Hogwarts kann zu unangenehmen Fragen führen. Meine Tarnung wäre in Gefahr.“ Er war sich nicht sicher, wie er einen Mord vertuschen sollte. Sicher gab es viele Wege, es als Unfall zu tarnen, aber unter Dumbledores Nase war das viel zu riskant. Eine kleine Stimme in seinem Kopf fragte ihn, ob es ihn nicht mehr stören sollte, überhaupt einen Mord zu begehen, aber Harry schob sie einfach zur Seite.   Voldemort sah Harry belustigt an. „Ich bin mir sicher, dass du eine Möglichkeit finden würdest, wenn du es wirklich müsstest. Aber nein. Er ist der Sohn zweier treuer Todesser, die bedauerlicherweise das Ministerium schon im Auge hat. Der Tod ihres Sohnes würde zu viel Aufsehen erregen, egal ob innerhalb oder außerhalb von Hogwarts. Aber ich will, dass er verschwindet und nicht noch durch seine Dummheit und Selbstüberschätzung meine Pläne ruiniert.“   „Was willst du also tun?“, fragte Harry neugierig.   „Ich habe bereits mit seinen Eltern über die Angelegenheit gesprochen. Sie sind, wie gesagt, treue Anhänger und genauso geschockt über den Verrat ihres Sohnes wie ich.“ Voldemort schüttelte in einer gespielt bedauernden Geste seinen Kopf. „Natürlich verstehen sie, dass ich so ein Verhalten nicht in meinen Reihen dulden kann. Sie waren sehr entgegenkommend und versprachen, sich der Sache anzunehmen. Sie erzählten mir, dass ein solch ehrloses Verhalten keinen Platz in der Familie Bletchley hätte und das die einzige Möglichkeit wäre, zu verhindern, dass so ein verdorbener Zweig im Stammbaum treibt, ist, ihn abzuschneiden. Mit anderen Worten: er wird enterbt und von der Schule genommen. Genaugenommen wird das alles morgen früh stattfinden. Er wird noch beim Frühstück dabei sein. Ich habe es so einrichten lassen, damit du dich noch von ihm… verabschieden kannst. Danach ist er weg.“   Harry lachte leise. Wer weiß, womit Voldemort den Eltern gedroht hatte, damit sie ihren eigenen Sohn verstießen. „Dann danke ich vielmals, dass ich noch die Gelegenheit bekomme, mich von meinem Mitstreiter zu verabschieden. Ich verspreche, dass ich sie gut nutzen werde.“ Harry konnte sich ein hinterhältiges Grinsen nicht verkneifen. Er hoffte, dass er Draco noch vor dem Frühstück kontaktieren konnte. Er würde sich bestimmt auch von Bletchley verabschieden wollen. „Ich vermute, dass sie ihm noch seine Erinnerungen an dich und die Todesser löschen werden, bevor sie ihn rauswerfen?“   „Ja, natürlich.“ Voldemort zuckte mit keiner Miene.   Harry nahm sich einen Keks und knabberte gedankenverloren daran herum. Er spürte die scharlachroten Augen auf sich, die ihn beobachteten, aber er ignorierte sie. Auch wenn das alles nur eine schlechte Vorstellung gewesen war, war dennoch eine kleine Warnung darin versteckt. Voldemort vertraute ihm nicht. Natürlich nicht. Harry hatte sich bisher nicht beweisen können, aber es hing bedrohlich über ihn wie Basiliskenzahn, dessen tödliches Gift jede Sekunde auf ihn hinuntertropften konnte. Es musste eine Lösung her.   „Worüber denkst du nach?“ Harry hörte ehrliche Neugierde in der Voldemorts Stimme, aber auch den drohenden Unterton, der eine Antwort verlangte.   Harry atmete tief durch. Fragen kostete ja nichts. Obwohl… Bei Voldemort konnte eine Frage mit einem Cruciatus beantwortet werden. „Ich frage mich, was du von mir erwartest. Was muss ich tun, damit du mir vertraust?“   „Mmmhhh…“ Voldemort dachte kurz über seine Antwort nach. „Vielleicht werde ich das nie. Es steht immer noch eine Prophezeiung zwischen uns. Die, in der steht, dass du mich besiegen wirst.“   Harry schmunzelte. „Ist das so? Ich weiß, welchen Teil der Prophezeiung du kennst. Nur weil dieser Teil sagt, dass ich die Macht dazu hätte, dich zu besiegen, heißt das noch lange nicht, dass ich das auch tun werde. Das will ich auch überhaupt nicht. Das Einzige, was mich interessiert, ist…“   „Ja, ja. Die Sicherheit deiner Liebsten.“, unterbrach ihn Voldemort genervt und wedelte dabei abwehrend mit seiner Hand. „Ich verstehe das zwar nicht, aber ich akzeptiere es.“ Ein bösartiges Grinsen zierte plötzlich sein Gesicht. „Ich wäre viel besser in der Lage, ihre Sicherheit zu gewährleisten, wenn ich wüsste, wer sie ist.“   „Ich bitte dich! Als ob ich darauf hereinfallen würde.“ Harry seufzte. „Nichtsdestotrotz! Ich hätte deine Reaktion mich betreffend – du weißt schon, mit dem Mich-umbringen-als-ich-ein-hilfloses-kleines-Baby-war – vollkommen verstanden, wenn du auch den Rest der Prophezeiung gekannt hättest.“   Voldemorts Augen verengten sich zu Schlitzen. „Wie meinst du das? Die Prophezeiung ist zerstört. Du warst es selbst, wenn ich dich daran erinnern darf. Und ich bin danach in deinen Kopf eingedrungen. Ich weiß also ganz genau, dass du sie nicht kennst. Also warum tust du so, als würdest du ganz genau über den Inhalt Bescheid wissen?“ Voldemorts Gute Laune – wenn man das so bezeichnen konnte – war schlagartig verschwunden. Harry ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen und nahm sich noch einen weiteren Keks.   „Weil ich es tue. Wie du weißt, war es Dumbledore gewesen, dem die Prophezeiung gegenüber ausgesprochen wurde.“   Voldemort nickte ungeduldig und bedeutete Harry weiterzureden.   „Nach diesem Vorfall in der Mysteriumsabteilung hat er mich seine Erinnerungen an die Prophezeiung in seinem Denkarium ansehen lassen.“ Mit Genugtuung beobachtete Harry, wie sich Voldemorts Augen in ungläubigen Erstaunen weiteten. Jetzt hatte er doch tatsächlich einen kleinen Trumpf in der Hand. „Willst du es wissen?“ Entspannt lehnte sich Harry zurück und genoss mit kindlichen Vergnügen die Reaktion seines Lords.   ~Ja.~, kam die gehauchte Antwort, konnte aber nicht über den nun gierigen Blick hinwegtäuschen.   „Kann ich mich darauf verlassen, dass ich es überleben werde, egal, was die Prophezeiung sagt?“ Es war ein Risiko. Aber es könnte auch ein erster Schritt sein, Voldemorts Vertrauen zu gewinnen.   „Keine Sorge, Harry! Unsere Vereinbarung gilt nach wie vor. Du bist in der Tat lebend äußerst nützlich.“   Harry verdrehte genervt die Augen, verkniff sich aber jeglichen Kommentar. „Gut.“ Harry holte tief Luft, bevor er die Worte wiederholte, die sich, seit er sie zum erstem Mal gehört hatte, in sein Gedächtnis eingebrannt hatten und die, seit er denken konnte, sein Leben bestimmten.   Der Eine mit der Macht, den Dunklen Lord zu besiegen, naht heran … Jenen geboren, die ihm drei Mal die Stirn geboten haben, geboren, wenn der siebte Monat stirbt … Und der Dunkle Lord wird Ihn als sich Ebenbürtigen kennzeichnen, aber Er wird eine Macht besitzen, die der Dunkle Lord nicht kennt … Und der Eine muss von der Hand des Anderen sterben, denn keiner kann leben, während der Andere überlebt … Der Eine mit der Macht, den Dunklen Lord zu besiegen, wird geboren werden, wenn der siebte Monat stirbt …   Voldemort starrte Harry an. Er sagte kein Wort und Harry versuchte krampfhaft rauszufinden, was sein ehemaliger Todfeind dachte.   „Ich fühle mich gerade ziemlich unwohl und wäre dankbar, wenn du etwas sagen würdest, mein Lord.“ Harry erwähnte und betonte extra den Titel, nur um Voldemort daran zu erinnern, dass sie jetzt Verbündete waren und er nichts tun sollte, was er später (vielleicht) bereuen könnte.   „Interessant. Ich kannte bisher nur den ersten Teil. Ende Juli wird ein Kind geboren werden, was mich besiegen könnte. Seine Eltern, meine Feinde.“ Gedankenverloren trank Voldemort noch einen Schluck Tee, der in der Zwischenzeit kalt geworden war und verzog angewidert das Gesicht.   Harry sagte nichts.   Voldemort stellte seine Tasse ab und sah Harry direkt an. Als er weiter sprach, wirkte seine Stimme wieder fester, mehr im Hier und Jetzt. „Es gab damals zwei Babys, auf die diese Beschreibung zutraf. Das Kind der Longbottoms und das Kind der Potters – du, Harry.“   „Du hattest dich damals für mich entschieden.“, warf Harry ein. „Dumbledore meinte, du hättest dich in mir gesehen, dass wir uns ähnlich wären.“   „Ja, das ich richtig.“, gab Voldemort zu. „Du warst ein Halbblüter wie ich. Nun, nicht ganz wie ich, nicht wahr? Dein Vater war ein mächtiger Zauberer und entstammte einer angesehen Reinblüterfamilie und deine Mutter war, wenn auch ein Schlammblut, zumindest eine Hexe.“   Harry musste hart schlucken, aber er schaffte es, seinen Ärger zu unterdrücken.   „Meine Mutter dagegen war fast ein Squib.“ Voldemort sprach das Wort mit so viel Verachtung aus, als wäre das sogar noch schlimmer als ein Muggel oder muggelgeboren zu sein. „Was machte es da schon aus, wenn man ein Nachfahre des großen Salazar Slytherin war, wenn man keine Macht besaß? Die Gaunts waren heruntergekommen, nicht besser als Landstreicher und nicht würdig ihres Erbes. Und mein Vater war ein elendiger, ehrloser Muggel, der sich für was Besseres hielt.“   Harry zuckte erschrocken zusammen, als plötzlich beide Teetassen auf einmal zersprangen. Es dauerte aber nicht lange und der kleine Hauself – Simpy, wenn sich Harry richtig erinnerte – stand neben den Tisch. Er räumte schnell die Scherben zusammen, wischte den verschütteten Tee auf und verschwand wieder. Kurz danach standen zwei neue Tassen auf dem Tisch mit frischem heißen Tee.   Voldemort hatte sich in der Zwischenzeit wieder beruhigt. Er umschloss seine heiße Teetasse mit seinen spinnenbeinendürren Fingern. „Aber ja, ich hielt dich für den Einen, der mich besiegen kann. Deswegen wollte ich dich töten, bevor du mich besiegen kannst.“   „Und hast mich dadurch als deinen Ebenbürtigen gekennzeichnet.“, sagte Harry während er auf seine Narbe zeigte. „Hättest du es auch getan, wenn du den Rest der Prophezeiung gekannt hättest?“   „Wahrscheinlicher wäre, dass ich versucht hätte, dich und Longbottom noch im Mutterleib zu töten.“ Ja, das wäre mit Sicherheit effektiv gewesen.   „Hätte vielleicht von Anfang an dein Plan sein sollen.“ Harry grinste frech und Voldemort lachte leise.   „In der Tat. Ein Fehler, den ich nicht wiederholen werde.“   „Lass uns hoffen, dass keine weiteren Prophezeiungen gemacht werden. Oder ignoriere sie einfach.“ Harry stutzte. Was wäre passiert, wenn Voldemort sie wirklich nicht beachtet hätte? „Wenn… Wenn du die Prophezeiung ignoriert hättest oder nichts von ihr gewusst hättest, hätte sie dann überhaupt eintreten können?“   „Wahrscheinlich nicht.“ Voldemort zuckte mit den Schultern. „Ich hätte niemals versucht, dich zu töten. Ich hätte dich niemals gekennzeichnet. Nicht jede Prophezeiung muss sich erfüllen. Du hast die vielen Regale in der Mysteriumsabteilung gesehen. Glaubst du wirklich, alle diese Prophezeiungen sind in Erfüllung gegangen?“   „Warum hast du es dann überhaupt getan? Wenn sich eine Prophezeiung nicht erfüllen muss, wieso dann auf sie hören?“ Harry fühlte sich auf einmal richtig leer. Wenn Voldemort diesen Mist nur ignoriert hätte, wäre all das nicht passiert. Dann hätten seine Eltern noch leben können, Sirius, Cedric.   „Tsk!“ Voldemort schnalzte ungeduldig mit seiner gespaltenen Zunge. „Man kann vorher unmöglich sagen, was das Eintreten einer Prophezeiung auslöst oder was sie verhindert. Ja, wenn ich sie ignoriert hätte, wäre nichts von dem passiert. Andersherum, wenn ich sie ignoriert hätte, hätte genau das zum Eintreten der Prophezeiung führen können, weil ich eben nichts dagegen unternommen hätte. Das Risiko war einfach zu hoch, um es zu ignorieren. Oder würdest du einfach tatenlos bleiben, wenn dir jemand deinen Untergang prophezeit?“   Harry wollte etwas erwidern, wurde aber von Voldemort unterbrochen.   „Vergiss das. Macht interessiert dich nicht. Aber was würdest du tun, wenn eine Prophezeiung den Untergang deiner Liebsten vorhersagt? Würdest du da ruhig bleiben, abwarten und nichts unternehmen?“   Darauf wusste Harry nichts zu sagen. Voldemort hatte recht. Harry würde nicht tatenlos bleiben. Er würde alles in seiner Macht stehende tun, um das Eintreten einer solchen Prophezeiung zu verhindern.   Harry seufzte. „Wir sind uns wohl doch sehr ähnlich. Wir haben zwar unterschiedliche Ziele, würden aber beide alles tun, um diese zu erreichen.“ Es gab noch viele weitere Gemeinsamkeiten, aber diese hatte er mehr mit Tom Riddle als mit Voldemort. Ihre Kindheit zum Beispiel, auch wenn Voldemort für Harrys verantwortlich war. Aber davon wusste Voldemort nichts. Jetzt waren auch nicht die Zeit und der Ort für ein solches Gespräch.   „Ja, das ist wohl so.“, stimmte Voldemort ihm zu. „Bis auf die eine Sache – die Macht – die ich laut der Prophezeiung nicht kenne. Was soll das sein?“   „Laut Dumbledore Liebe.“ Harry verdrehte dabei die Augen, um zu zeigen, wie viel er davon hielt. Er hatte sich das bei ihren Denkariumssitzungen zu oft anhören müssen, eigentlich schon seit seinem ersten Schuljahr.   Voldemort lachte. „Ich hatte mehr Glauben von dir erwartet. Immerhin soll laut Dumbledore Liebe die stärkste Macht sein. Ja, diesen Unsinn musste ich mir in meiner Schulzeit auch von ihm anhören. Wenn du mich fragst, ist es nichts weiter als ein nutzloses Gefühl, dass dich nur behindert. Sie ist der Grund, warum unsere Mütter tot sind.“   Harry schüttelte seinen Kopf. „Ich denke nicht, dass Liebe ein nutzloses Gefühl ist. Ja, wegen Liebe sind unsere Mütter tot. Aber wenn deine Mutter deinen Vater nicht geliebt hätte, wärst du gar nicht auf der Welt.“   Voldemorts Ausdruck verfinsterte sich schlagartig. Harry wunderte sich, warum er noch keinen Cruciatus abbekommen hatte. Die Riddles und die Gaunts sollte er lieber nicht erwähnen. Schnell redete er weiter.   „Meine Mutter hat mir durch ihre Liebe das Leben gerettet. Dadurch hatte ich den Blutschutz. Den konntest du dann zwar aufheben, aber ich war 13 Jahre lang sicher. Wegen Liebe bin ich dir immer wieder entkommen. Wegen Liebe sitze ich jetzt hier. Liebe ist kein nutzloses Gefühl. Aber ich denke nicht, dass sie dich besiegen könnte. Merlin! Ich kriege immer noch leichte Panikzustände, wenn ich an deinen Magieausbruch in Hogsmeade denke. Deine Macht ist gewaltig. Ich wüsste nicht, was Liebe dagegen ausrichten sollte. Sie hat mir bisher immer geholfen, um mich zu verteidigen, aber zum Angreifen? So oft, wie wir schon miteinander gekämpft haben und du lebst immer noch. Wenn es sich bei dieser unbekannten Macht wirklich um Liebe handelt, dann taugt die Prophezeiung nichts.“   Harry beendete seinen Monolog und nahm einen Schluck von seinem Tee. Er mochte den leicht bitteren Geschmack von Earl Grey; am liebsten mit einem Stück Siruptorte. Wenn Voldemort ihn das nächste Mal mitten in der Nacht hierher zitierte, könnte er ihm ruhig ein Stück anbieten.   „Nun, da wir uns jetzt auf der gleichen Seite befinden, müssten wir uns keine Gedanken darüber machen, …“ Voldemort wartete, bis Harry wieder von seiner Tasse aufschaute und seinem Lord seine volle Aufmerksamkeit schenkte. „…  wenn nicht der letzte Teil wäre, in dem steht, dass einer von uns den anderen töten muss.“   „Aber wenn wir uns jetzt entscheiden würden, es einfach zu ignorieren…?“ Harry wusste in dem Moment, als er es aussprach, dass das nicht der Fall sein würde.   ~Nein, Harry! Wie ich dir bereits vorhin gesagt habe, bin ich nicht bereit so ein Risiko einzugehen.~, zischte Voldemort.   „Auch auf die Gefahr hin, dass du dann für weitere zehn Jahre mehr tot als lebendig irgendwo auf dem Planeten umherspuckst?“ Harry hoffte, dass Voldemort sich an sein Wort halten würde und er es nicht bereuen würde, dem Zauberer die Prophezeiung genannt zu haben.   „Ah, machst du dir etwa Sorgen um mich, mein lieber Harry? Ich fühle mich geschmeichelt.“ Ein süffisantes Grinsen erschien in Voldemorts Gesicht und Harry lief ein leichter Schauer über den Rücken, von dem er nicht sagen konnte, ob er angenehm oder unangenehm war.   „Es geht dabei immerhin auch um mein Leben.“, antworte Harry leise.   „Keine Sorge, Harry. Wie gesagt, du bist lebend nützlicher. Es muss eine andere Lösung geben.“   Harry atmete erleichtert auf. Zumindest suchte Voldemort nach einem Weg, damit er Harry nicht töten musste. Das war ein Fortschritt in ihrer Beziehung. Oder? „Aber wie soll die aussehen? Die Prophezeiung sagt eindeutig, dass der Eine den Anderen töten muss.“   Voldemort dachte kurz nach, bevor ein teuflisches Grinsen sein schlangengleiches Gesicht zierte. „Richtig. Der Eine den Anderen. Nicht der Eine den Dunklen Lord oder der Dunkle Lord den Einen.“   Harry schaute ihn irritiert an. Er konnte nicht nachvollziehen, was Voldemort meinte.   „Die Prophezeiung sagt nicht, dass der Andere der Dunkle Lord ist.“, versuchte er zu verdeutlichen.   „Und wer soll der Andere sein?“, fragte Harry immer noch verwirrt. Die Prophezeiung handelte doch nur von ihm und Voldemort. Dann machte es Klick. „Longbottom.“   „Genau. Es würde passen. Immerhin war er der Andere, der der Eine hätte sein können.“, stimmte Voldemort ihm mit einem selbstzufriedenen Grinsen zu.   Harry schwirrte der Kopf. Es war nicht so einfach, Voldemorts Gedankengängen zu folgen. „Dann willst du also Longbottom töten?“   „Ich? Nein. Ich habe meine Rolle in der Prophezeiung. Ich bin der Dunkle Lord. Longbottom ist der Andere und du bist der Eine, der den Anderen töten muss. Denn keiner kann leben, während der Andere überlebt.“ Ja, Voldemort sah sehr zufrieden mit sich selbst aus, wie die Katze bzw. Schlange, die gerade den Kanarienvogel verspeist hat.   Harry schaute gedankenverloren in seine nun leere Tasse. Dann nickte er und schaute seinem Lord fest in die Augen. „In Ordnung.“ Wenn er Neville Longbottom umbringen musste, damit Voldemort ihm vertraute, dann würde er das tun.    „Das scheint dich gar nicht zu stören.“   „Warum sollte es? Als ich mich dir angeschlossen habe, wusste ich, dass ich irgendwann jemanden töten muss und es überrascht mich nicht, dass es jemand von meinen ehemaligen Freunden sein wird. Und wenn es dafür sorgt, dass sich diese dämliche Prophezeiung erfüllt und du mich nicht mehr versuchst, ihretwegen umzubringen, umso besser.“   „Keine Gewissensbisse? Keine Hemmungen? Nicht mal ein schlechtes Gewissen?“, fragte Voldemort ernsthaft interessiert.   „Nein. Das kann ich mir alles nicht leisten. Wenn es notwendig ist, wird es erledigt. Allerdings werde ich etwas Zeit brauchen.“ Vielleicht konnte er es bis in die Sommerferien hinauszögern, damit er es nicht in der Schule machen musste.   „Du bekommst Zeit bis zum Ende des Schuljahres. Damit dürfte es keine Probleme mit deinen anderen Verpflichtungen geben und du hast genügend Zeit, dir zu überlegen, wie es nicht auf dich oder meine Jungtodesser zurückfallen kann. Und Harry?“   Harry wartete gespannt, was Voldemort noch wollte. Das Grinsen konnte nichts Gutes bedeuten.   ~Ich erwarte, dass du den Todesfluch benutzt.~   Also keine abwechslungsreichen Sommeraktivitäten. Vielleicht auch besser so. Harry hätte bis zu seinem Geburtstag warten müssen und bei seinem Glück würde der Ordnen des Phönix Punkt null Uhr bei ihm vor der Tür sehen und ihn abholen. In der Schule war es zwar sehr riskant, aber Voldemort hatte recht. Er würde eine Möglichkeit finden, damit niemand ihn oder einen der Slytherins verdächtigte. Vielleicht würde er den Verdacht auch einfach auf Bletchley lenken. Er wäre dann zwar nicht mehr da, aber das hieß nicht, dass er nicht noch als Sündenbock herhalten konnte. Ja! So würde er es machen.   Dass Voldemort von ihm verlangte, dass er einen Unverzeihlichen Fluch benutzte, überraschte ihn auch nicht weiter und es störte ihn nicht. Es war nur eine weitere Möglichkeit, seine Loyalität zu beweisen.   ~In Ordnung. Bis zum Ende des Schuljahres spreche ich den Todesfluch.~   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Es gab ein kleines Wäldchen unweit einer kleinen zerfallenen Hütte, der nachgesagt wurde, dass es darin spukt. Die Leute berichteten immer wieder von unheimlichen Lichtern, die aber keine Quelle zu haben schienen und einer der Bewohner des nahegelegenen Dorfes behauptete sogar gesehen zu haben, wie ein merkwürdiger gekleideter Mann hineingegangen war, aber als er nachsehen wollte, war er verschwunden. Die Menschen hielten sich von der alten Hütte und dem dunklen Wäldchen dahinter fern, vor allem nachts. So sah niemand die fünf Raben, die sich krächzend aus dem Dunkel erhoben, um zu einer anderen weit entfernten Ruine zu fliegen, um sich dort mit 20 anderen ihrer Art zu vereinen. Kapitel 26: Nachtmahr --------------------- Harry war erst in den frühen Morgenstunden von seinem Treffen mit Voldemort zurückgekehrt und hatte keinen Schlaf mehr bekommen.   Malfoy hatte Harry, wie er es versprochen hatte, noch eine einfache Entspannungstechnik gezeigt, die allerdings Wunder gewirkt hatte. Nachdem der Todesser sie zurück nach Hogsmeade appariert hatte, ging es Harry richtig gut. Ihm war zwar noch ein wenig schwindelig, aber alle anderen Symptome, die er sonst nach dieser Art der Fortbewegung hatte, waren verschwunden.   Die Technik sollte ebenfalls beim Reisen durch das Flohnetzwerk helfen und konnte aber auch bei Portschlüsseln angewendet werden. In Zaubererfamilien lernten sie die Kinder schon sehr früh, weil lange Besenflüge einfach nicht in Frage kamen. Apparieren oder Reisen durch Kamine oder per Portschlüssel waren die einzigen Optionen, wenn man schnell von einem Ort zu einem anderen gelangen wollte.   Die Weasleys hatten nicht daran gedacht, Harry diese Methode zu zeigen, bevor sie ihn das erste Mal durch einen Kamin geschickt hatten. Auch danach nicht, obwohl er offensichtlich Probleme hatte und nicht nur, weil er an einem völlig falschen Ort das Flohnetzwerk wieder verlassen hatte. Aber Harry macht ihnen daraus keinen Vorwurf. Ihre Kinder hatten seit Jahren keine Probleme beim Reisen gehabt und sicher kam es ihnen nicht in den Sinn, dass Harry diese Technik nicht kannte, war er doch noch ein Jahr älter als ihr jüngstes Kind.   Dennoch hinterließ es einen fahlen Nachgeschmack auf seiner Zunge. Es war ein weiteres Zeichen für Harry, dass er sich richtig entschieden hatte. Nicht die Leute, die ihm am nächsten standen, sondern die, die eigentlich seine Feinde sein sollten, erkannten sein Problem und halfen ihm sofort. Malfoy hatte ihm nicht nur diese Technik gezeigt, sondern ihm beim Verabschieden sogar noch einen Stärkungstrank in die Hand gedrückt, den Harry dankbar entgegengenommen hatte. Er hatte heute eine ganz neue Seite an Malfoy kennengelernt und festgestellt, dass er ihn sogar mochte, wenn er Harry nicht von oben herab behandelte.   Harry musste über seine Gedanken lächeln, als er direkt nach seiner Ankunft im Eulenturm in seinem Tarnumhang verhüllt, die Treppen zu den Kerkern hinuntereilte. Er war eh schon zu spät, um seinen Hauskameraden vorzumachen, dass er den Gryffindor-Turm nicht verlassen hatte und so konnte er auch noch versuchen, Draco vor dem Frühstück abzufangen, um ihm von seinem Treffen zu berichten. Vielleicht hatte ja der Slytherin eine gute Idee, wie sie sich von Bletchley verabschieden konnten.   Seine Hoffnungen wurden nicht enttäuscht. Harry fand Draco lässig an einer Wand gelehnt, fern vom Slytherin-Gemeinschaftsraum. Keine Menschenseele war in der Nähe. Direkt neben Draco befand sich eine Tür. Harry wusste nicht, was sich dahinter befand, aber der Raum war leer, also schnappte er sich den Slytherin, der überrascht aufquiekte und zog ihn in das Zimmer.   „Nimm deinen Tarnumhang ab, Potter.“, rief Draco gereizt und ein bisschen zu laut, um seine Verlegenheit über den sehr unmännlichen Laut zu überspielen.   Harry lachte leise und kam der Aufforderung nach. „Tu nicht so. Du sahst aus als hättest du auf mich gewartet. Oder habe ich gerade ein heimliches Stelldichein vereitelt?“   Draco verleierte genervt die Augen und ging auf eine der Bänke zu. Nach einem schnellen Reinigungszauber setzte er sich und bedeutete Harry, neben ihm Platz zu nehmen.   Harry seufzte. Das musste so eine Slytherin-Sache sein oder warum sonst hatten seine drei Lieblingsschlangen das Bedürfnis, ihn mit Rumfuchteln ihrer Hände zum Hinsetzen aufzufordern? Erst Severus bei ihrer Aussprache, dann Voldemort letzte Nacht und jetzt Draco. Nichtsdestotrotz setzte Harry sich.   Er schaute sich um und versuchte rauszufinden, wo er sich befand. Das Zimmer war ihm völlig unbekannt und auch sein früherer Zweck erklärte sich anhand der Einrichtung nicht. Das erste, was Harry auffiel, war, dass es nicht mehr benutzt wurde. Überall lag eine dicke Staubschicht auf den Bänken und wenigen leeren Regalen. Die Bänke standen im Kreis, zweireihig, in der Mitte eine große freie Fläche. An den Wänden hingen keine Gemälde und auch sonst waren keine Statuen oder ähnlicher Schmuck zu finden. – ‚Gut.‘ – Die einzigen Fußspuren im Raum waren von ihm und Draco.   „Natürlich habe ich auf dich gewartet. Schon seit Stunden.“ Draco klang leicht verärgert.   „Was? Hast du mich etwa vermisst?“   Zur Antwort bekam Harry einen leichten Zwickfluch in den Oberarm und rieb sich lachend die malträtierte Stelle.   „Das gleiche könnte ich über dich sagen. So wie du aussiehst, bist du direkt nach deiner Ankunft zu mir gekommen. Habe ich dir so gefehlt?“ Etwas war in seinen Augen, das Harry nicht deuten konnte. Aber es war so schnell wieder verschwunden, dass er es sich auch eingebildet haben könnte.   „Träum weiter, Malfoy.“ Harry musste sich zusammenreißen und sich den hypnotischen hellgrauen Augen lösen. „Ich wollte dir lediglich erzählen, was bei dem Treffen passiert ist.“   „Waaas? So schnell wieder beim Geschäftlichen? Und dabei dachte ich, wir könnten vorher noch ein bisschen Spaß haben.“ Dracos Stimme wurde eine Nuance tiefer, verführerischer und ein wohliges Kribbeln breitete sich in Harrys Körper aus.   Irritiert schaute Harry Draco an und sein Blick verfinsterte sich. Er wurde schlagartig wütend. Nicht auf Draco, sondern auf sich selbst, weil er sich so sehr von Dracos Verhalten beeinflussen ließ.   Abrupt stand Harry auf und wollte zum Ausgang gehen. „Vergiss es. Wenn es dich nicht interessiert, gehe ich halt wieder.“ Er wurde von einer Hand an seinem Umhang aufgehalten.   „Jetzt sei doch nicht gleich eingeschnappt. Ich will wirklich wissen, was los war.“, sagte Draco entschuldigend.   Harry atmete tief durch und ließ sich wieder auf seinen Platz ziehen. „Na schön.“   Er erzählte, was vorgefallen war, wie sich Dracos Vater ihm gegenüber verhalten hatte, Bellatrix‘ erbärmliche Darbietung – Draco verzog dabei angewidert das Gesicht und musste am Ende der Geschichte schadenfreudig lachen – und am wichtigsten, der Teil über Bletchley. Natürlich ließ Harry alles über die Prophezeiung und den Todesfluch aus.   „Hast du eine gute Idee, was wir mit Bletchley machen können?“, fragte Harry, nachdem er mit seinem Bericht fertig war.   Draco ließ sich Zeit mir seiner Antwort. Er war tief in Gedanken versunken und eine kleine Falte entstand auf seiner Stirn.   „Alptraumsamen.“, murmelte er schließlich.   Harry war sich nicht sicher, ob er ihn richtig verstanden hatte. Alptraumsamen? Davon hatte er noch nie etwas gehört. „Hmm? Was soll das sein?“   Harry beobachtete Draco, wie er aus seiner Erstarrung erwachte und sich ein hinterhältiges Lächeln auf seine Züge legte. Wie jedes Mal, ließ ihn dieses Lächeln nicht kalt und Harry versuchte den Kloß herunterzuschlucken, der sich in seiner Kehle gebildet hatte.   „Das ist ein Samen eines schwarzmagischen Artefaktes, das sich seit mehreren Generationen im Besitz meiner Familie befindet. Ich vermute, du hast noch nie etwas von Nachtmahr gehört?“ Draco schaute Harry erwartungsvoll an.   Dieser Begriff war Harry völlig unbekannt. Er hatte schon über einige schwarzmagische Gegenstände gelesen, aber Nachtmahr war keines davon gewesen. Fragend schüttelte er den Kopf.   „Ach Potter! Schon so tief in die Dunklen Künsten abgestiegen, aber immer noch so unschuldig.“, neckte Draco ihn.   Harry warf ihm einen giftigen Blick zu und bedeutete ihm weiterzureden.   Draco gluckste leise. „Es ist ein sehr seltener Gegenstand. Genauer gesagt, habe ich bisher nur von dem einen Stück gehört und niemand weiß mehr, wie es in unsere Familie gelangt ist. Ich vermute aber, dass einer meiner Vorfahren es selbst hergestellt hat.“   Harry hörte gebannt zu. Es war allgemein bekannt, dass die Malfoys einen Hang zu den Dunklen Künsten hatten, weswegen sie vom Ministerium auch immer genauer unter die Luppe genommen wurden. Aber gefunden hatte man bei ihnen bisher noch nichts. Sie mussten geheime Räume mit sehr starken Schutzzaubern haben, wenn selbst die unbestechlichen Auroren ihre Unschuld beteuerten.   „Mein Vater hat mir erzählt, dass es die linke Hand eines dunklen Zauberers gewesen ist. Sie wurde ihm abgeschlagen, während er noch lebte und auf das Horn eines Einhornes gesteckt, das von ihm selbst abgetrennt worden war. Das Ganze wurde dann in einen Topf mit Graberde gesteckt und mit dem Blut des Zauberers und des Einhornes gegossen, bis es Wurzeln geschlagen hat. Irgendwann fingen dann die Finger an zu wachsen und sich zu verästeln, wie ein kranker Bonsai, nur mit trockenem, rissigen Leder anstatt Rinde. Ungefähr aller 60 bis 70 Jahre blüht das Ding. Mitten auf der Handfläche entsteht eine blutrote Blüte mit sieben Blütenblättern. Wenn sie verblüht ist, bleibt ein kleiner Samen zurück. Der Alpraumsamen.“   „Du hast es blühen gesehen?“, fragte Harry leise. Es musste ein unglaublich schönschauriger Anblick sein.   „Ja. Ich war noch sehr klein. Fünf oder sechs Jahre alt. Mein Vater war dagegen. Er wollte mich nicht so zeitig mit schwarzmagischen Artefakten in Berührung bringen. Aber meine Mutter hat tagelang von nichts anderem gesprochen und ich war zu neugierig. Also habe ich gebettelt, bis er es mir gezeigt hat. Es war wunderschön. Ein Tropfen leuchtendes tiefes Rot auf dem schwarzen verrottenden Fleisch.“   Harry sah Draco nachdenklich an. Draco glaubte, dass einer seiner Vorfahren, diese… Pflanze… hergestellt hatte? Meinte er damit, dass die Hand einem seiner Vorfahren abgeschlagen worden war? Hatte er es vielleicht sogar selbst getan? Es war für Harry schwer vorstellbar, dass jemand so verrückt sein konnte. Obwohl… Er kannte einen dunklen Zauberer, der sich ein Stück seiner Seele herausgerissen hatte, sechs Mal sogar. So gesehen, war es gar nicht so schlimm, sich nur eine Hand abzuschlagen. Die Frage war doch, was man für sein Opfer bekam.   „Was macht der Samen?“   „Oh!“ Dracos Augen begannen zu funkeln und er sah Harry mit einem teuflischen Grinsen an. „Er verursacht starke Alpträume.“   Harry zog eine Augenbraue hoch. Das war zu einfach. „Einfach nur Alpträume?“   Draco lachte. „Nein, nicht einfach nur Alpträume. Du musst den Samen schlucken. Das geht am besten, wenn man es in einem Getränk auflöst. Es ist absolut unauffällig. Keine Farbe, keinen Geruch, keinen Geschmack. Einmal runtergeschluckt, bleibt es im Körper, egal was du machst. Selbst wenn du dich direkt danach erbrichst. Es setzt sich dann in deinem Unterbewusstsein fest und schickt dir jede Nacht Alpträume. Es beginnt ganz langsam. Erst nur unschöne Erinnerungen. Aber es wird mit jeder Nacht schlimmer und irgendwann überfluten deine Schlimmsten Ängste deine Träume, bis du Angst hast, einzuschlafen.“   Harry schluckte. Er wollte sich das nicht bei sich selbst vorstellen. Er hatte in seinem Leben bereits genug Alpträume gehabt. „Woher weißt du das so genau?“   „Mein Großvater hatte es mit erzählt, bevor er die Drachenpocken bekam. Er hatte einen Samen einem ehemaligen Klassenkameraden verabreicht. Sie hatten Streit oder sowas. Großvater konnte sich nicht mehr daran erinnern, was passiert war, aber dafür an den Fluch in allen Einzelheiten. Ich war sehr traurig, als er starb. Für Zaubererverhältnisse war er noch sehr jung, aber zu alt als dass das Heilmittel gegen Drachenpocken noch hätte helfen können.“   „Das tut mir sehr leid.“, hörte sich Harry sagen. Seine Finger zuckten, aber er widerstand dem Drang, seine Hand tröstend auf Dracos zu legen.   „Muss es nicht. Es ist schon lange her. Und um der Wahrheit die Ehre zu geben, bei seinem Lebenswandel ist es verwunderlich, dass er überhaupt solange gelebt hat und nicht hinterrücks von irgendwelchen rachedurstigen Zauberern ermordet wurde.“ Draco lachte leise über einen Witz, den nur er verstand.   „Und du hast den Samen?“   Draco nickte.   „Hier in Hogwarts?“   Wieder ein Nicken. „Keine Sorge, er ist gut versteckt und durch mehrere Schutzzauber und Flüche gesichert.“   „Dein Vater hat ihn dir überlassen? In dem Alter?“ Harry wurde blass. Allein die Vorstellung, dass Draco diesen Samen gegen ihn hätte nutzen können, würde ihn für mehrere Wochen Alpträume bescheren.   Draco musste seine Gedanken erraten haben, denn er fing plötzlich an zu lachen. „Keine Sorge, Potter. Mein Vater war nicht so blöd, einem dummen kleinen rachsüchtigen Jungen etwas so Gefährliches zu überlassen. Ich habe ihn diesen Sommer als Geschenk bekommen, als ich mein Dunkles Mal erhalten habe.“   Irgendwie beruhigte Harry das nicht wirklich. „Und du würdest ihn wirklich gegen Bletchley verwenden?“, fragte er so ruhig wie möglich.   „Aber sicher.“ Draco antwortete ohne zu zögern. „Immerhin wäre ich wegen dieses Idioten fast gestorben. Ich wüsste niemanden, den ich lieber mit Alpträumen verfluchen würde.“   Harry wusste, dass ihn der Blick, den der Slytherin ihm bei diesem Worten zuwarf, nur necken sollte, aber er konnte nicht verhindern, dass sich ein mulmiges Gefühl in ihm ausbreitete. Die Seiten gewechselt zu haben, war in mehr als nur einer Hinsicht die richtige Entscheidung gewesen. Er wollte sich nicht ausmalen, wie es wäre, jede Nacht mit seinen schlimmsten Ängsten konfrontiert zu werden.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Alles hatte so funktioniert, wie sie es erwartet hatten. Harry war nach seinem Treffen mit Draco hoch in den Gryffindor-Turm gegangen, sein Besen die beste Ausrede, was er so früh schon draußen gemacht hatte, die er hätte haben können, während Draco den Alptraumsamen holen war.   Beim Frühstück war Harry so auf den Slytherin-Tisch fixiert gewesen, dass er kaum etwas davon mitbekam, was seine Hauskameraden erzählten. Granger sah ihn die ganze Zeit warnend an, aber Harry ignorierte sie. Sie hatten in der letzten Zeit nur das Nötigste miteinander gesprochen und Harry war es nur recht.   Bletchley hatte ihn die ganze Zeit über angestarrt. Harry wusste, was er dachte. Sein Missfallen, dass Harry noch lebte, war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Aber er schien nicht beunruhigt. War der Idiot wirklich so sehr von sich überzeugt?   Den Rest des Frühstücks beobachtete Bletchley Harry genau. Das gab Draco genügend Zeit, den Alptraumsamen unauffällig in sein Glas fallen zu lassen. Harry grinste und prostete Bletchley leicht zu. Keiner außer dem Slytherin bemerkte es. Leicht irritiert verzog er seine Augen zu Schlitzen, trank dann aber das ganze Glas in einem Zug aus, ein böses Funkeln in seinen Augen.   Ein wohliger Schauer ging durch Harry und er konnte spüren, wie sich seine dunkle Seite vor Selbstzufriedenheit rekelte. Er nickte Draco kurz zu und widmete sich dann seinen vernachlässigten Hauskameraden.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Mehrere Stunden später saß Harry beim Mittagessen in der Großen Halle und versuchte krampfhaft die Augen offen zu halten. Der Stärkungstrank, den Malfoy ihm gegeben hatte, verlor seine Wirkung und der Schlafmangel forderte seinen Tribut. Er wollte nur schnell sein Essen runterschlingen und dann hoch in den Turm gehen, um sich wenigsten eine halbe Stunde vor dem nächsten Unterricht hinzulegen und zu schlafen. Die Müdigkeit vertrieb aber den Hunger und Harry starrte nur vor sich hin, während seine volle Gabel irgendwo zwischen seinem Mund und seinem Teller stecken blieb und Kürbis-Tomaten-Soße mit Gehacktes zurück auf seinen Teller tropfte.   Während seine Augen immer weiter zufielen, wurden Harrys Gedankengänge immer verworrener. Die Soße auf seinem Teller erinnerte ihn an Voldemorts Augen, die Spritzer durch sein verkleckertes Essen, an Blutstropfen. Er dachte an Bletchley und dass er ihn seit dem Frühstück nicht mehr gesehen hatte, genau wie Voldemort es angekündigt hatte und glaubte dann, den Slytherin zu sehen, wie er in seinem Essen badete, die zerstörte Aufzeichnung der Prophezeiung wieder völlig intakt in seiner Hand haltend.   Bletchley winkte Harry zu und versuchte dann einem weiteren Kleks auszuweichen, der sich von Harrys Gabel löste. Er schaffte es aber nicht rechtzeitig und wurde von einem großen Stück Gehacktes ertränkt und riss die Glaskugel mit sich in die Kürbis-Tomaten-Soße.   Eine Stimme zwang ihn, seinen Blick nach vorn zu richten und Harry sah in besorgte dunkelbraune Augen. Harry war sich sicher, dass er einen grünen Lichtblitz in ihnen sah und eine blitzförmige Narbe bildete sich auf dem linken Nasenflügel seines Gegenübers. Das war merkwürdig. Harry war sich sicher, dass die Narbe dort nicht sein sollte. Etwas war hier falsch. Er kniff die Augen zusammen und versuchte, sich zu konzentrieren.   Keiner kann leben, während der Andere überlebt.   Ein kleines Wesen ohne Nase, aber viel zu großen Ohren – oder waren das Flügel? – flatterte um ihn herum und sagte immer wieder diesen einen Satz. Dann flatterte es mit seinen Flügelohren auf die andere Seite des Tisches, an dem ein Schlangenmann saß und servierte ihm Tee.   Der Schlangenmann deutete auf die Mitte des Tisches und Harry sah die Prophezeiung. ‚Dann ist sie ja doch nicht kaputtgegangen. Das ist gut.‘, dachte er erleichtert. Das Leuchten in der Glaskugel wurde stärker und Harry konnte ein Gesicht darin erkennen. Ein Junge. Harry kannte ihn. Dunkelbraune Augen. Hatte er die nicht gerade eben noch gesehen?   Harry schaute hoch, aber da saß immer noch der Schlangenmann. Er bewegte seine Lippen.   Keiner kann leben, während der Andere überlebt.   Er musste ihn töten. Harry musste den braunäugigen Jungen töten. Sonst würden er und der Schlangenmann sterben.   Keiner kann leben, während der Andere überlebt.   Es gab keinen anderen Weg. Entweder Longbottom oder Voldemort und Harry.   Keiner kann leben, während der Andere überlebt.   Blitzschnell zog Harry seinen Zauberstab und richtete ihn auf die Glaskugel. ‚Avada Kedavra!‘ Die Prophezeiung zersprang in einem Regen aus roten und grünen Splittern.   „HARRY! WACH AUF!“   Harry schreckte hoch. „Was?“ Er sah sich um und sah seine Klassenkameraden ihn mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken anstarren. Granger, die neben ihm saß, bedachte ihn mit einen missbilligen Blick. Mini-Weasley auf seiner anderen Seite hatte ihnen Ellenbogen auf dem Tisch abgestützt und den Kopf in die Handfläche gelegt. Ihr Mund war zu einem leichten Lächeln verzogen und ihre Augen blickten verträumt zu ihm hinauf.   Die anderen schienen mehr belustigt zu sein. Vor allem die Mädchen aus seinem Jahrgang steckten die Köpfe zusammen und kicherten, während die Jungs nur breit grinsten. Als letztes blieb sein Blick an Longbottom hängen, der ihm genau gegenüber saß. Im Gegensatz zu den anderen wirkte eher besorgt. Harry musste hart Schlucken.   „Alles okay mit dir, Harry?“, fragte Longbottom, seine Stimme voller ehrlicher Besorgnis.   Harry nickte und versuchte wieder einen klaren Kopf zu bekommen und den verstörenden Traum abzuschütteln.   „Du bist ganz plötzlich weggetreten, Alter.“, sagte Weasley unnötiger Weise und deutete dabei auf Harrys linken Arm. Das breite Grinsen und kleinen Grunzlaute zeigten sehr deutlich, wie er sehr er sich gerade amüsierte.   „Erg!“ Harry hätte sich am liebsten wegen seiner Dämlichkeit vor dem Kopf geschlagen. Er hatte es geschafft, den linken Ärmel seines Umhangs in sein Essen zu tauchen. Warum hatte er ihn nicht vorher ausgezogen? Er konnte von Glück sagen, dass sein Gesicht, auf seinem Arm neben dem Teller gelandet war.   „Ich glaube, ich werde mich noch ein bisschen hinlegen, bevor der Unterricht weitergeht.“ Harry versuchte aufzustehen, wurde aber von Granger aufgehalten.   „Willst du nicht lieber zu Madam Pomfrey?“ Sie klang besorgt, aber Harry kam nicht umhin, sich von ihr bevormundet und kontrolliert zu fühlen. „Wenn du wieder Alpträume hast und deswegen nicht schlafen kannst…“   „Ich habe keine Alpträume.“, unterbrach er sie. Seine Müdigkeit ließ seine Stimme viel sanfter klingen als beabsichtigt. „Ich konnte die Nacht einfach nicht schlafen. Das ist alles.“   Sofort verstummte Granger und ihr Gesicht erstarrte zu einer ausdruckslosen Maske.   „Ich bringe dich in den Turm, Harry.“, quietschte Mini-Weasley. Sie wollte gerade aufstehen, als Harry seine Hand auf ihre Schulter legte und sie sanft, aber bestimmt an Ort und Stelle hielt.   „Das ist nicht nötig. Ich brauche einfach ein bisschen Ruhe.“   „Oh! In Ordnung.“ Mini-Weasley zog einen Schmollmund, widersprach aber nicht.   „Bist du dir sicher, dass du das alleine schaffst?“, fragte Finnigan, seinen Mund zu einem breiten Grinsen verzogen. „Immerhin bist du eben schon weggetreten.“   „Ja, ich schaffe das.“, antwortete Harry gereizt. Sie hatten sich jetzt lange genug über ihn amüsiert.   „Keine Sorge. Falls du auf dem Weg einschläfst, sammeln wir dich nachher ein.“   Es wunderte Harry nicht, dass Thomas auch noch einen Kommentar loswerden musste. Aber er ging nicht darauf ein. Ein ungesagter Ratzeputz ließ jeden weiteren Kommentar verstummen. Die meisten seiner Klassenkameraden hatten immer noch Probleme ohne Worte zu zaubern und zu sehen, wie Harry es schaffte, ohne überhaupt darüber nachzudenken, machte ihre gute Laune zunichte.   ‚Gut so.‘   Ohne seinem Tisch noch eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte Harry sich um und verließ die Große Halle.   Auch wenn Harry es niemals zugeben würde, aber er müsste wirklich aufpassen, dass er nicht unterwegs einschlief. Und auch wenn er sich dann noch eine halbe Stunde hinlegte, würde er den Rest des Tages mit seiner Müdigkeit kämpfen und dem Unterricht nicht folgen können. Er bräuchte einen weiteren Stärkungstank, wenn er den Tag überstehen wollte.   Zu Pomfrey würde er auf keinen Fall gehen. Noch einmal würde sie Dumbledore bestimmt nicht übergehen und seinen Besuch in der Krankenstation für sich behalten. Er könnte Severus fragen, ob er einen vorrätig hätte. Immerhin braute er sie meisten Tränke für die Krankenstation, selbst nachdem Slughorn wieder den Unterricht in Zaubertränke übernommen hatte. Er hatte bestimmt auch einen kleinen Vorrat für sich angelegt.   Kurzentschlossen bog Harry zu den Kerkern ab. Harry konnte Severus in dessen Räumen spüren und hielt darauf zu, ohne sich auf seine Umgebung zu konzentrieren. Er merkte nicht, wie er im Halbschlaf von anderen Präsenzen seiner Mitschüler abgelenkt wurde und eine falsche Richtung einschlug. In seinem Kopf wurde es ganz dusselig und seine Augenlider immer schwerer. Er merkte noch, wie er auf jemanden zu lief, war aber schon so benebelt, dass er nicht mehr sagen konnte, wer es war oder wie weit derjenige noch entfernt war.   Ein überraschter Aufschrei und ein plötzlicher Schmerz in seinem Hintern ließ Harry wieder zu sich kommen. Ihm saß ein Mädchen gegenüber und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.   „Entschuldige bitte.“, murmelte er.   „Kein Problem, es ist nichts passiert.“, kam prompt die Antwort. Harry glaubte, einen belustigten Unterton zu hören. Die Stimme kam ihm wage bekannt vor.   Harry rückte seine Brille zurecht, die ihm beim Sturz ein Stück von der Nase gerutscht war und betrachtete das Mädchen genauer. Ihre Augen begangen zu leuchten als ihre Blicke sich trafen und ihr Mund verzog sich zu einem kleinen Lächeln. Die langen blonden Haare waren ordentlich zu einem Zopf zusammengebunden und hingen ihr nach dem Sturz über die rechte Schulter.   Harry konnte sich noch gut an sie erinnern. Sie hatte letztes Jahr an den DA-Treffen teilgenommen. Susan Bones, eine Hufflepuff aus seinem Jahrgang. Sie war eine der wenigen Menschen, die zumindest ein wenig nachvollziehen konnten, wie Harry sich mit seiner ungewollten und unverdienten Berühmtheit fühlte. Nach dem Ausbruch aus Askaban waren die Namen der Todesser und deren Opfer, zu denen einige nahe Verwandte von Bones gehörten, wochenlang im Tagespropheten zu lesen gewesen. Jeder ihrer Schritte wurde von abschätzigen Blicken und leisem Getuschel begleitet. Nicht so schlimm wie bei Harry selbst, aber er war es in der Zwischenzeit gewöhnt. Für Bones war es eine ganz neue Erfahrung gewesen. Aber sie ließ sich nicht davon einschüchtern. Dann und auch schon davor scheute sie sich nicht ihre Meinung zu sagen und für sich und andere einzustehen.   Plötzlich fing Bones an zu lachen.   Verwirrt schaute Harry sie an. „Was ist so lustig?“   „Du sitzt da, als hätte dich gerade dein Besen abgeworfen.“   Harry sah an sich herab. Seine Krawatte hatte sich verdreht und steckte mit der Spitze in seiner Brusttasche. Sein Umhang hatte sich etwas gelöst und rutsche halb von seiner Schulter, der Saum war um sein rechtes Bein gewickelt.   Harry fand seine Erscheinung alles andere als zum Lachen. In diesem Zustand war er angreifbar. Er war unkonzentriert und unachtsam. Nicht auszudenken, was alles passieren könnte. Das musste so schnell wie möglich wieder in Ordnung gebracht werden und er müsste sich besser vorbereiten, falls weitere solcher schlaflosen Nächte auf ihn warten sollten. Stärkungstränke waren auf Dauer keine Lösung, aber ein kleiner persönlicher Vorrat würde nicht schaden. Vielleicht könnte Severus ihm dabei helfen.   Entgegen seiner eigentlichen Gefühlslage schaffte Harry es, ein kleines Lächeln zustande zu bringen.   „Das ist so absurd, weil du ja eigentlich der beste Sucher in Hogwarts seit… keine Ahnung... überhaupt bist.“   „Ich weiß gerade nicht, ob ich das als Beleidigung oder als Kompliment auffassen soll.“ Er zwang seinen Mund noch eine Spur breiter zu lächeln.   „Als Kompliment, Harry. Immer als Kompliment.“ Bones strahlte ihn glücklich an.   Nachdem Harry sich von seinem Umhang befreit hatte, stand er auf und half Bones ebenfalls wieder auf die Füße. Er nahm ihre Hand und zog sie zu sich hoch. Die kleine Hufflepuff war aber viel leichter als sie aussah und so hatte er zu viel Schwung drauf und statt auf den Beinen landete sie in seinem Armen.   Bones wurde schlagartig rot im ganzen Gesicht. Nun, das war interessant. Etwas peinlich berührt, schob Harry sie ein Stück von sich.   „Ähm… Alles okay?“   Sie drehte schnell ihren Kopf weg, als ob sie ihre Reaktion auf die Nähe zu ihm noch irgendwie verstecken könnte.   „J… Ja, alles in Ordnung. Ich war nur ein bisschen überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass du so stark bist.“ Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als ihr bewusst wurde, was sie gerade gesagt hatte.   Das wurde ja mit jeder Minute interessanter. Harry grinste in sich hinein. Wenn Bones wirklich so sehr an ihm interessiert war, wie es gerade den Anschein machte, dann würde sie vielleicht auch das Risiko eingehen und mit ihm ausgehen, obwohl seine Dates jedes Mal verflucht wurden. Ein Versuch wäre es wert. Und Draco war nicht in der Nähe. Wenn sie ja sagte und sie es nicht an die große Glocke hängen würden, hätte Harry vielleicht wirklich mal eine Chance auf ein Date zu gehen. Draco machte zwar nicht den Eindruck, dass er Harry verdächtigen würde, auf Männer zu sehen, aber sicher war sicher. Und außerdem konnte Harry eine kleine Ablenkung gut gebrauchen.   Harry starrte Bones solange an, bis sie sich wieder zu ihm drehte. Er lächelte sie schüchtern, mit ein bisschen Unsicherheit in seinen Augen an und begann zu sprechen.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Der Rest der Woche verlief ruhig. Es wurde ein wenig getuschelt, warum Bletchley nicht mehr zum Unterricht erschien, aber alles, was die Lehrer sagten, war, dass es private Gründen geben würde.   Harry hatte noch in der Montagstrainingsstunde unter dem Einfluss eines starken Stärkungstrankes – Severus sei Dank – den Slytherin die Situation erklärt, ohne aber dabei genauer auf Bletchleys Bestrafung einzugehen. Er war gespannt gewesen zu sehen, wie ihre Reaktionen ausfallen würden. Den meisten war es egal und akzeptierten mit erschreckender Leichtigkeit, dass sie jetzt ein Schüler weniger waren. Nur zwei Slytherin sahen nicht so glücklich aus. Adrian Pucey und Tracey Davis. Die beiden würde Harry genauer im Auge behalten müssen.   Severus half Harry, sich einen eigenen kleinen Vorrat an hilfreichen Tränken anzulegen. Obwohl helfen ein bisschen übertrieben war. Harry hatte die ganze Woche Nachsitzen bekommen, weil er angeblich ein Stück Pergament verzaubert hatte, auf dem ein Strichmännchen-Snape explodierte. Nicht sehr einfallsreich von Draco, aber es erfüllte glaubhaft seinen Zweck und Harry hatte genügend Zeit, die Tränke, die er brauchte, selbst herzustellen. Das hatte er sich nicht wirklich vorgestellt, als er Severus um Hilfe gebeten hatte, aber immerhin durfte er wenigstens Severus‘ großen Silberkessel benutzen und sogar die Zutaten, die er brauchte, aus dem Vorratsschrank nehmen.   Außerdem hatte Severus ihm einen kleinen Beutel aus schwarzem Drachenleder geschenkt, dessen Innenraum magischen vergrößert war. So hatten alle seine Tränke darin genügend Platz. Auf die Frage, ob das nicht sehr teuer gewesen war, winkte Severus einfach nur ab.   Am Freitag war Harry mit allem fertig. Er hatte jetzt sein eigenes Arsenal an Stärkungs-, verschiedenen Heil- und auch Schlaftränken. Nur für den Fall. Sie waren ordentlich in Harrys neuem Lederbeutel verstaut und in seinem Schlafsaal unter seinen Sachen mit einem zusätzlichen Tarnzauber versteckt.   Am Samstagmorgen war Harry bereits sehr zeitig beim Frühstück. Die Große Halle war noch fast leer, nur wenige Schüler hatte sich so früh aus dem Bett gequält. Der Ravenclaw-Tisch war am stärksten besetzt, der Gryffindor-Tisch am spärlichsten. Selbst Granger war heute noch nicht aufgestanden.   Auch einige Hufflepuffs und Slytherins waren schon wach, unter anderem Draco, der Harry misstrauisch beäugte. Dem scharfsinnigen Slytherin war nicht entgangen, dass heute etwas anders bei Harry war, auch wenn er es nicht genau benennen konnte. Außer das zeitige Aufstehen natürlich.   Harry war zufrieden. Bones und er hatten es wirklich geschafft, ihr Date bis heute zu verheimlichen. Kein Fluch hatte ihr Treffen vereitelt und er musste zugeben, dass er sich sogar ein bisschen auf den Tag freute. Bones war eine angenehme Gesellschaft und er konnte sich normal mit ihr unterhalten, ohne von übermäßiger Heldenverehrung abgestoßen zu werden.   Als am Hufflepuff-Tisch Bones ihren Teller wegschob, stand Harry auf und ging zu ihr.   „Wollen wir?“ Er lächelte sie schüchtern an.   „Sehr gerne, Harry.“ Sie wurde eine Spur rot um die Nase, als die anderen Hufflepuffs sie mit großen Augen anstarrten. „Ähm, ja… Ich habe ein Date… Mit Harry… Wir sehen uns in ein paar Stunden, ja?“   Ihre Klassenkameraden nickten zum Zeichen, dass sie verstanden hatten. Keiner bekam ein Wort heraus.   „Ich hoffe, deine Freunde sind jetzt nicht böse auf dich, weil du ihnen nichts erzählt hast.“, meinte Harry, als aus dem Schloss hinaus waren.   Es war Anfang April und in den frühen Morgenstunden noch sehr kühl. Der Weg nach Hogsmeade war komplett leer. Die meisten Schüler würden erst in ein paar Stunden losgehen. Erst stand Ausschlafen und dann ein spätes Frühstück auf dem Plan. Bones und Harry hatten diese frühe Uhrzeit gewählt, damit sie ein bisschen Ruhe hatten.   „Mach dir deswegen keine Sorgen. Ich bin sicher, dass sie es verstehen werden.“ Sie lachte ihn an.   „Dann ist ja gut.“ Natürlich würden sie es verstehen und ihr verzeihen. Es waren Hufflepuffs. Loyal bis in den Tod.   „Was ist mit deinen?“   „Meinen was?“ Harry sah Bones irritiert an.   „Na, Freunden.“ Sie lächelte noch eine Spur breiter.   Harry runzelte mit der Stirn. Wie konnte jemand nur so viel lächeln? Die ganze Zeit über. Er fand das ein wenig irritierend.   Glücklicherweise verstand Bones sein Verhalten falsch, als würde Harry immer noch nicht begreifen, was sie meinte. „Werden sie es dir übelnehmen, weil du ihnen unser Date verheimlicht hast?“   Harry grinste. Er wusste genau, wie seine Freunde reagieren würden. „Mit Sicherheit werden sie das.“   „Oh!“ Bones sah verwirrt aus.   „Mach dir keine Sorgen deswegen. Sie werden sich genauso schnell wieder einkriegen und sich dann für uns freuen.“ Zumindest konnte er sich da bei den Jungs sicher sein. Mini-Weasley würde es gar nicht gut auffassen. Granger würde ihn zu Anfang wieder einige Vorträge halten, aber irgendwann würde sie es akzeptieren. Zumindest wenn Harry wirklich die Absicht hätte, eine Beziehung zu Bones aufzubauen. So nett sie auch war und so gut er sich auch mit ihr verstand, sie war einfach nicht sein Typ. Außerdem würde er das Dauergrinsen nicht ertragen. Ganz zu schweigen von den Heimlichkeiten und Lügen, die er ihr die ganze Zeit erzählen müsste. Ein fester Partner kam derzeit nicht in Frage. Er würde ein paar Mal mir ihr ausgehen und es dann einfach langsam einschlafen lassen.   Sie unterhielten sich weiter über ihre Freunde und über die Schule. Sie hatten genug gemeinsame Erinnerungen, auf denen sie aufbauen konnten und das Gespräch kam nie ins Stocken.   Sie hatten schon die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, als eine weitere Präsenz sich in Harrys Bewusstsein schob. Draco. Er kam schnell auf sie zu. Auch wenn Harry erwartet hatte, dass der Slytherin ihnen folgte, breitete sich ein ungutes Gefühl in seinem Magen aus. Es war niemand sonst auf dem Weg und Draco hatte es eindeutig zu eilig.   Es dauerte nicht lange und Draco hatte sie eingeholt.   „Na, Potter! Bones.“, begrüßte er sie in einem abfälligen Ton.   Harry versteifte sich. Was hatte der Slytherin vor?   „Malfoy! Was können wir für dich tun?“, fragte Bones vorsichtig.   „Nichts, nichts. Ich wollte nur mal schauen, wen unser Frauenheld sich diesmal rausgepickt hat.“ Draco musterte Jones von oben nach unten.   „Was meinst du damit?“ Sie kniff ihre Augen zusammen.   „Och, nichts weiter.“, antwortete Draco gespielt unschuldig. „Mir ist nur aufgefallen, dass unser Goldjunge eine Hufflepuff nach der anderen um ein Date bittet.“   Harry biss die Zähne zusammen, seine Hände zu Fäusten geballt. Er funkelte Draco böse an, aber der beachtete ihn nicht weiter. Seine Aufmerksamkeit lag völlig auf Bones.   Verunsichert schaute Bones kurz zu Harry, bevor sie sich wieder Draco zuwandte. „Ich weiß, dass Harry Megan gefragt hatte, aber…“   „Und danach Abbott.“, unterbrach Draco sie. „Aber sie war schlau genug, nein zu sagen. Vielleicht hatte sie ja Angst, verflucht zu werden wie anderen. Oder sie wollte einfach nicht eine von vielen sein.“ Er machte eine kurze Pause und ließ das Gesagte kurz wirken. „Stört dich das nicht? Zu wissen, dass du nur seine 3. Wahl warst? Und ich spreche dabei nur von euch Hufflepuff-Mädchen. Die anderen Häuser habe ich nicht mit dazugezählt.“   „Ich…“ Sie schluckte hart und schaute hilfesuchend zu Harry.   Harry wusste nicht, was er sagen sollte. Er könnte lügen, aber ein kurzes Gespräch mit Abbott und Bones würde die Wahrheit wissen. So wie Draco es auslegte, ließ das Harry in keinem guten Licht dastehen.   Bones sah sehr verletzt aus.   „Ach komm! Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass er es erst mit dir meint? Der große Harry Potter und eine kleine Hufflepuff? Ich bitte dich. Du bist zwar nicht hässlich, aber letztendlich doch nur gewöhnlich und langweilig.“   „Das reicht jetzt, Malfoy.“ Harry fand endlich seine Stimme wieder, aber es war schon zu spät.   „Ich glaube, ich sollte jetzt besser gehen.“ Bones drehte sich um.   „Susan.“ Harry ergriff ihre Hand und versuchte, sie aufzuhalten, aber sie entzog sich ihm und rannte zurück zum Schloss.   Als sie weit genug entfernt war, schrie Harry Draco wütend an. „Was sollte das?“   „Kein Grund dich gleich so aufzuregen. Ist ja nicht so, als ob du sie wirklich gewollt hättest. Du bist in jemand anderen verliebt. Also was soll’s?“   „Was soll’s? Ich sage dir, was es soll. Ja, ich bin in jemand anderen verliebt. Aber sie wird meine Gefühle niemals erwidern. Verdammt! Sie wird niemals erfahren, dass ich überhaupt Gefühle für sie habe. Heißt das, dass ich für den Rest meines Lebens allein bleiben muss? Darf ich deswegen mit niemandem zusammen sein und vielleicht wenigsten ein bisschen glücklich sein? Nicht, dass jetzt noch irgendjemand mir überhaupt eine Chance geben wird, nachdem Bones das hier rumerzählt hat. Was habe ich dir getan, dass du mir jedes bisschen Hoffnung zerstören willst? Warum hasst du mich so sehr?“   Harry stand da und fühlte sich mit einem Mal völlig verloren. Seine eigenen Worte hallten in seinem Kopf wider, der Gedanke an eine einsame Zukunft machte ihn taub.   Harry starrte vor sich hin, hatte seine Umgebung völlig ausgeblendet. So sah er auch nicht Dracos erschrockenen Gesichtsausdruck.   Plötzlich spürte eine Hand an seiner linken Wange und dann fremde Lippen, die hart gegen seine pressten. Sein Herz blieb kurz stehen, nur um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiter zu schlagen. Was passierte hier gerade? Draco küsste ihn? Warum? Alles in ihm sehnte sich danach, sich dem Kuss hinzugeben, die Augen zu schließen und die Verzweiflung fortspülen zu lassen. Aber sein Verstand ließ es nicht zu. Er würde sich verraten, wenn er dem nachgäbe. Alles wäre umsonst gewesen.   Mit aller Kraft löste Harry sich aus seiner Erstarrung und schubste Draco von sich. Der landete auf dem Boden und schaute mit der gleichen Verwirrung in den Augen zu Harry hinauf, als könnte er selbst nicht glauben, was er gerade getan hatte. Aber Harry wusste es besser. Ein Slytherin tat niemals etwas ohne eine Absicht dahinter. Er warf Draco einen letzten wütenden Blick zu und drehte sich dann um.   Harry ging mit langsamen Schritten Richtung Schloss. Draco hinter ihm hatte sich keinen Millimeter bewegt. Er konnte die Blicke des Slytherins auf sich spüren. Es verbrannte ihn. Er wollte einfach nur wegrennen, aber durfte keine Schwäche zeigen, durfte nicht zeigen, wie sehr ihn dieser Kuss aus der Bahn geworfen hatte. Ungeahnte Wellen des Verlangens strömten durch seinen Körper, breiteten sich aus und wollten sich in unkontrollierbares Zittern manifestieren. Aber Harry war Stärker, zwang sich und seinen Körper zur Ruhe.   Er leckte sich über seine Lippen und konnte immer noch Dracos Lippen auf ihnen schmecken. So süß. Seine Lippen waren so weich gewesen. Kaum zu glauben, dass er das hatte spüren können, obwohl Draco seinen Mund so hart auf seinen gepresst hatte, dass es ein Wunder war, dass seine Lippen nicht aufgeplatzt waren.   Warum hatte er ihn nur geküsst? Konnte es sein, dass…? Nein! Das war es mit Sicherheit nicht. Draco empfand nicht so für ihn. Er machte sich nur einen Spaß aus Harry. Wollte ihn provozieren.   Draco hatte bis jetzt nicht rausbekommen, in wen Harry verliebt war. Vielleicht wollte er ihn so aus der Reserve locken? Ja, das wird es sein. Das war viel wahrscheinlicher, als dass Draco Malfoy, der Eisprinz von Slytherin und Reinblut, an Harry Potter, Goldjunge von Gryffindor und von Muggeln aufgezogenes Halbblut, interessiert war. Ein trockenes Lachen entschlüpfte Harrys Kehle. Ja sicher. Sie beide ein Paar. Welch lächerlicher Gedanke.   Auf den Weg in seinen Gemeinschaftsraum hatte Harry jeden ignoriert, der seinen Weg kreuzte. Er konnte gerade mir niemanden umgehen.   Er ging ins Badezimmer, drehte den Wasserhahn auf und versuchte, sich gewaltsam den Kuss von seinem Mund zu waschen. Aber so sehr er sich auch bemühte, das Gefühl von Dracos Lippen auf seinen blieb unbarmherzig.   Harry schaute in den Spiegel und erschrak bei dem, was er da sah. Er wirkte so verloren und verzweifelt, dass nicht einmal der Spiegel ihm einen dummen Kommentar geben wollte.   Kontrolle. Er musste sich unbedingt wieder unter Kontrolle bekommen. Dieses Selbstmitleid half ihm nicht weiter. Es würde ihn nur in Schwierigkeiten bringen. Er hatte seinen Weg gewählt und musste jetzt mit seinen Entscheidungen leben. Er musste sich zusammenreißen und durfte keine Schwäche zeigen. Ein unbedachter Moment und er könnte sich verraten und alles zerstören, wofür er gekämpft hatte. Er konnte nur hoffen, dass die Abweisung genug gewesen war und Draco nicht auf noch weitere solcher Ideen kam.   Harry klatsche sich weiter kaltes Wasser ins Gesicht, bis er sich soweit gesammelt hatte, dass er wieder menschlich aussah. Die Entschlossenheit in seinen Augen stand ihm viel besser. Er machte sich fertig, damit er den anderen Gryffindors vor die Augen treten konnte. Sie würden bald erfahren, was gerade passiert war. Besser, sie erfuhren es von ihm. Er schüttelte die letzten Reste der unliebsamen Gefühle von sich und ging zurück in den Gemeinschaftsraum.   Das Gefühl von Dracos Lippen auf seinen blieb. Kapitel 27: Geheimnisse ----------------------- Die nächsten Tage waren eine Tortur für Harry. Bones hatte natürlich sofort allen erzählt, was auf dem Weg nach Hogsmeade vorgefallen war. Er konnte es ihr nicht verübeln. Sie war verletzt und ihre Hufflepuff-Mentalität zwang sie regelrecht, ihre Mitschülerinnen vor Harry zu warnen, der nach dem neuesten Stand der Gerüchte, seinen Ruf als Auserwählter dazu nutze, um die Mädchen in sein Bett zu locken.   Seitdem gingen ihm sogar die Mädchen aus seinem Haus aus dem Weg. Abgesehen von Mini-Weasley, die noch anhänglicher geworden war. Harry überlegte schon, ob er sie selbst irgendwie verfluchen sollte, damit sie ihn in Ruhe ließ, da Draco dieses Hobby aufgegeben hatte. Sehr zu Harrys Bedauern.   Das Gerede wurde immer lauter und Harry sah sich wie schon häufiger in seinem Leben von allen ausgeschlossen und für etwas verurteilt, was er nicht getan hatte. Er wusste, dass es irgendwann wieder aufhören würde. Das tat es immer. Bis dahin würde er durchhalten und die Sticheleien ignorieren.   Leider teilten seine Lehrer diese Auffassung nicht.   Eines Abends wurde Harry in Begleitung von McGonagall zu Dumbledore gerufen und er musste ihnen erklären, was vorgefallen war. Er musste nicht einmal lügen. Die meisten Gerüchte, die in der Zwischenzeit über ihn im Umlauf waren, waren falsch und Dumbledore glaubte ihm sofort. Harry war ein zu netter und liebenswerter Junge, als dass er die Mädchen auf so eine Art ausnutzen würde.   Auch McGonagall empfand Mitleid mit ihrem jungen Schüler, der doch nur jemanden wollte, der ihn nicht nur als Held sah, sondern als den Jungen, der er wirklich war. Und wie groß war ihr Mitgefühl, als er ihnen seine Angst gestand, dass er jetzt nie so jemanden finden würde.   Dumbledore merkte an, dass die kleine Weasley immer noch ein starkes Interesse an ihm zeigte und sie beide bestimmt ein nettes Paar wären. Harry lächelte ihn daraufhin hoffnungsvoll an, obwohl er lieber angewidert das Gesicht verzogen hätte.   Die Situation zwischen Harry und Draco war… unverändert. Sie taten beide so, als wäre der Kuss niemals passiert. Das einzige, was darauf hindeutete, dass etwas zwischen ihnen vorgefallen war, waren die Treffen, die sie nur zu zweit hatten. Sie waren viel kürzer und rein professioneller Natur. Sie besprachen nur noch das Nötigste – Jungtotesserbelange – und gingen dann wieder ihrer Wege. Falls den Slytherins auffiel, dass etwas zwischen ihren Anführern nicht in Ordnung war, ließen sie es sich nicht anmerken.   Harry hätte gerne gewusst, was in Draco vorging. War es wirklich bloß ein Versuch gewesen, Harry aus der Reserve zu locken? Seit dem Tag hatte der Slytherin ihn nicht mehr verfolgt und auch nichts anderes unternommen, um hinter Harrys Geheimnis zu kommen. Er konnte manchmal seine Blicke auf sich spüren, aber das war auch schon alles.   Es war irritierend. Harry war es so gewöhnt, Draco beinahe jeden wachen Moment in seiner Nähe zu spüren, dass er sich hin und wieder dabei erwischte, wie er seine Gegenwart suchte. Und jedes Mal verfluchte er sein Unterbewusstsein dafür, dass es ihn zu so auffälligen Aktionen verführte.   Auch die Nächte gaben ihm keine Erholung. Die verblassende Erinnerung an einen Kuss, den er nie wieder erleben würde, ließen seine Träume immer häufiger und immer intensiver werden und ließen ihn jeden Morgen mit noch mehr Verlangen zurück. Zum ersten Mal verhielt sich Harrys Wecker perfekt und ließ ihn jede quälende Sekunde seiner Erinnerungen wieder und wieder durchleben.   Harry war sehr angespannt. Es schien schon beinahe ein Wunder zu sein, dass niemand mitbekam, wie unruhig und nervös er war. Er wusste, dass er bald würde etwas unternehmen müssen, bevor ihn seine unstete Gefühlslage zu einer nicht rückgängig zu machenden Dummheit hinreißen ließ.   Dieser Wunsch wurde ihm nicht erfüllt. Es war eine Woche nach dem Kuss, als Harry für eine winzige Sekunde seine Kontrolle verlor.   Die erste Hälfte des Schultages war bereits überstanden und ganz Hogwarts hatte sich zum Mittagessen in der Großen Halle versammelt. Alle Schüler waren aufgeregt und auch am Lehrertisch warf man sich unruhige Blicke hin und her. Der Tagesprophet hatte am Morgen schon wieder von drei neuen Dementorenangriffen berichtet. Sie wurden immer häufiger und auch von vereinzelten Todesserangriffen war die Rede.   Dumbledore hatte eine kleine Ansprache gehalten und allen versichert, dass Hogwarts sicher wäre und sie nichts zu befürchten hätten. Das konnte aber nur zum Teil beruhigen. Senn selbst wenn sie hier sicher wären – was Harry bezweifelte, wenn er sich die vergangenen sechs Jahre ins Gedächtnis rief – ihre Familien außerhalb der alten Mauer hatten keinen solchen Schutz und das Ministerium war entweder völlig unfähig oder wurde Voldemorts Sympathisanten am Handeln gehindert. Man musste kein Todesser sein, um Muggel und Muggelgeborene zu verabscheuen. Was auch immer zutraf, die Ministeriumsangestellten rannten herum wie eine Schar kopfloser Hühner.   Harry hatte einen Artikel gelesen, in dem sich die Kröte Umbridge für Kontrollen und Protokolle beim Zauberstabverkauf aussprach, um mögliche Diebstähle durch hinterhältige Muggel zu verhindern. Pft! Anders ausgedrückt: kein Holz für Schlammblüter. Laut Kimmkorn unterstützt Rufus Scrimgeour, der derzeitige Zaubereiminister, diesen Antrag auch noch.   Eigentlich spielte es keine Rolle, ob die Kröte damit durchkam oder nicht. Harry würde Voldemort zum Sieg verhelfen und dann würden die Schlammblüter nicht mal erfahren, dass es eine magische Welt gab. Aber Harry würde sich an diesem pinken Etwas rächen für das, was sie ihm angetan hatte – egal, wo ihre Loyalität lag.   Harry warf einen kurzen Blick zu Granger, aber die unterhielt sich aufgeregt mit Katie Bell und Cormac McLaggen über Verteidigungs- und Schutzzauber und bemerkte nichts von seinen düsteren Gedanken.   Die meisten Schüler waren in ähnliche Gespräche vertieft. Die Sorge um ihre Verwandten durch den morgendlichen Artikel wachgerufen, ließen sie weniger auf ihre Umgebung achten. Nur die Slytherins waren davon weniger beunruhigt. Die Erst- und Zweitklässler wirkten zwar ein bisschen nervös, aber die Ruhe, die die älteren ihres Hauses ausstrahlten, färbte schnell auf sie ab. Natürlich hatten Voldemorts Anhänger nichts zu befürchten. Zumindest solange sie selbst keine Fehler machten und ihren Herrn nicht verärgerten.   Trotz des Lärms und der Unruhe genoss es Harry, mal nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Niemand achtete auf ihn. Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, sein fast leerer Teller vergessen zur Seite geschoben. Sein Blick blieb an Draco hängen, der genau in diesem Moment hochsah.   Harrys Magen zog sich unangenehm zusammen, als er in die hellgrauen Augen schaute. Die Unruhe und die Verwirrung wegen ihres Kusses kam wieder hoch.   Am Rand seines Bewusstseins nahm Harry wahr, wie eine Schülerin vom Ravenclaw-Tisch aufstand. Sie lief aber nicht, wie erwartet, zum Ausgang, sondern steuerte genau die andere Richtung an. Irritiert löste Harry seinen Blick von Draco.   Morag McDougal ging mit hocherhobenen Kopf an den Tischen vorbei, ihr Blick auf einen Punkt am Ende der Halle fixiert. Sie machte nicht den Eindruck, dass ihr die aktuellen Geschehnisse besonders nahegingen. Ihr Status als Reinblut und eine leichte Abneigung gegen Schlammblüter, die sie sich gewöhnlich keine Mühe gab, zu verbergen, ließ sie sich sicher fühlen.   Harry verfolgte jeden ihrer Schritte und je weiter sie sich dem Slytherin-Tisch näherte, umso angespannter wurde er. Seine Vermutung wurde bestätigt, als sie direkt hinter Draco stehen blieb und ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter legte. Sie bewegte ihre Lippen, aber sie war zu weit weg und es war viel zu laut, dass er sie hätte verstehen können.   Draco, der sie bis jetzt nicht bemerkt hatte, drehte sich um und zog fragend eine Augenbraue nach oben. Er musterte sie kurz von oben nach unten und obwohl sein Blick eher abschätzig wirkte, wurde Harry wütend.   Alle Slytherins aus Dracos Jahrgang und ein paar Fünft- und Siebtklässler hatten sich ihr zugewandt. Parkinson schaute McDougal voller Verachtung an, während die anderen mit einer Mischung aus Neugierde und der slytherineigenen Überheblichkeit auf sie herabblickten. Die Ravenclaw ignorierte sie alle. Ihr Blick war starr auf Draco gerichtet.   Harry beobachtete mit wachsender Abscheu, wie Draco etwas zu ihr sagte. Sie lächelte und warf spielerisch ihr langen Haare nach hinten. Harry verkrampfte sich. Sie flirtete mit ihm. Dachte sie etwa, nur weil sie ein Reinblut sei, könnte sie sich einfach so an einen Slytherin ranmachen? An seinen Slytherin?   Draco verzog seinen Mund zu einem herablassenden Lächeln, die anderen Slytherins begannen zu kichern. Aber McDougal bemerkte es nicht, fühlte sich durch Dracos falsches Lächeln nur noch bestärkt und lehnte sich nach unten, um Draco etwas ins Ohr zu flüstern. Ihre Brüste streiften dabei seine Schulter.   In diesem Moment sah Harry rot. Ohne dass es ihm selbst bewusst war, zog er unter dem Tisch seinen Zauberstab und richtete einen Fluch auf McDougal, der seinen Weg perfekt durch die anderen Tische und Mitschüler fand.   Harry erstarrte als er bemerkte, was er gerade getan hatte. McDougal stand da, den Mund in einem stummen Schrei aufgerissen. Ihre weitaufgerissenen Augen waren völlig weiß. Sie bewegte den Kopf ruckartig hin und her, ihre Hände betasteten ihr Gesicht, Mund, Augen, Ohren. Dann griff sie um sich, versuchte sich an irgendetwas festzuhalten, fand aber nichts. Die Slytherins in ihrer Nähe wichen zurück, ein Ausdruck purer Verwirrung in ihren Gesichtern. Vereinzelte Aufschreie lenkten die Aufmerksam der restlichen Schüler und der Lehrer auf sie. Plötzlich war es mucksmäuschenstill in der Halle und alle starrten einfach nur auf das Mädchen, das mit einem Mal all ihrer Sinne beraubt war.   So unauffällig wie möglich blickte sich Harry um, schaute, ob irgendjemand zu ihm sah, ob jemand bemerkt hatte, dass er diesen schwarzen Fluch benutzt hatte. Aber die Augen aller Schüler waren auf den Slytherin-Tisch gerichtet. Vorsichtig schaute Harry zum Lehrertisch. Was würde geschehen, wenn Dumbledore es bemerkt hatte? Aber zu Harrys Erleichterung war der alte Schulleiter genauso auf den Ort des Geschehens fixiert und selbst noch zu geschockt, um nach der Ursache Ausschau zu halten. Bei den anderen Lehrern sah es nicht anders aus. Sie alle starrten auf McDougal.   Nur ein Augenpaar war nicht auf die Szene gerichtet. Severus sah Harry direkt an. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos, auch seine Augen verrieten nicht, was er dachte. Und Harry wusste instinktiv, dass er sich verraten hatte. Innerhalb eines kurzen unbedachten Momentes hatte Harry alle Vorsicht fallen lassen und sein Geheimnis preisgegeben.   Eine ungekannte Angst, wie Harry sie noch nie gespürt hatte, selbst die vielen Male, die er Voldemort als Gegner gegenübergestanden und um sein Leben hatte fürchten müssen, ergriff von ihm Besitz. Was würde jetzt geschehen? Würde Severus ihn verraten oder hielt er sich an seine Worte und blieb Harry treu? Es waren bestimmt nur wenige Sekunden, aber Harry kam es wie eine Ewigkeit vor, bevor Severus ihm ganz leicht zunickte.   Dann stand Severus abrupt auf und zog seinen Zauberstab. Ein roter Lichtblitz schoss auf die panisch umherirrende McDougal zu und warf sie einen Meter nach hinten, bevor sie bewusstlos zusammensackte.   „Alle Slytherins legen sofort ihre Zauberstäbe auf den Tisch.“, dröhnte Severus‘ Stimme durch die Halle.   Eine behandschuhte Hand legte sich auf Severus‘ Schulter. Er drehte sich um und sah in das ernste Gesicht von Dumbledore, der sich wieder aus seiner Erstarrung gelöst hatte.   „Mr. Goldstein, Ms. Patil. Bringen sie bitte Ms. McDougal in den Krankenflügel und erklären Sie Madam Pomfrey, was passiert ist. Professor Snape und ich werden in Kürze folgen.“ Seine Stimme war ruhiger, aber nicht weniger dominant als Severus‘.   Die beiden Vertrauensschüler aus Ravenclaw standen sofort auf und eilten zu ihrer Hauskameradin. Mit einem Zauberspruch ließen sie sie wie auf einer unsichtbaren Bahre aus der großen Halle hinausschweben.   „Severus sammle bitte die Zauberstäbe aller Slytherins ein und gib acht, dass keiner von ihnen die Halle verlässt. Alle anderen Schüler gehen sofort und ohne Umwege in ihre Gemeinschaftsräume. Der Nachmittagsunterricht fällt heute aus.“ Dumbledore drehte sich weg, um den anderen Lehrern Anweisungen zu geben und sah so nicht, wie Severus‘ kurz angewidert das Gesicht verzog.   Harry konnte leider nicht bleiben, um zu sehen, was als nächstes passieren würde. Er durfte keine Aufmerksamkeit erregen, musste aber so schnell wie möglich seinen Zauberstab „reinigen“. Dank Severus‘ schneller Reaktion und den Vorurteilen gegenüber den Slytherins hatte Harry ein bisschen Zeit gewonnen. Wenn sie die Zauberstäbe aller Schüler eingesammelt hätten, hätte er keine Chance gehabt.   Während die Schüler aus der Großen Halle drängten, angeführt von ihren Vertrauensschülern, suchte Harry einen Weg, um sich unbemerkt wegzuschleichen. Er musste unbedingt in den Raum der Wünsche, der einzige Ort, an dem er unbemerkt seinen Zauberstab reinigen konnte.   Als sie im siebten Stock ankamen, nutze Harry seine Chance und versteckte sich hinter einer Statur eines ihm unbekannten Zauberers. Er wartete geduldig, bis alle seine Hauskameraden den Flur verlassen hatten. Die Vertrauensschüler – darunter Weasley und Granger – waren zu sehr mit der Masse beschäftigt, um darauf zu achten, ob einer fehlte. Das würde sich ändern, sobald sie im Gemeinschaftsraum angekommen waren. Harry müsste sich eine gute Ausrede einfallen lassen, warum er nicht da war.   Sobald Harry keine Stimmen mehr hören konnte, zog er seinen Tarnumhang aus seiner Schultasche, warf ihn über sich und rannte los. Seine Schritte hallten leise durch die leeren Flure. Ein paar Zauberer und Hexen in ihren Gemälden suchten die Quelle der Geräusche, gaben aber gleich wieder auf. Zu schnell waren die Schritte wieder verklungen.   Harry erreichte die kahle Mauer gegenüber dem Teppich mit den tanzenden Trollen. Er wartete diesmal nicht, bis Barnabas von den auf ihn einprügelnden Trollen abgelenkt war. Ein leichter Schockzauber ließ ihn quer durch den Teppich fliegen genau gegen einen der Trolle. Barnabas prallte von dem haarigen Rücken ab und blieb bewusstlos liegen.   Harry warteten nicht, um zu sehen, wie die Trolle reagierten. Er riss sich seinen Tarnumhang vom Kopf und ging schnell drei Mal vor der Wand hin und her. ‚Ich brauche einen Ort, wo ich meinen Zauberstab reinigen kann. Ich brauche einen Ort, wo ich meinen Zauberstab reinigen kann. Ich brauche einen Ort, wo ich meinen Zauberstab reinigen kann.‘   Eine einfache Holztür erschien von ihm. Ohne nachzudenken, riss er sie auf und stürmte hinein.   Harry stockte der Atem. Vor ihm erstreckte sich ein riesiger Raum. Er war fast hoch wie das Schoss selbst. Riesige Fester mit Buntglas ließen die Sonnenstrahlen in den Raum und tauchten ihn in ein diffuses Licht. Der Anblick erinnerte Harry an Kathedralen der Muggelwelt, die er im Fernsehen bei den Dursleys zu seltenen Gelegenheiten hatte sehen können.   Das Innere der Kathedrale war wie eine eigene kleine Stadt aufgebaut, mit Mauern und Gebäuden, zu denen man durch verschlungene Gassen und Wege kam. Egal, wo man hinsah, überall waren die verschiedensten Gegenstände aufgestapelt. Es gab Berge von Büchern auf alten klapprigen Tischen, Türme aus kaputten Gegenständen, zahllose Objekte schwebten über sie hinweg.   Harry entschied sich für eine Richtung und lief los. Er musste aufpassen, dass er nicht mit irgendetwas in Berührung kam. Aus einer zerbrochenen Flasche tropfte eine dickflüssige stinkende Masse, die langsam ein Loch in den Stein einer Mauer fraß. Ein Käfig mit einem merkwürdigen dreibeinigen Wesen war von einem Sockel gefallen. Harry hatte so etwas noch nie gesehen. Es hatte mit Blut verkrustete Federn und es sah aus, als wäre es schon seit Jahren tot, aber der kleine Körper hob und senkte sich, als würde es immer noch atmen. Er sah Schalen von Dracheneiern, Spitzhüte, Umhänge, noch mehr Phiolen mit Reste von Zaubertränken, die ungesund schimmerten. Abertausende Bücher lagen hier herum. Bei einigen konnte Harry den Zauber der verbotenen Abteilung spüren.   Ein kaputter Rennbesen sauste plötzlich haarscharf an Harrys Kopf vorbei und prallte dann in ein Fenster eines kleinen aus Backsteinen gefertigten Hauses. Das Glas splitterte, fiel aber nicht zu Boden. Als Harry näherkam, sah er, dass das Innere des Hausen mit einer Art rotem Gelee gefüllt war, an dem die Splitter haften blieben. Der Besen vibrierte in seinem Versuch, weiter voran zu kommen und tauchte dabei immer weiter in die glibberige Substanz ein, bis er völlig von ihr verschluckt war.   Harry ging weiter und erschreckte sich fast vor einem ausgestopften Troll. Immer weiter drang er in den Raum vor und wusste bald nicht mehr, wo er genau war. Ein kurzer Blick zurück, verriet ihm, dass er immer noch leicht den Ausgang wiederfinden würde und so lief er weiter, einem unbewussten Drang folgend, als ob etwas ihn zu sich rief. Bei den vielen schwarzmagischen Gegenständen, die er hier herumlagen, müsste er vorsichtig sein, dass er nicht in irgendeine Falle lief.   Er kam an einem großen Schrank vorbei, der ihm merkwürdig bekannt vorkam. Als Harry ihn sich genauer ansah, bemerkte er, dass es sich um das Verschwindekabinett handelte, das bis letztes Jahr noch in der ersten Etage des Schlossen gestanden hatte und das die Weasley-Zwillinge benutzt hatten, um Montague für mehrere Stunden verschwinden zu lassen. Ihm war gar nicht ausgefallen, dass es nicht mehr an seinem Platz stand. Wer hatte es hierher gebracht? Und warum?   Harry riss sich von dem Schrank los. Er hatte jetzt keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Außerdem war es nicht wichtig. Irgendein Schüler wird heimlich daran rumgespielt haben und wollte seine Tat vertuschen, in dem er den Schrank einfach verschwinden ließ. Die gleiche Geschichte wie zweifellos bei unzähligen anderen Objekten in diesem Raum.   Bereits nach ein paar weiteren Metern blieb Harry erneut stehen. Der Drang weiterzulaufen, hatte aufgehört. Harry sah sich um, fand aber nichts, was die Ursache hätte sein können. Ihm gegenüber stand ein weiterer großer Schrank. Die Oberfläche warf Blasen und sah aus, als hätte jemand Säure darüber gekippt. Er öffnete die Tür. Die Scharniere hatten sich verzogen und Harry musste ein bisschen mehr Kraft aufwenden, bis sie sich knarrend öffneten. Im Innern war ein ähnlicher Käfig wie der, den am Anfang gesehen hatte. Von dem Tier selbst war nur noch das fünfbeinige Skelett übrig.   Harry schlug die Tür wieder zu und drehte sich um. Auch hier fand er nichts Außergewöhnliches. Eine Büste eines alten Zauberers stand herum und schien grimmig auf Harry hinabzusehen. Daneben lag eine alte verstaubte Perücke. Harry ließ es sich nicht nehmen und setzte sie der Büste auf dem Kopf. Irgendwie ließ es die Büste noch grimmiger aussehen. Ansonsten befand sich hier nur noch ein angelaufenes Diadem auf einem alten blauen Samtkissen. Von keinem dieser Gegenstände ging irgendetwas aus, was dieses merkwürdige Gefühl erklären konnte, was Harry gehabt hatte.   Er zuckte mit den Schultern. ‚Vielleicht habe ich es mir nur eingebildet.‘   Harry zog seinen Zauberstab. Dieser Ort war so gut wie jeder andere, um ihn zu reinigen. Er holte tief Luft und versuchte sich zu erinnern, welche Zauber er seit gestern benutzt hatte.   Nach ein paar Minuten war Harry fertig und er fühlte sich ein weinig erleichtert. Priori Incantatem zeigte die letzten Zaubersprüche eines Zauberstabs in umgekehrter Reihenfolge. Aber wie viele Zauber ging der Spruch zurück? Oder wie viele würden sich die Professoren anzeigen lassen? Es war immer noch ein Risiko, aber Harry hoffte, dass es ausreichen würde.   Harry schaute sich noch einmal um. Sein Blick blieb kurz an dem alten Diadem hängen, bevor er sich umdrehte, um schnell den Raum der Wünsche wieder zu verlassen.   Barnabas lag immer noch bewusstlos auf seinem Teppich. Die Trolle hatten sich auf die andere Seite des Teppichs begeben und schlugen auf die Musikinstrumente ein, die bei jedem Schlag einen mitleiderregenden dumpfen Ton von sich gaben.   Harry löste schnell den Zauber von dem bekloppten Zauberer und rannte dann zurück ins Erdgeschoss. Es würde nichts bringen, jetzt in den Gryffindor-Turm zu gehen. Seine Abwesenheit war mit Sicherheit bemerkt worden und er hatte noch keine Ausrede parat. Außerdem musste er wissen, was vorgefallen war.   Das ganze Schloss schien völlig ausgestorben zu sein. Nicht einmal ein Geist begegnete ihm unterwegs. Harry rannte die Treppen hinab, nahm immer zwei Stufen auf einmal, immer darauf bedacht, in keine der Trickstufen zu treten.   Im Erdgeschoss angekommen musste Harry feststellen, dass die große Halle ebenfalls leer war. Sie mussten mit der Überprüfung der Zauberstäbe schon fertig sein. Kurzentschlossen änderte er die Richtung und eilte in den Krankenflügel. Wenn sie mit den Slytherins fertig waren, würden sie sich jetzt um McDougal kümmern.   Als er sich dem Krankensaal näherte, verlangsamte Harry seine Schritte, um so wenig wie möglich Geräusche zu machen. Die Tür zum Saal war verschlossen, aber Harry konnte die Anwesenheit der Professoren spüren. Alle waren um den Körper von McDougal versammelt. Harry nahm an, dass sie immer noch bewusstlos war. Er wollte wissen, was darin vor sich ging, aber er konnte nicht riskieren, die Tür zu öffnen und auch die Langziehohren konnte er nicht rufen. Sie würden niemals unbemerkt durch einen vollen Gemeinschaftsraum hindurchfliegen. Weasley und Granger würden sofort wissen, dass er sie gerufen hatte. Also müsste er abwarten, bis jemand die Türen öffnete und dann versuchen, unbemerkt hineinzuschlüpfen.   Harry musste nicht lange warten. Pomfrey hatte sich durch die Lehrer geschoben und beugte sich über McDougal. Wahrscheinlich gab sie ihr irgendeinen Zaubertrank. Harry wusste nicht, wie man seinen Fluch umkehren konnte. Ihm war egal, ob man das Mädchen heilen konnte. Er hätte zwar nicht so seine Beherrschung verlieren sollen, aber sie tat ihm nicht leid.   Kurz danach öffnete Professor Flitwick begleitet von Professor Sprout die Tür.   „… ist ein Krankenzimmer, kein Versammlungsraum.“, hörte Harry Madam Pomfrey rufen, bevor sie sich wieder dem Mädchen zuwandte.   „Wir sollten in unsere Häuser gehen und sehen, was die Schüler machen. Sie werden sehr beunruhigt sein, nach der ganzen Aufregung.“, meinte Flitwick zu Sprout.   Sprout nickte zustimmend. „Wir sollten die Zauberstäbe aller Schüler kontrollieren. Wenn es keiner von den Slytherins war, muss es einer von unseren Schülern gewesen sein.“   „Da gebe ich dir absolut recht, Pomona.“, antwortete McGonagall. „So ungern ich es zugebe, aber es muss einer von unseren Schützlingen gewesen sein. Wir müssen jeden einzelnen Zauberstab überprüfen.“   Immer mehr Lehrer traten auf den Gang und zustimmendes Gemurmel war zu hören. Harry versteckte sich hinter einer Statur, um nicht ausversehen überrannt zu werden.   „Ich halte das für keine gute Idee.“, warf Slughorn ein.   „Aber Horace!“ McGonagall war völlig schockiert. „Wir müssen doch herausfinden, wer das getan hat. Derjenige muss bestraft werden.“   Slughorn schüttelte den Kopf. „Wer auch immer es war, wird in der Zwischenzeit seinen Zauberstab gereinigt haben. Wir hätten sofort alle Zauberstäbe einsammeln sollen, anstatt automatisch davon auszugehen, dass es ein Slytherin der Schuldige ist.“   Im Gegensatz zu vielen anderen Lehrern wie Severus und sogar Dumbledore, bevorzugte Slughorn sein früheres Haus nicht – nicht mal als er selbst Hauslehrer gewesen war. Ihm war egal, ob jemand ein Slytherin oder ein Hufflepuff war. Er machte keine Unterschiede zwischen den Häusern. Unterschiede gab es nur, wie nützlich ihm jemand sein konnte.   „Du hast recht, Horace, ein furchtbares Versäumnis.“ Dumbledore war zu ihnen getreten. „Wir werden keine weiteren Zauberstäbe kontrollieren.“   „Aber Albus…“ McGonagall war aufgebracht, wurde aber sofort von Dumbledore unterbrochen.   „Es würde die anderen Schüler nur beunruhigen und doch zu keinem Ergebnis führen. Wir können nur hoffen, dass es ein Versehen gewesen ist und derjenige nicht gewusst hatte, dass er einen schwarzen Fluch benutzten würde.“   „Was ist mit Mr. Potter?“, fragte Severus plötzlich. Seine Stimme hatte die gewohnte überhebliche Kälte, wie Harry sie von früher gewöhnt war. Unwillkürlich musste er sich schütteln.   „Aber Severus. Du glaubst doch nicht wirklich, dass der junge Mr. Potter zu so etwas fähig wäre?“   Harry schaute hinter seiner Statur hervor und war froh, dass Dumbledore mit dem Rücken zu ihm stand. Trotz seines Tarnumhangs war Harry sich nie sicher, ob der alte Zauberer ihn nicht doch sehen konnte. Der kleine Flitwick schaute schockiert zu Severus hoch, wie es nur wagen konnte, Harry zu verdächtigen, so etwas Furchtbaren getan zu haben.   „Aber, aber Filius.“, mischte sich Dumbledore ein, „Ich bin mir sicher, dass Severus unseren Harry damit nicht beschuldigen wollte. Nicht wahr, Severus?“   Severus sah mit einem arroganten Ausdruck auf den kleinen Lehrer herab. „Natürlich wollte ich nicht die Unschuld von Mr. Potter in Frage stellen. Ich wollte lediglich zu bedenken geben, dass um ihn herum in letzter Zeit ebenfalls einige Flüche ausgesprochen worden sind. Es steht außer Frage, dass er nicht dafür verantwortlich ist, dafür gibt es genug Zeugen, aber vielleicht stehen diese Vorfälle miteinander im Zusammenhang?“ Er drehte sich zu McGonagall. „Anstatt Panik zu verbreiten und sinnlos Zeit zu verschwenden, um Zauberstäbe zu kontrollieren, sollten wir eher überlegen, wie wir unsere Schüler vor weiteren Angriffen schützen können.“   McGonagall sah verärgert zu Severus und wollte gerade etwas erwidern, aber Dumbledore kam ihr zuvor.   „Richtig, richtig, Severus. Ich möchte wirklich davon ausgehen, dass es sich nur um ein Versehen gehandelt hat, aber wir sollten in Zukunft genauer auf die Schüler achten, ob sich einer oder mehrere von ihnen merkwürdig verhalten. Das gilt vor allem für die Hauslehrer.“   Severus nickte dem Schulleiter leicht zu und ging dann ein Stück zurück.   McGonagall sah nicht zufrieden aus. „Und was sagen wir den Schülern?“, fragte sie bissig. „Sollen wir ihnen erklären, dass wir die Sache nicht weiter untersuchen werden? Dass möglicherweise ein gefährlicher Zauberer oder Hexe unschuldige Schüler verflucht? Wir wissen noch nicht einmal, wie wir Ms. McDougal heilen können. Alles was wir konnten, ist sie ruhig zu stellen.“   „Minerva, bitte beruhige dich. Es bringt nichts, den Schülern unnötig Angst zu machen. Wir sagen ihnen, dass es sich um einen Unfall gehandelt hat – was, soweit wir wissen, auch der Wahrheit entspricht – und betonen auch noch mal, dass es keiner von den Slytherins war. Das sollte genügen, um sie zu beruhigen.“   McGonagall presste ihre Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Sie war damit nicht einverstanden, aber das zustimmende Gemurmel der anderen Lehrer ließ sie verstummen.   „Dann wäre das geklärt. Die Hauslehrer gehen jetzt bitte in ihre Häuser und beruhigen die Kinder. Severus! Wenn du fertig bist, komm bitte sofort wieder in die Krankenstation. Ich werde hier auf dich warten. Wir müssen so schnell wie möglich den Gegenfluch finden. Und falls irgendjemandem auffällt, dass sich ein Schüler ungewöhnlich verhält, dann erstattet mir sofort Bericht.“   Dumbledore drehte sich um und ging zurück ins Krankenzimmer. Harry versteckte sich schnell wieder hinter der Statur und wartete bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte.   Langsam löste sich die Menschenmenge auf. Die Lehrer diskutierten über die Geschehnisse und Dumbledores Entscheidung. So wie Harry es verstand, waren alle der gleichen Meinung wie der Schulleiter, außer McGonagall.   Firenze hatte dabei die ganze Zeit im Hintergrund gestanden und kein Wort dazu gesagt. Auch jetzt beteiligte er sich nicht an den Diskussionen. Einmal mehr fragte Harry sich, ob er die Wahrheit nicht schon längst kannte. Aber solange er sich an seinen Eid hielt, die Zukunft für sich behielt und sie nicht versuchte zu beeinflussen, war es Harry egal.   Nachdem der Gang wieder fast leer war, wagte Harry sich aus seinem Versteck und schlich an den übrigen Lehrern vorbei. Er müsste sich beeilen, um vor McGonagall in den Gemeinschaftsraum zu gelangen. Zum Glück kannte er genug Geheimgänge.   Severus hatte abschließend dafür gesorgt, dass es keine weiteren Zauberstabuntersuchungen geben würde, auch wenn Harry dadurch mehr in den Fokus der Lehrer gerutscht war. Ein kleines Übel, das er gerne in Kauf nahm. Er würde sich eine Weile bedeckt halten müssen. Sicherheitshalber sollten vielleicht auch die Trainingsstunden mit den Slytherins ausfallen. Das würde er in den nächsten Tagen mit Draco besprechen.   Den anderen Gryffindors würde er erzählen, dass er sich zum Krankenflügel geschlichen hätte, um rauszufinden, was mit McDougal passiert ist. Er könnte ein paar Details preisgeben, die McGonagall ihnen nicht erzählen durfte. Granger würde ihn eine Strafpredigt halten, aber seine Abwesenheit nicht weiter hinterfragen, genauso wie der Rest der Gryffindors. Sie alle kannte ihn als jemanden, der gerne und oft die Regeln brach. Alles hing davon ab, dass er vor der alten McGonagall im Gryffindor-Turm ankam.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Professor McGonagall ging langsam die Treppe hinauf. Professor Flitwick begleitete sie ein Stück, bevor sich ihre Wege zu ihren Häusern trennen würden. Obwohl der kleine Professor viel älter war als sie, schienen ihm die vielen Stufen weniger Probleme zu bereiten. Sie selbst spürte ihre 61 Jahre gerade als wären es 161 und jeder Schritt fiel ihr schwer.   Nach einem weiteren Treppenabsatz verabschiedete sich ihr Kollege und eilte den Flur entlang zu einem weiteren Treppenlabyrinth. Ihre Augenlider wurden immer schwerer je weiter sie den Turm erklomm, der ihr Haus beherbergte. Vor einem riesigen Fenster blieb sie stehen, um wieder zu Atem zu kommen und kurz ihre müden Muskeln zu entspannen.   Auf einmal verdunkelte sich die Stelle und vor Schreck entschlüpfte ihr ein kleiner Schrei, der durch die leeren Flure hallte, um dann einsam und ungehört zu verklingen. Sie sah aus dem Fester und erkannte eine Schar Raben, die den Turm entlang nach oben flogen und dabei für einen kurzen Moment das komplette Fenster bedeckten, sodass kein Lichtstrahl hindurchdringen konnte.   Es dauerte nur zwei Sekunden, aber das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie blickte aus dem Fester und sah, wie die Raben zum Verbotenen Wald flogen und sich in dem Geäst der alten Bäume niederließen.   Nachdem sie ihre Fassung wiedergewonnen hatte, setzte McGonagall ihren einsamen Weg fort. Kapitel 28: Rache ist eklig --------------------------- Harry hatte es geschafft und war vor McGonagall im Gryffindor-Turm angekommen. Granger hatte ihn sofort mit Fragen bombardiert und es dauerte nicht lange, bis er die komplette Aufmerksamkeit seines Hauses hatte. Es war gerade genug Zeit, um die wichtigsten Details zu erzählen, bis McGonagall durch das Portraitloch geklettert kam.   Hocherhobenen Hauptes stand die Hexe vor ihren Schülern und versuchte, Autorität und Glaubwürdigkeit auszustrahlen. Sie vermittelte überzeugt die Lüge, die Dumbledore ihr zu erzählen beauftragt hatte, versicherte immer wieder, dass es keinen Grund zur Beunruhigung gab und nährte dadurch unwissentlich das Misstrauen, welches Harry eben gesät hatte.   Harry beobachtete mit einem gewissen Grad an Genugtuung, wie sich seine Mitschüler gegenseitig skeptisch anschauten. Sie glaubten ihm, darin bestand keinerlei Zweifel, aber nun mussten sie entscheiden, wie sie mit den Fehlinformationen von Dumbledore und McGonagall umgehen sollten.   „Sie hat nicht gelogen.“, rief Granger laut durch die hitzig diskutierende Menge, kurz nachdem McGonagall den Gemeinschaftsraum wieder verlassen hatte.   „Natürlich hat sie das!“, entgegnete ein Junge aus dem vierten Jahrgang, dessen Namen Harry nicht kannte. „Ein Unfall? Man benutzt die Dunklen Künste nicht ausversehen. Und das ist auch nicht das, was McGonagall glaubt. Du hast doch Harry gehört.“   „Und ich glaube auch nicht, dass es kein Slytherin gewesen ist. Wer soll sonst sowas tun?“, fragte Colin Creevey.   „Ich wette, es ist Malfoy gewesen. McDougal stand doch direkt vor ihm.“ Harry wunderte sich nicht, dass diese Aussage von Weasley kam.   „Ron!“ Granger drehte sie zu ihrem Freund um und funkelte ihn mit wildem Blick an. „Erstens hat Professor McGonagall gesagt, dass es kein gewesen Slytherin ist – und das hat uns Harry auch so erzählt“, sie wurde etwas lauter, damit auch wirklich alle im Raum sie verstanden, „und zweitens hatte Malfoy keinen Zauberstab in der Hand. Er sah genauso erschrocken aus wie alle anderen.“   McLaggen lachte abfällig. „Du bist so naiv. Glaubst du wirklich, dass der sich nicht verstellen kann? Malfoy stolziert den ganzen Tag durch das Schloss als würde ihn dieser verfluchte Ort gehören. Er hält sich für was Besseres, obwohl sein Vater als Todesser enttarnt worden ist und nach Askaban gebracht wurde. Es ist ein Wunder, dass Malfoy sich überhaupt noch hierher traut. Er denkt, dass er mit allem durchkommt. Wenn er’s nicht gewesen ist, dann war es einer seiner kleinen Speichellecker.“   Granger sah McLaggen wütend an. „Aber dann hätten die Lehrer beim Kontrollieren der Zauberstäbe etwas finden müssen.“   „Tsk! Als ob die Schlangen nicht wüssten, wie sie ihre Taten verschleiern können. Wahrscheinlich haben sie irgendeinen anderen Zauberstab benutzt und ihn schnell verschwinden lassen. Das ist genau das, was Malfoy tun würde.“ Weasley sah seine Freundin herausfordernd an.   „Was ist dein Problem?“, fragte Granger mit einer Mischung aus Verwirrung und Ärger in ihrer Stimme. „Warum denkst du bei allem, was passiert immer sofort an Malfoy, selbst wenn eindeutig bewiesen ist, dass er es nicht war? Er hatte keinen Zauberstab in der Hand als es passiert ist, weder seinen noch einen anderen.“   „Und woher willst du das wissen? Ich bezweifle doch, dass du als erstes auf Malfoys Hände geschaut hast. Oder hattest du ihn etwa schon die ganze Zeit beobachtet?“, mischte sich Brown mit ein. Ihre dunkelbraunen Augen blickten eiskalt zu Granger. Harry konnte die Genugtuung in ihnen sehen, als sie ihre Chance ergriff, einen Keil in Grangers und Weasleys Beziehung zu treiben.   Und Weasley sprang sofort darauf an. „Ja, wie kommt es, dass du ihn immer sofort verteidigst? Stehst du etwa auf diese widerliche Schlange?“ Sein Gesicht lief puterrot an.   „Wie kommst du denn nur auf sowas?“ Granger starrte ihn mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen an.   So sehr Harry es auch genoss, seine ehemaligen besten Freunde streiten zu sehen mit diesem Ausdruck völligen Unglaubens und leichter Verzweiflung in Grangers Blick, ging dieses Gespräch doch langsam in eine Richtung, mit der nicht zufrieden war. Nicht nur weil zu viel Aufmerksamkeit auf Draco lag, er konnte es jetzt nicht gebrauchen, wenn die beiden sich darüber trennen würden. Wenn sie nicht mehr miteinander so viel beschäftigt wären, würde ihnen einfallen, dass es ihn auch noch gab und seine ganze Zeit in Anspruch nehmen.   „Das reicht jetzt.“ Leise aber bestimmt kam Harrys Stimme von der Treppe, die zu den Schlafräumen führte, wo er sich eben zurückgezogen hatte. Alle drehten sich zu ihm um, außer Granger und Weasley, die sich weiterhin wütend anstarrten. Harry seufzte. „Es kann kein Slytherin gewesen sein. Wir alle – die ganze Schule, inklusive der Lehrer – haben zu ihrem Tisch gesehen. Irgendjemandem wäre es aufgefallen, wenn der Zauber von dort gekommen wäre. Der Grund, warum der wahre Schuldige nicht ermittelt werden kann, ist genau dieses Vorurteilsdenken, das ihr gerade an den Tag legt. Snape und Dumbledore sind ebenfalls automatisch davon ausgegangen, dass es ein Slytherin gewesen ist. Deswegen ist es nun unmöglich herauszufinden, wer es wirklich getan hat. Wollen wir wirklich diesem schlechten Vorbild folgen?“ Er schaute jetzt direkt zu Granger und Weasley, die sich nun auch endlich zu ihm umgedreht hatten. „Und uns deswegen streiten?“   Schuldbewusst schaute ihm die Menge entgegen. Harry war fasziniert, wie leicht sie ihm glaubten und ihm folgten. In der Vergangenheit hatte er immer Probleme gehabt, sich Gehör zu verschaffen. Er hatte immer die Hilfe von Granger gebraucht. Und jetzt, da er gegen sie arbeitete, sie belog und hinterging, hingen sie an seinen Lippen und sahen zu ihm auf, wie der Anführer, der er hätte sein sollen.   Selbst Granger. Sie blickte zu ihm hinauf, ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen und sie schien beinahe ein bisschen stolz auf ihn zu sein. Harry nickte ihr kurz zu und bemühte sich, ihr Lächeln zu erwidern. War sie ihm jetzt nicht mehr böse? Von ihren Stimmungsschwankungen konnte man seekrank werden.   Die Zeit bis zum Abendessen verging schnell. Die Gryffindors nutzten den freien Nachmittag, um zu faulenzen und Zauberschnippschnapp zu spielen. Nur wenige nutzten die zusätzliche Zeit zum Lernen. Es waren klägliche Versuche, sich abzulenken. Die Diskussionen waren nach Harrys kurzer Ansprache verstummt, aber der Gedanke, dass, wenn es kein Slytherin gewesen war, der Schuldige einer aus den anderen Häusern gewesen sein musste, hing über ihnen wie ein dunkler Schatten. Kleiner glaubte, dass die Anwendung des schwarzmagischen Fluchs ein Versehen gewesen war.   Die Stimmung beim Abendessen war angespannt. Kaum jemand schien sich unterhalten zu wollen und die Schüler beäugten sich misstrauisch. Es war nicht das erste Mal, das dunkle Künste das Schloss in Schrecken versetzt hatte und seine Schüler unruhig und übervorsichtig werden ließ. Der Erbe Slytherins hatte in Harrys zweitem Schuljahr fast genau die gleiche Stimmung hervorgerufen. Aber damals waren die möglichen Schuldigen leichter einzugrenzen. Entweder war es einer der Slytherins gewesen oder er – Harry – der alle mit Hilfe eines Monsters, das im Inneren des Schlosses durch Salazar Slytherin höchstpersönlich versteckt worden war, Schlammblüter in Stein verwandelte. Dieses Mal konnte es jeder sein – mit Ausnahme der Slytherins natürlich.   Die Schlangen schienen die einzigen zu sein, die das nicht interessierte. Ihre Unschuld in diesem Fall war eindeutig bewiesen und sie genossen die Spannung zwischen den anderen Häusern und nutzten jede Gelegenheit, um sie weiter anzustacheln.   Harry hätte sich gewünscht, dass er sich dem ganzen Theater hätte entziehen können, aber er hatte keine Chance. Seitdem er den Fluch ausgesprochen hatte, wurde er beäugt wie ein rohes Stück Fleisch umgeben von verhungernden Thestralen. Sogar während ihres Quidditch-Training saß Madam Hooch auf einem der Ränke und gab vor, ihre Fortschritte beobachten zu wollen und gegebenenfalls ein paar Tipps zu geben. Nachdem Harry und sein Team sie ganze fünf Minuten mit ausdruckslosen Gesicherten angestarrt hatten, gab sie zu, sie zu ihrem Schutz zu überwachen. Aber Harry konnte ihre Augen häufiger auf sich spüren als auf allen anderen… zusammen.   Aber nicht nur beim Training wurde Harry so genau beobachtet, sondern auch im Unterricht und beim Essen. Die einzige Ausnahme war Verteidigung gegen die Dunklen Künste. Severus schien etwas Mitleid mit ihm zu haben und ließ ihn weitestgehend in Ruhe. Natürlich nur so viel, dass es nicht auffällig wurde. Und das eine Nachsitzen, weil er angeblich einen Stück Pergament verhext hatte, um heimlich Nachrichten auszutauschen. Wenigstens hatte er keine Punkte abgezogen bekommen.   Harry war nicht sonderlich überrascht gewesen, als eine halbe Stunde nachdem er sein Nachsitzen bei Severus angetreten hatte, Filch mit einem halb genervt, halb belustigt aussehenden Slytherin am Kragen gepackt in das Büro des Hauslehrers gestürmt kam. Draco hatte versucht, Mrs. Norris zu verhexen, wurde aber noch rechtzeitig vom Hausmeister daran gehindert und in dem guten Glauben, dass dieser furchtbare Junge bestraft würde, zu Severus gebracht.   Severus allerdings rief Dobby – der kleine Hauself war völlig begeistert, einem Freund von Harry Potter dienlich zu sein – und bestellte drei Gläser Kürbissaft. Sie bekamen zwei Krüge und einen Teller mit Mini-Kürbispasteten. Sie machten es sich vor dem Kamin gemütlich und diskutierten, wie es weitergehen würde.   Draco würde für die nächsten Male die Leitung der Trainingsstunden mit den Babytodessern übernehmen, da Harry sich bedeckt halten musste. Der Slytherin war sehr unzufrieden mit der Lösung, sah aber ein, dass es notwendig war.   Es ließ sich nicht vermeiden, dass sie auf den Fluch und McDougal zu sprechen kamen. Draco glaubte, dass es eine Ravenclaw gewesen war, die sich in ihrem Streben nach Wissen nicht von irgendwelchen dummen Regel einschränken lassen wollte.   „Und sie ist offensichtlich unsterblich in mich verliebt.“, sagte er mit einem süffisanten Grinsen.   Harry blieb bei diesen Worten beinahe ein Stück Kürbispastete im Hals stecken und bewunderte sich selbst, dass er es schaffte, nicht eine Miene zu verziehen. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Severus, der lediglich mit einem ungläubigen Blick Draco anschaute.   Draco ließ sich mit einer Mischung aus Unzufriedenheit und Resignation in seinen Sessel zurückfallen. Bevor Harry fragen konnte, was los sei, hatte er wieder seine kalte Maske aufgesetzt und meinte, dass sie die Augen offenhalten sollten. Wenn sich wirklich jemand aus den anderen Häusern für die Dunklen Künste interessierte und sich möglicherweise auch noch ihrer Sache anschließen, könnte das von Vorteil sein.   Die nächsten Tage verliefen ruhig. Zumindest für Harry. Um sicher zu gehen, dass man ihm nicht doch auf die Schliche kam, verzichtete er auf seine nächtlichen Ausflüge in die Verbotene Abteilung der Bibliothek. Die Trainingsstunden hatte er abgegeben und so verbrachte er seine Tage mit den anderen Gryffindors, lernen für den Unterricht und gelegentlich Quidditch-Training. Er ging abends zeitig ins Bett und bekam seit langem mal wieder genügend Schlaf. Es war sterbenslangweilig.   Harry musste mit Erschrecken feststellen, wie sehr er sich an sein neues Leben gewöhnt hatte. Er mochte es. Er mochte es sehr. Er hatte sich nie wohler und nie zugehöriger gefühlt. Bis vor kurzem hatte er angenommen, dass die Weasleys eine Art Ersatzfamilie für ihn wären, aber wenn er sich jetzt überlegte, wo er lieber seine Zeit verbringen wollte, dann kam ihm automatisch Draco, Severus und sogar Malfoy und Voldemort in den Sinn.   Nicht, dass er sie wirklich als Familie sehen würde, aber er fühlte sich mehr akzeptiert und erstgenommen, als es bei den Weasleys und den anderen Mitgliedern des Ordens des Phönix‘ der Fall gewesen war. Man fragte ihn nach seiner Meinung, gab ihm Verantwortung und schloss ihn nicht aus. Ironischer Weise war Harry sich sicher, dass er Voldemort mehr vertrauen konnte als Dumbledore.   „Was glaubst du eigentlich, wer du bist?“   Aus seinen Gedanken gerissen, schaute Harry zum Ravenclaw-Tisch, von dem aus der Ausruf gekommen war. Es war Freitagabend, zwei Wochen waren seit Harrys und Dracos Kuss vergangen, anderthalb Wochen seit dem schwarzen Fluch, den Harry in einem Moment der Schwäche gegen McDougal eingesetzt hatte. Das ganze Schloss war zum Abendessen in der Großen Halle versammelt, mit Ausnahme von ihrem Schulleiter, der zum wiederholten Male in diesem Schuljahr fehlte.   Es war also kein seltener Anblick, den leeren Stuhl in der Mitte des Lehrertischs zu sehen. Viel seltener und deswegen viel spannender waren zwei Ravenclaw-Mädchen, die sich vor allen anderen Schülern lauthals zankten. Was es für Harry allerdings richtig interessant machte, war, welche Mädchen die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Chang und Turpin.   Seit dem kleinen Streit, den Harry zwischen den beiden provoziert hatte, als er Turpin um ein Date gebeten hatte, hatte ihre Freundschaft sich nicht wieder erholt. Sie waren sich aus dem Weg gegangen und wenn das nicht möglich war, hatten sie sich ignoriert. Harry wusste nicht, was diesen plötzlichen Streit verursacht hatte und konnte auch nicht herausbekommen, worum es ging. Sie beleidigten sich gegenseitig – den eigentlichen Grund bestimmt schon selbst vergessen – und man musste es wohl als Wunder bezeichnen, dass noch kein Zauberstab gezogen wurde.   In der Zwischenzeit hatten sie die komplette Aufmerksamkeit der gesamten Halle. Der Moment war perfekt. Harry hatte es schon fast vergessen, so viel war in den letzten Wochen passiert und es hatte auch nie eine passende Gelegenheit gegeben, um den kleinen Plan, den Draco und er ausgetüftelt hatten, umzusetzen.   Nun stand Chang da, stritt mit ihrer ehemaligen Freundin und Harry konnte nichts tun, weil er von den Professoren genauso beäugt wurde wie die beiden Mädchen. Er biss die Zähne zusammen und seine rechte Hand zuckte. Es war zu verführerisch. Wie leicht wäre es, jetzt seinen Zauberstab zu ziehen und den unsichtbaren Zauber benutzen, der Changs Leben für immer verändern würde.   „Du kleines Miststück.“   Wieder war es Changs Stimme, die Harry aus seiner Trance riss. Er verdrängte seine Rachegelüste und konzentrierte sich wieder auf die Szene vor ihm. Wenn er sie schon nicht verfluchen konnte, konnte er zumindest die Show genießen.   Chang war gerade dabei ihren Zauberstab zu ziehen. Marcus Belby, ein sonst eher zurückhaltender und leicht einzuschüchternder Junge aus dem gleichen Jahrgang, griff nach ihrem Handgelenk. Die Reaktion kam sofort. Fasziniert beobachtete Harry wie Belby fast sofort, nachdem er Chang berührt hatte, sie wieder losließ. Sein zunächst verwirrter Gesichtsausdruck verwandelte sich langsam in pure Abscheu.   Harry war total aufgeregt. Das konnte doch nicht sein. Das war bestimmt nur Zufall. Aber schon kurz danach wurde seine Vermutung zur Gewissheit. Belby ging ein paar Schritte zurück und wäre fast über eine Zweitklässlerin gestolpert, die sich neugierig näher zu den beiden streitenden Mädchen herangeschlichen hatte.   Chang, verwirrt von dem merkwürdigen verhalten ihres Klassenkameraden, drehte sich zu ihm um.   Turpin nutzte den Moment und wollte ihr ihren Zauberstab aus der Hand nehmen. Sie langte nach vorn und streifte dabei Changs Finger. Ihr Gesicht verzog sich angewidert – ein Anblick, den Harry nur zu gut kannte – und sie ließ den fremden Zauberstab aus ihren Fingern gleiten. Für einen Moment konnte man Panik in ihren Augen sehen und sie strauchelte zurück. Zwei ihrer Mitschüler hielten sie fest, damit sie nicht hinfiel. Ängstlich drehte sie sich zu den beiden um. Nach ein paar Sekunden atmete sich erleichtert auf und bedankte sich leise.   Währenddessen stand Chang da, schaute wütend zu Turpin, bevor sie ihren Zauberstab aufhob und mit hocherhobenen Haupt die Halle verließ. Es dauerte nicht lange und schon war wieder alles beim alten. Turpin zitterte leicht, aber die beruhigende Hand und ein aufmunterndes Lächeln einer Freundin, ließ sich bald wieder beruhigen.   Alle widmeten sich wieder ihrem Essen zu, maßen dem kleinen Streit keine allzu große Bedeutung bei.   Harry schaute über all die Tische hinweg und schaute direkt in Dracos Augen, der mit einem zufriedenen Grinsen zurückschaute. Ein wohliger Schauer kroch Harrys Rücken hinauf. Chang hatte noch keine Ahnung, was gerade passiert war. Sicher hatte sich nicht mal bemerkt, dass sie eben verflucht worden war. Aber es würde nicht lange dauern, bis sie begriff, dass sie niemals wieder von irgendjemanden angefasst werden konnte, ohne dass der sich augenblicklich vor ihr ekelte. Und das Beste war, es gab keinen Gegenfluch.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Harry war ein nervliches Wrack.   Es war Samstag und Draco wurde am Morgen von seinem Vater zu seinem vierwöchentlichen Treffen mit Voldemort abgeholt. Harry wusste nicht, was er erwarten sollte. Sie hatten nie darüber gesprochen, was Draco von den Ereignissen der letzten Wochen erzählen würde und was nicht. Und es hätte auch gar keinen Sinn gemacht. Voldemort würde ohnehin in seinen Geist eindringen und jede noch so winzige Information aus seinem Bewusstsein abzapfen. Der Kuss, der Fluch. Würde Voldemort die richtigen Schlüsse ziehen? Oder war Harrys kleiner Okklumentiktrick ausreichend gewesen, dass Voldemort niemals auf die Idee kommen würde, dass es eine andere Wahrheit gab?   Zu Harrys Glück und dem Unglück seiner Mitschüler kam ihnen Severus entgegen als sie gerade nach dem Mittagessen aus der Großen Halle kamen und zurück in ihrem Turm wollten. Er hatte ihnen vorgeworfen, dass sie in den Fluren rennen würden und ihnen jeden 5 Punkte abgezogen. Harry hatte sie verteidigen wollen und wurde prompt zu Strafarbeiten verdonnert, beginnend sofort.   Mit wutverzerrtem Gesicht war Harry Severus in dessen Büro gefolgt. Nachdem die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, ließ Harry sich auf dem Boden gleiten. Den Kopf in den Nacken an das alte Holz gelehnt, starrte er an die Decke. Seine Schultern sackten nach unten und die Anspannung verließ langsam seinen Körper.   Severus starrte einen Moment nachdenklich auf ihn herab, bevor er sich kurzentschlossen umdrehte und in eine Kammer verschwand. Etwas klirrte und schepperte und ein genervtes Grollen war aus dem Raum zu hören. Ein leises Summen verriet, dass das, was auch immer kaputt gegangen war, wieder repariert und an Ort und Stelle gebracht wurde.   Die Geräusche erregten Harrys Aufmerksamkeit. Neugierig schaute er nach vorn und versuchte, etwas in der Dunkelheit des angrenzenden Raumes auszumachen. Mehr als Severus‘ Schatten konnte er aber nicht erkennen.   Kurze Zeit später kam Severus wieder heraus, eine Flasche Feuerwhisky und zwei kunstvoll geschliffene Gläser mit jeweils zwei Eiswürfel in der Hand. Harry zog seine Augenbrauen nach oben und sah ihn fragend an.   Severus stand unschlüssig vor ihm. Sein Blick huschte zwischen dem auf dem harten Steinboden sitzenden Harry und seinen bequemen Sesseln hin und her. Nach kurzer Überlegung zuckte er mit den Schultern und ließ sich neben Harry auf den Boden gleiten. Er zischte kurz wegen der Kälte seiner neuen Sitzgelegenheit. Schnell sprach er einen Polsterungs- und einen Wärmezauber für sich und Harry, bevor er Harry einen kleinen und sich einen großzügigen Schluck Feuerwhisky einschenkte.   „Ich hatte nicht erwartet, dass du mich zum Trinken einlädst.“ Harry nahm das Glas und bewunderte wie sich das Kerzenlicht durch die dunkle klare Flüssigkeit und dem einzigartigen Schliff brach. ‚Wie geschmolzener Bernstein.‘ Kleine Dampfwolken stiegen auf wie der Rauch, den Drachen aus ihren Nüstern stießen, spielten dem Gehirn einen Streich, dass man sich die Finger verbrennen würde, sobald man das Glas berührte, obwohl die Flüssigkeit selbst eisgekühlt war.   „Extreme Situationen erfordern extreme Maßnahmen.“, erwiderte Severus trocken.   Harry lächelte stumm vor sich hin und nahm einen Schluck. Die Eiswürfel klirrten und Harry konnte ihren kühlen Hauch an seinen Lippen fühlen, während der Feuerwhisky brennend seine Kehle hinabglitt. Er versuchte nicht zu husten, versagte aber kläglich. Severus nahm ihm schnell das Glas ab und beobachtete belustigt, wie Harry kleine Rauchschwaden abhustete.   Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, sah Harry grinsend zu Severus. Der Feuerwhisky hatte ihn eindeutig wieder belebt und er fühlte sich… mutiger…, aber sein Lieblingsgetränk würde es ganz sicher nicht werden. „Ich glaube nicht, dass meine Mutter erfreut darüber sein würde, dass du ihrem minderjährigen Sohn Feuerwhisky zu trinken gibst.“   Severus stellte sich vor, wie Lily vor ihm stand und ihn eine Standpauke hielt, weil er Harry zum Trinken verleitet hatte. „Nein, das würde sie ganz sicher nicht.“ Er sah mit einem ernsthaften Gesichtsausdruck zu Harry, bis beide sich nicht mehr zurückhalten konnten und laut lachten.   Harry nahm sein Glas wieder zurück. Er war festentschlossen, es vollständig zu leeren.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Ein Nachteil, wenn man schon mittags mit dem Trinken begann? Man hatte viel länger dieses Brennen im Hals und den ekligen Geschmack im Mund. Harry konnte nicht verstehen, wie jemand gerne Feuerwhisky trank. Für ihn schmeckte er einfach nur bitter. Er hatte eine Stunde gebraucht, um sein Glas zu leeren. Aber er musste zugeben, dass es seine Vorteile hatte. Er konzentrierte sich mehr auf das Brennen in seinem Hals und den leichten Dusel in seinem Kopf als seine Sorgen. Severus im Gegenzug schien ihn zu genießen und hatte sich schnell ein zweites Glas eingegossen.   Es war bereits später Nachmittag. Die noch fast volle Flasche Feuerwhisky stand vergessen auf den Boden, genauso wie die beiden Gläser. Eine leicht getrübte Pfütze war in beiden zu sehen, die Reste der Eiswürfel, geschmolzen, nachdem der Gefrierzauber seine Wirkung verloren hatte.   Harry und Severus saßen immer noch auf dem Boden. Die Wärme- und Polsterungszauber waren mehrfach erneuert worden. Sie hatten sich erst über Harrys Mutter unterhalten. Aber Harry hatte schnell das Thema gewechselt, nachdem er bemerkt hatte, dass Alkohol und traurige Erinnerungen keine gute Mischung waren. Zaubertrankbrauerei und Verteidigung gegen die Dunklen Künste bzw. Dunkle Künste selbst waren viel passendere Themen. Aber auch diese Unterhaltung ging immer schleppender voran. Der Alkohol machte ihre Zungen träge und die Lider schwer.   Gerade als Harry einzunicken drohte, erwachte der Kamin zum Leben. Grüne Flammen züngelten wild durcheinander und eine Gestalt trat durch sie hindurch in den Raum. Harry war sofort wieder wach und nahm Draco in Augenschein, suchte nach Anzeichen, dass ihm etwas Schlimmes widerfahren sei.   Aber Draco stand einfach nur da und schaute amüsiert auf die beiden Zauberer, sein Blick huschte zwischen dem schläfrigen Severus und der angebrochenen Flasche Feuerwhisky hin und her.   „Störe ich gerade eine kleine Privatparty?“ Harry musste nicht hinsehen, um das breite Grinsen in Dracos Gesicht zu sehen, man konnte es deutlich in seiner Stimme hören.   Severus brummte irgendetwas vor sich hin, bevor er stöhnend aufstand und an Draco vorbei zum Kamin ging, um die Reste des Flohpulverfeuers zu entfernen und ein richtiges Feuer zu entzünden. ‚Perfekter Zeitpunkt.‘, dachte Harry, da der Wärmezauber bereits wieder an Kraft verlor.   Draco ging zu der verwaisten Flasche und wollte sie gerade aufheben, als ein Accio sie aus seiner Reichweite zog. „Nichts da.“, meinte Severus. „Es ist bald Zeit zum Abendessen und ich glaube nicht, dass du erklären willst, warum du nach Alkohol riechst.“   „Wenn ihr mir erzählt hättet, dass ihr eine kleine Party geplant habt, wäre ich früher zurückgekommen.“ Draco ließ sich neben Harry auf Severus‘ Platz fallen und seufzte zufrieden, als er den Polsterungszauber bemerkte.   „War nicht geplant.“, gab Harry trocken zurück. Dracos gute Laune hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn.   „Und eine Ausnahme. Von mir gibt es keinen Alkohol mehr, bis ihr volljährig seid.“, rief Severus, während er die Flasche zurück in die kleine Kammer brachte.   Draco grinste. „Na da muss ich ja nicht mehr solange warten.“   Harry konnte noch sehen, wie Severus seinen Kopf schüttelte. „Das Zeug könnt ihr ruhig alleine trinken. Ich halte mich dann doch lieber an Butterbier.“   „Mein Vater hat ein paar ausgezeichnete Elfenweine. Ich könnte mir vorstellen, dass die eher nach deinem Geschmack sind.“, entgegnete Draco.   „Soll das eine Einladung sein?“ Sobald die Worte Harrys Lippen in einem spielerischen Ton verlassen hatten, bereute er es schon wieder. Warum konnte er sich nicht zusammenreißen? Er durfte nicht mit Draco flirten. Was dachte er sich nur nach allem, was passiert war.   „Wenn du dich traust, Potter.“, erwiderte Draco in der gleichen spielerischen Tonlage.   Harrys Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Er musste das sofort unterbinden.   Severus war in der Zwischenzeit wieder zu ihnen gestoßen, aber er gesellte sich nicht zu ihnen, wie Harry gehofft hatte. Stattdessen hielt er auf eine weitere Tür zu. „Ich glaube, ich lege mich noch kurz hin, bevor das Abendessen anfängt. Macht keinen Unsinn.“ Mit diesen Worten war er durch die Tür und ließ einen verzweifelten Harry zurück.   Draco schnappte sich eines der Gläser. „Deins?“   Harry schaute zu ihm und nickte kurz. Draco setzte das Glas an seine Lippen und ließ die Reste des Feuerwhiskys gemischt mit dem geschmolzenen Eis in seine Kehle rinnen. Unzufrieden verzog Draco sein Gesicht. „Zu dünn, zu warm.“   „Selbst schuld. Keiner hat gesagt, dass du das trinken sollst.“ Leicht belustig schaute Harry ihn an. Er war sich leider Dracos Nähe viel zu bewusst.   „Manchmal kann man aber sowas gebrauchen.“ Nachdenklich schaute Draco in das leere Glas. Die fröhliche Stimmung war mit einem Mal verschwunden.   „Was war gewesen? Du bist sehr zeitig wieder da.“, fragte Harry. Er konnte die Sorge in seiner Stimme nicht verbergen.   „Ja, es ging schnell. Ich konnte sogar mit meinem Vater in Ruhe zu Mittag essen.“ Draco starrte weiterhin gedankenverloren in das Glas.   „Das ist… schön.“ Harry wusste nicht, ob er weiter nachhaken sollte. Auf der einen Seite machte ihn diese Ungewissheit wahnsinnig, auf der anderen Seite sah Draco nicht so aus, als ob er darüber sprechen wollte.   Nach ein paar Minuten brach Draco die Stille. „Er meinte, ich bräuchte dich nicht länger beobachten.“   „Was?“, fragte Harry. Er brauchte einen Moment, um den Sinn der Worte zu erfassen.   „Na, um herauszufinden, wer dein Mädchen ist.“ Draco Stimme klang ausdruckslos, seine Kiefer presste er hart aufeinander.   „Das ist gut, schätze ich.“ Harry war sich nicht ganz sicher, was er davon halten sollte. „Hat er gesagt, warum?“   „Tsk! Als ob er seine Befehle begründen würde. Nein! Ich habe meinen Bericht abgegeben, danach hat er kurz in meinem Kopf rumgewühlt und gesagt, dass ich damit aufhören kann und mich lieber auf meine anderen Aufgaben konzentrieren soll. Ich habe ihn gefragt, ob ich versuchen soll, herauszufinden, wer den schwarzmagischen Fluch gesprochen hat. Daraufhin hat er gelacht und meinte, dass er schon eine Vorstellung hätte, wer es gewesen ist.“   Harry wurde blass. Das konnte nicht sein. Oder? Das durfte nicht sein. Hatte Voldemort irgendetwas in Dracos Erinnerungen gesehen, was ihm entgangen war? Oder hatte er einfach die richtigen Schlüsse gezogen? Aber das war nicht möglich. Wenn es so wäre, dann würde Draco jetzt nicht mehr hier sitzen. Da war er sich sicher. Nein, Voldemort würde nicht ruhig bleiben, wenn er glauben würde, dass Harry ihn belogen hatte.   ‚Beruhige dich. Dein Geheimnis ist sicher.‘, sagte Harry sich immer wieder.   „Er wollte mir aber nicht sagen, wer es gewesen ist. Er meinte, ich solle mir keine Gedanken darüber machen.“ Draco zuckte mit seinen Schultern.   „Hat er dir gesagt, warum du mich nicht mehr beobachten sollst?“ Harry hoffte, dass Draco nicht bemerkte, wie schnell sein Herz pochte.   „Nein. Ich schätze, er hat gesehen, dass mir die Ideen ausgegangen sind. Ihm wird mein letzter verzweifelter Versuch nicht entgangen sein, als er in meinen Kopf eingedrungen ist.“ Draco schaute mit starrem Blick in Harrys Augen.   „Ich verstehe.“ Der Kuss. Also war es wirklich nur darum gegangen. Ein letzter Versuch, Harry aus der Reserve zu locken. Harry wusste nicht, wie er sich fühlen sollte. Natürlich war er erleichtert, aber er konnte nicht verhindern, dass eine Spur von Enttäuschung an ihm nagte. Er sorgte dafür, dass beides nicht in seinem Gesicht zu sehen war. Stattdessen setzte er ein zufriedenes Lächeln auf und hoffte, dass es überzeugend war. „Ich schätze, damit habe ich gewonnen.“   Was auch immer Draco gehofft hatte, in Harrys Augen zu finden, er wurde enttäuscht. „Was meinst du?“   „Dass du es nicht geschafft hast, mein kleines Geheimnis zu lüften. Eigentlich hätte ich ja dafür einen kleinen Preis verdient, aber weil du mir mit Chang geholfen hast, würde ich sagen, sind wir quitt.“   Draco grinste ihn an. „Kein Problem. Der Moment war so perfekt. Im Gegensatz zu Turpin ist Chang immer von so vielen ihrer kleinen dummen Freundinnen umgeben, dass man keine Chance hat, sie irgendwo allein anzutreffen.“   „Ja. Ich hätte es gerne selbst gemacht. Aber ich werde leider im Moment zu genau beobachtet. Ich bin froh, dass du es übernommen hast. Wer weiß, wann sich die nächste Gelegenheit ergeben hätte. Danke dafür.“ Harry lächelte ihn an.   „Wie gesagt, kein Problem. Ehrlich, es war mir ein riesiges Vergnügen.“ Dracos Grinsen wurde noch eine Spur hinterhältiger. „Hat sie schon irgendetwas bemerkt?“   „Bisher sah es nicht danach aus. Aber soweit ich gehört habe, hat sie nächstes Wochenende ein Date. Spätestens dann, sollte sie bemerkt haben, dass sie keiner mehr berühren kann, ohne dass der sich vor ihr ekelt. Wie sie wohl erst reagiert, wenn sie bemerkt, dass es keinen Gegenfluch gibt?“ Einer der kleine Kniffe, die Draco mit in den Fluch eingebaut hatte. Er war permanent, so wie es Grangers Fluch gewesen ist. Sie war nicht die einzige, die solche Glanzleistungen vollbringen konnte.   Draco antwortete nicht. Er schaute Harry einfach nur mit einem unheimlichen Glitzern in den Augen an.   Plötzlich öffnete sich die Tür und ein verschlafen aussehender Severus kam in das Büro geschlichen. „Ihr seid ja immer noch da. Das Abendessen hat schon angefangen.“   Seufzend stand Draco auf. „Ich werde mich schnell umziehen gehen.“   Harry erhob sich ebenfalls. Trotz des Polsterungszauber taten seine Glieder weh und protestierten als er sich nach mehreren Stunden wieder bewegte. Er streckte sich und bemerkte dabei, wie ihn Draco mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck anstarrte.   „Was ist?“, fragte Harry verwirrt.   „Du stehst vor der Tür.“ Dracos Stimme klang leicht belegt.   Harry beeilte sich und ging zur Seite. Draco stürmte aus der Tür, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Verdutzt über den plötzlichen Stimmungswechsel sah Harry ihm hinterher. Kapitel 29: Date wider Willen ----------------------------- „Wir sollten ausgehen.“   Harry schaute von seinem Buch auf, mit er sich eben auf der Couch im Gemeinschaftsraum gemütlich gemacht hatte und blickte in braune Augen, die ihn bestimmt ansahen.   Ginevra Weasley hatte sich direkt neben Harry fallengelassen und saß beinahe auf seinem Schoß. Ihre normalerweise aufgesetzte Junge-Hexe-ohne-Zauberstab-Attitüde hatte sie abgelegt. Stattdessen starrte sie ihn an, als ob sie keine Widerrede dulden würden.   Harry versuchte, etwas Platz zwischen sie beide zu bringen. „Ginny…“   Sie ließ ihm keine Chance. Kaum war er ein Stück weggerutscht, schon hatte sie sich wieder an ihn gepresst. Ihre Brüste drückten gegen seinen Arm, in dem er immer noch sein Buch hielt. „Stopp, Harry. Bevor du was sagst… Ich weiß, dass du dir Sorgen machst wegen Ron. Weil ihr beste Freunde seid und so.“   Das war nicht gerade das, worüber er sich Sorgen machte. Vielmehr war ihm ihre Aufdringlichkeit unangenehm. Falls er wirklich mit ihr etwas hätte anfangen wollen, wäre ihm die Meinung seines ehemals besten Freundes völlig egal gewesen.   „Aber ich habe schon mit ihm gesprochen und für ihn ist es okay, solange wir nicht andauernd vor seinen Augen rumknutschen.“ Sie lächelte ihn hoffnungsvoll an. Das Feuer aus dem Kamin tanzte in ihren Augen, warf Schatten auf ihre sommersprossenbesprenkelten Wangen. Ihre glatten langen roten Haare fielen wie ein Vorhang neben ihrem Gesicht herunter. Hatte er nicht mal jemanden sagen hören, dass sie seiner Mutter ähnlich sähe? Harry kannte seine Mutter zwar nur von Fotos, aber er konnte keine Ähnlichkeit feststellen. Nicht einmal der Rotton ihrer Haare war gleich. Sie hatte die gleichen orangeroten Haare wie alle Weasleys. Seine Mutter dagegen hatte einen kräftigeren, dunkleren Rotton gehabt. Viel schöner und eleganter. Aber auch wenn keine Ähnlichkeit zwischen ihnen vorhanden war, hatte er dennoch keine Lust, sie zu küssen.   Hilfesuchend sah Harry sich um, aber die einzigen, die seine Situation zu bemerken schienen, waren Weasley und Granger und die sahen eher so aus, als würden sie ihnen die Daumen drücken. Zumindest Granger. Weasley schaute ein bisschen säuerlich, aber nickte Harry zustimmend zu. Granger strahlte sie an.   Harry seufzte innerlich. Hätte dieses Weib sich nicht auf jemand anderen fixieren können? Sie war doch mal mit diesem Corner aus Ravenclaw zusammen gewesen und auch mit Thomas hatte sie etwas gehabt. Warum konnte die denen nicht auf die Pelle rücken? Harry war sich sicher, niemals auch nur eine Andeutung gemacht zu haben, dass er an ihr interessiert wäre.   „Machst du dir keine Sorgen, dass du verflucht werden könntest, wenn du zusammen mit mir gesehen wirst? Die letzten Mädchen, die ich daten wollte, sind nicht so gut weggekommen.“ Er sah sie eindringlich an und hoffte auf ein winzig kleines Zeichen in ihren Augen, dass sie den Wink verstanden hatte.   Aber Harrys Hoffnungen wurden enttäuscht. Mini-Weasley lachte nur und klammerte sich um seinen Arm, zwang ihn, sein Buch herunterzunehmen. „Überhaupt nicht. Ich bin schon groß, weißt du, und kann sehr gut auf mich aufpassen. Du wirst schon sehen.“ Sie zwinkerte ihm zu und Harry musste sich stark zusammenreißen, um sein Gesicht nicht vor Ekel zu verziehen. „Los! Gib uns eine Chance.“   Die Wahrheit war, Harry hatte einfach keine Lust, Mini-Weasley zu daten. Es gab einen Grund, warum er für seinen Plan niemals Gryffindors und schon gar nicht sie in Erwägung gezogen hatte. Er würde sie nie wieder los werden; egal wie schlecht das Date verlaufen würde, nicht mal, wenn sie verflucht werden würde. Aber Draco würde ihm diesen Gefallen ohnehin nicht mehr tun. Er würde ihn nicht mal beobachten. Voldemort hatte ihn von dem Auftrag abgezogen. Es gab also keinen Grund, sich überhaupt mit jemanden zu verabreden. Andererseits… Vielleicht wäre es auch gar nicht so schlecht, sich darauf einzulassen. Es wäre eine willkommene Abwechslung. Seine letzten Versuche waren durch Draco ein völliges Desaster geworden. Diesmal würde er nicht in der Nähe sein, um es zu verhindern. Wenn er es richtig anstellte, würde Draco nicht mal etwas davon erfahren, bevor es soweit war.   Er hatte sowieso vor beim nächsten Hogsmeade-Wochenende in das kleine Zaubererdorf zu gehen. Chang hatte ein Date und er wollte dabei sein, wenn sie zum ersten Mal richtig begriff, dass etwas nicht stimmte. Wenn er selbst ein Date hätte und diesem nichts passieren würde, würde die Lehrer ihn vielleicht endlich wieder in Ruhe lassen und ihn nicht permanent beobachten. Ja, das wäre perfekt.   Harry hätte sich ein besseres Date als Mini-Weasley vorstellen können, aber bei der aktuellen Lage, hatte er keine große Auswahl. Die kleine Klette war die einzige, die sich noch traute mit Harry auszugehen. Er würde sich schon etwas einfallen lassen, um sie hinterher wieder loszuwerden.   „Okay. Lass uns ausgehen.“ Den leichten Widerwillen in seiner Stimme schien sie nicht zu hören.   Weasley strahlte Harry an. „Oh! Ich freue mich so.“ Sie schlang beide Arme um seinen Nacken und presste sich an ihn. Harry drückte sich weg, bevor sie ganz auf seinen Schoß klettern konnte.   „Ich freue mich auch.“ Harry zwang sich zu einem liebevollen Lächeln. „Ich würde sagen, wir gehen am Samstag kurz vor Mittag los. Dann kannst du noch in Ruhe ausschlafen und wir können dann gemütlich nach Hogsmeade Laufen und dann in Madam Puddifoot’s Café zu Mittag essen.“   Weasley war ein Langschläfer genau wie ihr nächstältester Bruder. Sie würden bestimmt das ganze Wochenende verschlafen, wenn man sie ließe. Aber das war perfekt. Wie Harry mitbekommen hatte, war Chang auch erst zum Mittag mit ihrer neuesten Eroberung verabredet. So musste er nicht Stunden mit der kleinen Göre verbringen, bis endlich etwas Spannendes passierte. Zwar musste er danach noch etwas Zeit mit ihr verbringen, aber dann hatte er etwas Schönes, woran er dabei denken konnte. Er hätte diesen Moment viel lieber mit Draco erlebt, aber das war leider nicht möglich.   Er sollte sein Date mit Weasley verheimlichen, bis es soweit war. Nur zur Sicherheit. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Draco doch etwas dagegen unternehmen würde. Harry war sich nicht ganz sicher, was ihm lieber wäre.   „Das klingt perfekt! Ich kann es kaum erwarten.“ Weasley stand abrupt auf und wollte weggehen, zweifellos, um allen zu erzählen, dass sie beide ein Date hatten, ob das nun jemand hören wollte oder nicht, aber Harry hielt sie schnell am Handgelenk fest.   „Warte!“   Überrascht setze sie sich wieder neben ihn.   „Mir wäre es lieb, wenn wir das erst einmal für uns behalten würden.“, meinte Harry ruhig.   Weasley schaute ihn mit einer Mischung aus Verwirrung und Enttäuschung an.   Harry verdrehte innerlich die Augen. Jetzt musste er auch noch Rücksicht auf ihre Gefühle nehmen. „Mir geht es darum, dass wir immer noch nicht wissen, wer meine letzten Dates verflucht hat oder warum. Ich finde es unglaublich mutig von dir, dass du dennoch mit mir ausgehen willst, aber wir sollten nichts provozieren. Ich möchte einfach nicht, dass dir etwas passiert.“   Ihr Gesichtsausdruck wurde wieder etwas weicher und sie lächelte ihn an. „Ich verstehe. Ich finde es süß, dass du dir Sorgen um mich machst. Es ist zwar nicht notwendig, aber wenn es dir dadurch besser geht, tue ich dir den Gefallen und behalte es für mich. Wir werden es aber dennoch Ron und Hermine sagen müssen. Sie würden uns das ziemlich übelnehmen, wenn wir das vor ihnen verheimlichen würden.“ Sie schaute zu ihrem Bruder und dessen Freundin; Harry folgte ihrem Blick.   Granger tat, als würde sie in einem Buch lesen, aber Harry konnte sehen, wie ihr Blick immer wieder zu ihnen huschte. Ihr Weasley dagegen hatte sich völlig abgewandt und beobachtete interessiert ein paar Drittklässler, die Zauberschnippschnapp spielten.   Harry seufzte. Auf das Gespräch mit seinem ehemals besten Freund freute er sich bestimmt nicht. Er konnte jetzt schon die halbherzigen Warnungen hören, dass er seine kleine Schwester nicht verletzen soll. Und er würde es ihm immer und immer wieder versichern. „Ich werde nachher mit ihnen reden und dafür sorgen, dass sie es ebenfalls für sich behalten. Zumindest vorerst.“   Sie nickte zustimmend und lächelte eines ihrer wenigen Lächeln, die Harry als angenehm empfand, weil es nicht aufgesetzt wirkte. Wer weiß, in einem anderen Leben hätte er sie ja vielleicht mögen können.   Nachdem Harry ihr Handgelenk wieder losgelassen hatte, stand Weasley auf und ging zu ihren Freundinnen. Es dauerte nicht lange und das Granger-Weasley-Doppelpack, das sich ausnahmsweise mal nicht stritt, hatte sich zu ihm gesetzt. Innerlich seufzend legte Harry sein Buch zur Seite. Heute würde er den Abschnitt über die Vervielfältigungszauber nicht mehr schaffen. Er war gerade mal bei dem Gemini-Zauber angekommen und es gab noch ein paar weitere. Diese Zauber waren bestimmt praktisch, um potentielle Diebe zu verwirren.   „Und?“, fragte Granger. Ihr breites Grinsen war in ihrer Stimme zu hören und Harry musste sich anstrengen, zu lächeln, während er sich zu ihr drehte.   „Wir haben uns für das nächste Wochenende verabredet.“, sagte Harry leise.   „Oh, das ist ja fantastisch.“ Granger quiekte erfreut und umarmte Harry kurz, aber fest. Weasley daneben grummelte nur vor sich hin.   „Ich wollte euch aber bitten, es vorerst für euch zu behalten. Ich will nicht, dass Ginny ins Visier gerät, falls die anderen Mädchen wirklich meinetwegen verflucht worden sind.“ Harry schaute besorgt zwischen beiden hin und her. Granger sah ihn mitfühlend an und nickte, während Weasley ihn anstarrte, als ob Harry sich einen von Hagrids knallrümpfigen Krötern als Hut aufgesetzt hätte.   „Ins was gerät?“   „Ins Visier.“ Granger verdrehte ihre Augen. „Das ist ein Muggelsprichwort. Harry will nicht, dass der, er auch immer die Flüche benutzt hat, Ginny ebenfalls verflucht und will einfach keine Aufmerksamkeit auf sie lenken. Verstehst du?“   „Kann er das dann nicht einfach so sagen?“ Beleidigt sah Weasley erst seine Freundin, dann Harry an.   „Sorry, Ron. Für Hermine und mich sind solche Sprichwörter ganz normal und da vergesse ich eben manchmal, dass sie nicht jeder hier verstehen kann.“ Aber das war wirklich selbsterklärend gewesen. Aber Nachdenken ist zu anstrengend für Ronald Weasley. ‚Wie hält es Granger nur mit diesem Idioten aus?‘   „Ach, ist schon gut. Es ist ja auch häufig andersherum.“, grummelte Weasley vor sich hin.   Harry zog seine Augenbrauen nach oben. Das war es vielleicht am Anfang gewesen, als Harry noch neu in der Zaubererwelt gewesen war. Aber in der Zwischenzeit gab es immer weniger, was er über das Leben und die Kultur – wenn man es so nennen wollte – nicht wusste, und so gut wie nichts mehr, was ihn noch überraschen konnte. Weasley dagegen war der Muggelwelt gegenüber völlig ignorant. Er hatte zwar einen Vater, der regelrecht besessen von Muggeln und ihrer Art zu leben war und seine beiden besten Freunde lebten in der Muggelwelt, waren dort aufgewachsen, aber dennoch schien er kaum etwas über sie zu wissen. Selbst jetzt, da er eine muggelstämmige Freundin hatte, schien er kein Interesse zu haben, etwas über ihre Welt und ihr Leben zu lernen.   Granger schien das genauso zu sehen, wenn Harry sich so ihren missbilligenden Blick anschaute. Er sollte schnell das Thema wechseln oder die beiden hätten bestimmt gleich ihren nächsten Streit.   „Sag mal, Ron. Ich hätte eigentlich mit einer kleinen Ansprache gerechnet. Tu-meiner-kleinen-Schwester-nicht-weh oder sowas Ähnliches.“   „Hermine hat es mir verboten.“, antwortete er kleinlaut.   „Natürlich habe ich das! Harry würde Ginny niemals wehtun. Wir sind doch alle Freunde.“ Granger schaute Weasley an, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen.   „Ja, ja. Tu mir nur den Gefallen und knutscht nicht vor meinen Augen rum.“ Mit einem leicht angewiderten Blick drehte er sich weg.   „Das wird sich kaum vermeiden lassen. Wir knutschen auch vor Harry und Ginny rum. Da kannst du es den beiden nicht verbieten.“   Harry sah bedauernd auf sein Buch hinab. Die beiden waren wieder so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie ihn nicht mehr wahrnahmen. Aber an Lesen oder sich Wegzuschleichen war nicht zu denken. Also schloss er die Augen und versuchte diese sinnlose Diskussion auszublenden.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Es war Samstagmorgen. Hogsmeade-Wochenende. Harry saß bereits beim Frühstück mit der neuesten Ausgabe des Tagespropheten vor ihm ausgebreitet. Es war noch sehr ruhig, nicht ungewöhnlich für ein Wochenende, aber schon bald würde sich die große Halle mit Schülern füllen, die nach Hogsmeade wollten, um vorher noch schnell ein kleines oder größeres Frühstück herunter zu schlingen.   Harry war erst für später verabredet. Er hätte auch noch länger schlafen können, aber ein unruhiger Traum hatte ihn aus seinem Bett vertrieben. Eine heiße Dusche und eine Tasse Kaffee – mit Milch und viel Zucker – später, fühlte er sich bereit, den Tag zu beginnen.   Im Tagespropheten stand nichts Aufregendes. Es hatte keine neuen Übergriffe von Voldemort gegeben und die Autoren mussten sich mit Berichten über Quidditch und die neuesten irrwitzigen Gesetzesvorschläge von Rufus Scrimgeour zufriedengeben. Es gab sogar einen kleinen Artikel über Weasleys Zauberhafte Zauberscherze und wie sie das Leben in dieser dunklen Zeit ein bisschen freundlicher gestalteten. Erst ganz am Ende des Artikels wurde erwähnt, dass man dort auch magische Schutzkleidung oder nützliche Hilfsartikel für unbemerktes Entkommen erhalten konnte.   Sehr innovativ, das musste Harry zugeben. Allerdings machte dieser Artikel, so unscheinbar er auch war, den kleinen Scherzartikelladen zu einem potentiellen Ziel der Todesser. Voldemort würde bestimmt nicht tatenlos zusehen, wie die Weasley-Zwillinge seine Gegner unterstützten. Das war bedauerlich. Harry konnte die beiden trotz allem gut leiden. Vielleicht konnte er Voldemort überzeugen, sie in Ruhe zu lassen, zumindest vorerst. Dann hätte Harry in den Sommerferien Zeit, etwas über die Zauber in Erfahrung zu bringen und sie könnten sie dann vielleicht neutralisieren. Er machte sich keine Hoffnung, die beiden auf seine Seite ziehen zu können. Sie würden sich niemals gegen ihre Familie stellen. Nicht einmal für Harry.   Die Halle begann sich zu füllen. Dennoch waren gab es noch viele freie Plätze. Die Schüler, die erst am Nachmittag oder gar nicht nach Hogsmeade wollten, würden erst zum Mittagessen aufstehen. Die einzige Ausnahme waren die Ravenclaws. Ihr Tisch war wie immer fast voll besetzt. Das genaue Gegenteil von Gryffindor. Sein Tisch war fast leer. Nicht, dass es Harry störte. So hatte er wenigstens seine Ruhe.   Aber natürlich gab es auch in seinem Haus eine Ausnahme.   „Guten Morgen, Harry. Du bist ja früh auf.“ Granger setze sich neben ihn und überprüfte die Auswahl, bevor sie sich für ein Müsli mit getrockneten Kürbisstückchen entschied. Das gleiche, das Harry sich heute genommen hatte.   Harry schaute auf seine Muggelarmbanduhr. Es war bereits nach zehn Uhr. Alles andere als früh. In einer Stunde hatte er sein Date. „Findest du? Ich finde, du bist ganz schön spät dran für deine Verhältnisse.“   „Wieso?“ Bevor Harry etwas erwidern konnte hatte Granger sich über seine Müslischale gelehnt und nach seinem Handgelenk gegriffen. Sie zog seinen Arm zu sich und Harry hatte Mühe sein Gleichgewicht zu halten und nicht von der Bank zu fallen, als er mit einem Ruck herumgewirbelt wurde. „Oh! Ist es wirklich schon so spät? Bist du dir sicher, dass deine Uhr richtig geht? Vielleicht hat sie eine Überdosis abbekommen. Nicht alle Muggelsachen vertagen sich gut mit Magie.“   „Meine letzte Uhr hat hier vier Jahre gehalten. Und sie ist nicht wegen Magie kaputt gegangen, sondern weil sie nicht wasserfest war. Sie funktioniert richtig. Du hast einfach mal länger geschlafen. Ist doch nicht schlimm.“ Harry zog seinen Arm zurück. Die Armbanduhr war noch fast neu. Er hatte sie letzten Sommer aus dem Müll gefischt, nachdem sein verwöhnter Cousin sie weggeworfen hatte, weil sie für ihn zu billig für ein Geburtstagsgeschenk gewesen war. Harry hatte sie verstecken müssen. Die Dursleys hätten sie kaputt gemacht, bevor sie sie ihm überlassen hätten.   Granger grummelte. „Verdammt! Ich habe noch nie verschlafen. Der halbe Tag ist um.“ Missmutig nahm sie ihren Löffel und begann, ihr Müsli zu essen.   „Du übertreibst. Du lernst immer so lange, bis spät in die Nacht hinein. Irgendwann holt der Körper sich den Schlaf, den er braucht.“ Wen versuchte er hier eigentlich zu überzeugen? Ihm ging es doch auch nicht anders.   „Nicht jedem fällt alles in den Schoß. Manche von uns müssen lernen, um die Prüfungen zu bestehen.“, erwiderte sie bissig.   Harry sah sie einen Moment lang ungläubig an, bis er leicht den Kopf schüttelte und sich wieder seinem Essen widmete. Er würde darauf einfach nicht reagieren. Sollte sie sich doch einreden, was sie wollte.   Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander, jeder in sein Essen und seine Gedanken vertieft. Es kam Bewegung in die Große Halle. Einige der Schüler brachen auf nach Hogsmeade und wurden von den Langschläfern ersetzt, die noch die letzten Reste des Frühstücks abgreifen wollten. Chang und ihr Date Wayne Hopkins, ein Hufflepuff aus Harrys Jahrgang, saßen auch bereits an ihren Tischen. Sie unterhielten sich mit ihren Klassenkameraden, warfen sich aber hin und wieder verstohlene Blicke zu. Harry hoffte, dass sie sich nicht entschlossen früher loszugehen. Er wollte das um nichts in der Welt verpassen.   In dem Moment kam Draco mit hocherhobenem Haupt durch die Tür. Neben ihm lief Zabini. Den Gesprächsfetzen nach zu urteilen, unterhielten sie sich über die letzte Stunde Zaubertränke. Sie gingen geradewegs auf ihren Tisch zu und schenkten ihnen keine Beachtung. Hinter ihnen kamen die anderen Babytodesser des sechsten Jahrgangs. Die Mädchen versuchten sich an dem Gespräch zu beteiligen – zweifellos in dem Versuch Dracos Aufmerksamkeit zu erhalten – wurden aber ignoriert.   Sie setzten sich an ihren fast leeren Tisch, Draco genau gegenüber von Harry, sah aber nicht einmal auf. Das versetzte Harry einen kleinen Stich. Auch wenn es besser so war, vermisste er die Zeit, als Dracos Blick permanent auf ihn gerichtet war. Seine Gedanken gingen zurück zu dem einen Abend in der Dusche der Quidditch-Umkleide. Er stellte sich vor, was passiert wäre, wenn Draco damals schon auf Idee gekommen wäre, ihn zu küssen. Unter dem heißen Wasserstrahl, Draco klitschnass, seine Sachen an seinem Körper geklebt, unter denen sich jeder Muskel dieses perfekten Körpers abzeichnete…   „Harry!“ Eine schrille Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Zwei Rotschöpfe hatten die Halle betreten und Mini-Weasley beeilte sich, um an ihren Bruder vorbeizukommen und setzte sich neben Harry. Wie immer viel zu nah.   Der Aufschrei lenkte die Aufmerksamkeit der anderen Schüler auf sie. Inklusive Draco. Harry sah, wie er ihn und Mini-Weasley musterte und dann leicht verärgert seine Augen zusammenkniff.   „Wollen wir los?“ Weasleys braune Augen leuchteten aufgeregt.   Harry wollte am liebsten seinen Kopf auf den Tisch knallen lassen. Worauf hatte er sich nur eingelassen? Er überlegte fieberhaft, ob er da noch irgendwie rauskommen konnte, aber ihm fiel einfach nichts ein. Es half nichts. Da musste er jetzt durch.   Er sah auf die Reste seines Müslis. Es war aufgeweicht und tropfte unappetitlich von seinem Löffel.   „Jetzt mach doch mal keinen Stress, Ginny.“ Weasley Zwei hatte endlich auch den langen Weg von der Eingangshalle zu ihnen geschafft. Er ließ sich neben seine Freundin fallen und entschied spontan, dass ein Teller ein ebenso bequemes Kopfkissen sei, wie das in seinem Bett.   „Ron! Kannst du dich nicht ein bisschen zusammenreißen? Du hast doch wirklich genug geschlafen.“ Granger sah angewidert auf ihren Freund. Der murmelte etwas vor sich hin und bemühte sich nicht einmal, seine Augen offen zu halten.   Harry nutzte die kurze Ablenkung und schaute zu Chang und Hopkins. Beide waren bereits mit Essen fertig. Lange würde es nicht mehr dauern.   „Wir können gleich los. Ich müsste nur vorher noch mal auf die Toilette.“ Das Jungenklo war nah genug, dass der spüren konnte, wenn die beiden losgingen und dann könnten sie ihnen in unauffällig in einigem Abstand folgen.   „Okay, wir treffen uns dann gleich draußen.“, antwortete sie ein bisschen zu enthusiastisch.   Harry schenkte ihr ein Lächeln und stand auf. „Bis später, Leute.“   „Bis später und viel Spaß!“, rief Granger ihm hinterher.   Harry beeilte sich, aus der Halle herauszukommen, sah dabei weder nach links noch nach rechts und versuchte besonders, nicht zum Slytherin-Tisch zu schauen. So bemerkte er nicht, wie Dracos Blick sich verfinsterte. Kapitel 30: Zerstörte Zukunft ----------------------------- Es war ein angenehmer Tag. Die Frühlingssonne hatte die Kälte vertrieben, Vögel zwitscherten, die Bäume und Blumen begannen zu blühen. Ein perfekter Tag für ein Date und für eine neue Liebe. Das war zumindest das, was Weasley die ganze Zeit erzählte, während sie eng an Harry gepresst nach Hogsmeade ging.   Harry hörte ihr die meiste Zeit nicht zu, schnappte nur hier und da ein paar Wortfetzen auf, um an den richtigen Stellen ja, aha und mmmhhh sagen zu können. Er war auf seine Umgebung fixiert.   Wie Harry erwartet hatte, waren Chang und Hopkins losgegangen, kurz nachdem er die Halle verlassen hatte. Er hatte gleich danach aufbrechen wollen, aber Weasley hatte getrödelt und war erst zehn Minuten später rausgekommen. Zu seinem Glück waren Chang und Hopkins nicht sehr schnell und sie holten langsam auf. Aber sie selbst hatten auch Verfolger.   Rein zufällig waren zwei Lehrer nur wenige Minuten nach ihnen losgegangen, Professor Burbage, Lehrerin für Muggelkunde, und Professor Flitwick. Sie hielten einen gleichbleibenden Abstand zu ihnen – nicht sehr unauffällig – und natürlich in Sichtweite. Direkt dahinter kam Draco mit Crabbe und Goyle.   Natürlich konnte Harry sich vorstellen, dass Draco auch sehen wollte, wie das Date von Chang verlief, immerhin hatte er sehr viel Zeit und Magie investiert, um sie zu verfluchen, aber irgendwie hatte Harry dabei ein ungutes Gefühl. Aber solange die Lehrer da waren, konnte er nichts tun. Oder? Draco konnte nicht sein Date vereiteln. Trotz dessen, dass es die kleine nervige Weasley war, war es schön mal wieder etwas Normales zu tun, bei dem er sich nicht verstecken musste. Verstellen, ja. Nichts war eben perfekt, aber zumindest musste er nicht die ganze Zeit achtsam sein, weil er etwas Verdächtiges tun könnte. Jedenfalls, wenn Draco nicht wäre. Die Anwesenheit des Slytherins machte Harry nervös.   Sie hatten das Zaubererdorf fast erreicht. Die Grüppchen waren sich jetzt viel näher. Weasley und er waren nur ein paar Meter hinter Chang und Hopkins und die Lehrer waren mit ihnen gleich auf. Draco und sein Anhang waren noch in einem kleinen Abstand dahinter. Nah genug, um alles im Überblick zu behalten, aber nicht zu nah, um auffällig zu wirken.   Die ersten Häuschen waren zu sehen und es herrschte bereits geschäftiges Treiben auf den Wegen. Einige von Hogwarts Frühaufstehern waren bereits auf dem Rückweg, um rechtzeitig zum Mittagessen wieder im Schloss zu sein, vollgepackt mit Tüten aus Zonkos und dem Honigtopf.   Unter den Schülern, die ihnen entgegenkamen, war auch Micheal Corner. Weasley hatte ihn ebenfalls entdeckt und drückte sich noch ein bisschen weiter an Harry, während sie provokant in eine andere Richtung schaute. Ein klares Zeichen für Corner, dass sie kein Interesse mehr an ihm hatte. Das war aber nicht die einzige Reaktion, die er auslöste. Auch Chang und Hopkins hatten ihn bemerkt und Harry sah, wie Hopkins sich verspannte.   ‚Stimmt, ja.‘, dachte Harry. ‚Corner war ja auch mal mit Chang zusammen gewesen, nachdem Weasley sich von ihm getrennt hatte.‘ Wie hatte er das nur vergessen können?   Im Gegensatz zu Weasley, ignorierte Chang ihren Exfreund nicht. Sie drehte ihren Kopf zu ihm und Harry vermutete, dass sie ihm zulächelte, da Corner ihr seinerseits ein Lächeln zuwarf.   Hopkins schien das gar nicht zu gefallen. Er griff besitzergreifend nach Changs Hand.   Harry hielt den Atem an. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde und schon hatte Hopkins ihre Hand wieder losgelassen und stolperte ein paar Schritte zurück. Sein Gesicht war angeekelt verzogen und ein angewiderte Laut verließ seine Lippen. In einer hastigen Bewegung wischte er seine Hand immer wieder an seinem Hosenbein ab.   Chang schaute ihn überrascht an. „Was ist denn los?“   „Ich… Ich weiß nicht.“ Hopkins hatte sich wieder gefangen und blickte verwirrt hoch. „Keine Ahnung, was gerade los war.“   Harry und Weasley hatten das Paar in der Zwischenzeit eingeholt. Burbage und Flitwick waren stehen geblieben und schaute unschlüssig zu Hopkins und Chang. Draco hatte seinen Schritt beschleunigt und war nun ebenfalls gleichauf mit Harry.   Chang streckte ihre Hand aus und wollte Hopkins wieder in ihre nehmen. Sobald ihre Finger seiner Haut berührten, zischte er und zog seinen Arm zurück.   „Fass mich ja nicht an!“, schrie er angewidert.   Hastig zog Chang ihre Hand zurück und hielt sie vor ihrer Brust, als hätte sie sich verbrannt.   „Was ist dein Problem, Mann?“, rief Corner und stellte sich beschützend vor Chang.   In der Zwischenzeit waren mehr Schüler stehen geblieben und beobachteten die Szene. Auch Weasley hatte Harry zum Anhalten gebracht.   „Ich… Ich…“ Hopkins war völlig verwirrt.   Burbage und Flitwick kamen nun auch in Bewegung und eilten zu Hopkins, um rauszufinden, was mit ihm los sei. Sie untersuchten als erstes seine Hand, konnten aber nichts Auffälliges feststellen. Er zuckte nicht zurück, als sie ihn berührten. Trotzdem sahen sich die Lehrer alarmiert an, waren ihn diese Symptome doch nicht unbekannt. Sie schauten zu Harry, doch er zuckte nur hilflos mit den Schultern. Er wusste ganz genau, was sie dachten. Aber das vermeintliche Opfer passte nicht ins Bild.   Währenddessen kümmerte dich Corner um die verwirrte Chang. „Ist alles okay mit dir?“   Sie nickte nur abwesend und starrte dabei auf Hopkins.   „Lass mich mal deine Hand sehen.“ Behutsam griff er nach ihrem Handgelenk und wollte es von ihrem Oberkörper wegzuziehen. Sobald sich seine Finger um ihre Haut schlossen, verzog sich sein Gesicht und man konnte einen unterdrückten Würgelaut hören. Blitzschnell hatte er ihre Hand wieder losgelassen und ging zwei Schritte zurück. „Ergh.“   „Was? Aber…“ Chang stand wie versteinert da, ihr Blick wanderte ungläubig zwischen Corner und Hopkins hin und her.   Ein tiefes Gefühl der Befriedigung ging durch Harrys Körper und er musste sich sehr zusammenreißen, nicht selbstzufrieden zu grinsen. Hinter sich konnte er Draco leise lachen hören.   Burbage hatte Corners Reaktion mitbekommen und ging schnell zu ihm, während Flitwick Hopkins weiter untersuchte. Auch hier konnte sie nichts entdecken. Blieb nur noch eine andere Person übrig.   „Filius. Kommst du bitte mal her?“, rief sie ihrem Kollegen zu, während sie sich zu Chang drehte.   Der kleine Lehrer für Zauberkunst klopfte Hopkins beruhigend auf den Unterarm und beeilte sich dann, zu seiner Kollegin zu gehen.   „Ms. Chang, darf ihr bitte mal Ihre Hand sehen?“, fragte Burbage vorsichtig und hielt ihr ihre Hand hin, die Handfläche nach oben.   Chang riss ihre Augen weit auf und ein Anflug von Panik war in ihnen zu sehen. Sie umklammerte ihre Hand fester und bewegte sie keinen Millimeter.   „Es ist alles in Ordnung, Ms. Chang.“, kam Flitwick zur Hilfe. „Wir wollen nur rausfinden, was los ist.“ Seine sonst piepsige und zumeist fröhliche Stimme hatte einen ernsten Ton angenommen.   Zögerlich nickte Chang und ließ los. Sie hatte so fest zugedrückt, dass ihre andere Hand weiß darunter zum Vorschein kam. Zitternd streckte sie sie der Lehrerin entgegen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis ihre Fingerspitzen, die von Burbage erreichten.   Burbage war darauf gefasst, was passieren würde, und hatte sich und ihre Mimik erstaunlich gut unter Kontrolle. Trotzdem zuckten ihre Finger und ihre Gesichtszüge verhärteten sich in der Anstrengung, sich ihren Ekel nicht anmerken zu lassen. Aber man konnte es ihr dennoch ansehen.   Chang begann zu schluchzen und sie hatte Mühe Luft zu bekommen. Mitleidig sahen die anderen Schüler auf sie herab, aber keine hatte den Mut zu ihr zu gehen und sie zu beruhigen. Sie sackte zusammen und Tränen strömten über ihr Gesicht.   Flitwick eilte zu ihr und strich ihr in einer beruhigenden Geste über den Rücken. Zu Schade, dass der Fluch nur bei direktem Körperkontakt wirkte.   „Kommen Sie, mein Liebe. Beruhigen Sie sich. Das lässt sich bestimmt wieder in Ordnung bringen.“ Der kleine Lehrer klang hoffnungsvoll. Bei Turpin hatte es zwar damals keinen Gegenfluch gegeben, aber die Wirkung hatte mit der Zeit nachgelassen. Nur dieser Fall lag anders. Dieser Fluch ließ nicht nach und er würde sich auch nicht brechen lassen. Chang würde in Zukunft niemand mehr berühren können, ohne dass derjenige sich vor ihr ekelte. Sie würde keine Leben mehr zerstören.   „Wir bringen Sie jetzt erstmal in die Krankenstation. Poppy wird Ihnen bestimmt helfen können.“, stimmte Burbage zu. „Können Sie sich vorstellen, wer das getan haben könnte?“   Zwischen den Schluchzern schaffte es Chang, ihren Kopf zu schütteln.   Flitwick schaute besorgt zu Harry. Die letzten Flüche schienen mit ihm im Zusammenhang gestanden zu haben, aber Harry konnte eine Spur Zweifel in seinen Augen erkennen.   „Sie hat… Sie hat das nicht erst seit heute.“, kam eine zaghafte Stimme aus der Menge.   Harry konnte sie als Ravenclaw identifizieren, kannte sie aber nicht persönlich. Sie sah noch sehr jung aus, müsste aber wenigstens in ihrem dritten Jahr sein.   „Wie meinen Sie das, Ms. Quirke?“, fragte Flitwick.   „Naja…“ Sie trat nervös von einem Fuß auf den anderen. „Cho hatte diese Woche einen Aufsatz von mir in Zaubertränke kontrolliert. Ich habe einige Schwierigkeiten in dem Fach und habe sie um Hilfe gebeten. Als sie ihn mir zurückgegeben hat, habe ich mich auch plötzlich vor ihr geekelt.“ Sie wurde bei jedem Wort immer leiser und sah Chang am Ende entschuldigend an.   „Aber warum haben Sie denn nichts gesagt?“, erwiderte Burbage schroff.   Das Mädchen zuckte zusammen und eine Träne löste sich aus ihren Augen. „Ich habe gedacht, ich habe mir das nur eingebildet. Kurz danach war wieder alles in Ordnung. Es tut mir sehr leid.“ Der letzte Satz wurde von ihren Tränen erstickt. Sie machte sich Vorwürfe, obwohl sie keinen Grund dazu hatte.   Harry war froh, dass die Kleine nicht vorher etwas gesagt hatte. Er hätte sonst den ganzen Spaß verpasst.   Flitwick nickte seiner Schülerin beruhigend zu. „Sie brauchen sich keine Sorgen machen, Ms. Quirke. Es ist nicht Ihre Schuld. Ich würde Sie aber bitten, uns auf die Krankenstation zu begleiten. Sie auch, Mr. Hopkins und Mr. Corner. Poppy soll Sie auch gleich untersuchen, ob es irgendwelche Nachwirkungen gibt.“   Es sah amüsant aus, wie der kleine Professor versuchte, das Mädchen zu führen, das ihn bereits um eine Kopflänge überragte. Burbage half Chang auf und stützte sie auf den Weg zurück ins Schloss, bedacht, nicht direkt mit ihrem Körper in Berührung zu kommen.   Die restlichen Schüler zerstreuten sich ebenfalls. Die meisten gingen mit zum Schloss, extra langsam um nichts zu verpassen, ein paar andere gingen weiter ins Dorf. Nur Harry und Weasley standen noch da. Harry hatte Draco angesehen, dass er am liebsten mit zurück ins Schloss gegangen wäre, aber er hatte sich dann doch für die andere Richtung entschieden.   „Das war ja furchtbar.“, meinte Weasley leise.   So sehr es Harry auch widerstrebte, er wollte, dass der Rest des Tages normal verlief. Endlich waren mal keine überwachenden Augen auf ihn gerichtet und es gab wirklich Hoffnung, dass er den Tag genießen könnte. Damit das so blieb, würde er sein aufgewühltes Date wohl beruhigen müssen.   Er nahm Weasley in dem Arm und hielt sie fest. „Es ist alles gut. Cho kommt bestimmt wieder in Ordnung. Madam Pomfrey kriegt das wieder hin.“   Weasley kuschelte sich an ihn. „Wenn ich mir vorstelle, dass ich dich nicht mehr berühren könnte, weil ich mich jedes Mal ekele, … Ich will gar nicht darüber nachdenken.“   „Schsch. Es ist alles gut. Du kannst mich berühren. Siehst du?“ Er nahm ihre Hand in seine und drückte leicht zu.“   Weasley lächelte ihn dankbar an. „Ja.“ Sie löste sich aus Harrys Umarmung, ließ aber seine Hand nicht los. „Ich will gerade nicht nach Hogsmeade. Können wir erst noch ein bisschen spazieren gehen?“   „Klar, kein Problem.“ Er führte sie auf einen Seitenweg, der um das Dorf herumführte.   Sie liefen eine Weile schweigend nebeneinanderher. Auf dem Weg waren einige baufällige Häuschen, die früher zum Dorf gehört hatten. Niemand lebte mehr darin und würde es wahrscheinlich auch nie wieder tun. Granger hatte Harry einmal erzählt, dass die meisten Zauberer aus dem Dorf wegzogen, weil sie sich finanziell nicht halten konnten. Verständlich. Es kamen nur ein paar Lehrer und aller drei Wochen die Schüler zum Einkaufen in das kleine Zaubererdorf und die kauften meistens Süßigkeiten und Scherzartikel und gönnten sich hin und wieder ein Butterbier. Die Geschäfte, die Zauberutensilien, Schreibwaren und Kleidung anboten, waren weniger besucht. Die meisten Schüler ließen sich diese Sachen von ihren Eltern schicken und gaben dafür nicht ihr wertvolles Taschengeld aus. Diese Läden konnten sich nur dank der muggelstämmigen Schüler halten, die diese Möglichkeit nicht hatten.   Dazu kam, dass all diese Geschäfte nur während der Schulzeit überhaupt Umsatz machten. Im Sommer gab es zwei Monate, in denen die Anwohner nichts einnahmen und von ihrem Ersparten leben mussten. Niemand nahm freiwillig den weiten Weg nach Hogsmeade auf sich, wenn man die Winkelgasse mit ihrer riesigen Auswahl an Geschäften und wesentlich preiswerteren Angeboten zur Verfügung hatte.   Es war schon irgendwie traurig. Harry stellte sich vor, wie es hier früher ausgesehen haben muss. Als Hogwarts von den vier Gründern erbaut worden war, war hier bestimmt ein reges Treiben und viele Familien, deren Kinder es kaum erwarten konnten, in diesem prachtvollen Schloss zu lernen und zu leben.   Vielleicht konnte man es wiederbeleben und attraktiver gestalten, wenn Voldemort die Macht übernommen hatte? Die Schule würde mit Sicherheit bleiben. Sie war so sehr ein Zuhause für Tom Riddle gewesen, wie sie es für Harry war. Man könnte bessere Zugangsmöglichkeiten schaffen und die Geschäfte finanziell unterstützen, damit sie ihre Preise senken konnten. Vielleicht das Dorf noch weiter ausbauen, damit mehr Zauberer und Hexen hier leben konnten.   Harry schüttelte den Kopf und lächelte über seine eigenen Gedanken. Darüber sollte er sich jetzt wirklich keine Gedanken machen. Er nahm sich aber vor, es im Hinterkopf zu behalten und bei Gelegenheit mit Voldemort zu erörtern. Aber vorher gab es noch so viel mehr zu tun.   „Was ist los?“ Weasley schaute ihn von der Seite fragend an.   „Nichts weiter. Mir ist nur aufgefallen, wie angenehm ruhig es hier ist.“   „Ja, es ist wirklich schön hier.“ Sie klemmte sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr und sah schüchtern zu Harry hinauf.   Plötzlich spürte Harry, wie sich ihnen jemand näherte. Draco kam den Pfad entlanggelaufen, den auch sie eingeschlagen hatten. Er war noch hinter ein paar Kurven, aber es würde nicht lange dauern, bis er sie eingeholt hatte. Was wollte er? Hatte er nach ihnen gesucht? Harry konnte sich nicht vorstellen, dass es nur Zufall war.   Weasley, die nichts davon mitbekam, reckte ihren Kopf und lehnte sich ein Stück vor. Erst als sie ihren Kopf leicht zur Seite neigte, begriff Harry, dass sie ihn küssen wollte.   Er überlegte verzweifelt, wie er aus dieser Situation herauskommen sollte. Natürlich hatte er gewusst, dass er sie irgendwann im Laufe des Tages würde küssen müssen, aber im Moment fühlte er sich nicht bereit dazu und schon gar nicht, wenn Draco jeden Moment um die Ecke kommen könnte.   Ein lautes Knurren ließ Weasley zusammenzucken. Sie ging einen Schritt von Harry weg und schaute beschämt zur Seite. „Entschuldige.“   Erleichtert atmete Harry aus. Gerettet durch einen leeren Magen.   „Nichts, zu entschuldigen.“ Seine Stimme klang aufmunternd und freundlich, wie jemand, der wirklich ernstes Interesse an der Person gegenüber zeigte. „Ich hätte besser auf die Zeit achten sollen. Du hast nicht gefrühstückt. Wir sollten ins Dorf gehen und zu Mittag essen.“ Er hielt ihr seinen Arm hin.   Dankbar hakte Weasley sich bei ihm ein. Sie gingen durch die heruntergekommenen Häuschen hindurch. Harry hoffte, dass er so auch Draco abschütteln konnte.   Sein Wunsch wurde ihm aber nicht erfüllt. Sie hatten ungefähr die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, als Draco sie eingeholt hatte. Harry konnte nicht länger so tun, als hätte er ihn nicht bemerkt. Seine Schritte wurden langsamer, bis er völlig stehen blieb.   „Na, wen haben wir denn da?“, erklang die arrogante Stimme hinter ihnen.   Erschrocken drehte sich Weasley um. „Was willst du hier, Malfoy?“   Auch Harry drehte sich langsam um. Er wusste nicht, wie er sich fühlen sollte. Auf der einen Seite kribbelte es vor Freude in seinem Bauch, weil Draco es nicht egal zu sein schien, dass er sich mit jemanden traf und ihm folgte, obwohl sein Lord den Befehl zurückgezogen hatte. Auf der anderen Seite war er stinksauer, weil er nicht einmal einen Tag lang Ruhe bekam und wenigstens so tun konnte, als würde er ein normales Leben führen.   „Ich? Ich war nur zufällig hier spazieren.“, antwortete Draco in einem gespielt unschuldigen Ton.   „Schwachsinn. Du bist uns gefolgt. Gib es zu.“ Weasley war wütend.   „Und warum sollte ich das tun?“ Er klang jetzt leicht amüsiert. „Warum sollte ich mir diese Farce von einem Date anschauen wollen?“   Harry wusste, dass er etwas sagen sollte, sie beide verteidigen sollte, aber er stand einfach nur da, versuchte, seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen.   „Farce?“ Ihre Stimme wurde plötzlich eine Oktave höher.   „Natürlich.“ Draco stellte sich provakant vor sie, das Kinn nach vorn gestreckt, schaute er auf sie herab. „Potter hat offensichtlich kein Interesse an dir. Wenn du nicht die ganze Zeit wie eine Klette an ihm kleben würdest, hätte er nicht einmal bemerkt, dass du existierst.“   Sie schaute hilfesuchend zu Harry, aber er starrte nur mit einer Mischung aus Wut und Unglauben auf Draco.   „Die ganze Zeit, fragt er ein Mädchen nach dem anderen, ob sie mit ihm ausgeht. Aber obwohl du dich ihm die ganze Zeit anbiederst, geht er erst mit dir aus, nachdem niemand sonst noch Interesse hat. Gibt dir das nicht zu denken?“ Ein bösartiges Glitzern schlich sich in seine Augen.   „Harry.“ Dracos Worte hatten ihren Zweck nicht verfehlt. Der Zweifel stand ihr ins Gesicht geschrieben, aber noch wollte sie sich die Wahrheit nicht eingestehen. „Glaubst du wirklich, dass ich mich von deinem Geschwätz beeindrucken lasse? Du widerliches Frettchen!“   Draco lachte nur siegessicher, als er seinen Spitznamen hörte, den er vor zwei Jahren von den Gryffindors bekommen hatte. Er war längst nicht mehr der Junge, der er damals gewesen ist.   „Du willst uns nur auseinanderbringen und lässt dir deswegen solche Lügen einfallen.“   „Lügen? Ich habe es nicht nötig, mir irgendwelche Lügen einfallen zu lassen, wenn die Wahrheit doch so viel besser ist. Und du weißt, dass ich recht habe. Seit die Gerüchte über Potter im Umlauf sind, macht jedes Mädchen einen großen Bogen um ihn, mit Ausnahme von dir und Granger. Wenn das Schlammblut nicht mit dem Wiesel zusammen wäre, hätte er wahrscheinlich sogar eher sie gefragt als dich.“ Das letzte Wort betonte er abfällig und verzog seinen Mund zu einer angewiderten Fratze.   Weasley zog blitzschnell ihren Zauberstab und sprach den Flederwichtfluch auf Draco.   Der Eisprinz von Slytherin machte seinem Titel alle Ehre und blieb unbeeindruckt stehen. „Glaubst du wirklich, das funktioniert zweimal?“   „Aber wie?“ Diesen Fluch hatte noch nie jemand von ihr abwehren können. Aber Draco stand einfach nur da, hatte nicht einmal seinen Zauberstab gezogen und es passierte nichts.   „Wie gesagt, glaubst du wirklich, das funktioniert zweimal? Aber das zeigt nur, wie gewöhnlich du bist. Keine Argumente mehr und schon wird zum Zauberstab gegriffen.“   Sie wollte zu einem weiteren Fluch ansetzen, aber Harry griff nach ihrem Handgelenk und hielt sie auf. „Das reicht jetzt.“ Wen er damit meinte, wusste er selbst nicht genau.   „Aber Harry. Du hast doch gehört, was er gesagt hat.“, schluchzte Weasley.   „Das ist kein Grund, sich auf sein Niveau herabzulassen.“ Harry sprach leise und bemüht ruhig, aber in ihm brodelte es. „Hör einfach nicht auf das, was er sagt.“   Er schaute zu Draco, seine Augen hart und kalt.   Dracos kalte Fassade bröckelte leicht und er musste hart schlucken, als Harry ihn so ansah.   „Hat er recht?“ Weasley schaute ihn flehentlich an, bat stumm, dass Harry ihr sagte, dass Draco ein Lügner war und er sie liebte.   „Natürlich hat er nicht recht.“ Die Lüge ging nur schwer von seinen Lippen. Am liebsten hätte er dieses Theater beendet. Er fühlte sich auf einmal so müde und kraftlos. Stattdessen legte er ihr eine Hand an die Wange und strich eine Träne weg, die sich aus ihren Augen gelöst hatte. Seine Gesichtszüge wurden etwas weicher. „Geh zurück ins Schloss. Wir holen unser Date ein anderes Mal nach.“ Eine weitere Lüge.   „Aber Harry…“   Harry schüttelte den Kopf. „Ich komme gleich nach.“   Sie nickte zögerlich und ging dann in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Vorsichtig ging sie an Draco vorbei, aber er beachtete sie nicht. Sein Blick war starr auf Harry gerichtet.   Weasley drehte sich nicht noch einmal um.   Harry wartete, bis sie sicher aus Hörweite war.   „Warum?“ Seine Stimme zitterte vor Wut, wie auch sein gesamter Körper. „Warum tust du es schon wieder?“   Draco antwortete nicht. Er musste an ihre letzte Auseinandersetzung denken, an ihren Kuss. Dieser Moment war in seinem Gedächtnis eingebrannt.   „Was habe ich dir getan, dass ich das verdient habe? Ist das die Rache für die letzten Jahre?“ Harry schluckte. „Ich habe wirklich geglaubt, dass wir sowas wie Freunde werden könnten. Sind! Aber du willst nichts weiter, als dass ich leide.“ Harrys Augen loderten vor Wut und Verzweiflung.   „Das… ist nicht wahr.“, antwortete Draco leise.   Plötzlich schnellte Draco vor. Bevor Harry reagieren konnte, kollidierte sein Rücken hart mit einer Wand der baufälligen Häuser. Überrascht schnappte er nach Luft. Ihm blieb aber keine Zeit, seine Gedanken zu sammeln. Alles, was er noch spürte, waren Dracos Lippen, die sich gegen seine pressten.   Harrys Verstand setzte aus. Beinahe verzweifelt klammerte er sich an Draco, krallte sich in seinen Haaren fest und versuchte, ihn noch weiter zu sich zu ziehen. Vergessen war seine Wut, vergessen war der Grund, warum er das hier nicht tun sollte. Alles was blieb, war Draco und das Gefühl von seinen Lippen und seiner Zunge, die sich fordernd in seinen Mund drängte.   Er stöhnte, als Dracos Zungenspitze seine berührte. Gierig kam er ihr mit seiner entgegen, wollte mehr von diesem Geschmack, diesem Gefühl. Harry zog an Dracos Haaren, um seinen Kopf ein Stück zur Seite zu drehen, genoss dabei das Gefühl, wie diese seidigen Haare durch seine Finger glitten.   Draco gab nach und intensivierte den Kuss, drückte Harry weiter gegen die Wand. Seine Hände glitten an Harrys Körper herab, umklammerten seine Hüften und zog sie zu sich. Ihre Leisten drängten sich aneinander, beide eindeutig erregt.   Harry biss hart in Dracos Unterlippe und erntete dafür ein tiefes Knurren. Er leckte immer wieder über dir malträtierte Stelle, genoss, wie samtweich sie sich anfühlte, bevor er weiter daran knabberte.   Draco stöhnte laut auf. Er löste seinen Mund von Harry, nur um gleich darauf seinen Hals zu attackieren. Mit Zunge und Zähnen bearbeitete er die empfindliche Haut, widmete sich besonders dem Puls und einer winzigen Stelle hinter seinem linken Ohr. Dann arbeite er sich seinem Hals hinab, genoss, wie Harrys Atem immer schneller wurde, genauso wie sein immer lauter werdendes Stöhnen. Ein kurzes Ziehen an dem weiten Pullover und schon war Harrys Schlüsselbein freigelegt. Während er sich mit seinem Mund dahinarbeite, umklammerte er mit beiden Händen Harrys Hintern, griff fest zu und hoch ihn hob.   Harry keuchte überrascht auf und umklammerte reflexartig mit seinen Beinen Dracos Hüfte. Seine Sinne waren völlig benebelt. Kurz öffnete er seine Augen und starrte in den blauen Himmel. Die Mittagssonne blendete ihn, konnte ihn aber nicht aus seinem Rausch reißen. Er wusste nicht, worauf er sich konzentrieren sollte. Dracos Erektion pulsierte hart gegen seine eigene und die Zunge, die sich in die kleine Kule über sein Schlüsselbein bohrte, machte ihn völlig wahnsinnig. Mit wieder geschlossenen Augen zog er Dracos Kopf zu sich, suchte mit seinen Lippen die des Slytherins, ertrank in dem Geschmack nach Frühling und Morgentau. Seine Hüften schnellten nach vorn, um sich noch näher an Dracos zu pressen und seiner schmerzender Erregung Linderung zu verschaffen.   Gierig kam Draco jedem Stoß mit der gleichen Intensität entgegen. Seine Hände kneteten Harrys Hintern und zog ihn bei jedem Stoß zu sich heran. Ihre Küsse, die mehr Zähne, Lippen und nach Luft schnappen enthielten, wurden immer unkontrollierter, während sie sich immer schneller und schneller aneinander rieben.   Harry krallte sich schmerzhaft in Dracos Haare. Seine Atmung ging nur noch stoßweise. Die Luft war erfüllt von Stöhnen und Keuchen und er konnte nicht sagen, welche von ihm kamen und welche von Draco. Er spürte, wie sich sein Orgasmus aufbaute. Seine Sinne waren völlig überfordert. Dracos Geschmack, diese Hände an seinem Hintern und die permanente Reibung an seiner Erektion waren einfach zu viel.   „Merlin, Harry! Ich will dich so sehr.“   Harry riss seine Lider auf und starrte in Dracos hellgraue Augen, die fast schwarz waren vor Lust. Sein Orgasmus überrollte ihn so heftig, dass er kurz Sterne vor seinen Augen tanzen sah. Mit einem lauten Schrei ergoss er sich in seine Hose.   Als Draco seinen Höhepunkt kurz danach erreichte, biss er hart in Harrys Schulter. Das Bedürfnis, ihn als sein Eigentum zu kennzeichnen war zu stark.   Harry spürte es kaum. Er ließ seinen Kopf nach vorn fallen, die Augen wieder geschlossen. Sein Atem ging schwer. Langsam kam die Welt wieder in sein Bewusstsein.   Er konnte Dracos Atem an seiner Schulter spüren. Die Stelle, an der er zugebissen hatte, brannte leicht. Der Adrenalinrausch ließ nach. Seine Beine begannen zu zittern und er fühlte sich erschöpft.   Vorsichtig ließ Draco Harry herunter und stützte ihn, bis er sich sicher war, dass Harry alleine stehen konnte.   Harry starrte vor sich hin, den Schmerz in seinem Rücken nahm er kaum war. ‚Was habe ich nur getan?‘   „Harry?“ Draco streckte seinen Arm aus und wollte über Harry Wange streicheln, aber Harry schlug seine Hand weg.   Seine Hände zu Fäusten geballt, stand Harry einfach nur da. In seinem Gesicht spiegelten sich so viele Emotionen wider, aber Draco konnte keine benennen. Dann setzte er sich in Bewegung. Er ging um Draco herum und lief den Weg zurück. Erst langsam, dann immer schneller. Er rannte und rannte. Er rannte zurück ins Schloss, weg von Draco, weg von dem Ort, an dem er alles zerstört hatte.   Draco blieb zurück und schaute Harry verwirrt und hilflos hinterher. Kapitel 31: Mit anderen Augen ----------------------------- Draco stand einfach nur da und schaute Harry hinterher. Er fühlte sich, als hätte jemand einen Eimer Eiswasser über ihn ausgekippt und das Hoch, welches er eben gefühlt hatte, völlig weggespült.   Was war gerade passiert?   Er hatte völlig die Kontrolle über sich verloren. Mal wieder. Wie immer, wenn es um Harry ging. Draco erinnerte sich an Harrys letztes Date mit dieser unscheinbaren Hufflepuff Bones. Es war so leicht gewesen, die kleine Göre zu verunsichern. Hatte sie wirklich geglaubt, dass der Auserwählte ernsthaft an ihr interessiert war? Aber Harry hatte sich wirklich bemüht, sie vom Gehen abzuhalten. Die Erinnerungen, wie er nach Bones Hand gegriffen hatte, hatte ihn seitdem verfolgt und ihn jedes Mal vor Eifersucht kochen lassen. Dass Harry ihn weggeschubst hatte, als Draco versucht hatte, ihn zu küssen, hatte dabei auch nicht geholfen. Aber etwas hatte in diesem Moment ausgesetzt. Harry hatte so unglücklich ausgesehen und er hatte es wieder gut machen wollen. Sein Körper hatte mehr reagiert, als er wirklich darüber nachgedacht hätte.   Draco hatte nicht wirklich an die Möglichkeit geglaubt, dass Harry an ihm interessiert sein könnte. Nicht nach alldem, was zwischen ihnen vorgefallen war. Dass er mit ihm geflirtet hatte, war ein Spiel gewesen.   Zu Beginn.   Zumindest hatte er sich das eingeredet. Aber spätestens seit dem Kuss hatte er sich eingestehen müssen, dass da mehr war als die reine Lust nach diesem fantastischen Körper, dass er Harry für sich haben wollte.   Er hatte Harry danach noch intensiver beobachtet, um herauszufinden, ob der Kuss irgendetwas in ihm ausgelöst hatte. Aber da war nichts. Auch auf seine Flirtversuche hatte er nach wie vor nicht reagiert. Es war so frustrierend gewesen.   Es war, als hätte dieser gestohlene Kuss ihm das letzte bisschen Verstand geraubt. Er war Harry hoffnungslos verfallen. Draco begann dieses unbekannte Mädchen zu hassen, wollte unter allem Umständen herausbekommen, wer sie war. Er hätte seinen Auftrag erfüllt und sie an den Dunklen Lord verraten, auch in dem Wissen, dass er Harry damit das Herz gebrochen hätte. Und je mehr er versucht hatte, es herauszubekommen, umso mehr hoffte er, dass er es niemals schaffen würde, weil er ihm das nicht antun wollte.   Nachdem der Dunkle Lord ihn von seinem Auftrag abgezogen hatte, war er gleichermaßen erleichtert und wütend gewesen. Er hatte Harry nicht weh tun wollen, aber er wollte sie aus dem Weg haben. Wer auch immer sie war, sie hatte ihn nicht verdient.   Keines dieser Mädchen hatte Harry verdient. Diese kleinen arroganten Schlampen, die sich sonst was einbildeten, weil der berühmteste Zauber der Welt – nach dem Dunklen Lord natürlich – mit ihnen ausging. Sie alle sahen doch nur den Helden, den Auserwählten. Sie wollten den Ruhm, nicht den Zauberer.   Draco hätte ihnen allen am liebsten die Augen ausgekratzt. Aber keine war so schlimm, wie diese Weasley-Schlampe. Es war so peinlich, wie sie sich immer und immer wieder an Harry ranschmiss und es einfach nicht begreifen wollte, dass er kein Interesse an ihr hatte. Sie war genau wie Pansy.   An diesem Morgen war es aber anders gewesen. Harry hatte nicht so abweisend auf sie reagiert wie sonst. Im Gegenteil. Das hatte Draco misstrauisch werden lassen. Aber Harry war dann gegangen und er hatte sich keine weiteren Gedanken darüber gemacht.   Wenig später war Draco mit Vincent und Gregory nach Hogsmeade aufgebrochen. Er wollte unbedingt wissen, wie das Date von Chang verlief oder besser gesagt, wie sie reagieren würde, wenn ihr die Ausmaße des Fluchs bewusst würden. Er hatte solange darauf gewartet. Chang hatte es nicht anders verdient und es war ihm eine Freude, Harrys Ex leiden zu sehen.   Er war nicht überrascht gewesen, Harry auf dem Weg in das Dorf zu sehen. Überrascht hatte ihn allerdings, dass Weasley bei ihm gewesen war. Sie hatten Date. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag und Eifersucht loderte in ihm auf. Es fühlte sich an, als würde Säure durch seine Venen fließen. Ihm fielen spontan mehrere Flüche ein, deren Wirkung er an ihr testen wollte. Aber er konnte sich gerade noch so zusammenreißen.   Nur kurz hatte Draco es genießen können, wie Chang zusammengebrochen war. Die ganze Zeit hatte er im Hinterkopf, dass Harry mit dieser anderen Schlampe verabredet war. Zu gern wäre er mit zurück ins Schloss gegangen, aber er musst ein Auge auf sie halten. Es konnte doch nicht sein, dass Harry lieber mit dieser rothaarigen Göre zusammen war als… nun ja… mit ihm.   Natürlich wusste Draco, dass Harry kein ernstes Interesse an ihr hatte. Sie war nichts weiter als ein Zeitvertreib, eine Ablenkung. Doch der Gedanke daran, dass er sie küssen könnte, machte ihn fast wahnsinnig.   Draco war ins Dorf gegangen, um sie zu beobachten. Er war immer nervöser geworden, als sie nicht hinterherkamen. Waren sie doch mit zurück ins Schloss gelaufen? Sie hatten nicht den Eindruck gemacht, als ob sie ihr Date abbrechen wollten.   Sicherheitshalber war Draco zurückgegangen. Er wäre geradewegs zurück zur Schule gelaufen, wären ihm nicht die Fußabdrücke in der noch leicht feuchten Erde aufgefallen, die zu einem Seitenweg um Hogsmeade herumführten.   Angespannt war er den Spuren gefolgt.   Es hatte Draco einiges an Willenskraft gekostet, seinen Zauberstab bei sich zu behalten. Aber dafür hatte es Weasley ihm auch ohne Zauberei so leicht gemacht. Er hatte nur nicht bedacht, dass er Harry damit verletzten könnte.   Als er Harry so vor sich hatte stehen sehen, so verloren und verzweifelt, hätte er alles getan, um ihn wieder glücklich zu machen. Er hatte sich selbst nicht wiedererkannt. Draco hatte noch zuvor in seinem Leben so für jemanden gefühlt.   Etwas hatte in ihm ausgesetzt. Plötzlich konnte Draco nur noch daran denken, Harry zu küssen. Er wollte wieder diese Lippen schmecken, diese Süße, die ihn alles andere vergessen ließ. Er wollte vergessen, dass nicht er es war, den Harry wollte, wollte vergessen, dass er ihn gerade so unglücklich gemacht hatte, wollte sich einen Moment lang der Illusion hingeben, dass Harry doch ihm gehörte.   Harry hatte ihn nicht wieder weggeschubst. Im Gegenteil. Harry hatte den Kuss mit einer Intensität erwidert, dass er das Verlangen und die Verzweiflung hatte schmecken können. Es war so berauschend gewesen. Draco hatte den störenden Stoff zwischen ihnen verfluchte, wollte Haut auf Haut spüren und Harrys harten, pulsierenden Schwanz in seinen Händen.   Die Erinnerungen brachten Dracos ganzen Körper zum Zittern. Nicht sicher, ob er seinen Beinen trauen konnte, lehnte er sich an die Wand und ließ sich hinabgleiten. Er schloss seine Augen und sah sofort Harrys Gesicht vor sich. Seine Augen waren so dunkel gewesen und hatten dennoch gefunkelt, wie ein Smaragd. Sie waren voller Lust und Begierde. Zu schade, dass er sie nur so kurz sehen konnte.   Er wollte das wieder haben, Harrys Körper an seinen gepresst, diese wundervollen Augen auf ihn gerichtet, nur auf ihn. Aber Draco war einfach nicht, was Harry wollte. Er war weggerannt und hatte Draco allein und verwirrt zurückgelassen. Wahrscheinlich hasste er ihn jetzt nur noch mehr als zuvor.   Ein kleines Wimmern entschlüpfte seiner Kehle. Worin hatte er sich da nur hineinmanövriert? Draco erkannte sich selbst nicht wieder. Niemals in seinem Leben hatte er sich so mies und verloren gefühlt. Und an all dem war Harry schuld. Er wollte ihn dafür hassen. Wie viel leichter wäre es doch, wenn er Harry noch hassen könnte, wenn er nicht diese Sehnsucht nach diesem elenden Narbengesicht verspüren würde.   Aber so ging das nicht weiter. Er musste mit jemanden drüber reden.   Es gab nur einen Zauberer, der dafür in Frage kam.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Draco rappelte sich auf und ging zurück ins Schloss. Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt – ‚Wie lange habe ich hier gesessen?‘ – und tauchte die Landschaft in unwirkliche Farben, leuchtend wie auf einem frisch gemalten Landschaftsgemälde, auf dem die Farben noch nicht getrocknet waren.   Alle Schüler, die ihm auf seinem Weg entgegenkamen, machten einen großen Bogen um ihm. Seine Maske war zerbrochen und was darunter zum Vorschein kam, war noch beängstigender als die kalte Fassade des Eisprinzen von Slytherin. In diesem Zustand war er unberechenbar.   Seine Schritte hallten leise durch die Flure im Kerker. Die Kerzen gaben nur spärlich Licht, als würde selbst das vor ihm zurückschrecken und sich in der Dunkelheit verkriechen.   Endlich war er an seinem Ziel angekommen. Der Weg war ihm so lang vorgekommen, aber jetzt, da er vor der Tür stand, wünschte er sich, er hätte noch ein bisschen länger Zeit. Was sollte er sagen?   Bevor er seine Meinung ändern konnte, hatte er Hand gehoben und klopfte an die Tür.   Er dauerte nicht lange und das alte Holz wurde mit einem leisen Quietschen aufgeschoben.   Schwarze Augen schauten ihn fragend an. Draco fühlte sich auf einmal wieder wie der siebenjährige Junge, der im kindlichen Leichtsinn eine teure Flasche Elfenwein zerbrochen hatte und sich aus Angst vor seiner Mutter zu ihren Gast geflüchtet hatte, weil er der Meinung war, dass sie ihn nicht vor anderen bestrafen würde. Snape hatte ihn damals mit dem gleichen Blick angeschaut. Er hatte Draco sofort angesehen, dass er etwas angestellt hatte.   Draco hatte damals zwei Dinge gelernt. Zum einen, dass seine Mutter nicht davor zurückschreckte, ihn vor anderen zu bestrafen, und zum anderen, dass er immer zu Snape gehen konnte, wenn ihn etwas bedrückte.   Snape ging ein Stück zur Seite und ließ Draco eintreten. „Was ist passiert?“   Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, fing Draco an zu erzählen. Die Wörter flossen ganz von selbst aus seinem Mund. Es war merkwürdig, mit jemanden über seine Gefühle zu sprechen, vor allem, wenn man sie selbst nicht so genau verstand. Aber es tat gut, sich alles von der Seele zu reden, was ihn die letzten Wochen beschäftigt hatte. Aber die Anspannung ließ dennoch nicht nach.   Snape hörte ihm aufmerksam zu, ohne ihn zu unterbrechen und Draco war dankbar dafür. Als er geendet hatte, holte Snape zwei Becher aus einem Schrank und füllte beide mit heißem Wasser aus einem Kessel, der neben der Feuerstelle stand. Anschließend warf er ein paar getrocknete Blüten hinein und reichte Draco einen.   „Kamille. Zur Beruhigung.“, beantwortete er Dracos unausgesprochene Frage.   Draco nahm ihn entgegen und schlang dankbar seine kalten Fingen und den warmen Becher. Bis jetzt war ihm gar nicht aufgefallen, wie kalt ihm war. Erst als er den Becher in seiner Hand zittern sah, wurde ihm bewusst, dass er die Ursache war. Er folgte Snape, der zum Kamin ging und setzte sich in den angewärmten Sessel. Ihm war immer noch kalt.   Er starrte einen Moment lang in dem Kamin, aber das Feuer brannte ihm zu hell und tat ihm in den Augen weh. Schnell wandte er sich wieder ab und schaute zu Snape. Sein Professor starrte ebenfalls in die Flammen. Er schien in Gedanken versunken. Seine Finger trommelten sanft gegen seinen Becher, als ob er mit einer Entscheidung ringen würde.   Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis Snape endlich seinen Blick löste und Draco anschaute. Entschlossenheit stand ihm ins Gesicht geschrieben.   „Wusstest du, dass ich letztes Jahr versucht habe, Harry in Okklumentik zu unterrichten?“   Was auch immer Draco erwartet hatte, was er jetzt hören würde, das war es ganz sicher nicht. Er schüttelte nur verwirrt seinem Kopf. Was hatte das damit zu tun?   „Der Schulleiter hatte mich darum gebeten. Harry hatte das zweifelhafte Vergnügen, jedes Mal, wenn der Dunkle Lord ein Übermaß an Emotionen zeigte, in dessen Bewusstsein gesogen zu werden. Dumbledore nahm an, dass es nur eine Frage der Zeit wäre, bis er das bemerkt und dann zu seinem Vorteil nutzen würde.“   Ein kleines Puzzleteil fand seinen Platz. Deswegen hatte Dumbledore Harry letztes Jahr immer ignoriert. Er wollte dem Dunklen Lord nicht noch zusätzlichen Anreiz geben, in Harrys Kopf einzudringen. Aber wie war das überhaupt möglich? Der Dunkle Lord konnte natürlich von seinen Anhängers Besitz ergreifen, das wusste Draco. Aber das hier war etwas völlig anderes.     „Nun, wie du dir vielleicht vorstellen kannst, war ich zur damaligen Zeit nicht die beste Wahl, um ihn zu unterrichten. Auch wenn wir unserer Differenzen in der Zwischenzeit bereinigt haben, war unser Verhältnis damals… nennen wir es… kompliziert.“   Ja, Draco konnte sich noch gut daran erinnern. Aber seit Harry übergelaufen war, hatte sich das Verhältnis zwischen Snape und Harry verbessert. Das war ein weiterer Grund, warum Draco jetzt hier war. Zu wem hätte er denn sonst gehen können, um über seine Gefühle für Harry zu sprechen?   Am Anfang hatte er angenommen, dass es wegen eines Befehles vom Dunklen Lord war, dass die beiden sich jetzt besser verstanden, zumindest im Privaten. Wäre Draco nicht darauf angesetzt gewesen, Harry genau zu beobachten, dann wäre ihm bestimmt nicht aufgefallen, dass das da mehr sein musste, dass sich ein leichtes Einverständnis, vielleicht sogar eine beginnende Freundschaft zwischen den beiden entwickelt hatte. Etwas verband die beiden Zauberer miteinander und Draco spürte eine leichte Eifersucht in sich aufsteigen, schüttelte das Gefühl aber schnell wieder ab.   „Wie ich erwartet hatte, war Harry außerordentlich schlecht. Er versuchte nicht einmal, es zu lernen. Dumm und faul. Ich sah nur, was ich sehen wollte und habe nicht bemerkt, dass ich selbst zu einem großen Teil die Schuld an seinem Scheitern trug.“ Eine leichte Verbitterung schwang in der Stimme mit, die bis jetzt ruhig und neutral gewesen war.   Plötzlich zeigte Snape ein kleines Lächeln, welches so gar nicht in seine Geschichte passen wollte. Draco wollte schon nachfragen, als Snape weitersprach.   „Aber Harry ist vor allem eins: stur. Trotz seiner mangelnden Erfolge und scheinbarer Talentlosigkeit für die Hohe Kunst der Okklumentik, wollte er seine Gedanken und Erinnerungen vor mir verbergen. Also entwickelte er eine neue Form der Okklumentik. Ich habe vorher noch nie von so einer Technik gehört und wenn mir das jemand erzählt hätte, hätte ich felsenfest behauptet, dass so etwas unmöglich wäre.“   Jetzt wurde Draco hellhörig. Eine neue Art der Okklumentik?   „Unter meinem – wie ich zu meiner Schande gestehen muss – brutalen Ansturm auf seinen Geist, schaffte er es, kleine Details in den Bildern und Gedanken, die ich ihm entriss, zu verändern. Ich hatte es zu Beginn gar nicht bemerkt. Bis ich eine Erinnerung von seinen Eltern gesehen hatte. Ich weiß gar nicht, warum er versucht hatte, diese Bilder vor mit zu verbergen.“ Snape lachte.   Snape lachte!   „Seine Mutter hatte in dieser Erinnerung schwarze Haare und sein Vater rote. Das sah so lächerlich aus. Ich war so geschockt, dass ich sofort von ihm abließ.“   Augenblicklich wurde Snape wieder ernst und sah Draco direkt in die Augen. Dieser intensive Blick ließ ihn stocken und er musste schwer schlucken. Er fühlte sich gerade wie ein kleines Kaninchen, das gleich vom großen bösen Wolf verschlungen werden würde.   „Ich muss darauf bestehen, dass das unter uns bleibt, Draco. Ich habe niemanden davon erzählt. Nicht Dumbledore und auch nicht dem Dunklen Lord. Und sie dürfen das auch niemals erfahren. Hast du mich verstanden?“   Draco nickte zögerlich. „Aber was hat das alles mit mir zu tun?“ Er verstand das alles nicht. Sicher, es war eine sehr interessante Geschichte gewesen, aber was hatte das mit seinen Gefühlen für Harry und dessen Aussichtslosigkeit zu tun?   „Verstehst du es wirklich nicht?“ Snape seufzte. „Harry hat eine viel wirkungsvollere Methode gegen Legilimentik entwickelt als Okklumentik. Bei Okklumentik, weiß der Anwender, dass der andere sich schützen kann. Bei Harrys Methode sind seine Gedanken und Erinnerungen weitestgehend geschützt, weil er seinen Angreifer quasi belügt. Er weiß nicht, dass er belogen wird, weil er nicht mal an die Möglichkeit denkt. Er glaubt alles, was er sieht und kann mit falschen Informationen gefüttert werden. Sollte der Dunkle Lord das jemals erfahren, dann würde er doch alles anzweifeln, was er in Harrys Geist gesehen hat. Auch die Tatsache, dass Harry die Seiten wegen eines Mädchens gewechselt hat. DERJENIGE, den Harry zu schützen versucht, wäre nicht länger sicher.“   Wenn überhaupt war Draco jetzt nur noch verwirrter.   Snape seufzte schwer, dann sprach er leise weiter, beinahe ein Flüstern. „Draco. Es gab niemals eine sie. Es warst immer du gewesen. Harry hat deinetwegen die Seiten gewechselt.“   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Gedanken verloren lief Draco durch das Schloss. Er hatte sich noch lange mit Snape unterhalten. Noch immer schien ihm der Gedanke so absurd. Harry sollte in ihn verliebt sein? Hätte er das nicht bemerken müssen? Er hatte ihn so intensiv beobachtet. Er hatte mit ihm geflirtet. Aber von Harry war nie auch nur die kleinste Reaktion gekommen. Konnte er wirklich so blind sein?   Er versuchte, sich alle Momente wieder in Erinnerung zu rufen. Aber so sehr auch suchte, er fand einfach nichts, was Snapes Behauptung bestätigen würde. Mit Ausnahme des heutigen Tages. Der Kuss, der Sex. Draco hatte Harrys starke Reaktion auf seine Verzweiflung geschoben, dass er nicht mit seiner Geliebten zusammen sein konnte. Wenn Draco aber so darüber nachdachte, könnte er damit gemeint sein. Draco selbst kann sich nicht vorstellen, dass Harry Gefühle für ihn hat, wie sollte es andersherum anders sein, wenn man sich ihre gemeinsame Vergangenheit anschaute? Ihre gemeinsame Vergangenheit, die jegliches Aufkommen solcher Gefühle im Keim ersticken sollte. Auf beiden Seiten.   Doch er war sich sicher, dass Snape ihn nicht belogen hatte. Was hätte er davon? Draco wusste, dass Snape ihn nicht belogen hatte, egal, wie schwer es ihm fiel, die Wahrheit zu glauben. Wichtig war jetzt nur eins, er musste zu Harry. Und er hatte auch eine ziemlich genaue Vorstellung, wo er ihn finden würde.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Wie Draco erwartet hatte, fand er Harry auf dem Astronomieturm. Die Ausgangssperre hatte gerade begonnen und glücklicherweise hatten sich alle Schüler daran gehalten, zumindest war Draco niemandem begegnet.   Als Draco hinaus auf die Plattform trat, wurde er von einem starken Wind erfasst, der kalt in sein Gesicht blies. Er ließ sich davon aber nicht beirren und schaute sich um. Harry saß auf dem Boden, an die alte Steinmauer des Turms gelehnt, die Beine von sich gestreckt und starrte vor sich hin. Etwas zog sich bei diesem Anblick schmerzhaft in seinem Inneren zusammen.   Draco ging auf Harry zu, blieb dann aber neben ihm stehen, unsicher, was er sagen sollte.   „Harry.“ Seine Stimme war so leise, dass Draco sich wunderte, ob er ihn überhaupt gehört hatte.   Aber Harry musste ihn gehört haben, denn er drehte sich zu ihm um.   Draco stockte der Atem. Harry sah genauso aus, wie er sich fühlte. Völlig verloren, verwirrt und so, so müde. Er kniete sich hin und streckte vorsichtig seine Hand aus, als wäre Harry ein scheues Kätzchen, das bei einer zu hastigen Bewegung reißausnehmen könnte. Seine Fingerspitzen strichen über Harrys Wange und Draco beobachtete mit Erstaunen, wie Harry sich in seine Berührung lehnte.   „Ich hätte nie damit gerechnet, dass ich es sein könnte.“   Harry reagierte nicht, aber der Blick in seinen Augen sagte alles, was Draco wissen musste. Er lehnte sich nach vorne, bis sich ihre Lippen trafen.   Dieser Kuss war so ganz anders als der Stunden zuvor. Er war so vorsichtig. Als wäre dies ihr erster Kuss und sie würden beide austesten, wie weit sie bei dem anderen gehen konnten. Draco genoss ihn deswegen nicht weniger. Er mochte, wie sich Harrys Lippen an seinen anfühlten. Weich und warm, trotz der Kälte um sie herum. Er fuhr mit seiner Zungenspitze den schmalen Spalt entlang, der sich widerstandslos öffnete. Kurz glaubte Draco einen schwach salzigen Geschmack wahrzunehmen, aber Harrys Zunge, die seiner entgegenkam, drängte den Gedanken beiseite.   Draco vergrub seine Finger in Harrys Haare, um seinen Kopf noch weiter zu sich zu ziehen. Er brauchte mehr. Harrys Süße erfüllte seine Sinne. Es war viel zu leicht, sich diesem Rausch hinzugeben.   Plötzlich wurde er von zwei Händen gepackt und nur einen Augenblick später saß Draco auf Harrys Schoß, Harrys Arme um seine Taille geschlungen. Der Kuss wurde hitziger. Er brauchte mehr. Draco schlang seine Arme um Harrys Nacken und begann sein Becken zu bewegen, angespornt durch die Hände, die zu seinem Arsch gewandert waren und ihn kneteten.   Ein Stöhnen entrang sich seiner Kehle. Aber es war nicht genug. Er wollte, nein er musste Haut auf Haut spüren. Er musste ihn fühlen, um sich sicher zu sein, dass das wirklich passierte. Ungeduldig zehrte er an Harrys Pullover. Es war ihm egal, ob er ihn zerreißen würde. Das Ding musste einfach nur weg. Harry schien das ähnlich zu sehen, denn es dauerte nur einen Bruchteil einer Sekunde und Harry hatte den Kuss gelöst und sein Oberteil über den Kopf gestreift. Es lande irgendwo auf dem Boden und war vergessen.   Draco nutzte die Gelegenheit und stürzte sich auf Harrys Hals, der immer noch empfindlich von ihrem früheren Aufeinandertreffen war. Harry stöhnte laut auf, während Draco sich Harrys Hals hinabarbeitete.   Eine Windböe blies über sie hinweg und ließ Harry kurz erzittern. Erst jetzt bemerkte Draco, wie kalt Harrys Körper war. Er griff nach seinem Zauberstab und wollte einen Schutz um sie erreichten, war aber nicht willig, von Harrys abzulassen. Nach dem dritten erfolglosen Versuch, die Zauber ohne Worte hinzubekommen, gab er auf. Er konnte sich nicht konzentrieren, wenn Harry so köstlich unter seiner Behandlung wimmerte. Widerwillig löste er sich von Harry. Er öffnete schnell seinen Umhang, hielt ihn hoch und sprach dann den Zauber, der ihn eine Barriere gegen den kalten Wind verwandelte. Der Umhang flatterte über ihnen, sie selbst waren aber geschützt.   Dracos Oberteil war das nächste Kleidungsstück, dessen er sich entledigte und umfunktionierte. Fünf Sekunden und zwei Zaubersprüche später war daraus ein sehr weicher Teppich geworden, der mit einem Wärmezauber belegt war. Mit einem Ruck zog er Harry darauf und kletterte wieder über ihn.   Harrys überraschten Aufschrei wurde sofort von Dracos Mund gestoppt. Ein Stöhnen rang sich aus ihren beiden Kehlen, als sich ihre Oberkörper berührten. Draco stützte sich nur wenig ab, wollte so viel von Harrys Haut wie möglich an seiner fühlen, ignorierte dabei, wie kalt sie war.   Draco drückte sein Becken kreisförmig nach unten, genoss dabei jedes Stöhnen, das er mit seinem Mund abfangen konnte. Er spürte, wie Harrys Finger sich kurz in seinen Haaren verkrallten, bevor sie auf Wanderschaft gingen. Sie glitten über seine Schultern zu seinen Oberarmen. Harrys Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in seinen Trizeps, als Draco sein Becken wieder nach unten stieß.   Draco knurrte und intensivierte den Kuss noch mehr. Es war eine Tortur so ruhig zu bleiben, während Harrys Hände seinen Körper erkundeten. Sie wanderten den Weg zurück, strichen über seine Schulterblätter und dann seinen Rücken hinab. Als sie dem Bund von Dracos Hose erreicht hatten, schlüpften sie hinein und begannen Dracos Arsch zu massieren.   Ein tiefes Stöhnen, beinahe schon ein Grollen entkam Dracos Kehle. Das war einfach zu viel. Er schob seinen Hintern kurz in die Hände, die ihn so wundervoll kneteten, löste sich dann von Harrys Mund und schob sich ein Stück nach unten. Harrys Hände rutschten aus seiner Hose und ein Laut des Protestes war von Harry zu hören. Er ignorierte es.   Er knabberte Harrys Hals entlang, glitt immer tiefer, leckte ein paar Mal über die Stelle, in die bei seinem früheren Orgasmus gebissen hatte. Harry japste und keuchte unter Dracos Ansturm und Draco genoss es. Er würde alles tun, um das immer und immer wieder zu hören.   Draco arbeitete sich weiter Harrys Körper hinab. Er massierte jede Stelle der kalten Haut, bis sie wieder warm wurde. Es war berauschend, wie sich Harrys Körper seinem entgegenstreckte, als wäre er genauso ausgehungert nach seinen Berührungen wie Draco selbst. Mit Sicherheit sogar noch mehr, wenn man die Umstände bedachte.   Harrys Brustwarzen standen steif ab und bettelten um Aufmerksamkeit. Draco kam dieser stummen Aufforderung nur allzu gern nach. Harry zog scharf die Luft ein, als er sanft in eine Knospe biss. Es dauerte nicht lange und sie war dunkelrot und glänzte feucht von Dracos Speichel.   Draco sah nach oben und ihm blieb die Luft weg. Harry sah einfach atemberaubend aus. Seine Augenlider waren nur halb geöffnet und Draco bedauerte es fast, dass es so dunkel war und er nicht die grüne Iris sehen konnte. Harrys Atem ging stoßweise aus dem leicht geöffneten Mund. Seine Lippen waren zerbissen und wirkten viel dunkler als normal. Auch sie waren feucht und glänzten schwach. Draco wollte nach oben rutschen und sie küssen, aber sein Schwanz in seiner Hose drückte schmerzhaft gegen den Stoff und er wusste, dass er nicht mehr lange durchhalten würde.   Er schwor sich, sich das nächste Mal mehr Zeit mit der Erkundung von Harrys makellosen Körper zu lassen, während er sich weiter hinabgleiten ließ, bis er an der Hose angekommen war. Schnell hatte er den Kopf geöffnet und die störenden Kleidungsstücke nach unten geschoben.   Harrys Schwanz sprang ihm entgegen. Er lehnte sich ein Stück zurück, um den Anblick völlig zu genießen. Es war so dunkel, trotzdem konnte Draco das Schwarze Mal an Harrys rechtem Oberschenkel ausmachen. Er fuhr es mit seinen Fingerspitzen nach, bevor er einen sanften Kuss dagegen drückte.   „Dracooo…“, wimmerte Harry leise. Das war das erste, was er seit ihrem Streit gesagt hatte.   Draco schaute hoch und sein Blick blieb dabei auf Harrys Schwanz hängen. Die Spitze war dunkel und Lusttröpfchen traten aus dem kleinen Loch aus. Er leckte mit seiner Zunge darüber. Am Rande bekam er mit, wie Harry seinen Kopf bei der Berührung in den Nacken warf. Draco selbst entließ ein tiefes Stöhnen aus seiner Kehle. Der Geschmack war überwältigend. Er wollte mehr.   Harry zuckte unter ihm, sein Stöhnen und Keuchen kam immer abgehackter. Als sein Becken nach oben schnellte, nutzte Draco die Gelegenheit und verschlang Harrys Schwanz in einem Zug. Harry schrie auf. Draco konnte beobachten, wie Harry seinen Kopf hin und her warf, während er seinen immer wieder an diesem Schwanz auf und ab gleiten ließ.   Sein eigener Schwanz zuckte in seiner Hose. Der raue Stoff engte ihn schmerzhaft ein. Ohne seinen Mund von Harrys Penis zu lösen, fummelte er hastig an seine Hose herum. Es erschien ihm wie eine Ewigkeit, bis er sich endlich daraus befreit hatte. Etwas umständlich und leider nicht ohne, dass er sich doch kurz von Harry trennen musste, zog er sich die Hose aus. Ein Schauer überlief ihn, als sein vernachlässigter Schwanz mit der kalten Luft in Kontakt kam.   Harry griff nach ihm und Berührung allein reichte aus, dass er fast gekommen wäre. Aber das war ihm nicht genug. Widerwillig löste er Harrys Hand von seinem Schaft. Ein tiefes Grollen löste sich daraufhin aus Harrys Kehle, was in Dracos Ohren unglaublich sexy klang.   Draco führte Harrys Hand an seine Lippen und saugte gleichzeitig seinen Mittel- und Zeigefinger in den Mund. Die ganze Zeit über beobachtete er Harry, wie er sich dabei genüsslich über die Lippen leckte und Draco mit gierigen Blicken verschlang.   Harry strampelte mit seinen Beinen und versuchte, die Hose, die Draco um seine Knöchel gelassen hatte, loszuwerden. Aber bevor er sie abstreifen konnte, hatte Draco sich auf seine Beine gesetzt. Harrys Proteste erstarben auf seinen Lippen, als Draco erneut, seinen Schwanz in den Mund nahm. Harrys Hände fanden ihren Weg in Dracos Haare, zogen an ihnen und massierten seinen Kopf.   Draco ließ sich ein bisschen dirigieren, bevor er wieder die Kontrolle übernahm. Dieses Mal ging er gemächlicher vor. Er knabberte kurz an Spitze, ließ dann seine Lippen den Schaft hinabgleiten. Mit der rechten Hand hielt er Harrys Schwanz an Ort und Stelle, damit in Ruhe jede einzelne Ader mit seiner Zungenspitze nachfahren konnte. Oben angekommen, saugte er einmal den Schwanz komplett in seinen Mund, um gleich darauf das Spiel zu wiederholen. Er ließ sich Zeit und brachte Harry weiter und weiter um den Verstand. Harry keuchte und stöhnte und hin und wieder glaubte Draco, seine Namen von diesen sündigen Lippen schlüpfen zu hören.   Es war zu verführerisch einfach so weiter zu machen, bis Harry in seinem Mund kam, aber das war nicht, was Draco wollte. Das Bedürfnis diesen Schwanz – Harry! – in sich zu spüren, war zu groß.   Schnell leckte und saugte er an seinen Fingern, bis sie völlig nass waren. Dann schob er seine Hand zwischen seine Beine. Er umfasste seinen Schaft und pumpte zweimal, verschaffte sich durch die Reibung kurz Erleichterung. Dann wanderte sie weiter, an seinem Sack vorbei, bis er das kleine Loch gefunden hatte. Er umspielte es kurz mit seinen Fingern, aber er hatte jetzt keine Geduld, um es zu genießen und sich richtig vorzubereiten. Gleich mit beiden Fingern drang er in sich ein und begann sich zu weiten.   Er war zu hastig und es brannte ein wenig, aber zu fühlen, wie Harry die Kontrolle verlor und versuchte immer und immer wieder in seinen Mund zu stoßen, spornte ihn nur noch mehr an. Draco konnte es kaum erwarten, diesen Schwanz in seinem Arsch zu haben.   Es dauerte nicht lange, nachdem Draco einen dritten Finger dazu genommen hatte, und Draco verlor den letzten Rest seiner Selbstbeherrschung. Er wollte Harry und er wollte ihn jetzt.   Ein letztes Mal leckte er über Harrys Erektion und kletterte dann auf ihn. Draco küsste Harry tief und leidenschaftlich, während er sich über ihn positionierte. Harry schaute ihn überrascht an, als Draco sich aufrichtete, sein Anus genau über Harrys Schwanz.   Langsam senkte Draco sich herab. Harry verdrehte seine Augen und warf seinen Kopf in den Nacken. Seine Hände schnellten nach vorne und packten Draco fest an den Hüften.   Draco keuchte. Sein ganzer Körper war von einem feinen Schweißfilm bedeckt. Vorsichtig begann er sich zu bewegen, ein kleines Stück hinab und wieder hinauf, ein Stückchen tiefer und wieder hinauf, noch ein bisschen tiefer und wieder zurück. Es stach ein wenig, aber dafür konnte er jeden Zentimeter von Harry spüren und Draco genoss es. Er sah dabei Harry die ganze Zeit in die Augen.   Harry biss sich fest auf die Unterlippe und Draco konnte sehen, wie schwer es ihm fiel, still zu halten und sich nicht zu bewegen.   Endlich hatte Draco sich soweit entspannt, dass er sein Tempo beschleunigen konnte. Er umklammerte Harrys Hände, die immer noch an seinen Hüften lagen, um sich selbst zu ankern. Immer schneller und schneller bewegte er sich, fickte sich selbst auf Harrys Schwanz, ließ ihm kaum eine Chance, in ihn zu stoßen. Der Griff um seine Hüften wurde stärker, zwang ihn, sich Harrys Wünschen anzupassen. Harry stellte seine Beine an und veränderte den Winkel. Draco schrie laut auf, als Harrys Schwanz diesen einen Punkt traf, der ihn Sterne sehen ließ.   „Harry, ja! Mehr!“, schrie er und Harry kam seiner Aufforderung nach, stieß immer wieder zu und traf zielsicher immer wieder den gleichen süßen Punkt.   Draco konnte nicht mehr. Er ließ sich nach vorne fallen und küsste Harry stürmisch, krallte sich in die schwarzen Haare und zog bei jedem Stoß stärker daran.   Harrys Hände waren unterdessen weitergewandet, vergruben sich in seine Arschbacken und zogen sie auseinander. Draco hatte nicht geglaubt, dass das möglich wäre, aber Harry schien jetzt noch tiefer in ihn einzudringen.   Draco konnte nicht anders. Er biss wieder zu und traf wieder die gleiche Stelle wie das Mal davor. Harry schrie auf, aber es klang alles andere als schmerzhaft. Fingernägel bohrten sich in seinen Hintern und jetzt war es Harry, der immer schneller und schneller zustieß.   „DRACO!“ Es klang so ekstatisch, wie Harry seinen Namen rief. Er wollte seinen Namen nie wieder anders ausgesprochen hören.   Er spürte, wie sein Orgasmus näher kam. Es fehlte nicht mehr viel.   „Harry, bitte…“ Draco erkannte seine Stimme kaum wieder. Sie war belegt und klang so bedürftig.   Aber Harry wusste, was er wollte. Er ließ seinen Arsch los, vergrub die eine Hand in Dracos Haaren, mit der anderen umklammerte er seinen Schwanz.   Draco wollte sich von Harrys Mund lösen und erneut aufschreien, aber Harry hielt ihn an Ort und Stelle und schluckte gierig jedes Stöhnen und jeden Schrei, der sich aus Dracos Mund stehlen wollte.   Harry drückte stärker zu und Draco glaubte, er müsse sterben. Er war hoffnungslos überfordert mit den ganzen Gefühlen, die auf ihn einströmten. Eine Träne löste sich aus seinen Augen und erst als sie auf Harrys Wange fiel, erbarmte er sich und bewegte seine Hand.   Draco wurde schwarz vor Augen, als er endlich kam. Er spürte, wie sich seine Muskeln um Harrys Schwanz zusammenzogen. Harry ließ von ihm ab und keuchte überrascht auf, gefolgt von einem tiefen langgezogenen Stöhnen.   Er konnte spüren, wie sich Harry in ihm ergoss. Ein Gefühl, das Draco normalerweise als widerlich empfand, aber im Augenblick konnte ihn nichts weniger stören.   Sie lagen beide auf dem Boden, versuchten wieder zu Atem zu kommen. Draco hatte seinen Kopf auf Harrys Brust gelegt und Harry hatte beide Arme um ihn geschlungen. Die kalte Luft trocknete ihren Schweiß und der sanfte Wind, der durch Dracos nachlassenden Zauber gedrungen war, wehte den Geruch nach Sex von ihnen. Beide wussten, dass sie sich nur einen kurzen Augenblick gestohlen hatten.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Sie gingen schweigend nebeneinander her. Harry konnte hin und wieder Dracos Blicke auf sich spüren, aber er ignorierte es. Er war im Moment nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen und er wusste auch nicht, was er zu Draco sagen sollte.   Draco wusste alles. Er kannte Harrys Gefühle und schlimmer. Er erwiderte sie. Ein gefundenes Fressen für Voldemort. Er brauchte Zeit, um sich zu überlegen, wie es weiter gehen sollte.   Viel zu schnell waren sie am Eingang zu den Kerkern angekommen. Draco blieb vor ihm stehen und zwang Harry, ihn anzusehen. Sorge spiegelte sich in seinen Augen wider. Harry tat das einzige, was ihm in diesem Moment einfiel. Er lehnte sich nach vorne und küsste Draco. Draco erwiderte den Kuss augenblicklich. Er schlang seine Arme um Harrys Körper und hielt ihn so fest, als ob er ihn gar nicht mehr würde loslassen wollen.   Aber irgendwann war der Moment vorbei. Harry löste sich aus der Umarmung und schaute in diese wunderschönen hellgrauen Augen. In dem schwachen Kerzenschein wirkten sie beinahe silbern. Er schloss seine Augen, als er Dracos Hand an seiner Wange spürte und ihn sanft streichelte. Mit einem letzten Kuss – ein unausgesprochenes Versprechen – drehte sich Draco um und verschwand in den Irrgängen der Kerker Hogwarts.   Harry wartete einen Moment, bis er sicher war, dass Draco ihn nicht bemerken würde, dann folgte er ihm. Er war in letzter Zeit so oft hier gewesen, dass er den Weg im Schlaf finden würde.   Draco ging geradewegs in den Gemeinschaftsraum der Slytherins. Harrys Ziel lag einen Gang davor. Er klopfte vorsichtig an die Tür. Das Geräusch war sehr dumpf, als würde das alte Holz jeden Laut verschlucken. Aber derjenige im Innern musste ihn trotzdem gehört haben, denn er lief zur Tür und öffnete sie.   Harry spürte die schwarzen Augen auf sich, sah aber nicht auf.   „Du musst ihm Okklumentik beibringen.“, flüsterte er.   Ohne auf eine Reaktion zu warten, drehte Harry sich um und ließ seinen Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste zurück. Kapitel 32: Ziel, Wille, Bedacht -------------------------------- Die nächsten Tage waren nervenzerreißend. Harry war sich Dracos Gegenwart mehr bewusst, als er es die ganze Zeit zuvor gewesen war. Nicht nur war sein Geist sofort auf ihn gerichtet, wenn er die Präsenz von Slytherins ungekrönten Eisprinzen spüren konnte, sobald sie im gleichen Raum waren, konnte er den Sog körperlich spüren. Alles in ihm schrie, ihm wieder nahe zu sein, Dracos Körper wieder gegen seinen zu spüren. Aber er gab nicht nach.   Hin und wieder – immer dann, wenn er sich absolut sicher war, dass niemand anderes es bemerken würde – konnte er Dracos sehnsüchtige Blicke auf sich spüren. Und dessen wachsende Frustration. Harry wusste, dass es nicht fair gegenüber Draco war, aber er versuchte, zu retten, was zu retten war. Er würde Dracos Leben nicht für seine egoistischen Wünsche riskieren. Sein Ziel war klar. Dass er jetzt wusste, dass Draco seine Gefühle erwiderte, machte es nicht leichter für Harry.   Er zog sich immer mehr und mehr zurück. Seine sogenannten Freunde nahmen aber kaum Notiz davon. Alle waren aufgeregt, weil die Apparierprüfung bald stattfinden würde. Harry hatte es vollkommen vergessen.   Nachdem der zwölfwöchige Kurs vorbeigewesen war und er noch nicht alt genug war, um an der Prüfung teilzunehmen und damit auch nicht an die zusätzlichen Übungsstunden in Hogsmeade teilnehmen durfte, hatte er das einfach völlig ausgeblendet. Weasley war vor anderthalb Monaten volljährig geworden und durfte deswegen jetzt im April an der Prüfung teilnehmen, genauso wie Granger, die schon zu Beginn des Schuljahres 17 geworden war. Harry musste bis August warten. Draco ebenfalls.   Im Gegensatz zu Granger war Weasley aber eine absolute Niete. Granger war bereits während der normalen Übungsstunden zweimal erfolgreich appariert. Weasley gar nicht. Selbst Harry hatte es bereits einmal geschafft. Allerdings war das gewesen, nachdem er diese wertvollen Tipps von Lucius Malfoy bekommen hatte. Sein Wille zu apparieren, hatte sich extrem gesteigert, nachdem er sich keine Sorgen mehr machen musste, dass es ihm hinterher so schlecht gehen würde. Es hatte gleich beim ersten Mal funktioniert.   Er fragte sich, warum das nicht genereller Bestand des Kurses war, den Schülern solche Techniken zu zeigen. Vielleicht ging man ja davon aus, dass die Eltern ihren Kindern solche Dinge beibrachten? Für das Seit-an-Seit-Apparieren konnte man es auch gut gebrauchen. Obwohl… Wenn Harry sich richtig erinnerte, war Weasley auch noch nie seit-an-seit-appariert. Und Granger war ein Schlammblut. Vielleicht hatte Harry einfach nur Pech und gehörte zu einer winzigen Gruppe von Zauberern, die Apparieren einfach nicht vertrugen.   Harry saß im Gemeinschaftsraum und las zur Abwechslung mal kein Schulbuch oder saß über Hausaufgaben. Seine Gedanken kreisten zu sehr und es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. In dem Versuch sich dennoch abzulenken, hatte er sich ein anderes Buch aus der Bibliothek geholt.   „Was ließt du da?“ Granger hatte sich neben ihn auf das kleine Sofa gesetzt und schaute neugierig über seine Schulter.   Harry klappte das Buch zu und zeigte ihr den Titel. Er hatte gerade keine Lust zu reden, wohl wissend, dass Granger das nicht interessierte.   „Magie beim Backen?“, fragte sie verwundert.   Er zuckte nur mit den Schultern, schlug das Buch wieder auf und hoffte, dass sie den Wink verstehen würde. Natürlich tat sie es nicht.   „Harry! Du solltest dich wirklich mit sinnvolleren Dingen beschäftigen. Hast du überhaupt den Aufsatz für Zauberkunst schon fertig?“   Natürlich hatte er das. Schon vor zwei Tagen. Und sie wusste es. Sie war dabei gewesen und hatte sich beschwert, dass sie noch nicht dazu gekommen war, weil die zusätzlichen Apparierstunden – die sie nebenbei bemerkt nicht mal nötig hatte – so viel Zeit in Anspruch nehmen würden. Aber es würde nichts bringen, deswegen jetzt einen Streit anzufangen.   „Ja, ich habe ihn fertig. Und bevor du fragst, ja auch den für Zaubertränke. Den Aufsatz für Verteidigung gegen die Dunklen Künste muss ich noch mal überarbeiten, weil er zu lang geworden ist. Ich wollte nur eine kurze Pause machen.“ Er schaffte es, seine Stimme ruhig zu halten und sich seine Gereiztheit nicht anhören zu lassen.   „Und dafür liest du ein Kochbuch?“, fragte Granger ungläubig.   „Klar doch. Ich werde diesen Sommer 17 und werde bei den Dursleys ausziehen. Ich kann zwar kochen und backen, aber nur auf Muggelart. Schadet nicht zu wissen, wie ich mit Zauberei kochen kann. Erspart bestimmt viel Zeit.“   Granger sah einen kurzen Moment aus, als würde sie ihm recht geben wollen, schaute dann aber noch mal genauer auf die Seite, die Harry aufgeschlagen hatte. „Nun… Siruptorte erscheint mir nicht besonders nahrhaft.“   Harry verdrehte seine Augen, bemühte sich nicht mal, es zu unterdrücken. „Wo ist eigentlich Ron?“, versuchte er schnell das Thema zu wechseln, bevor sie wirklich anfingen, wegen eines Kochbuchs zu streiten.   Sie seufzte schwer. „Er ist auf der Krankenstation. Er hat es heute wirklich geschafft, zu apparieren. Wenn auch nicht ganz so erfolgreich.“   „Wie meinst du das?“, fragte er in gespielter Neugierde.   „Er sollte eigentlich vor Madam Puddifoots Café apparieren, aber er ist viel weiter weg gelandet, in der Nähe von ‚Schreiberlings‘. Allerdings ist er dabei sehr merkwürdig zersplintert. Ein halber Fuß ist am Ausgangsort geblieben und sein linker Unterarm war beim Café. Ihm hat auch noch ein Ohr gefehlt. Wir mussten ein bisschen suchen, bis wir es auf dem Rückweg zum Schloss auf dem Weg gefunden haben. Mr. Twycross meinte, dass er so etwas noch nie erlebt hat. Er hat Ron zusammengeflickt, ihn aber noch in der Krankenstation abgeliefert, damit Madam Pomfrey ihn mit Diptam behandeln kann, damit keine Narben zurückbleiben.“ Sie klang nicht sehr besorgt, eher genervt.   Harry nickte nur. „Wie lief’s bei dir?“   „Ganz gut.“ Sie strahlte ihn an. „Mr. Twycross meinte, ich wäre sehr talentiert.“   ‚Sicher.‘, dachte er abfällig, lachte Granger aber freudig an. „Ich bin mir sicher, du warst wie immer perfekt.“   Sie wollte gerade etwas erwidern, als das Portrait hinter dem Loch zur Seite schwang und zwei Rotschöpfe in den Gemeinschaftsraum kletterten. Die beiden jüngsten Mitglieder der Weasley-Familie sahen beide müde und abgeschlagen aus.   Mini-Weasley schaute als erstes auf. Ihre Blicke trafen sich – aber nur kurz. Schnell schaute sie wieder weg. Harry konnte sehen, wie sie versuchte, die Tränen zu unterdrücken, die in den letzten Tagen so oft hervorgebrochen waren.   Sie war noch wach gewesen, als Harry in der Nacht nach seinem… Aufeinandertreffen… mit Draco in den Gryffindor-Turm zurückgekommen war. Sie hatte geweint und war ihm um den Hals gefallen, hatte immer wieder gesagt, wie froh sie war, dass es ihm gut gehe und was für Angst sie um ihn gehabt hatte. Harry war noch zu durcheinander von den ganzen Geschehnissen gewesen und wusste erst gar nicht, wie er darauf reagieren sollte.   Es hatte sich so falsch angefühlt, als sie sich an ihn geklammert hatte, ihr kleiner, fragiler Körper an seinen gepresst. Sie hatte nach frisch umgegrabener Erde und Erdbeeren gerochen. Allein bei der Erinnerung drehte sich Harry der Magen um. Etwas Dunkles hatte sich in dem Moment in sein Bewusstsein geschlichen und er hatte das starke Bedürfnis gehabt, seine Arme um sie zu schlingen und zuzudrücken, bis sie keine Luft mehr bekommen hätte, bis ihre Arme sich von seinem Hals gelöst hätten und sie angefangen hätte, um sich zu schlagen und um ihr Leben zu kämpfen. Aber Harry hätte weiter zugedrückt, bis ihr der Sauerstoffmangel das Bewusstsein genommen hätte, bis ihre Knochen unter dem Druck nachgegeben und gebrochen wären, bis er gespürt hätte, dass das Leben aus ihrem Körper gewichen wäre.   Vielleicht hätte er Tom Riddles Erinnerung in seinem zweiten Schuljahr erlauben sollen, sie zu töten. ‚Nein!‘ Ganz sicher hätte er es zulassen müssen. Vieles wäre jetzt so viel einfacher.   Aber stattdessen hatte Harry Weasley vorsichtig von sich geschoben, ihre Tränen weggewischt und ihr gesagt, dass alles in Ordnung wäre. Er hatte sich bei ihr entschuldigt und gesagt, dass sie nicht wieder miteinander ausgehen würden. Sie hatte davon natürlich nichts hören wollen, hatte ihn angefleht, ihn beschimpft und schließlich versucht, ihn zu verführen. Harry war so angeekelt gewesen und es hatte nicht viel gefehlt und ein Unverzeihlicher Fluch wäre über seine Lippe geschlüpft. Glücklicherweise – oder zu seinem großen Bedauern – hatten sie die ganze Nacht hindurch diskutiert und Harry wurde von ein paar Frühaufstehern daran gehindert, etwas Unüberlegtes zu tun.   Natürlich war Granger unter ihnen. Sie hatte sich sofort auf die Seite der Schwester ihres Freundes gestellt und es dauerte eine Weile, bis Harry Gelegenheit hatte, ihr seine Gründe zu schildern. Er würde vorläufig niemanden mehr date. (Nicht, dass er noch einen Grund dazu hätte, aber dieses Detail behielt er für sich.) Jedes Mal passierte etwas Schlimmes und vielleicht… Vielleicht sollte es einfach nicht sein. Vielleicht war er einfach nicht dazu bestimmt, eine Freundin zu finden. Glücklich zu sein.   Harry musste sich nicht bemühen, niedergeschlagen und mitleiderregend auszusehen, denn genauso hatte er sich gefühlt. Weasley hatte nicht von ihm abgelassen. Sie hatte geweint, geschimpft und die Aufmerksamkeit aller Gryffindors im Gemeinschaftsraum auf sich gezogen, der sich für einen Sonntag auffällig schnell gefüllt hatte. Granger hatte sie mit Hilfe ein paar Mädchen aus Weasleys Jahrgang in die Schlafsäle hochgebracht und ihn dabei mit einer Mischung aus Bedauern und Verständnis angesehen.   Mini-Weasleys Bruder hatte das ganze Theater als einziger verschlafen. Er war zunächst wütend auf Harry gewesen, weil er seine kleine Schwester zum Weinen gebracht hatte, nachdem er ihm großzügigerweise erlaubt hatte, sie überhaupt zu daten. Granger hatte ihre Mühe gehabt, ihn zu beruhigen, während Harry einfach nur dagestanden hatte und die Schimpftirade hatte über sich ergehen lassen. Letztendlich hatte Weasley sich wieder beruhigt, war aber immer noch angefressen wegen seiner kleinen Schwester.   Das war ein weiterer Grund, warum sie nicht bemerkten, dass Harry sich noch weiter abgeschottet hatte, aber dafür müssten sie etwas mehr mit ihm zu tun haben. Weasley, wenn auch nicht mehr sauer auf Harry, hielt zu seiner Schwester und sie sprachen kaum noch miteinander. Nicht, dass es Harry wirklich gestört hätte, aber ein kurzer trauriger Blick in seiner Richtung, gepaart mit Mitgefühl über die Verletzung, die er sich beim Apparierversuch zugezogen, musste dennoch sein – um den Schein zu wahren – als Weasley kurz aufschaute, ihm kurz zunickte und sich dann von Mini-Weasley zu den Stühlen am Fenster ziehen ließ.   Granger stand sofort auf, schaute bedauernd zu Harry, bevor sich ihrem Freund anschloss.   Harry drehte sich ein Stückchen von ihnen weg und versuchte, die Tuschelei auszublenden, als er sich wieder in sein magisches Kochbuch vertiefte.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Draco war auf der Jagd nach ihm. Anders konnte Harry es nicht beschreiben. Scheinbar zufällig tauchte er immer wieder an Orten auf, an denen Harry sich zurückziehen wollte. Zugegeben, die Bibliothek als Versteck nutzen zu wollen, am Ende des Schuljahres, während alle Schüler begannen sich auf ihre Abschlussprüfungen vorzubereiten, war wahrscheinlich nicht die beste Idee gewesen. Aber auch den Raum der Wünsche konnte Harry keinen heimlichen Besuch abstatten, ebenfalls nicht dem Mädchenklo der Maulenden Myrte – den Eingang zur Kammer des Schreckens zu nutzen, stand nach wie vor außer Frage.   Der Slytherin musste ein paar Geheimgänge nutzen, die Harry nicht kannte. Wie sonst konnte er noch gemütlich am Tisch in der Großen Halle beim Essen sitzen und trotzdem vor Harry an jedem Klassenraum sein? Während es noch ein paar Tage zuvor noch Spaß gemacht hatte, Draco dabei zu beobachten, wie er Harry verfolgte, so war es jetzt nur noch Stress.   So kam es, dass Harry in seinen Bemühungen, Draco zu entkommen, im Nordturm gelandet war, genau unter der Falltür zu Trelawneys Klassenzimmer. Die silberne Leiter hing unbeachtet herunter.   „Ehk!“ Dem scheinbar überraschten Aufschrei folgte leises Gemurmel, als würde sich jemand leise unterhalten. Harry wusste, dass sich nur die Lehrerin für Wahrsagen in dem Raum über ihm befand. Sie verließ ihren nur Turm nur selten und außer zum Unterricht, kam hier sonst niemand her.   Harry wusste nicht, was ihn bewogen hatte, die Leiter heraufzuklettern, aber ehe er sich versah, stand er auch schon in seinem ehemaligen Klassenraum für Wahrsagen.   Trelawney saß an einem der runden Tische, vor sich eine Kristallkugel aufgestellt. Der Raum war genau, wie Harry ihn in Erinnerung hatte. Das Tageslicht wurde von schweren Vorhängen vor den Fenstern ausgesperrt, dafür waren viele Lampen an, die mit dunkelroten Seidentüchern abgedeckt waren und alles in ein beinahe bedrohliches Zwielicht tauchten. Es war warm und stickig, viele verschiedene schwere, süßliche Düfte hingen in der Luft, die einen leicht benommen machten und die merkwürdigen Sessel und Kissen, die um die vielen runden Tische verteilt waren beinahe einladend wirken ließen.   Harry ging auf Trelawney zu. Ihr Kopf war auf ihre Brust gesunken, ihre Brille mit den viel zu dicken Gläsern rutschte halb von ihrer Nase. Die krausen Haare standen in alle Richtungen ab, ihr Schal hatte sich gelockert und drohte von ihren Schultern zu fallen. Ein schwacher Geruch nach Alkohol – Kochsherry? – stieg ihm in die Nase.   Plötzlich zuckte ihr Kopf hin und her, gefolgt von weiterem Murmeln oder Lallen. Harry konnte kein Wort verstehen, aber die Art, wie sie ihre Stirn in Falten zog und immer wieder den Kopf schüttelte, sagte ihm, dass sie einen Alptraum hatte. Ein Funken Sympathie regte sich in ihm.   „Professor.“ Harry schüttelte sie vorsichtig an ihrer Schulter. Ihr Kopf fiel zur Seite und ein lautes Schnarchen war zu hören. Von ihrem eigenen Laut erschreckt, setzte sie sich abrupt auf und schaute hektisch hin und her.   Erst nachdem Trelawney ihre Brille zurechtgerückt und ihren viel zu dürren Hals nach vorn gestreckt hatte, erkannte sie Harry. „Oh! Hallo, mein Lieber.“ Der Alkohol begleitete jedes ihrer Worte und machte ihre Stimme noch rauchiger.   „Hallo, Professor. Ist alles in Ordnung bei Ihnen?“ Die Sympathie, die Harry eben noch empfunden hatte, sank mit jeder Sekunde.   „Aber natürlich, mein Junger. Ich musste nur für einen Moment mein inneres Auge ausruhen. Sie verstehen schon, abschotten von der Welt. Es kann so belastend sein, wenn so viele Eindrücke und Visionen auf einen zufliegen.“ Sie versuchte aufzustehen, fiel aber sofort in ihren Sessel zurück und hielt sich den Kopf.   „Daran ist nur dieses dumme Pferd schuld. Man sollte meinen, dass Professor Dumbledore ihn wieder weggeschickt hat, nachdem ich wieder unterrichten darf. Aber nein, wir teilen uns den Unterricht. Das ist eine Beleidigung. Eine Beleidung, sage ich. Dieser inkompetente Klepper. Er trübt meine Wahrnehmung.“   Trelawney hatte Harry in ihrer Schimpftirade völlig vergessen. ‚Wenn etwas ihr inneres Auge trübt, dann ist es ganz sicher der Alkohol und nicht der Zentaur.‘ Harry schüttelte den Kopf und lenkte dabei wieder die Aufmerksamkeit auf sich.   „Ah! Guten Abend, mein Lieber.“, sagte sie, als wäre Harry eben erst in den Raum geklettert. „Kann ich etwas für Sie tun?“   Harry seufzte lautlos. „Nein, Professor. Ich wollte mir nur etwas die Beine vertreten und bin dabei etwas weiter gelaufen, als ich beabsichtigt hatte.“ Es entsprach fast der Wahrheit.   „Ach so. Nun gut. Seien Sie vorsichtig auf Ihrem Rückweg. Sie sollten sich immer rechts halten und an dem Treppengeländer festhalten.“ Die Überzeugung, mit der sie ihre Vorhersagen machte, brachte Harry immer wieder in Erstaunen. Woher nahm sie die Zuversicht, wenn alles, was sie vorhersagte, nie eintraf? Abgesehen von zwei Prophezeiungen, an die sie sich aber nicht erinnern konnte.   „Das werde ich.“ ‚Nicht!‘ „Danke, Professor und noch einen schönen Abend.“   „Ich wünsche Ihnen ebenfalls einen schönen Abend, mein Lieber.“   Harry beeilte sich, wieder aus dem Turmzimmer herauszukommen. Unten angekommen, holte er erst einmal tief Luft. Die stickige Luft hatte ihn völlig benebelt. Kein Wunder, dass Trelawney glaubte, Visionen zu haben. Wenn man bedachte, wie selten sie diese Räume verließ, war es kein Wunder, dass der Sauerstoffmangel Halluzinationen verursachte.   Nun, nicht sein Problem.   Nachdem sein Kopf wieder klar war, machte er sich auf den Rückweg. Dieses Mal achtete er genauer darauf, wo er lang ging. Harry fiel auf, dass die alle Gemälde leer waren. Die Portraits der vielen Hexen und Zauberer, deren Namen Harry allesamt nicht kannte, hatten sich in Stillleben und Landschaftsmalereien verwandelt. Er war es gewöhnt, dass die Bilder sich gegenseitig besuchten und man hin und wieder verwaiste Bilderrahmen vorfand, aber dass ein Gang komplett leer war, war schon merkwürdig. Und es beunruhigte ihn.   Auf eine merkwürdige Weise fasziniert, betrachtete er die Bilder genauer. Wann konnte man sich diese Kunstwerke schon genauer anschauen, ohne einen schnippischen Kommentar von ihren Bewohnern zu erhalten?   An den Treppen angekommen, hielt Harry sich links, um die Bilder besser sehen zu können. Es gab kaum Fenster in dem Treppenaufgang und die Kerzen beleuchteten mehr die Stufen als die Wandgemälde. Er war besonders fasziniert, von einem kleinen ca. handgroßen Bildnis. In dem Rahmen waren kunstvoll Rosenranken geschnitzt, der Hintergrund des Bildes war eine Mischung aus hellem Blau und zartem Rosa, welche sich zu bauschigen Wolken verbanden.   Harry konnte dem Drang nicht widerstehen und er fuhr vorsichtig mit seinem Finger über das bearbeitete Holz. Die kleinen Dornen waren genauso spitz und scharf, wie sie aussahen. Schnell nahm er seine Hand wieder weg. Es erinnerte ihn zu sehr an ein Märchen aus seiner Kindheit, das seine Tante Dudley vorgelesen und er belauscht hatte, als sie noch klein waren. Besser, wenn er sich nicht an den Dornen stach.   Schnell wandte er sich ab und wollte weitergehen, aber etwas war plötzlich vor seinen Füßen. Erschrocken wollte er einen Schritt zurück machen, blieb aber an einer Treppenstufe hängen. Harry versuchte sich noch an dem Geländer festzuhalten, rutschte aber ab und fiel, trat dabei gegen etwas Weiches, das mit einem gequälten „Miau“ protestierte und ihn dann anfauchte.   Harry war glücklicherweise nur auf seinem Hintern gelandet und ein paar Stufen hinabgerutscht. Mrs. Norris hatte nicht so viel Glück. Er hatte sie mit so viel Schwung getroffen, dass sie die komplette Treppe hinunter geflogen und gegen eine Wand geprallt war. Sie schaute ihn mit vorwurfsvollen, gequälten Augen an, bevor sie begann, ihre Seite zu lecken und dabei leise wimmerte. Es war ein Wunder, dass er der skelettdürren Katze nicht alle Knochen gebrochen hatte.   Harry rappelte sich wieder auf, ignorierte sein schmerzendes Hinterteil, und wollte zu ihr gehen. Mrs. Norris fauchte ihn an und humpelte ein paar Schritte zurück. Er verdrehte die Augen. Dummes Tier! Er wollte ihr doch bloß helfen.   „Sch… Ich tu dir nichts.“, sagte er sanft und hoffte, dass seine Stimme eine beruhigende Wirkung hatte. „Ich will dir bloß helfen.“   Mrs. Norris presste sich an die Wand und ihr Fell sträubte sich.   „Ich wollte dich nicht verletzten. Ich habe dich einfach nicht gesehen. Es tut mir leid.“. Er machte einen Schritt auf sie zu, aber sie presste sich noch weiter an die Wand, als würde sie mit ihr verschmelzen wollen.   Seufzend holte er seinen Zauberstab hervor. Harry wollte gerade einen Heilzauber benutzen, als er plötzlich Filch ein Stockwerk unter ihnen wahrnahm. Er kam schnell näher.   Es half nichts. Es gab hier keinen Geheimgang oder irgendwelche Ecken, wo er sich verstecken konnte. Darüber hinaus hatte Harry den Verdacht, dass es nichts bringen würde. Filch und seine Katze hatten irgendeine Art Verbindung. Wie sonst sollte der alte Hausmeister wissen, wo er so schnell hin musste?   „Was ist hier los?“ Schneller als er es dem Mann zugetraut hatte – schneller als er es irgendjemanden zugetraut hätte – war Filch bei ihnen. Er erfasste schnell die Situation mit seinen trüben grauen Augen, sein Blick blieb geschockt an seiner Katze hängen, die ihn mitleiderregend anmauzte.   „Es… Es tut mir leid. Ich habe sie nicht gesehen.“, sagte Harry vorsichtig.   Vorsichtig hob Filch seine Katze auf den Arm und starrte dann Harry mit hasserfüllten Augen an. „Du! DU! Wie kannst du es wagen! Erzähl keine Lügen. Ich weiß, dass du sie mit Absicht verletzt hast.“   „Nein!“, protestierte Harry. „Warum sollte ich das tun?“   „Um mich damit zu verletzten! Ich weiß, dass du was gegen mich hast, weil ich… Weil ich ein… Sq…“ Er würgte das Wort, das ihm auf der Zunge lag, hinunter, unfähig es auszusprechen „Und weil du nichts gegen mich machen kannst, weil sonst auch der Schulleiter, der sich aus unerfindlichen Gründen immer für dich einsetzt, dir auf die Schliche kommen würde, hast du dir gedacht, du lässt es an meiner Katze aus. Aber warte nur ab. Diesmal habe ich dich und du wirst deiner gerechten Strafe nicht entkommen.“   Harry verengte seine Augen zu Schlitzen und seine Zauberstabhand zuckte um das Stückchen Holz, das er immer noch umklammert hielt. Was bildete sich dieser Squib ein? Als ob er ein auch nur einen flüchtigen Gedanken opfern würde, ob er tot oder lebendig sei. Was interessierte ihn er oder seine dumme Katze, solange sie ihm nicht in die Quere kamen?   „Professor Snape wird dir schon Manieren beibringen.“   Als ob der Name seines Lehrers ein eigener Zauberspruch gewesen wäre, entspannte sich Harry augenblicklich. Er blinkte ein paar Mal und schaute überrascht zu Filch.   „Komm mit, Potter!“, sagte der Hausmeister bissig, mit einem Hauch Schadenfreude in seiner Stimme. Er griff Harry am Oberarm und zog ihn hinter sich her.   Harry ließ es ohne Widerworte über sich ergehen. Mrs. Norris fauchte ihn immer wieder an, während sie die Treppen runter gingen. Filch lief schnell und Harry hatte seine Mühe hinterher zu kommen und musste aufpassen, dass er nicht stolperte und wieder hinfiel. Seinen Zauberstab hatte er unauffällig weggepackt.   Filch schimpfte die ganze Zeit vor sich hin, über die schrecklichen Schüler im Allgemeinen und die rücksichtslosen Gryffindors in Besonderen. Seine Katze hielt er dabei die ganze Zeit an sich gepresst, unterbrach seine Schimpftiraden nur, um ihr beruhigend zuzumurmeln und Rache für ihre Verletzungen zu versprechen.   Harry war erleichtert, als er auf halben Weg Severus und Dracos Anwesenheit spürte. Sie kamen gerade aus dem Büro des Lehrers für Verteidigung gegen die Dunklen Künste und gingen Richtung Treppen.   Filch und er waren auf halben Weg in den zweiten Stock als ihnen Severus entgegen kam. Draco war nach unten gegangen und war bald aus Harrys Wahrnehmungskreis verschwunden.   Harry war verwirrt. Warum sollte Severus noch oben gehen und nicht zurück in die Kerker?   Severus blieb stehen, als er das merkwürdige Paar auf sich zu eilen sah. Der Ausdruck der Überraschung auf seinem Gesicht war so schnell verschwunden, wie er gekommen war.   „Professor!“, rief Filch. „Genau zu Ihnen wollte ich.“   Er erklärte ihm in kurzen Sätzen, wie er Harry dabei erwischt hatte, wie er seine Katze verletzt hatte und wer weiß, was noch passiert wäre, wenn er ihn nicht erwischt hätte.   „Das ist nicht wahr!“, protestierte Harry lautstark. „Es war ein Unfall.“   „Ihre Lügen können Sie sich sparen, Mr. Potter.“, sagte Severus. In seiner Stimme schwang so viel Verachtung mit, dass Harry wirklich einen kurzen Moment zweifelte.   „Aber Professor…“   „Genug! 50 Punkte Abzug von Gryffindor.“   Das ließ Harry vollkommen verstummen und er schaute mit einer Mischung aus Hass und Verachtung zu seinem Professor. Dafür würde er sich später wieder eine Standpauke von Granger anhören dürfen.   „Ich werde mich um Mr. Potter kümmern. Seien Sie versichert, dass er genau bekommt, was er verdient.“ Seine Stimme und seine Augen waren so kalt, dass Harry automatisch seinen Umhang fester um sich schlang.   „Danke, Professor. Vielen Dank.“ Mit einem letzten hasserfüllten Blick auf Harry ging Filch Treppe hinunter. „Keine Sorge, meine Süße. Jetzt gehen wir dich erstmal heilen.“   Sie sahen beide Filch hinterher, bis er außer Sicht war.   Severus drehte sich zu Harry um und hob eine Augenbraue. „Was hast du jetzt wieder angestellt?“, fragte er in einem sanfteren Ton. Sein Blick war eindeutig freundlich und echtes Interesse spiegelte sich in ihm wider.   Harrys Augen weiteten sich vor Schreck und er schaute sich hektisch um, ob ihnen irgendein Bild zuhörte, aber auch hier waren die Gemälde komplett leer.   „Keine Sorge. Die sind alle bei einem Konzert der Fette Damen und ein paar Wichteln, wenn ich mich richtig erinnere. Ich musste mein Büro mit einem Schallschutz belegen.“ Severus verleierte die Augen.   „Oh! Verdammt.“ Harry biss sich auf die Unterlippe. „Das ist heute? Ich hatte ihr versprochen, hinzugehen.“   „Wieso das?“   Harry zuckte mit den Schultern. „Ich musste es ihr versprechen, damit sie mich nachts wieder in den Gryffindor-Gemeinschaftsraum lässt. Wenn ich nicht auftauche, stehe ich das nächste Mal vor einem verschlossenen Loch.“   „Na dann viel Vergnügen. Ich könnte dich vorübergehend taub zaubern, wenn du willst.“   Er dachte einen kurzen Moment über das Angebot nach, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, da muss ich jetzt durch.“   „Wie du willst.“ Severus schaute einen Moment belustigt auf Harry herab, bevor er wieder ernst wurde. „Was war jetzt mit Filch und seiner Katze?“   Harry zuckte zusammen. „Es war wirklich nur ein Versehen gewesen. Ich stand oben auf der Treppe zum Nordturm und habe mir ein Bild angesehen. Als ich weiter gehen wollte, war da plötzlich Mrs. Norris. Ich kann doch auch nichts dafür, dass sich dieses blöde Vieh anschleicht. Ich wollte ihr auch noch helfen, aber sie hat mich nur angefaucht.“   Severus schüttelte mit einem verächtlichen Schnauben den Kopf. „Egal, was der Grund war, du hast seine Katze verletzt. Das wird er niemals vergessen. Filch wird dich ab sofort viel genauer Beobachten. Du solltest sehr vorsichtig sein, was du tust.“   „Ich weiß. Aber da musst du dir keine Sorgen machen. Es ist ja nicht so, als ob ich es nicht gewöhnt wäre, andauernd beobachtet zu werden.“ Harry starrte vor sich hin, ohne irgendetwas anzusehen. „Obwohl es diese Woche schon beinahe zu ruhig war, seit die anderen Lehrer nicht mehr jeden meiner Schritte verfolgen.“ Sein Blick glitt nach oben und traf Severus‘, der ihn nachdenklich ansah.   „Wir haben lange darüber diskutiert und sind letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass diese Übergriffe nichts mit dir zu tun haben.“   „Aha. Und wie seid ihr zu diesem Schluss gekommen?“   „Wegen Ms. Chang und Ms. Weasley. Diese… Tändelei…, die du und Ms. Chang hattet, liegt zu lange zurück, als dass sie mit den aktuellen Ereignissen in Zusammenhang stehen könnte. Andernfalls, wäre sie viel früher verflucht worden. Professor Flitwick hat zuerst gedacht, dass es ein Versehen gewesen war und dass eigentlich Ms. Weasley von dem Fluch hätte getroffen werden sollen, aber als er dann hörte, dass Ms. Chang schon länger unter dem Fluch stand, auch wenn es niemanden bewusst war, hat er seine Meinung geändert. Außerdem ist Ms. Weasley bis heute nichts passiert. Damit bist du über jeden Zweifel erhaben.“   Harry hatte Severus aufmerksam zugehört. Er schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Sie wussten anscheinend nicht, dass Chang versucht hatte, wieder mit Harry zusammenzukommen. Das hätte ihre Theorie, dass Harry mit den Vorfällen in Zusammenhang stand, nur bekräftigt.   So war es gut. Er hatte schon vermutet, dass die Lehrer ihn nicht mehr in Verdacht hatten, aber es zu hören und die Gewissheit zubekommen, nahm eine große Last von ihm. Jetzt konnte er sich wieder etwas freier bewegen – was Filch anging, machte er sich keine Sorgen – und er konnte endlich wieder das Training für die Jungtotesser übernehmen und musste nicht alles auf Draco abwälzen. Das machte sein Vorhaben, dem Slytherin aus dem Weg zu gehen, etwas schwieriger, aber er würde das schon hinbekommen. Mit Bedacht.   „Danke.“ Es war kaum mehr als ein Hauch, aber Severus hatte ihn verstanden und nickte ihm knapp zu.   Severus sah unschlüssig auf Harry herab. Harry konnte sehen, dass er etwas nervös war, was völlig untypisch für den sonst so gefassten Professor war.   „Ist alles in Ordnung?“, fragte Harry besorgt. „Ich will dich nicht aufhalten, wenn du irgendwo hin musst…“ Er schaute die Treppe hinauf und fragte sich erneut, wo Severus eigentlich hingewollte hatte.   „Ich wollte zum Nordturm.“, beantwortete er die unausgesprochene Frage. „Ich war auf der Suche nach dir.“   Alarmiert schaute Harry auf. „Wieso? Und woher wusstest du, wo ich war?“   „Draco.“   Mehr brauchte Severus nicht zu sagen. Harry verkrampfte sich völlig. Seine Haltung ließ keinen Zweifel daran, dass er nicht über dieses Thema sprechen wollte.   Severus hatte sich in der Zwischenzeit wieder gefangen und ignorierte Harrys ablehnende Haltung. „Er ist zu mir gekommen, weil du ihm aus dem Weg gehst.“, sagte er vorsichtig, ließ Harry dabei keinen Moment aus seinen Augen. „Und er hat mich gebeten, mit dir zu sprechen.“   ‚Typisch Slytherin.‘, dachte Harry. Eine Wut breitete sich in ihm aus, von der er nicht genau sagen konnte, woher sie kam. „Ich will aber nicht darüber sprechen.“, sagte er mit zusammengepressten Zähnen.   „Harry! Draco empfindet für dich genauso wie du für ihn. Du musst dich nicht quälen.“   „Es ist, wie es ist.“ Er schrie fast. „Das Risiko ist viel zu hoch und ich werde sein Leben nicht riskieren.“   Harry stürmte an Severus vorbei, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. Wieso ausgerechnet jetzt? Severus hatte es nie erwähnt, nicht mal angedeutet. Warum musste er ausgerechnet jetzt damit anfangen? Konnte er nicht verstehen, dass es keinen Sinn hatte? Dass es die Sache noch viel schlimmer machte, gerade weil Draco so empfand?   Er lief immer schneller und schneller, rannte beinahe den Flur im zweite Stock entlang und versuchte, die Gedanken abzuschütteln. Es ging nicht. Es ging einfach nicht. Und er konnte sich jetzt keine Gedanken darüber machen. Das würde alles nur noch schlimmer machen.   In der Ferne konnte er eine Stimme hören, die versuchte, höher zu singen, als wofür ihre Stimmlage geschaffen war. Dazu die Klänge mehrerer Harfen, die nur selten einen richtigen Ton trafen. Seine Schritte wurden noch schneller. Er musste auf ein Konzert. Kapitel 33: In fremden Gedanken ------------------------------- Draco war allein in Snapes Büro. Er war unruhig und schaffte es nicht, still sitzen zu bleiben oder wenigstens auf einer Stelle zu stehen. Seine Gedanken kreisten und er wünschte sich nicht zum ersten Mal, dass sein Hauslehrer nicht den Raum versperrt hätte, in dem er den Feuerwhisky aufbewahrte.   Er war zu oft hier gewesen, als dass der Raum selbst noch Ablenkung bot. Bücher über Zaubertränke und die Dunklen Künste oder wie man sich gegen sie verteidigt, standen zwischen zahlreichen Glaskolben, deren Inhalte aussahen, als wären sie geradewegs von Borgin & Burke's geliefert worden. Alleine die Aufschriften würden jeden Hufflepuff eine Gänsehaut bescheren. Aalaugen waren noch das harmloseste. Drachenzahnpulver, Chimärablut, gehackte Mondkalbhufe, die Zunge einer Sphinx, eingelegt in eine bläulich schimmernde Flüssigkeit und viele weiter Tankzutaten, die selbst Draco nicht kannte und von denen er sicher war, dass sie nur sehr schwer zu beschaffen waren.   Das Büro kam ihm viel kleiner vor als sonst. Er war schon mehrere Runden gelaufen und doch verging die Zeit nicht. Immer wieder starrte er auf die Tür, genauer gesagt auf die Türklinke und lauerte darauf, dass jemand sie von der anderen Seite nach unten drückte. Bei jedem kleinen Geräusch schreckte er zusammen und erwartete, dass jemand hereinkam. Snape. Oder noch besser Harry. Aber die Tür blieb zu und Draco allein mit seinen Gedanken und seiner immer größer werdenden Verzweiflung.   Er hasste es. Draco hasste es, sich so zu fühlen. Hilflos und erbärmlich. Den Launen und der Willkür eines anderen Menschen so ausgeliefert zu sein... Nicht einmal seine Mutter hatte es geschafft, dass er sich so elendig fühlte, nicht einmal der Dunkle Lord. Aber natürlich Potter! Dieser selbstverliebte, arrogante, untalentierte, unfähige, egoistische, rückratlose Volltrottel!   Draco schüttelte über sich selbst den Kopf. So dachte er nicht über Harry. Nicht mehr. Harry war eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Es hatte Jahre gedauert, bis Draco das begriffen hatte, aber dann war die Erkenntnis in nur wenigen Tagen über ihn herein gebrochen mit einer Gewalt, die ihm die Luft zum Atmen nahm.   Draco wünschte so sehr, dass er ihn wieder hassen könnte, dass alles wieder so einfach und klar wäre, wie früher. Wie noch am Anfang des Jahres, als er Harry die Nase gebrochen und ihn einfach im Zug hatte liegen lassen.   Draco blieb stehen und kniff die Augen fest zusammen, als die Erinnerung wieder hoch kam. Ein Gefühl der Schuld breitete sich in ihm aus und er wünschte sich nicht zum ersten Mal in den letzten Wochen, dass er in der Vergangenheit vielen anders gemacht hätte. Zumindest was Harry anging. Draco hatte ihn so mies behandelt. Wie hatte Harry sich überhaupt in ihn verlieben können? Was hatte er trotz Dracos Feindseligkeit und Hinterhältigkeit in ihm sehen können? Wie hatte Harry über ihre gemeinsame Vergangenheit hinwegsehen können?   Vielleicht hatte Harry das ja auch gar nicht. Vielleicht hatte ihm das eine Mal gereicht und er war hinterher aufgewacht und hatte festgestellt, dass er Draco gar nicht mehr wollte. Vielleicht war das der Grund, warum Harry ihm seit dem nur noch auswich und ihm nicht mal mehr in die Augen sehen konnte.   Er konnte diese negativen Gedanken einfach nicht abstellen. Seine Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in seine Handflächen, um den Schmerz in seinem Inneren zu übertönen. Körperlicher Schmerz war erträglicher als diese inneren Qualen. Selbst der Cruciatus-Fluch vom Dunklen Lord höchstpersönlich wäre angenehmer.   Der Schmerz tat gut und half ihm, seinen Kopf wieder frei zu bekommen. Draco würde nicht in Selbstmitleid baden. Er war ein Malfoy, bei Merlins Unterhose! Als solcher ließ man sich nicht so gehen.   Ein Malfoy zu sein, brachte viele Vorteile mit sich. In vielen – nein in allen – Geschäften wurde er bevorzugt behandelt. Selbst nachdem sein Vater für kurze Zeit in Askaban gewesen war. Die Verkäufer rissen sich darum, ihn bedienen zu dürfen. Gefängnis hin oder her, die Malfoys besaßen viele Galleonen und auch wenn in heimlichen Kreisen getuschelt wurde, niemand war sich zu schade, diese anzunehmen.   Aber nicht nur in der Winkelgasse. Auch im Zaubereiministerium selbst. Seine Familie hatte über Generationen hinweg durch großzügige Spenden Einfluss auf die Politik ausgeübt, Wahlen manipuliert, Gesetzesvorlagen vorangebracht oder unterdrückt und mit den enormen Summen an Schmiergeldern sich viele Freiheiten erkauft. Das Besitzen von vereinzelten harmlosen schwarzmagischen Artefakten war nur eine davon.   Das alles half Draco aber nicht, das zu bekommen, was er wollte. Harry lief vor ihm weg und egal, was er auch tat, er bekam ihn nicht zu fassen. Er hatte alle Abkürzungen und alle Geheimgänge, die er im Schloss kannte, genutzt, um Harry abzufangen und ihn zur Rede zu stellen. Aber der Gryffindor schien ihm immer einen Schritt voraus zu sein.   Harry Potter war wie der Schnatz. Und wie in so vielen Quidditch-Spielen gegen seinen Rivalen konnte er den Schnatz einfach nicht ergreifen. Er war so nah dran, aber er rutschte ihm immer wieder aus den Fingerspitzen und letztendlich war es Harry selbst, der ihn ihm wegnahm.   Das war der Grund gewesen, warum er zu Snape gegangen war und ihn um Hilfe gebeten hatte. Draco war das Spiel leid. Er wollte und konnte Harry nicht mehr hinterherrennen. Das würde ihn früher oder später den Kopf kosten. Seit ihrer Nacht hatte er sich nicht eine Sekunde lang um die Aufgaben gekümmert, die der Dunkle Lord ihm übertragen hatte. In der letzten Übungsstunde mit den anderen Jungtodessern hatte er nur dagestanden und sie sich selbst überlassen. Wenn er sich nicht schnell wieder fing, würde ihn auch Snapes Okklumentik-Unterricht nicht retten können. Wie sollte er seinen mangelnden Fortschritt erklären? Aber Harry aufzugeben war keine Option.   Wieder ließ ihn ein Geräusch zusammenschrecken und automatisch schaute Draco zur Tür. Diesmal bewegte sich die Klinke nach unten. Gespannt wartete er darauf, wer hindurch kam. Er hoffe so sehr, dass es Harry war.   Natürlich war es Snape. Mit einem langen enttäuschten Seufzen stieß er die angehaltene Luft aus.   „Ich weiß, dass meine Schüler sich nicht besonders freuen, mich zu sehen, doch hätte ich von dir erwartet, dass du es nicht ganz so offensichtlich zeigst.“, meinte Snape kühl, nachdem der Tür hinter sich geschlossen hatte. Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er an Draco vorbei und setzte sich an seinen Schreibtisch.   „Ich hatte gehofft, dass… du Harry bist.“ Es fühlte sich noch komisch an, seinen Lehrer zu duzen. Die vielen Jahre, in denen es ganz natürlich geworden war, den anderen mit „Sir“ und „Professor“ anzusprechen, ließen sich durch die neu entstandene… – was? Verbundenheit? Freundschaft? Harry? – nicht so einfach vergessen. Aber es war dennoch ein gutes Gefühl.   Snape hatte ihm in ihrer ersten Unterrichtsstunde das Du angeboten und Draco hatte es akzeptiert. Erst war er skeptisch gewesen, hatte aber seine Zweifel schnell beiseitegeschoben. Es war eindeutig, dass Snape auf Harrys Seite stand und dass Harry ihm vertraute. Also konnte Draco das auch; und hatte es schon zuvor, sonst wäre er niemals zu ihm gegangen und hätte von ihm und Harry erzählt und trotzdem war es jetzt… anders.   „Ich muss dich leider enttäuschen.“, sagte Snape leise.   Draco fühlte sich mit einem Mal sehr erschöpft. Er setzte sich Snape gegenüber, unsicher, ob seine Beine ihn länger tragen würden. „Du hast ihn nicht gefunden?“   „Doch, habe ich.“   Ein Funken Hoffnung stahl sich in sein Herz, wurde aber sofort von Snapes mitleidigen Gesichtsausdruck erstickt.   „Aber sobald ich deinen Namen erwähnt habe, hat er mich angeschrien und ist weggerannt.“ Seine Stimme klang, als würde er selbst nicht glauben, was er gerade erzählte.   Draco musste ein kleines ungläubiges Schnauben unterdrücken. „Er hat dich angeschrien? Warum? Was hat er gesagt?“   „Nur, dass das Risiko viel zu hoch ist und er dein Leben nicht riskieren will.“ Snape zuckte mit den Schultern und griff nach einem Becher, der auf seinem Schreibtisch stand. Er schaute einen Moment lang angewidert hinein und leerte dann den Inhalt in einem Zug.   Draco beobachtete fasziniert, wie Snape den Becher mit einem dumpfen Ton wieder absetzte und angeekelt das Gesicht verzog. Die ganze Zeit war ein Schluck Feuerwhisky direkt vor seinen Augen gewesen und er hatte ihn nicht bemerkt.   Aber diese Erkenntnis wurde schnell in den Hintergrund geschoben von dem, was er gerade gehört hatte. Er wusste nicht, wie er sich dabei fühlen sollte. Eine Welle der Zuneigung überflutete ihn, wenn Draco daran dachte, dass Harry sich so um ihn sorgte, auf der anderen Seite machte es ihn wütend, dass Harry so einfach darüber entschied, ohne mit ihm darüber zu sprechen.   „Dämlicher Gryffindor!“ Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor seiner Brust.   Draco sah überrascht auf, als Snape anfing zu lachen. Fragend zog Draco eine Augenbraue nach oben.   „Du sahst gerade aus, als ob jemand dir dein Spielzeug weggenommen hätte.“, hörte er die amüsierte Stimme.   Er konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken. Draco konnte sich gut vorstellen, wie er gerade wirkte. Wie ein kleines bockiges Kind, das seinen Willen nicht bekam. Irgendwie stimmte es ja auch.   Ein kleiner Teil der Anspannung löste sich von ihm. Er würde schon seinen Willen bekommen. Das tat er immer. Und auch ein Harry Potter würde nichts daran ändern. Draco würde sich was einfallen lassen. Aber das würde noch warten müssen. Er war aus einem anderen Grund hierher gekommen.   „Okklumentik…“   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Es war ihre dritte Okklumentik-Stunde. Snape war direkt am Morgen nach dieser wundervollen Nacht mit Harry auf ihn zugekommen und hatte ihm angeboten, es ihm beizubringen. Nicht, dass Snape ihm wirklich eine Wahl gelassen hatte, aber Draco war selbst schon zu der Erkenntnis gekommen, dass er es lernen müsste. Er hatte nur gehofft, dass Harry sein Lehrer sein würde.   Aber so war es besser. Draco bezweifelte, dass er mit Harry viel zustande gebracht hätte. Die Anwesenheit des Gryffindor hätte ihn nur abgelenkt.   Sie hatten vereinbart, dass Draco so oft wie es ging zu Snape zum Üben kam. Sie hatten nur wenig Zeit, damit Draco seine Okklumentik-Schilde aufbaute und in der Lage war, sie zu halten. Nicht mehr lange und er würde wieder vor dem Dunklen Lord stehen und alles was mit ihm und Harry und natürlich Snape passierte, hing davon ab, wie gut er seine Gedanken schützen konnte. Und sie hatten noch einen weiten Weg vor sich.   Ihre erste Stunde hatte lediglich aus Meditation bestanden. Snape hatte erklärt, wie wichtig es wäre, seinen Geist frei zu machen. Frei von allen Gedanken und Emotionen. Das war der erste Schritt. Danach war es nur noch eine Frage des Willens und der Konzentration.   Sich darauf zu konzentrieren, an nichts zu denken, war schwieriger als es klang. Immer wieder stahlen sich Gedanken und Erinnerungen in sein Bewusstsein. Es bedurfte nur eines kleinen Anstoßes, eines Wortes und schon war sein Kopf mit Bildern angefüllt.   „Legilimens.“   … … …   Es war am einfachsten, an nichts zu denken, wenn Draco sich auf seine Atmung konzentrierte.   Ein. Aus. Ein. Aus. Ein.   „Was wünschst du dir eigentlich zum Geburtstag?“   Aus.   Dieser eine Satz war ausreichend. Draco hatte das Gefühl, dass die Gedanken es extra leicht hatten, sich in sein Bewusstsein zu stehlen, gerade weil er versuchte, nicht an sie zu denken.   ‚Atmen!‘   Ein. Aus. Ein.   Aber es half nichts.   Aus.   Die Erinnerungen an seinen sechsten Geburtstag waren so klar vor seinen Augen, als würde es gerade geschehen. Seine ganze Familie und Freunde waren versammelt. Der Tisch im Esszimmer war gedeckt mit bunten Blumen und hellen Kerzen. Das Tischtuch war so weiß, dass es beinahe in den Augen blendete. Darauf lag das Silberbesteck, perfekt poliert, genauso wie die Trinkpokale. Das beste Porzellan war herausgeholt worden. Nicht, dass Draco das alles bemerkt hätte, aber seine Mutter hatte ihm zuvor einen langen Vortrag darüber gehalten und dass er sich zu benehmen hatte. Immerhin kamen nicht nur ihre Bekannten, sondern auch seine Großeltern zu Besuch und sie mussten sich von ihrer besten Seite zeigen. Das war aber schnell wieder vergessen als Draco den Geschenktisch entdeckte. Viele Päckchen standen darauf in unterschiedlichen Größen und Formen. Aufgeregt schaute Draco zu seinem Vater hinauf, der ihn liebevoll anlächelte und mit einem kurzen Nicken andeutete, dass er seine Geschenke aufmachen durfte. Aber seine Mutter hielt ihn an der Schulter fest. „Nach dem Essen.“, zischte sie.   Draco bemerkte Snapes missbilligenden Blick, bevor er sich abwendete und damit den Zauber unterbrach. Er hatte schon wieder versagt. Seinen Geist freizumachen war nicht das Problem, aber sobald er ein Stichwort bekam, war er sofort darauf fokussiert. Verlor Snape langsam die Geduld mit ihm?   „Versuchen wir es erneut.“ Snapes Stimme klang ruhig und aufmunternd, kein Anzeichen, dass der leichte Ärger gegen ihn gerichtet gewesen war.   Draco nickte und bereitete sich auf den neuen Versuch vor.   „Legilimens.“   Ein. Aus. Ein. Aus. Ein.   „Es soll bald ein neuer Rennbesen auf den Markt kommen.“   Aus.   Nach dem Essen hatte er endlich seine Geschenke aufmachen dürfen. Seine Augen leuchteten, als er den kleinen Spielzeugbesen auspackte. Er war von seinem Vater und Draco hörte aufmerksam zu, als er ihm erzählte, dass er bis zu drei Meter über dem Boden fliegen konnte und versprach ihm, dass später noch eine Runde zusammen über ihr Anwesen fliegen würden.   Draco erinnerte sich daran, dass er danach die anderen Geschenke geöffnet hatte, aber was sie genau waren, lag hinter einem grauen Schleier aus Vergessen. Sie waren im Vergleich zu dem Besen zu unwichtig gewesen.   Am Abend waren er und sein Vater, wie er es versprochen hatte, über die Gärten hinter dem Haus geflogen. Der Spielzeugbesen war schneller gewesen als sein letzter und er hatte gelacht, während der Wind ihm um die Ohren geweht hatte. Sein Vater war in geringem Abstand hinter ihm her geflogen und hatte Draco sich austoben lassen. Draco hatte so viel Spaß gehabt. Dann hörte er die schrille Stimme seiner Mutter. Er hatte sich so erschrocken, dass er für einen kurzen Moment die Kontrolle über den Besen verloren hatte. Sein Vater hatte nicht schnell genug reagieren können und Draco war geradewegs in die Rosenbüsche seiner Mutter gefallen. Ihm hatte alles wehgetan. Sein neuer Umhang war mit feuchter Erde verdreckt und von den Dornen zerrissen, die sich tief in seine Haut gebohrt hatten. Sein rechter Fuß war leicht verdreht und zwei Strähnen hellblonder Haare hatten sich in den Sträuchern verhakt und waren aus dem Kopf herausgerissen worden.   Wieder unterbrach Snape den Blickkontakt. Beschämt sah Draco zur Seite. Warum verfolgte ihn gerade sein sechster Geburtstag? Er hatte seit Jahren nicht mehr daran gedacht, hatte ihn verdrängt, wie die vielen anderen schönen Erinnerungen, die seine Mutter zunichte gemacht hatte.   Er presste seine Kiefer hart aufeinander und ballte seine Hände zu Fäusten.   „Du setzt dich zu sehr unter Druck.“ Snape sanfte Stimme holte ihn zurück. „Du machst sehr schnelle Fortschritte.“   „Nicht schnell genug. In zwei Wochen muss ich wieder zu ihm.“ Ihm war zu sehr bewusst, was auf dem Spiel stand, wenn er es nicht rechtzeitig schaffte.   „Versuche, dich nicht zu sehr unter Druck zu setzen. Du bist schon so weit. Seinen Geist völlig frei zu machen und an nichts zu denken, schafft kaum jemand. Und du hast das innerhalb von zwei Übungsstunden gemeistert. Das ist eine beachtliche Leistung. Ich habe keinen Zweifel, dass du Okklumentik vollkommen beherrschen wirst, bis zu wieder zu Ihm musst. Du bist ein Naturtalent.“   Draco sah wenig überzeugt aus. „Wie lange hast du gebraucht?“   Snape stieß ein kleines Schnauben aus, das verdächtig nach einem kleinen Lachen klang. „Das erzähle ich dir, sobald du es kannst.“   Draco wollte protestieren, wurde aber von Snape sofort wieder unterbrochen. „Lass uns weiter machen. Legilimens!“   Etwas streifte sanft sein Bewusstsein. Draco konnte spüren, wie Snape versuchte, in seinen Kopf einzudringen. Es war ein befremdliches Gefühl. Warum hatte er das vorher nicht gespürt? War dieser sanfte Druck schon immer da gewesen?   Snape zog eine Augenbraue hoch, brach aber den Blickkontakt nicht ab. „Das bedeutet, dass du sensibler für Legilimentik wirst. Ein talentierter Legilimentor kann, wenn er will, in jeden ungeübten Geist eindringen, ohne dass derjenige es mitbekommt. Nur sehr wenige Zauberer sind dazu in der Lage.“   Draco nickte und versuchte, sich dabei auf seine Atmung zu konzentrieren.   Ein. Aus. Ein.   „Es soll Zauberer und Hexen geben, die diese Fähigkeit von Geburt an haben. Sie brauchen keinen Zauberspruch, nicht einmal ihren Zauberstab. Die Gedanken der anderen fliegen einfach so zu ihnen. Aber auch sie kommen nicht gegen starke Okklumentik-Schilde an. Zu unserem Glück, gibt es bei uns niemanden mit dieser Fähigkeit. In Acht nehmen musst du dich nur vor dem Dunklen Lord, Albus Dumbledore und mir.“   Aus. Ein.   Draco war von sich selbst überrascht, dass er diese Informationen aufnehmen konnte, ohne dass seine Konzentrationen davon zu sehr beeinflusst wurde. Aber es wurde zunehmend schwerer.   Aus. Ein. Aus.   Snape nickte zustimmend. „Es ist häufig einfacher, wenn man mit Dingen konfrontiert wird, von denen man nichts weiß – keine Erinnerungen, die an die Oberfläche wollen. Schwierig wird es erst dann, wenn man es mit Ereignissen in Verbindung bringt, die man wirklich erlebt hat. Und sei es nur, dass man sie in einem Buch gelesen hat.“   Ein. Aus. Ein. Aus.   Ein aufgeschlagenes Buch kam in seinen Kopf. Die Seiten waren zunächst weiß, völlig leer, als wartete es nur darauf mit Feder und Tinte und Worten gefüllt zu werden. Ein einzelner Strich erschien plötzlich. Ein Weiß mitten im Weiß. Fast nicht sichtbar. Er wurde immer dunkler und dunkler. Von Weiß nach hellgrau. Von dunkelgrau nach dunkelblau. Beinahe schwarz. Schwärzer. Die Linie wurde länger und endete in einem kleinen Bogen. Um ihn herum kamen weiter Striche und Bögen und Schnörkel zum Vorschein, wurden mehr und mehr, dunkler und dunkler, bis sie das weiß verschluckt hatten. Ihm war instinktiv bewusst, dass es Worte waren, die er lesen können müsste und doch machte keiner dieser Linien Sinn.   „Mama! Liest du mit eine Gute-Nacht-Geschichte vor?“, hörte Draco sich sagen. Aufgeregt schauten die kleinen hellgrauen Kinderaugen zu seiner Mutter empor. Eine kalte Schönheit. Die blonden Haare waren in einem festen Knoten streng nach hinten zusammengebunden, die blutroten Lippen verzogen sich missbilligend, das Blau in den zu Schlitzen verengten Augen kaum noch zu sehen.   „Ich lese dir etwas vor.“ Draco Vater hatte ihm das Buch aus der Hand genommen und ihn von seiner Mutter weggeführt, bevor sie hatte etwas Verletzendes zu ihm sagen können.   „Das beschäftigt dich sehr.“ Es war keine Frage, natürlich nicht. Snape war in seinen Gedanken gewesen. Er hatte wahrscheinlich mehr gesehen, als Draco bewusst war.   „Ich hatte gedacht, dass ich damit abgeschlossen habe. Ich habe schon lange nicht mehr an meine Kindheit gedacht.“ Er hatte keine schlechte Kindheit gehabt, nicht wirklich. Aber die meisten glücklichen Erinnerungen waren mit seinem Vater und meistens wurden sie von seiner Mutter getrübt.   „Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, wie jung du noch bist.“   Es war wahr. Er hörte häufiger, wie die anderen Slytherins im Gemeinschaftsraum – und auch die Schüler der anderen Häuser in den Gängen oder der Großen Halle – über ihre Familien sprachen und auch über ihre Kindheitserinnerungen. Draco hatte seine nie geteilt, aus den unterschiedlichsten Gründen.   „Es war nicht alles schlecht. Meine Mutter hat mir auch hin und wieder Geschichten vorgelesen.“ Geschichten über Reinblüter, die Muggel quälten und als Helden gefeiert wurden, unbekannte Wesen mit phantasievollen schwarzmagischen Flüchen gebannt und sie zu einem Schicksal verurteilt hatten schlimmer als der Tod. Geschichten und Märchen, die im Hause der Blacks normal waren und ihre Einstellungen und Überzeugungen seit Generationen geprägt hatten.   Aber wenn Draco aufmerksam zugehört hatte, hatte seine Mutter ihm mit einem Kuss auf die Stirn eine gute Nacht und schöne Träume gewünscht.   Obwohl sein Vater und seine Mutter die gleichen Überzeugungen teilten und beide begeisterte Anhänger des Dunklen Lord waren, hatten sie sehr unterschiedliche Vorstellungen, was Dracos Erziehung anging.   „Narzissa wollte, dass du wie ein Black erzogen wirst und schon früh mit den Dunklen Künsten in Berührung kommst. Lucius dagegen wollte dich eine normale, unbekümmerte Kindheit haben lassen.“   Draco lachte leise, aber es klang selbst in seinen Ohren freudlos. „Ich hatte versucht, einen Weg zu finden, es beiden recht zu machen. Aber letztendlich habe ich mich bei jeder Gelegenheit hinter meinem Vater versteckt. Ihr war es egal, solange ich in der Öffentlichkeit den perfekten Sohn gespielt habe. Hauptsache ihr Ansehen war nicht in Gefahr.“   „Ein wahre Black.“ In Snapes Stimme schwang zum Teil Bewunderung, aber auch Abscheu mit.   „Aber sie ist so ganz anders als Tante Bellatrix. Ihr ist es egal, was über sie geredet wird.“ Draco verzog angewidert das Gesicht, als er sich vorstellte, wie sie sich vor aller Augen – vor allem vor den Augen ihres Ehemanns – dem Dunklen Lord an den Hals schmiss.   Snape seufzte schwer. „Bellatrix ist eine Fanatikerin. Ihr ganzes Denken und Handeln sind drauf ausgerichtet, dem Dunklen Lord zu gefallen. Sie ist die älteste der Black-Schwestern. Ihre Erziehung war besonders hart und hat einen Teil ihrer geistigen Gesundheit gekostet. Askaban hat dann den Rest erledigt.“   „Du verteidigst sie?“ Draco war überrascht. Er hatte bisher den Eindruck gewonnen, dass Snape seine Tante nicht besonders leiden konnte. Nein, das war zu milde. Verachtete war das richtige Wort.   „Nein!“ Snapes Miene war völlig ausdruckslos, aber sein kalter Tonfall verriet ihn. „Ich habe kein Verständnis für ihr Benehmen. Ich wollte lediglich den Unterschied zwischen ihr und deiner Mutter erklären.“   Draco seufzte. „Wie auch immer.“ Er hatte weder Lust sich über seine Mutter noch über seine Tante zu unterhalten. „Wir sollten weiter machen.“   „Wie du willst. Legilimens!“ Snape ließ ihm keine Zeit, sich auf den Ansturm vorzubereiten.   Es war merkwürdig, den Druck zu spüren, aber es beruhigte ihn auch. Er würde jetzt immer wissen, wenn jemand in seine Gedanken eindringen wollte. Es war praktisch, falls Dumbledore es versuchen sollte, könnte er unauffällig wegsehen. Hatte der Alte es vielleicht schon mal gemacht, ohne dass er es mitbekommen hatte?   Er versuchte, sich krampfhaft zu erinnern, wann er dem alten Zauberer das letzte Mal in die Augen geschaut hatte. Hatte er ihm überhaupt schon mal direkt in die Augen gesehen?   „Mach dir darüber keine Gedanken. Ich bin mir sicher, dass er bisher keinen Grund dafür gesehen hat. Ansonsten wüsste ich davon.“   „Argh!“ Draco drehte sich schlagartig um und versuchte, krampfhaft den Drang zu unterdrücken, einen Bombarda zu benutzen. Wie konnte es sein, dass er es nicht mal mitbekam?   „Du hast dich nicht konzentriert. Hör auf zu schmollen und lass es uns gleich noch mal probieren.“   Draco drehte sich widerwillig um und funkelte Snape wütend an. Sein Hauslehrer ließ sich davon aber nicht beeindrucken und schaute nur abwartend auf seinen Schüler. Schließlich atmete Draco tief durch, schüttelte sich in einer uneleganten Weise, um seine negativen Gefühle abzuwerfen und blickte erwartungsvoll nach vorn.   Nach einem kurzen Nicken, hörte er das inzwischen vertraute „Legilimens!“   Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus.   „Nächste Woche ist das Quidditch-Spiel gegen Hufflepuff. Ich hoffe, unserer Mannschaft ist gut vorbereitet.“   Ein. Aus. Ein. Aus.   Ein kleiner Rennbesen flitze vor seinen Augen lang, gefolgt von einem anderen. Ein dritter gesellte sich dazu. Hinter ihnen schossen drei riesige Stangen aus dem Boden, an ihren Spitzen bildeten sich Ringe.   Ein. Aus. Ein.   Ein Quaffel flog durch das mittlere Tor und Draco konnte den Gong hören, der den Punkt bestätigte.   Aus. Ein.   Zwischen den Ringen tauchte ein kleiner goldener Ball auf. Kaum sichtbar. Plötzlich zischte jemand an ihm vorbei. Harry!   Aus.   Ein.   Aus.   Das Spiel war vorbei und Draco folgte Harry in die Umkleidekabine. Harry war schon völlig nackt, als er ankam, und stand allein unter dem heißen Wasserstrahl. Draco versteckte sich hinter dem Wäschekorb. Das Wasser war so laut. Es rauschte in seinen Ohren, als stünde er mitten im Platzregen. Aber hin und wieder konnte er merkwürdige Laute hören, ein verzehrtes Stöhnen.   Er lugte um den Korb herum. Sein Herz schlug schneller bei dem Anblick, der sich ihm bot.   Harry hatte sich zu ihm gedreht, seine rechte Hand war um seinen Schwanz geschlungen und bewegte sich beinahe unkontrolliert auf und ab. Die Bauchmuskeln zuckten, der Brustkorb hob und senkte sich viel zu schnell. Zwei Finger seiner linken Hand waren zwischen den leicht geschwollenen Lippen verschwunden, dämpften das Keuchen, das in immer kürzeren Abständen nach außen drang. Harrys grüne Augen waren fast schwarz vor Lust. Und sie waren genau auf Draco gerichtet.   „DAS REICHT!“   Brutal wurde Draco aus seinen Gedanken gerissen. Er glaubte noch, seinen Namen zu hören, wie er zusammen mit dem Orgasmus hinausgeschrien wurde. Aber der süße Anblick blieb ihm verwehrt.   „Das wollte ich definitiv nicht sehen.“ Snapes Stimme klang rau. Eine Mischung aus Verlegenheit und Entsetzen spiegelte sich in seinem Gesicht wider.   Draco musste lachen. Er konnte nicht mal wütend sein, dass seine Schilde wieder nicht hatte aufrechterhalten können. Snape so aus der Fassung zu bringen, war es allemal wert gewesen.   „Tut mir leid.“ Es sollte ernsthaft klingen, aber Dracos Lachen ließ keinen Zweifel daran, wie sehr es ihm wirklich leidtat.   Snape funkelte ihn wütend an. „Ich denke, wir sollten für heute Schluss machen. Ich werde eine Weile brauchen, um diese Bilder wieder loszuwerden.“   „Ach komm, Severus. So schlimm war es doch nicht. Du musst zugeben, dass Harry einen äußerst appetitlichen Körper hat.“ Er konnte es sich nicht verkneifen, er musste Snape einfach noch ein bisschen reizen. Wann würde er je wieder die Gelegenheit dazu bekommen?   „Zum einen glaube ich nicht, dass wir auf unserer Beziehungsebene schon so weit sind, über die sexuellen Abendteuer des anderen zu sprechen, zum anderen ist Harry männlich, minderjährig und mein Schüler. Ich will solche Bilder von ihm einfach nicht sehen.“ Mit jedem Wort wurde er lauter.   „Schon gut, schon gut.“ Draco hob seine Hände in einer beschwichtigenden Geste und versuchte, einen weiteren Lacher zu unterdrücken. Er durfte Snape nicht zu sehr verärgern, immerhin musste er ihn weiter unterrichten. „Ich werde jetzt gehen und dich die Erinnerungen an dieses schreckliche Erlebnis in einer Flasche Feuerwhisky ertränken lassen.“   „Verschwinde einfach.“, knurrte Snape.   „Gute Nacht, Professor.“   Schnell schlüpfte Draco zur Tür hinaus, bevor Snape noch auf die Idee kam, ihm einen Fluch hinterher zu jagen. Er wusste, dass Snape nicht wirklich wütend auf ihn war, auch wenn Harrys Anblick ihn sicherlich verstört hatte. Es war ja keine Absicht gewesen.   Schlagartig war Dracos gute Laune wieder vorbei. Keine Absicht! Genau deswegen übten sie ja Okklumentik. Und er hatte versagt. Es waren genau diese Bilder, die der Dunkle Lord nicht sehen durfte.   Draco war sich in der Zwischenzeit sicher, dass der Dunkle Lord wusste, dass er Harry dabei beobachtet hatte, wie er sich selbst befriedige. Es grenzte an ein Wunder, dass er nichts dazu gesagt hatte. Er hatte bestimmt auch Dracos wachsendes Interesse an dem Auserwählten bemerkt und auch dazu kam kein Ton.   Wenn er so darüber nachdachte, war es beunruhigend. Vielleicht hatte er aber auch nur seine sadistische Freude daran, zuzusehen, wie Draco sich in eine hoffnungslose Situation begab. Oder es interessierte ihn einfach nicht.    Aber es würde ihn interessieren, sobald er bemerkte, dass es nicht einseitig war, sobald er begriff, dass Harry ihn belogen hatte und dann hätte er sein Druckmittel – Draco – schon in der Hand. Und für diese Lüge würde er sie beide zerquetschen. Es lag nun an Draco das zu verhindern. Er musste besser werden, musste sich besser konzentrieren, und vor allem musste er alles, was mit Harry zu tun hatte, in seinem Geist wegsperren.   Wie spät war es? Er sollte noch ein bisschen meditieren, bevor er in Bett ging, aber zuvor müsste er noch mal in den Raum der Wünsche. Dort wartete auch noch Arbeit auf ihn. Er hatte sie zu lang vor sich hergeschoben.   Auf dem langen Weg in die siebte Etage dachte Draco über seine letzten Gedanken bei Snape nach. Es war merkwürdig gewesen. Seine Erinnerungen hatten sich mit seinem Wunschdenken vermischt, das wusste er. Und doch ließ ihn das mulmige Gefühl nicht los, dass da mehr war. Sie hatten nie drüber gesprochen. Draco war davon ausgegangen, dass Harry ihn nicht bemerkt hatte. Aber möglicherweise irrte er sich. Vielleicht war da mehr als es den Anschein hatte.   Hatte Harry gewusst, dass er da war? Kapitel 34: Gemischte Gefühle ----------------------------- Strafarbeit. Es war nicht das erste Mal, dass Harry und Draco zu Strafarbeiten verdonnert wurden, weil sie wieder einen Streit begonnen hatten, um sich ungestört miteinander unterhalten zu können. Es war aber das erste Mal, dass keiner von beiden etwas in dieser Richtung getan hatte. So schauten sie gleichermaßen überrascht, wie auch ihre Mitschüler, als Snape beide anbrüllte, dass sie endlich aufhören sollten seinen Unterricht zu stören. Bis zum Ende der Stunde hatten sowohl Gryffindor als auch Slytherin – zum Schock aller Anwesenden – 20 Punkte verloren und Harry und Draco sollten abends in die Kerker kommen und die Zauberkessel auf Hochglanz polieren.   „Professor Slughorn ist viel zu nachsichtig mit seinen Schülern und die Kessel sind völlig verdreckt.“   Nach dem Abendessen ging Draco aufgeregt in das Klassenzimmer für Zaubertränke. Snape stand da mit Slughorn und Harry, der aber nur auf den Boden starrte.   „Aber Severus, muss das denn sein? Ich bin mir sicher, die beiden haben ihre Lektion gelernt.“ Auch wenn er von ihnen beiden sprach, war sein Blick allein auf Harry gerichtet. Natürlich versuchte er, seinen Lieblingsschüler vor der Strafarbeit zu schützen, der andere war ihm völlig egal.   Draco konnte sehen, wie Snape sich verspannte. Seine Lippen zogen sich missbilligend zusammen und eine tiefe Furche bildete sich zwischen seinen Augenbrauen. „Mr. Potter und Mr. Malfoy müssen lernen, sich zu benehmen. Wenn ihr Verhalten keine Konsequenzen nach sich zieht, werden sie es nie begreifen.“   Slughorn war damit nicht zufrieden, aber als Snape ihn auf ein oder zwei Glas Met in die Drei Besen einlud, um die neuesten Entwicklungen in der Zaubertrankbrauerei zu besprechen, waren Draco und Harry vergessen. Aufgeregt schwabbelte der aufgedunsene Zauber durch die Tür und war verschwunden.   „Ich erwarte keinen Fleck mehr auf den Kessel vorzufinden, wenn ich wiederkomme.“ Snape schaute beide noch mal eindringlich an.   Draco nickt, Harry zeigte keine Reaktion.   Snape seufzte schwer und war ebenfalls zur Tür hinaus.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Seit zehn Minuten beobachtete Draco Harry, wie er die Kessel schrubbte. Harry stand mit dem Rücken zu ihm und jedes Mal, wenn Draco um ihn herumgehen wollte, bewegte sich Harry mit.   Draco musste zugeben, dass der Anblick gar nicht so schlecht war. Harrys Oberteil war wie immer viel zu weit, aber dafür war es ein Stück heruntergerutscht und legte Harrys langen Hals und seine rechte Schulter frei. Er konnte sogar ein bisschen seines Oberarms sehen und wie die Muskeln arbeiteten, während er mit einem alten Putzlappen die Kessel von Zaubertrankresten befreite.   Unbewusst befeuchtete Draco seine Lippen. Er würde sich gerne an Harry heranpressen, seinen Schwanz gegen diesen perfekten Hintern reiben und jeden Zentimeter der sonnengebräunten Haut kosten, aber er war sich sicher, dass Harry ihn wegstoßen würde und ihn einfach weiter ignorieren.   So langsam verlor er die Geduld.   „Dir ist schon klar, dass wir nicht hier sind, um die Kessel zu schrubben?“, fragte Draco. In seiner Stimme klang eine gewisse Gereiztheit mit, von der nicht sagen konnte, ob sie von Harrys sturem Verhalten oder Dracos langsam aufkommender Erregung kam. Vermutlich etwas von beidem. „Uns wurden weder die Zauberstäbe weggenommen, noch gesagt, dass wir nicht zaubern dürfen. Snape wollte nur, dass wir mal in Ruhe reden können.“   Harry ignorierte ihn und schrubbte weiter an seinem Kessel.   Draco seufzte und mit einem Schlenker seines Zauberstabs waren alle Kessel augenblicklich sauber. „Sieh mich an!“, sagte er sanft.   Harry reagierte nicht. Er schrubbte weiter den bereits sauberen und blankpolierten Kessel.   „Kannst du mir mal verraten, was los ist?“ Seine Gereiztheit war jetzt deutlich zu hören und er war sich sicher, dass sie diesmal von Harrys Verhalten kam.   Harry schwieg weiter und Draco glaubte schon, gar keine Antwort mehr zu erhalten, als er doch endlich den Mund öffnete. „Das hat doch keinen Sinn.“, kam es leise, aber bestimmt von Harry.   „Was meinst du? Dass du die Kessel weiter schruppst, obwohl diese schon sauber sind? Da stimme ich dir voll und ganz zu. Könntest du mich bitte ansehen, wenn du mit mir redest?“ Wie sollte er mit Harry irgendetwas klären, wenn dieser sture Gryffindor nicht bereit war, mit ihm darüber zu sprechen?   Harry schaute nicht auf. „Das mit uns. Wir sollten das vergessen.“   „Wie bitte?“ Die Frage war kaum mehr als ein Keuchen. Nach der letzten Woche, in der Harry ihm immer und immer wieder aus dem Weg gegangen war, hätte ihn diese Antwort nicht so schockieren sollen. Und er würde sie ganz sicher nicht akzeptieren. Aber es tat höllisch weh. „Wieso?“   „Was glaubst du, wie das werden soll?“, jetzt klang Harry wütend. „Wir sind vielleicht in der Lage, unsere Gefühle und unsere Beziehung vor Voldemort zu verbergen. Aber wie lange, glaubst du, wird es dauern, bis irgendjemand bemerkt, dass was zwischen uns ist? Wir können nicht ganz Hogwarts Okklumentik beibringen, damit Voldemort nichts merkt. Ich habe doch nicht alles, woran ich bisher geglaubt habe, aufgegeben, um dich zur Zielscheibe zu machen. Ich habe die Seiten gewechselt, um dich zu beschützen, nicht um dich in Gefahr zu bringen. Er würde dich, ohne mit der Wimper zu zucken, quälen und foltern, um mich damit zu kontrollieren. Das werde ich nicht zulassen!“   Jetzt wurde es Draco langsam zu bunt. „SIEH MICH VERDAMMT NOCH MAL AN!“ Er wurde immer lauter. „Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Wer gibt dir das Recht, diese Entscheidung für mich zu treffen? Das betrifft mich doch genauso sehr wie dich. Ich bin gerne bereit das Risiko einzugehen, weil du es mir verdammt noch mal wert bist. Ich will mit dir zusammen sein. Du hast die Seiten gewechselt, damit du nicht gegen mich kämpfen musst. Und es hätte für uns nie eine Chance gegeben, wenn wir weiter auf unterschiedlichen Seiten gestanden hätten. Aber jetzt sind wir auf der gleichen Seite. UND ICH STEHE GENAU HIER!“   „WARUM WILLST DU ES DENN NICHT VERSTEHEN? ICH WILL DICH DOCH NUR BESCHÜTZEN!“, schrie Harry jetzt, aber noch immer schaute er nicht hoch.   „Du musst mich aber nicht beschützen. Ich bin nicht schwach. Das solltest du wissen. Wir haben jahrelang unsere Kräfte miteinander gemessen. Wenn jemand wissen müsste, dass ich mich wehren kann, dann bist du es. Ich bin gerne bereit, jedes Risiko für dich in Kauf zu nehmen, solange wir nur zusammen sind. Zusammen können wir das schaffen. Vertrau mir doch bitte. UND SIEH MICH ENDLICH AN!“ Die letzten Worte hatte er regelrecht gebrüllt und sie zeigten endlich die erwünschte Wirkung. Harry sah ihn an.   Erschrocken drehte sich Harry um und starrte Draco mit weit aufgerissenen Augen an. Er betrachtete sein Gegenüber richtig. Draco sah einfach nur verboten gut aus. Er trug eine enganliegende schwarze Hose, die seine schmale Hüfte betonte. Sie saß tief. Harry konnte deutlich die Hüftknochen sehen, die unter dem grauen T-Shirt hervortraten. Der dünne Stoff des T-Shirts schmiegte sich an Dracos Körper wie eine zweite Haut. Jeder Muskel zeichnete sich deutlich ab und ließ keinen Zweifel daran, wie gut Dracos Körper eigentlich trainiert war. Auch die Ärmel des Shirts spannten um seinen Bizeps. Es waren nicht zu viele Muskeln, es wirkte nicht protzig, sondern einfach nur perfekt.   Harrys Blick wanderte weiter und blieb an dem V-förmigen Ausschnitt hängen. Dracos helle Haut schimmerte zwischen dem Grau hervor und Harry wünschte sich kurz, sie zu berühren. Dann schaute er dem anderen endlich ins Gesicht und ihm stockte der Atem. Hellgraue Augen funkelten ihn an. Dracos Blick war eine Maske aus kalter Wut und strotze nur so vor Entschlossenheit. Nein, Draco war nicht schwach. Harry hätte sich niemals in ihn verlieben können, wenn er schwach wäre.   Augenblicklich spürte er, wie es in seiner Hose eng wurde und sein Verstand sich abschaltete. Er knurrte tief und innerhalb von zwei Sekunden stand er vor Draco, schlang seine Arme um seinen Hals, vergrub seine Hände in seinen weichen Haaren, dirigierte ihn dabei gegen einen Tisch und zog ihn zu einem harten Kuss zu sich. Draco reagierte sofort und schlang seine Arme um die Taille des Gryffindors und zog ihn noch näher an sich. Es war kein leidenschaftlicher Kuss, wie auf dem Astronomieturm. Dieser war hungrig und voller Begierde, angefüllt mit den Emotionen, die sie in der letzten Woche unterdrückt hatten.   Harry rieb sein Becken an Dracos und konnte augenblicklich spüren, wie Dracos Glied sich ihm entgegenreckte. Sie vergaßen alles um sich herum. In diesem Moment zählten nur noch sie beide und das Verlangen nacheinander, welches sich immer weiter aufgestaut hatte.   Mit einem Ruck hatte Harry Dracos T-Shirt auseinandergerissen und leckte mit seiner Zunge über die zarte Haut seines Oberkörpers, biss erst sanft, dann stärker in die bereits harten Brustwarzen, kratzte mit seinen Fingernägeln über den durchgedrückten Rücken und genoss jedes einzelne Stöhnen, das übers Dracos Lippen drang. Sein Mund wanderte wieder nach oben, um sich ausgiebig dem Hals seines Geliebten zu kümmern, während seine Hände die entgegengesetzte Richtung ansteuerten und sich an dem Gürtel zu schaffen machten.   Es dauerte nicht lange und er hatte Dracos Glied aus seinem Gefängnis befreit. Ein weiteres Knurren entrang sich seiner Kehle. Draco trug keine Unterwäsche. Mit seiner linken Hand massierte er die harte Erektion. Seine rechte nutze er, um Dracos Kopf wieder in einen Kuss zu ziehen. Er konnte die Vibrationen von Dracos Stöhnen in sich fühlen und das machte ihn nur noch mehr an.   Als Draco den Kuss löste, um seinen Kopf in den Nacken zu legen, nutze Harry die Gelegenheit, um sich ein weiteres Mal der empfindlichen Haut unter Dracos Ohr zu widmen. Seine Zunge wanderte weiter, kitzelte abwechselnd die Brustwarzen, kosteten jede Stelle von Dracos verführerischen Haut, zog jeden einzelnen Muskel nach und wanderte dabei immer weiter nach unten, beschrieb einen Kreis, um den Bauchnabel, bevor sie kurz eintauchte, um dann ihren Weg fortzuführen. Draco keuchte kurz auf, als die Zunge an seiner Erektion angekommen war und spielerisch die Eichel anstupste. Dann biss er sanft hinein, bevor das komplette Glied in seinem Mund eintauchen ließ. Er saugte, schluckte, massierte den langen Schaft mit seinen Lippen und fuhr mit seiner Zunge die dicken Adern nach, entlockte der süßen Spitze immer mehr Lusttropfen, um jeden einzelnen zu kosten.   Es war zu leicht, sich dieser süßen Folter hinzugeben, Harry einfach die Kontrolle zu überlassen und alles mit seinem Körper machen zu lassen, was er wollte. Und auch wenn jede Faser seines Körpers danach schrie, das konnte Draco nicht zulassen. Er musste Harry zeigen, dass er es ernst meinte und dass er Draco nicht unterschätzen durfte. Klischeehaftes Denken, das über Sex zu machen? Aber hey! Wer sollte ihn verurteilen?   Draco vergrub seine Hände in Harrys Haare, fühlte die weichen Locken, die sich einfach nicht bändigen ließen und nach nur einem kurzen Moment des Zögerns zog er Harry beinahe schon brutal nach oben.   Harrys Blick war vor Lust verhangen, seine Lippen glänzten von Speichel und Vorsamen. Draco konnte dem Drang nicht widerstehen. Er zog Harrys Kopf ein Stück nach hinten und leckte mit seiner Zunge über die verführerischen Lippen, genoss dabei Harrys Wimmern und seinen Geschmack, der sich mit Harrys vermischte.   Mit einem Ruck drängte er Harry nach hinten bis sie gegen einen weiteren Tisch stießen. Die Kessel klapperten und fielen scheppernd zu Boden als Draco Harry auf den Tisch hob. Schnell zog er Harrys Pullover über seinen Kopf, warf ihn achtlos zur Seite, bevor er Harry nach unten drückte, bis er auf dem Tisch zu liegen kam.   Gierig beobachtete er, wie sich Harrys Brustkorb unnatürlich schnell hob und senkte. Er fuhr mit seinen Fingernägeln über die seidig glatte Haut, hinterließ leichte rote Striemen auf seinen Weg. Die Bauchmuskeln zuckten, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er dieser sanften Folter ausweichen oder sich noch weiter entgegenstrecken sollte.   Die viel zu weite Hose machte es Draco leicht, sich ihr zu entledigen. Automatisch hob Harry sein Becken, sobald Draco am Hosenbund angekommen war. Sein Schwanz wippte aufgeregt auf und ab und an der Spitze glänzte es feucht.   Er ließ sich auf die Knie fallen und verschlang Harrys Erektion.   „Draco…!“   Wie sehr den Klang seines Namens mit dieser abgehackten, tiefen Stimme liebte. Er wollte mehr davon hören. Das Blut rauschte in seinen Ohren, sein Herz flatterte wie wild und seine ganzen Sinne waren erfüllt mit Harry, Harry, Harry.   Die Versuchung war groß, einfach weiter zu machen, Harry mit seinem Mund bis an den Rand des Wahnsinns zu bringen, ihn bitten und betteln zu hören, bis er vor seinen Augen zerfiel, den süßen Beweis auf seiner Zunge.   Stattdessen löste er sich, genoss den frustrierten Aufschrei, umfing mit Leichtigkeit die Hände, die ihn wieder in seine kniende Position zwingen wollten, und zog Harry wieder zu sich. Er presste ihre Münder so heftig gegeneinander, dass Harry kaum die Chance hatte, den Kuss zu erwidern.   Sobald Harry sich ihm entgegenstreckte, unterbrach Draco den Kuss. Er zog an den schwarzen Haaren und hielt den Kopf in Position, attackierte den langen Hals mit seinen Zähnen, hart genug um Male zu hinterlassen, heftig genug, um der Kehle von Verlangen verzweifelte Laute zu entlocken.   Draco ging darin auf. Gryffindors Goldjunge war ihm völlig ausgeliefert. Und genoss es. Jedes Stöhnen, jedes Keuchen, jedes Zucken seines Körpers ein Beweis, wie sehr es ihn erregte, von Draco dominiert zu werden.   Aber natürlich konnte der Auserwählte nicht komplett passiv bleiben. Er schlang seine Arme und Beine um Draco und versuchte, ihn wieder in einen Kuss zu ziehen. Kleine, bedürftige Laute begleiteten seinen kläglichen Versuch.   Draco löste sich aus der Umarmung, zog Harry hoch, drehte ihn um und drückte seinen Oberkörper zurück auf den Tisch.   Harrys überraschter Aufschrei, verwandelte sich in ein Wimmern, als Draco anfing, seinen Schwanz zwischen Harrys Pobacken zu reiben.   „Jaaaa a…! Mach… weiter.“, kam es abgehackte zwischen zusammengepressten Zähnen.   Fasziniert beobachtet Draco, wie sein Schwanz immer wieder zwischen den Arschbacken entlangglitt. Er war so erregt, dass sich genug Feuchtigkeit aus der Spitze gelöst hatte, dass er widerstandslos hindurchflutschte.   Harrys Hintern war perfekt. Er knete ihn, bohrte seine Fingernägel in das weiche Fleisch, drückte sie zusammen, damit sie seinen Schwanz noch weiter umschlossen.   Vergeblich versuchte Harry, sich ihm entgegen zu strecken, hatte aber einfach keine Kraft in seinen Beinen. Seine Finger umklammerten die Tischkante, griffen so hart zu, dass die Knöchel weiß hervortraten.   Er drehte den Kopf zur Seite, presste seine Wange gegen das kühle Holz, um seiner erhitzten Haut einen Moment der Linderung zu verschaffen. Aber es dauerte nur einen Bruchteil einer Sekunde und der Effekt hatte sich völlig verflüchtigt. Er hatte nicht die Kraft seinen Kopf noch mal in die andere Richtung zu drehen. Er konnte nur daliegen, seinen Oberkörper flach auf den Tisch gepresst und Draco machen lassen, was auch immer er wollte.   Der Gedanke ließ seine Erektion schmerzhaft gegen die Tischplatte zucken.   „Draco, bitte!“ Das Bedürfnis, Dracos Glied, das ihn so süß quälte und Versprechungen von harten, tiefen Stößen mit jeder Bewegung brachte, endlich in sich zu spüren, wurde unerträglich.   Frust und Erleichterung machten sich in ihm breit, als Draco sich zurückzog und stattdessen mit seinen Fingern mit seinem Anus spielte. Immer nur leicht drückte er dagegen, nie fest genug, um den Ring zu durchstoßen.   Verzweifelt nahm Harry seine letzte Kraft zusammen und versuchte, sich abzustützen, sich so weit nach hinten zu bewegen, um den Finger in sich zu zwingen. Aber Draco erkannte, was er vorhatte. Ein leichter Druck zwischen seine Schulterblätter und zwei sanfte Tritte, die seine Beine weiter auseinanderschoben, ließen ihn seinen letzten Halt verlieren.   Draco lachte leise und genoss das Zittern, das bei diesem Klang durch Harrys Körper ging. Sein Schwanz pochte schmerzhaft und er wusste, dass er es selbst nicht mehr lange aushalten würde.   Sein ganzer Körper stand unter Strom und plötzlich konnte er an nichts anderes mehr denken, als sich in den perfekten Körper unter sich zu versenken. Wie von selbst bahnten sich gleich zwei Finger in die kleine Öffnung, feucht von Dracos Vorsamen und Harrys Schweiß, der wie ein feiner Film seinen ganzen Körper bedeckte.   Die Muskeln verkrampften sich, hielten Dracos Finger fest umklammert, als würde sie verhindern wollen, dass sie Harrys Körper wieder verließen. Aber schnell entspannten sie sich wieder, ließen Draco mit geübten Bewegungen das kleine Loch weiten, bis es bereit sein würde, seinen Schwanz aufzunehmen.   Ihre Blicke trafen sich. Harry hatte seinen Kopf beinahe unnatürlich weit nach hinten gedreht. Seine Augen waren so stark geweitet, dass sie beinahe schwarz wirkten. Ein abgehacktes Keuchen drang über die geschwollenen blutroten Lippen bis es sich bei einem besonders tiefen Stoß von Draco in ein langgezogenes Stöhnen verwandelte.   Das war genug. Es war ihm egal, ob Harry schon bereit war, Draco konnte nicht länger warten.   Er ignorierte Harrys frustrierten Aufschrei, als seine Finger aus ihm herausglitten. Die Spitze seines Schwanzes tropfte vor Feuchtigkeit. Schnell verteilte er sie auf seinen Schaft, bevor er Harrys Arschbacken auseinanderzog. Gierig starte er auf das kleine Loch, dass sich ihm hungrig entgegenstreckte.   Ein letzter Blick zu Harry, der ihn nur flehentlich ansah, und er stieß zu.   Ein lauter Schrei ging durch den Raum. Draco konnte nicht sagen, ob er von Harry kam oder ihm selbst. Alles, was zählte, war diese köstliche Enge, die ihn umfing. Seidig, heiß. Es raubte ihn den Verstand.   Beinahe schon brutal umklammerte er Harrys Hüften, zog ihn zu sich, während er immer und immer wieder zustieß. Draco war wie besessen. Er konnte nicht genug bekommen. Immer schneller und härter wurden seine Stöße, verlor sich völlig in dem Gefühl und den Klang von Harrys Stöhnen und Keuchen und dem Gebrabbel, das ihn immer weiter und weiter anstachelte.   Viel zu schnell spürte er, wie sich sein Orgasmus näherte. Sein Unterleib zog sich zusammen und Draco musste alles an Konzentration aufbieten, um ihn wenigstens noch ein paar wenige Momente hinauszuzögern.   In einer fließenden Bewegung hatte er Harry um die Hüften geschlungen nach oben gezogen und an seinen Körper gepresst. Harrys rechtes Bein hob er wieder auf den Tisch und musste ihn stützen, damit er nicht zusammenrutschte.   Zittrige Armen griffen nach seinem Kopf. Widerstandslos ließ Draco sich führen, bis ihre Münder sich trafen. Zähne, Zungen, Lippen. Sie keuchten mehr gegeneinander, als dass man es wirklich als Kuss hätte bezeichnen können. Aber für Draco war es perfekt.   Noch immer hielt Draco Harry umklammert, zwang ihn, jeder seiner Stöße entgegen zu kommen. Mit der anderen Hand umklammerte er Harrys Schwanz und ließ ihn seine Faust ficken.   Ein tiefes Grollen entwich Harrys Kehle, welches Draco gierig mit seinen Lippen aufsog. Finger verkeilten sich in seinen Haaren, zogen und drückten, als würden sie ihn mit Harry verschmelzen wollen.   Mit einem Mal riss Harry seinen Kopf nach hinten und löste ihren unvergleichlichen Kuss. Kurz war Draco von der Kälte irritiert, die sich so plötzlich über seine Lippen gelegt hatte. Dann hörte er seinen Namen in einem langgezogenen Schrei. Heiße Flüssigkeit lief über seine Finger. Sein Schwanz wurde plötzlich so stark eingeengt, dass es ihm die Luft nahm. Noch bevor Draco begreifen konnte, was gerade passiert war, erfasste ihn sein Orgasmus mit einer Heftigkeit, die ihn Sterne vor seinem Augen sehen ließ.   Viel zu erschöpft, um stehen zu bleiben, ließ Draco sie beide vorsichtig zu Boden gleiten. Sie blieben auf dem harten Steinfußboden liegen, dankbar für die Abkühlung ihrer erhitzten Körper. Nur langsam normalisierte sich ihre Atmung wieder.   Draco hielt Harry umklammert. Er war noch nicht bereit, ihn loszulassen. Würde er wahrscheinlich nie sein, wenn er auf sein Herz hörte, dass immer noch wie verrückt schlug und sich einfach nicht beruhigen wollte. Es war ihm egal, dass der trocknende Schweiß und das klebrige Sperma sich langsam unangenehm anfühlten. Hauptsache Harry war da, wo er hingehörte. In seinen Armen.   Er versteifte sich, als Harry sich zu rühren begann. Instinktiv verfestigte er seinen Griff. Harrys leises Lachen beruhigte ihn etwas und er lockerte seine Arme soweit, dass Harry sich umdrehen konnte.   Harry lächelte ihn an. Es war so viel Liebe und Zuneigung in diesem Blick, dass ihm der Atem stockte. Eine Hand strich ihm vorsichtig eine Strähne aus dem Gesicht. Draco schloss die Augen und genoss die sanfte Berührung, die ihn mehr Sicherheit gab, als das, was sie eben getan hatte.   Als er seine Augen wieder öffnete, war das Lächeln verschwunden und einem nachdenklichen, aber entschlossenem Blick gewichen.   „Ich werde dir alles beibringen, was du brauchst, damit du dich selbst schützen kannst.“ Mit diesem Worten drückte sich Harry näher an Draco heran und verschloss ihre Lippen in einem sanften Kuss. Kapitel 35: Das Ende der Sterblichkeit -------------------------------------- Obwohl die Male an Harrys Hals nicht mehr zu sehen waren, brannten sie in ständiger Erinnerung an ihre erste richtige gemeinsame Nacht. Severus und Slughorn waren auch nach Stunden nicht wieder zurückgekehrt. Sicher zum Dank ihres Verteidigungslehrers, der die fette Qualle mit Met abgefüllt hatte, bis dieser sich nicht mehr daran erinnern konnte, dass zwei Schüler in seinen Unterrichtsräumen nachsitzen sollten.   Er war Severus etwas schuldig.   Draco und er hatten die ganze Nacht zusammen verbracht. Sie hatten eine Sitzbank in einer Art Matratze verzaubert. Sie war nicht sehr bequem, aber ihre aneinandergepressten Körper machte diesen Umstand mehr als wett. Der Alarmzauber, den sie im Nachhinein noch auf den Kerkergang gelegt hatten – wie unvorsichtig sie doch gewesen waren – war nicht ein Mal losgegangen. Es war die friedlichste Nacht, die Harry seit langem erlebt hatte.   Als Harry am Morgen wach geworden war, spürte er zwei kräftige Arme, die sich um ihn geschlungen hatten. Eine Hand ruhte auf seinem Herzen. Der Griff wurde fester, als er sich zu bewegen versuchte und Draco murmelte irgendetwas Unverständliches in seinen Nacken.   Er musste aufhören, daran zu denken, wenn er mit seinen Hauskameraden zusammen war. Jedes Mal wollte sich ein Lächeln auf seine Lippen stehlen. Wie sollte er das erklären? Lügen kam nicht in Frage. Er wollte diesem Moment nicht mit einer Lüge beflecken.   ‚Wie idiotisch!‘, schimpfte er mit sich selbst. Er kam sich vor, wie ein dummes, kleines Schulmädchen, das ein beiläufiges Lächeln seines großen Schwarms bekommen hatte und glaubte, dass es ihm irgendetwas bedeuten würde. Harry musste aufhören, bei diesen dämlichen Liebeskomödien, die hin und wieder bei seiner Tante im Fernseher liefen, hinzuschauen.   Im wahren Leben würde es nie so ablaufen; heimliche Liebende, die sich mit geheimen Zeichen Nachrichten schickten.   Wenn ich sage, du bist ein Riesenidiot, dann meine ich eigentlich, dass ich dich liebe. Und wenn ich dir sage, dass du verschwinden sollst, meine ich eigentlich, dass ich dich am liebsten küssen würde.   Oder irgendwelche inszenierten Streitereien, in denen sie sich durch vorher verabredete Codewörter Ort und Uhrzeit ihres nächsten Treffens übermittelten.   Am Ende führte das veränderte Verhalten sowieso dazu, dass es irgendjemand mitbekam und immer macht der eine dann etwas, was den anderen verletzt.   Draco und er gaben sich keine geheimen Zeichen. Alles blieb wie immer. Keine Erwartungen, niemand wurde verletzt, niemand bekam es mit.   Natürlich hatten sie Zeit zu zweit. Die hatten sie auch vorher schon gehabt, wenn auch nur sehr wenig. Nur nutzten sie diese jetzt anders.   Vorher trafen sie sich vor den Trainingsstunden mit den Babytodessern im Raum der Wünsch, um die Stunde zu besprechen. Jetzt saß Draco dabei auf Harrys Schoß und ihre Münder waren mit anderen Sachen beschäftig. Reden wurde zur Belanglosigkeit.   Beim Nachsitzen bei Severus entschuldigte sich ihr Lehrer, damit die beiden einen gemütlichen Abend vor dem Kamin verbringen konnten. „Macht hinterher sauber. Ich will nicht wissen, was ihr getan habt!“   Aber sie vergaßen dabei nicht, welche Aufgaben sie zu erfüllen hatten.   Severus meinte, dass Draco immer besser würde in Okklumentik und dass sie sich keine Sorgen machen müssten, wenn er das nächste Mal zum Dunklen Lord müsste. Das war eine Erleichterung.   Es war aber keine Erleichterung, dass Draco immer frustrierter aussah, wenn er mal wieder für längerer Zeit verschwunden war.   „Kann ich dir irgendwie bei deinem Auftrag helfen?“, fragte Harry bei einem ihrer Treffen. Er fing an, sich Sorgen um Draco zu machen und was passieren würde, wenn er seinen Auftrag nicht erfüllen könnte.   Es war bereits Ausgangssperre. Draco und Harry waren in einem alten, verwaisten Klassenzimmer, Tische und Stühle zur Seite geschoben, eine Decke in der Mitte ausgebreitet. Die Decke war weich und flauschig, aber Harry fuhr lieber mit seinem Fingern durch Dracos seidige Haare, während er ihn fest umschlungen hielt.   „Was meinst du?“, entgegnete Draco. Er sah nicht auf, tat lieber so, als wüsste er nicht, was Harry meinte.   „Du kommst nicht voran, nicht wahr?“ Harry ließ sich beirren.   Zu seinem Missfallen löste sich Draco aus ihrer Umarmung und sah ihn direkt an. „Du solltest dir darüber keine Gedanken machen.“   „Aber vielleicht könnte ich dir helfen, wenn du mir sagst, worum es geht.“ Irritiert beobachtete Harry, wie sich Dracos Blick bei seinen Worten verfinsterte. Aber es dauerte nur eine Sekunde, dann war es wieder vorbei.   „Du hast selbst gesagt, dass jeder von uns sich um seine eigenen Aufträge kümmern soll.“ Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. „Du erinnerst dich? Als du mich den einen Abend an die Wand gepinnt hast?“   Harry wollte lachen, als er sich die Bilder des Abends in Erinnerung rief. Aber seine Sorge um Draco vertrieb alles andere.   „Hey, mach die keine Sorgen.“ Draco stupste ihn spielerisch an, das Lächeln ungetrübt auf seinen Lippen. Harry wollte sie küssen. „Ich werde das schon schaffen.“   Mit einem kleinen Ruck hatte Harry Draco auf die Decke gedrückt. Er hielt seine Handgelenke umklammert, direkt neben seinen Kopf. Er saß auf Dracos Becken, damit er nicht entkommen konnte. Draco nutzte das aus, drückte sein Becken nach oben und zeigte Harry sehr deutlich, wie sehr ihm diese Position gefiel.   Harry beugte sich nach vorn und verschlang Dracos Mund in einem tiefen, leidenschaftlichen Kuss. Es dauerte nicht lange und der Slytherin versuchte, seine Hände zu befreien, aber Harry hielt sie gnadenlos fest. Stattdessen löste er den Kuss und bemerkte mit einem aufkommenden Glücksgefühl, wie sein Geliebter versuchte, ihm zu folgen. Dracos Augen wirkten leicht glasig, als hätte er Fieber und er starrte auf Harrys Lippen, als wäre auf ihnen der einzige Zaubertrank, der sein Leiden heilen könnte.   Harry beugte sich wieder hinab, aber nur für einen flüchtigen Kuss. „Lass uns in die Bibliothek gehen. Wenn ich dir schon nicht helfen darf, kannst du vielleicht dort etwas Hilfreiches finden.“   Mit leichtem Bedauern in dem Blick schaute Draco auf Harrys Mund, nickte aber zustimmend.   Harry löste sich von Draco und stand vorsichtig auf. Er drehte sich um, um seinen Tarnumhang zu suchen, als sich plötzlich zwei starke Arme um ihn schlangen und gegen eine harte Brust zogen. Automatisch bedeckte er sie mit seinen eigenen – eine symbolische Erwiderung der Umarmung, denn Draco hielt ihn so fest, dass er sich nicht umdrehen konnte.   Er konnte spüren, wie Draco seinen Kopf halb auf seiner Schulter ablegte, sein warmer Atem strich sanft über seinen Hals. Ein Schauer überlief ihn, als Draco tief einatmete und anschließend einen nachhallenden Kuss hinter sein Ohr hauchte.   Für einen kurzen Augenblick verharrten sie so, bis diesmal Draco es war, der sich ohne ein weiteres Wort abwendete, um das Klassenzimmer wieder in seinen vorherigen Zustand zu bringen. Harry beobachtete ihn mit einem leichten Lächeln, bevor auch er sich wieder an die Arbeit machte.   Es dauerte nicht lange und sie machten sich versteckt unter dem Tarnumhang auf den Weg.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Die Bibliothek war wie immer auch mitten in der Nacht ohne Probleme zugänglich. Kein Zauber verriet ihre Gegenwart als Harry und Draco zuerst in den öffentlichen Bereich und anschließend in die Verbotene Abteilung vordrangen. Sie wählten einen Bereich aus und Draco begann sich die Bücherreihen entlangzuarbeiten, um ein Exemplar zu finden, dass ihn in sich lesen ließ.   Harry hatte zweimal versucht – das zweite Mal nur um ganz sicher zu gehen – Draco einen Band auszuleihen. Aber sobald er es geöffnet hatte, setzte der Schutzzauber ein. Selbst wenn Draco ein bereits geöffnetes Buch lesen wollte, ohne es zu berühren, fing es schon an zu kreischen. Er kam nicht herum, sich selbst zu beweisen.   Kurz beobachtete Harry wie Draco die Reihen entlangging. Für jemanden, der nicht wusste, was er tat, sah es so aus, als würde er nach einem bestimmten Buch suchen und dabei jeden Titel auf den Buchrücken lesen. Nur dass bei den meisten Büchern keine Titel auf den Einbänden waren.   Als Draco ein Buch gefunden hatte, setzte er sich einfach auf den Boden.   Harry musste grinsen. Er hätte den eingebildeten Slytherin nie so eingeschätzt, dass er sich jemals ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, in Staub und Schmutz setzen würde. Nicht mal Wärme- oder Polsterungszauber hatte er benutzt. Er überraschte ihn immer wieder aufs Neue.   Harry sprach schnell die Zauber und ließ dann zwei brennende Kerzen in der Luft schweben, bevor er sich selbst ein Buch raussuchte. Es dauerte bei ihm nicht so lang wie bei Draco, was ihm einen neidischen Blick einbrachte. Zur Erwiderung zwinkerte Harry ihm zu. Dracos Schultern zuckten unkontrolliert und seine Lippen verzogen sich zu einem stummen Lachen.   Nach einem kurzen Kuss saßen beide Rücken an Rücken in ihre Bücher vertieft.   Eine Weile saßen sie da, alles um sich herum vergessen, in eine Welt voller dunkler Geheimnisse gesogen, nur ihrer eigenen Gegenwart bewusst. Die Kälte der Nacht verdrängt durch die Körperwärme des anderen, die eine genauso beruhigende Wirkungen hatte, wie die langsame gleichmäßige Atmung, die in den letzten Wochen so vertraut geworden war wie die eigene.   Die Schrift wurde immer kleiner und blasser, verschwamm vor seinen Augen, während das Gefühl der Sicherheit seine Lider schwer werden ließ.   „Hier, schau mal!“   Die Stimme war leise, durchbrach aber Harrys Dämmerzustand wie eine scharfe Klinge. Erschrocken zuckte er zusammen und brauchte ein paar Sekunden, um sich wieder zu sammeln. Schnell kontrollierte er die Umgebung, ob sich jemand unbemerkt genähert hatte, während gedöst hatte.   Beruhigt stellte er fest, dass alles unverändert war. Er drehte sich zu Draco um und bereute sofort den Verlust der Wärme.   Draco schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Bist du eingepennt?“   Es half nicht, es zu leugnen. Er war ertappt worden. Ein zustimmendes Schnauben war alles, was er zustande brachte.   „Harry, Harry, Harry. Das ist so unvorsichtig von dir. Was, wenn ich nicht da gewesen wäre? Dich hätte hier jeder finden können. Wie hättest du dich da herausreden wollen?“ Dracos neckender Tonfall verriet seine Belustigung.   „Ach halt die Klappe. Wenn du nicht hier gewesen wärst, wäre ich gar nicht eingeschlafen.“, brummte Harry zurück.   „Also ist es jetzt meine Schuld? Vielleicht sollte ich dich dann alleine lassen.“ Draco machte Anstalten aufzustehen, aber Harry reagierte blitzschnell und zog ihn wieder zurück.   Durch den Schwung lag Draco plötzlich auf dem Rücken. Harry hing über ihn, ihre Lippen nur Millimeter voneinander entfernt. „Vergiss es.“, hauchte Harry sanft, bevor er die Lücke zwischen ihnen schloss.   Draco zog Harrys Kopf weiter zu sich herab und Harry lächelte in den Kuss, überwältigt, wie normal sich das alles anfühlte und wie glücklich es ihn machte.   „Du wolltest mir etwas zeigen?“   Hellgraue Augen blickten ihm vorwurfsvoll entgegen. Harry hatte sich wieder aufgerichtet und er konnte Draco ansehen, dass er damit nicht einverstanden war.   Mit einem Seufzen gab der Slytherin nach. Er tastete mit einer Hand nach dem Buch, das achtlos auf den Boden gefallen war.   „Ja, in dem Buch stand etwas, dass ich nicht verstanden habe. Irgendetwas darüber, wie man getrennte Seelenstücke miteinander verbinden kann.“   Harrys starrte mit weit aufgerissenen Augen und aufgeklappten Mund hinab. Konnte das sein? Nein! Das war nicht möglich. Soweit er wusste, hatte Dumbledore alle Bücher über Horkruxe aus der Verbotenen Abteilung entfernt. Es war nicht vorstellbar, dass dieser pedantische Mann eines übersehen haben könnte. Und Draco hatte etwas über Seelenstücke verbinden, nicht Seelenstücke abspalten gesagt.   Draco, der sich von Harry abgewendet hatte, um das Buch zu suchen, bekam von seinem inneren Tumult nichts mit. Harry hatte sich wieder im Griff, bevor Draco sich mit einem triumphalen Blick wieder zu ihm umdrehte.   „Hier.“   Während er die richtige Stelle raussuchte, schaute Harry nach außen hin geduldig zu. Nichts verriet den Sturm, der in seinem Inneren tobte.   ‚Geht es wirklich um Horkruxe? Und wenn ja, kann ich es irgendwie benutzen?‘ Er wollte ganz sicher nicht selbst einen machen. Voldemorts Anblick genügte, um den Wunsch nach Unsterblichkeit im Keim zu ersticken. Aber vielleicht enthielt das Buch Informationen, die sein Lord noch nicht kannte, so unwahrscheinlich das auch war.   „Hier ist es.“ Draco reichte ihm das Buch und zeigte auf die Stelle, die er meinte.   Harry griff danach, bevor ihm wieder in den Sinn kam, dass hier jedes Buch mit einem Schutzzauber belegt war. Geschockt hielt er den Atem an und wartete auf das unausweichliche Kreischen.   Nichts passierte.   Verwirrt betrachtete er den Einband.   – Finis mortalitatis –   Harry kannte das Buch. Er hatte schon ein paar Mal darin geblättert. Aber die Erzeugung von Inferi, Anleitungen wie man Maledicti – was auch immer das war – aufspüren und fangen konnte, Tränke, die einen Menschen bei lebendigen Leibe verrotten lassen konnten oder auch wie man einen Obscurus züchtet und ihm dann die Macht entzieht, waren nicht die Themen, die ihn interessierten. Dass Draco ausgerechnet in diesem Buch etwas suchte, was ihn bei seinem Auftrag helfen konnte, irritierte ihn genauso sehr, wie es ihn amüsierte. Draco war doch durch und durch Slytherin.   Der Abschnitt war länger. Es ging als ersten um den Zustand der Seelenstücke. Das Wort Horkrux wurde nicht einmal erwähnt, aber nach allem, was Harry über sie wusste, musste es genau darum gehen. Vielleicht hatte der Autor nicht gewusst, wie die Seelengefäße genannt wurden? Oder er hatte die Bezeichnung bewusst weggelassen. Was auch immer der Grund war, ohne ihn wäre das Buch sicher wie alle anderen aus der Verbotenen Abteilung verbannt worden.   „Es geht um ein Ritual kombiniert mit einem Zaubertrank, die die Seelenstücke wieder miteinander verbinden sollen, wenn man zu viele abgespalten hat.“, unterbrach Draco seinen Gedankengang. „Hier steht direkt, ‚wenn man so dumm ist, seine Seele mehrfach zu teilen‘.“   Harry wusste nicht, ob er entsetzt oder belustigt sein sollte. Er hielt ein Buch in den Händen, dass Voldemort, den mächtigsten Zauberer aller Zeiten, ein Genie, als dumm bezeichnete.   „Ich habe das komplette Buch durchgesehen. Es steht absolut nichts darin, wie man seine Seele überhaupt teilt oder wozu das gut sein soll.“   Harry sah Draco eindringlich an. Er haderte kurz mit sich, bevor er den Mund aufmachte. „Du solltest dir darüber keine Gedanken machen.“   „Was meinst du damit?“ Dracos zu Schlitzen verengte Augen ließen einen kalten Schauer über Harrys Rücken laufen. Würde Draco das wollen? Wenn er wüsste, um was es ging?   Harry wollte nicht, dass Draco seine Seele zerriss, egal ob das Seelenstück in ihm blieb oder in ein Gefäß zur Sicherung seiner Unsterblichkeit eingeschlossen wurde. Das Ritual, das hier beschrieben wurde, schien zwar die schlimmsten Nachwirkungen dieses Prozesses zu neutralisieren, aber es würde ihn zweifellos verändern. Sie wie es auch Tom Riddle verändert hatte.   „Bitte vertrau mir einfach.“ Flehentlich schaute er dem Menschen, der ihm am meisten auf der Welt bedeutete in die Augen, betete, dass er ihn verstehen möge, auch wenn er nichts sagte.   Es dauerte eine Ewigkeit, bis Draco endlich nickte. „In Ordnung.“   Harry spürte, wie ihm ein Stein vom Herzen fiel. Er lächelte und gab Draco einen sanften Kuss, bevor er sich wieder dem Buch zuwandte. Voldemort könnte das trotz allem interessieren.   „Soweit ich das verstehe, verbindet man alle Teile wieder zu einem Ganzen, wobei die Stücke aber in ihren Gefäßen bleiben. Wie soll sowas gehen?“, fragte Harry ohne aufzusehen.   „Frag mich nicht. Ich darf anscheinend nicht mal wissen, worum es geht.“ Eine leichte Verbitterung war in Dracos Stimme zu hören. Eine Spur von Verrat, die er zu unterdrücken versuchte.   Sein schlechtes Gewissen legte sich um Harrys Herz und drückte fest zu. Es gab zu viel, was er vor Draco geheim halten musste. „Sei mir nicht böse. Es geht hier um Geheimnisse, die nicht mal ich wissen dürfte. Das ist größer und weitaus gefährlicher als unsere heimliche Beziehung. “ Er atmete tief ein. „Voldemort wird sich aber mit Sicherheit dafür interessieren.“   Ausdruckslos starrte Draco ihn an. Es gab ihm einen tiefen Stich, zu sehen, dass er seine Maske aufgesetzt hatte. Harry wusste nicht, was er dachte und es jagte ihm eine höllische Angst ein.   Draco öffnete gerade seinen Mund als ein Fauchen sie aufschreckte. Erschrocken drehte Harry sich um.   „Mrs. Norris!“ Ihre lampenartigen Augen waren starr auf sie gerichtet.   „Wir müssen hier schnell weg. Filch wird bestimmt gleich…“ Ihm blieben die Worte im Mund stecken, als Filchs Präsenz sich plötzlich in sein Bewusstsein drängte – viel zu schnell, viel zu nah – und sich mit eiligen Schritten zielsicher auf die Bibliothek zu bewegte. „Er ist gleich hier.“   Harry räumte die Bücher weg, während Draco die Zauber aufhob. Er ließ dabei die Katze keinen Moment aus den Augen. Sie hatte einen Buckel gemacht und fauchte unaufhörlich. Ihren Zusammenstoß schien sie ihm noch nicht verziehen zu haben.   Die Eingangstür zur Bibliothek öffnete sich mit einem Knarren. Harry griff nach seinem Tarnumhang und warf ihn über sie beide.   Es war so hell. Warum war es so hell?   „Harry!“, hauchte Draco in sein Ohr, einen leichten Anflug von Panik war darin zu hören.   Harry folgte seinem Blick. Direkt über Mrs. Norris schwebte noch eine der Kerzen. Schritte waren zu hören. Sie kamen immer näher. Es war wie ein Echo der Präsenz, die er immer näherkommen fühlte. Unangenehm kratze es an seinem Bewusstsein, gepaart mit der Angst, was passieren würde, wenn man ihn hier fände. Zusammen mit Draco.   „Accio!“ Blitzschnell kam die Kerze auf sie zu geschossen, verlosch auf ihren Weg und landete sicher in Harrys ausgestreckter Hand. Draco umklammerte seinen Arm und zog ihn gerade rechtzeitig unter den Umhang zurück, als Filch um die Ecke bog.   „Hast du etwas gefunden, meine Süße?“ Eine Art Schniefen war zu hören. Schnüffelte Filch etwa in der Luft wie ein Hund, der nach einer Spur suchte?   Harry versuchte ruhig zu atmen und sich auf seine Sinne zu konzentrieren. Seine Augen hatte sich noch nicht an die plötzliche Dunkelheit gewöhnt. Er war völlig blind. Filch konnte er spüren, aber Mrs. Norris nicht.   „Sie können noch nicht lange weg sein.“ Filch machte einen Schritt von ihnen weg. Dann einen zweiten und blieb dann stehen. „Was ist denn, meine Süße? Ist doch noch jemand hier?“   Er drehte wieder um und ging jetzt direkt auf sie zu. Langsam konnte Harry wieder Umrisse erkennen, aber er wusste nicht, was er machen sollte. Filch einfach verfluchen und abhauen?   Zwei Arme schlangen sich behutsam um seinen Körper und zogen ihn nach hinten. Harry hielt den Atem an, sicher, dass das Knarren einer Diele sie jeden Moment verraten würde.   Aber nichts passierte.   Er wurde ruhig immer weiter nach hinten gezogen, immer weiter weg je näher Filch ihnen kam. Seine Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit. Die Umrisse wurden klaren und er konnte sogar erkennen, wie Filchs Kopf misstrauisch hin und her zuckte. Mrs. Norris starrte dabei die ganze Zeit in ihre Richtung. Hatte sie sich überhaupt bewegt?   Filch schnüffelte noch einmal und gab dann auf. „Lass uns gehen. Wenn wir uns beeilen, erwischen wir sie noch. Der Schulleiter geht viel zu nachsichtig mit den Bälgern um. Wenn ich noch…“ Seine Stimme verhallte, während er sich von ihnen wegbewegte. Mrs. Norris blieb noch einen Moment stehen, ihre unheimlichen Augen auf sie fixiert, bevor sie sich auch umdrehte und ihrem Herrchen hinterherlief.   Harry konnte Dracos warmen Atem spüren, als er genauso erleichtert wie er selbst ausatmete. „Das war knapp.“, sagte er leise.   „Zu knapp. Für einen Augenblick habe ich gedacht, er hätte uns erwischt.“, entgegnete Draco. „Wir können froh sein, dass Mrs. Norris Angst vor dir hat.“   Harry drehte sich um. „Wie kommst du darauf, dass sie Angst vor mir hat?“   „Das war ziemlich offensichtlich.“ Draco zog den Tarnumhang von ihnen und gingen einen Schritt zurück. Harry wollte hinterher, aber die Erinnerung an ihre Unterhaltung, bevor dieses dämliche Vieh aufgetaucht war, hielt ihn zurück. „Sonst wäre sie direkt auf uns zu gekommen und hätte solange gefaucht, bis nicht mal dieser Squib das Offensichtliche hätte ignorieren können.“   „Sie könnte genauso gut vor dir Angst haben.“   „Aber ich habe sie nie verletzt.“   „Das war ein Versehen!“, protestierte Harry.   „Ich glaube nicht, dass sie diesen Unterschied versteht.“   Harry verdrehte die Augen. „Wie auch immer. Wir können froh sein, dass sie nichts weiter gemacht hat.“ Sein Blick glitt nach unten. „Und dass der Boden nicht geknarrt hat.“   „Das liegt daran, dass ich unsere Schuhe zu Geräuschschluckern verzaubert habe.“, sagte Draco selbstgefällig. Ein süffisantes Grinsen zierte sein Gesicht und Harry wollte nichts weiter tun, als ihn zu küssen. Er ballte seine Hände zu Fäusten, um sie davon abzuhalten, nach Draco zu greifen.   Draco musterte ihn von oben nach unten. Sein Gesichtsausdruck nahm einen genauso gequälten Ausdruck an, den Harry auch auf seinem vermutete, aber im Gegensatz zu Harry, griffen Dracos Hände nach ihm und zogen Harry zu sich.   „Harry...“, flüsterte er. Was immer er noch hatte sagen wollen, er verzichtete darauf zugunsten eines langen leidenschaftlichen Kusses.   Harry erwiderte den Kuss sofort, zog Draco noch näher zu sich und weigerte sich, ihn wieder loszulassen, bis sie beide kaum noch Luft bekamen. Erst dann lösten sich ihre Lippen voneinander. Ein Blick in die Augen seines Geliebten – das sonst so helle Grau wirkte beinahe noch dunkler als das Schwarz der Pupille, das es verdrängt hatte – sagte Harry mehr als Worte es je könnten. Alles war gut. Kapitel 36: Grenzen der Wahrnehmung ----------------------------------- Langsam leerte sich sein Kopf, verdrängte alle Erinnerungen an die Vergangenheit und die Gedanken an die Zukunft. Nur noch das Jetzt existierte. Er konnte spüren, wie sich seine Matratze bei jedem seiner Atemzüge leicht bewegte. Seine Decke lag zusammengeknüllt hinter ihm und schmiegte sich an seinen Rücken. Er konnte selbst die unbewegte Luft um ihn herum wahrnehmen, die nur von seinem Mund und seiner Nase regelmäßig in Bewegung gebracht wurde. Ein Kribbeln breitete sich in seinem ganzen Körper aus, erfüllte ihn mit Wärme. Er war nun so tief in Trance gefallen, dass er seine Magie spüren konnte, wie sie durch seinen Körper strömte, mit seinem Blut um die Wette floss und sich in jede Zelle ausbreitete, um dann die Grenzen seines Körpers zu sprengen, aus seiner Haut hervorzubrechen und sich langsam im ganzen Zimmer, durch die Mauern und immer weiter auszubreiten.   Es war ein unglaubliches Gefühl. Die Grenzen seines Körpers waren gesprengt. Alles war eins und er war ein Teil davon. Er konnte spüren – sehen! – wie alles miteinander verbunden war, wie eine Aktion eines Einzelnen, eine andere auslöste, wie Menschen gegenseitig ihren Weg beeinflussten, ihre Bahnen sich kreuzten, andere umlenkten, sich anzogen, abstießen und das große Chaos sich zu einer Ordnung zusammenfand, die ein einzelner Verstand niemals begreifen konnte.   Tief einatmen!   Es war nicht anders als seine Vorbereitung auf die Okklumentik-Stunden.   Konzentration!   Sich in der Magie zu verlieren war viel zu riskant. Der Weg zurück war ein sich immer veränderndes Labyrinth.   Er konzentrierte sich zunächst auf seine Umgebung. Draco konnte die Menschen um sich herum spüren, leichte Bewegungen, während sie den Schlaf abzuschütteln versuchten, einige noch in ihren Betten, andere schon auf dem Weg in die Waschräume. Wer waren sie? Blaise konnte er eindeutig identifizieren. Er hatte das Bett genau neben seinem eigenen. Aber der Rest… Wer lag in welchem Bett? Wer war schon aufgestanden?   In der Großen Halle saßen bereits einige Schüler. Welcher Tisch gehörte noch mal zu welchem Haus? Draußen ging eine einzelne Gestalt am Verbotenen Wald entlang. Das musste dieser inkompetente Wildhüter sein. Und da am Quidditch-Feld, das war Harry, eindeutig. Er hob vom Boden ab.   Harry…   Ein mulmiges Gefühl breitete sich in seinem Magen aus. Er versuchte, es zu unterdrücken, aber es wurde immer stärker und stärker.   Schuld.   Es übermannte ihn. Dracos Atem wurde unregelmäßiger, als er versuchte, dieses Gefühl abzuschütteln und sich stattdessen auf seine Umgebung zu konzentrieren. Aber je stärker er es versuchte, umso schneller brach alles um ihn herum zusammen. Die Grenzen seiner Wahrnehmung kamen auf ihn zugerast, drängten ihn zurück und schnitten ihn von seiner Umwelt ab.   Panik breitete sich in ihm aus. Er fühlte sich gefangen. So sehr er drückte und schob, er konnte sie nicht von sich wegstoßen. Unsichtbare Mauern schlossen sich um ihn und nahmen ihm jede Luft zum Atmen. Sein Kopf dröhnte, unfähig das Rauschen auszublenden, das immer lauter und lauter wurde. Er wollte seine Ohren mit seinen Händen bedecken, aber sie wollten ihm nicht gehorchen. Seine Verzweiflung wurde immer größer. Er war sich sicher, dass er gleich aufhörte, zu existieren.   Mit einem Mal öffnete er seine Augen. Das Rauschen war verschwunden. Er konnte nichts weiter hören, als seine eigene Atmung, die unnatürlich schnell und viel zu knapp Sauerstoff in seine brennenden Lungen pumpte. Mit einer Hand wischte er sich den kalten Schweiß von der Stirn. Diese kurze Bewegung war so anstrengend, dass ihm schwarz vor Augen wurde und kleine Blitze vor seinem Sichtfeld zuckten, die sich direkt in sein Gehirn zu bahnen schienen.   Das war dumm gewesen. Harry hatte ihn davor gewarnt, dass das passieren könnte. ‚Niemals die Konzentration verlieren!‘   Als Harry ihm erzählt hatte, dass er die Menschen in seiner Umgebung wahrnehmen konnte, hatte Draco nicht glauben wollen, dass diese Fähigkeit zu den Dunklen Künsten gehörte. Meditation und Konzentration um sie zu erlernen? Lächerlich. Aber das Risiko, sich entweder in der Magie zu verlieren und nicht mehr in seinen Körper zurückzufinden oder von seinen eigenen Grenzen erdrückt zu werden – beides nur wage Umschreibungen, was tatsächlich mit einem passierte – hatte ihn eines Besseren belehrt.   Am Anfang war es einfach gewesen. Er hatte während der Meditation seine Magie sich nicht allzu weit ausbreiten lassen, Harrys Warnungen – auch wenn er sie als übertrieben empfand – immer im Hinterkopf. Aber man kam nicht weit, wenn man nicht voranschritt. Drei, vier Meter. Das war alles. Das war der Umkreis, in der er die Präsenzen anderer Menschen spüren konnte. Ein Partytrick, aber keine echte Hilfe im wirklichen Leben, wenn es darum ging, Feinde rechtzeitig zu bemerken. Und identifizieren konnte er die meistens dieser Präsenzen auch noch nicht.   Also weiter puschen, die Magie immer weiter aus seinem Körper drängen, bis auch die Grenzen seiner Wahrnehmung ohne die Meditation weiter waren. Aber je weiter man ging, umso größer wurden die Risiken. Und wenn man sich dabei ablenken ließ, war ein Scheitern unausweichlich.   Das war heute zu knapp gewesen. Normalerweise lenkte es ihn nicht ab, wenn er Harry während seiner Trance wahrnahm. Aber das schlechte Gewissen hatte sich in ihm verbissen und auch wenn wieder alles gut zwischen ihnen war – zumindest hoffte er das – ließ es ihn nicht los.   Sie hätten sich beinahe seinetwegen gestritten. Draco könnte sich selbst dafür verfluchen. Er wusste, dass es Dinge gab, die Harry ihm nicht erzählen konnte, genauso wie es Dinge gab, die Draco Harry nicht erzählte. Das wusste er. Das wussten sie beide. Also warum hatte er sich so gekränkt gefühlt, als Harry ihm nichts zu dem Ritual sagen wollte, das er gefunden hatte? Draco hatte sich aufgeführt, wie ein verwöhntes Kleinkind, das seinen Willen nicht bekam.   Es hatte so weh getan, als Harry nicht auf ihn zugekommen war. Er hatte so hart darum gekämpft, dass Harry ihnen eine Chance gab und er hatte nichts Besseres zu tun, als ihn von sich wegzustoßen. Wie dumm konnte man eigentlich sein?   Draco ließ sich nach hinten fallen. Seine zusammengeknüllte Decke drückte unangenehm in seinen Rücken, aber er fand nicht die Kraft, sie hervorzuziehen. Er starrte an die Decke seines Himmelbetts, sein Unbehagen und schlechtes Gewissen wuchsen mit jeder Minute. Sie hätten noch mal drüber reden müssen. Er hätte sich entschuldigen müssen. Stattdessen waren sie in jener Nacht auseinander gegangen, ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren. Harry hatte ihn mit so viel Vorsicht angesehen – einen Blick, der nicht in diese grünen Augen passte und den er ganz schnell zu hassen gelernt hatte – und Draco hatte so getan als wäre nichts gewesen, hatte sich selbst eingeredet, dass alles in Ordnung ist.   Das hätte es auch sein sollen. Draco war nicht unfehlbar – so groß war seine Selbstüberschätzung nicht – aber wenn er sich in der Vergangenheit seinen Mitschülern gegenüber falsch verhalten hatte, hatte er es einfach übergangen und so getan, als wäre alles in Ordnung, als wäre er im Recht. Und alle haben es akzeptiert. Eine der großen Vorteile, wenn man ein Malfoy war. Er kannte kein schlechtes Gewissen und musste sich noch nie für irgendetwas entschuldigen, zumindest nicht bei seinen Mitschülern. Harry brachte sein ganzes Leben durcheinander. Dieses mulmige Gefühl in seinem Magen war unerträglich. Wie viel leichter wäre es, wenn er dieses Gefühl und damit Harry abschütteln könnte…   Allein der Gedanke war so schmerzhaft. Er konnte nicht auf Harry verzichten. Das Loch, das er in ihm hinterlassen würde, könnte nie gefüllt werden.   Also würde er sich ändern müssen. Sich zu entschuldigen war ein kleiner Preis zu der Alternative, Harry zu verlieren.   Während Draco sich von dem Schock erholte, bereiteten sich seine Mitschüler auf ihre erste Unterrichtsstunde vor. Draco nahm die Bewegungen nur am Rande war. Am Anfang war es ungewohnt gewesen, die fremden Präsenzen zu spüren. Er hatte sich immer beobachtet gefühlt, kam nicht zur Ruhe und hat sich mehr als einmal dabei erwischt, wie er immer tiefer in die Kerker vorgedrungen war, um ein bisschen Privatsphäre zu bekommen. Noch ein Zeichen, dass er sich sehr tief in die Schwarze Magie vorgewagt hatte. Ohne einen starken Geist konnte man wahnsinnig werden.   In der Zwischenzeit hatte er sich daran gewöhnt. Es gab ihm ein Gefühl der Überlegenheit. Niemand konnte sich an ihn heranschleichen, niemand ihn überraschen. Er hoffte, dass er schnell noch lernte, zu wem welche Aura gehörte. Bisher konnte er nur Blaise und Harry identifizieren. Auch Vincent und Gregory konnte er unter den vielen anderen ausmachen, aber beide noch nicht auseinanderhalten. Harry hatte ihn ausgelacht, als er ihm das erzählt hatte.   Für Harry war es einfacher. Vielleicht lag es daran, dass er sich schon immer mehr mit anderen Menschen auseinandergesetzt hatte, während Draco meistens mit sich selbst beschäftigt war. Aber er würde es lernen.   Plötzlich veränderte sich etwas im Raum. Seine Mitschüler, die bis eben noch geschäftig auf und ab gegangen waren, blieben wie auf Kommando gleichzeitig stehen. Eine Silhouette, die eindeutig zu Blaise gehörte, zeichnete sich hinter seinem geschlossenen Vorhang ab. Er zehrte an dem Stoff, der aber keinen Millimeter nachgab.   Seufzend nahm Draco den Stillezauber von seinem Himmelbett, der in beide Richtungen funktionierte. Er hatte sich nicht von irgendwelchen Geräuschen ablenken lassen wollen.   „Draco! Kannst du mich hören? Wenn du nicht gleich rauskommst, dann…“   Bevor Blaise seine Warnung oder Drohung aussprechen konnte, hatte Draco sich aus seinem Bett geschwungen und den Vorhang zur Seite gezogen. Blaise war so überrascht, dass er ein paar Schritte nach hinten taumelte und dann auf seinen Hintern fiel.   Die anderen Jungen lachten, verstummten aber sofort, als Draco sie mit einem kalten Blick ansah. Sie beeilten sich, den Raum zu verlassen. Nur Theo blieb unbeeindruckt auf seinem Bett sitzen, wie so oft mit einem Buch in der Hand, von dem er nicht ein einziges Mal aufschaute.   Als die anderen verschwunden waren, hielt Draco seine Hand hin, um seinem Freund aufzuhelfen.   „Bei Salazar was war denn los? Ich habe dich mehrfach gerufen.“ Blaise rieb sich sein Hinterteil, sein Gesicht leicht schmerzhaft verzogen.   „Ich wollte meine Ruhe.“ Damit war das Thema für ihn beendet. Er könnte ohnehin nicht erklären, was er genau getan hatte und er hatte keine Lust, sich irgendwelche Ausreden einfallen zu lassen. Außerdem war er niemandem Rechenschaft schuldig.   Draco band sich seinen Umhang um, schnappte sich seine Tasche und ging zur Tür. Blaise und Theodore folgten ihm. Blaise stellte ihm keine weiteren Fragen, obwohl Draco wusste, dass er es gerne würde. Sie waren so etwas wie Freunde, aber Blaise wusste, wo sein Platz war und würde niemals Dracos Autorität in irgendeiner Weise in Frage stellen – durch und durch Slytherin. Außerdem besaß er so viel Feinsinn, zu wissen, wann er Draco auf freundschaftlicher Ebene begegnen konnte. Jetzt war gerade nicht der Fall.   Gemeinsam mit den anderen Slytherins aus seinem Jahrgang gingen sie zum Frühstück. Wegen Draco waren sie etwas spät dran und die Tische waren bereits voll besetzt. Sobald er durch die Tür zur Großen Halle trat, traf ihn die Menge der Auren wie ein Schlag. Kurz strauchelte er, aber es war nur für eine Millisekunde, bevor er sich wieder im Griff hatte und die Präsenzen als Teil seiner Wahrnehmung akzeptierte. Tief ein- und wieder ausatmen. Niemand hatte sein Straucheln bemerkt.   Sie gingen geradewegs auf ihren Tisch zu. Auch ohne sich umzusehen, konnte er Harry an seinem Tisch ausmachen. Draco freute sich innerlich. Auch wenn ihn die Masse an Menschen kurz erschlagen hatte, er hatte wieder einen halben Meter oder vielleicht sogar einen ganzen Meter mehr geschafft, in dem er die anderen spüren konnte. Dann hatte sich die kleine Panikattacke wenigstens gelohnt.   Das kurze Gefühl der Freude wurde unmittelbar darauf wieder von dem schlechten Gewissen verdrängt. Draco hatte das Bedürfnis, zu Harry zu schauen, in der Hoffnung ein sanftes Lächelt auf seinen Lippen zu sehen, was seinen inneren Tumult beruhigen konnte.   Er wusste, dass das niemals geschehen würde. Wenn ihre Blicke sich über die Massen der Schüler hinweg treffen würden, wäre nichts weiter als Abscheu in ihnen beiden zu lesen. Vielleicht sogar Hass. Es hatte ihm bisher nichts ausgemacht. Draco war sich Harry so sicher gewesen, dass er mit Leichtigkeit die Fassade ignorieren konnte. Jetzt drängte seine eigene Unsicherheit alles in den Hintergrund. Er konnte nur hoffen, dass niemals der Tag kommen würde, an dem ihm Harry so ansehen und es auch so meinen würde.   An seinen Platz angekommen, machte Draco sich bereit, die missbilligenden Blicke zu erwidern und sie nicht an sich herankommen zu lassen.   Als er den Kopf hob, erwartete ihn allerdings ein völlig anderer Blick. Harry schaute ihn abschätzend, beinahe sogar vorsichtig an. Als würde er versuchen, hinter ein großes Geheimnis zu kommen. Seine Stirn war in Falten gelegt und verdunkelte das leuchtende Grün seiner Augen. Den Kopf zur Seite neigend, fing seiner Brille den Schein der Kerzen ein und verbarg seine Augen völlig.   Wie bedauerlich. Draco störte die Brille nicht. Wirklich nicht. Aber hin und wieder ertappte er sich dabei, wie er sie verfluchte, wenn sie mal wieder erfolgreich den Blick in Harrys wunderschöne Augen verhinderte. Wie gerade jetzt.   Man könnte es beheben. Es gab einen Trank, der die Augen korrigieren konnte. Draco hatte schon früher davon gehört. Heimliche Tuscheleien in der Nokturngasse, bei Borgin & Burke's, wenn wieder eine alte Hexe oder zwielichtiger Zauberer mit dicken Brillengläsern und die Tasche voller Galleonen die Beschriftungen der zahlreichen verbotenen Gegenstände zu lesen versuchte und mit ihren runzligen, krummen Nasen immer näher kamen, bis sie von dem jahrzehntealten Staub niesen mussten.   Schwarze Magie, was auch sonst. Warum sonst sollten mächtige Zauberer wie Dumbledore und James Potter eine Brille tragen? Oder Rita Kimmkorn, die sich ohne Probleme einen speziell ausgebildeten Heiler leisten konnte? Nicht zu vergessen, die vielen Kobolde in Gringotts, die eine Lesebrille benötigten.   Dass Dunkle Magie benötigt wurde, war der einzige Grund, warum sie alle dieses Handicap in Kauf nahmen, mit Ausnahme vielleicht Kimmkorn. Draco traute ihr durchaus zu, dass ihre auffällige Brille nur ein Accessoire war.   Der Trank hatte in dem gleichen Buch gestanden wie der für das Ritual zur Seelenverschmelzung – oder was auch immer das war. Er hatte überlegt, Harry davon zu erzählen. Aber allein die Zutaten und die Durchführung hatten ihn innehalten lassen.   Sicher, Harry praktizierte die Dunklen Künste, das allein war kein Hindernis. Aber wie weit war er bereits zu gehen? Oder besser gesagt, wie weit wäre er bereit zu gehen, wenn es um ihn selbst ging? Die Augen eines noch lebenden Menschen zu entfernen und anschließend herunterzuschlucken mit anderen Bestandteilen, die den Trank noch widerlicher machen würden als den Vielsafttrank. Draco war sich nicht sicher, ob Harry dem zustimmen würde. Dabei würde es so Vieles so viel einfacher machen.   Wie oft dachte man wirklich daran, einen Klebezauber auf die Brille zu legen, wenn man spontan angegriffen wurde? Was hinderte den Gegner daran, die Brillengläser zu verzaubern, dass man gar nichts mehr sehen konnte?   Es hab unzählige Gründen, warum es besser war. Das müsste sogar Harry einsehen. Sie mussten nur überlegen, welche Hexe oder Zauberer seine Augen hergeben durfte. Wenn es nach ihm ginge, fiel die Entscheidung leicht. Diese kleine Weasley-Schlampe hatte es mehr als verdient. Selbst nach der Abfuhr, die sie bekommen hatte, klebten ihre Augen immer noch an seinem Harry. Wenn sie so gerne ein Teil von ihm sein wollte, dann könnte er das gewiss einrichten.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Ein paar Tage später stand Draco gedankenverloren unter der Dusche in der Quidditch-Umkleide. Er hatte bisher keine Gelegenheit gehabt, mit Harry zu sprechen. Vor dem Training mit den anderen Slytherins war er noch bei Severus gewesen. Sie hatten über seine Fortschritte in Okklumentik gesprochen und sind dann abgeschweift. Theorien über Gedankenzauber und den menschlichen Geist im Allgemeinen hatten ihn die Zeit vergessen lassen und er war viel zu spät angekommen.   Harry hatte ihm nur zugenickt. Nichts in seiner Mimik verriet, was er dachte. Es war zum Verzweifeln. Selbst hinterher hatten sie nicht reden können, weil Dobby ganz aufgeregt vor ihnen aufgetaucht war und erzählte, dass Harrys Freunde ihn suchen würden.   Nicht mal einen kurzen Kuss hatte er bekommen können, weil noch zu viele seiner Kameraden da gewesen waren. Der Raum der Wünsche hatte seinem Namen ganz sicher keine Ehre gemacht.   Er vermisste Harry. Und war es nicht irrwitzig, das zuzugeben?   Draco stützte sich an den Fliesen ab. Den Kopf nach unten hängend, ließ er das heiße Wasser über seinen Körper strömen. Es tat gut.   Sie hatten heute ihr letztes Quidditch-Spiel gehabt für dieses Schuljahr. Es war nur gegen Hufflepuff gewesen und relativ schnell vorbei, aber trotzdem taten seine Muskeln weh.   Harry hatte in den Rängen gesessen, hatte Hufflepuff angefeuert, wie alle anderen Häuser. Draco hatte sich besonders angestrengt. Es war das erste Mal gewesen, dass er nicht gespielt hatte, um zu beweisen, dass er besser war als Sankt Potter, sondern um Harry zu beeindrucken.   Der Schnatz hatte ihm einen Gefallen getan und sich bereits nach zehn Minuten gezeigt. Nach weiteren zwei Minuten war er in Dracos Händen. Slytherin hatte gejubelt, die anderen Häuser waren verstummt. Er hatte das Bedürfnis gehabt, zu Harry zu fliegen und ihm den Schnatz zu schenken.   Draco verzog sein Gesicht zu einem schiefen Grinsen bei der Erinnerung. Dass er auf solche kitschigen Ideen kam, war extrem lächerlich. Echte romantische Gefühle veränderten einen anscheinend wirklich. Er konnte sich nicht dazu bringen, sich dafür zu verabscheuen. Er mochte die Veränderungen, die Harry in ihm auslöste.   Nach dem Spiel hatten sich die anderen Slytherins beeilt, wieder in ihren Gemeinschaftsraum zu kommen, um zu feiern. Draco blieb allein zurück. Ihm war nicht nach feiern zu mute, aber das war nicht der Grund. Insgeheim hoffte er, dass Harry zu ihm kommen würde.   Er war so langsam gewesen, dass in der Zwischenzeit alle anderen Spieler und auch die trödelnden Zuschauer weg waren. Die Hauselfen mussten den Platz und die Ränge bereits gereinigt haben. Aber es dauerte noch mal eine gefühlte Ewigkeit, bis er Harrys Aura wahrnahm.   Harry hatte kein Geräusch gemacht, als er in den Duschraum gekommen war. Er blieb in der Tür, gerade weit genug von Draco entfernt, dass er ihn nicht wahrnehmen konnte. Zumindest nach dem, was Harry glauben musste.   Draco grinste in sich hinein, bevor er eine teilnahmslose Maske aufsetzte und sich umdrehte. Er konnte niemanden sehen. Harry wollte ihn heimlich beobachten? Das konnte er gerne haben.   Langsam verteilte er die Seife über seinen Körper. Es war schwer, nicht genau auf die Stelle zu schauen, wo Harry stand. Auch wenn er sich wünschte, dass er diese Aufgabe übernehmen würde, dass Harrys Hände über seinen Körper streiften, seine Brustwarzen kniffen, immer tiefer und tiefer glitten und dann seinen steinharten Schwanz massierten.   Er konnte das Stöhnen nicht zurückhalten. Tief kam es aus seiner Kehle und drang durch seine Zähne, die fest auf seine Unterlippe bissen. „Harry…“ Nie hatte Draco gedacht, dass es ihn so anmachen würde, wenn ihn jemand beobachtete. Zugegeben, wenn es nicht Harry wäre, würde er es auch nicht zulassen.   Aber es war nur fair, dass Harry ihn beobachten durfte. Nicht wahr? Immerhin hatte Draco ihn auch beobachtet. Ebenfalls in den Quidditch-Duschräumen.   Nur der Gedanke daran reichte aus, um ihn noch wilder werden zu lassen. Seine Hand bewegte sich immer schneller an seinem Schwanz entlang. Er wurde immer verzweifelter, je mehr Bilder auf ihn einprasselten. Harry, wie er dastand und sich selbst gestreichelt hatte. Harry, wie er einen Finger in seinen Hintern geschoben und sich selbst gefickt hatte. Wie bei seinem Orgasmus zusammengerutscht war. Hatte Harry damals an ihn gedacht? Wie hätte er reagiert, wenn er gewusst hätte, dass Draco sich hinter dem Wäschekorb versteckt hatte?   …   Draco schlug die Augen auf und starrte zur Decke. Das Wasser tropfte in seine Augen, aber er bekam es kaum mit. Seine Erektion pochte schmerzhaft in seiner Hand, protestierte, dass er so kurz vor seinem Höhepunkt aufgehört hatte. Aber das war jetzt egal. Schwer atmend ließ er den Abend, an dem er Harry erwischt hatte, noch einmal vor seinem geistigen Auge abspielen. Er war damals viel näher an Harry dran gewesen, als Harry es jetzt bei ihm war. Harrys Bewusstsein musste schon damals eine viel größere Reichweite gehabt haben als Draco jetzt. Das hieß, dass Harry damals genau gewusst hatte, dass Draco da gewesen war. Und er hatte bis heute nichts gesagt.   Er wusste nicht, ob ihn das verärgern sollte oder ob es ihn nur noch mehr erregte. Verdammt! Harry hatte so eine brillante Show nur für ihn abgezogen. Scheiß auf den Ärger. Das war verflucht heiß!   „Du weißt, dass ich da bin.“   Draco ließ sich nur allzu gern von dieser tiefen, verführerischen Stimme aus seinen Gedanken reißen. Harry hatte seinen Tarnumhang abgenommen und ließ seinen Blick verlangend über Dracos Körper gleiten.   Draco grinste hinterhältig. Sein „Ja.“ war aber kaum mehr als ein Hauch und verriet seine eigene Erregung. „Genauso wie du damals.“   Ein leichtes Lächeln umspielte Harrys Mundwinkel. Dieser Bastard wusste genau, wovon er sprach. Draco wollte nichts, als ihn zu küssen. Er streckte seinen linken Arm aus, das Dunkle Mal ein ständiger Begleiter, den er kaum noch wahrnahm. Aber dafür Harry.   Harry kam geradewegs auf ihn zu, ungeachtet dass seine Kleider nass wurden, verschränkte ihre Finger miteinander, zog Dracos Hand nach oben, als würde er einen Kuss auf die Handinnenfläche drücken wollen, aber er zog weiter, bis seine Lippen die schwarze Schlange berühren konnten. Seine grünen Augen hielten dabei Dracos die ganze Zeit gefangen.   Der Blick setzte Dracos kompletten Körper in Flammen. So viele Versprechungen lagen in ihm, so viel Leidenschaft. Draco knurrte, befreite sich aus dem Griff und zog Harry zu sich. Ihr Münder prallten aufeinander, verschlangen sich gegenseitig. Es war einfach nicht genug. Er wollte Harry noch näher spüren. Seine Sachen störten und Draco versuchte, sie von Harrys Schultern zu schieben.   „Incarcerus.“ Der Zauberspruch wurde gegen seinen Mund geflüstert, als sie sich kurz trennten, um Luft zu holen.   Erschrocken riss Draco seine Augen auf, als seidenes Band sich samtweich um seine Gelenke legte und zurück ihn an die Fliesen zog. Harry stand vor ihm, seine Sachen klebten völlig durchnässt an seinem Körper. Der gierige Blick in seinen Augen ließ keinen Zweifel daran, wie sehr er Draco begehrte. Es war nicht schwer, das Raubtier – den Löwen – in ihm zu sehen, wie er langsam auf ihn zuschritt.   „Was hast du vor?“, hauchte Draco. Harrys Anblick und der Hunger in seinen Augen erregten ihn bis an die Grenzen seines Verstandes. Das hatte er sich gewünscht. Eine seiner heimlichen Fantasien, die Harry selbst bei ihm ausgelöst hatte. Er war dem großen hungrigen Löwen völlig ausgeliefert und er genoss das.   Er bekam keine Antwort. Stattdessen legt Harry einen Finger auf Dracos Lippen, die er sofort versuchte, in seinen Mund zu saugen. Aber Harry wich geschickt aus, drückte Dracos Unterlippe nach unten. Ein leichter Schmerz durchzuckte die Stelle, an der sich nur Momente zuvor gebissen hatte. Harry leckte genau über diese Stelle, bis er Dracos Wimmern nachgab und ihn endlich küsste.   Der Kuss war viel sanfter, aber auch tiefer als der davor. Draco wollte in ihm ertrinken.   Viel zu schnell löste sich Harry wieder von ihm. Es war zum Verrücktwerden. Draco zerrte an seinen Fesseln, erst vorsichtig, dann stärker. Harry war so nah und doch konnte er ihn nicht erreichen.   „Harry!“, wimmerte er. Er hasste es, wie erbärmlich er klang. Aber er würde alles tun, alles sagen, nur um Harry wieder spüren zu können. „Harry, bitte!“   Aber sein Flehen wurde ignoriert. Resigniert ließ er seinen Kopf nach hinten fallen, der dumpfe Aufprall auf den Fliesen wurde von dem strömenden Wasser übertönt. Fingerspitzen strichen zart über seinen Hals, glitten über seinen Adamsapfel, der aufhüpfte, als er schlucken musste. Die Finger wanderten weiter nach unten über die eingeseifte Brust.   Kleine Blitze folgten jeder Berührung, ließen seine Haut kribbeln wie aufgeladene Luft nach einem Gewitter. War das ein Zauber? Oder war es einfach die Art, wie er auf Harrys Berührung reagierte? Egal! Er wollte mehr davon. Mehr von allem.   Dracos Atem wurde schneller je weiter Harry nach unten kam. Seine Bauchmuskeln zuckten bei jeder Berührung. Je tiefer Harry ging, desto langsamer wurde er. ‚Bei Slytherins Unterhose, das ist pure Folter. Nicht mehr weit. Nicht mehr weit. Gleich da. Gleich da.‘ Er versuchte, sich nach oben zu strecken, näher zu Harrys Hand, aber seine Anstrengungen hatten den gegenteiligen Effekt.   „Sieht aus, als bekämen wir Besuch!“   „Was?“ Draco verstand nicht, was Harry ihm sagen wollte. Zu benebelt war sein Verstand, überlagert von der Lust, die Harry in ihm auslöste. Er wollte einfach nur, dass er weiter machte.   „Weasley und Granger sind gleich hier. Sie steuern genau auf die Slytherin-Umkleide zu.“ Tiefes Bedauern stand Harry ins Gesicht geschrieben.   Langsam sickerte die Nachricht in Dracos Kopf, bis die Realität wie ein Hammer auf ihn niedersauste. „Verdammt! Ich muss mich schnell anziehen. Wo ist mein Handtuch?“ Was wollten diese beiden Idioten hier? Er umklammerte seinen linken Arm, als könne er so das Mal verstecken, während er sich panisch nach seinem Handtuch umschaute.   „Dafür ist keine Zeit.“ Harry schob Dracos Arm beiseite und richtete seinen Zauberstab auf das Dunkle Mal.   Draco wollte seinen Arm wegziehen. „Es gibt keinen Zauber, der das Mal verdecken kann.“   „Doch es gibt einen.“ Der gequälte Ausdruck in Harrys Augen sprach Bände.   „Schwarze Magie.“   Harry nickte. „Er wird nicht lange halten und es wird sehr, sehr schmerzhaft.“   „Tu es!“ Es spielte keine Rolle. Wenn Harry sagte, dass es keine andere Möglichkeit gab, dann war es so. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn sie das Zeichen des Dunklen Lords auf seinem Unterarm sehen würden.   Die Spitze des Zauberstabs begann zu glühen und Draco hatte das Gefühl, als würde Feuer durch seine Adern fließen. Der Schmerz war beinahe unerträglich. Aber nur beinahe. Er konnte es aushalten. Aber nicht für lange. Er musste die beiden lästigen Nogschwänze so schnell wie möglich los werden.   „Alles in Ordnung?“ Die Besorgnis in Harrys Stimme ließ Draco trotz der Schmerzen lächeln.   Draco gab ihm einen kurzen Kuss und scheuchte ihn dann weg. „Ja. Verschwinde unter deinen Tarnumhang.“ Er würde das aushalten.   Harry nickte kurz und war dann verschwunden.   Es dauerte nur wenige Sekunden und schon spürte Draco zwei Präsenzen die Slytherin-Umkleiden betreten.   Draco hatte sich von der Tür weggedreht. Das warme Wasser lief an ihm herab und nahm die letzten Reste der Seife mit. Der Schock und der Schmerz hatten seine Erektion nicht völlig verschwinden lassen. Er war sich Harrys Nähe und seinen Blicken zu bewusst. Aber das sollte kein Problem werden. Wenn sie ihm beim Onanieren überraschten, waren sie selbst daran schuld.   „Oh!“   Vom überraschten Aufschrei selbst überrascht, drehte Draco sich um. Er bemühte sich gar nicht, irgendetwas zu verdecken. Es gab nichts, wofür er sich schämen musste.   Granger hatte die Hand vor ihrem Mund geschlagen, die Augen weit aufgerissen und starrte auf seinen Schwanz. Eine leichte Röte breitete sich unter ihren Fingern aus. Weasley dagegen hatte sich in die andere Richtung weggedreht und bemerkte nicht, wie seine Freundin ihn schamlos anstarrte.   „Kann ich euch irgendwie helfen?“, kam es eiskalt von ihm. Die Situation amüsierte ihn, aber durch die Schmerzen in seinem Arm konnte er das nicht richtig genießen.   Granger schaute zu ihm auf und drehte sich dann erschrocken weg. Ob es war, weil Draco sie beim Starren erwischt hatte oder weil sie sich beim Starren erwischt hatte, konnte er nicht sagen. Die Röte breitete sich jetzt bis zu ihren Ohrenspitzen aus und hatten fast die gleiche Farbe wie die Haare ihres Freundes.   „Wir sind auf der Suche nach Harry.“ Weasley starrte auf den Boden neben sich, als wäre es das Interessanteste, was er je gesehen hatte.   „Und wie kommt ihr darauf, dass er hier ist? In der Slytherin-Umkleide?“   „Ähm… Wir dachten…“ Granger war sonst so kontrolliert, machte den Eindruck als würde sie über allen stehen. Sie so durcheinander zu sehen, gab ihm ein gewisses Gefühl der Genugtuung.   „Könntest du dir wenigstens ein Handtuch umbinden?“ Das Wiesel wurde bissig.   „Warum sollte ich? Ihr seid hier reingeplatzt und ich bin noch nicht fertig, mit duschen, wie man unschwer erkennen kann.“ Draco zwang sich ein schiefes Lächeln auf die Lippen, legte eine Hand auf seine Hüfte, die andere ruhte auf seinem Oberschenkel.   Manipulation war ein schönes Spiel. Wie auf Kommando schauten beide zu ihm und genau auf seinen nun völlig von Seife befreiten Schwanz.   „Du bist widerlich.“, sagte Weasley. Er zwang sich, Draco in die Augen zu schauen, aber Draco sah, wie sie immer wieder zuckten.   „Deine Freundin scheint das nicht so zu sehen.“ Süffisant grinsend schaute er zu Granger. „Ist anscheinend das erste Mal, dass sie einen richtigen Mann zu sehen bekommt.“   Granger wurde noch röter. Ein merkwürdiges Gurgeln entschlüpfte ihren Mund, während sie sich völlig umdrehte. Weasley schaute schockiert auf seine Freundin hinab. Beide bekamen nicht mit, wie Dracos Atem immer abgehackter wurde. Seine Fingernägel bohrten sich in seine Hüfte. Schmerz gegen Schmerz. Aber es reichte nicht. Er wollte seine Nägel lieber in das scheinbar makellose Fleisch seines linken Unterarms rammen und die Haut abkratzen. Es wurde immer schlimmer.   „Ihr habt mir immer noch nicht erklärt, warum ihr dachtet, dass Potter hier ist.“ Glücklicherweise waren die beiden zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um die Schwankungen in seiner Stimme zu hören.   Weasley warf ihm einen wütenden Blick zu. „Nachdem ihr beide nicht beim Essen erschienen seid, haben wir nach Harry gesucht, für den Fall, dass ihr euch schon wieder an die Kehle geht.“   „Tja, wie du sehen kannst, ist er nicht hier.“ Das Denken fiel ihm immer schwerer. Er musste diese lästigen Idioten loswerden. „Und ich würde es bevorzugen, wenn ihr auch wieder verschwinden würdet. Oder wollt ihr mir zuschauen, wie ich fertig dusche? Vielleicht will deine kleine Freundin mir ja behilflich sein?“   „Nein, danke! Wir gehen!“ Wütend packte Weasley Granger am Ellenbogen und zog sie aus der Umkleide raus.   „Hey! Was soll das denn?“ Anscheinend hatte sie sich wieder gefangen. „Ich kann selbst laufen.“   Weasley sagte kein Wort.   „Ron! Lass mich verdammt noch mal los!“ Ihre Stimme wurde immer leiser.   Draco stellte sich vor, wie vor lauter Wut Qualm aus seinen Ohren rauskam. Er musste lachen. Dann brach er zusammen und schrie.   „Draco!“   Die Stimme klang panisch, aber so weit weg. So weit weg. Jemand packte ihn.   „Draco!“   Er sah alles nur noch durch einen Schleier, aber irgendetwas stimmte nicht. Wieso war die Decke vor ihm? Wo war die Tür?   „… alles gut. Es ist alles gut.“   Ein Gesicht tauchte vor ihm auf. Es war unscharf, aber er konnte die grünen Augen klar erkennen. Er wollte seine Hand danach ausstrecken, aber sie bewegte sich keinen Millimeter.   „Es ist gleich vorbei. Bleib bei ...“   Wo sonst sollte er hin?   „… du mich verstehen?“   ‚Ja.‘ Aber er konnte seinen Mund nicht dazu bringen, sich zu öffnen.   „… geschafft. Das Mal ist wieder…“ „… müsste jeden Moment auf…“   …hören. Genau das tat es. Der Schmerz ebbte nach und nach ab. Draco konnte wieder klar denken und seine Sicht wurde wieder normal. Erleichtert schaute er auf und brachte sogar ein kleines Lächeln zustande.   „Für einen Moment hatte ich wirklich Angst. Der Schmerz wird immer schlimmer und ist am stärksten, kurz bevor der Zauber nachlässt. Tut mir leid, das hatte ich vergessen. Ich habe ihn nur einmal benutzt. Jetzt weiß ich auch wieder warum.“ Harry sah schuldbewusst zu Draco hinab.   „Ich möchte das auch nicht unbedingt wiederholen. Aber es ist alles wieder in Ordnung. Danke.“ Er schaffte es endlich wieder seine Hand zu heben und vergrub sie gleich in Harrys Haare. Der Schmerz war völlig verschwunden.   „Wofür? Dass ich dir Schmerzen zugefügt habe, die fast so schlimm sind wie der Cruciatus-Fluch?“ Es klang nicht so schnippisch, wie Harry es vielleicht beabsichtigt hatte. Mit geschlossenen Augen und einem friedlichen Gesichtsausdruck genoss er, wie Dracos Finger durch seine Haare glitten.   „Nein, aber dafür, dass du für mich schwarzmagische Zauber verwendest und mich auffängst und dich um mich kümmerst.“   „Ohne mich wärst du gar nicht erst in so eine Situation geraten.“ Der friedliche Ausdruck war mit einem Mal verschwunden.   „Hey, schau mich an!“ Draco sprach so sanft, wie es ihm möglich war.   Eher widerwillig öffnete Harry seine Augen. Sein Blick bohrte sich in Dracos.   „Ich würde es nicht anders wollen.“, sagte er bestimmt. Er wollte, dass Harry endlich verstand, wie ernst ihm die ganze Sache war. „Also komm bloß nicht auf dumme Ideen!“   Harry wirkte sofort viel entspannter und schelmischer Ausdruck stahl sich in sein Gesicht. „Oh! Ich habe aber sehr oft, sehr dumme Ideen. Ich kann einfach nichts dagegen machen.“   Skeptisch schaute Draco zu ihm hoch.   „Mach die Augen zu und entspann dich. Ich werde dich jetzt dafür entschädigen, was du meinetwegen alles durchmachen musstest.“ Harry sprach noch einen Polsterungs- und einen Wärmezauber, bevor er sanft Dracos Beine auseinander drückte und sich zwischen sie gleiten ließ.   Das schlechte Gewissen meldete sich wieder zu Wort. Er schuldete Harry noch eine Entschuldigung. „Harry, das musst du ni…“ Aber noch bevor er den Satz beenden konnte, hatte Harry seine Lippen um Draco Schwanz geschlossen und verdrängte alle Gedanken. Alles was blieb, war das fantastische Gefühl, das Harry ihm gab und in das er sich verlieren wollte. Entschuldigen konnte er sich auch noch später. Kapitel 37: Trotz aller Vorsicht -------------------------------- Es war kurz vor sechs am Morgen. Harry hatte nach einer weiteren Nacht in der Verbotenen Abteilung nicht gut geschlafen und war schon sehr früh aufgestanden. Die Fette Dame war so tief am Schnarchen gewesen, dass sie nicht einmal blinzelte, als Harry ihr Portrait zur Seite geschoben hatte.   Ungeduldig hatte er vor dem Hauptportal gewartet, bis der Hausmeister sich endlich bequemt hatte, das riesige Tor aufzuschließen. Misstrauisch hatte er seine kleinen grauen Augen zusammengekniffen, aber nichts weiter gesagt. Es war zwar noch sehr früh, aber die Nachtruhe war offiziell vorbei. Harry konnte hingehen, wohin er wollte. Sein Ziel war das Quidditch-Feld.   Nur jetzt, zu so früher Stunde, auf seinem Besen konnte er alles für einen kleinen flüchtigen Moment vergessen. Er flog ein paar Runden, übte ein paar Manöver, umkreiste die Ringe im Slalom immer wieder, bis ihm schwindelig wurde.   Harry setzte zu einem Sturzflug an und zog den Besen erst ganz knapp über dem Boden wieder in eine waagerechte Position. Er blieb auf der Höhe und drosselte nach und nach seine Geschwindigkeit. Als der Besen ganz zum Stillstand gekommen war, ließ er sich auf den Boden fallen und blieb noch einen kurzen Moment liegen, genoss den kühlen Wind und die Stille.   Ein Blick auf seine Muggelarmbanduhr verriet ihm, dass er sich beeilen musste, wenn er wieder im Gryffindorturm sein wollte, bevor seine Hauskameraden aufwachten. Er hatte keine Lust auf die Diskussionen, wo er denn so früh allein gewesen sei und was er gemacht hatte. Dazu war es noch viel zu zeitig.   Er hatte sich schon einen langen Vortrag von Granger anhören müssen, nachdem er nach dem letzten Quidditch-Spiel zwischen Slytherin und Hufflepuff einfach verschwunden war. Wie könne er denn einfach verschwinden, ohne jemanden Bescheid zu geben? Es interessierte sie ja doch nur, wenn sie nicht gerade mit sich selbst beschäftigt war.   Weasley hatte einfach nur danebengestanden, mit feuerrotem Kopf, stocksauer und hatte kein Wort gesagt. Dieser Anblick machte die Standpauke beinahe erträglich.   Sein ehemaliger bester Freund hatte ihm immer noch nicht verziehen, dass er seine kleine Schwester abserviert hatte. Vielleicht würde er es verstehen, wenn Harry ihm erklärte, dass es aus dem gleichen Grund war, aus dem er jetzt so wütend auf seine eigene Freundin war. Draco war einfach viel heißer, interessanter und hatte viel mehr Klasse, als irgendjemand von dem Weasley-Clan je haben könnte.   Zugegeben Bill, Charlie und die Zwillinge waren cool und im Vergleich zu Ronald und Ginevra erträglich, aber sie kamen nicht im Ansatz an seinen Slytherin-Prinzen ran und er würde sie alle ohne zu zögern opfern.   Es war traurig wie sich alles entwickelt hatte. Mit einem Fünkchen Wehmut dachte Harry daran zurück, wie die Weasleys ihn aufgenommen hatten. Sie hatte ihn in ihrer Familie willkommen geheißen, als würde er schon immer dazugehören, wie ein verlorenes Familienmitglied, dass endlich wieder nach Hause gekommen war. Sein erstes richtiges Weihnachtsgeschenk hatte er von ihnen bekommen. Den smaragdgrünen Pullover hatte er immer noch, auch wenn er dem schon längst entwachsen war.   Schnell schüttelte er diese Gefühle wieder ab. Ein Hauch von Bitterkeit trat an ihre Stelle. Hätten sie ihn auch so gut aufgenommen, wenn er nicht Harry Potter gewesen wäre? Wenn er nur ein namenloser Muggelgeborener gewesen wäre ohne eine außergewöhnliche Vergangenheit?   Wahrscheinlich nicht.   Mit Sicherheit nicht.   Dumbledore musste es gut gefallen haben, dass sie ihn aufgenommen hatten. So hatte er immer gewusst, wo er war und was er tat und konnte weiter Einfluss auf ihn ausüben.   Seine Finger verkrallten sich in die weiche Erde. Es würde Harry nicht wundern, wenn Dumbledore den Weasleys sogar den Auftrag gegeben hätte, ein Auge auf ihn zu haben. Nicht, dass er doch noch die falschen Entscheidungen träfe.   Was wäre wohl passiert, wenn er damals nicht als erstes auf Weasley getroffen wäre? Wie hätte sich alles entwickelt, wenn Harry Dracos Freundschaftsangebot – so falsch es damals auch gewesen war – angenommen hätte? Dumbledore wäre wahrscheinlich tot umgefallen, wenn Harry genau wie Tom Riddle nach Slytherin gekommen wäre.   Kichernd schüttelte Harry den Kopf. Die Vorstellung war sehr verlockend, aber dafür war es zu spät. Er hatte damals seine Entscheidung getroffen, jetzt er würde er mit den Konsequenzen fertig werden müssen. Und diese erwarteten ihn im Gryffindor-Gemeinschaftsraum.   Einen letzten sehnsüchtigen Blick in den Himmel werfend stand Harry auf, schnappte sich seinen Besen und wollte zurück ins Schloss gehen. Aber eine nur allzu vertraute Präsenz ließ ihn stocken.   ‚Was bei Merlins Unterhosen macht Dumbledore hier?‘ Der Schulleiter kam aus der Richtung von Hagrids Hütte und schlenderte genau auf die Quidditch-Umkleiden zu.   Harry wollte nichts weiter, als auf seinen Besen steigen und ganz weit weg zu fliegen. Er unterdrückte den Impuls und zwang sich weiter zu laufen, als hätte er nichts bemerkt.   Dumbledore trat gerade hinter dem Gebäude hervor, als Harry ankam. Seine ohnehin schon leuchtend blaue Augen wurden noch eine Spur heller, als sein Blick auf Harry fiel. Jemand, der nicht so misstrauisch wäre wie Harry, wäre bestimmt nicht aufgefallen, wie er kurz die Umgebung hinter Harry beäugt hatte.   „Oh! Guten Morgen, Professor.“ Angenehme Überraschung war in Harrys Stimme zu hören, was ihn in Anbetracht der Situation sehr stolz machte.   „Harry, mein Junge. Es ist in der Tat ein guter Morgen.“ Diese gutmütige Großvaterstimme kratzte an Harrys Innenohr und bestärkte den Wunsch, dem alten Zauberer vor ihm die Zunge abzufluchen. Oder sie wenigstens mit dem Langlock an seinem Gaumen festzukleben. „Wie es scheint, haben wir das gleiche Ziel.“   Was zurück zu der Frage führte, was dieser senile, alte Mann zu so früher Stunde in der Nähe des Quidditch-Feldes zu suchen hatte. Soweit Harry wusste, hatte Dumbledore keine heimliche Leidenschaft für den Besenflug.   „Würdest du einem alten Mann Gesellschaft leisten?“   Harry sah zum Schloss. Noch nie war ihm der Weg so weit vorgekommen.   „Aber gerne doch, Professor.“ Harrys Stimme klang leicht und unbekümmert, stand im kompletten Gegensatz zu seinem inneren Tumult. Irgendetwas stimmte hier nicht. Diese Gewissheit breitete sich wie Galle in seinem Magen aus und begann langsam seine Speiseröhre hochzukriechen.   Sie gingen schweigend nebeneinander her. Harry versuchte, sich nichts von seiner inneren Anspannung anmerken zu lassen. Vielleicht bildete er sich alles nur ein? Vielleicht war es normal, dass Dumbledore zu so früher Stunde spazieren ging und dieses Mal eben zufällig das Quidditch-Feld als sein Ziel auserkoren hatte. Vielleicht machte Harry sein Verrat paranoid.   Sie hatten kaum die Hälfte der Strecke zurückgelegt und Harry begann langsam zu glauben, dass er sich geirrt hatte, als Dumbledore das Schweigen brach.   „Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ms. Granger und Mr. Weasley in der Zwischenzeit ein Paar geworden sind. Ich meine auf romantische Weise.“ Normalerweise lag eine gewisse Sympathie in Dumbledores Stimme, wenn er von Harrys Freunden sprach. Davon war gerade nichts zu hören. Es klang beinahe gleichgültig – ein Fakt, der in einer Plauderei beiläufig erwähnt wird.   „Ja, das ist richtig, Sir. Sie sind jetzt zusammen.“ Harry versuchte, es genauso beiläufig klingen zu lassen.   „Wie geht es dir damit?“ Was sollte diese Frage? Harry kannte den alten Zauberer lang genug, um an seiner Stimme zu hören, wie begierig er auf diese Antwort war, auch wenn seine Mimik nichts davon verriet.    „Was meinen Sie?“ Er legte so viel Naivität in seine Stimme wie es ihm möglich war.   „Ohne dir nahe treten zu wollen, Harry – ich weiß, ihr jungen Leute seht die Dinge anders als zu meiner Zeit – aber fühlst du dich nicht manchmal… einsam?“ Dumbledore schaute mit verständnisvollen, aber leicht bekümmerten Augen durch seine halbmondförmigen Brillengläser zu ihm herab. Etwas Wissendes lag in seinem Blick.   Harrys Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Das ungute Gefühl breitete sich weiter aus. Trotzdem schaffte er es, den Blickkontakt zu halten und hoffte, dass Dumbledore nichts weiter als leichte Verwirrung in seinen Augen sehen konnte. Den typischen Druck von Legilimentik spürte er nicht.   „Ähm, nein, eigentlich nicht.“ Er runzelte die Stirn. „Hermine und Ron sind toll. Sie lassen mich nie außen vor und ich habe ja auch noch die anderen.“   „Ah ja. Deine Klassenkameraden, Mr. Longbottom, Mr. Thomas und Mr. Finnigan. Und auch die junge Ms. Weasley.“   „Schätze schon…“ Harry gefiel überhaupt nicht, welche Richtung das Gespräch nahm. Wollte Dumbledore ihn verkuppeln?   „Ms. Weasley hat sich in den letzten Jahren zu einer erstaunlichen jungen Frau entwickelt. Findest du nicht?“   „Ist das so?“ Harry biss die Zähne zusammen.   „Und sie scheint dir besonders zugetan zu sein.“ Dumbledores Plauderton machte ihn wahnsinnig.   „Professor!“ Harry bleib stehen. Er hatte Mühe, seine Stimme ruhig zu halten und nicht den ganzen Hass und die Abscheu, die er empfand, zu zeigen. „Worauf wollen Sie hinaus?“   Dumbledore seufzte und schaute traurig auf Harry hinab. „Ich weiß aus persönlicher Erfahrung, wie schwer es sein kann, wenn man zusehen muss, wie um einen herum die Freunde sich zu Paaren zusammenfinden und man selbst allein zurückbleibt.“   Harry wurde schlagartig kalt.   „Wenn man sich allein und missverstanden fühlt, ist es zu leicht, sich einem falschen Gefühl von Sicherheit hinzugeben.“ So viel Bedauern war in seiner Stimme zu hören. Sein Blick rückte in weite Ferne und versank in Erinnerungen, die Harry verschlossen blieben.   Aber es war ihm egal. Er wusste, worauf Dumbledore hinauswollte. Eine finstere Wolke hatte sich um ihn gelegt und drückte auf seine Brust. Wie konnte das sein?   „Ich verstehe dich, Harry. Ich verstehe dich nur zu gut.“ Dumbledores Blick war wieder auf ihn gerichtet. Er bohrte sich in Harrys Gehirn und rief falsche Erinnerungen ab, die der alte Mann nur zu gern glauben wollte. „Ich meine nach allem, was passiert ist… Ms. Turpin und Ms. Jones geht es zwar wieder gut und sie haben die Vorfälle ohne größere Folgeschäden überstanden, …“   (Harry wusste das. Beide machten einen großen Bogen um ihn und wechselten sogar häufig den Gang, wenn sie ihn sahen. Sie wussten, dass ihn keine Schuld traf und doch machten sie ihn in ihrer Art dafür verantwortlich. An sich hatte sich zwischen ihnen nichts geändert. Sie hatten vorher schon nichts miteinander zu tun gehabt. Trotzdem ließ es ihn nicht kalt. Im Gegenteil. Jedes Mal, wenn die beiden Mädchen ihm aus dem Weg gingen oder wie erstarrt stehen blieben mit schreckgeweiteten Augen, wenn er sie überrascht hatte, bevor sie in die andere Richtung verschwanden, erinnerte es Harry daran, wie eifersüchtig Draco gewesen war. Es spielte keine Rolle, wie oft sein Slytherin es leugnete. Harry wusste es besser und er konnte das warme Gefühl nicht unterdrücken, das sich jedes Mal in ihm ausbreitete.)   Harry wusste das. Beide machten einen großen Bogen um ihn und wechselten sogar häufig den Gang, wenn sie ihn sahen. Sie wussten, dass ihn keine Schuld traf und doch machten sie ihn in ihrer Art dafür verantwortlich. Es tat weh. Er hatte beide wirklich gemocht und gehofft, dass eine von ihnen seine Einsamkeit vertreiben könnte. Es sollte nicht sein. Harry war froh, dass es den beiden wieder gut ging und hoffte, dass sie glücklich werden würden.   „… aber Ms. Chang und Ms. McDougal hatten weniger Glück.“   (Auch das war ihm bekannt. Beide wurden ins St.-Mungo-Hospital gebracht. Beide lagen im vierten Obergeschoss – Fluchschäden und Zauberunfälle. Auf der gleichen Station wie auch Gilderoy Lockhart. Die beiden konnten sich doch freuen. Endlich konnten sie so viel Zeit mit ihrem Helden verbringen, wie sie wollten. Zu schade, dass Chang bei jeder Berührung Ekel auslöste und McDougal sie einfach nicht bemerken würde.)   Auch das war ihm bekannt. Beide wurden ins St.-Mungo-Hospital gebracht. Beide lagen im vierten Obergeschoss – Fluchschäden und Zauberunfälle. Auf der gleichen Station, auf der auch Nevilles Eltern und Gilderoy Lockhart lagen. Es war furchtbar, was Menschen einander antun konnten. Er hoffte sehr, dass sie bald geheilt sein würden und diesem trostlosen Ort entkommen konnten, der schon zu vielen Hexen und Zauberern ein unfreiwilliges Zuhause geworden war.   „Die Ärzte meinen, dass es Hoffnung für Ms. McDougal gibt. Sie konnten den Fluch identifizieren und suchen jetzt nach einem Gegenfluch. Die ersten Versuche waren vielversprechend, auch wenn es noch einige Zeit dauern wird.“   (Harry erinnerte sich genau. Die weißen Augen, der zum Schrei weit aufgerissene Mund, die hektischen Bewegungen – ein Ausdruck purer Panik. Der Horror, den er in diesem Moment gefühlt hatte, saß immer noch tief in seinen Knochen, kam jedes Mal wieder hervor, wenn er sich daran erinnerte, dass er mit einer unbedachten Handlung beinahe alles zerstört hatte. Es war ein Wunder, dass nur Severus es bemerkt hatte und ein Glück, dass die Schuld, die er gegenüber dem einzigen Sohn seiner großen Liebe empfand, ihm absolut loyal ihm gegenüber machte. Trotzdem hatte sie es verdient. Es war zu schade, dass es wirklich einen Gegenfluch gab.)   Harry erinnerte sich genau. Die weißen Augen, der zum Schrei weit aufgerissene Mund, die hektischen Bewegungen – ein Ausdruck purer Panik. Der Horror, den er in diesem Moment gefühlt hatte, saß immer noch tief in seinen Knochen, kam jedes Mal wieder hervor, wenn er sich an diesem Moment erinnerte. Es tat gut zuhören, dass es ihr wieder gut gehen würde. Er glaubte fest daran, dass die Heiler des St.-Mungo-Hospitals es schaffen würden und dass Morag bald wieder wohlbehalten bei ihnen sein würde. Vielleicht konnte auch er dann diese Bilder wieder vergessen.   „Ms. Chang, befürchte ich, hat weniger Glück. Obwohl der Fluch nicht schwarzmagischer Natur war, sind alle Versuche, ihn zu brechen, bisher erfolglos gewesen. Im Gegenteil – mit jedem neuen Versuch, scheint es schlimmer zu werden. Sie erlitt einen Nervenzusammenbruch.“   (Er konnte es verstehen. Zu einem Leben in Einsamkeit verdammt. Nie die Chance zu bekommen, mit einem geliebten Menschen zusammen zu sein. Aber wenn es jemand verdient hatte, dann war sie es. Sie hätte weiter die Leben anderer zerstört. Nun konnte sie niemanden mehr schaden. Draco hatte sich wahrlich übertroffen.)   Er konnte es verstehen. Zu einem Leben in Einsamkeit verdammt. Nie die Chance zu bekommen, mit einem geliebten Menschen zusammen zu sein. Harry hatte Mitleid mit ihr. Sie war sein erster Kuss gewesen, seine erste Liebe. Er erinnerte sich an ihr Lächeln. Würde sie je wieder lächeln können?   Der Druck in Harrys Kopf verschwand.   Dumbledore hatte sich weggedreht. Der Wind setzte seinen blassblauen Zaubererumhang in Bewegung, lenkte Harrys Blick für einen Moment von dem eingefallenen Gesicht ab. Wie alt war Dumbledore noch mal? Jedes Mal, wenn er ihn sah, hatte Harry den Eindruck, dass er noch weiter gealtert war. Als würde seine Zeit ablaufen, der Tod sein ständiger Begleiter, bis es soweit war die Sense zu schwingen und ihn zu seinem nächsten Abenteuer zu begleiten.   „Nach alldem ist es nur verständlich, dass du jemanden suchst, der stark ist und ein gewisses, wenn auch zweifelhaftes Ansehen besitzt, den man nicht wagen würde, anzugreifen. Oder der sich zumindest zu schützen wüsste, wenn es dazu käme.“   Harry zitterte. Er konnte es nicht kontrollieren. Seine Finger ballten sich zu Fäusten, verkrampften sich, damit es ihm unmöglich wäre, seinen Zauberstab zu ziehen und etwas noch viel Dümmeres zu tun.   Er konnte Dumbledores Blick auf sich spüren.   Wissend. Mitleidig. Enttäuscht.   „Glaube mir, mein lieber Junge, ich hatte nie vor, mich in dein Liebesleben einzumischen…“   ‚Warum tust du es dann?‘ Die Worte hallten laut in Harrys Kopf, verließen aber nicht seine Lippen.   „… aber so sehr ich es auch versuche, ich kann kein gutes Ende für dich und Mr. Malfoy sehen.“   Da war es. Seine schlimmsten Befürchtungen wurden zur Gewissheit. Harry hatte die ganze Zeit gewusst, dass Dumbledore es irgendwie herausgefunden hat – wie nur? Sie waren doch so vorsichtig gewesen – aber es ausgesprochen zu hören, machte es um ein Vielfaches schlimmer. Mit einem Mal schien seine ganze Welt zu zerfallen. Der Boden unter seine Füße knackte auf und er fiel. Fiel! Er fiel immer tiefer in ein nicht enden wollendes Loch. Alles was er noch hörte war ein Rauschen so laut, dass es in seinen Ohren schmerzte. Die Zeit blieb stehen und nahm ihm die dabei die Luft zum Atmen.   „Harry!“   Sanfte Hände an seinen Schultern holten ihn zurück. Er wusste nicht, ob er das wollte.   Harry sah auf. Dumbledores hellblaue Augen blicken auf ihn herab. Er sah merkwürdig gekrümmt aus. Erst als Harry an sich hinabschaute, bemerkte er warum. Er war zusammengerutscht und kniete in dem leicht feuchten Gras. Der Morgentau glitzerte unschuldig an den Gräsern um ihn herum.   „Harry, mein Junge. Es tut mir so leid.“   ‚Was tut dir leid?‘, fauchte Harry bösartig zurück, aber noch immer blieb sein Mund geschlossen.   „Aber du musst verstehen, dass ich dir nichts Böses will. Weder dir, noch Mr. Malfoy.“ Seine Stimme klang ernst und aufrichtig.   Harry wollte sie nicht mehr hören.   „Es gibt so vieles…“ Dumbledore unterbrach sich selbst. „Ferasedero!“   Eine vorbeihuschende braungefleckte Katze – vielleicht das Haustier eines anderen Schülers – verwandelte sich in eine Sitzbank.   „Setz dich kurz zu mir.“ Müde und alt. Erschöpft. Gebrochen.   Harry griff nach der ausgestreckten Hand und ließ sich auf die Bank ziehen. Sie sah hart und kalt aus, war aber angenehm warm und bequem. Wie viel bekam das Kätzchen von der Last mit, die es jetzt zu tragen hatte?   „Wir haben Krieg, Harry. Noch ist er nicht gänzlich ausgebrochen, aber jeder spürt es. Seit Voldemort sich letztes Jahr zu erkennen gegeben hat und nicht einmal mehr das Ministerium seine Rückkehr leugnen kann, sind die Menschen in Panik. Es gibt Übergriffe, wie du sicher weißt. Und davon nicht wenige. Muggel und Zauberer werden gleichermaßen zur Zielscheibe. Niemand ist sicher, der nicht auf seiner Seite steht.   Die Familie Malfoy ist von Beginn an, seit Tom Riddle angefangen hatte, Anhänger um sich zu scharen, auf seiner Seite. Es ist jetzt die dritte Generation, die ihm treu ergeben ist.“   Harry wollte etwas erwidern, Draco verteidigen, aber was sollte er sagen?   „Ich weiß, was du sagen willst. Dass der junge Mr. Malfoy nicht so ist. Er ist nicht wie sein Vater oder sein Großvater, die blind an fanatische Ideen glauben und für die die Reinheit des Blutes über alles geht. Und vielleicht hast du damit recht.   Ich gebe zu, dass mir der Gedanke kam – ein schändlicher ohne Zweifel – dass er dich nur benutzt, dich an sich bindet, um dich dann im richtigen Moment zu verletzen. Ein gebrochenes Herz hat schon so manchen starken Zauberer in den Abgrund geführt. Das wünsche ich mir für dich nicht. Ich will, dass du jemanden findest, der dich glücklich macht und der es ernst mit dir meint.“   ‚Draco!‘   „Ich will glauben, dass das auf den jungen Mr. Malfoy zutrifft, aber es steht zu viel zwischen euch. Der Krieg. Das Schicksal seiner Eltern ist unwiderruflich mit dem von Voldemort verwoben. Lucius mag seinen Irrweg erkannt haben, nachdem er im letzten Sommer eine Zeit lang in Askaban gesessen hat, aber er wird Voldemort nicht den Rücken kehren. Er kann es nicht.   Ich glaube, auch wenn ich dafür noch keine Beweise habe, dass Voldemort sich auf dem Landsitz der Familie Malfoy niedergelassen hat. Eine Strafe für Lucius‘ Unachtsamkeit mit Tom Riddles Tagebuch. So kann er ihn im Auge behalten und hat gleichzeitig seine Familie als Druckmittel.“   Ein schönes Bild, das Dumbledore da malte. Ein in Ungnade gefallener Lucius Malfoy, der sämtlicher Würde beraubt wurde. Ein gebrochener Mann, der ähnlich wie Wurmschwanz bei jedem Geräusch zusammenzuckte, ängstlich zu seinem Herrn hinaufsah und um das Leben seiner Familie bangte.   Aber Harry wusste es besser. Lucius war noch der gleiche Mann wie vorher. Stolz und arrogant. Er kannte seinen Wert, genau wie Voldemort. Sicher würde er sich beweisen müssen, nach seiner Fehlentscheidung, aber er würde nicht im Staub herumrutschen. Seine Familie und sein Heim waren sicher.   Dumbledore wusste so viel über Tom Riddle und glaubte so viel über Voldemort zu wissen, aber eigentlich wusste er nichts. Er lebte nicht bei den Malfoys. Warum sollte er sich irgendwo dauerhaft als Gast einquartieren und auf die Annehmlichkeiten seines eigenen Zuhauses verzichten? Selbst wenn er die Malfoys unter Kontrolle halten wollte, gab es andere Wege als die eigene permanente Anwesenheit.   „Und da liegt auch das Problem. So wie Lucius seine Familie beschützen will, so will das auch Draco.“   ‚Sprich seinen Namen nicht aus, du elender Bastard!‘ Harry konnte seine Wut kaum unterdrücken.   „Der Krieg ist unvermeidlich. Was glaubst du, wie er sich entscheiden würde, wenn ihr euch auf dem Schlachtfeld gegenübersteht? Wenn er zwischen dir und seiner Familie wählen muss?“   Es entstand eine lange Pause. Wollte Dumbledore wirklich, dass er darauf antwortete? ‚Dann ist es ja gut, dass ich die Wahl für ihn getroffen habe.‘   „Willst du ihm das wirklich antun? Dir? Er wird sich für seine Familie entscheiden. Er kann gar nicht anders. Und du wirst gezwungen sein, gegen ihn zu kämpfen. Könntest du das? Gegen jemanden kämpfen, der dir so nahesteht? Glaube mir, Harry, es gibt nichts Schlimmeres auf der Welt.“   Harry sah auf. Dumbledores Blick war wieder in weite Ferne gerückt, sah nicht die Gegenwart, sondern die Vergangenheit. Und Harry wurde bewusst, dass Dumbledore genau das getan hatte. Er hatte gegen jemanden kämpfen müssen, den er gerngehabt hatte. Vielleicht sogar geliebt hatte? Hatte es auf Gegenseitigkeit beruht? Hatte derjenige Dumbledore vertraut? Wie hatte der andere sich bei diesem Verrat gefühlt?   Er würde Draco niemals verraten. Eher würde die ganze Welt brennen.   Was auch immer Dumbledore in seinen Kopf gefangen gehalten hatte, er schüttelte es ab und konzentrierte sich wieder auf Harry.   „Oft sind wir zu großen Opfern gezwungen zum Wohle der ganzen Welt. Es erscheint hart und ungerecht und das ist es auch – ohne Zweifel – aber die Alternative ist häufig noch viel grausamer als das eigene Leid.“   Harry konnte die unausgesprochenen Worte hören: Opfere dich für den Rest der Welt.   ‚Vieh und Schlachtbank.‘   Dumbledore seufzte schwer. Er sah aus, als würde er mit sich ringen, eine unbequeme Wahrheit auszusprechen. Aber Harry konnte hinter die Fassade sehen. Es war nur Show. Er war ein Meister darin geworden und selbst der angeblich mächtigste Zauberer konnte ihm nichts vormachen.   Eisblaue Augen forderten ihn stumm auf nachzufragen, aber Harry tat ihm diesen Gefallen nicht. Wenn der alte Mann ihn vernichten wollte, würde er ihm keine Absolution erteilen.   Geschlagen senkte Dumbledore seinen Blick. „Es mag Zufall sein, aber mir ist aufgefallen, dass die Flüche, die bei Ms. Turpin und Ms. Chang verwendet wurden, sehr ähnlich waren. Während Ms. Turpins Leiden nur auftrat, wenn sie mit dir zusammenstieß und in der Zwischenzeit wieder geheilt ist, so scheint es eine Weiterentwicklung des gleichen Fluchs zu sein, nur eben permanent und durch jeden Menschen ausgelöst.“   Harry ahnte, worauf Dumbledore hinauswollte. Aber dafür gab es keine Beweise. Er wollte nur weiter Zweifel in Harry sähen.   Wieder starrte ihn Dumbledore an. Es war ihm anzumerken, dass Harrys Widerwillen zu sprechen, an seiner Geduld zerrten. Es war nicht Harrys Art, aber er fühlte sich gerade so hilflos und verzweifelt um Kontrolle bemüht.   „Hast du dich gefragt, warum bisher niemand vom Ministerium hier war – nicht mal Auroren – um die Vorfälle zu untersuchen? Als das letzte Mal etwas Vergleichbares passiert ist, waren sie schneller hier, als ich apparieren kann und drohten die Schule zu schließen. Aber dieses Mal, nichts.“   „Es ist niemand gestorben.“ Harry war überraschter als Dumbledore als diese Worte leise seine Lippen verließen.   Ein leichtes Lächeln umspielte die runzligen Lippen des Alten. „In der Tat, es ist niemand gestorben. Und doch haben einige Zauberer – besorgte Eltern, wie sie sich nennen – schon weitaus geringere Vorfälle zum Anlass genommen, um mich als Schulleiter abzusetzen und die Schule zu schließen. Warum dieses Mal nicht?“   Harrys Mund war wieder verschlossen.   „Es gibt Gerüchte, nach denen Lucius Malfoy seinen letzten Rest an Einfluss geltend gemacht hat, um dies zu verhindern.“   Seinen letzten Rest an Einfluss? Hatte Dumbledore nicht vor wenigen Minuten gesagt, dass er nichts mehr übrighatte?   „Was glaubst du, sind seine Gründe dafür?“   Die Antwort hing zwischen ihnen in der Luft und musste nicht ausgesprochen werden. Von niemanden. Wenn an den Gerüchten etwas dran wäre, gab es nur einen Grund. Dass sein Sohn an den Vorfällen beteiligt war.   Harry zwang sich, Dumbledore in die Augen zu schauen. Tränen hatten sich in seinen gebildet. Ob sie echt waren oder Teil seiner Show konnte er selbst nicht sagen.   „Ich verstehe, Professor.“ Seine Stimme klang so leise, dass er sie selbst kaum hören konnte. Hatte er überhaupt etwas gesagt? „Ich verstehe.“, sagte er noch einmal lauter.   Dumbledores Blick veränderte sich. Er wurde mitfühlend – eine Mischung aus Verständnis und Mitleid. Harry konnte es nicht ertragen. Er senkte seinen Blick. Das Gras zu seinen Füßen leuchtete in einen satten, fröhlichen grün, als wollte es ihn verspotten. Er wollte es in die Erde treten, bis es völlig von Schlamm überzogen war, kaputt und zerrissen – so wie er sich fühlte.   „Nimm dir die Zeit, die du brauchst, Harry, mein Junge. Es tut mir wirklich sehr leid.“   Harry nickte nur.   Dumbledore stand auf. Ob er spürte, dass seine Anwesenheit nicht länger ertragbar war oder er einfach nur das Gefühl hatte, sein Ziel erreicht zu haben, vermochte Harry nicht zu sagen. Er wollte nur, dass er endlich ging. Er konnte den Anblick nicht mehr ertragen. Er konnte die Stimme nicht mehr ertragen.   Er wollte nur noch schreien.   Sein Wunsch wurde erhört. Mit einem letzten ekelerregenden mitfühlenden Blick, den Harry mehr spürte als sah, drehte Dumbledore sich um und ging allein zurück zum Schloss. Kapitel 38: Vertrauen --------------------- Harrys Gedanken rasten. Was sollte er nur tun? Seine Beziehung mit Draco beenden kam nicht in Frage. Aber er musste mit ihm reden. Sofort!   In dem Moment, in dem er sich von der Bank erhob, verwandelte sie sich zurück in die kleine Katze. Sie mauzte und schaute sich etwas orientierungslos um, schien aber ansonsten in Ordnung zu sein.   Harry lief los. Er beeilte sich, achtete aber immer darauf, genug Abstand zu Dumbledore zu halten. Glücklicherweise ging er direkt zu Treppen, die in die höheren Stockwerke führten. Harry nahm die entgegengesetzte Richtung in die Kerker.   Es war sehr ruhig und seine Schritte halten durch die weiten Flure. Außer vor Quidditch-Spielen war es immer so leer an den Wochenenden. Die meisten Schüler schliefen aus und verpassen auch schon mal das Frühstück zugunsten ihres gemütlichen Federbettes.   Der einzige andere Schüler, den Harry zu so einer Stunde außerhalb der Schlafsäle bisher angetroffen hatte, war Draco. Und das auch nur, weil er Harry hinterherspioniert oder bereits an einem anderen Auftrag für Voldemort gearbeitet hatte.   Jetzt hatte er dafür keinen Grund. Trotzdem konnte er Draco im Gemeinschaftsraum der Slytherins spüren. Er musste am Feuer sitzen. Außer ihm waren noch Zabini, Nott, Greengrass und ein paar Schüler aus den niederen Jahrgängen da.   Es dauerte nicht lange und Draco trat aus dem versteckten Durchgang. Er wollte etwas sagen, aber was auch immer es war, es blieb ihm im Hals stecken in dem Moment, in dem er Harry direkt ansah. Seine Augen weiteten sich vor Schreck.   Harry schüttelte den Kopf und bedeutete ihm, still zu sein. Er holte seinen Tarnumhang aus der Tasche und drückte ihn Draco in die Hand. Darauf vertrauend, dass der Slytherin wusste, was er tun sollte, drehte er sich wieder um und ging mit schnellen Schritten wieder zurück.   Draco folgte ihm.   Mit zielsicheren Schritten ging Harry auf den Verbotenen Wald zu. Draco zögerte keinen Moment. Nichts war mehr von dem ängstlichen, hochmütigen Jungen aus ihrem ersten Jahr übrig.   Er stoppte nicht, als Harry am Rande des Verbotenen Waldes geradewegs auf die Peitschende Weide zuhielt.   Er stoppte nicht, als die Äste des Baumes um sich zu schlagen begannen.   Er blieb nicht stehen, als Harry mit einem gekonnten Sprung einem knöchrigen Auswuchs auswich und unter den Zweigen hindurchhuschte, ohne auch nur gestreift zu werden.   Er haderte nicht, als plötzlich alle Äste stillhielten und nur noch die Zweige sich sanft im Wind wiegten als wäre es ein ganz normaler Baum.   Er zögerte nicht, als Harry auf das Loch unterhalb des Stammes zeigte.   Er sprang.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Auf dem gesamten Weg hatten sie kein Wort miteinander gesprochen. Harry eilte voraus, folgte dem Licht seines Zauberstabes, während Draco ihm folgte.   Im Inneren der Heulende Hütte angekommen, entzündeten sich die Laternen wie von selbst. Nur Harrys erhobener Zauberstab deutete daraufhin, wer dafür verantwortlich war.   Es sah noch genauso aus, wie Harry es in Erinnerung hatte. Mit Brettern zugenagelte Fenster, zertrümmerte Möbel verteilt auf einem mit alten Blutflecken bedeckten Fußboden – die Überreste aus der Zeit, als hier ein Werwolf monatlich seine Verwandlung vollzogen hatte. Mit viel Fantasie konnte man erkennen, was alles den Umständen zum Opfer gefallen war. Zerschlagene Tische, umgekippte Stühle, ein zusammengebrochenes Himmelbett, zersprungene Bilderrahmen, die seit Jahrzehnten kein Porträt mehr beherbergt hatten, wenn überhaupt jemals. Alles war mit einer dicken Staubschicht bedeckt – der einzige Beweis, dass seit drei Jahren hier niemand mehr gewesen war.   Die Magie hatte diesen Ort verlassen. Alles was blieb, waren Gerüchte über Gespenster und Poltergeister, qualvolles Heulen und Jaulen, das vor ewigen Zeiten aus der windschiefen Holzhütte gedrungen war.   Warum hatte hier niemand aufgeräumt? Hatte Dumbledore nicht geglaubt, dass es notwendig wäre? Wenn er jetzt so darüber nachdachte, nachdem Lupin die Schule verlassen hatte, war das Chaos auch nicht beseitigt worden. Es war schon alles verwüstet gewesen, bevor der Kampf begonnen hatte und es machte nicht den Eindruck, dass dies lediglich innerhalb des einen Jahres zustande gekommen sein könnte, während Lupin an der Schule unterrichtet und regelmäßig den Wolfsbanntrank getrunken hatte.   Das Versteck hatte seinen Zweck erfüllt. Dumbledore kümmerte sich nicht weiter um die Dinge, die keinen Nutzen mehr für ihn hatten. Um Sirius hatte er sich auch nicht gekümmert, nachdem er unschuldig nach Askaban gebracht worden war. Er hatte ihn im Stich gelassen, als er ihn am meisten brauchte. Er ließ alle im Stich.   Genauso wie ihn letztes Jahr. Er hatte Harry gemieden, war ihm immer wieder ausgewichen, dabei hatte er so dringend mit ihm reden müssen. Voldemort hatte ihn manipuliert und Dumbledore hatte es geschehen lassen. Seinetwegen sind sie alle in die Falle gelaufen und es hatte Sirius das Leben gekostet.   Die Wut brodelte unter seiner Haut, schnürte ihm die Luft ab.   Harry konnte sehen, wie Sirius durch den Schleier fiel, der entsetzte Ausdruck in seinem Gesicht verfolgte ihn noch heute in seinen Alpträumen.   „Harry!“   Draco! Hilflos musste Harry mit ansehen, wie das Gesicht in seiner Erinnerung verschwamm. Schwarze Haare verloren ihre Farbe, wurden hellblond. Graue Augen wurden so hell, dass sie fast silbern wirkten.   Eine eiserne Faust umklammerte Harrys Herz und drückte zu.   Er verlor die Kontrolle. Die Magie brach aus ihm heraus. Sie griff um sich und zerstörte alles auf ihrem Weg.   Die Überreste der Möbel wurden auseinandergerissen. Die Tische explodierten, Splitter rieselten auf sie herab. Die Stühle gingen in Flammen auf. Die Hitze war so stark, dass das Feuer in Sekundenbruchteilen alles Holz verzehrt hatte. Übrig blieben silberschwarze Gerüste, die bei der nächsten Erschütterung in sich zusammenfielen.   Türen wurden aus den Angels gerissen. In den Wänden klafften riesige Löcher, die Ränder schwarz verfärbt und scharfkantig. Das Haus begann zu zittern, durch die Schäden kaum noch in der Lage seine eigene Last zu halten.   Es knackte. Das Haus drohte jeden Augenblick zusammenzufallen.   „Harry! Es ist alles gut. Beruhige dich.“   Eine sanfte Stimme drang an sein Ohr, durchdrang das Dröhnen der berstenden Balken und laute Knistern seiner ungebändigten Magie und legte sich beruhigend um seine Seele.    „Harry!“   ‚Draco.‘   Starke Arme legten sich um seinen Körper und hielten ihn zusammen, als er zu zerbrechen drohte. Luft füllte seine schmerzenden Lungen. Ein stechender Schmerz in seinem Brustkorb und seinem Kopf ließ ihn zusammenzucken. Panisch umklammerte er seinen Kopf, drückte zu, damit er nicht zersprang.   Dann verließ ihn seine Kraft. Er wäre zusammengesunken, wenn Draco ihn nicht gestützt hätte.   „Alles ist gut. Ich bin da.“   Langsam glitten zu Boden. Draco ließ ihn nicht los und Harry klammerte sich an ihn, als könnte er jeden Moment verschwinden.   „Schhhh…“   Sein Kopf wurde gegen eine feste Brust gedrückte, feingliedrige Finger glitten beruhigend durch seine Haare. Harry vergrub sein Gesicht in der vertrauten Gestalt, atmete tief den Duft nach Frühling ein.   Einen Moment lang verharrten sie so und Harry erlaubte sich, für diesen flüchtigen Moment alles andere auszublenden. Es gab keinen Dumbledore, keinen Voldemort, nichts, was sie trennte, nur sie beide und alles war gut.   Doch der Moment war zu schnell wieder vorbei.   „Was ist passiert?“   Harry konnte die Aufregung in Dracos Stimme hören, egal wie sehr sich anstrengte, sie zu verbergen. Ja, was war eigentlich passiert? Widerwillig löste er sich aus Dracos Umarmung; genauso widerwillig wurde er freigegeben. Er schaute sich um.   Mit wachsendem Entsetzen betrachtete er die Zerstörung, die er angerichtet hatte. Hastig drehte er sich wieder zu Draco, um ihn zu untersuchen. Hatte er ihn verletzt?   „Mir geht es gut.“ Draco hatte seine Hände geschnappt und hielt sie vor seiner Brust fest.   Erleichterung machte sich in Harry breit. Draco sah wirklich unverletzt aus. Nicht ein Kratzer verunstaltete sein Gesicht. Harry glaubte sogar zu sehen, wie sich ein Mundwinkel ganz leicht arrogant noch oben zog.   „Es braucht schon mehr, um mich umzuhauen.“   Erst jetzt bemerkte Harry, wie erschöpf er klang. Dracos Zauberstab lag neben ihm auf Boden, zur Seite getan, um sich um Harry zu kümmern, aber nah genug, um ihn schnell greifen zu können, sollte er ihn brauchen.   „Ich habe mich sofort mit einem Schutzschild umgeben, als ich gemerkt hatte, dass du… naja… die Kontrolle verlierst.“ Er klang nicht wütend, auch nicht besorgt. Zumindest nicht um sich.   Harrys Ausbruch muss stark gewesen sein, wenn er sich die Schäden ansah. Es war beeindruckend, dass Dracos Protego dem standhalten konnte.   „Du hast mich aber kaum erwischt. Das meiste hat der Raum abbekommen. Ich habe die Wände ebenfalls mit einem Schutzzauber belegt. Sonst hättest du wahrscheinlich das ganze Gebäude in Schutt und Asche gelegt.“   Ein halbes Lachen schlüpfte aus Harrys Kehle. „Ein Muggel-Sprichwort? Versuchst du, witzig zu sein?“   Draco zuckte mit den Schultern. „Hat es funktioniert?“   Harry wusste, dass das nur den Zweck hatte, ihn zu beruhigen. Und es funktionierte. Nickend ließ er sich gegen Draco sinken, der ihn sofort wieder mit beiden Armen umfing.   „Was ist das hier?“   Eine einfache Frage zu Beginn, die schwere würde folgen.   „Die Heulende Hütte.“ Er würde Draco später erzählen, was es damit auf sich hatte. Er schuldete ihm eine völlig andere Erklärung. „Dumbledore weiß Bescheid.“   Draco versteifte sich hinter ihm. „Was. Genau. Weiß. Er?“ Die Worte waren so scharf wie ein Dolch.   „Das mit uns.“ Warum fühlte er sich, als ob er etwas angestellt hätte, als ob er Schuld hätte?   „Nur dass wir zusammen sind oder auch wie es dazu gekommen ist?“ Daran lag es. Der bedrohliche Unterton in Dracos Stimme. Aber er ließ Harry trotzdem nicht los.   „Nur dass wir zusammen sind, glaube ich. Über das andere hat er nichts erwähnt. Und ich glaube nicht, dass ich hier sitzen würde, wenn er es wüsste.“ Harry war sich sicher, dass Dumbledore ihn nicht hätte gehen lassen, wenn er auch nur den Verdacht gehabt hätte, dass Harry ihn hintergehen würde.   Draco entspannte sich, aber seine Arme schlossen sich noch stärker um Harry, als hätte er jetzt Angst, dass Harry jeden Moment verschwinden könnte.   „Woher?“   „Ich weiß es nicht. Vielleicht ist irgendetwas in den Quidditch-Umkleiden, dass uns verraten hat. Dort hat er sich zumindest vorhin rumgetrieben. Er sah aus, als hätte er etwas gesucht. Vielleicht uns.“   „Mmhhh… Es kann nichts Konkretes sein. Sonst wüsste er von dem Mal.“ Wollte er Harry überzeugen oder sich selbst? Aber er hatte Recht. Es konnte nichts Genaues sein. Sonst hätte er nicht nach ihnen suchen müssen, sonst wüsste er mehr.   „Was genau hat er gesagt?“   „Dass er mich versteht, aber sich Sorgen um mich macht – um uns – weil unsere Voraussetzungen für eine Beziehung nicht gut sind. Er hat mir geraten, auch wenn er es nicht explizit gesagt hat, dass ich mich von dir trennen soll.“   Die Arme um ihn verkrampften sich, Harry versuchte, es zu ignorieren. „Wir müssen besser aufpassen, wo wir uns treffen.“   Draco schien ihn nicht zu hören. Seine Arme drückten schmerzhaft gegen Harrys Rippen.   „Draco!“, rief er erstickt. Schmerz und Überraschung begleiteten seinen schwachen Ausruf.   „Denkt nicht mal daran, Harry! Wir werden uns nicht trennen!“ Die Umklammerung wurde immer stärker, während Harry versuchte, sich aus ihr zu befreien.   „Natürlich nicht! Vertraust du mir nicht?“   „Nein!“ Die Antwort kam so schnell und mit einer Ernsthaftigkeit, die Harry kalt überrollte. Er hörte auf, sich zu wehren, erduldete den Schmerz von außen als ein grausames Gegenwicht zu dem, der sich in seinem Inneren bildete.   Eine warme Hand streichelte sanft seine Wange und wischte eine Träne weg, die sich aus seinen Augen gelöst hatte. Der Schmerz von außen war weg, aber alles, was Harry spürte, war Kälte, die den Platz einnahm, wo eben noch Dracos Arm gewesen war.   „Du hast ja keine Ahnung, wie es mir ging, als ich bemerkte, was ich für dich empfinde… Mir war sofort klar, dass ich alles für dich tun würde, alles in Kauf nehmen würde, wenn ich nur mit dir zusammen sein könnte.“ Der Schmerz in Dracos Stimme überraschte ihn.   Harry legte seine Hand auf Dracos, die immer noch auf seiner Wange lag, ließ ihn wissen, dass er da war.   „Und ich war davon überzeugt, dass dieses Mädchen“ – dieses Wort troff gerade so vor Verachtung – „das niemals für dich tun würde, dass sie niemals zu würdigen wissen würde, was du für sie getan hast. Sie hatte dich nicht verdient und doch hast du sie geliebt.“   ‚Und nicht mich.‘ Die unausgesprochenen Worte waren es, die Harrys Herz zusammenquetschten.   „Ich bin fast wahnsinnig geworden. Ich war so eifersüchtig auf sie, obwohl ich nicht einmal wusste, wer sie überhaupt war. Jedes Mädchen, dass dich auch nur flüchtig angesehen hat, wollte ich die Augen auskratzen. Und deine Dates hätten mich fast Amok laufen lassen. Vor allem diese Weasley-Schlampe. Wie sie sich an dich rangemacht hat. Das hat mich krank gemacht und tut es noch immer.“   Harry spürte, wie Draco hart schluckte und damit versuchte, seinen Zorn zu vertreiben. Ihm war nicht klar gewesen, dass Draco so gelitten hatte. Er hatte es immer runtergespielt und nie zugegeben, dass er eifersüchtig gewesen ist. Wie hätte Harry wissen können, dass es in Wirklichkeit so schlimm gewesen war?   „Ich konnte einfach nicht anders, als dir nah sein. Ich habe mit Freuden jedes deiner Dates vereitelt, bis keine mehr mit dir ausgehen wollte. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie dich würden berühren, dich würden küssen dürfen, während ich…“   Er ließ seine Hand von Harrys Wange gleiten und schlang sie stattdessen wieder um seinen Körper. Sanft.   Harry dreht sich in seinen Armen um, setze sich auf Dracos Schoß, die Knie links und rechts abgestützt. Er hielt Dracos Kopf zwischen seinen Händen und zwang ihn, ihn anzuschauen.   Aber Draco hatte seine Augen geschlossen, als er weiterredete. „Der Kuss, den ich dir stehlen konnte, hat mir wahrscheinlich das letzte bisschen Verstand geraubt. Ich war dir hoffnungslos verfallen. Ich begann dieses Mädchen noch mehr zu hassen, wollte unter allem Umständen rausbekommen, wer sie war. Ja, ich hätte dennoch meinen Auftrag erfüllt und sie an den Dunklen Lord verraten, auch in dem Wissen, was ich dir damit angetan hätte. Und je mehr ich versucht habe, es herauszubekommen, umso mehr hoffte ich, dass ich es niemals schaffen würde, weil ich dir das nicht antun wollte.“   Harry wollte, dass Draco ihn ansah. Vorsichtig bog er Dracos Kopf weiter nach hinten, massierte seine Schläfen in Höhe der Augen bis sie sich endlich öffneten. Dracos Adamsapfel sprang auf und ab, während er schwer schluckte. Seine Stimme zitterte etwas, als er weitersprach.   „Als ich dich dann wieder mit der kleinen Weasley-Schlampe gesehen habe, ist bei mir der Zauberstab zersprungen. Ich weiß bis heute nicht, wie ich mich davon abhalten konnten, einen Unverzeihlichen zu sprechen. In diesem Moment hätte ich sie mit Freuden tot gesehen.“   Wie hatte er das nicht bemerken können? Harry war so auf sich selbst fixiert gewesen, dass er nicht bemerkt hat, wie sehr Draco gelitten hatte. ‚Bitte verzeih mir.‘   „Wir haben uns gestritten. Es hätte mir fast das Herz zerrissen, dich so verzweifelt zu sehen. Ich konnte in dem Moment nicht anders. Ich hätte alles getan, nur damit du nicht mehr so verloren aussahst. Ich wollte dich halten, dich trösten und… Wollte deine Lippen wieder schmecken, diese Süße, die mich alles andere vergessen lässt. Ich wollte vergessen, dass nicht ich es war, den du wolltest, wollte vergessen, dass ich dich gerade so unglücklich gemacht hatte, wollte mich einen Moment der Illusion hingeben, dass du doch mir gehörst.“   Harry erinnerte sich an diesen Moment. Er hatte genauso empfunden. Diesen einen gestohlenen Augenblick, in dem er vergessen wollte, dass er Draco nicht haben konnte, dass Draco nur mit ihm spielte. Diese kurze Zeit, in der er so tun konnte, als hätte er alles, was er wollte.   „Danach kam ich gar nicht mehr klar. Ich wusste nicht, was ich denken, was ich fühlen sollte. Ich war so verzweifelt, dass ich zu Severus ging. Erst er konnte mir vor Augen führen, wozu ich zu dämlich war, um es zu sehen. Es gab kein Mädchen. Gab es nie. Ich sollte es gewesen sein? Die ganze Zeit? Ich war ich es gewesen, den du geliebt hast, für den du das alles getan hast?“   Harry fühlte sich leer. Er wollte etwas erwidern, aber Draco schüttelte leicht den Kopf.   „Ich dachte, dass wir zusammen sein können. Wir wollten doch das gleiche und doch hast du mich von dir weggestoßen. Du hast dich von mir ferngehalten, weil du mich beschützen wolltest. Ich hatte mich schon lange für dich entschieden, mit allen Konsequenzen, und du stößt mich von dir weg wegen deines dämlichen Heldenkomplexes, weil du der irrwitzigen Meinung warst, mich beschützen zu müssen.“   Dracos Blick wurde hart und verschlossen und Harry wusste, dass er das, was als nächsten kam, nicht hören wollte.   „Also nein, ich vertraue dir absolut nicht. Was sagt mir, dass du nicht wieder in einem Anfall von gryffindor’scher Dummheit auf die Idee kommst, mich verlassen zu müssen, nur, weil du mich beschützen willst? Scheiße, Harry! Ich liebe dich so sehr. Ich würde das nicht überstehen.“   Harry hielt den Atem an. Er hatte es gewusst, aber es war das erste Mal, dass Draco es gesagt hatte. Aber er konnte sich nicht darüber freuen. Es tat so weh. Draco vertraute ihm nicht. Das würde er richtigstellen müssen. Dann – und erst dann – würde er das Gefühl genießen können.   Er zog Dracos Gesicht näher zu sich und küsste ihn. Erst vorsichtig, bat um Erlaubnis. Erst als Draco den Kuss zu erwidern begann, wurde er mutiger. Seine Zunge schlüpfte durch ihre Lippen, fand die andere und begann sie zu streicheln. Er drückte sein Becken nach unten und erntete ein tiefes Stöhnen von Draco. Dieses Moment nutzte er, krallte seine Finger in Dracos Haare, zog seinen Kopf weiter nach hinten, um den Kuss noch weiter zu vertiefen.   Dracos Händen wanderten seinen Körper auf und ab, zerrten an seinen Kleidern, schlüpften unter den Stoff, bis er weiche Haut zu greifen bekam. Harry knurrte, genoss, wir Dracos elegante Finger seinen Körper streichelten und massierten.   Harry drückte ihn zu Boden, ignorierte den Schmutz und den Schutt, der um sich verteilt war. Nichts war wichtig, außer der Mann in seinen Armen.   Wie besessen fummelte Draco an ihren Hosen rum, aber Harry hielt ihn auf, schnappte sich seine Hände um pinnte sie neben seinen Kopf fest. Lustverschleierte hellgrauen Augen blickten zu ihm hinauf. Ein Hauch von Verzweiflung war in ihnen zu sehen.   „Draco.“, hauchte Harry gegen seine Lippen und genoss den Schauer, den es in Draco auslöste und durch seinen ganzen Körper jagte. „Ich bin viel zu egoistisch. Wie könnte ich dich verlassen, jetzt, da ich weiß, wie du dich anfühlst, wie du schmeckst? Ich will darauf nie wieder verzichten. Ich hätte niemals gedacht, dass es überhaupt jemals eine Chance für uns geben könnte, dass du jemals meine Gefühle erwidern könntest. Ich weiß, welches Risiko du für mich auf dich nimmst. Und dafür liebe ich dich nur noch mehr. Jetzt kämpfe ich nicht nur für dich, sondern für uns.“   ‚Zusammen schaffen wir alles.‘   Blieb nur, zu hoffen, dass Dumbledore sein Wissen für sich behielt. Kapitel 39: Zwiespalt --------------------- „Ich kann nicht glauben, dass du schon wieder einfach so verschwunden bist, ohne irgendjemanden Bescheid zu geben. Was, wenn dir etwas passiert wäre?“   Harry war erschöpft. Der Vormittag war so anstrengend gewesen, dass seine Kraftreserven aufgebraucht waren und er keine Nerven mehr besaß, sich mit Miss Ich-Weiß-Immer-Alles-Am-Besten Granger auseinanderzusetzen.   Er hatte gehofft, noch ein paar Reste vom Frühstück abzubekommen, aber Granger hielt ihn genau vor dem Eingang zur Großen Halle fest und hielt ihm mal wieder eine Standpauke. Alle, die vorbeiliefen, konnten es hören.   „Hermine!“, entgegnete er genervt. „Was glaubst du, wird hier passieren? In Hogwarts! Dass Voldemort plötzlich wie aus dem Nichts auftaucht und mich entführt?“   Normalerweise fand er es lustig, wenn alle um ihn herum bei der Erwähnung des Namens zusammenzuckten, aber heute fand er es einfach nur irritierend. Als ob Voldemort plötzlich hinter einer Rüstung hervorspringt, wenn man dreimal hintereinander laut seinen Namen sagt. Er hatte mit Sicherheit Besseres zu tun, als verängstigte Schüler zu erschrecken.   Er verdrehte die Augen und versuchte erneut, sich an Granger und seinen schaulustigen Mitschülern vorbeizuschlängeln, aber die Nervensäge hielt ihn fest.   „Harry! Ich finde, dein Verhalten absolut egoistisch. Du bist so leichtsinnig und du hast ein Talent dafür, dich in Schwierigkeiten zu bringen…“   „Ist das etwa meine Schuld?“, rief er wütend. Er hatte sich diesen ganzen Auserwählten-Mist nicht ausgesucht.   „… und ohne Ron und mich kriegst du ohnehin nichts auf die Reihe.“   Als hätte jemand einen Silencio auf sie alle gezaubert, war es schlagartig still. Granger hatte ihre Augen weit aufgerissen, als könnte sie selbst nicht glauben, was sie eben gesagt hatte.   „Ich… Ich…“ Sie schluckte hart. „Harry, es tu…“   Harry wollte diese halbherzige Entschuldigung nicht hören. Sie glaubte also, dass er ohne sie nicht zurechtkommen würde? Glaubte dieses elende Miststück wirklich, sie wäre besser als er? Er war nicht mehr der hilflose Junge, der er früher war. Er hatte gelernt und er wusste, wozu er fähig war. Dieses kleine Schlammblut könnte ihm niemals das Wasser reichen. Und brauchen tat er sie schon gar nicht. Genauso wenig wie diesen Weichling Weasley. Von ihm sollte er auch abhängig sein? Was hatte dieser Jammerlappen den jemals getan, außer ihm im Stich zu lassen, weil er neidisch auf Harry war?   „Was ist hier los?“, donnerte eine nur allzu vertraute Stimme. Severus bahnte sich den Weg durch die erstarrten Schüler, die bei der bedrohlichen Stimme ihres angsteinflößenden Lehrers schnell aus dem Weg sprangen und eilig weitergingen.   Froh über die Störung, entspannte sich Harry etwas. Sein Nervenkostüm war dünn. Einen Ausbruch vor so vielen Zeugen konnte er sich nicht leisten.   „Natürlich, das hätte ich mir auch denken können.“ Severus‘ Stimme war genauso abfällig wie sein Blick als er auf Harry fiel. „Mr. Potter! Haben Sie wieder ihren Fanclub um sich geschart? Gibt es einen besonderen Grund, dass sie den ganzen Verkehr aufhalten müssen?“   Wieder fühlte Harry sich zurückversetzt. Er hasste es, wenn Severus so mit ihm sprach. Langsam. Von oben herab. Jedes Wort betont. Nach jedem Satz eine bedeutungsschwangere Pause, als ob er zu dumm wäre, dem Gesagten zu folgen.   Harry erwiderte nichts. Er wollte Granger nicht noch mehr Angriffspunkte geben, wenn ihrem Haus seinetwegen noch Punkte abgezogen würden.   „10 Punkte Abzug von Gryffindor.“   Soviel dazu. Harry ließ den Kopf hängen. Das wurde ihm gerade etwas zu viel.   „Und Nachsitzen!“   Harrys Kopf schnellte wieder nach oben. Seine Gedanken rasten. War etwas passiert? Er suchte in den schwarzen Augen nach einer Antwort, aber sie schaute nur abschätzig auf ihn herab.   „Da das Frühstück vorbei ist, wird es Ihnen ja nichts ausmachen, mich gleich zu begleiten.“   Sein Magen protestierte lautstark, genau im richtigen Moment. Das war nicht sein Tag.   Granger mischte sich ein. „Aber Professor, Harry hat gar nich…“   Ach! Jetzt war sie plötzlich auf seiner Seite? Wollte ihn plötzlich verteidigen?   „Genug Miss Granger oder soll ich Gryffindor noch weitere Punkte abziehen?“   Ihre ganze Gestalt wurde unter dem kalten Blick kleiner. Die Drohung, Punkte zu verlieren, half bei ihr immer.   „Nun, Mr. Potter? Oder braucht unser großer Auserwählte eine Extraeinladung?“   „Nein, Professor. Ich komme.“ Mit einem letzten wütenden Funkeln zu Granger schlurfte er Severus hinterher.   Schweigend gingen sie nebeneinander her. Harry wollte fragen, was los sei, aber es waren zu viele andere Schüler unterwegs. Es waren hauptsächlich Slytherins, die nach dem Frühstück wieder in ihren Gemeinschaftsraum wollten, aber auch Hufflepuffs. Sie alle hielten großen Abstand, trotzdem wollte Harry lieber kein Risiko eingehen.   Vereinzelte Schüler kamen ihnen entgegen. Sie wichen Severus‘ eindrucksvoller Statur aus, grüßten ihn mit kaum wahrnehmbaren Worten und bedachten Harry mit einem mitleidigen Blick.   Plötzlich hörte Harry ein hohes Fauchen aus einem Gang kommen. Erschrocken drehte er sich um. Auch Severus blieb stehen. Es folgte ein lautes Poltern und ein angsterfüllter Schrei, der nur von einem Schüler stammen konnte.   Severus wollte Harry gerade zur Seite schieben, als ein kleiner Junge, ein Hufflepuff aus dem zweiten oder dritten Jahr, aus dem Gang herausgestolpert kam. Seine Augen waren schreckgeweitet. Er wäre fast mit der Wand zusammengestoßen, aber Severus schaffte es noch rechtzeitig einen Polsterungszauber zu sprechen und bewahrte den Jungen vor ernsthaften Verletzungen.   Nicht weit hinter ihm kam eine kleine Gestalt hinterhergeflitzt. Harry dachte erst, es wäre eine Ratte, aber als es direkt vor ihnen stehen blieb, erkannte er, was es wirklich war.   Eine Katze. Eine nackte Katze.   „Iih!“, kreischten die Mädchen und Harry schaffte es noch, einen Schutzschild um die Katze zu legen, bevor zwei Stupor, ein Aguamenti – was hatte sich die Hexe dabei gedacht? – und ein Rucksack geflogen kamen. Muggelgeborenen fehlte der Instinkt nach ihrem Zauberstab zu greifen und reagierten bei Bedrohung eher physisch.   Die Katze schaute sich gehetzt um und bahnte sich dann einen Weg durch die Schüler, die aufgeschreckt zur Seite sprangen.   „Was ist hier los?“ Severus hatte den kleinen Hufflepuff am Kragen gepackt und hochgezogen. Wenn Severus normal schon bedrohlich wirkte, wirkte er mit dem kalten Blick in seinen Augen mörderisch.   „I… I… Ich weiß nich… Plötzlich war da… da war… dieser Hauself… und… und… dann war da… Da war plötzlich die Katze und dann… dann… das Fell…“   Harry hielt das Gestottere nicht mehr aus, Severus glücklicherweise auch nicht.   „Für diesen Unsinn habe ich jetzt keine Zeit. Mr. Whitby, melden Sie sich bei Professor Sprout und erklären Sie den Vorfall, ich werde in Kürze folgen.“ Er ließ den Jungen – Whitby – los und rauschte wieder an Harry vorbei. Whitby wäre fast wieder zusammengesunken.   Harry beeilte sich, hinter Severus herzukommen.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   „Draco! Könntest du bitte aufhören und dich einfach hinsetzen?“   Genervt schaute Draco zu seinem Vater. Sie warteten jetzt schon eine viertel Stunde. So lang konnte das doch nicht dauern. Harry hatte in die Große Halle gewollt, um noch etwas zu Essen. Er hatte Severus dorthin geschickt. Sie sollten längst hier sein.   Seinen Vater interessierte sein innerer Tumult nicht. Er schaute ihn nur mit einer noch oben gezogenen Augenbraue an und deutete mit einem leichten Nicken auf den Sessel neben sich.   Der Kamin brannte noch und Draco ließ sich widerwillig in den Sessel fallen. Er gab es ungern zu, aber das Feuer tat gut. Die Nässe und die Kälte in den Kerkern konnten einen aufs Gemüt schlagen, nicht zu vergessen das fehlende Sonnenlicht.   Draco spürte den starren Blick seines Vaters, aber er ignorierte ihn.   Seufzend lehnte sich sein Vater etwas nach vorn. Sie waren allein und so konnten sie beide ein bisschen entspannen. „Warum bist du so nervös?“   „Ich bin nicht nervös.“, schnappte Draco zurück.   „Draco… Wenn es Probleme gibt… Wenn du mehr Zeit brauchst oder Hilfe…“   „Nein!“ Draco erschrak selbst ein wenig, wie aggressiv er geklungen hatte. „Nein.“, wiederholte er noch einmal in einem ruhigeren Ton. „Ich habe gute Fortschritte gemacht. Wenn er seine Meinung bezüglich des Zeitplans nicht geändert hat, wird auch alles planmäßig verlaufen.“   Es war nicht gelogen. Seit er Harry nicht mehr hinterher spionieren musste, hatte er viel mehr Zeit, um sich auf seine anderen Aufgaben zu konzentrieren. Bei ihren Ausflügen in die verbotene Abteilung hatte Draco einen sehr interessanten Zauberspruch gefunden, der ihn einen großen Schritt nach vorn gebracht hatte.   Das Zauberkabinett war wieder fast vollständig intakt. Sie hatten es geschafft, ein lebendes Kaninchen hindurchzuschicken. Es wirkte ein bisschen verstört, aber ansonsten unversehrt. Es würde nicht mehr lange dauern und die Todesser konnte in Hogwarts eindringen. Danach müsste Draco nur noch einen Weg finden, Dumbledore zu töten.   Das bereitete ihm noch ein wenig Sorgen. Jede indirekte Möglichkeit war fehlgeschlagen. Am Schluss würde ihm nichts weiter übrigbleiben als der Todesfluch.   Draco hatte sich damit abgefunden, dass er ihn töten musste, wollte sogar seinen Tod – nach diesem Morgen mehr als zuvor – aber war sein Wunsch wirklich stark genug, damit ihm dieser Unverzeihliche Fluch gelang? Er war sich nicht sicher. Sicher war, dass Dumbledore bis zum Ende des Schuljahres tot sein würde. Im schlimmsten Fall würde ein anderer Todesser diese Aufgabe übernehmen.   Das wäre nicht die beste Lösung und der Dunkle Lord wäre damit sicherlich nicht zufrieden. Scheitern kam also nicht infrage.   „Was beschäftigt dich dann?“, unterbrach Dracos Vater seinen Gedankengang.   Es hatte keinen Sinn. Sein Vater würde keine Ruhe geben, bis die Harry und Severus hier waren. Noch konnte er keinen von beiden wahrnehmen. Er meinte es gut. Wie viel konnte er von seinem Inneren preisgeben ohne sich zu verraten?   „Es ist nur ungewohnt. Potter musste noch nie mit zu unserem Familientreffen.“   Sein Vater lachte leise. „Und wie viele Familientreffen gab es, seit Potter sich uns angeschlossen hat?“   Das war erst das dritte. „Bei Salazar, es kommt mir schon wie eine Ewigkeit vor.“ Draco ließ sich tiefer in den Sessel sinken. Nicht sehr elegant, aber wer sollte ihn verurteilen? Seine Mutter war nicht hier.   Ach ja! „Wie geht es Mutter?“   Der eisige Blick reichte aus, um ihm zu sagen, dass diese Frage nicht die geeignetste gewesen war, um das Thema zu wechseln.   „Ich bekomme sie kaum zu Gesicht. Sie treibt sich auf irgendwelchen Veranstaltungen rum, um unseren guten Ruf wiederherzustellen, wie sie es nennt. Ich kann nicht behaupten, dass ich sie vermisse.“   „Vielleicht solltest du auch häufiger ausgehen. Das Haus muss dir doch erdrückend vorkommen mit keiner weiteren Gesellschaft als einem Hauself.“   „Tut es nicht. Ich bin ohnehin selten in unserem Anwesen. Es gibt momentan viel zu tun. Mit Mr. Potter an unserer Seite gibt es einige Veränderungen, die zu bedenken sind.“   Das war ein sehr kurzer Themenwechsel gewesen. Sie beide wollten nicht über das jeweils andere Thema reden. Wann war es so schwer geworden, sich mit seinem Vater zu unterhalten? ‚Seit ich etwas vor ihm zu verbergen habe.‘   „Ich freue mich zu sehen, dass ihr euch so gut versteht.“ Ein lauernder Blick hatte sich auf die Züge seines Vaters gelegt.   Das kam unerwartet. Draco zog skeptisch fragend eine Augenbraue nach oben. Es war glaubhafter als würde er fragen, wie sein Vater darauf gekommen war oder als würde er versuchen, die Behauptung abzustreiten.   Es funktionierte. „Schon gut.“ Sein Vater lachte. Es war nur leicht, aber unbeschwert. So hatte er ihn schon lange nicht mehr lachen hören. Die Veränderungen schienen allen gut zu tun. „Immerhin verflucht ihr euch beide nicht regelmäßig.“   „Machst du dir keine Sorgen?“ Auch wenn Draco froh war, dass es seinem Vater derzeit so gut ging, sollte die Zukunft nicht außer Acht gelassen werden.   „Worüber?“ Erwartungsvoll schaute er Draco an. Er hatte wirklich keine Ahnung, wovon Draco sprach.   „Potter.“   Draco bekam keine Antwort. Das machte ihn nervös. Er wollte keine Unruhe stiften und einen Keil zwischen die beiden Zauberer treiben, die ihm am wichtigsten waren, aber er musste seinen Vater zwingen darüber nachzudenken. Harry würde niemals absichtlich, ihm seinen Platz wegnehmen, in dem Punkt vertraute er Harry vollkommen, aber wenn er Dunkle Lord anders entschied, hätte keiner von ihnen irgendein Mitspracherecht.   „Der Dunkle Lord hat eindeutig gesagt, dass er an seiner Seite stehen wird.“ Es war bei ihrem Treffen in Hogsmeade gewesen. Es war etwas überraschend gekommen und dann… auch wieder nicht. Wer sonst, wenn nicht Harry Potter?   Harrys Magieausbruch am Morgen war unbeschreiblich gewesen. Draco hatte noch nie etwas so Schönes und Schauriges zugleich erlebt. Er hatte große Mühe gehabt, diesen Ansturm entgegenzukommen. Länger hätte er nicht mehr durchgehalten. Draco hatte es vor Harry etwas heruntergespielt, damit er sich nicht noch weitere Sorgen machte, aber es war unglaublich gewesen. Wenn jemand dem dunkelsten Zauberer aller Zeiten ebenbürtig war, dann war er es. Der Auserwählte nach wie vor.   „Du befürchtest, dass er mir meinen Posten wegnimmt?“ Das klang etwas zu unbesorgt für Dracos Geschmack.   „Ja, du nicht?“   „Nein. Mr. Potter ist ohne Zweifel ein mächtiger Verbündeter. Wenn der Krieg beginnt und er sich offen zu uns bekennt, werden Dumbledores Anhänger sehr schnell ihren Glauben verlieren. Ihr Maskottchen ist übergelaufen. Ein Tiefschlag für die Moral und das Vertrauen in ihren Anführer – auch wenn Dumbledore sich selbst nicht als solchen bezeichnet. Wäre er es nicht, hätten wir keinen Widerstand.“   Ein Grund mehr, vorsichtig zu sein.   „Allerdings kommt Mr. Potter dann frisch aus der Schule. Er ist ein Halbblut, aber bei Muggeln aufgewachsen. Er hat keine Ahnung von der Maschinerie im Zaubereiministerium, hat keinen Einblick in unsere Politik und Justiz, nicht so wie er es müsste, um in diesem Bereich ein wertvoller Verbündeter zu sein. Es ist schwer zu erlernen, wenn man nicht damit aufgewachsen ist. Es ist nicht einmal sicher, ob er überhaupt Interesse daran hätte. Natürlich hat er verlangt, an der Seite den Dunklen Lords zu stehen und unser Lord hat dem zugestimmt, aber ich bin mir sicher, dass das nur dem Zweck diente, kein willenloser Anhänger zu werden. Er kennt seinen Wert.“   Da war was Wahres dran. Harry gewann Geschmack an Machtspielchen, aber Politik war ihm weitestgehend egal. Es gab andere Möglichkeiten, um Macht zu demonstrieren und auszuüben. Harry war gut darin. Fast so gut wie der Dunkle Lord selbst, wenn er den Geschichten seines Großvaters glauben schenken konnte. Nein, Harry würde sich niemals mit politischen Dingen auseinandersetzen, wenn er sich anders austoben konnte.   „Nein, ich mache mir keine Sorgen. Mr. Potter wird zweifellos Aufgaben bekommen, die seinen Fähigkeiten entsprechen und ich werde unserem Lord weiterhin mit meinen Fertigkeiten von Nutzen sein.“   Also hatte er sich doch schon Gedanken dazu gemacht, sie vielleicht sogar schon mit dem Dunklen Lord diskutiert. Dracos Sorgen waren unbegründet. Erleichterung breitete sich in ihm aus. Es würde kein böses Blut zwischen seinem Vater und Harry geben.   Nur wenige Augenblicke später öffnete sich sie Tür. Severus und Harry waren endlich da.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Harry schaute sich mit großen Augen um. Es war das erste Mal, dass er auf dem Anwesen der Malfoys war. Er war gleich hinter Malfoy aus dem Kamin gestolpert und Draco musste ihn auffangen, damit er nicht umfiel. Wenigstens war ihm nicht schwindlig. Er war nur ein wenig desorientiert.   Der hohe Empfangsaal wurde von Sonnenlicht durchflutet. Der Raum war von riesigen Fenstern gesäumt, aber Harry konnte keine Kerzen oder Kandelaber entdecken. Es gab mehrere kleine Sitzgruppen, alle in grün und schwarz gehalten. Das Wappen der Familie Malfoy hing rechts und links vom Kamin und auch an dem einzigen Ausgang des Saals zu beiden Seiten. Es war ebenfalls in schwarz, grün und silbern gehalten. Es hatte Ähnlichkeit mit dem von Salazar Slytherin, aber außer Schlangen waren noch Drachen darauf zu erkennen.   Sanctimonia Vincet Semper war in einer elegant verschnörkelten Schrift über den Kamin geschrieben. Auch hier waren zwischen den Worten Drachen und Schlangen zu erkennen.   „Reinheit wird immer siegen.“, flüsterte Draco ihm ins Ohr.   „Was?“ Harry trat ein Schritt von Draco weg. Es war schwer, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn Dracos Nähe beeinflusste.   „Das bedeutet das.“ Draco deutete auf die lateinische Inschrift. „Es ist das Familiencredo der Malfoys.“   „Etwas überholt, wenn du mich fragst.“, entgegnete Harry trocken.   Draco ließ für einen Moment seine Maske fallen und lächelte Harry vielsagend an. So viele Versprechungen lagen in diesem Blick, dass Harrys Knie erneut den Dienst verweigern wollten.   „Ich werde Bescheid geben, dass ihr da seid. Ich würde Draco bitten, Ihnen das Haus zu zeigen, Mr. Potter, aber ich weiß nicht, wie lange es dauert und wir sollten den Dunklen Lord nicht noch länger warten lassen.“   „Natürlich.“ Beide nickten, ihren Masken waren wieder an Ort und Stelle.   Lucius Malfoy verschwand durch den Eingangsbereich.   „Ist Voldemort hier?“, fragte Harry verwirrt.   Draco lachte. „Nein. Aber wir benutzen ausschließlich den Kamin in Vaters Arbeitszimmer, um zu ihm zu gelangen. Alte Angewohnheiten.“ Schulterzuckend ging er zu der Sitzgruppe, die dem Durchgang am nächsten war.   Harry folgte ihm. Ihre Schritte wurden von schweren Teppichen geschluckt. Auch sie waren grün. Silberfäden waren mit hineingewebt, die einem immer dann ins Auge fielen, wenn man nicht hinsah.   Die Sessel waren sehr gemütlich. Wäre die Situation eine andere, würde es ihn nicht stören, falls er länger warten müsste. Aber Harry wusste immer noch nicht, warum er überhaupt hier war. Malfoy hatte ihm auch nichts erzählen können. Er hatte nur gemeint, dass Voldemort ihn aufgehalten hatte, als er gerade loswollte und er den Auftrag bekommen hatte, Harry mitzubringen. Keine Erklärung. Nachgefragt hatte er selbstverständlich nicht. Nur ein Narr würde die Befehle des Dunklen Lord hinterfragen – nur Harry.   „Dipsy!“, rief Draco und sofort stand eine kleine Hauselfe vor ihnen, die sich tief vor Draco verbeugte.   „Meister hat Dispy gerufen? Was kann Dipsy für Meister tun?“ Sie hüpfte aufgeregt auf und ab, aber nicht aus Angst, sondern als ob sie sich wirklich freute, einen Auftrag zu bekommen. Sie war noch jung und freute sich, einer Familie dienen zu können.   Wenn Harry daran dachte, was Dobby ihm früher erzählt hatte, hätte man wirklich davon ausgehen können, dass die Malfoys ihre Hauselfen wie Dreck behandelten. Vielleicht hatte es einfach nicht gepasst. Jetzt kamen zumindest Draco und Dobby gut miteinander aus.   „Bring uns eine Flasche Elfenwein. Einen guten.“ Draco sagte nicht bitte, aber sein Ton war freundlich.   Die Augen der kleinen Elfe begannen zu leuchten. „Jawohl, Meister. Dipsy ist sofort wieder da.“   „Wein? Um diese Uhrzeit?“, fragte Harry skeptisch. Er hatte noch nichts gegessen und sich von seinem Magieausbruch noch nicht ganz erholt.   „Wir wollen uns ja nicht betrinken. Und ich hatte dir Elfenwein versprochen, wenn du mich besuchen kommst.“ Dracos Stimme und Gesicht waren ausdruckslos, aber es fiel Harry leicht, sich den herausfordernden, leicht lasziven Blick vorzustellen. Er wusste, dass Harry nicht nein sagen würde und sei es nur, um seine Nerven etwas zu beruhigen. Ein Glas würde nicht schaden.   Die kleine Hauselfe tauchte wieder auf, mit ihr eine hellblaue Flasche und zwei Weingläser auf einem Tablett, das sie lautlos auf den Tisch abstellte.   „Kann Dispy sonst noch was für Meister tun?“ Sie wackelte mit dem Kopf hin und her, ließ ihre großen Ohren hoch und runter schlackern.   „Nein, ich rufe dich, wenn ich noch etwas benötige.“   Sie verbeugte sich noch einmal tief und war dann mit einem leisen Plopp wieder verschwunden.   Draco schenkte ihnen ein. Harry nahm das Glas entgegen und betrachtete skeptisch die blaue Flüssigkeit. Über den Rand hinweg konnte er erkennen, wie Draco einen Schluck nahm und genüsslich die Augen schloss.   ‚Bastard!‘ Das hatte er mit Absicht gemacht! Harry würde viel lieber den Wein von Dracos Lippen kosten, mit seiner Zunge die weichen Lippen nachzeichnen, dabei die letzten Tropfen einfangen und wenn er alles aufgeleckt hatte, in den heißen Mund eintauchen, um gierig die Mischung aus gutem Elfenwein und Draco zu kosten.   „Er ist nicht vergiftet.“ Draco hatte sein Glas bereits zur Hälfte gelehrt. „Und wirklich gut.“   Vorsichtig nahm Harry einen Schluck. Er behielt ihn einen Moment lang im Mund, bevor er ihn hinunterschluckte. Die Süße von reifen Beeren breitete sich in seinem ganzen Mund aus, begleitet von einem leicht rauchigen Aroma. Wie weicher Samt glitt er seine Kehle hinab. Das war völlig anders, als der kratzige Feuerwhisky.   „Ich wusste, dass er dir schmecken würde.“ Draco lächelte ihn an.   „Ja, er ist wirklich sehr gut. Daran könnte ich mich gewöhnen.“ Wie perfekt würde er schmecken, wenn er ihn von Dracos Körper lecken könnte.   Als ob Draco seine Gedanken gelesen hätte, begann er anzüglich zu grinsen. „Dann wirst du öfter herkommen müssen. Wir haben noch ganz viele andere Sorten – bessere – die du unbedingt probieren musst.“   „Diese Einladung nehme ich nur allzu gern an.“ Harry nahm einen weiteren Schluck. Er schmeckte wirklich gut.   Es war leicht, sich vorzustellen, dass sie ein ganz normales Paar waren, das nach einem anstrengenden Tag den Abend gemeinsam vorm Kamin verbrachte und bei einer guten Flasche Elfenwein die Erlebnisse des Tages austauschten. Das war etwas, von dem Harry immer geträumt, aber nicht geglaubt hatte, dass es ihm wirklich passieren könnte.   Aber das tat es ja auch nicht. Nicht wirklich. Vielleicht in weiter Zukunft, aber nicht jetzt. Sie waren aus einem anderen Grund hier und der Wein hatte einzig den Zweck, ihn ein bisschen von seinen Gedanken und Sorgen abzulenken. Draco kannte ihn gut.   „Machst du dir keine Sorgen?“, hörte er sich fragen.   „Nein.“ Ein Schmunzeln legte sich auf Dracos Züge, das Harry sich nicht erklären konnte. „Ich habe große Fortschritte gemacht und wenn alles Weitere wie geplant läuft, wird alles rechtzeitig erledigt sein.“   Harry war überrascht. Er hatte nicht wieder nach Dracos Aufgaben gefragt, weil er ihm eindeutig zu verstehen gegeben hatte, dass er Harrys Hilfe nicht wollte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Draco schon so weit war. Andererseits war es nun mal Draco, sein ungekrönter Slytherin-Prinz. Es sollte ihn nicht überraschen.   „Malfoy! Der Meister ist bereit, dich zu empfangen.“ Diese schleimige Stimme ließ Harry das Blut in den Adern gefrieren.   Wurmschwanz schaute arrogant auf Draco hinab. In seiner Haltung war nichts von der unterwürfigen, vor Angst schlotternden Ratte zu sehen, die er vor Voldemort war. Kein Respekt, keine Furcht. Er fühlte sich überlegen vor minderjährigen Zauberern und kostete das kleine bisschen Überlegenheit aus, soweit es möglich war. Harry würde es ihn bereuen lassen, sobald er seinen Zauberstab frei benutzen konnte.   Falls Draco sich von Wurmschwanz‘ Art angegriffen oder beleidigt fühlte, ließ er es sich nicht anmerken. Elegant stand er auf, stellte sein Glas lautlos auf dem Tisch und begab sich zum Ausgang, ohne die Ratte weiter zu beachten. Im Durchgang blieb er kurz stehen und drehte sich zu Harry um.   „Schenk dir ruhig noch mal nach, aber pass auf, dass du nichts verschüttest. Wir wollen ja keine Nagetiere anlocken.“ Kapitel 40: Treffende Halbwahrheiten ------------------------------------ Sobald Draco durch den Kamin das Anwesen des Dunklen Lords betreten hatte, umfing ihn eine düstere Aura. Schwarze Magie durchzog jeden Stein, jeden Gegenstand, sogar die Luft und ließ ihn einen Moment benommen taumeln. So war es jedes Mal, wenn er diesen Ort betrat. Aber nur für einen winzigen Augenblick. Lag es daran, dass er einen Moment brauchte, um sich an die finstere Aura zu gewöhnen oder war ein Zauber involviert, der prüfte, ob er zum Eintritt berechtigt war? Er wusste es nicht, wagte aber auch nicht zu fragen. Nur selten hatte er die Courage, nach Informationen zu fragen, die der Dunkle Lord nicht von selbst preisgab.   Angst und Respekt hielten ihn zurück. Früher hatte die Angst überwogen, nun war es der Respekt. Draco hatte immer noch Angst, in gewisser Weise mehr als früher. Jetzt hatte er um jemanden Angst. Und diese Angst war größer als die, die er um seine Familie – um seinen Vater – oder um sich selbst gehabt hatte.   In der Zwischenzeit wusste er, dass er sich um seinen Vater keine Sorgen machen musste. Selbst die letzten Zweifel waren durch ihr letztes Gespräch beseitigt worden.   Um sich selbst hatte er keine Angst mehr, seit er wusste, dass Harry die Seiten gewechselt hatte. Vielleicht nicht sofort, aber je mehr er durch Harrys Entscheidung seine eigenen Zweifel beiseitegeschoben hatte, desto selbstsicherer wurde er. Sein überlegenes Auftreten hinsichtlich seiner Rolle beim Dunklen Lord war nicht nur gespielt, nicht nur eine Fassade, hinter der sich ein ängstlicher Junge versteckte, der durch all die Geschehnisse um ihn herum verunsichert wurde.   Harry hatte ihn in so vieler Hinsicht gestärkt, dass seine Sorgen hinsichtlich seiner Aufgaben als Todesser in den Hintergrund gerückt waren. Er hatte so schnell eine so wichtige Rolle in Dracos Leben eingenommen, dass es schon beinahe unheimlich war. Und doch würde er es gegen Nichts eintauschen.   Ein beklemmendes Gefühl breitete sich in Dracos Inneren aus, wenn er an Harrys Ausbruch am Morgen dachte – genauer gesagt an das, was ihn ausgelöst hatte. Dumbledore hatte unrecht. Es würde ihm schwerfallen und sein Gewissen würde ihn bis zum Ende seines Lebens plagen, aber wenn er sich entscheiden müsste, würde er Harry wählen. Zum Glück sah es nicht danach aus, als würde es jemals dazu kommen. Besser er behielt diese Gedanken für sich.   „Komm her, Draco.“ Der Dunkle Lord befand sich außerhalb seiner geistigen Wahrnehmung und trotzdem klangen die Worte so nah, als stünde er direkt neben ihm. Wie eine Schlange, geschmeidig, elegant und doch beängstigend durch ihre ureigene Natur glitt die Stimme über ihn hinweg, verursachte einen unangenehmen Schauer.   Sofort setzte er sich in Bewegung. Bei seiner ersten Begegnung und auch in vielen danach hatte er gewankt. Sein ganzer Körper hatte gezittert, weil er befürchtete, jeden Moment einfach so den Cruciatus-Fluch zu spüren. Viel Zeit war notwendig, um zu lernen, dass der Dunkle Lord grausam war und unnötig brutal, wenn er mit jemanden unzufrieden war, aber man nichts zu befürchten hatte, wenn man ihn nicht enttäuschte.   Draco hatte bisher erst einmal erlebt, dass jemand ohne eigenes Verschulden gefoltert worden war. Rodolphus, der Ehemann seiner Tante Bellatrix, war das unglückliche Opfer vor einigen Wochen gewesen. Was hatte Harry dem Dunklen Lord erzählt, dass er so die Kontrolle über sich verloren hatte? Wollte er es überhaupt wissen?   Abgesehen von diesem einen Moment gab es aber nichts, was ihn an seinem Herrn zweifeln ließ. Er hatte Recht in seinen Ansichten und Draco sah die Notwendigkeit der Maßnahmen, die der Dunkle Lord ergreifen wollte, so brutal sie auch sein mögen. Sie würden einen blutigen Weg bestreiten. Das ließ sich nicht vermeiden.   Die Zaubererschaft war selbst daran schuld. Sie hatten ihre Schulen für die Schlammblüter geöffnet und ihnen dadurch den Weg in ihre Gesellschaft geebnet. Verbindungen entstanden, verunreinigten ihr Blut, das die so verzweifelt zu schützen versucht hatten.   Draco war weder fanatisch noch blind. Er wusste, dass es keinen Weg gab, dass sie sich nicht mit den Muggelgeborenen verbanden. Es gab zu viel Inzest in der Zaubererwelt. Es machte ihr Blut nicht dünn, aber schwach. Es machte sie schwach, wenn es immer mehr Squibs in ihren Reihen gab und dafür mehr und mehr Schlammblüter, um die entstanden Lücken zu füllen.   Sie brauchten sie. Aber das gab diesem Gewürm noch lange nicht das Recht, sich mit ihnen auf eine Stufe stellen zu wollen. Warum sollten sie mit ihnen Magie lernen dürfen? Es führte nur dazu, dass sie sich gleichberechtigt fühlten. Über die Jahre hinweg hatten sie immer mehr und mehr gefordert, arbeiteten sogar im Ministerium, hatten immer höhere Posten inne und veränderten ihre Gesellschaft von innen heraus.   Granger war das beste Beispiel. Sie bildete sich sonst etwas ein, weil sie gute Noten hatte. Sie verstand nicht, dass Auswendiglernen nichts an ihrem magischen Potential änderte. An den meisten Zaubersprüchen, die Harry und er in den letzten Wochen gemeistert hatten, würde sie scheitern, selbst wenn sie es ihr Leben lang versuchte.   Es war kein Geheimnis, dass dieses wertlose Schlammblut später im Ministerium arbeiten wollte. Schon jetzt versuchte sie, Einfluss auf ihre Lebensweise zu nehmen und versuchte den Hauselfen einzureden, dass sie frei sein und Lohn für ihre Arbeit bekommen sollten. Es interessierte sie nicht, dass sie schon immer so gelebt hatten oder dass die Hauselfen gar nicht befreit sein wollten. Sie lebten, um den Hexen und Zauberern zu dienen. Natürlich gab es viele Zaubererfamilien, die das ausnutzen und ihre Hauselfen wirklich so behandelten, wie Dobby es von seiner Familie behauptet hatte. Auch Draco sah ein, dass man dagegen vorgehen sollte. Freiwillige Sklaven oder nicht, es waren Lebewesen. Aber darum sollte sich die zuständige Abteilung zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe kümmern und nicht ein dahergelaufenes Schlammblut sie zwangsbefreien.   Sie verstand es einfach nicht. Die Freiheit bedeutete für Elfen eine viel zu große Schande.   Aber so blind waren die meisten Muggelgeborenen. Aufgewachsen in einer magiefreien Welt war es ihnen nicht möglich, ihre Art zu leben zu begreifen und wie ihre Muggelverwandten zerstörten sie alles, was sie nicht verstanden.   Granger gehörte zu der schlimmsten Sorte, gerade weil sie dachte, sie wäre so brillant. Sie würde immer höher klettern wollen und hatte mit Sicherheit den Posten als Zaubereiministerin im Kopf. Sie würde sich so toll dabei vorkommen, so überlegen. Ein Meilenstein in der Geschichte der Zaubererwelt.   Nun, nicht wirklich.   Sie wäre nicht die erste weibliche Ministerin. Diese Ehre kam Artemisia Lufkin zuteil, die von 1798 bis 1811 das Zaubereiministerium führte und von der es sogar eine Schokofroschkarte gab.   Granger wäre nicht mal das erste Schlammblut in diesem Amt. Auch diesen Skandal hatten sie bereits hinter sich gebracht. Nobby Leach legte nach sieben Jahren sein Amt 1968 wegen an einer mysteriösen Krankheit nieder, für die Dracos Großvater Abraxas verantwortlich gewesen sein soll.   Viel zu spät. Zu viele Reinblüter waren aus Protest von ihren öffentlichen Ämtern zurückgetreten, was die Situation nur verschlimmert hatte.   Draco würde alles in seiner Macht Stehende tun, um zu verhindern, dass sich so etwas wiederholte. Der Dunkle Lord würde die Macht an sich reißen und diese widerlichen Schlammblüter samt den muggelliebenden Blutsverrätern unter seinen Zauberstab zermalmen.   Sie würden lernen, wo ihr Platz war, Magie nur unter strenger Aufsicht ausführen und das mit starken Beschränkungen. Sie würden jede Verbindung zu ihren Muggelverwandten abreißen und sich ihrer Art zu leben völlig hingeben. Wenn sie das taten und sich loyal verhielten, dann könnten sie unter ihnen leben, sogar Familien gründen.   Die aus diesen Verbindungen entstandenen Kinder – Halbblüter – könnten es wert sein, wieder völlig in ihre Gesellschaft integriert zu werden. Frisches, magisches Blut, das sie stärken würde. Sie müssten sich beweisen, aber wie man an Severus und vor allem an Harry sah, konnten sie sehr mächtig sein und sogar Reinblüter überflügeln.   „Mein Herr.“ Draco war am Fuße des Thrones angekommen. Er kniete sich sofort unterwürfig nieder, den Kopf und die Augen gesenkt. Sein Vater stand linkerhand zum Thron. Sein neuer Platz, wie Draco vermutete. Harry würde bald zu seiner Rechten stehen und Draco zu Harrys Rechten, wenn alles gut verlief.   „Erhebe dich.“   Langsam stand Draco wieder auf. Seine Augen hielt er bis zum letzten Moment gesenkt. Severus hatte ihm versichert, dass er sich keine Sorgen machen müsste. Wenn er alles anwendete, was sie die letzten Wochen geübt hatten, würde kein verräterischer Gedanke seinen Geist verlassen. Gegen ein gewaltsames Eindringen hätte er keine Chance, dafür war der Dunkle Lord viel zu mächtig, aber wenn er ihn keinen Anlass dazu gab, bräuchte er nichts zu befürchten.   Er hatte nichts zu verbergen.   „Erzähle mir, Draco, was gibt es Neues in Hogwarts? Wie kommst du mit deinen Aufgaben voran?“ Es waren jedes Mal die gleichen Fragen. Immer wieder, Wort für Wort. Sie klangen gelangweilt und der Dunkle Lord sah Draco nicht einmal an.   Schon daran gewöhnt, erzählte Draco von seinen Fortschritten und seinen Plan bezüglich Dumbledore. „Es sollte nicht zu schwierig werden, den richtigen Zeitpunkt zu ermitteln. Der Schulleiter ist die meiste Zeit nicht im Schloss. Wir können mehrere Todesser einschleusen und dann in Ruhe auf ihn warten, auch mehrere Tage, wenn es sein muss.“ Dobby würde sie mit allem Notwendigen versorgen.   Er hatte nichts zu verbergen.   „Sehr gut.“ Scharlachrote Augen blitzten auf und plötzlich war die komplette Aufmerksamkeit des Dunklen Lords auf ihn gerichtet. „Ich muss zugeben, ich habe dich unterschätzt. Als ich dir die Aufgaben gegeben hatte, habe ich damit gerechnet, dass du scheiterst und habe auf den Tag gewartet, an dem du winselnd vor mir kniest und um Gnade bettelst.“   Er hatte nichts zu verbergen.   Draco schluckte hart. Er kannte diese Vorstellung nur zu gut. Nacht für Nacht hatten ihn genau diese Bilder verfolgt.   „Aber ich bin sehr zufrieden, wie sich alles entwickelt hat. Meine Erwartungen wurden übertroffen und ich habe einen weiteren Verbündeten in meinen Reihen.“   Das kam unerwartet, aber es dauerte nur einen Bruchteil einer Sekunde, bis Draco realisierte, dass damit nicht er gemeint war. Er war ersetzbar. Seinen Wert würde er noch beweisen müssen.   Er hatte nichts zu verbergen.   Draco fühlte sich wie ein Kaninchen. Der Dunkle Lord beobachtete ihn. Seine Pupillen hatten sich zu Schlitzen verengt, ließen das Rot in seinen Augen noch stärker hervortreten, wirkten noch bedrohlicher. Sie waren völlig auf ihn fixiert, warteten auf die kleinste Regung, um zuzuschlagen. Die große Schlange und ihre kleine Beute.   Er hatte nichts zu verbergen.   Er spürte einen Druck in seinem Kopf, der stetig zunahm. Panik wollte sich in ihm ausbreiten, aber er zwang sich zur Ruhe.   Er hatte nichts zu verbergen.   Es ging nicht um den Dunklen Lord. Er war nicht der Grund dafür, dass er Okklumentik gelernt hatte.   Er hatte nichts zu verbergen.   Erst wenn du deine eigene Lüge glaubst, kannst du andere von ihr überzeugen.   „Was ist das?“ Die Stimme klang scharf, die Worte mehr gezischt als gesprochen. Draco konnte nicht heraushören, ob er verärgert war oder einfach nur überrascht. „Sieht aus, als ob die kleine Schlange etwas zu verbergen hat.“   Dracos Vater, der bis eben scheinbar teilnahmslos danebengestanden hatte, bewegte sich leicht nach vorn, die Verwirrung spiegelte sich deutlich in seinem Gesicht wider. Dennoch sagte er kein Wort.   „Ich frage mich, was das wohl sein könnte.“ Der Dunkle Lord stand auf und ging langsam auf Draco zu. Seine Roben schliffen beinahe lautlos über den Boden. Das Geräusch erinnerte zu sehr an viele kleine Schlangen, die sich umeinanderschlangen. Draco war sich nicht sicher, ob sein Herr nicht welche unter seinen Umhang verborgen hielt. Bereit zuzuschlagen.   Trotzdem wich er nicht zurück. Er hatte nichts zu verbergen.   „Es gibt nichts, mein Herr. Ich habe Okklumentik gelernt, um mich vor Dumbledore zu schützen.“ Es war nicht wirklich eine Lüge. Nur nicht die ganze Wahrheit.   „Ist das so?“ Draco war nicht klein und trotzdem musste er seinen Kopf nach oben neigen, um dem Dunklen Lord weiter in die Augen sehen zu können.   Er hatte nichts zu verbergen.   Lange, spinnenbeinartige Finger griffen nach seinem Kiefer, hielten seinen Kopf schmerzhaft an Ort und Stelle. Der Druck in seinem Kopf verstärkte sich, war aber noch nicht gewaltsam genug um seine Barrieren zu durchbrechen. „Und wer hat dich die Hohe Kunst der Okklumentik gelehrt?“   „Professor Snape, mein Herr.“ Er schaffte es, seine Stimme ruhig und eben zu halten. Lass keine Zweifel aufkommen!   Er hatte nichts zu verbergen.   „So, so. Severus also.“ Plötzlich ließ er von ihm ab. Der Schmerz und der Druck verschwanden und der Dunkle Lord ging zurück zu seinem Thron, setzte sich hin als wäre nie etwas gewesen.   Dracos Vater entspannte sich, was dem Dunklen Lord nicht verborgen blieb. „Was ist los, Lucius? Hast du dir Sorgen um deinen Sprössling gemacht? Gibt es etwas, was mich an ihm zweifeln lassen könnte?“   „Nein, mein Herr.“, brachte er halb erstickt hervor.   „Natürlich nicht.“, erwiderte Voldemort. Seine Stimme klang… gelangweilt?   Draco konnte nicht anders und sich fragen, wie wohl sein Vater wählen würde, wenn er sich zwischen seinem Lord und seinem Sohn entscheiden müsste. Er würde es ihm nicht übelnehmen, wenn er sich für seinen Herrn entschied, wollte die Antwort aber nicht wirklich wissen.   Der Dunkle Lord schien mit der Antwort zufrieden zu sein, denn seine Aufmerksamkeit war wieder völlig auf Draco gerichtet. „Muss ich mit bezüglich deiner Loyalität Sorgen machen?“   „Niemals, mein Herr.“   Der Dunkle Lord grinste. Wie immer war der Anblick unheimlich und bis ins Mark erschütternd. Sein Großvater hatte erzählt, wie attraktiv der Dunkle Lord in seiner Jungend gewesen sein soll. Ein Blick auf die weiße, beschuppte Haut, die fehlenden Haare und Nase, die viel zu vielen Zähne in dem grinsenden Gesicht und Draco bezweifelte, dass er überhaupt jemals menschlich gewesen war.   „Gut. Sieh zu, dass es so bleibt. Missgeschicke können verziehen werden,“ Er drehte den Kopf leicht zu Dracos Vater. „Versagen wiedergutgemacht,“ Sein Kopf schnellte zurück. Nie hatte er mehr an eine Schlange erinnert als in diesem Augenblick. „aber Verrat wird niemals toleriert werden.“ Die Botschaft war unmissverständlich: verrate mich und du bist tot. ~Ahscha seh sahlesch.~   Ein Schauer ging durch Draco. Auch ohne die Worte zu verstehen, verfehlten sie ihren Zweck nicht. Eine letzte Warnung. Dann war es vorbei.   „Das Schuljahr ist fast vorbei. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, wird Dumbledore tot sein.“   „Jawohl, mein Herr.“ Er ließ sich wieder auf die Knie fallen. Der Dunkle Lord hatte sich bereits abgewendet und sprach mit sprach mit seinem Vater.   Nur kurz nickte er seinem Sohn zu, aber seine Augen verrieten, dass sie noch mal darüber sprechen würden. Nicht, dass Draco ihm etwas erzählen würde.   Er hatte so viel zu verbergen.   Aber er hatte es geschafft. Er hatte das Treffen überstanden. Er lebte noch, war nicht gefangen und Harry nicht in Gefahr. Trotz allem ein guter Tag.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   ~Harry!~   ~Mein Lord.~ Mit langsamen, aber festen Schritten ging Harry auf den Thron zu.   Voldemort erhob sich mit einer Art bizarren Eleganz, die nur auf seine körperlichen Veränderungen zurückzuführen war. Würde jeder Zauberer sich so verändern, wenn er zu oft seine Seele spaltete oder war dieses Äußere nur dieser Familie vorbehalten, die über Generationen hinweg eine eigenartige Verbindung zu Schlangen hatte?   Wer würde es wagen, diese Theorie zu testen?   Er kam Harry entgegen. Malfoy blieb unbeeindruckt neben dem Thron stehen. Es war beachtlich, dass er keine Miene verzog, wenn sein Herr Parsel sprach. Normalerweise würde es die gleichen Reaktionen hervorrufen wie beim Aussprechen seines Namens. Beides war so tief mit der Angst vor Schwarzer Magie verwoben, mit dem Versprechen von Schmerz und Tod.   „Lucius, du kannst gehen. Ich brauche dich vorerst nicht mehr. Aber bleib in der Nähe.“ Sein Blick war die ganze Zeit auf Harry gerichtet.   „Jawohl, mein Herr.“ Obwohl Voldemort es unmöglich sehen konnte, ließ sich Malfoy demütig auf die Knie fallen, bevor er durch eine der vielen Türen verschwand.   Harry sah ihm kurz nach und fragte sich, wohin er ging. Er war nur wenige Male hier gewesen und hatte noch so wenig von dem Anwesen gesehen. Die Magie des Ortes hieß ihn willkommen, ähnlich wie ihn Hogwarts. Hoffentlich würde er in naher Zukunft die Gelegenheit bekommen, sich hier ein bisschen genauer umzusehen.   „Schön, dass du es einrichten konntest und meiner Einladung so kurzfristig gefolgt bist.“ Voldemort blieb genau vor Harry stehen, so nah, dass es für Harry kaum möglich war, seinen Kopf zu neigen, ohne gegen seine Brust zu stoßen. Als ob seine Erscheinung und imposante Statur nicht schon einschüchternd genug wirkte, nicht zu vergessen, die zu Schlitzen geformten scharlachroten Augen.   „Ich war mir nicht bewusst, dass ich eine Wahl hatte.“, entgegnete Harry. Er widerstand dem Drang, einen Schritt zurückzugehen und hielt Voldemorts Blick stand.   „Oh! Aber man immer eine Wahl. Man muss sich nur der Konsequenzen im Klaren sein.“ Voldemort bleckte seine Zähne. Keine Emotionen spiegelte sich in seinen Augen wider, was die Situation noch unheimlicher machte.   Harry wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Er war zu müde, zu erschöpft, um sich auf irgendein Spiel einzulassen. Die Aussichten auf den restlichen Tag machte es nicht besser. Granger würde bestimmt schon auf ihn lauer, wenn er wieder zurückkam. Weitere Anschuldigungen würden seine Geduld auf die Probe stellen und die falschen Entschuldigungen wegwaschen, als hätte es sie nie gegeben. Er wollte nur, dass der Tag so schnell wie möglich vorbei war. „Warum wolltest du mich sehen?“   „Aber Harry!“, schallte ihn Voldemort in einem spöttischen Tonfall. „Warum so unhöflich? Willst du mich nicht erst einmal fragen, wie es mit so ergangen ist? Zumindest wie mein Tag war?“   Skeptisch zog Harry beide Augenbrauen nach oben, sagte aber nichts.   In einer theatralischen Geste mit einem lauten gespielten Seufzer wendete Voldemort sich ab. „Auch wenn es dich nicht zu interessieren scheint, werde ich dir dennoch von meinem Tag berichten.“   Harry folgte ihm in kurzem Abstand, blieb vor dem Thron stehen, während Voldemort sich setzte und entspannt zurücklehnte. Dieses Mal erschien kein Stuhl für Harry.   Unter dem Thron raschelte es und ein übergroßer Schlangenkopf lugte daraus hervor. Nagini war wie immer beeindruckend und furchteinflößend. Geschmeidig kam sie aus ihrem Versteck hervor. Ihre gespaltene Zunge zuckte unaufhörlich, ihre gelben Augen waren auf Harry fixiert.   ~Hallo, mein Liebe. Hast du gut geruht? Sag Hallo zu unserem Gast.~ Eine weiße Hand fuhr beinahe zärtlich über den schuppenbesetzten Kopf, weiter über den langen Körper, während sich Nagini den Thron hinauf schlängelte.   ~Darf ich es fressen?~, war das einzige was sie interessierte.   ~…Nein.~ Die Art und Weise, wie Voldemort es sagte, war nicht beruhigend. Es klang eher, als hätte er sich selbst noch nicht entschieden.   Beleidigt drehte sie ihren Kopf von Harry weg, ließ sich aber weiter von ihrem Herrn streicheln.   „Weißt du, Harry, mein Morgen beginnt jeden Tag gleich. Ich stehe auf, mache mich fertig und nehme anschließend ein kleines Frühstück zu mir. Simpy hat dann bereits alle wichtigen Zeitungen bereitgelegt, damit ich mich in Ruhe über die aktuelle Lage in der Zauberer- und der Muggelwelt informieren kann.“   Die Muggelzeitungen waren nicht das Schockierendste an dieser Vorstellung. Es war schwierig, sich Voldemort bei so alltäglichen – menschlichen – Tätigkeiten vorzustellen. Schlafend, beim Frühstück mit einer Tasse Tee und einer Zeitung zwischen den spindeldürren Fingern.   „Aber diesen Morgen hat etwas meine Ruhe gestört.“ Sein Blick bohrte sich in Harrys, aber er konnte keine Legilimentik spüren. Trotzdem fühlte er sich, als würde Voldemort versuchen, in sein Innerstes zu sehen. „Ein plötzliches Aufwallen von… Wut.“   Das konnte nicht sein!   „Hasserfüllte, unbändige Wut, gepaart mit Verzweiflung und Ohnmacht. So starke Gefühle, Harry, die ganz ohne Vorwarnung in mir aufkamen.“   Harry biss so hart die Zähne zusammen, dass es wehtat.   „Aber diese Gefühle kamen nicht von mir. Es gab nichts, was eine solche Reaktion in mir versucht haben könnte.“   Von diesem scheinheiligen Theaterstück wurde Harry ganz übel. Warum führte Voldemort nur diese Posse auf?   „Sag, Harry! Hast du eine Idee, was da gewesen sein könnte?“   Was sollte er tun? Es abstreiten? Wie tief war Voldemort in seinen Kopf eingedrungen? Hatte er durch Harrys Augen geblickt, wie Harry früher durch seine? Hatte er den Streit mit Dumbledore gesehen? Sein Gespräch mit Draco? War jetzt alles aus?   ~Du solltest mir antworten, bevor ich mir die Information mit Gewalt aus deinem Kopf hole.~ Mit einem Schlag hatte sich die Atmosphäre verändert. In nur einem Bruchteil einer Sekunde stand Voldemort über Harry gebeugt. Sein Kopf wurde nach hinten gerissen, ließ seine Kehle frei und ungeschützt, die Spitze des fremden und doch so vertrauten Zauberstabs zeigte genau auf Harrys Herz.   ~Sprich!~   Panik stieg in ihm auf. Harry wusste nicht, wie viel Voldemort wusste. Würde ihn ein Teil der Wahrheit zufriedenstellen? Würde er wissen, dass Harry einen Großteil wegließ? Das letzte Mal hatte er viel Zeit gehabt, um sich auf ein Verhör einzustellen. Dieses Mal kam es unvorbereitet. Er hatte nicht einmal an diese Möglichkeit gedacht.   „Dumbledore! Er…“ Harry konnte nicht sagen, dass er ihm aufgelauert hatte, das würde das Vertrauen des alten Schulleiters Harry gegenüber in Frage stellen und Harry weniger Wert für Voldemort machen. „…hat mich heute Morgen abgefangen. Ich war ganz früh auf dem Quidditch-Feld gewesen, um ein bisschen den Kopf frei zu fliegen.“   Voldemort hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen. Nur die zusammengekniffenen Augen verrieten, dass er langsam die Geduld verlor. Der Zauberstab fühlte sich an, als würde er ein Loch in seine Brust bohren wollen. Aber er gab nicht nach. Seine Worte waren fest und ruhig.   „Er wollte mich mit einem Mädchen verkuppeln. Das Weasley-Mädchen. Sie ist schon in mich verknallt, seit wir uns das erste Mal gesehen haben. Sie ist extrem anhänglich und versteht einfach nicht, dass ich nichts von ihr will.“   Der Zauberstab bohrte sich noch tiefer in seinen Brustkorb, die Spitze knisterte vor angespannter Magie, die nur darauf warteten, entladen zu werden. „Und das soll dich so wütend gemacht haben?“, schnaubte Voldemort ungläubig.   „JA!“, rief Harry gereizt. Wenn man es genau betrachtet, reichte es völlig aus, um wütend zu werden. „Seit ich denken kann, bestimmt dieser alte Zauberer über mein Leben. Er hat entschieden, dass ich jedes Jahr wieder zu den Dursleys muss, die mich hassen, nur weil ich anders bin und die mich wie den letzten Dreck behandeln. Ich bin der Schandfleck in ihrer perfekten kleinen Familie. Der erste Hogwarts-Brief war an „Im Schrank unter der Treppe“ adressiert. Dumbledore weiß genau, wie ich dort behandelt werde und trotzdem schickt er mich jedes Jahr wieder dorthin zurück.“   Es interessierte ihn einfach nicht. Für ihn war nur wichtig, dass Harry seine Rolle als Auserwählter spielte.   „Er drängt mich zu einem Kampf, den ich nie führen wollte und mit Sicherheit verlieren würde. Dabei hält er mir Informationen vor und behauptet, es wäre zu meinem Besten. Am Ende des ersten Schuljahres hatte er mir erzählt, dass du besessen von mir bist, weil ich als einziger den Todesfluch überlebt hatte. Aber, dass du nur hinter mir her warst, weil es eine Prophezeiung gegeben hat, habe ich erst vor einem Jahr erfahren. Und zwar nachdem du mich in die Ministeriumsabteilung gelockt hast.“   Harry hasste es, so hingehalten zu werden. Wie viel hätte verhindert werden können, wenn Dumbledore ihm von Anfang an die Wahrheit erzählt hätte?   „Er hatte auch gewusst, dass wir eine Verbindung haben und du in meinen Kopf sehen kannst. Aber anstatt mir das zu sagen, ist er mir aus dem Weg gegangen und hat mich ignoriert. Ich meine, hätte er mich gewarnt, dass du mir falsche Bilder zeigen könntest, wäre ich letztes Jahr nie einfach so ins Ministerium gekommen. Sirius könnte noch leben.“   Er brauchte kein schlechtes Gewissen zu haben, dass er sich Voldemort angeschlossen hatte, wenn Dumbledore genauso viel Schuld an den Toten trug. Er war doch dafür verantwortlich gewesen, dass Sirius damals ohne Verhandlung nach Askaban gebracht worden war. Der Tipp mit dem Zeitumkehrer konnte die 12 verlorenen Jahre nicht aufwiegen; schon gar nicht, weil das damit gerettete Leben wegen seiner Gleichgültigkeit nun doch verloren war.   Aber ein Menschenleben war für den alten Zauberer nicht wichtig, wenn man das große Ganze betrachtete. Was machte es, wenn man ein paar Leben in Gefahr brachte, wenn man glaubte, so viele andere dadurch zu retten?   Es ging ja nicht nur um Harry. Auch die, die Dumbledore für seine Freunde hielt, brachte er in Gefahr, in dem er Harry animierte, sie in alles miteinzubeziehen.   „Er erzählt mir immer wieder, wie wichtig meine Freundschaft zu Granger und Weasley ist und dass ich ihnen alles erzählen soll, ganz gleich was ich dazu denke. Meine Meinung interessiert ihn nur dann, wenn sie mit seiner übereinstimmt. Immer noch hält er mir Informationen vor und anstatt mir irgendwas Nützliches beizubringen, sehe ich mir irgendwelche Erinnerungen an, die keine relevanten Informationen enthalten. Er kontrolliert fast mein komplettes Leben. Er bestimmt, wo ich lebe, er entscheidet, mit wem ich befreundet bin, er gibt mir vor, was ich denken soll, er entscheidet über meine Zukunft und jetzt will er mir auch noch vorschreiben, mit wem ich zusammen sein soll? Und da soll ich nicht wütend werden?“ Den letzten Rest hatte er geschrien. Harry hatte sich in Rage geredet. Sein Hass auf Dumbledore wuchs mit jedem Wort mehr. Er zitterte.   Harry versuchte sich wieder zu beruhigen. Das war doch Wahnsinn. Je mehr er darüber nachdachte, umso unsinniger wurde alles. Er hatte mehr als genug Gründe, Dumbledore den Rücken zu kehren. Warum war ihm das vorher nie aufgefallen? Wenn Draco nicht wäre, würde er immer noch auf die gutgroßväterliche Show des alten Schulleiters reinfallen. Erst durch Draco hatte er angefangen, alles um ihn herum zu hinterfragen. Das hatte zu seiner anfänglichen Unzufriedenheit geführt, war aber niemals Grund genug für einen Verrat gewesen. Aber es hatte schon immer mehr als genug Gründe gegeben. Er hatte sie nur nicht erkannt.   Ein Glucksen löste sich aus seiner Kehle. Dann noch eins und noch eins und plötzlich musste Harry so heftig lachen, dass er nicht mehr aufhören konnte.   Nagini zischte verärgert im Hintergrund, wurde aber von den beiden Zauberern ignoriert. Voldemort wartete geduldig, bis Harry fertig war, der Zauberstab nicht länger bedrohlich auf ihn gerichtet.   „Das sind alles viel bessere Gründe, sich mir anzuschließen als Liebe.“ Voldemorts Stimme war kalt und das letzte Wort sprach er mit so viel Verachtung aus, wie es nur jemand konnte, der es sein ganzes unsterbliches Leben lang noch nie erlebt hatte.   „Ist es das? Vielleicht.“ Nicht wirklich. Grund genug, um sich von Dumbledore abzuwenden, mehr aber auch nicht. Aber selbst, wenn, … „Dafür muss man sich dessen erst einmal bewusst sein.“ Harry sprach leise. Er war wütend. Wütend auf Dumbledore, aber noch wütender auf sich selbst.   „Du bist nicht der erste Zauberer, der von ihm manipuliert wurde und wirst auch nicht der letzte sein. Dumbledore verfolgt einen Plan und er rechtfertigt seine Opfer mit dem Größeren Wohl – was auch immer das in seinen Augen ist. Was nicht in seine Weltanschauung passt, ist böse und gefährlich. Er ist voller Vorurteile, obwohl er behauptet, so aufgeschlossen zu sein. Du hast seine Erinnerungen von mir gesehen. Sicher auch die, als er und ich uns zum ersten Mal begegnet sind?“   Harry nickte.   „Mrs. Cole, die Heimleiterin, hatte ihm, wie ich später herausgefunden habe, erzählt, welche schlimmen Dinge ich getan haben soll, auch wenn sie es nicht beweisen konnte. Aber es war genug, um Dumbledore zu überzeugen. Er steckte meinen Schrank in Brand und hatte dann zumindest den Beweis, dass ich den anderen Waisenkindern ihre Sachen weggenommen hatte. Danach wollten die ganzen Sachen wieder zu ihren Besitzern. Trotzdem war er nett und freundlich und schien sogar etwas verständnisvoll zu sein. Ich denke, Dumbledore hat bis zum Schluss einen verwirrten, missverstandenen Jungen in mir gesehen, wie wahrscheinlich viele Zauberer, die so wie ich ganz allein in der Muggelwelt aufgewachsen waren. Aber dann war da dieser Moment… Dieser eine kurze Augenblick, in dem er seine Meinung über mich geändert und sofort unwiderruflich gefestigt hatte. Der Moment, als ich ihm gesagt habe, dass ich mit Schlangen sprechen kann.“   Harry erinnerte sich. Ja, die Haltung des Professors und seiner Mimik hatten sich bei dieser Offenbarung völlig verändert. Jedes Mitgefühl für den hübschen Waisenjungen vor verschwunden, nur Misstrauen war übriggeblieben.   „Er hat versucht, die anderen Lehrer gegen mich aufzubringen. Sehr subtil natürlich. Nichts Auffälliges. Immer als Sorge um mich getarnt. Er sprach sich gegen meine Ernennung zum Vertrauensschüler und später noch mal gegen meine Ernennung zum Schulsprecher aus mit der Begründung, dass man mir nicht noch mehr Verantwortung aufbürden sollte, da ich es ohnehin schon schwer genug hatte als Muggelgeborener in Slytherin.“ Sein Blick veränderte sich. Er glitt plötzlich viel mehr einer aggressiven Schlange, bereit zuzustoßen. ~Obwohl er von Anfang an wusste, dass ich das nicht war.~ Der letzte Teil war ein bösartiges Zischen.   Es war verständlich. Welchen Sinn hatte es gehabt, den kleinen Jungen in dem Glauben zu lassen, dass er ein Schlammblut war? Wenn ihn seine Abstammung nicht interessiert hätte, vielleicht… Aber Harry konnte sich daran erinnern, dass der kleine Tom Riddle über seine Eltern gesprochen hatte. Dumbledore hatte es gewusst und ihm nichts gesagt.   „Bei dir ist es nicht anders. Alles, was er tut, geschieht aus Sorge um dich. Ist es nicht so?“   Statt einer Antwort, schaute Harry zur Seite. Es war so offensichtlich.   Voldemort schien keine Antwort zu erwarten. „Aber er würde… Nein! Er wird dich ohne zu zögern opfern, wenn es seinem Zweck dienlich ist.“   „Und du würdest das nicht?“, fragte Harry ungläubig.   „Natürlich würde ich das! Aber ich behaupte zumindest nicht, dass es anders wäre. Du weißt genau, wer ich bin, wozu ich fähig bin und was ich will. Du weißt, was ich erwarte und was passiert, wenn du meine Erwartungen nicht erfüllst.“   Er verringerte den Abstand zwischen ihnen und fuhr beinahe zärtlich mit seinen Fingerspitzen über Harrys Wange. Nur die roten Striemen, die auf der sonst makellosen Haut zurückblieben, verrieten die Drohung hinter dieser unschuldigen Geste.   „Wir beide wissen, dass du alles tun wirst, was ich will. Egal was es ist. Und das tust du nicht, weil du an meine Sache glaubst oder von meinen Methoden überzeugt bist. Also werde ich sie dir nicht schön reden. Ich werde auch Dumbledores Seite nicht schlecht reden. Wozu? Du bist zu mir gekommen, weil du eine einzige Person beschützen willst. Für mich lächerlich. Aber für dich das einzige, was für dich noch einen Wert hat.“   Seine Augen leuchteten immer stärker, funkelten vor Wahnsinn, der an der brüchigen Fassade kratzte.   „In der Zwischenzeit hast du erkannt, dass es so viele andere Gründe gibt, dich von den anderen abzuwenden und ich bin davon überzeugt, mit noch mehr Zeit wirst du selbst genug Gründe finden, um dich aus Überzeugung meiner Sache anzuschließen. So oder so. Du stehst auf meiner Seite, kämpfst für mich. Es gibt keinen Grund, dir irgendetwas vorzuspielen.“   Voldemort hatte Recht. Harry sah bereits jetzt einige wenige Punkte, in denen er dem Dunklen Lord beipflichtete. Vielleicht hing es mit der Schwarzen Magie zusammen. Sie wurde immer mehr ein Teil von ihm. Vielleicht waren Voldemort und die Dunklen Künste untrennbar miteinander verwoben und je weiter er sich in ihnen verlor, je mehr nahm er auch seine Ideale an.   War das so schlimm? Er würde ohnehin jeden Befehl ausführen, egal wie sehr sie im Widerspruch zu seinen früheren Idealen standen. Es würde es ihm nur leichter machen. Also warum sich dagegen versperren?   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Einzeln traten sie durch grüne Flammen in den Raum, der ihnen in den letzten Wochen immer vertrauter geworden war. Erst als der Kamin geschlossen und das Feuer völlig erloschen war, schlangen sie ihre Arme umeinander. Tief atmeten sie den vertrauten Duft des anderen ein und kamen langsam zur Ruhe. Keiner sagte ein Wort.   Tief in den Kerkern, geschützt vor fremden Blicken und neugierigen Ohren, bemerkten sie nicht die riesige Schar Raben, die sich auf den Dächern des Schlosses niedergelassen hatten und lauerten. Kapitel 41: Nackte Tatsachen ---------------------------- Lautes Geschnatter erfüllte die Große Halle. Es war ohrenbetäubend und hinterließ nichts als ein dumpfes Dröhnen, welches die stetig schlimmer werdenden Kopfschmerzen beinahe unerträglich machte. Alle Stimmen vermischten sich zu einem Rauschen – bis auf eine. Granger hatte ihn gleich bei seiner Rückkehr in Beschlag genommen und bombardierte Harry seitdem mit hohlen Entschuldigungen, versteckten Beschwerden und inhaltslosen Worten. Er wollte einfach nur, dass sie still war.   Leider fehlte ihr jedes Feingefühl. Sie ignorierte seine abweisende Haltung, seine nichtvorhandenen Antworten und, dass er jedes Mal, wenn er sich vorbeugte, um sich etwas vom Tisch zu nehmen, weiter von ihr wegrückte.   Sein Teller war in der Zwischenzeit mit so vielen Dingen gefüllt, die er nie essen würde und das, was er eigentlich Essen wollte, nicht mehr zu sehen war. Aber Granger rückte jedes Mal wieder zu ihm auf. Sie nahm sich sogar etwas von seinem Teller, das sehr deutlich zeigte, dass sie sein abweisendes Verhalten sehr wohl bemerkt hatte, ihr aber völlig egal war.   „Könntest du mich wenigstens ansehen? Ich versuche, mich hier zu entschuldigen!“ Da war es wieder. Der Ton allein sprach Bände. Sie wollte sich nicht entschuldigen. Sie wollte seine Aufmerksamkeit, um ihm wieder irgendetwas vorwerfen zu können. Aber da machte er nicht mit. Er hatte kein Frühstück gehabt, wozu brauchte er Mittagessen?   Ohne ein weiteres Wort zu sagen, stand Harry auf und verließ die Große Halle. Seine Mitschüler sahen ihm verwirrt nach, aber keiner wagte es, ihn aufzuhalten.   „HARR…!“ Fast keiner.   Aus dem Augenwinkel konnte Harry sehen, wie Granger aufgestanden war und ihm hinterher wollte. Sie zog damit mehr Aufmerksamkeit auf sich, als er mit seinem Abgang. Glücklicherweise war Longbottom so geistesgegenwärtig und hielt sie am Arm fest, bevor sie den Tisch verlassen konnte. Dass dieser schüchterne Junge es gewesen war, hatte sie soweit aus der Fassung gebracht, dass Harry verschwinden konnte.   Er wusste nicht, wohin er gehen sollte, nur, dass er im Moment niemanden sehen wollte. Es war immer noch Mittagszeit und Harry hatte seine Mühe, sich einen Weg durch das Schloss zu bahnen, ohne jemandem zu begegnen.   Nur darauf bedacht, den Auren um ihn herum auszuweichen, achtete er nicht darauf, wo er hinlief. Er wurde sich seiner Umgebung erst wieder bewusst, als etwas Kleines mit voller Wucht gegen seine Beine stieß.   Völlig überrascht schaute Harry auf den Boden und versuchte zu verstehen, was er dort sah. War das eine Ratte? Nein! Dafür war es viel zu groß. Und war da Fell? Eine Katze! Das Hinterteil mit dem Schwanz sah eindeutig nach einer Katze aus. Aber der Kopf… Durch das fehlende Fell wirkten die Ohren viel zu groß. Die Haut zwischen ihnen war viel zu faltig und erinnerte an die Oberfläche eines Gehirns.   Es erinnerte ihn an eine Sphynx, eine haarlose Katze. Aber sollten die nicht komplett felllos sein? Nicht diese bizarre Mischung aus nackt und Fell.   Als ob die Katze seine Gedanken gelesen hätte, schaute sie ihn vorwurfsvoll an – vielleicht aber auch nur wegen des Zusammenstoßes – und fauchte durch ihr haarloses Maul. Wenigstens hatte sie noch ihre Schnurrhaare.   Ein leises Plopp lenkte Harrys Aufmerksamkeit ab. Rechts neben der Katze tauchte plötzlich ein Hauself auf, den Harry sofort erkannte. Die Katze erkannte ihn auch.   Sie fauchte erneut und machte einen Buckel. Das gesträubte Fell ihres Hinterteils stand in alle Richtungen ab. Es wirkte mehr mitleidserregend als beängstigend.   Dobby wollte nach ihr greifen, aber da war sie auch schon wieder in die Richtung verschwunden, aus der sie gekommen war.   „Dobby! Warte!“, schrie Harry als der Hauself ihr hinterher wollte.   „Mr. Harry Potter, Sir.“ Aufgeregt hüpfte der Hauself auf und ab und ließ seine riesigen Ohren wackeln. Die Katze hatte er völlig vergessen. „Was kann Dobby für Sie tun, Sir?“   Einen kurzen Moment lang wusste Harry nicht, was er sagen sollte. Er sah in die Richtung, in der Katze verschwunden war. Hatte er am Morgen nicht schon eine nackte Katze gesehen? Seitdem war so viel passiert, dass er es völlig verdrängt hatte.   „Was genau ist hier los?“, fragte er schließlich.   Der kleine Hauself sah ihn mit großen Augen an. Er wusste wirklich nicht, was Harry meinte.   Bevor er reagieren konnte, bemerkte er eine weitere Präsenz, die schnell immer näherkam.   „Oh nein, bitte nicht.“ Harry fühlte sich mit einem Mal völlig kraftlos.   „Was hat Harry Potter? Soll Dobby ihn zum Krankenflügel bringen? Oder was zu Essen holen?“ Die Augen wurden immer größer, während er besorgt zu ihm hinaufschaute.   Harry musste lächeln. Dobby war eine zu gute Seele. „Nein, Dobby. Es ist alles in Ordnung. Es gibt nur eine Hexe, die ihre krumme Nase immer in fremde Angelegenheiten stecken muss.“   „Soll Dobby sie davon abhalten? Dobby kann das machen, wenn Harry Potter es wünscht.“ Wieder ein Zeichen der großen Unterwürfigkeit, die der Hauself für Harry empfand.   „Das ist nicht nötig. Ich werde mich selbst darum kümmern.“ Harry war ihm wirklich sehr dankbar. Der kleine Hauself war eine riesige Unterstützung und trotz der Schwierigkeiten, die sie am Anfang hatten, war Harry froh, einen so treuen Freund gefunden zu haben. Seine Bewunderung für Harry ging über jede Moral hinaus. Aber er würde ihn nicht dafür benutzen, seine Schmutzarbeit zu machen. Er würde sich selbst um dieses lästige Schlammblut kümmern.   Genau diese kam gerade um die Ecke geschossen und hielt direkt auf sie zu.   „Harry!“, rief sie außer Atem, sobald sie ihn erblickt hatte.   „Warum rennen nackte Katzen durch das Schloss?“, fragte er Dobby als würde Granger nicht existieren. ‚Wenn es doch nur so wäre.‘   „HARRY! Hast du mich nicht gehört?“ Sie hatte Harry am Arm gepackt und ihn herumgedreht. Sie sah abgehetzt und wütend aus.   „Du bist schlecht zu überhören.“, antwortete er bissig, während er sich aus ihrem Griff befreite.   „Warum antwortest du dann nicht? Du hast mich eben beim Essen schon ignoriert.  Anstatt mit mir zu reden, rennst du weg. Sehr erwachsen!“ Sie stemmte ihre Hände in die Hüften. Ihre braunen Augen starrten ihn herausfordernd an. Nie hatte sie ihn mehr an Mrs. Weasley erinnert.   „Ich hatte keine Lust, mich mit dir zu unterhalten. Ich dachte, das wäre klar. Weil du aber wie so häufig keine Rücksicht auf meine Wünsche nimmst, bin ich eben gegangen. Aber selbst das hält dich offensichtlich nicht auf und jetzt verfolgst du mich auch noch. Wie erwachsen ist das, bitte?“ Er hatte keine Lust mehr auf diese Diskussionen. Dieses Mal würde er nicht so tun, als wäre alles wieder in Ordnung. „Woher wusstest du überhaupt, wo ich bin?“   Der Schock in ihrem Gesicht wich ganz schnell einem Ausdruck purer Arroganz. „Das war nicht schwer. Ich wusste, dass du nicht in den Gemeinschaftsraum zurückgehen würdest und dich stattdessen in der Bibliothek versteckst.“   Harry verzog das Gesicht. Er hatte nicht darauf geachtet, aber es stimmte. Um diese Zeit waren die meisten Schüler beim Essen und die Bibliothek so gut wie leer, genauso wie Gänge dorthin. Dennoch… „Wenn ich mich hätte verstecken wollen, hätte es genug andere Möglichkeiten gegeben. Der Ort, an dem ich mich am meisten aufhalte, wäre ein ziemlich mieses Versteck, meinst du nicht?“   „Wäre ja nicht deine erste dumme Entscheidung gewesen.“ Ihr herablassender Ton überraschte ihn dann doch. Dieses Mal versuchte sie nicht, sich herauszureden.   „Schluss damit! Dobby lässt nicht zu, dass Sie Harry Potter beleidigen.“ Dobby stand hocherhobenen Hauptes vor ihnen. Es war beeindruckend wie so ein kleines, merkwürdig aussehendes Wesen plötzlich so bedrohlich wirken konnte. Es erinnerte Harry an sein zweites Schuljahr. Kurz nachdem er Dobby befreit hatte, hatte er genauso ausgesehen, seine Wut auf Lucius Malfoy gerichtet, als er Harry schlagen wollte.   „Huch, Dobby! Was machst du denn hier?“ Sie machte nicht den Eindruck, als hätte sie seine Worte verstanden.   Dobby sah etwas widerwillig aus, aber er antwortete ihr. „Dobby wollte eine Katze rasieren, aber sie ist ihm entwischt, bevor er fertig war. Als er sie verfolgt hat, ist er zufällig Harry Potter über den Weg gelaufen.“ Seine Stimme klang immer noch grimmig, aber Harry war sich sicher, dass es daran lag, dass diese Katze weggelaufen war und Dobby sich darüber ärgerte.   „Du wolltest eine Katze rasieren? Warum denn das?“, fragte sie vorwurfsvoll.   „Die Katzen haaren die ganze Zeit. Dobby muss ihnen ständig hinterher putzen. Gerade hat er ein Zimmer sauber gemacht, da kommt so ein Felltier, schüttelt sich und schon ist wieder alles voller Haare und Dobby muss wieder von vorne anfangen. Die Haare bleiben immer an Dobbys Socken kleben. Dobby dachte, es wäre einfacher, wenn er die Katzen einfach rasiert. Kein Fell, keine Haare.“ Mit einem Mal sah ganz verunsichert zu Harry. „Hat Dobby was falsch gemacht?“   Bevor Harry etwas erwidern konnte, hatte Granger sich schon eingemischt. „Natürlich ist das falsch, Dobby. Du kannst doch nicht einfach die armen Katzen rasieren!“ Sie war aufgebracht.   „Hermine!“, ermahnte Harry sie, aber wie so oft ignorierte sie ihn.   „Hast du etwa Krummbein auch rasiert?“, ihre Stimme wurde immer höher, Dobby immer kleiner.   „N-nein. Die Katze von Ms. Hermine Granger versteckt sich immer, sobald Dobby kommt.“ Unsicher schaute er zwischen Harry und ihr hin und her.   „Kluger Krummbein.“ Sie stieß einen erleichterten Seufzer aus. „Dobby, du darfst keine Katzen rasieren! Hörst du?“   Dobby sah sie entsetzt an, bevor er sich hektisch umschaute. „Dobby ist ein böser Hauself. Dobby muss sich bestrafen.“   Alarmiert zog Harry seinen Zauberstab und hexte die Wand flauschig weich, in die der kleine Hauself gerade sein Kopf rammen wollte. Als Dobby merkte, dass die Wand nachgab, zog er sich heftig an den Ohren.   „Dobby! Ich verbiete dir, dich zu bestrafen.“ Harry wünschte, dass er daran sofort gedacht hätte. Dobby hatte hart zugepackt und tiefrote Blutergüsse an seinen Ohren hinterlassen. Er heilte sie schnell und betastete hinterher die knorplige Haut. Dobby zuckte leicht zusammen. „Es wird noch bisschen wehtun, aber in spätestens zwei Stunden sollte es vorbei sein.“   „Danke, Harry Potter, Sir. Sie sind ein guter Zauberer. So gut, zu uns Hauselfen.“ Dobby sah erleichtert aus. Er hätte sich noch Schlimmeres angetan, wenn Harry ihn nicht unterbrochen hätte. Vielleicht sollte Harry ihm generell verbieten, sich zu bestrafen. Konnte er das?   „Tsk.“   „Hast du ein Problem, Hermine?“, fragte Harry zwischen zusammengebissenen Zähnen. Er weigerte sich, sie anzusehen.   „Wieso sollst du gut zu Hauselfen sein? Du tust gar nichts, damit sie die Rechte bekommen, die ihnen zustehen. Du hast nicht mal deinen B.ELFE.R-Anstecker getragen.“ Es interessierte sie nicht, dass sie schuld war, dass Dobby sich gerade verletzt hatte. Stattdessen nutzte sie die Situation aus, um Harry wieder Vorwürfe machen zu können und dann auch noch mit so einem fadenscheinigen Thema.   „Weil sie das gar nicht wollen. Hauselfen wollen nicht frei sein.“ Harry hatte sich wieder aufgerichtet und zu ihr umgedreht. „Und BELFER klingt wie etwas, das schon mal gegessen worden ist.“   Granger schnaubte vor Wut. „Da sind Punkte. Das heißt B Punkt ELFE Punkt R. Und Dobby wollte frei sein.“ Ihre Augen glitzerten triumphierend.   „Dobby wollte nur nicht mehr den Malfoys dienen. Sie konnten nicht mit ihm umgehen und haben sich deswegen ihm gegenüber völlig falsch verhalten. Ich will auch nicht, dass Hauselfen missbraucht werden. Aber sie gegen ihren Willen zu befreien, ist deswegen keine Lösung. Selbst Dobby will nicht wirklich frei sein.“   Harry hatte sich in Rage geredet. War sie wirklich so blind, dass sie das nicht sehen konnte? Als Dumbledore ihn angestellt hatte, hatte Dobby dessen Angebote immer weiter heruntergehandelt, bis beinahe nichts übrig geblieben war. Was sollte auch ein Hauself mit Galleonen und freien Tagen anfangen?   Die Antwort stach ihm in Form von zwei völlig unterschiedlichen Socken voller Katzenhaare ins Auge.   „Warte mal, Dobby. Ich habe eine Idee. Lutum repellivum!“ Sofort fielen die Haare von den Socken ab.   Dobby schaute auf seine Füße als sähe er sie zum ersten Mal. Er trat immer wieder auf die Fellreste, aber sie blieben nicht haften. Als er endlich wieder aufschaute, hatte er Tränen in den Augen. „Vielen Dank, Harry Potter. Wie kann Dobby das nur jemals vergelten?“   „Das hättest du auch ganz leicht selbst machen können.“ Wieder hängte sich Granger rein. Ihr war anzuhören, dass es ihr nicht gefiel, dass Harry diese Idee gehabt hatte. „Du hättest die Haare auch ganz leicht mit einem Fingerschnipsen vom Boden wegzaubern können. Also warum die Katzen rasieren?“   „Es reicht, Hermine. Das passiert eben, wenn Hauselfen sowas wie Urlaub haben.“   „Soll das heißen, du unterstützt die Versklavung der Elfen? Harry, ich bin so enttäuscht von dir. Gerade von dir hatte ich gedacht, dass du sie unterstützt.“   „Sie? Oder dich? Sieh es doch endlich ein, die Hauselfen wollen nicht frei sein. Wie kannst du erwarten, dass Hexen und Zauberer deine Sache unterstützen, wenn nicht mal die Wesen, denen du helfen willst, auf deiner Seite sind?“   „Dobby…“   „Nichts Dobby! Ein Hauself. Ein einziger, der in der Zaubererfamilie, in der er war nicht zurechtgekommen ist. Das ist alles. Darauf stützt du dein gesamtes Programm. Du wirst nie etwas erreichen.“ Und er meinte nicht nur dieses dämliche B.ELFE.R. Mit ihrer Einstellung würden sie die reinblütigen Hexen und Zauberer irgendwann in ihre Schranken weisen. Harry würde ihnen mit Freuden dabei helfen. Naja. Wenn Voldemort endlich an der Macht war, würde sie sowieso keine Rechte mehr haben, wenn sie dann überhaupt noch leben würde.   „Wie kannst du so etwas sagen? Du hast doch gesehen, was diese Haltung mit den Hauselfen macht. Sie verletzen sich, sobald sie einen Fehler gemacht haben. Das ist nicht normal. Und das unterstützt du?“, fauchte ihn Granger an. „Diese armen Wesen leiden unter der Knechtschaft von Hexen und Zauberern.“   „Ich finde es auch nicht in Ordnung, wenn sie sich verletzen. Aber es liegt eben in ihrer Natur. Und du kannst so viele Rechte für sie erwirken wie du willst, du kannst daran nichts ändern.“   „Aber…“ weiter kam sie nicht.   „Nein!“ Das musste endlich ein Ende haben. „Halt endlich einfach mal deinen Mund. Du hast schon genug angerichtet.“   Harry wollte sich nicht mehr mit ihr auseinandersetzen. Es reichte für heute. Am liebsten für immer.   „Komm mit, Dobby. Ich habe einen kleinen Auftrag für dich.“ Er brauchte ganz dringend eine Pause.   Dobbys Augen begannen zu leuchten. „Harry Potter hat einen Auftrag für Dobby. Dobby wird alles tun, um Sie zufriedenzustellen, Sir.“   „Wo willst du jetzt schon wieder hin? Du verschwindest immer wieder, ohne jemanden zu sagen, wo du hin gehst.“, beschwerte sich Granger.   Harry hätte sie am liebsten ignoriert. Aber er wollte vermeiden, dass sie ihm wieder hinterherschlich. Nicht, dass er wirklich daran glaubte, dass sie es nie wieder tun würde. „Ich gehe in die Küche und hole mir etwas zu Essen, weil ich riesigen Hunger habe. Denn dank dir habe ich heute sowohl das Frühstück als auch das Mittagessen verpasst. Es sei denn natürlich, du hast was dagegen, weil du mir nicht zutraust, dass ich es ohne dich in die Küche schaffe.“   Er hatte ihren Streit vom Morgen nicht vergessen und er würde es auch nicht einfach auf sich beruhen lassen. Diese Genugtuung würde er ihr nicht geben.   „Harry, ich habe das nicht so gemeint und ich habe mich entschuldigt.“, jammerte sie.   „Ich habe deine Entschuldigung, die du sowieso nicht ernst gemeint hast, nicht angenommen. Ich bin es leid nach deiner Pfeife zu tanzen. Am besten jeder kümmert sich nur noch um seinen eigenen Kram. Dann musst du dir auch keine Sorgen mehr um mich machen.“ Harry wusste, dass sie das niemals mitmachen würde. Für den Moment allerdings verschaffte es ihn ein bisschen Ruhe.   Granger starrte ihn mit offenem Mund an. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie war es gewohnt am Ende ihren Willen zu bekommen. Dieser Anblick war der Streit beinahe wert gewesen.   Dieses Mal ließ Harry sie stehen.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Es war Abend. Das Abendessen war vorbei und die Dämmerung hatte bereits eingesetzt. Die Tage waren angenehm warm, aber wenn die Sonne unterging, wurde es schnell kalt. Harry bedauerte es etwas, seinen Tarnumhang nicht nutzen zu können, aber den brauchte Draco, um ungesehen in ihr Versteck zu gelangen.   Harry konnte es kaum erwarten, in den Armen seines Slytherins zu liegen. Dieser Tag war so lang und so ermüdend gewesen. Am liebsten hätte er sich einfach in sein Bett gelegt und den Rest des Wochenendes geschlafen.   Aber er brauchte Draco. Er brauchte diese starken Arme, die ihn umklammerten, diese Lippen, die seine liebkosten, diesen Duft, den er tief einatmen konnte und ihn immer wieder versicherte, dass das kein Traum war. Einen kurzen Moment des Friedens und der Illusion, dass sie keine Probleme hatten, um die sie sich sorgen mussten. Keinen Dumbledore, keinen Voldemort, keine Granger.   Dank Dobby war Harry wieder etwas zu Kräften gekommen. Der kleine Hauself hatte sich beinahe überschlagen – wortwörtlich – als er für Harry kochen durfte. Nicht einfach etwas von den anderen Hauselfen bereits Zubereitetes servieren. Nein! Er durfte kochen. Er hatte es wie immer übertrieben, aber es war absolut köstlich gewesen. Harry hatte ihn vor den anderen Elfen gelobt und Dobby wäre fast geplatzt vor Stolz.   Zum Abschied hatte Harry ihm noch mal eingebläut, dass auf nichts hören sollte, was irgendeiner seiner ehemaligen Freunde sagte und schon gar nicht Granger. Am besten wäre es, er ginge ihr aus dem Weg.   Harry wünschte sich, dass er das auch einfach machen könnte. Sie war ihm zwar nicht in die Küche gefolgt und hatte beim Abendessen kein Wort über ihren Streit verloren, sondern lieber getan als sein alles in Ordnung, aber Harry wusste, dass sie das nicht auf sich beruhen lassen würde. Sie war nicht der Typ, der eine Niederlage einfach so wegsteckte.   Zu seinem großen Bedauern hatte sie sich nicht viel Zeit gelassen, um ihn wieder auf die Nerven zu gehen.   Als ihre Präsenz sich in sein Bewusstsein schob, wäre er am liebsten umgedreht und hätte sie angeschrien, was sie sich erlaubte, ihn zu verfolgen. Er tat es nicht.   Sie hatte einen Desillusionierungszauber an sich angewendet. Harry musste zugeben, dass er gar nicht so schlecht war. Würde er ihre Präsenz nicht spüren, hätte er sie nicht bemerkt. Sollte sie ihn ruhig verfolgen. Ihm war spontan eine perfekte Möglichkeit eingefallen, wie er ihr das zukünftig austreiben konnte. Draco würde ihm bestimmt zu gern dabei helfen.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Draco wartete bereits in der Hütte auf ihn. Ohne zu zögern, ging Harry auf ihn zu und zog ihn in einen verlangenden Kuss. Das hatte er so sehr gebraucht.   Plötzlich schob Draco ihn von sich weg und sah ihn verwirrt an. „Granger! Sie hat dich verfolgt.“   „Mmmmh…“ Harry versuchte, ihre Münder wieder aufeinanderzupressen, gab dann aber auf. Draco wollte nicht nachgeben.   Es tat gut, jemanden zu haben, bei dem man sich nicht verstellen musste. Mit einem diabolischen Grinsen im Gesicht antwortete er: „Wir haben uns gestritten und ich habe zu verstehen gegeben, dass ich mich nicht mehr von ihr herumkommandieren lasse. Sieht aus, als würde sie mir jetzt stattdessen hinterherspionieren wollen. Hast du Lust, ihr das mit mir auszutreiben?“   Harry biss sich hart auf die Unterlippe, als Draco in seiner arroganten Art eine Augenbraue hochzog. Das war so verdammt sexy. „Was hast du denn vor?“   Wieder zog Harry Draco zu sich heran, küsste ihn hart und begann dabei ihn auszuziehen. Diesmal wehrte sich Draco nicht. Ungeduldig rissen sie an ihren Umhängen. Es war plötzlich viel zu warm unter ihnen geworden und trotzdem sehnten sie sich nach der Hitze des anderen Körpers.   „Was glaubst du,“ – ein Kuss – „wie sie reagiert, wenn“ – ein Pullover über den Kopf gezogen – „sie uns so sieht. Aah!“ Der Mund an seinem Hals ließ Harry kurzzeitig alles andere vergessen. Er war so sehr von dem Gefühl, wie ihre beiden Körper gegeneinanderpressten, von dem Gefühl von Haut auf Haut abgelenkt, dass er beinahe Dracos Antwort nicht gehört hätte.   „Sie wird wahnsinnig werden, es nicht glauben wollen und versuchen, dich von mir wegzuholen. Das werde ich aber nicht zulassen.“ Es war so unfair, wie gefasst Draco noch war, während die kaum merkliche Berührung seiner Lippen an seinem Schlüsselbein bei diesen geflüsterten Worten Harry fast wahnsinnig werden ließ.   Das musste er schnellstmöglich ändern. Harry schob sein Bein weiter nach vorne und rieb seinen Oberschenken gegen Dracos Schritt. Draco stöhnte bevor er seine Zähne in Harrys Schulter bohrte. Der leichte Schmerz war so süß. Schnell löste er den Umhang und schob ihn Dracos Schultern. Gerade als er das Oberteil zu fassen bekommen hatte, hielt Draco ihn auf.   „Ah, ah, ah! Nur nicht übermütig werden. Wir wollen ihr doch eine gute Show liefern. Oder etwa nicht?“ Etwas Gefährliches blitzte in den hellgrauen Augen auf.   Harry leckte sich über die Lippen. „Na dann zeig mal, was du draufhast.“ Kapitel 42: Rache ist - oh! - so süß ------------------------------------ Draco hatte sie perfekt positioniert. Harry lag mit dem Rücken auf dem weichen Himmelbett, sein zur Tür gerichteter Kopf hing ein Stück über der Matratze. Draco kniete zwischen seinen Beinen und stieß immer wieder tief und hart zu. Harrys Stöhnen erfüllte das kleine Zimmer, ließ die Heulende Hütte ihren Namen wieder alle Ehre zuteilwerden.   Noch konnte Granger sie nicht hören, ihr Seufzen und Stöhnen war hinter einem Stillezauber verborgen. Aber gleich würde die Tür aufgehen.   Im Moment war es Harry egal. Er hatte seine Augen geschlossen und genoss einfach nur das Gefühl, das Draco ihm gab. Der Tag war so anstrengend gewesen – erst Dumbledore, dann Voldemort, der Streit mit Granger – er brauchte das jetzt einfach und würde es sich von niemandem vermiesen lassen. Er freute sich auf ihr kleines Schauspiel.   „Was zur Hölle?“ Noch bevor die Tür richtig offen war, hallte Grangers nervige Stimme durch den Raum.   Innerlich verdrehte Harry die Augen. Nach fast sechs Jahren in einer Zaubererschule benutzte sie immer noch diese Muggelphrasen. Dabei hatte sie sich mehr mit der Zaubererkultur auseinandergesetzt als irgendjemand sonst. Nun, nicht sehr erfolgreich, wenn er an B.ELFE.R dachte.   Widerwillig öffnete er seine Augen. Draco hatte ein Grinsen im Gesicht, das den Teufel in Grangers Hölle alle Ehre gemacht hätte. Er erhöhte sein Tempo und Harry konnte nicht anders als genüsslich zu stöhnen. Er drückte seinen Rücken durch, streckte sich den Fingerspitzen entgegen, die erst sanft über seine Brust fuhren, dann immer stärker drückten, bis Harry wieder flach auf dem Bett lag.   Er leckte sich über die Lippen und versuchte, Draco mit seinen Beinen weiter zu sich zu ziehen, ihn zu zwingen noch schneller und härter zuzustoßen. Davon überrascht, verlor Draco das Gleichgewicht und konnte sich gerade noch neben Harrys Kopf abstützen.   Draco ließ sich davon aber nicht ablenken. Harry konnte spüren, wie er das Tempo noch einmal erhöhte. Er verkrallte sich in die weichen hellblonden Haare und verlor sich in hellgraue Augen, die begierig auf ihn hinabblickten.   Harry hätte in diesem Moment alles um sich herum vergessen können, aber Granger wählte genau diesen Augenblick, um sich aus ihrer Erstarrung zu lösen. „GEH VON IHM RUNTER!“   Er konnte die Vibration von Dracos Lachen in seinem ganzen Körper spüren. „Sag, Harry…“ Seine Stimme war rau, belegt vor Lust und Verlangen. Allein der Klang ließ Harry wahnsinnig werden. „… willst du nach oben?“   Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Er schlang seine Arme um Dracos Oberkörper und mit einer gekonnten Drehung hatte er ihre Positionen vertauscht.   Kalte Luft traf seinen erhitzten Körper, ließ ihn wohlig erschaudern. Granger starrte ihn entsetzt an. Er konnte sehen, wie ihr Gehirn arbeitete, wie sie versuchte, eine logische Erklärung für etwas zu finden, das so offensichtlich war, aber für das sie die Wahrheit nicht akzeptieren wollte.   Er wurde von diesem seltenen Anblick abgelenkt, als Draco ungeduldig – und seinem Blick nach zu urteilen leicht verärgert – von unten zustieß. Harry lächelte ihm zu und fing dann an, sich zu bewegen. Zuerst ganz langsam. Er genoss es, Draco in sich zu spüren und zu fühlen, wie seine Muskeln sich um die gesamte Länge schlossen und nicht mehr loslassen wollten.   Was für ein Bild musste er abgeben? Den Kopf in den Nacken geworfen, die Augen geschlossen, an seinen eigenen Haaren schmerzhaft zerrend, nur um sich nicht vollends von der Lust und dem Verlangen mitreißen zu lassen. Aber Dracos Händen, die gierig nach seinem Körper griffen, machten es ihm fast unmöglich, bei Verstand zu bleiben.   Ihr Stöhnen wurde lauter, hallte in den Flur nach draußen, genauso wie das Klatschen von Haut auf Haut, das mit jeder Sekunde schneller und schneller wurde.   „Harr-y.“ Grangers Stimme brach und eine Träne kullerte über ihre Wange. Nichts hätte Harry jetzt weniger interessieren können.   Dracos abgehacktes Stöhnen, der verzweifelte Griff um seine Hüften, der sicher blaue Flecken zurücklassen würde, und das Gefühl der stahlharten Erektion in ihm, die ihn so köstlichen ausfüllte, waren viel einnehmender, umso vieles überwältigender.   Immer wieder traf Dracos Glied diesen einen bestimmten Punkt, der Harry Sterne sehen ließ. Lange würde er das nicht mehr durchhalten. Er konnte es fühlen. Der Druck in seinem Inneren wurde immer stärker.   Es war eine Erleichterung und Unerträglich zugleich, als Draco seine Erektion in die Hand nahm und versuchte, sie im gleichen Takt wie Harrys Auf- und Abwärtsbewegungen zu pumpen. Nur Sekunden. Mehr brauchte es nicht und die Sterne vor seinen Augen explodierten, blendeten ihn bis alles schwarz wurde.   Harry brach auf Draco zusammen, seine Beine zitterten so sehr, dass sie ihn nicht mehr halten konnten. Er konnte spüren, dass es Draco nicht besser ging. Dracos Glied rutschte aus seinem Hintern, eine warme dickflüssige Substanz folgte und tropfte aus ihm heraus.   Angeekelt verzog Harry das Gesicht. Widerwillig kullerte er von Draco runter und schnappte sich seinen Zauberstab, um diese Sauerei zu beseitigen.   Auch Draco hatte sich in der Zwischenzeit bewegt. Er hielt seinen Zauberstab in der Hand, die Spitze zielte auf Grangers Kopf. Sein Blick war eisig. Bösartig. „Incarcerus!“   Sofort sprangen dicke Seilen hervor und flogen auf Granger zu. Das erste wickelte sich um ihren Hals, die nächsten rissen ihre Arme zur Seite, als sie nach dem ersten greifen wollten. Ein weiteres legte sich um ihren Bauch, die letzten schlangen sich um ihre Beine. Die Tür fiel mit einem lauten Knall ins Schloss. Granger wurde nach hinten gerissen. Die Stricke verschmolzen mit dem Holz und hielten ihr Opfer an Ort und Stelle.   Mit Genugtuung beobachtete Harry, wie die rauen Fesseln jedes Mal an ihrer Haut scheuerten, wenn sie versuchte, sich zu bewegen.   „Was machst du hier, Granger? Bist du mir gefolgt?“, fragte Harry kalt. Selbst wenn er es nicht gewusst hätte, wäre die Antwort eindeutig gewesen. Was sonst sollte sie hier wollen?   „Ich… Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Du warst in letzter Zeit so… komisch. Ich wollte… nur wissen, was… los ist.“ Tränen sammelten sich in ihren Augen, flossen in kleinen Bächen über ihre Wangen hinab. „Sag mir, … dass das… dass das nicht wahr ist!“ Kleine, bedauernswerte Schluchzer kamen aus ihrer Kehle, aber Harry konnte kein Mitleid in sich entdecken.   Es war so typisch. Obwohl Harry bei ihrem Streit deutlich gesagt hatte, dass sie sein Problem war, suchte sie die Schuld nach wie vor bei ihm. Er machte nicht mehr brav Männchen, also musste etwas mit ihm nicht in Ordnung sein. Warum die Fehler bei sich selbst suchen, wenn es andersherum so viel leichter war?   „Es wundert mich, dass du überhaupt etwas mitbekommen hast. Du warst doch in letzter Zeit nur noch mit dir selbst beschäftigt, wenn du nicht gerade an mir rumgemeckert hast. Überrascht es dich da wirklich, dass ich mir da etwas Anderes suche?“ So war es nicht gewesen, aber das musste sie im Moment nicht wissen.   Draco war ebenfalls aufgestanden und stand jetzt neben Harry. Sein Blick war starr auf Granger gerichtet, teils belustigt, teils herablassend.   „Aber das ist Malfoy!“ Sie spie seinen Namen voller Verachtung aus. „Das ist abartig. Wie kannst du nur?“   Abartig? Harry lachte ungläubig. „Oh, tu doch nicht so. Du würdest sofort auf ihn springen, wie eine läufige Katze, wenn du könntest. Ich weiß es. Ich habe gesehen, wie dir fast die Augen rausgefallen sind, als du ihn unter der Dusche begafft hast.“   „Was?“, hauchte sie.   „Ja, ich war die ganze Zeit über da gewesen.“ Mit sadistischer Freude sah er, wie sie fast an ihren eigenen Worten zu ersticken drohte. Es tat so gut, sich nach so langer Zeit, in der sie ihm das Gefühl gegeben hatte, minderwertig zu sein, revanchieren zu können. Und er war noch lange nicht fertig mit ihr.   „Willst du mehr sehen? Sieh ruhig her!“ Er zog Draco mit sich, bis sie genau vor Granger standen, beide nackt, ihre Erektionen noch nicht ganz abgeklungen. Auch das Dunkle Mal prangte stolz auf Dracos linken Unterarm. Beinahe zärtlich zeichnete Harry die schwarze Schlange nach, zog bewusst Grangers Aufmerksamkeit auf Voldemorts Zeichen, das bei ihrer Begegnung in der Dusche noch nicht da gewesen war. Das musste ein Schock für sie sein.   Aber darum ging es nicht.   „Siehst du diese schillernden hellgrauen Augen? Sie ziehen mich jedes Mal in ihren Bann.“, lenkte Harry sie ab.   Ihr Blick folgte widerstandslos seinen Worten.   „Diese weichen Haare, in denen ich einfach nur meine Finger vergraben will. Dieser süße roséfarbene Mund, der einfach nur zum Küssen einlädt.“ Harry krallte eine Hand in Dracos Haare und zog ihn zu einem kurzen, schnellen Kuss zu sich. „Diese makellose, helle Haut. Kannst du dir vorstellen, wie seidig sie sich anfühlt? Oder seine festen Muskeln, die immer anfangen zu zucken, wenn ich sie berühre. Weißt du, wie hart und zart zugleich seine Brustwarzen sind, wenn ich sie mit meiner Zunge streichle?“   Er sagtes es nicht nur, er zeigte es ihr. Mit den Fingern seiner rechten Hand fuhr er sacht Dracos Lippen nach. Sie öffneten sich leicht unter dem sanften Druck und Harry hätte schwören können, dass er kurz eine Zungenspitze fühlen konnte. Allein davon wurden seine Knie schon wieder weich und er musste sich mit seiner anderen Hand an Dracos Oberarm festkrallen.   Draco zog scharf die Luft ein und versuchte, Harrys Finger einzufangen, aber Harry entzog sich ihm, glitt weiter hinab, über sein starkes Kinn, den schlanken Hals. Er spreizte seine Finger, um so viel wie möglich von den Brustmuskeln zu spüren, zu fühlen, wie Dracos Atmung immer schneller wurde. Am Bauch reichten die Finger nicht mehr aus. Er brauchte die ganze Hand, um die strammen Muskeln unter der samtig weichen Haut zu fühlen.   Harry beugte sich leicht herab. Er nahm Dracos linke Brustwarze sanft zwischen seine Zähne, saugte sie in seinen Mund und umspielte sie mit seiner Zunge.   Draco war seinen Kopf in den Nacken und stöhnte genussvoll auf. Er drängte sich weiter gegen Harrys Mund.   Sie waren sich so nah. Harry atmete tief ein. „Weißt du eigentlich, wie unglaublich Draco duftet? Nach Vanille und Frühling.“ Seine Stimme sollte nicht so rau klingen. Aber wer könnte es ihm verübeln, wenn dieser Mann alle seine Sinne vernebelte? Dieser perfekte Körper vor ihm, der ihm so viele wundervolle Dinge verhieß. „Und du siehst ja wie groß… er ist. Du glaubst nicht, wie überwältigend er sich in mir anfühlt. Sowas hast du noch nicht erlebt.“ Ganz sicher nicht.   Er ließ sich unten gleiten, kniete sich zwischen Dracos Beine. „Und sein Geschmack ist so berauschend.“, sagte er heißer und nahm Dracos Glied, das inzwischen wieder zu voller Größe angeschwollen war, in seinen Mund und begann genüsslich an ihm zu saugen.   Harry hörte, wie Draco wieder scharf die Luft einsog. Es bereitete ihm eine unglaubliche Genugtuung, dass seine Show nicht spurlos an seinem Eisprinzen vorbeiging. Er war die meiste Zeit viel zu gefasst. Aber nicht jetzt. Hände gruben sich in Harrys Haarschopf, drängten ihn das Tempo zu erhöhen.   „Oh, Harry! Jaaa…“, stöhnte Draco.   Widerwillig löste Harry sich von seinem Spielzeug, aber sie hatten ja Publikum, das unterhalten werden wollte. „Und wie göttlich er stöhnt, kannst du ja selbst hören.“, sagte er und machte dann unbeirrt weiter.   „NEIN! Harry, hör sofort auf damit!“ Granger schrie so laut, aber ihre Worte ließen ihn völlig kalt. „Merkst du nicht, dass Malfoy dich damit nur erniedrigen will? Er nutzt dich doch nur aus.“   Harry machte die Situation mehr an, als er vermutet hätte. Trotz ihres lauten unaufhörlichen Gejammers war es leicht, Granger auszublenden und sich völlig auf Draco und was seine Gegenwart mit ihm machte, zu konzentrieren.   Er liebte dieses Gefühl. Dracos Glied lag heiß und schwer auf seiner Zunge. Er konnte die Adern an der Unterseite fühlen, während er jeden Zentimeter abtastete. Gierig sammelte er jeden Lusttropfen von der Spitze. Der Geschmack war einzigartig, berauschend, leicht salzig, ein Hauch bitter, aber irgendwie auch süßlich. Er musste keine Angst haben, süchtig danach zu werden. Er war es schon längst. Aber nicht nur nach dem Geschmack.   Harry spürte, die Draco jedes Mal erschauderte, wenn Harry mit seiner Zungenspitze in den kleinen Schlitz in der Eichel stippte. Atemloses Stöhnen, der harte Griff in seinen Haaren, zuckende Hüften, bis zu dem Punkt, an dem er jede Selbstbeherrschung verlor und in Harrys willigen Mund stieß, immer schneller und schneller…   Granger dachte, dass Draco ihn erniedrigen wollte? Ihn ausnutzen? Harry war hier derjenige, der die Macht hatte. Draco war ihm völlig ausgeliefert.   „WAS HAST DU SCHEUSAL MIT IHM GEMACHT?“ Zugegeben, ein bisschen irritierend war ihr Geschreie schon.   Harry konnte sich Dracos überhebliches Grinsen gut vorstellen. „Nichts, was er nicht will.“   „Nein! Das glaube… ich dir nicht… Jeder kann sehen, dass… dass Harry unter einem Fluch steht…. Harry… bitte… hör doch auf mich!“ Ihre Stimme brach immer wieder.   Er würde nie wieder auf sie hören und schon gar nicht auf diese kläglichen Versuche, mit denen sie sich in erster Linie selbst zu überzeugen versuchte.   „Ich will das nicht sehen!“ Er konnte sich gut vorstellen, wie sie den Blick abzuwenden versuchte, um nicht weiter zuzusehen zu müssen, auch wenn es genau das war, war sie insgeheim wollte. Dracos Zauber würde das verhindern. Selbst wenn sie Augen schloss, sie konnte die Geräusche nicht ausblenden, nicht Dracos Stöhnen, nicht die obszönen Geräusche, die Harry verursachte, während er wie besessen an Dracos Erektion lutschte, nicht Dracos Schrei als er sich in Harrys Kehle ergoss.   Harry schluckte alles und leckte dann immer wieder über die Eichel, um auch noch den letzten Tropfen zu erwischen, bis Draco Finger in seinen Haaren ihn sanft von sich wegzog.   Etwas widerwillig stand er auf. „Er ist absolut perfekt, Hermine.“ Harry blickte verträumt zu seiner ehemaligen Freundin. In ihrem Gesicht stand der pure Horror.   Ein eleganter Finger legte sich an seinen Kiefer. Dem sanften Druck folgend schaute Harry in Dracos lächelndes Gesicht. Der kurze Kuss, der folgte, ließ Harry schnurren wie ein kleines Kätzchen, was Draco nur noch breiter lächeln ließ.   „Lass ihn bitte in Ruhe. Hast du ihn all die Jahre nicht schon genug gedemütigt? Warum machst du das?“ Granger klang sehr erschöpft. Ihre Tränen waren versiegt.   Dracos Lachen hallte durch den Raum wie nur Momente zuvor sein tiefes Stöhnen. „Stellst du diese Frage jetzt wirklich? Ich bitte dich! Ich hatte dich für intelligenter gehalten.“ Seine Stimme klang abfällig und eiskalt. Trotz, dass er nackt mitten im Raum stand, strahlte er so viel Überlegenheit aus. „Das ist Harry Potter. Der Junge, der lebt. Der Auserwählte.“   Zwei Arme schlangen sich besitzergreifend um Harrys Oberkörper, hielten ihn fest an eine starke Brust gedrückt. Draco strahlte so viel Hitze aus, also wollte er ihre beiden Körper miteinander verschmelzen.   „Und er gehört mir. Was glaubst du, würden unser Jahrgang, nein noch besser alle Schüler und Lehrer sagen, wenn sie wüssten, dass der große Harry Potter für seinen größten Rivalen die Beine breit macht und sich ficken lässt?“ Er wanderte mit seiner Hand nach untern und umfasste Harrys bereits wieder harte Erektion. Aber er bewegte seine Hand nicht, was Harry ein gequältes Wimmern entlockte. „Wenn sie wüssten, dass er alles tun würde, nur um sich von mir ficken zu lassen?“   Geschmeidig wie die Schlange, die er war, löste Draco sich von Harry und glitt nun seinerseits zwischen dessen Beine, drückte sie sanft auseinander. Er leckte genüsslich über die Innenseite von Harrys rechtem Oberschenkel.   Ein Schauer ging durch Harry. Er wusste ganz genau, was Draco da ableckte.   Granger hatte aufgegeben. Sie starrte auf die Szene vor sich, sah, wie Draco mit seiner Zunge etwas nachzeichnete, was sie für irgendein schwarzes Tattoo halten musste.   „Wenn sie wüssten, dass er meinetwegen die Seiten gewechselt hat.“   Harry sah den Moment, in dem die Worte zu ihr durchdrangen und Granger das vermeintliche Tattoo erkannte. Ihre Augen wurden riesig, drohten ihr aus den Höhlen zu springen. Ihr Atem kam für einige Sekunden komplett zum Stillstand, bevor sie anfing, sich noch heftiger gegen ihre Fesseln zu wehren.   „Nein, das kann nicht sein! Das kann einfach nicht sein!“, wiederholte sie immer wieder.   Harry beachtete sie nicht weiter. Er dirigierte Dracos Kopf zu seiner pochenden Erektion, die nach Aufmerksamkeit lechzte. Er schnappte überrascht nach Luft, als Draco sein Glied in voller Länge verschlang. „Ngh!“ Harry versuchte, bei Sinnen zu bleiben, aber Dracos Mund war einfach zu gut. Er leckte und saugte wie besessen und Harry wusste, dass er das nicht mehr lange durchhalten würde.   Mit einem Ruck zog Harry Draco nach oben und schleuderte ihn aufs Bett. Im Augenwinkel konnte er sehen, wie Granger hoffnungsvoll zu ihm aufschaute. Aber was auch immer sie in diesem Moment bei ihm sah, ließ diesen Funken sofort wieder erlöschen. Was blieb, war eine gebrochene Puppe, die sich in ihren abgetrennten Fäden verheddert hatte.   Er konzentrierte sich wieder auf Draco. „So, dass reicht jetzt. Wenn man dich so reden hört, könnte man ja denken, dass du das ernst meinst und ich überhaupt keinen Spaß an der Sache habe. Dreh dich um!“   Draco gehorchte sofort, kniete sich aufs Bett und streckte Harry seinen Hintern entgegen. Der Anblick war einfach zum Niederknien.   Harry fuhr langsam mit beiden Händen über den strammen Hintern. Er fühlte sich so gut an, weich und fest zugleich. Er zog die Pobacken auseinander, drückte sie wieder zusammen, knetete das runde Fleisch und beobachtete dabei fasziniert, wie sich die Muskeln um das kleine rosa Loch immer mehr entspannten und sich bereit machten, ihn aufzunehmen. Es bettelte ihn förmlich an, es zu füllen.   Zu gern kam er dieser Aufforderung nach. Gierig stürzte sich Harry auf die kleine Öffnung, leckte immer wieder darüber und zwang die Muskeln mit seiner Zungenspitze weiter auseinander. Das Wimmern und Seufzen spornten ihn nur noch mehr an. Erst als seine Zunge nicht mehr tiefer eindringen konnte, nahm er seine Finger dazu.   Fasziniert beobachtete er wie die Muskeln sich um seine Finger schlossen und ihn nicht mehr loslassen wollten. Immer wenn er sie etwas rauszog, verspannten sie sich, versuchte ihn festzuhalten, bis er sie wieder hineinstieß, immer auf einen bestimmten Punkt zielend.   „Aaah! Scheiße, Harry! Hör auf mit mir zu spielen. Fick mich endlich!“, jammerte Draco. Seine Stimme klang so süß verzweifelt.   Wer konnte da nein sagen?   „Nein!“, kam es gehaucht von Granger.   Harry hatte fast vergessen, dass sie da war. Sie sah ihnen die ganze Zeit zu, ein Ausdruck puren Horrors in ihrem Gesicht, aber Harry konnte auch die schwach geröteten Wangen, die leicht glasigen Augen sehen. Auch ihr Atem ging etwas schneller als er sollte. Er zwinkerte ihr kurz zu, bevor er sich mit einem tiefen Stoß in Draco versenkte.   „Fuck! Ja!“, schrie Draco.   Harry glitt mit seinen Fingern über den durchgedrückten Rücken. Es hatten sich ein paar Schweißtröpfchen gebildet, die im schwachen Licht glitzerten. Er fing die mit seinen Lippen auf, während er sich von Dracos Schulterblätter nach oben küsste. Ungeduldig wurde er an seinen Haaren gepackt. Ihre Münder krachten aufeinander in einen stürmischen Kuss. Harry machte ein überraschtes Geräusch, das in einem langgezogenen Stöhnen unterging. Seine Sinne wurden überflutet. Dracos Geschmack, sein Geruch, die Hitze, die er ausstrahlte und die ihn fest umklammert hielt, waren beinahe zu viel.   „Draco, Draco, Draco, Dracooo…“ Wie ein Mantra floss der Name immer wieder über seine Lippen.   Zur Antwort stieß Draco sein Becken ruckartig nach hinten. Sie stöhnten gleichzeitig auf. „Lass mich nicht noch länger warten.“   Nein, länger konnte auch Harry nicht mehr warten. Etwas widerwillig löste er sich von den süßen Lippen, aber er wusste, dass es gleich umso süßer werden würde.   Langsam, so langsam zog er sich aus Draco zurück, ließ ihn jeden Zentimeter seiner Länge spüren. Er konnte fühlen, wie Draco immer unruhiger wurde, aber Harry hielt ihn mit eisernem Griff umklammert.   „Harry.“, wimmerte Draco. „Bitte.“   Er stieß zu.   „Aaaaahhh!“ Ein lauter Schrei, aber Harry ließ Draco keine Chance, sich an ihn zu gewöhnen. Sofort zog er sich wieder zurück, nur um noch härter zuzustoßen. Und wieder. Und wieder.   „Fuck, ja. Harry! Genauso. Weiter! Schneller!“ Zu gern kam er Dracos Aufforderungen nach und schon bald übertönten ihre Schreie die immer undeutlicher werdenden Worte.   Die Welt verschwamm vor seinen Augen. Alles was er noch wahrnahm, war Draco und die Gefühle, die er in ihm auslöste. Harry wollte nicht, dass es aufhörte, aber er spürte, wie das Ende unaufhörlich näher rückte. Er schaute auf die Stelle, an der sie verbunden war, aber das war nicht genug. Er musste mehr von Draco spüren.   Harry schlang seinen linken Arm um Dracos Bauch und zog ihn oben. Sofort fanden sich wieder ihre Lippen. Der Kuss war beinahe verzweifelt und Harry erkannte, dass auch Draco nicht mehr lange durchhalten würden. Seine Hand wanderte tiefer über den schweißnassen Bauch und umgriff die Erektion, die er gesucht hatte.   Es dauerte nicht lange und Draco ergoss sich laut seinen Namen schreiend. Sein Mund nicht länger von Dracos gefangen, küsste sich Dracos Hals entlang und biss hart in seine Schulter als sein Glied plötzlich schon beinahe schmerzhaft eingeengt wurde.   Nach nur einem weiteren Stoß wurde auch Harry von einem heftigen Orgasmus fortgerissen.   Erschöpft, aber befriedigt ließen sich Harry und Draco auf das Bett fallen. Sie brauchen einen Moment, damit ihr Herzschlag sich beruhigte und sie wieder zu Atem kamen.   Lächelnd fuhr er mit seinem Zeigefinger über die Stelle, an der er Draco gebissen hatte. Es erinnerte ihn an Tag, an den er Begriffen hatte, dass Draco für ihn genauso empfand, wie Harry für ihn. Damals hatte Draco ihm in die Schulter gebissen.   Unschönere Erinnerungen folgten. Harry hatte Draco weggestoßen, mehrfach. Er war so froh, dass Draco nicht aufgegeben hatte. Das hier wollte er auf keinen Fall missen. Er würde sich das von niemandem wegnehmen lassen. Auch nicht von Granger.   Sein Blick wanderte auf die eingesunkene Gestalt. Sie hing kraftlos in den Seilen. Ihre Wangen glitzerten von neuen Tränen.   Harry stand auf. Seine Beine zitterten ein bisschen, aber er ließ es sich nicht anmerken, als er auf ihre Gefangene zuging. Er schaute sie eingehend an.   Sie war mal seine beste Freundin gewesen, aber jetzt konnte er keine positiven Gefühle mehr für sie entdecken. Aus einem Impuls heraus wollte er ihr die Tränen wegwischen, aber sie zuckte vor ihm weg und zischte als hätte sie sich verbrannt.   Erst jetzt erkannte Harry, in welchem Zustand sie sich wirklich befand. Ihre Wangen waren stark gerötet, ihr Atem ging fast so schnell wie seiner noch wenigen Augenblicken. Ihre Pupillen waren riesig, was nicht nur an dem dunklen Zimmer lag. Noch immer lag Panik in ihrem Blick, aber er wurde von Schuld und Scham überdeckt.   „Na? Hat dir gefallen, was du gesehen hast?“   Sie schüttelte heftig den Kopf.   „Aber, aber! Kein Grund es zu leugnen. Ich sehe es dir an. Keine Sorge, ich nehme dir das nicht übel, wirklich nicht. Ich meine, du musst dich mit Weasley zufriedengeben, während ich den heißtesten Jungen der Schule habe.“   Keine Widerworte. Was hätte sie auch sagen sollen? Ihre Erregung war zu offensichtlich. Aber dass sie es nicht leugnete, sagte einiges über ihren derzeitigen Geisteszustand. Sie stand noch unter Schock. Wenn sie erst einmal alles verarbeitet hätte, würde sie wieder zu ihrem alten Selbst finden.   „Aber so sehr du ihn auch willst. Er würde dich nicht mal eines zweiten Blickes würdigen. Du wertloses Schlammblut.“ Es genoss es, wie sie bei diesem Wort zusammenzuckte. „Du hältst dich für was Besseres, weil du Bücher auswendig lernen kannst, weil du bessere Noten hast als alle anderen, obwohl deine Eltern nur Muggel sind? Soll ich dir mal ein Geheimnis verraten?“ Harry ging ganz nah an sie heran und flüsterte in ihr Ohr, „Du bist ein Nichts.“   Sie erwiderte nichts, ihr Blick war leer. So machte das keinen Spaß.   Missmutig drehte sich Harry zu Draco um. „Ich glaube, wir haben sie kaputt gemacht.“   „Das ist schlecht. So können wir sie nicht zurückgeben.“, lachte Draco. Er war in der Zwischenzeit auch aufgestanden und stand jetzt wieder neben Harry.   Das lockte eine Reaktion aus Granger. „Was habt ihr jetzt mit mir vor?“, fragte sie mit einem Anflug von Panik.   „Leider nicht viel.“, seufzte Draco. „Dein Verschwinden würde nur unschöne Fragen aufwerfen.“   „Aber wir werden dafür sorgen, dass du mir nicht mehr hinterherspionierst. Außerdem werden wir deine Erinnerungen daran löschen... Und auch an unseren Streit heute. Ich will den Rest des Jahres in Ruhe verbringen.“   „Nein! Das könnt ihr nicht!“ Wieder versuchte sie sich aus ihren Fesseln zu befreien. Wieder vergeblich.   Harry kicherte. „Können wir nicht? Du hast doch erlebt, wie gut ich mit solchen Zaubern bin. Du brauchst dir also keine Sorgen machen, dass ich dein kleines Gehirn beschädige.“   „Und es wird auch nicht permanent sein.“, warf Draco ein.   „Richtig.“, stimme Harry ihm zu. „Sobald bekannt wird, dass ich mich Voldemort angeschlossenen habe, kriegst du deine Erinnerungen zurück.“   Sie wollte wieder wegsehen, aber Harry packte sie am Kragen und zwang sie, ihm direkt in die Augen zu sehen. „Ich will, dass du dich an jeden einzelnen Moment erinnerst. Ich will, dass du weißt, wie erregt du warst, als du uns zugesehen hast. Ich will, dass du jedes Mal daran denkst, wenn Weasley seinen armseligen Schwanz in dich steckt.“   „Warum?“, jammerte sie.   „Weil ich deine Überheblichkeit so satthabe. Ständig glaubst du, alles besser zu wissen und kommandierst jeden herum. Du kannst deine Fehler nicht einsehen und schiebst sie immer auf andere. Du mischst dich in Dinge ein, die dich nichts angehen und wenn du deinen Willen nicht kriegst, fängst du jetzt auch noch an, anderen hinterher zu spionieren. Du hast mir, seit wir uns kennen, immer wieder unter die Nase gehalten, dass du besser bist als ich. Aber ich habe dich locker abgehängt. Ich bin mächtiger, als du es jemals sein wirst und weil du nicht damit nicht klarkommst, versuchst du mich zu erniedrigen und willst mir einreden, dass ich nicht ohne dich zurechtkomme. Mir reicht es. Es wird Zeit, dass du mal einen Dämpfer bekommst.“ Angeekelt ließ er sie los und ging einen Schritt zurück.   Draco zog Harry zu sich und strich ihm liebevoll eine Strähne aus der Stirn. Harry fühlte sich sofort ruhiger. Dracos sanfter Blick änderte sich, als er sich zu Granger umdrehte. „Noch eine letzte Erinnerung, bevor wir sie dir nehmen?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, küsste er Harry.   Noch während des Kusses erhoben sie ihre Zauberstäbe. Ein violetter Lichtblitz löste sich aus dem einen, ein farbloser, der aussah als würde er die Luft bewegen, aus dem anderen Stab. Die Fesseln fielen herunter. Es dauerte nur zwei Sekunden, bis Granger wieder bei Sinnen war. Sie riss die Tür auf und rannte so schnell sie konnte fort.   Sie konnte das bösartige Funkeln in Harrys und Dracos Augen nicht mehr sehen.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Hermine rannte und rannte. Sie wurde immer schneller. Sie musste sich beeilen. Sie konnte spüren, wie die Erinnerungen ihr entglitten.   Es war schon lange Zeit nach der Speerstunde. Aber sie hatte keine Angst, einem Lehrer zu begegnen. Zum einen, weil sie Vertrauensschülerin war und somit außerhalb der der Speerzeiten im Schloss bewegen durfte, zum anderem, weil sie hoffte, dass sie irgendeinem Lehrer antreffen würde. Irgendeinem. Oder auch irgendeinem Schüler, der gegen die Ausgangssperre verstieß. Oder vielleicht einem Geist. Sogar über Filch und seine gruselige Katze würde sie sich freuen. Nur irgendjemandem, dem sie ihre Erinnerungen erzählen könnte, bevor sie komplett aus ihrem Gedächtnis verschwunden waren.   Aber ausgerechnet heute begegnete sie absolut niemanden. Kein gelangweilter Lehrer, kein vorwitziger Schüler, kein durchscheinender Geist, kein verbitterter Hausmeister.   Sie musste unbedingt ihre Gedanken zusammenhalten. ‚Harry ist ein Todesser. Harry ist ein Todesser. Sie müssen es wissen. Sie müssen es alle wissen. Er ist nicht mehr auf unserer Seite. Professor Dumbledore muss es erfahren. Ich muss zu Professor Dumbledore.‘   Sie wechselte die Richtung und lief auf die Räume des Schulleiters zu. ‚Er wird wissen, was zu tun ist. Harry ist ein Todesser. Er hat das Mal.‘   Wo war das Mal? ‚Auf seinem Arm ist nichts. Das hätten wir doch sehen müssen. Er läuft öfter nur mit T-Shirt rum.‘ Sie versuchte, sich zu konzentrieren, aber je mehr sie daran dachte, um so sicherer wurde sie, dass Harry kein Dunkles Mal hatte. Harry war kein Todesser.   ‚Aber er ist mit einem zusammen. Ja, ja! Ich habe ihn zusammen mit Malfoy gesehen. Malfoy manipuliert ihn. Er hat ihn irgendwie verflucht. Ich muss das jemanden erzählen. Ich darf es nicht vergessen.‘ Sie blieb mitten auf dem Gang stehen, schaute sich orientierungslos um. ‚Was mache ich hier? Hier geht’s nicht zum Gryffindor-Turm. Ich muss zurück, ich muss mich beeilen. Ich muss jemanden davon erzählen, bevor ich es vergesse.‘   Ausgerechnet in dieser Nacht war es so ruhig auf den Gängen. ‚Ich muss mich beeilen. Hoffentlich ist bei uns noch jemand wach. Oder ich muss sie wecken. Hauptsache schnell. Ich muss jemandem von Harry und Malfoy erzählen. Es ist wichtig.‘   Zitternd und völlig fertig, kam sie vor dem Portrait der fetten Dame an, hetzte schnell das Passwort runter und wurde schon eine Sekunde später hineingelassen. Sie war so unendlich dankbar, als sie bemerkte, dass noch Licht brannte und ein roter Haarschopf zusammengesunken vor dem Kamin lag. Ein Buch lag aufgeschlagen auf seiner Brust. ‚Ich habe es geschafft. Ich kann es Ron erzählen. Er wird helfen.‘   „RON!“, rief sie laut und stürmte auf ihren Freund zu, der, aus seinen friedlichen Träumen gerissen hochschreckte.   Ron war sofort hellwach. „Hermine, hast du mich erschreckt. Wo kommst du denn her? Du bist ja völlig außer Atem.“   „Es ist wichtig. Ich… Ich… Ich weiß es nicht. Es ist etwas passiert. Und dann ich bin hergerannt, weil ich es jemandem erzählen muss.“ Was war es denn noch mal? Es war so wichtig gewesen. Sie konnte es doch unmöglich vergessen haben?   „Shhh! Es ist alles gut.“, versuchte Ron sie zu beruhigen. „Peeves hat dir sicher einen Streich gespielt.“   „Hat er das?“ Ihr Herz wummerte so schnell. Das konnte doch nicht einfach nur von einem Streich stammen. Andererseits war sie hergerannt. Schnell. Aber von wo? Wieso konnte sie sich nicht erinnern? Dieser Poltergeist musste sich was Neues ausgedacht haben, das sie so aus der Bahn geworfen hatte.   „Ja, das hat er. Ich habe mich ganz schön erschrocken.“ Sie war noch ein bisschen irritiert, aber dann lächelte sie ihren Freund erschöpft an und gab ihm einen Kuss. Sie ärgerte sich, dass sie sich von Peeves hatte reinlegen lassen. Noch mal würde ihr das bestimmt nicht passieren.   „Was hat er denn gemacht?“, wollte Ron wissen.   „Mmmhh…“ Sie erinnerte sich nicht. „Ist nicht so wichtig.“   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Als Harry eine Stunde später in den Gemeinschaftsraum zurückkehrte, saßen Granger und Weasley kuschelnd vor dem Kamin.   „Uh, Harry! Du bist aber spät zurück. Wo warst du denn noch?“, fragte Granger. Ihre Stimme klang ruhig, kein anklagender Unterton war darin zu hören.   „Unten am See. Bin eingeschlafen.“ Harry tat, als wäre er verlegen. Innerlich genoss er diesen Moment. Es lief genauso, wie er sich das vorgestellt hatte.   „Alter, du musst aufpassen.“, lachte Weasley. „Irgendwann zieht dich der Riesenkraken hinein.“   „Jaaahhah…“, gähnte er. „Bestimmt! Ich werde jetzt ins Bett gehen und weiterschlafen.“   „Mach das. Du brauchst deinen Schlaf.“, meinte Granger.   „Wozu sind Wochenenden sonst da? Au!“ Granger hatte Weasley spielerisch angestupst.   Oh wie schön es doch war, dass sie sich wieder vertragen hatten. Das würde Harry ein paar Tage Ruhe geben.   „Ach, und du musst aufpassen, wenn du so spät noch draußen unterwegs bist. Peeves spielt wieder Streiche und sie werden immer fieser. Er hat Hermine vorhin einen Riesenschreck eingejagt.“   „Oh je! Ich hoffe dir geht es gut?“, besorgt sah Harry auf seine Freundin.   „Ja, ja. Kein Grund sich Sorgen zu machen. Habe nur einen Schreck gekriegt.“, winkte sie ab.   „Dann ist ja gut. Ich werde aufpassen. Danke, für den Tipp.“ Innerlich Tränen lachend wünschte Harry beiden eine gute Nacht und ging in den Schlafsaal.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Es war eine ruhige Nacht, keine Wolke war am Himmel zu sehen. Die Sterne und der Mond leuchteten um die Wette.   Nur über Hogwarts war finster. Kein Licht drang durch die Schar Raben, die dicht an dicht ihre Kreise zogen und den Nachthimmel komplett eingenommen hatten. Kapitel 43: Verluste -------------------- „Los, los, los!“, schrie Harry über den pfeifenden Wind hinweg.   Er saß auf seinem Besen, flog weit über dem Quidditch-Feld seine Runden und beobachtete seine Mannschaft. Vor zwei Monaten waren sie in Höchstform gewesen und jetzt, kurz vor dem letzten Spiel, hatten sie ihren Schwung verloren.   Grund dafür waren die beiden Weasleys, die sich weniger auf ihr Training konzentrierten, sondern mehr darauf, ihn anzustarren. Mini-Weasley schaute ihn mit einer Mischung aus Sehnsucht und Verlangen an. Seine Abfuhr schien vergessen und sie konzentrierte sich wieder völlig darauf, ihn für sich zu gewinnen.   Wenn sie ihn nicht gerade anhimmelte, probierte sie irgendwelche irrwitzigen Stunts, die nichts mit ihrer Strategie zu tun hatten. Die Faultierrolle, die Angelina Johnson mit ihnen letztes Jahr hatte trainieren wollen, was aber wegen Umbridge und ihres Gruppenverbots nicht geklappt hatte, beherrschte sie ganz passabel, den Woollongong Shimmy sah mehr aus wie Bögen als wie ein Zick-Zack und beim Wronski-Bluff, der nicht einmal etwas mit ihrer Position als Jäger zu tun hatte, versagte sie völlig. Es waren klägliche Versuche, ihn zu beeindrucken.   Allerdings sorgte es dafür, dass sie seine Aufmerksamkeit hatte – wenn auch nicht auf die Weise, die sie gerne hätte. Harry hatte sie mehrfach ermahnen müssen, sich auf das eigentliche Training zu konzentrieren. Vergeblich. Ihre Teamkameraden waren auch bereits genervt von ihrem Verhalten und Harry war wirklich am überlegen, sie so kurz vor ihrem letzten Spiel noch gegen ihren Ersatzmann, Dean Thomas, auszuwechseln.   Hoffentlich würden ihm die Klatscher, die immer häufiger in ihre Richtung flogen, die Entscheidung abnehmen.   Genauso gern würde Harry ihren Bruder auswechseln.   Cormac McLaggen war im Laufe des Jahres viel besser geworden und Harry bereute langsam seine Entscheidung, Weasley die Rolle des Torhüters gegeben zu haben. Zugeben, seine Entscheidung hatte mehr mit Sympathie zu tun gehabt als mit Talent und obwohl Weasley sich als ganz ordentlicher Torhüter bewiesen hatte, war er heute kaum besser als ein Erstklässler, der das erste Mal auf einem Besen saß.   Er hielt nicht einen Quaffel und schaute jedes Mal wütend zu Harry, als wäre er daran schuld. Harry wusste nicht, was er getan hatte, um das zu verdienen. Er hatte geglaubt, dass zwischen ihnen – scheinbar – wieder alles in Ordnung wäre. Seitdem Mini-Weasley nicht mehr in Tränen ausbrach, wenn sie Harry sah, hatten sie sich wieder ganz normal unterhalten.   Harry hatte keine Entschuldigung gehört und sie taten, als wäre nie etwas gewesen, aber das sollte ihm recht sein. Und jetzt das. Was hatte er denn nun schon wieder getan?   „Schluss für heute!“, schrie Harry über den tosenden Wind hinweg, als Mini-Weasley erneut einem Klatscher mit einer Faultierrolle ausgewichen war und ihn anschaute als wollte sie sagen ‚Schau wie toll ich bin.‘.   Mit grimmigen Blicken und fluchend flogen alle zurück zum Boden. Harry konnte die Blicke der beiden Weasleys auf sich spüren, aber er ignorierte sie und machte sich auf, den Schnatz zu fangen.   Bereits fünf Minuten später, lag er sicher in seiner Hand. Die feinen Flügel schillerten in der Nachmittagssonne. Harry fuhr mit dem Daumen über die goldene Schale und bevor der Schnatz seine Flügel zusammenfalten konnte, hatte er ihn wieder hochgeworfen. Aufgeregt zuckte der kleine Ball hin und her und war dann wieder verschwunden.   Es dauerte eine weitere dreiviertel Stunde, bis Harry den Schnatz erneut in seinen Händen hielt. Genug Zeit, damit die anderen aus den Umkleiden verschwunden waren.   Er verstaute die Bälle, ging schnell duschen und machte sich dann auf den Weg zurück ins Schloss.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Im Gemeinschaftsraum herrschte aufgeregte Stimmung. Alle waren gespannt auf das kommende Quidditch-Spiel. Sie diskutierten, wie hoch ihre Chancen waren, den Pokal noch zu bekommen. Sobald Harry durch das Porträtloch geklettert kam, wurde auch er in Beschlag genommen, gefragte wie er ihre Aussichten einschätzte und ermahnt, dass er ja warten müsste, bis sie genügend Punkte hatten, bevor er den Schnatz fing.   Harry ließ es geduldig über sich ergehen, lächelte seine Kameraden fröhlich an und sagte immer wieder, wie zuversichtlich er sei, weil sie nie ein besseres Team hatten – auch wenn er das im Moment nicht so sah – und versprach, immer den Punktestand im Auge zu behalten.   Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und blieb an Granger hängen. Ihre Blicke trafen sich. Ihre Augen weiteten sich eine Spur, bevor sie hastig ihren Kopf zur Seite drehte. Hatte Harry sich das nur eingebildet oder war sie wirklich leicht rot geworden?   Seine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, als Weasley, der bis eben noch neben ihr gesessen hatte, sich erhob und mit schnellen Schritten auf ihn zukam. „Du Mistkerl!“   Weasleys Gesicht war hochrot angelaufen, machte seinen Haaren Konkurrenz. Die sonst trüben blauen Augen funkelten vor Zorn.                                                                                Harry starrte seinen ehemaligen Freund verwirrt an. Wo kam das denn her? Um sie herum verstummten nach und nach die Gespräche.   „Ron, hör auf!“ Granger war ihrem Freund hinterhergerannt, nahm seinen Arm und wollte ihn wegzerren. Aber Weasley schüttelte sie ab und ignorierte sie.   „Was habe ich denn gemacht?“, fragte Harry, bemüht nicht genervt zu klingen. Er hatte keine Lust auf… was immer das auch werden sollte.   „Tu doch nicht so! Erst machst du dich an meine Schwester ran, jetzt auch noch an meine Freundin!“, spie Weasley verächtlich.   „Was?“, fragte Harry ungläubig. Er musste sich verhört haben.   „Hör auf! Das stimmt überhaupt nicht. Harry hat nichts dergleichen getan.“, redete Granger auf ihn ein.   „Ach und deswegen stöhnst du seinen Namen, wenn wir…“   ‚Wie bitte?‘   „RON!“ Grangers Gesicht war jetzt fast so rot wie das von Weasley.   Der aber ignorierte sie. „Ich habe mir nichts dabei gedacht, als Lavender und Parvati darüber gesprochen haben, dass du Harrys Namen im Schlaf gesagt hast, weil ich dir vertraut habe.“   „WAAAAAAAS?“ Die schrille Stimme ließ sie alle zusammenzucken. Natürlich musste sich Mini-Weasley auch noch einmischen. „Hermine, wie kannst du nur?“   „Ich habe nichts gemacht.“, fauchte sie genervt zurück, bevor sie sich wieder ihrem Freund zuwandte. „Es tut mir leid, Ron. Wirklich. Ich schwöre zwischen Harry und mir läuft nichts.“   Mini-Weasley stürmte auf Granger zu und riss sie herum. „Ich hätte es wissen müssen. Die ganze Zeit hast du so getan, als würdest du mir mit Harry helfen wollen, dabei hast du mich die ganze Zeit belogen und unsere Beziehung sabotiert. Kein Wunder, dass es nicht geklappt hat.“   „Nein, Ginny. Das würde ich niemals tun.“, versuchte Granger sich zu verteidigen.   „Ach, gib es ruhig zu. Ihr habt die ganze Zeit hinter meinen Rücken über mich gelacht. Mit dem dummen Ronald Weasley kann man’s ja machen.“   „Nein! Ron, glaub mir doch.“ Granger hatte Tränen in den Augen. Sie sah so mitleiderregend aus, dass Harry fast Mitleid mit ihr hatte. Aber nur fast.   Weasley redete weiter, als hätte er sie nicht gehört. „Ich hoffe, ihr hattet euren Spaß. Wie lange läuft das schon zwischen euch?“   „Du hast mir Harry weggenommen!“   „Das habe ich nichts. Da läuft gar nichts. “   „Ich habe dir vertraut.“   „Ich habe dich nicht hintergangen.“   „Du bist ein hinterhältiges Miststück!“   „Gin-ny…“   Harry wusste nichts, ob er lachen oder weinen sollte. Der Krach pochte in seinem Kopf und kündigte einen heftigen Kopfschmerz an. Andererseits war es irre komisch. Mit diesem Ausgang hatte er nicht gerechnet.   Granger träumte von ihm? Von Harry? Sie hatte doch Draco die ganze Zeit angestarrt und fast gesabbert bei seinem Anblick. Harry hatte geglaubt, dass sie ihn als etwas sah, dass man rumkommandieren könnte, im besten Fall als Bruder. Dass sie von Harry träumte und seinen Namen auch noch stöhnte, während sie mit ihrem Freund zugange war, kam sehr überraschend.   Der Gemeinschaftsraum hatte sich in der Zwischenzeit immer mehr gefüllt. Nur wenige Schüler waren gegangen. Aus den Augenwinkeln konnte Harry sehen wie Brown selbstzufrieden grinste. Die anderen starrten abwechselnd zwischen den drei Streitenden hin und her. Genauso häufig blickten sie zu Harry und warteten darauf, dass er sich einmischte.   Das wollte Harry aber nicht. So amüsant die gesamte Situation auch war, am liebsten würde er sich seinen Tarnumhang umwerfen und verschwinden.   „Du elender Hund! Sag was!“ Weasley hatte sich von seiner Freundin – Exfreundin? – weggedreht und zeigte mit gezogenem Zauberstab auf Harry.   „Lass Harry in Ruhe!“, riefen Granger und Mini-Weasley gleichzeitig, bevor Harry etwas erwidern konnte.   Das machte Weasley nur noch wütender. Sein Arm zuckte.   Harry reagierte blitzschnell. Er hatte seinen Zauberstab gezogen und einen Schutzschild um sich gelegt, bevor Weasley seinen Fluch ausgesprochen hatte.   „Furnunculus!“   Als der Zauberspruch nicht die gewünschte Wirkung zeigte, wurde Weasley nur noch wütender. Er schickte einen Wabbelbeinfluch hinterher, der an Harrys Protego abprallte.   Ein Schrei lenkte kurz ihre Aufmerksamkeit auf die Drittklässlerin, auf die der Fluch abgeprallt ist. Ihre Beine sackten zusammen, als hätten sie keine Knochen mehr.   Weasley riss erschrocken seine Augen auf, aber es dauerte nur einen winzigen Moment und schon schwang er seinen Zauberstab wieder gegen Harry.   Granger eilte zu der jungen Hexe und sprach den Gegenfluch. „Ron! Hör sofort auf!“ Aber er hörte sie nicht oder ignorierte sie einfach.   Auch die anderen Gryffindors kamen in Bewegung. Ein paar Schüler drängten sich gegen die Wände, hatten zu viel Angst, von einem Irrläufer getroffen zu werden, waren aber zu neugierig, um den Raum zu verlassen. Nur ein paar Erstklässler kletterten durch das Porträtloch nach draußen. Die meisten aber versammelten sich um Weasley und Harry und feuerten sie an. Es war auffällig, dass die meisten auf Harrys Seite waren.   Keiner hatte daran gedacht, einen Schutzschild um sie zu legen. Genervt schirmte Harry sie ab, während er weitere schlecht ausgeführte Zauber und Flüche von Weasley abwehrte. Weasley war ein grausiger Duellant, kein Vergleich zu Draco, bei dem er wirklich aufpassen musste.   Aber Weasley war zu blind in seiner Wut und griff Harry immer wieder erfolglos an.   Der Locomotor Mortis verpuffte an Harrys Schild. Den Petrificus Totalus parierte er mit dem passenden Gegenzauber, noch bevor Weasley den Zauber überhaupt fertig ausgesprochen hatte. Für den Manduca Cochleae wollte er einen Schritt zur Seite machen, aber der grüne Lichtblitz, der den Zauber begleitete war so schwach und zittrig, dass Harry einfach nur abwartete und zusah, wie er erstarb, noch bevor er sein Ziel erreicht hatte.   Harry zog eine Augenbraue nach oben. ‚Wirklich?‘ Dieser Spruch war schon bei Draco in ihrem zweiten Jahr schiefgegangen. War Weasley wirklich so scharf darauf, wieder stundenlang Schnecken hervorzuwürgen?   Jeder Fehlschlag machte Weasley wütender und je wütender er wurde, desto weniger hatte er seine Zaubersprüche unter Kontrolle.   Die Bewegungen für den Rictusempra waren ungenau, die Betonung der Worte völlig falsch. Der Zauber ging nach hinten los. Weasley krümmte sich vor lachen und konnte nicht mehr aufhören. Immer wieder versuchte er seinen Zauberstab zu heben, nur um von einer erneuten Welle erfasst zu werden.   Ihre Hauskameraden sahen Weasley verständnislos an. Es war ein Trauerspiel. Harry hätte den Gegenzauber sprechen können, aber er glaubte nicht, dass Weasley aufhören würde.   ‚Impedimenta!‘ Weasley erstarrte mitten in einem Lachanfall und kippte zur Seite.   Die Jubelschreie und Anfeuerungen erstarben. Fassungslos starten die anderen abwechselnd auf den am Boden liegenden Weasley und Harry, der mit erhobenem Zauberstab dastand, aber dem kein Wort über Lippen gekommen war – als ob sie alle vergessen hatten, dass Zauber auch ungesagt funktionierten.   „WAS IST HIER LOS?“, donnerte eine Stimme. In der nur allzu vertrauten Schärfe klang eine Spur Erschöpfung mit.   Verdammt! Die Erstklässler, die zuvor den Gemeinschaftsraum verlassen hatten, hatten McGonagall geholt. Harry hatte nicht darauf geachtet. Jetzt krachte ihre Präsenz wie ein Blitzschlag in sein Bewusstsein.   Die Schüler stoben auseinander, einige versuchten, sich in die Schlafräume zu retten, aber McGonagall sprach einen Zauber, der rauchartige Hände aus ihrem Zauberstab hervorschießen ließ und die Schüler am Kragen packte. Sie zappelten kurz in der Luft, bevor sie wieder an ihren früheren Plätzen abgestellt wurden.   Alle sahen beschämt zu Boden.   „Ich kann nicht glauben, was ich hier sehen muss. Ich hätte mehr von Ihnen erwartet. Von Ihnen allen. Finite Incantatem!“ Der Impedimenta und der fehlgeschlagene Ristusempra wurden von Weasley genommen.   Er war noch etwas benommen und schaffte es nicht gleich aufzustehen. McGonagall zehrte ihn ungeduldig am Kragen hoch.   „Sie sollten es besser wissen, als sich im Gemeinschaftsraum zu duellieren. Sie hätten nicht nur sich, sondern auch andere verletzen können.“   Harry biss die Zähne zusammen. Ihr zu sagen, dass er einen Schutzschild gezaubert hatte, würde ihre Situation nicht verbessern. Sie konnten froh sein, dass die Drittklässlerin und alle anderen auch den Mund hielten und nicht erzählten, dass bereits ein Irrläufer jemanden verletzt hatte. Harry riskierte einen kurzen Blick in ihre Richtung. Ihr Augen waren wie die aller anderen beschämt nach unten gerichtet. Ansonsten schien ihr nichts zu fehlen. Gut, dass Granger nicht ganz untalentiert war.   „Ich bin sehr enttäuscht von Ihnen, Mr. Potter, Mr. Weasley. 50 Punkte Abzug – für jeden von Ihnen.“   Die Anspannung wuchs. Harry konnte hören, wie der eine oder andere scharf die Luft einsog. Der Hauspokal war gerade in weite Ferne gerückt.   „Und zwei Wochen lang Nachsitzen, jeden Abend bei mir. Beginnend heute Abend, direkt nach dem Abendessen.“   Das war schlimmer als die Punkte, die sie verloren hatten. Er würde Draco nicht sehen können.   „Und kein Quidditch!“   „WAAAAAS?“ Plötzlich kam wieder Leben in den Gemeinschaftsraum. Köpfe schossen ruckartig nach oben, Münder wurden aufgerissen und ließen Schwalle von Protesten auf ihre Hauslehrerin nieder. Alle drängten auf sie zu.   Widerstandslos ließ Harry sich zur Seite schieben. Alle redeten durcheinander, wie unfair das war. „Die Strafe ist viel zu hart.“ „Warum muss das ganze Haus darunter leiden?“ „Ohne Harry haben wir keine Chance zu gewinnen.“ „Das Nachsitzen ist doch völlig ausreichend.“ „So schlimm war das doch gar nicht.“ „Es ist doch überhaupt nichts passiert.“ Es war so laut, dass Harry kaum seine eigenen Gedanken hören konnte.   Noch an diesem Morgen hatte er daran gedacht, die beiden jüngsten Weasleys auszutauschen. Dabei hatte er nicht daran gedacht, dass Mini-Weasley ihn als Sucher ablösen würde. Sie war nicht so gut, wie sie glaubte. Gryffindor würde haushoch verlieren.   „Professor McGonagall, bitte!“, flehte der andere Weasley. „Lassen Sie uns spielen. Ich sitze auch freiwillig bis zum Ende des Schuljahres nach. Sie können doch nicht wollen, dass wir verlieren.“   Harry glaubte nicht, dass sie ihn überhaupt gehört hatte. Seine Stimme ging in den anderen unter.   „GENUG!“ Die durch den Sonorus verstärkte Stimme dröhne über sie hinweg. Nach und nach verstummten die anderen wieder. Aber ihre Mienen schrien dafür umso lauter.   „Glauben Sie, ich will das?“, fragte Sie spitz. Ihre Stimme war ein bisschen höher als normalerweise.  „Unsere Schule hat ein paar schwere Wochen hinter sich. Man sollte meinen, dass nach solch schwerwiegenden Vorfällen, jeder ein bisschen umsichtiger und verständnisvoller wäre. Sie sollten aufeinander Acht geben. Das Haus ist gleichsam Ihrer Familie. Aber statt Ihre Probleme in Ruhe auszudiskutieren, greifen sie gleich zu Ihren Zauberstäben. Ich hätte von Ihnen allen mehr Reife erwartet. Und das ausgerechnet in meinem Haus.“   Die meisten sahen betreten zu Boden. Aber einige funkelten Harry wütend an. Harry funkelte zurück. Er hatte doch überhaupt nichts getan. Im Gegenteil.   „Die Konsequenzen haben Sie sich selbst zuzuschreiben. Und seien Sie froh, dass ich nicht die ganze Mannschaft sperren lasse. Verdient hätten Sie es.“   Keiner wagte mehr, einen Ton zu sagen. Die Drohung hing schwer in der Luft und drückte auf sie nieder.   „Ich erwarte, dass Sie sich benehmen.“ Mit diesen Worten verließ sie den Gemeinschaftsraum.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Die nächsten Tage waren die reinste Folter. Harry hatte nicht mal die Möglichkeit, Draco Bescheid zu geben. Er hoffte, dass Severus von dem Vorfall wusste und Draco informiert hatte. Es war frustrierend, seine eh schon viel zu knappe Zeit mit Draco nach weiter einkürzen zu müssen. Wenigstens wäre das Nachsitzen rechtzeitig zu Dracos Geburtstag wieder vorbei.   Aber Weasley schien es darauf angelegt zu haben, ihre Strafe noch zu verlängern. Abend für Abend bekamen sie Aufgaben von McGonagall, die man nur zu zweit bewältigen konnte. Eine Zusammenarbeit war allerdings nicht möglich. Weasley war nur halbherzig bei der Sache und schaute Harry meistens nur böse an. Sie redeten so gut wie gar nicht miteinander und wenn Weasley doch mal etwas sagte, war es abfällig und voller Hass.   Das traf aber nicht nur auf diesen rothaarigen Gnom zu. Komplett Gryffindor war wütend auf sie beide.   Sie hatten das Spiel gegen Ravenclaw verloren. Harry hatte auf der Tribüne gesessen und zugesehen, wie sie vernichtet wurden. McLaggen war als Hüter gar nicht so schlecht gewesen, aber die ganze Mannschaft war so demoralisiert, dass die Jäger nicht ein Tor gemacht hatten und die Treiber so schlecht gezielt hatten, dass sie beinahe ihre eigenen Leute vom Besen geholt hätten. Am schlimmsten war Mini-Weasley gewesen. In ihrer maßlosen Selbstüberschätzung hatte sie unzählige Chancen, den Schnatz zu fangen, vorbeifliegen lassen – im wahrsten Sinne des Wortes – bis die gegnerische Mannschaft das Trauerspiel beendet hatte.   Zugegeben, ganz so schlimm war es nicht gewesen, aber Harry war sauer, dass es überhaupt soweit gekommen war. Ravenclaw war dieses Jahr nicht so stark. Sie hätten nicht verlieren dürfen. Auch nicht mit ihren Ersatzspielern.   Trotzdem gab man Harry und Weasley die Schuld an der Niederlage. Während Harry das bereits gewohnt war und sowohl mit Schweigen als auch mit schnippischen Kommentaren umgehen konnte – und zugegeben froh war, zur Abwechslung mal nicht so tun zu müssen, als wäre er mit jedem Freund – kam Weasley mit der Situation überhaupt nicht zurecht.   In dem Versuch von sich abzulenken, tat er alles, damit Harry noch schlechter dastand. Letztendlich war Harry der Sündenbock für das verlorene Spiel und den Verlust des Hauspokals. Keiner sah noch Chancen, dass sie ihn bekommen konnten. Sie hatten die wenigsten Punkte und selbst Dumbledore, der Gryffindor in den letzten Jahren gerne mal übermäßige Extrapunkte gegeben hatte, konnte das nicht wettmachen.   Harry hatte sich schnell wieder daran gewöhnt, der Sündenbock zu sein. Er blendete das meiste aus und wich seinen Kameraden so gut es ging aus. Nur Weasley, der mal wieder bewies, dass er ein Freund war, auf den man sich in jeder Lebenslage verlassen konnte, konnte er durch das Nachsitzen nicht ausweichen.   Viel konnte Weasley nicht tun, da McGonagall immer dabei war. Er wurde häufiger ermahnt und angedroht, dass seine Strafe verlängert würde, aber er tat nichts, was das gerechtfertigt hätte. McGonagall sah Harry immer nur mitleidig an.   Auch die anderen Häuser bemerkten, dass es zum Bruch gekommen war. Das Goldene Trio existierte nicht mehr und würde auch nie wieder zusammenkommen. Nicht, wenn es nach Harry ging. Auf das Gespräch mit Dumbledore freute er sich nicht. Zum Glück glänzte ihr Schulleiter mal wieder mit Abwesenheit.   Die Slytherins nahmen den Streit zum Anlass und stichelten weiter in das ohnehin schon gespaltene Haus. Wieder einmal bewiesen sie, wie kreativ sie sein konnten. Es gab ein dreiseitiges Knallbonbon, auf dem jeweils auf jeder Seite eine Karikatur von Granger, Weasley und Harry abgebildet war. Wenn man es auseinanderzog kam goldenes Konfetti heraus, dass schwarz wurde, bevor es den Boden berührte.   Harrys Liebling war ein Bettlaken, das so verzaubert war, dass es aussah, als würden darunter zwei Menschen miteinander schlafen. Eine Stimme, die verdächtig nach Granger klang, stöhnte immer wieder ‚Harry! Harr-ry… Aah!‘.   Weasley rastete jedes Mal beinahe aus. Seine Zauberstabhand zuckte verdächtig und ihre Klassenkameraden mussten ihn wegzerren, damit er ihnen nicht noch mehr Punkte kostete.   Mit Granger redete er kein Wort mehr. Weasley war so überzeugt, dass sie beide ihn hintergangen hatten, dass er die Wahrheit nicht sehen konnte. Sie hatte mehrfach versucht, mit ihm zu reden. Vergebens. Erst als er sie „Schlammbluthure“ nannte, hatte sie aufgegeben.   Granger wurde in der Zwischenzeit von allen gemieden. Keiner glaubte ihr und einige waren sogar davon überzeugt, dass sie diejenige gewesen ist, die die anderen Hexen verflucht hatte, weil sie Harry für sich alleine wollte und Weasley war nur ein Zeitvertreib, bis sie ihr Ziel erreicht hatte.   Das war lächerlich. Und das hätte jeder gesehen, wenn er sich die Zeit genommen hätte, um genauer hinzusehen. Ihr verletzter Blick, die Tränen, die stumm über ihre Wangen rollten, die Tatsache, dass sie Harry mied, als hätte er Drachenpocken, waren alles Beweise dafür, dass nicht er es war, mit dem sie zusammen sein wollte. Was hätte sie denn jetzt noch daran hindern sollen, wenn es so gewesen wäre?   Aber so war es eben. Die Ignoranz der Zauberwelt – sie würde ihr Untergang sein.   Harry konnte es kaum erwarten, bis dieses Theater ein Ende hatte. Erst das Nachsitzen überstehen, dann den Rest des Schuljahres und dann nur noch ein weiteres Jahr.   Dann endlich würden sie alle ihre Fehler erkennen. Dafür würde er sorgen. Kapitel 44: Geschenkte Zukunft ------------------------------ Endlich war das Nachsitzen vorbei. Es waren zwei endlose Wochen gewesen. Die Situation in Harrys Haus hatte sich seitdem nicht verbessert. Die Niederlage beim letzten Quidditch-Spiel saß immer noch tief bei seinen Hauskameraden und sie ließen es ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit spüren.   Harry hatte es sich zur Gewohnheit gemacht allen und jeden aus dem Weg zu gehen. Die Momente, in denen er es nicht konnte – im Unterricht, beim Essen oder wenn er durch ihren Gemeinschaftsraum musste – wurde er mit bösen Blicken und spitzen Bemerkungen bedacht.   Alle bekamen es mit, aber wie schon in den Jahren zuvor, ergriff niemand für Harry Partei. Selbst die paar Schüler aus Hufflepuff und Ravenclaw, mit denen er sich noch gut Verstand, mieden ihn lieber als sich einzumischen – die spitzen Kommentare von den Slytherins wurden auch nicht weniger. Die Lehrer schauten ihn nur mitleidig an. Selbst McGonagall sagte kein weiteres Wort.   Die Situation war nur allzu vertraut. Aber im Gegensatz zu früher, störte es Harry nicht länger. Er war froh, dass er seine Ruhe hatte und machen zu konnte, was er wollte. Er musste sich vor niemanden rechtfertigen, wenn er mal wieder für ein paar Stunden verschwunden war. Niemand wollte ihm mehr Vorschriften machen. Es war wie im Paradies.   Harry wusste nur noch nicht, wie er das Dumbledore beibringen sollte, sobald er wieder da war. Aber damit würde er sich auseinandersetzen, wenn es so weit war. Momentan gab es wichtigere Dinge zu erledigen.   Zum Beispiel endlich diese Trainingsstunde mit den Babytodessern zu beenden.   Sie waren alles andere als produktiv gewesen. Alle scharwenzelten um Draco herum, überhäuften ihn mit irgendwelchen teuren Geschenken, die er weder brauchte noch wollte.   Harrys Zauberstabhand zuckte mehrfach, als er beobachten musste, wie sich Parkinson an ihn herandrückte und versuchte, ihn mit teuren Pralinen zu füttern – laut ihrer Aussage die teuersten der Welt.   „Die Schokolade ist hergestellt aus Kakaobohnen aus einer magischen Kolonie versteckt im Himalaya, versetzt mit Trüffeln, die nur speziell ausgebildete Niffler finden können, handverarbeitet von Veelas, die ihre spezielle Magie in die Bearbeitung einfließen lassen.“, trällerte sie ekelerregend süß.   Pft! Ohne Zweifel enthielten sie einen leichten Liebeszauber, gerade genug um eine leichte Wirkung zu erzielen, aber nicht genug, um wirklich jemanden liebeskrank zu machen.   Dracos Lippen waren zu einer dünnen Linie zusammengepresst. Sein Blick war so kalt, dass es ein Wunder war, dass Parkinson nicht zu Eis erstarrte. Wie konnte ein Mensch nur so blind gegenüber Ablehnung sein? Und wie verzweifelt musste man sein, um zu solchen Mitteln zu greifen?   Die anderen Slytherins waren nicht ganz so aufdringlich, aber die Geschenke nicht weniger dekadent. Auf dem Tisch, auf dem sich auch die Geschenke von Dracos Eltern stapelten, waren Handschuhe und Stiefel aus Drachenleder – genau das Richtige für diese Jahreszeit. Ähem! – ein Festumhang aus schwarzgefärbter Acromantulaseide mit einem schuppenartigen Muster aus silbernen und grünen Fäden – wahrscheinlich nicht ganz legal – verschiedene Bücher, deren Einbände schon unglaublich teuer aussahen und deren Inhalte wahrscheinlich nicht weniger illegal waren. Es waren auch ein paar Artefakte und Instrumente dabei, bei denen Harry die Funktion nicht einmal im Ansatz erahnen konnte.   Selbst die paar Süßigkeiten, die sich darunter verbargen, waren keine gewöhnlichen, die man im Honigtopf kaufen konnte. Es war kein Vergleich zu den Geschenken, die sie sich in Gryffindor machten. Bei ihnen gab es Schokofrösche, Bertie Botts Bohnen in jeder Geschmacksrichtung, Kesselkuchen und Besenpflege-Sets; seltener ein paar Bücher, aber selbst die waren nicht in dieser Preisklasse.   Ein Unterschied war auch, dass die Gryffindors die Geschenke für ihre Freunde selbst kauften und nicht ihre Eltern. Vielleicht war es ein interner Wettbewerb, wer dem Sohn der rechten Hand des Dunkles Lords das kostbarste Geschenk machte. Gerade jetzt, wo Draco selbst einen nicht gerade kleinen Rang innehatte und über ihren Kindern stand. Geschenke waren eine einfache Methode um sich einzuschmeicheln.   Würden sie das auch bei ihm machen, wenn Harry Geburtstag hatte? Irgendwie war es nur schwer vollstellbar, auch wenn er im Rang noch weit über Draco stand.   Machten sie Voldemort Geschenke zu seinem Geburtstag? Wussten sie überhaupt, wann ihr Anführer Geburtstag hatte? Wahrscheinlich nicht. Ein Geburtstag würde ihn viel menschlicher erscheinen lassen. Aber Voldemort war übermenschlich. Und ganz ehrlich! Was sollte man dem mächtigsten Zauberer der Welt zum Geburtstag schenken? Ein Schloss? Einen Drachen?   Harry konnte mit den überteuerten Dingen, die Draco bekam, schon nicht mithalten. Er konnte nur hoffen, dass sein verwöhnter Eisprinz mit seinem Geschenk zufrieden sein würde.   Er würde warten, bis die anderen verschwunden waren. Es war ohnehin nicht für ihre Augen… und Ohren bestimmt.   Während die anderen um Dracos Aufmerksamkeit buhlten, tat Harry so, als ob er die Karte des Rumtreibers im Auge behielt.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Stunden und eine riesige mehrstöckige Torte später – Harry hatte sie bei Dobby in Auftrag gegeben und der kleine Hauself hatte wie immer mächtig übertrieben – leerte sich langsam der Raum.   Parkinson hatte sich bei Draco eingehakt und wollte ihn zum Ausgang ziehen.   „Malfoy!“, rief Harry und überspielte dabei perfekt die Irritation in seiner Stimme. „Ich würde gern noch etwas mit dir besprechen.“   Draco wollte sich aus der Umklammerung lösen, aber Parkinson hielt ihn fest und funkelte Harry böse an. „Hat das nicht bis Montag Zeit, Potter? Draco hat heute Geburtstag. Du solltest ihm wenigstens heute einen Tag Ruhe gönnen. Immerhin musste er schon wieder deine Aufgaben die letzten Wochen übernehmen.“   Harry zog eine Augenbraue nach oben. Sollte das bedrohlich klingen? Glaubte sie ernsthaft, sie hätte irgendein Recht, ihn in Frage zu stellen?   „Ich an deiner Stelle würde vorsichtig mit solchen Aussagen sein.“ Noch bevor Harry etwas erwidern konnte, hatte Draco sich von ihr gelöst. Die dunkle Drohung in seiner Stimme hallte durch den Raum und jeder mit einem Fünkchen Selbsterhaltungstrieb hätte jetzt seinen Mund gehalten und das Weite gesucht.   Nicht so Parkinson. „Was meinst du damit?“, fragte sie verwirrt. Sie wollte nach Draco greifen und ihn festhalten, aber er war zu schnell. „Was?“   Ein Hauch Panik schlich sich in ihre Augen, als sie bemerkte, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Wütend funkelte sie Harry an, aber er hatte keinen Zauberstab in der Hand.   Draco ging auf Harry zu, seine Augen funkelten wie schwarze Diamanten. Bildete Harry sich das nur ein oder wurde es in dem Raum dunkler mit jedem Schritt, den Draco näher auf ihn zu kam?   „Oder kannst du dich nicht mehr daran erinnern, was mit Bletchley passiert ist? Erinnerst du dich nicht mehr, wie er unten an der Wand hing? Panisch und völlig verzweifelt. Und das nur, wegen einer Illusion. Oder an seine Schreie als der Dunkle Lord ihn zur Strafe noch mit dem Cruciatus-Fluch belegt hatte? Wegen seines Leichtsinns, wegen seiner Respektlosigkeit gegenüber Potter? Fragst du dich manchmal, was mit ihm passiert ist? Wo er jetzt ist? Und warum?“   Sie waren jetzt die einzigen im Raum. Die übrigen Slytherin, die getrödelt hatten, um die beginnende Auseinandersetzung mitzuerleben, hatte sich bei der Erwähnung ihres Herrn schleunigst aus dem Staub gemacht. Parkinson versuchte, sich von ihren unsichtbaren Fesseln zu lösen, aber ohne Erfolg.   Dass Bletchley verschwunden war, hatten die Slytherins mit einer erstaunlichen Gleichgültigkeit aufgenommen. Vielleicht passierte das, wenn man für einen mordlüsternen Tyrannen arbeitete. Das Risiko für das eigene Leben und das der anderen war hoch. Vielleicht war es für niemanden wirklich überraschend gekommen, nachdem er einmal Voldemorts Missfallen erregt hatte. Aber außer Draco und er kannte niemand die genauen Gründe. Waren sie trotz ihres jungen Alters schon so abgestumpft, dass es sie nicht interessierte? Waren nicht einige der Siebtklässler sogar mit Bletchley befreundet gewesen?   Harry spürte wie schwarze Magie über sie hinwegflog. Parkinson versuchte, etwas zu sagen, aber kein Ton drang über ihren Mund, der sich immer weiter zu einem Aufschrei des Entsetzens verzog.   Arme wickelten sich um Harrys Taille und zogen ihn an eine feste Brust. Erschrocken drehte er sich um und wollte Draco von sich schieben, aber Draco hielt ihn sanft fest.   „Keine Sorge.“, sagte Draco leise. Seine Lippen berührten kaum Harrys Ohr, aber der warme Atem reichte aus, um einen wohligen Schauer durch seinen Körper zu jagen. „Sie kann uns weder sehen noch hören.“   Harry stöhnte leise auf, als sich Draco langsam seinem Hals hinabarbeitete. Sein Blick löste sich dabei keinen Moment von Parkinson. „Was sieht sie?“   „Den Dunklen Lord. Mit erhobenem Zauberstab. Den Folterfluch auf seinem lippenlosen Mund. Immer und immer wieder.“   Harry konnte Draco nur schwer verstehen. Zu leise drangen die Worte über die an seinen Hals gepressten Lippen, zu vernebelt war sein Verstand durch die wohligen Schauer, die es durch seinen Körper jagte. Er wollte nichts mehr als sich dem hingeben, aber sie konnten Parkinson nicht ewig so lassen, sonst würde sie verrückt werden.   „Draco! Stopp.“ Er war sich nicht sicher, ab Draco ihn gehört hatte. Harry selbst hatte kaum seine eigenen Worte verstanden als er sie zwischen Stöhnen und Seufzen hervorgepresst hatte.   Dennoch löste sich Draco von ihm. Widerwille lag in seinen Augen, versteckte ihn aber schnell hinter einer Maske aus purem Eis.   Mit einem ungesagtem Finite Incantatem nahm Draco den Fluch von Parkinson. Sie sackte zusammen. Der Aufprall hallte durch den weiten Raum, zusammen mit ihren schweren Atemstößen. Sie zitterte am ganzen Leib. Man konnte sehen, wie sie versuchte, ihre Arme um sich zu schlingen, hatte aber dazu keine Kraft. Ihre Augen huschten von Harry, der noch immer nicht seinen Zauberstab gezogen hatte, zu Draco.   Sein Weißdornstab hing locker zwischen seinen Fingern. Es sah so lässig aus, als wären sie alle in einem zwanglosen Gespräch über die nächste Quidditch-Weltmeisterschaft.   Aber in seinem Blick lag pure Verachtung für die Hexe, die sich vor ihm auf dem Boden wand, in ihrem lag Angst und Entsetzen. Vielleicht hatte sie jetzt endlich begriffen, dass Draco niemals zu ihr zurückkehren würde.   Harry beobachtete still die Szene. Er sah zu, wie Draco auf Parkinson zuging und sich vor ihr hinkniete. Sie versuchte, sich wegzuschieben, aber noch immer war ihre Kraft nicht zu ihr zurückgekehrt. Das sprach nicht für sie. Der Fluch sollte nicht so stark nachwirken. Er war lediglich eine Warnung. Wenn sie nicht einmal das aushielt, hatte sie in Voldemorts Reihen nichts zu suchen. Bletchley hatte viel länger unter dem Einfluss gestanden und hatte wesentlich weniger Probleme hinterher gehabt.   Parkinson dagegen sah aus, als hätte sie wirklich den Cruciatus-Fluch abbekommen.   Beinahe zärtlich strich Draco ihr die Haare aus der Stirn. Ihr Gesichtsausdruck wurde so panisch, als würde allein die Berührung bei ihr Schmerzen auslösen.   „Du solltest dir eines gut merken.“ Seine Stimme war so sanft. „Ungehorsam gegenüber Potter ist wie Ungehorsam gegenüber dem Dunklen Lord. Und das werde ich ganz sicher nicht dulden.“ Er streichelte ihr liebevoll über die Wange. „Du kannst froh sein, wenn Er von weiteren Bestrafungen absieht. Denn das von eben wäre dagegen noch harmlos.“   Seine Stimme, seine Handlung standen in so krassen Gegensatz zu seinen Worten, dass sie noch um ein Vielfaches bedrohlicher wirkten.   Nicht zum ersten Mal musste Harry sich fragen, ob mit ihm was nicht stimmte, weil ihn diese Situation so sehr erregte, dass sein Glied in seiner Hose zuckte.   Ein erstickter Aufschrei riss Harry aus seinen Überlegungen. Die Hand, die Parkinson eben noch gestreichelt hatte, hatte sich in ihre Harre verkeilt und den Kopf nach hinten gerissen. Ihr unansehnliches Gesicht war schmerzverzehrt.   Draco starte ihr solange in die tränenverschwommenen Augen, dass Harry sich fragte, ob sein Slytherin heimlich Legilimentik gelernt hatte.   Plötzlich ließ er sie los und stand auf. Parkinsons Kopf knallte auf den Steinboden.   Fasziniert beobachtete Harry sie. Ihr ganzer Körper zitterte, Tränen flossen aus aufgequollenen Augen. Ihre schwarzen Haare waren zerzaust. Sie war so schwach. Sie versuchte nicht einmal mehr aufzustehen. Ein erbärmliches Bild, für das Harry kein Mitleid aufbringen konnte, nur Abscheu und Verachtung.   „Accio Pralinen!“ Die Schokolade, die Parkinson Draco geschickt hatte, flog in seine Hand. Er öffnete die Schachtel und nahm eine heraus. Ein gleichmäßiger, tiefbrauner Glanz verreit ihre hochwertige Verarbeitung, der rosa Nebel drumherum, den magischen Einfluss. Das verlockende Aroma reichte bis zu Harry. Für einen kurzen Moment fühlte er sich wieder wie vierzehn, zurückversetzt in das überfüllte Stadion zur Quidditch-Weltmeisterschaft, als die Veelas ihren Auftritt hatten und alles und jeden um sich herum verzauberten. Es erschien ihm wie ein anderes Leben.   Mit einem genüsslichen seufzen, führte Draco die Praline zu seinem Mund, seine Lippen öffneten sich leicht. Es sah so aus, als wolle er reinbeißen. Harry und Parkinson beobachteten beide gleichermaßen gebannt die Szenerie. Aber bevor Draco in die Praline biss, verzog sich sein Mund zu einem spöttischen Grinsen. Er drehte die Schachtel und die Süßigkeiten prasselten auf Parkinson hinab. Das letzte Stück warf er achtlos hinterher.   „Und verschon mich in Zukunft mit deinen billigen Verführungsversuchen. Wenn du nicht so aufdringlich wärst, würde ich dich keines Blickes würdigen.“, sagte er abfällig.   Parkinson versuchte, sich wegzudrehen, aber Draco griff sie wieder am Schopf und zwang sie, ihn anzusehen. „Hast du mich verstanden?“   Mehr als ein Wimmern brachte sie nicht hervor. So zerbrechlich.   „Sehr gut.“, antwortete Draco zufrieden. „Wenn du uns jetzt entschuldigen würdest, Potter und ich haben noch was zu besprechen.“   Parkinson versuchte aufzustehen, aber ihre Arme knickten immer wieder weg. So schwach. Viel zu schwach. Sie sah aus, als hätten sie sie stundenlang gefoltert.   Harry schüttelte den Kopf. Dieses Schauspiel wollte er nicht länger ansehen. „Dobby!“, rief er nach dem kleinen Hauself.   Nur weniger Sekunden später stand er vor ihnen. Die Augen leuchteten aufgeregt, die Ohren zappelten freudig um seinen Kopf. „Harry Potter hat gerufen und Dobby ist sofort gekommen. Was kann Dobby für Mr. Potter tun?“   „Ms. Parkinson braucht Hilfe, um zurück in ihren Schlafsaal zu kommen. Könntest du ihr bitte behilflich sein?“, fragte Harry freundlich.   Der kleine Hauself schaute auf das Häufchen Elend, seine Augen wurden noch größer, verrieten sonst aber keine Regungen. „Natürlich, Mr. Potter, Sir. Dobby wird das sofort erledigen.“, sagte er vergnügt.   „Danke, Dobby.“ Einmal mehr war Harry dankbar, dass der Hauself ihm so ergeben war. „Und kannst du bitte Kreacher sagen, dass er sich um sie kümmern soll? Er wird sich freuen, wenn er sich um ein Reinblut kümmern darf.“   „Dobby wird es Kreacher sagen. Kann Dobby sonst noch etwas für Harry Potter tun?“ Er hatte in der Zwischenzeit Parkinson unter den Armen gepackt und versuchte, sie wegzuzerren.   „Für mich könntest du noch etwas tun, wenn das in Ordnung ist.“, mischte Draco sich ein. Überrascht sah Dobby auf. Parkinson rutschte ihm dabei aus den Fingern und krachte erneut auf den Boden.   Dobbys Augen huschten kurz zu Harry, bevor er sich wieder etwas zögerlich an Draco wandte. „Was kann Dobby für Sie tun, Sir?“   „Wenn du mit Pansy fertig bist und… Kreacher, richtig?“ – Harry nickte. – „… Bescheid gegeben hast, könntest du dann bitte meine Geschenke zu meinem Bett bringen?“   Harry glaubte, dass seine Augen gerade genauso groß waren wie Dobbys. Beide starrten Draco verblüfft an. Nicht nur, dass er Dobby – einen Hauselfen – gefragt hat, ob er eine Aufgabe übernehmen kann, er hat sogar bitte gesagt; eine Höflichkeit, die er nicht einmal der Hauselfe entgegenbrachte, die aktuell für die Malfoys arbeitete.   Während Harry sich noch fangen musste, fing Dobby an über das ganze Gesicht zu strahlen. „Sehr gern, Mr. Malfoy, Sir. Sobald Dobby fertig ist, wird Dobby sich um die Sachen von ihm kümmern.“   „Danke schön.“   Es fehlte nicht mehr viel und die Augen des kleinen Wesens wären komplett aus seinen Augenhöhlen geploppt. Harry fing laut an, zu lachen. Dobby schüttelte sich kurz und machte sich wieder an seine Aufgabe, die immer noch viel zu erschöpfte Hexe aus dem Raum zu ziehen. Harry glaubte, dabei die Worte zu hören. ‚Mr. Draco Malfoy, Sir, ist ein guter Zauberer. Harry Potter ist guter Einfluss. Ja, ja.‘   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Überrascht sah Draco dem kleinen Hauselfen hinterher, wie er seine viele zu schwere Last aus dem Raum zog. Der Elf sah anscheinend keine Notwendigkeit, es sich ihr oder ihm selbst mit Magie einfacher zu machen. Draco konnte es egal sein, aber die Reaktion auf seine Frage hatte ihn überrascht.   „Ich glaube, er mag dich.“, hörte er Harry hinter sich lachen.   „Ach ja? Ich glaube, er mag dich und würde alles tun, um dich glücklich zu machen. Ich bin beinahe ein bisschen eifersüchtig.“ Draco versuchte, Harry an sich zu ziehen, aber der entzog sich einfach und lachte Draco weiter an.   „Was? Willst du mich glücklich machen? Ich glaube, es ist heute meine Aufgabe, dich glücklich zu machen.“, entgegnete Harry.   Wieder versuchte Draco, nach ihm zu greifen, aber wieder bekam der den Gryffindor nicht zu fassen. Frustriert schaute Draco ihn an. „So funktioniert das aber nicht.“   „Erst dein Geschenk.“ Oh! Harry hatte auch ein Geschenk für ihn?   Draco hatte damit nicht gerechnet. In seiner Vorstellung hätten sie jetzt einfach stundenlang miteinander rumgemacht und den Rest der Nacht mit heißem, hemmungslosem Sex verbracht. ‚Aber das eine schließt das andere ja nicht aus.‘, grinste er in sich hinein.   Harry wirkte nervös, als er zu seiner Schultasche ging. Das machte Draco nun wirklich neugierig. Was hatte Harry für ihn?   „Weißt du, wann du mir das erste Mal richtig aufgefallen bist? Also nicht als der nervige kleine Slytherin, der sich für was Besseres hält, …“   „Vorsicht, Potter!“, entgegnete Draco mit spielerischem Unterton.   „…, sondern der umwerfend gutaussehende Zauberer, der sich dahinter versteckt?“ Harry grinste ihn schief an.   Er hatte etwas Kleines aus seiner Tasche genommen und brachte es zu dem Tisch, von dem in der Zwischenzeit alle Geschenke verschwunden waren. Was Harry darauf abstellte, kam Draco wage bekannt vor. Es sah aus wie eine Miniatur des Goldenen Eis, dass die Champions des Trimagischen Turniers bei ihrer ersten Aufgabe holen mussten.   Draco hatte Krum damals heimlich beobachtet, wie er seines geöffnet hatte. Er konnte sich noch gut an das ohrenbetäubende kreischende Geräusch erinnern. Darauf könnte er ein zweites Mal gern verzichten. „Harry, was …“   Lächelnd öffnete Harry das kleine Ei und Draco zuckte unwillkürlich zusammen. Aber anstatt der unmenschlichen Geräusche erklang eine sanfte Melodie. Er war sich sicher, sie schon einmal gehört zu haben, konnte sich aber beim besten Willen nicht erinnern wo oder wann. Klavier, Violine, Harfe und Feenglöckchen. Ein Ball?   Seine Aufmerksamkeit wurde wieder auf Harry gelenkt, als er plötzlich vor ihm stand, die Hand ausgestreckt, als wolle er ihn zum Tanzen auffordern. Er wurde nicht enttäuscht. Harry zog ihn in die Mitte des Raumes, die als Tanzfläche dienen sollte. Ganz automatisch übernahm Draco die Führung.   „Es war auf dem Weihnachtsball beim Trimagischen Turnier...“   Stimmt! Daher kannte er die Melodie. Wie hatte Draco das vergessen können?   In seiner Erinnerung war es einer der schönsten Abende gewesen, die er bis dahin Hogwarts verbracht hatte. Die Lichter, die Musik, das Essen. Er hatte sich überlegen gefühlt mit seiner Freundin am Arm, mit seinem Namen und der Angst, die er auslöste, wenn er seinen einflussreichen Vater erwähnte und… sein Blut.   Aber seitdem hatte sich viel geändert. Er hatte gelernt, dass der Wert seines Namens mit einem Stabschlenker nichtig werden konnte. Er hatte begriffen, dass eine Freundin, die nur eine mittelmäßige Dekoration war, nicht das war, was er wollte. Er hatte eingesehen, dass reinblütig nicht bedeutete, dass man automatisch besser war.   Kein Wunder, dass er die Erinnerungen an diesen Abend verdrängt hatte. Er hatte kaum noch etwas mit dem Jungen gemeinsam, der er damals gewesen war. Der vierzehnjährige, arrogante Draco Malfoy hätte sich niemals vorstellen können, jemals mit Harry Potter, Gryffindors Goldenem Jungen, befreundet zu sein, geschweige denn zusammen zu sein.   Er war herablassend und grausam gewesen, hatte jede Gelegenheit genutzt, um Harry zu demütigen und zu sabotieren. Genauso im Trimagischen Turnier, an dem der junge Gryffindor nicht mal hatte teilnehmen wollen und aus dem er nicht hatte lebend herauskommen sollen.   Draco konnte immer noch nicht glauben, dass Harry ihm all seine Gemeinheiten hatte verzeihen können, sich sogar in ihn hatte verlieben können. Unwillkürlich zog er Harry näher zu sich heran.   „Du warst mit Parkinson da.“, fuhr Harry fort, als hätte er von Dracos inneren Aufruhr nichts mitbekommen. Wahrscheinlich hatte er das auch nicht.   Draco richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen etwas unbeholfenem Tanzpartner. Die Tanzschritte hatte ihm seine Mutter schon in jungen Jahren eingebläut und sein Vater hatte ihm gelehrt, auf seinen Partner zu achten. Für ihn war es so natürlich wie laufen. Harry dagegen war kein geübter Tänzer. Er strauchelte mit den Schritten und wollte immer wieder auf seine Füße schauen. Es störte seinen Redefluss.   „Ich habe euch gesehen und dachte einfach nur, …“ Harry lachte. „Ich weiß nicht, was ich gedacht habe. Ich war einfach nur irritiert, euch beide zusammen zu sehen. Irgendwie konnte, wollte mein Gehirn das nicht begreifen.“   Wie Recht Harry doch hatte. Damals hatte Draco nicht darüber nachgedacht. Er hatte geglaubt, dass eine Freundin, die zu allem ja sagte, perfekt wäre, aber in Wahrheit war es ermüdend und langweilig gewesen.   „Es hätte mir egal sein sollen, aber ich konnte nicht anders als immer wieder zu euch schauen.“   Draco blinkte irritiert. Das war ihm nicht aufgefallen. Harry hatte ihn an diesen Abend nicht interessiert. Er erinnerte sich, dass sein Blick immer wieder zu Delacour gewandert war.   „Ich habe den ganzen Abend gebraucht, bis ich herausgefunden hatte, was mich so gestört hat.“ Harrys schaute wieder auf seine Füße und seine Bewegungen stockten, genauso wie seine Worte.   Die Unterbrechungen waren etwas nervig. Außerdem wollte Draco Harrys Augen sehen. Er verstärkte leicht seinen Griff und beschleunigte ihre nächsten Drehungen. Es hatte den gewünschten Effekt. Harry hob seinen Kopf und sah ihn entschuldigend an.   „Du sahst viel zu gut aus für sie. Du standest da in deinen mit Sicherheit furchtbar teuren Festumhang und ich – auch wenn ich das damals niemals zugegeben hätte – ich hätte sehr gern mit dir getanzt. Du hättest nur die ganze Zeit über den Mund halten müssen.“ Harry zwinkerte ihm zu.   Draco konnte nicht anders und lächelte. Gern hätte er gesagt, dass er mit Harry getanzt hätte, wenn er nur gefragt hätte, aber sie wüssten beide, dass das eine Lüge wäre.   „Da hast du dich also in mich verliebt?“ Draco grinste Harry lasziv an und versuchte somit, die Anspannung zu überspielen, die sich in ihm aufgebaut hatte.   „Pft! Sei nicht so eingebildet.“, erwiderte Harry. „Es braucht mehr als ein hübsches Gesicht, damit ich mich verliebe.“   Die Musik veränderte sich, wurde schneller. Draco beschleunigte ihre Schritte und wirbelte sie herum. Er zog Harry noch näher zu sich, bis ihre Körper sich berührten. „Einen heißen, unwiderstehlichen Körper?“   Zwei Arme schlangen sich um Dracos Hals. „Das hat auf jeden Fall nicht geschadet.“   Draco versank in den leuchtend grünen Augen. Sie waren nun völlig aus dem Takt, schunkelten mehr als dass sie tanzten. Auch die Musik konnte er kaum noch wahrnehmen. „Sag es mir, Harry. Sag mir, wann du dich in mich verliebt hast.“   Harry lächelte, was seine Augen nur noch mehr zum Strahlen brachte. „Letztes Schuljahr habe ich dich kaum aus den Augen gelassen. Ich habe mir immer wieder eingeredet, dass es nur deswegen war, weil du uns hinterherspioniert hast. Es hat eine Weile gedauert, bis ich begriffen hatte, dass die Aufregung, die ich jedes Mal verspürt hatte, eine ganz andere Ursache hatte.“   War es die gleiche Aufregung, die Draco verspürt hatte, als er Harry dieses Jahr hinterherspioniert hatte? Nach diesem Duschvorfall? Vielleicht. Nur dass Draco ganz genau gewusst hatte, was mit ihm los war.   „Chang und ich haben uns geküsst.“   Draco schnaubte. Das hatte er ganz sicher nicht hören wollen.   „Es hat sich auf so vielen Ebenen falsch angefühlt, aber ich hatte mir bis dahin immer noch eingeredet, dass ich auf sie stehe. In dieser Nacht habe ich das erste Mal richtig realisiert, dass ich mich zu dir hingezogen fühle. Ich wollte unbedingt wissen, wie sich deine Lippen anfühlen.“   Draco verfolgte, wie Harrys Blick zu seinem Mund hinabglitt und leckte sich unwillkürlich über seine Lippen.   „Und wie fühlen sie sich an?“, frage er heißer.   „Einfach magisch.“   Draco lächelte, bevor die wenigen Zentimeter überwand und ihre Lippen miteinander verschloss. Ja, es war magisch. Perfekt! Genauso wie sein Geschenk. Das kleine goldene Ei, dass immer noch im Hintergrund leise Musik spielte. Es war zu leicht, sich sie beide mit vierzehn vorzustellen.   Zusammen auf dem Ball. Die teils neidischen, teils ungläubigen Blicke der anderen Schüler. Die Musik fängt an zu spielen, sie beginnen zu tanzen. Harry, wie er ihn ansieht. Überrascht mit einem Hauch von Sehnsucht.   Eine Erinnerung flammt vor seinem inneren Auge auf. Harry hatte ihn so angesehen. Auf dem Ball. Aber Draco hatte es nicht weiter beachtet und der Moment war in den vielen anderen Eindrücken des Abends untergegangen. Und doch war er da gewesen.   Harry wollte es sich vielleicht nicht eingestehen, aber Draco war sich sicher, dass das der Moment war, an dem sich Harrys Gefühle für ihn gewandelt und letztendlich ihrer beider Zukunft verändert hatte. Das goldene Ei würde sie auf Ewig an diesen Moment erinnern.   „Danke.“, flüsterte er gegen Harrys Lippen, unwillig, sich auch nur für eine Sekunde von ihm zu lösen. Kapitel 45: Das Ende einer Freundschaft --------------------------------------- Harry war auf dem Weg zurück in den Gemeinschaftsraum. Wie so häufig in letzter Zeit war er allein. Gryffindors Goldenes Trio gab es nicht mehr und so wie ihre Freundschaft zerbröckelt war, war auch der Zusammenhalt innerhalb des Hauses zerbrochen. Harry war nicht länger ihr Anführer – und das nur wegen eines verlorenen Quidditch-Spiels!   Die Mannschaft hatte ihn während ihres Jahresabschlusstrainings völlig ignoriert und ihm hinterher zu verstehen gegeben, dass, wenn er nicht als Kapitän zurücktreten würde, niemand für ihn nächstes Jahr spielen würde. Eine leere Drohung. Harry war immer noch der beste Sucher, den Gryffindor seit Jahrzehnten hatte und kein Gryffindor würde freiwillig auf die Hauspunkte verzichten, die nur Harry für sie erspielen konnte.   Harry war wirklich am überlegen, es darauf ankommen zu lassen und zu warten, ob niemand zu den Auswahlspielen kommen würde oder sie ihren Stolz herunterschlucken würden, um nicht gegen Slytherin dumm dazustehen. Auf der anderen Seite wäre es auch lustig, ihnen von Weitem zuzuschauen, wie sie sich abmühten, bis sie letztendlich angekrochen kämen und ihn anbettelten, dass er wieder mit ihnen spielte.   Beides hatte seine Reize. Aber wollte er selbst überhaupt noch spielen? Harry liebte Quidditch, das hatte sich nicht geändert. Allerdings konnten diese Zickereien einem echt den Spaß verderben.   So viel hatte sich verändert. Harry erinnerte sich noch gut an seine erste Flugstunde. Der Besen war bereits bei seinem ersten Versuch in seine Hand geflogen. Ohne Nachzudenken hatte er sich dann auf ihn geschwungen und war Longbottoms Erinnermich hinterhergeflogen. Das erste Mal in seinem Leben hatte er sich völlig frei gefühlt. Dieses Gefühl wurde nur getoppt, durch das Gefühl des Schnatzes in seiner Hand nach seinem ersten Spiel – nachdem er ihn hatte ausspucken müssen – und die Menge ihm zujubelte.   Leider hatte dieses Hochgefühl mit den Jahren nachgelassen. Die Siege hatten jedes Mal mehr einen fahlen Beigeschmack bekommen. Jubelrufe wurden zu schnell von Beschimpfungen und Unterstellungen abgelöst. Von dem ständigen hin und her wurde ihm schwindliger als von einer Faultierrolle.   Harry hatte Jahre damit zugebracht, es immer allen recht zu machen, hatte alles stumm ertragen und war doch am Ende immer der Dumme. Er wäre sowieso schuld, wenn Gryffindor verlor, egal, ob er mitspielen würde oder nicht. Also warum sollte er sich das antun?   Nein, er würde als Kapitän zurücktreten und egal, wie sie bettelten, er würde nicht zurückkommen. Sollten sie doch sehen, wo sie blieben. Für Harry gab es keinen Grund, sich noch länger rumschubsen zu lassen.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   „Potter!“   Harry verdrehte die Augen, bevor er sich zu der Stimme umdrehte. Er kannte das schon. Abfällig, aggressiv, nicht ein Fünkchen Zurückhaltung. Zu übermütig, zu viel Temperament. Genau das war der Grund, warum jede Konfrontation zum Scheitern verurteilt war. Erst handeln, dann denken. Ein typischer Gryffindor.   „Was willst du, Weasley?“ Er schaute flüchtig zu Finnigan und Thomas, die hinter dem rothaarigen Gnomen standen. Unsicher schauten sie zu Harry, wandten ihren Blick aber schnell wieder ab. Sie sahen aus, als wären sie lieber in einer Gruber voller Flubberwürmer.   Harry beachtete sie nicht weiter. Er wollte dieses Theater schnell hinter sich bringen.   „Ich will, dass du mir endlich die Wahrheit sagst.“, fauchte Weasley ihn an.   „Die Wahrheit worüber?“, fragte Harry. Er machte sich nicht mehr die Mühe, zu verbergen, wie genervt er war. Weasley hatte in den letzten Tagen sehr deutlich gemacht, dass ihre Freundschaft für ihn vorbei war. Kein Grund mehr für Harry, so zu tun, als ob es anders wäre.   „Du hast mit Hermine geschlafen!“ – Ah, das schon wieder. – „Gib es einfach zu! Ich will nur, dass einer von euch es ausspricht.“   „Dadurch wird es noch lange nicht wahr.“, zischte Harry zurück.   „Aber es ist wahr!“, schrie Weasley ihn jetzt an. „Gib es einfach zu, du miese hinterlistige Schlange. Meine…“   „Harry Potter!“   Alle vier drehten sich zu den Jungen um, der abgehetzt auf sie zu gerannt kam. Es war ein Hufflepuff. Harry überlegte angestrengt, wie er hieß. Coldwell oder Cauldwald oder so ähnlich. Sie hatten normalerweise nichts miteinander zu tun. Harry hatte ihn als einen eher zurückhaltenden Schüler im Kopf, der lieber für sich allein blieb und versuchte, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Es machte ihn schon ein wenig neugierig, warum der Drittklässler aufgeregt durch das Schloss rannte und ihn suchte.   „Hallo Cauldwell.“, sagte er freundlich, als der kleine Junge völlig außer Atem vor ihm Halt machte. Das zaghafte Lächeln und die leichte Röte, die sich um seine Nase bildete, sagten Harry, dass er den Namen richtig geraten hatte. „Du weißt, dass du nicht auf den Gängen rennen solltest.“   Das Rot wurde noch eine Spur dunkler. „Ich… Ich weiß, aber… ich sollte dich… schnell finden und dir… das hier geben.“ Cauldwell streckte Harry eine Pergamentrolle entgegen, die bis eben noch von seinem schwarzen Schulumhang verdeckte worden war.   „Oh, danke schön.“ Harry entnahm die Nachricht aus den zittrigen Händen und wickelte sie auseinander.   „Potter! Versuch nicht, abzulenken!“, versuchte, Weasley seine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen, aber Harry sah ihn nur verständnislos an. Was konnte er denn dafür?   Schnell überflog er die Worte in der allzu vertrauten Schrift. „Dumbledore will mich sehen.“ Er schaute Weasley eindringlich an. Er sollte wissen, was das bedeutete und Harry erwartete ein gewisses Maß an Verständnis. Aber Weasley sah nicht so aus, als ob ihn der Kampf gegen Du-weißt-schon-wen noch großartig interessierte.   Kopfschüttelnd drehte Harry sich um und ging in die Richtung des Büros des Schulleiters.   „Was glaubst du, wo du hin gehst?“, schrie Weasley ihm nach. „Wir sind noch nicht fertig!“   Harry ignorierte ihn. Er bekam noch mit, wie die anderen auf Weasley einredeten und verhinderten, dass er Harry mit gezogenem Zauberstab hinterherlief.   Vielleicht hätte er den Rotschopf mitnehmen sollen und ihn Dumbledore erklären lassen, warum es zwischen ihnen zum Bruch gekommen war. Sieht aus, als ob seine Gnadenfrist vorbei wäre. Auf dieses Gespräch hatte er absolut keine Lust.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Harry erreichte den Wasserspeier, der einsam vor der Wendeltreppe Wache hielt, viel zu schnell. Er hatte es nicht eilig gehabt, in das Büro des Schulleiters zu kommen, auch wenn in der Nachricht gestanden hatte ‚so schnell wie möglich‘. Dumbledore konnte nicht davon ausgehen, dass ein Hufflepuff einen Gryffindor so schnell finden würde. Ganz ehrlich, was hatte sich der alte Zauberer nur dabei gedacht? Wenn Harry im Gemeinschaftsraum gewesen wäre, hätte der Junge ihn nie gefunden.   Doch nun stand er hier und es gab nichts, was er tun konnte, um das Unvermeidliche hinauszuzögern.   Missmutig murmelte Harry das Passwort und schlurfte die bewegliche Wendeltreppe nach oben. Er klopfte zaghaft an der Tür und eine ruhige Stimme antwortete „Herein!“.   Nichts hatte sich verändert. Der Raum sah noch genauso aus, wie Harry ihn in Erinnerung hatte. Die unbekannten Apparaturen schimmerten leicht golden im Licht der untergehenden Sonne, die durch das riesige Fenster hinein leuchtete. Dumbledore stand genau davor und blickte hinunter auf das Schlossgelände. Er hielt einen Reiseumhang in den Armen. Kam er oder ging er?   Nichts ließ vermuten, dass er Harrys Eintreten bemerkt hätte. Nur Fawkes hatte sich zu Harry umgedreht und schaute ihn mit leicht schräg gestelltem Kopf an. Seine Augen spiegelten das orange-rote Licht der Sonne wider, leuchteten wie kleine Feuer.   „Nun, Harry!“, begann Dumbledore endlich, drehte sich aber noch immer nicht zu Harry um, „Ich habe versprochen, dass du mit mir kommen darfst.“   Was? Harry begriff nicht, was Dumbledore von ihm wollte. Hatte er ihn nicht wegen Weasley und Granger geholt?   „Mit… Ihnen kommen? Sir?“, stammelte er verwirrt.   „Natürlich nur, wenn du willst.“ Jetzt drehte er sich zu Harry um. Harry suchte im Gesicht des Schulleiters nach einem Anhaltspunkt, was er von ihm wollte, aber das Licht blendete ihn und er konnte die Gesichtszüge des alten Zauberers nicht erkennen.   „Wenn ich…“ Dann fiel es ihm plötzlich wieder ein. Er hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet. „Sie haben einen gefunden? Einen Horkrux?“ Harry hielt den Atem an.   „Ich glaube, ja.“   Anspannung und Entsetzen kämpften gegen Aufregung und Vorfreude. Harrys Stimme versagte.   „Es ist ganz natürlich, Angst zu haben.“, sagte Dumbledore, der Harrys Schweigen falsch deutete.   „Ich habe keine Angst!“, entgegnete Harry sofort. Er überlegte fieberhaft, was er für eine Ausrede er nutzen konnte, um Voldemort noch schnell eine Nachricht zu schicken. Aber als erstes brauchte er mehr Informationen. „Welcher Horkrux ist es? Wo ist er?“   „Ich bin mir nicht sicher, welcher es ist – auch wenn ich denke, dass wir die Schlange wohl ausschließen können. Aber ich glaube, dass er in der Höhle ist, in der Tom Riddle einst den beiden Kindern aus dem Waisenhaus Angst eingejagt hatte. Erinnerst du dich?“   Natürlich erinnerte sich Harry. Es war nur ein flüchtiger Fetzen Erinnerung gewesen und das, was am meisten in Harrys Gedächtnis geblieben war, war die betrunkene Leiterin des Waisenhauses. Immer wieder aus ihrem Glas voller Gin trinkend war sie nur allzu eifrig gewesen, diesem fremden Mann alles Schlechte über den Jungen zu erzählen, vor dem sie sich mehr fürchtete, als sie es jemals zugeben würde. Nicht einmal ihre Sorge, dass das Gesagte die Meinung des Fremden ändern und er den kleinen Teufel bei ihr lassen könnte, hatte ihre Zunge im Zaum halten können.   In ihrer durch den Alkohol beschwerten Aufzählung über die Gräueltaten des Elfjährigen war auch die Höhle vorgekommen. Warum etwas so Beiläufiges in Harrys Erinnerung geblieben war, konnte er sich nicht erklären. Noch weniger, warum Dumbledore glaubte, dass ausgerechnet dort ein Horkrux versteckt sein sollte. War er schon dort gewesen? Was hatte er entdeckt?   „Ja.“, antwortete Harry schließlich. „Wie ist er gesichert?“   „Ich weiß es leider nicht.“, gab der alte Schulleiter seufzend zu. „Ich habe Vermutungen, die völlig falsch sein könnten.“ Kurz zögerte er. „Harry, ich habe dir versprochen, dass du mitkommen darfst. Und ich stehe zu meinem Wort. Aber es wird äußerst gefährlich werden. Es wäre ein großer Fehler, wenn ich dich nicht warnen würde.“   „Ich komme mit.“, sagte Harry schnell. Er konnte es sich nicht leisten, dass Dumbledore es sich doch noch anders überlegte.   „Nun gut. Aber ich erwarte, dass du jeden Befehl befolgst, den ich dir womöglich erteile, auf der Stelle und ohne weitere Fragen.“   „Natürlich.“   „Damit wir uns richtig verstehen, Harry. Das heißt, dass du auch Befehle wie „Lauf!“, „Versteck dich!“ oder „Geh zurück!“ befolgen musst. Habe ich dein Wort darauf?“   „Ich – ja, natürlich.“   „Auch, wenn ich dir sage, verlass mich und bring dich selbst in Sicherheit, wirst du meinen Worten Folge leisten?“   Das würde der am einfachsten auszuführende Befehl sein. „Ja, Sir.“, antwortete Harry ein wenig zögerlich.   „Sehr gut. Dann geh bitte um hol deinen Tarnumhang. Wir treffen uns in fünf Minuten in der Eingangshalle.“ Damit drehte sich Dumbledore von ihm weg und starrte wieder aus dem Fenster. Die Sonne stand in der Zwischenzeit so tief, dass sie ihn in ein rubinrotes Licht tauchte. Es sah beinahe so aus, als wäre er von Blut überströmt.   Fünf Minuten. Wie sollte er es schaffen, in dieser kurzen Zeit Voldemort eine Nachricht zukommen zu lassen?   Ohne weiter nachzudenken, rannte Harry die Wendeltreppe hinunter und zurück zum Gryffindor-Turm. Seine Kammeraden riefen ihm irgendetwas hinterher, aber er hörte ihnen nicht zu. Er stürzte in den Schlafsaal, holte seinen Umhang und die die Karte des Rumtreibers. Er wollte gerade nach seiner Schultasche greifen und ein Stück Pergament und eine Feder herausholen, als die Tür aufgerissen wurde.   „Glaub ja nicht, dass du dich so einfach verdrücken kannst.“, fauchte Weasley ihn an. Sein Gesicht war schon wieder puterrot angelaufen.   „Dafür habe ich jetzt keine Zeit.“, knurrte Harry und drückte sich an ihm vorbei. Im Augenwinkel bekam er mit, wie Weasley seinen Zauberstab ziehen wollte, sich aber in seinem Zaubererumhang verfing.   Voldemort zu schreiben war keine Option mehr. Zumindest nicht für Harry. Blieb nur eine andere Alternative, aber dafür musste er wohin, wo keine anderen Schüler waren.   Leider waren die Gänge gerade voll und auch Weasley wollte einfach nicht verstehen, dass er ihn in Ruhe lassen sollte. Er war Harry durch das Loch gefolgt und rannte hinter ihm her.   Harry schaffte es, hinter einer Abzweigung seinen Tarnumhang überzuwerfen. Es waren nur Sekunden, bis die nächste Gruppe Schüler um die nächste Ecke kam und fast in ihn hineingelaufen wären. Er konnte gerade noch so ausweichen.   Weasley hatte weniger Glück. In seiner Hast rannte er eine Zweitklässlerin um. Er stammelte nur ein „Sorry!“ und rannte weiter.   Ein vorbildlicher Vertrauensschüler! Jeder andere Gryffindor wäre eine bessere Wahl gewesen.   Erleichtert stellte Harry fest, dass Weasley in eine andere Richtung lief, als er wollte.   Harry bahnte sich, so schnell er konnte, seinen Weg durch die Schüler hindurch, bis er in dem Korridor im zweiten Stock angekommen war, der von den meisten gemieden wurde.   Vorsichtig öffnete er die Tür zu der Mädchentoilette und schlüpfte hinein.   „Myrte?“, rief Harry erst leise, dann noch einmal lauter. Keine Antwort. Es war sehr bedauerlich, dass er die Präsenz von Geistern nicht spüren konnte. Er konnte nur hoffen, dass sie wirklich gerade woanders spukte und sich nicht irgendwo versteckte.   „Dobby!“, flüsterte er, aber der kleine Hauself hörte ihn trotzdem und ploppte sofort vor ihm auf.   „Was kann Dobby für Harr…“ Die vor Aufregung wackelnden Ohren sackten herab. Verwirrt schaute sich der kleine Elf um, die Augen wurden immer größer, die Ohren klatschen gegen seinen Kopf, während er immer heftiger hin und her warf.   „Dobby! Hier bin ich.“ Harry hatte seinen Tarnumhang vom Kopf rutschen lassen und hielt Dobby an seinen Schultern fest. Wäre er nicht so in Eile gewesen, hätte er über die Situation gelacht. Der Hauself beruhigte sich schnell wieder und sah sehr erleichtert aus, als er Harry vor sich sah.   „Harry Potter hat Dobby gerufen?“ Ein bisschen Unsicherheit schwang in seiner Stimme mit.   „Ja, ich habe einen sehr wichtigen Auftrag für dich.“   Wie erwartet fingen seine Augen an, zu leuchten.   „Hör genau zu, ich habe wenig Zeit.“ Und sie wurde immer knapper. Weasley war umgedreht und kam jetzt direkt auf sie zu.   „Du musst Draco sagen, dass er für mich eine Nachricht an IHN schicken muss. Er soll IHM schreiben: ‚Haben einen. Sind auf dem Weg. Werde es beschützen.‘“ Harry hoffte, dass er dazu in der Lage war und Dumbledore nicht auf die Idee kam, den Horkrux an Ort und Stelle zu zerstören. Andererseits schien es nicht so einfach zu sein, einen Horkrux zu zerstören. Bestimmt würde es auch nicht so leicht sein, überhaupt an ihn heranzukommen. Wenn Dumbledore Recht hatte, hatte Voldemort diesen Ort mit allerlei dunklen Zaubern und Flüchen belegt. „Wiederhole!“   „Mr. Malfoy soll Nachricht verschicken. An… an IHN.“ Unsicher sah Dobby zu ihm auf.   „Es ist in Ordnung, Dobby. Draco wird wissen, wer gemeint ist.“ Sie mussten sich beeilen. Weasley war fast da.   „Ja, Mr. Harry Potter, Sir. Mr. Malfoy soll Nachricht an IHN schicken. Mr. Malfoy muss schreiben: Sie haben einen. Und sind auf dem Weg. Und werden es beschützen.“   Harry konnte nur hoffen, dass es ausreichend sein würde und er und Draco später keine Schwierigkeiten mit Voldemort bekämen. „Sehr gut, Dobby. Beeile dich!“   Dobby verschwand noch, während er sich verneigte. Im gleichen Moment wurde die Tür aufgerissen.   Weasley stand im Türrahmen, die Haare standen wild in alle Richtungen, sein Gesicht hochrot. „Hier… hast… du dich… also… versteckt, … Potter.“ Obwohl er total abgehetzt nach Luft schnappte, schaffte er es, seinen Namen mit so viel Verachtung auszuspucken, wie er es früher nur Draco gekonnt hatte.   Harry hatte es nicht geschafft, seinen Tarnumhang wieder über seinen Kopf zu ziehen. „Was willst du, Weasley?“, entgegnete Harry genervt. Er hatte keine Zeit dafür. Dumbledore wartete sicher bereits.   „Du weißt genau, was ich will. Gib einfach zu, dass du mit Hermine geschlafen hast.“ Weasleys sonst so blassblaue Augen funkelten fast wahnsinnig. Sein Gesicht war zu einer wilden Fratze verzogen.   „Wir haben aber nicht miteinander geschlafen.“ Langsam wurde Harry wütend. Er stand unter Zeitdruck. Das passte ihm gerade überhaupt nicht.   „Glaubt ihr wirklich, dass ich so dumm bin? Dass ich das nicht mitkriegen würde? Mit dem dummen Weasley kann man’s ja machen. Hermine schreit deinen Namen beim Sex und ich soll glauben, dass da nichts zwischen euch ist?“   „Nur weil du zu langweilig im Bett bist und sie sich deswegen jemand anderes vorstellt, heißt das noch lange nicht, dass wir miteinander geschlafen haben. Ich habe kein Interesse an deiner kleinen Freundin. Nicht mein Typ. Viel zu langweilig.“ Und das falsche Geschlecht.   Vor Wut schnaufend zog Weasley seinen Zauberstab. „Furnunculus!“   Genervt wehrte Harry den Fluch ab. Dieser jämmerliche Zauberer war durch ihr letztes Duell kein bisschen schlauer geworden.   „Hör auf. Hör auf! HÖR AUF!“, schrie er und gleich darauf. „Locomotor Mortis!“   Weasley benutzte wieder die gleichen Zaubersprüche, keiner ging über den Wissenstand eines Drittklässlers hinaus. Was hatte er während der DA-Stunden gemacht? Erbärmlich. Mit einem gezielten Schlenker seines Zauberstabs, wehrte Harry den schwachen Fluch ab.   „Ich kann deine Lügen einfach nicht mehr ertragen. Du warst schon immer ein mieser Freund. Immer musst du alles an dich reißen. Immer heißt Harry hier und Harry da. Stupor!“   Wieder lenkte Harry den Zauber ab. Er überlegte, ihn einfach schnell auszuschalten, damit er wegkonnte, aber er hatte keine Lust, dieses Theater noch den Rest des Schuljahres zu ertragen. Er konnte es sich nicht leisten, dass Weasley ihm die ganze Zeit hinterher schnüffelte, nachdem er erst Granger losgeworden war.   Sie waren allein. Es war der perfekte Zeitpunkt, sich Weasley vom Hals zu schaffen. Seine Erinnerungen würde Harry nicht löschen. Weasley musste glauben, dass sie ihren Streit beigelegt hatten. Aber dazu mussten er erst einmal bereit sein, ihm zuzuhören.   Harry wusste noch nicht, wie er es angehen sollte. Er würde nichts zugeben, was nicht stimmte. Am besten wäre es, Weasley vorerst machen zu lassen. Irgendwann wäre er erschöpft. Hoffentlich dauerte es nicht zu lange. Dumbledore würde Verständnis haben, wenn Harry seinen Freunden noch schnell alles berichtete, aber die dieses Verständnis würde auch nicht unbegrenzt gelten.   „Harry Potter, unser Erlöser.“, spie Weasley aus. „Jedes Jahr aufs Neue wurdest du auf ein Podest gehoben und es wurden große Reden gehalten, wie toll du doch bist. Du hättest unsere Schule gerettet und gegen Du-weißt-schon-wen gekämpft. Aber keiner sieht, dass ohne dich unsere Schule gar nicht gerettet werden müsste!“   Harry wusste nicht so genau, was er darauf erwidern sollte. Wenn Voldemort ihn damals als Baby hätte töten können, hätte die Zaubererwelt den ersten Krieg verloren. Daran bestand gar kein Zweifel. Sie würden jetzt unter Voldemorts Tyrannei leiden. Schlammblüter wie Granger wären tot, sobald sie ihren ersten Magieausbruch hätten und Weasley wäre wahrscheinlich nicht einmal geboren worden, weil seine Eltern, die Blutsverräter, hingerichtet worden wären. So gesehen, hatte Weasley recht.   „Und ohne Hermine und mich hättest du gar nichts hinbekommen. Schon im ersten Schuljahr hättest du die Rätsel gar nicht alle lösen können. Das Einzige, was du konntest, war fliegen. Hermine und ich haben die ganzen Aufgaben gelöst. Aber am Ende hat nur gezählt, was Harry Potter in den Kerkern gemacht hat. Rictusempra!“   Ah, Weasley hatte doch Fortschritte gemacht. Dieses Mal hatte er die Worte des Fluches richtig betont. Aber es half nichts. Harry wehrte ihn wieder mit Leichtigkeit ab.   „Kannst du dir überhaupt vorstellen wie das ist? Nein, natürlich nicht. Du stehst ständig im Mittelpunkt, während ich immer übersehen werde.“   Das stimmte nicht. Harry hatte die Jahresabschlussfeier noch genau im Kopf. Alle Schüler hatten genau gewusst, was in den Kerkern vorgefallen war. Sie wussten, dass Weasley durch McGonagalls Schachspiel gekommen war, dass Granger Severus‘ Tränkerätsel durchschaut hatte. Sie alle hatten dafür nicht wenige Punkte für Gryffindor bekommen und sie alle wurden gefeiert, nicht nur Harry.   „Glaubst du, es ist leicht als jüngster Sohn mit 5 älteren Brüdern? Meine eigenen Eltern überschlagen sich fast deinetwegen. ‚Oh, Harry kommt. Wir müssen noch das, das und das vorbereiten. Und hast du daran gedacht, das zu kaufen? Harry mag das doch so gern.‘ Ich hingegen hatte, seit ich denken kann, nur alte, abgetragene Kleider und bekam das Spielzeug, das meine Geschwister nicht mehr wollten. Selbst einen eigenen Zauberstab habe ich erst bekommen, als der alte von Charlie kaputt war. Aber solche Sorgen musst du dir nicht machen. Deine Eltern haben dir ja genügend hinterlassen.“   Harry hätte nicht in Worte fassen können, wie sehr er Weasley in diesem Moment hasste. Er würde mit Freuden alle Galleonen aufgeben, wenn dafür seine Eltern wieder leben würden. Aber sie waren tot und kein Geld der Welt konnte sie zurückbringen.   Weasley beklagte sich, dass er abgetragene Kleider tragen musste? Wenigstens sorgte seine Mutter dafür, dass sie sauber waren und ganz und ihm passten. Die abgetragenen Kleider, die er von Dudley bekommen hatte, waren viele Nummern zu groß und zerschlissen. Selbst eine eigene Schuluniform hatte er vor Hogwarts nicht bekommen. Stattdessen wurden alte Sachen eingefärbt.   Auch das alte Spielzeug von Dudley hatte er auch nicht bekommen. Das lag kaputt in dem zweiten Zimmer, in das Harry nur einziehen durfte, weil auf seinem ersten Hogwartsbrief „Im Schrank unter der Treppe“ gestanden hatte.   Er wurde beschimpft, schikaniert, musste die Hausarbeiten erledigen, die seine Tante nicht machen wollte, bekam kaum zu essen und musste dankbar sein, dass sie ihn überhaupt aufgenommen hatten. In seinen Augen hatte Weasley das große Los gezogen. Aber der konnte sich nur beschweren.   Um sie herum knisterte es. Die Spiegel bekamen feine Risse. Harry verkrampfte sich leicht. Unwillkürlich musste er an den Sectumsempra denken und wie gern er ihn jetzt bei Weasley benutzen würde. Aber er musste sich zusammenreißen. Schwarze Magie würde ihm jetzt nicht weiterhelfen.   Weasley bemerkte davon nichts. Er war zu sehr auf seinen Hass auf Harry konzentriert.   „Ich möchte dir jedes Mal eine Würgefluch auf den Hals hetzen, wenn du im Hogwarts-Express den ganzen Süßigkeitenwagen leer kaufst und mir dann großspurig was hinhältst. Als wäre ich ein dummes, kleines Hündchen. Impedimenta!“   Er hätte auch einfach ‚Nein!‘ sagen können. Aber Weasley war schon immer gierig. Wahrscheinlich war es noch nicht genug gewesen, was Harry ihm gegeben hatte.   Harry war so wütend. Seine Zauberstabhand zuckte, der Drang einen richtigen Fluch zu benutzen und sich nicht nur halbherzig zu verteidigen wurde immer größer.   Vielleicht wäre es doch eine Option, Weasleys Gedächtnis zu löschen? Aber damit das auf Dauer funktionierte, müsste er auch das Gedächtnis von halb Hogwarts löschen. Zu aufwendig. Zu zeitintensiv. Er musste sich zusammenreißen.   „Es ist so demütigend. Niemand nimmt mich ernst, niemand nimmt mich wahr. Selbst meine Geschwister mögen dich mehr als mich. Ich bin zwar ihr Bruder, aber gegen den Auserwählten bin ich unsichtbar.“   Harry war sich sicher, dass seine Brüder ihn schon nicht so gut leiden konnte, bevor sie Harry kennengelernt hatten. Wer konnte schon so einen missgünstigen Gnomen leiden?   „Dass meine Familie dich mir vorzieht, hat dir nicht gereicht, nicht wahr? Du musstest mir auch noch Hermine wegnehmen. Sie war sie erste, dich mich gesehen hatte, die mich wollte. Petrificus Totalus!“   Weasleys Zauber verblasste an der Spitze von Harrys Zauberstab.   Harry hatte nicht gewusst, dass Weasleys Verbitterung so groß war. Es war schlimm, wenn man permanent das Gefühl hatte, nicht genug zu sein. Harry kannte das nur zu gut. Aber während Harry dafür kämpfte, besser und stärker zu werden, warf Weasley jede Verantwortung von sich ab. Immer waren die anderen schuld, wenn es nicht so lief, wie er es wollte. Dass er derjenige war, der etwas ändern musste, kam ihm überhaupt nicht in den Sinn. Er wollte Ruhm und Ansehen, ohne seinen Zauberstab zu heben.   Harry war da gerade recht gekommen. Als bester Freund des Auserwählten stand Weasley immer mit im Rampenlicht. Aber nur, wenn es für ihn von Vorteil war. Siehe Trimagisches Turnier. Dieser beste Freund hatte sich genau wie alle anderen gegen Harry gestellt. Erst als alle gejubelt hatten, kam er zurückgekrochen. Wer war hier ein mieser Freund?   „Du konntest es einfach nicht ertragen, dass sie dir nicht genauso hinterherhechelt wie alle anderen.“   Genau hier lag das Problem. Je mehr es zum Bruch ihres Goldenen Trios kam, desto mehr wurde Weasley bewusst, dass er sich nicht länger in Harrys Berühmtheit sonnen konnte. Also hatte er – leider sehr erfolgreich – versucht, die anderen gegen ihn aufzubringen.   „Wir hatten beide dein egoistisches Verhalten so satt. Wie oft hatte Hermine gesagt, dass du dich zusammenreißen sollst, aber du musstest ja immer und immer wieder Streit mit Malfoy suchen. Expelliarmus!“   Dabei hatte Weasley mindestens so oft wie Harry Streit mit den Schlangen gesucht. Aber es war einfacher, die Schuld einfach jemand anderem zuzuschieben.   „Du kostet uns haufenweise Hauspunkte. Du bist häufiger beim Nachsitzen als beim Quidditch-Training. Und deinetwegen konnten wir beim letzten Spiel nicht dabei sein. Deinetwegen haben wir verloren. Impedimenta!“   Die Handbewegung des Fluchs war falsch und Weasley kam ins Straucheln. Er hatte länger durchgehalten, als Harry gedacht hatte. Schade, dass nichts Schlimmeres passiert war.   Harry hatte es so satt, dass Weasley immer und immer ihn dafür verantwortlich machte, dass sie verloren hatten.   „Aber wir anderen sind dir völlig egal. Nichts ist dir wichtig außer du selbst. Es ist genauso, wie Snape im ersten Jahr gesagt hatte. Du bist arrogant und eingebildet und glaubst, dass du ein Anrecht auf alles hast, nur weil du berühmt bist. Rictusempra!“   Harry konnte sich gerade noch so davon abhalten, den Kitzelfluch zurück an seinen Absender zu schicken.   „Genau wie beim Trimagischen Turnier! Du hast zwar immer wieder gesagt, dass du deinen Namen nicht hineingeworfen hast, aber ich wette, du hast es mehrfach versucht. Du musst so unsagbar froh gewesen sein, als dein Name ausgerufen wurde. Sonst wäre ja ein ganzes Jahr vergangen, ohne dass alle Augen auf dich gerichtet gewesen wären.“   Wie konnte dieser Gnom es wagen? Nach allem, was Harry in dieser Zeit durchmachen musste? Nachdem ihm seine Freunde im Stich gelassen hatten?   „Diggory war unser wahrer Champion. Er hat alle Aufgaben allein gemeistert ohne Hilfe von anderen.“   Der wahre Champion. Harry erinnerte sich gut an den Anstecker, den man nur einmal antippen musste, damit „Potter stinkt“ darauf zu lesen war. Eine Erfindung von Draco. Er nahm es ihm nicht übel. Sie waren damals noch nichts füreinander gewesen außer erbitterte Schulrivalen.   Aber es waren nicht nur die Slytherins, die diesen Anstecker getragen haben. Sie haben ihren Weg in jedes Haus gefunden. Diggorys Freunde trugen den Anstecker. Und Diggory hat mit ihnen darüber gelacht! Trotzdem war Harry so fair gewesen und hatte ihm von den Drachen erzählt.   Diggory hatte ihm als Gegenleistung verraten, dass er das Ei unter Wasser öffnen müsste. Aber er hatte diese Information auch nur von dem als Moody verkleideten Barty Crouch bekommen. Bei jeder Aufgabe hatte Diggory genauso viel Hilfe gehabt wie Harry.   „Im Gegensatz zu dir! Du schaffst gar nicht allein. Du wärst völlig aufgeschmissen gewesen, wenn nicht Du-Weißt-Schon-Wer gewollt hätte, dass du gewinnst. Hätte der falsche Moody dich nicht durch jede Aufgabe geschummelt hätte, hättest du bereits bei der ersten Aufgabe kläglich versagt.“   Das hatte Harry nie bestritten. Trotz allem war Harry damals noch viel zu unbekümmert gewesen und hatte sich mehr auf sein Glück und andere verlassen.   „Aber das siehst du nicht, weil du viel zu arrogant bist, um die Wahrheit zu erkennen.“   Er hatte nicht wirklich darüber nachgedacht, warum sein Name als vierter Champion – als einziger Kandidat für eine vierte Schule – ausgerufen wurde. Nach all den Unterstellungen und Beschimpfungen wollte er sich einfach nur beweisen. Wenn er nicht so stur gewesen wäre, hätte er vielleicht bemerkt, dass da mehr dahinter steckte. Vielleicht hätte er mit Absicht verloren. Vielleicht würde dann…   „Und genau wegen dieser Arroganz musste Diggory sterben.“   Harrys wurde abrupt aus seinen Gedanken gerissen. Seine Hand zuckte gefährlich, aber Weasley konnte es nicht sehen. Harry biss seine Zähne so fest aufeinander, dass es weh tat. Wie konnte dieser Wurm es wagen? Er war nicht dabei gewesen. Er musste nicht zusehen, wie Diggory leblos zusammensackte, weil eine körperlose Stimme ihn als überflüssig bezeichnete.   Hinter ihm knackte es. Die Risse in dem Spiegeln wurden immer größer und einzelne Stücke brachen raus, fielen klirrend zu Boden. Eine letzte Warnung, aber Weasley bemerkte immer noch nichts. Harry war kurz davor, seine Beherrschung zu verlieren. Den Drang, einen Sectumsempra bei Weasley zu benutzen, war fast überwältigend.   „Jedes Jahr auf neue bringst du uns in Gefahr. Genauso wie letztes Jahr. Ohne Nachzudenken rennst du von einer Gefahr in die nächste und ziehst uns alle mit rein. Wegen deiner Arroganz musste Sirius sterben. Du hast ihn auf dem Gewissen!“   Harry sah rot. Seine Magie brach aus ihm heraus. Alle Spiegel zersprangen mit einem Mal, die Splitter flogen durch den Raum, trafen Weasley, der zu langsam war, um einen Schild heraufzubeschwören, schnitten in seine Kleider, in seine Haut.   Schreiend sackte er zu Boden. Sein Zauberstab fiel ihm aus der Hand, während er versuchte, sein Gesicht zu schützen. Aber die Splitter und größere Glasscherben droschen weiter gnadenlos auf ihn ein, trafen jede ungeschützte Stelle.   Die Schuluniform wurde aufgerissen, hing in Fetzen von seinem Körper. Die Splitter und größere Scherben schlitzten seine Haut auf und bohrten sich in das rosige Fleisch.   Harry beobachtete, wie das Blut in kleineren und größeren Strömen zu Boden floss und sich sich zu einer immer größer werdenden Lache verband. Die Spiegelscherben lagen überall verteilt, blitzten zwischen dem Rot hervor, spiegelten Weasleys entsetztes, schmerzverzehrtes Gesicht.   „Har…ry.“, kam es schwach von Weasley. Das Blut war überall. Es floss in einem kleinen Rinnsal aus seinem Mund, klebte an der Hand, die schützend sein linkes Auge bedeckte.   Die Verletzungen mussten schlimmer sein, als es auf den ersten Blick aussah. Aber Harry hatte kein Mitleid. Beinahe teilnahmslos schaute er auf seinen ehemaligen Freund hinab.   „Zu dumm, wenn man nicht mal in der Lage ist, einen einfachen Schutzschild zu errichten.“ Harry ging langsam auf ihn zu. Seinen Zauberstab hielt er festumklammert, sein Blick war ausdrucklos. „Ich sollte dich einfach hier liegen und verbluten lassen.“   Weasley versuchte, nach seinem Zauberstab zu greifen, aber Harry schob ihn einfach mit dem Fuß zu Seite. Fasziniert sah er zu, wie der Stab das Blut seines Meisters aufnahm, bis kein Stück Holz mehr unbefleckt war.   „Wie erbärmlich ist das? Besiegt, ohne dass dein Gegner auch nur einen Zauberspruch gegen dich benutzt hat.“ Harry hockte sich vor Weasley hin.   Weasley versuchte, wegzurücken, aber rutschte durch sein eigenes Blut weg. Er stöhnte laut auf vor Schmerzen.   Harry lachte verächtlich. „Draco würde das gefallen.“   Weasleys Gesicht war eine grässliche Fratze, eine Mischung aus Schmerz, Unglauben und purem Entsetzen. Langsam schien er zu begreifen, dass Harry nicht mehr der gleiche war. Harry war gefährlich und er hätte ihn nicht so provozieren sollen.   „Weißt du, ich habe wirklich nicht mit deinem kleinen Schlammblut geschlafen. Aber eigentlich wusstest du das, nicht wahr? Du brauchtest einfach nur einen Grund, um mit ihr Schluss zu machen, bevor sie es tun würde. Denn du wusstest ganz genau, dass sie nicht lang bei dir bleiben würde. Dass sie schnell begreifen würde, dass sie was Besseres haben kann als dich kleinen Bundimun.“   Harry zerrte die Hand von Weasleys Gesicht. Er erstickter Schrei dran aus Weasleys Mund, gefolgt von einem kleinen Schwall Blut. Das eine Auge war geschlossen, von Blut verklebt und geschwollen. Gnadenlos zwang Harry das Lid mit einem kleinen Zauber nach oben.   Weasley wimmerte unaufhörlich. „Bitte, Harry… Brauche Hilfe.“   Harry ignorierte ihn. Das Auge sah schlimm aus. Mehrere Splitter waren eingedrungen. Konnte ein Zauberer so erblinden? Immerhin war kein Fluch für die Verletzungen verantwortlich.   Weasley sah furchtbar aus. Übersät mit kleineren und größeren Wunden, einige oberflächlich, die meisten tiefer. Gespickt mit tropfenden Glassplittern. Kaum vorstellbar, dass Harry das getan haben soll. Er hatte völlig die Kontrolle verloren und seine Magie war aus ihm herausgebrochen. Nur gut, dass wegen der Maulenden Myrte alle diesen Flur mieden.   „Du hättest ja einfach mal versuchen können, besser zu werden. Auf ein Level mit ihr oder mit mir zu kommen. Aber dann hättest du dich ja anstrengen müssen. Stattdessen machst du andere für dein Versagen verantwortlich. Du bist einfach nur eifersüchtig. Das warst du von Anfang an. Ich war der Junge, der überlebt hat – ein Titel, auf den ich liebend gern verzichtet hätte, wenn ich dafür meine Eltern gehabt hätte – und du nur ein unterdurchschnittlicher Zauberer unter vielen. Hättest du es lieber gehabt, wenn Voldemort dich ausgewählt hätte?“   Ein Duell zwischen Weasley und Voldemort? Das würde er zu gern sehen.   „Oder hättest du lieber im Trimagischen Turnier gekämpft? Natürlich wärst du auch gern Champion gewesen, aber beim Anblick der Drachen hättest du dir vor Angst in die Hose gemacht. In deiner Eifersucht siehst du nur, was du nicht hast. Die ganzen negativen Seiten blendest du einfach aus. Vielleicht sollte ich dir dabei helfen?“   Harry kam mit der Spitze seines Zauberstabs gefährlich nah an das verletzte Auge.   Ein gurgelndes Geräusch löste sich aus Weasley Kehle, dann drehte sich sein unverletztes Auge nach innen und er verlor das Bewusstsein.   „War das das kleine Schlammblut wert?“, fragte Harry den ohnmächtigen Jungen.   Weasley hatte eine Menge Blut verloren. Sein Gesicht war fast so durchscheinend wie das eines Geistes. Es war schwer vorstellbar, dass dafür nur die zerborstenen Spiegel verantwortlich sein sollten. Konnten sie wirklich so einen großen Schaden angerichtet haben?   Nicht mehr lang und das Leben würde Weasley verlassen. Harry hatte zwei Möglichkeiten. Entweder er löschte Weasleys Gedächtnis und brachte ihn schnell auf die Krankenstation oder er ließ ihn hier liegen.   Die Entscheidung war schnell getroffen. Niemand hatte sie hier zusammen gesehen. Er würde eine Menge erklären müssen, wenn er Weasley in die Krankenstation brächte. Es würde mal wieder die Aufmerksamkeit auf ihn lenken. Dumbledore würde ihre Suche abbrechen oder einfach ohne Harry gehen. Das kam nicht in Frage.   Harry stand auf. Er musste das Blut von seinen Schuhen und den Umhang entfernen und zur Tür kommen, ohne Spuren zu hinterlassen.   Ungläubig schaute er an sich hinab. Nicht einen Tropfen hatte er abbekommen. Er stand Mitten in der riesigen Blutlache. Er sollte Blut unter seinen unsichtbaren Füßen sehen, aber da war nur der makellose saubere Boden. Nicht einmal der Saum seinen Tarnumhangs hatte etwas abbekommen.   Wie konnte das sein? Hatte der Tarnumhang noch einen weiteren Zauber auf sich? Schmutzabweisend oder so?   Vorsichtig ging Harry Richtung Ausgang. Das Blut vor ihm floss zur Seite, als ob es den Umhang nicht beschmutzen wollte. Hinter ihm strömte es wieder zusammen. An der Tür angekommen, konnte man nicht mehr sehen, dass jemand bei Weasley gewesen wäre.   Es war ein bisschen beunruhigend, aber Harry war auch dankbar, dass er nicht noch mehr Zeit verschwenden musste. Er würde sich später darüber Gedanken machen. Dumbledore war bestimmt schon ungeduldig. Mit einem letzten Blick auf den Totgeweihten setzte er den Tarnumhang wieder richtig auf und ging hinaus.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   „RON!“ Seit über einer Stunde hatte sie ihn und Harry gesucht. Die Toilette im zweiten Stock war ihre letzte Hoffnung gewesen. Jetzt wünschte sie sich, sie hätte dort als erstes nachgesehen. Tränen rannen ihre Wangen hinab, tropfen erst auf die Blutlache, dann auf leichenblasse Gesicht des Jungen, den sie liebte.   Er atmete noch. Ganz schwach. Sie wollte ihn nicht allein lassen, aber sie wusste nicht, wie sie Madam Pomfrey Bescheid geben sollte. Sie musste sich beeilen. Ron würde nicht mehr lang durchhalten.   „Ich bin gleich wieder da. Halte durch, Ron. Bitte!“ Widerwillig löste sie sich von ihm. Ihre Sachen waren blutdurchdrängt, aber es war ihr egal.   Sie rannte den Korridor entlang, die Treppen hinunter. Völlig außer Atem kam sie im Krankenzimmer an.   Madam Pomfrey war völlig entsetzt, als dem aufgeregtem Mädchen zuhörte, zögerte aber nicht und nahm sich eine Tasche mit Zaubertränken und ließ sich den Weg weisen.   Erst als Ron im Krankenzimmer im Bett lag, ihm ein Trank nach dem anderen eingeflößt, ein Zauber nach dem gesprochen worden war und Madam Pomfrey ihr versicherte, dass er stabil war, ging sie erschöpft zurück in den ihren Gemeinschaftsraum. Sie würde keinen Schlaf und keine Ruhe finden, bis er wieder bei Bewusstsein war.   Müde schleppte sie sich die Treppen hoch. Plötzlich erregte etwas ihre Aufmerksamkeit. Sie schaute aus dem riesigen Fenster hinüber zu dem Verbotenen Wald. Etwas hockte auf den Baumspitzen. Trotz der Dunkelheit konnte sie unzählige glühende Augen sehen. Sie waren einfach nur da und starrten auf das Schloss, als würden sie auf irgendetwas warten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)