Das sechste Jahr von CruelLamia (Wie weit würdest du gehen, um deine Liebe zu beschützen?) ================================================================================ Kapitel 45: Das Ende einer Freundschaft --------------------------------------- Harry war auf dem Weg zurück in den Gemeinschaftsraum. Wie so häufig in letzter Zeit war er allein. Gryffindors Goldenes Trio gab es nicht mehr und so wie ihre Freundschaft zerbröckelt war, war auch der Zusammenhalt innerhalb des Hauses zerbrochen. Harry war nicht länger ihr Anführer – und das nur wegen eines verlorenen Quidditch-Spiels!   Die Mannschaft hatte ihn während ihres Jahresabschlusstrainings völlig ignoriert und ihm hinterher zu verstehen gegeben, dass, wenn er nicht als Kapitän zurücktreten würde, niemand für ihn nächstes Jahr spielen würde. Eine leere Drohung. Harry war immer noch der beste Sucher, den Gryffindor seit Jahrzehnten hatte und kein Gryffindor würde freiwillig auf die Hauspunkte verzichten, die nur Harry für sie erspielen konnte.   Harry war wirklich am überlegen, es darauf ankommen zu lassen und zu warten, ob niemand zu den Auswahlspielen kommen würde oder sie ihren Stolz herunterschlucken würden, um nicht gegen Slytherin dumm dazustehen. Auf der anderen Seite wäre es auch lustig, ihnen von Weitem zuzuschauen, wie sie sich abmühten, bis sie letztendlich angekrochen kämen und ihn anbettelten, dass er wieder mit ihnen spielte.   Beides hatte seine Reize. Aber wollte er selbst überhaupt noch spielen? Harry liebte Quidditch, das hatte sich nicht geändert. Allerdings konnten diese Zickereien einem echt den Spaß verderben.   So viel hatte sich verändert. Harry erinnerte sich noch gut an seine erste Flugstunde. Der Besen war bereits bei seinem ersten Versuch in seine Hand geflogen. Ohne Nachzudenken hatte er sich dann auf ihn geschwungen und war Longbottoms Erinnermich hinterhergeflogen. Das erste Mal in seinem Leben hatte er sich völlig frei gefühlt. Dieses Gefühl wurde nur getoppt, durch das Gefühl des Schnatzes in seiner Hand nach seinem ersten Spiel – nachdem er ihn hatte ausspucken müssen – und die Menge ihm zujubelte.   Leider hatte dieses Hochgefühl mit den Jahren nachgelassen. Die Siege hatten jedes Mal mehr einen fahlen Beigeschmack bekommen. Jubelrufe wurden zu schnell von Beschimpfungen und Unterstellungen abgelöst. Von dem ständigen hin und her wurde ihm schwindliger als von einer Faultierrolle.   Harry hatte Jahre damit zugebracht, es immer allen recht zu machen, hatte alles stumm ertragen und war doch am Ende immer der Dumme. Er wäre sowieso schuld, wenn Gryffindor verlor, egal, ob er mitspielen würde oder nicht. Also warum sollte er sich das antun?   Nein, er würde als Kapitän zurücktreten und egal, wie sie bettelten, er würde nicht zurückkommen. Sollten sie doch sehen, wo sie blieben. Für Harry gab es keinen Grund, sich noch länger rumschubsen zu lassen.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   „Potter!“   Harry verdrehte die Augen, bevor er sich zu der Stimme umdrehte. Er kannte das schon. Abfällig, aggressiv, nicht ein Fünkchen Zurückhaltung. Zu übermütig, zu viel Temperament. Genau das war der Grund, warum jede Konfrontation zum Scheitern verurteilt war. Erst handeln, dann denken. Ein typischer Gryffindor.   „Was willst du, Weasley?“ Er schaute flüchtig zu Finnigan und Thomas, die hinter dem rothaarigen Gnomen standen. Unsicher schauten sie zu Harry, wandten ihren Blick aber schnell wieder ab. Sie sahen aus, als wären sie lieber in einer Gruber voller Flubberwürmer.   Harry beachtete sie nicht weiter. Er wollte dieses Theater schnell hinter sich bringen.   „Ich will, dass du mir endlich die Wahrheit sagst.“, fauchte Weasley ihn an.   „Die Wahrheit worüber?“, fragte Harry. Er machte sich nicht mehr die Mühe, zu verbergen, wie genervt er war. Weasley hatte in den letzten Tagen sehr deutlich gemacht, dass ihre Freundschaft für ihn vorbei war. Kein Grund mehr für Harry, so zu tun, als ob es anders wäre.   „Du hast mit Hermine geschlafen!“ – Ah, das schon wieder. – „Gib es einfach zu! Ich will nur, dass einer von euch es ausspricht.“   „Dadurch wird es noch lange nicht wahr.“, zischte Harry zurück.   „Aber es ist wahr!“, schrie Weasley ihn jetzt an. „Gib es einfach zu, du miese hinterlistige Schlange. Meine…“   „Harry Potter!“   Alle vier drehten sich zu den Jungen um, der abgehetzt auf sie zu gerannt kam. Es war ein Hufflepuff. Harry überlegte angestrengt, wie er hieß. Coldwell oder Cauldwald oder so ähnlich. Sie hatten normalerweise nichts miteinander zu tun. Harry hatte ihn als einen eher zurückhaltenden Schüler im Kopf, der lieber für sich allein blieb und versuchte, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Es machte ihn schon ein wenig neugierig, warum der Drittklässler aufgeregt durch das Schloss rannte und ihn suchte.   „Hallo Cauldwell.“, sagte er freundlich, als der kleine Junge völlig außer Atem vor ihm Halt machte. Das zaghafte Lächeln und die leichte Röte, die sich um seine Nase bildete, sagten Harry, dass er den Namen richtig geraten hatte. „Du weißt, dass du nicht auf den Gängen rennen solltest.“   Das Rot wurde noch eine Spur dunkler. „Ich… Ich weiß, aber… ich sollte dich… schnell finden und dir… das hier geben.“ Cauldwell streckte Harry eine Pergamentrolle entgegen, die bis eben noch von seinem schwarzen Schulumhang verdeckte worden war.   „Oh, danke schön.“ Harry entnahm die Nachricht aus den zittrigen Händen und wickelte sie auseinander.   „Potter! Versuch nicht, abzulenken!“, versuchte, Weasley seine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen, aber Harry sah ihn nur verständnislos an. Was konnte er denn dafür?   Schnell überflog er die Worte in der allzu vertrauten Schrift. „Dumbledore will mich sehen.“ Er schaute Weasley eindringlich an. Er sollte wissen, was das bedeutete und Harry erwartete ein gewisses Maß an Verständnis. Aber Weasley sah nicht so aus, als ob ihn der Kampf gegen Du-weißt-schon-wen noch großartig interessierte.   Kopfschüttelnd drehte Harry sich um und ging in die Richtung des Büros des Schulleiters.   „Was glaubst du, wo du hin gehst?“, schrie Weasley ihm nach. „Wir sind noch nicht fertig!“   Harry ignorierte ihn. Er bekam noch mit, wie die anderen auf Weasley einredeten und verhinderten, dass er Harry mit gezogenem Zauberstab hinterherlief.   Vielleicht hätte er den Rotschopf mitnehmen sollen und ihn Dumbledore erklären lassen, warum es zwischen ihnen zum Bruch gekommen war. Sieht aus, als ob seine Gnadenfrist vorbei wäre. Auf dieses Gespräch hatte er absolut keine Lust.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Harry erreichte den Wasserspeier, der einsam vor der Wendeltreppe Wache hielt, viel zu schnell. Er hatte es nicht eilig gehabt, in das Büro des Schulleiters zu kommen, auch wenn in der Nachricht gestanden hatte ‚so schnell wie möglich‘. Dumbledore konnte nicht davon ausgehen, dass ein Hufflepuff einen Gryffindor so schnell finden würde. Ganz ehrlich, was hatte sich der alte Zauberer nur dabei gedacht? Wenn Harry im Gemeinschaftsraum gewesen wäre, hätte der Junge ihn nie gefunden.   Doch nun stand er hier und es gab nichts, was er tun konnte, um das Unvermeidliche hinauszuzögern.   Missmutig murmelte Harry das Passwort und schlurfte die bewegliche Wendeltreppe nach oben. Er klopfte zaghaft an der Tür und eine ruhige Stimme antwortete „Herein!“.   Nichts hatte sich verändert. Der Raum sah noch genauso aus, wie Harry ihn in Erinnerung hatte. Die unbekannten Apparaturen schimmerten leicht golden im Licht der untergehenden Sonne, die durch das riesige Fenster hinein leuchtete. Dumbledore stand genau davor und blickte hinunter auf das Schlossgelände. Er hielt einen Reiseumhang in den Armen. Kam er oder ging er?   Nichts ließ vermuten, dass er Harrys Eintreten bemerkt hätte. Nur Fawkes hatte sich zu Harry umgedreht und schaute ihn mit leicht schräg gestelltem Kopf an. Seine Augen spiegelten das orange-rote Licht der Sonne wider, leuchteten wie kleine Feuer.   „Nun, Harry!“, begann Dumbledore endlich, drehte sich aber noch immer nicht zu Harry um, „Ich habe versprochen, dass du mit mir kommen darfst.“   Was? Harry begriff nicht, was Dumbledore von ihm wollte. Hatte er ihn nicht wegen Weasley und Granger geholt?   „Mit… Ihnen kommen? Sir?“, stammelte er verwirrt.   „Natürlich nur, wenn du willst.“ Jetzt drehte er sich zu Harry um. Harry suchte im Gesicht des Schulleiters nach einem Anhaltspunkt, was er von ihm wollte, aber das Licht blendete ihn und er konnte die Gesichtszüge des alten Zauberers nicht erkennen.   „Wenn ich…“ Dann fiel es ihm plötzlich wieder ein. Er hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet. „Sie haben einen gefunden? Einen Horkrux?“ Harry hielt den Atem an.   „Ich glaube, ja.“   Anspannung und Entsetzen kämpften gegen Aufregung und Vorfreude. Harrys Stimme versagte.   „Es ist ganz natürlich, Angst zu haben.“, sagte Dumbledore, der Harrys Schweigen falsch deutete.   „Ich habe keine Angst!“, entgegnete Harry sofort. Er überlegte fieberhaft, was er für eine Ausrede er nutzen konnte, um Voldemort noch schnell eine Nachricht zu schicken. Aber als erstes brauchte er mehr Informationen. „Welcher Horkrux ist es? Wo ist er?“   „Ich bin mir nicht sicher, welcher es ist – auch wenn ich denke, dass wir die Schlange wohl ausschließen können. Aber ich glaube, dass er in der Höhle ist, in der Tom Riddle einst den beiden Kindern aus dem Waisenhaus Angst eingejagt hatte. Erinnerst du dich?“   Natürlich erinnerte sich Harry. Es war nur ein flüchtiger Fetzen Erinnerung gewesen und das, was am meisten in Harrys Gedächtnis geblieben war, war die betrunkene Leiterin des Waisenhauses. Immer wieder aus ihrem Glas voller Gin trinkend war sie nur allzu eifrig gewesen, diesem fremden Mann alles Schlechte über den Jungen zu erzählen, vor dem sie sich mehr fürchtete, als sie es jemals zugeben würde. Nicht einmal ihre Sorge, dass das Gesagte die Meinung des Fremden ändern und er den kleinen Teufel bei ihr lassen könnte, hatte ihre Zunge im Zaum halten können.   In ihrer durch den Alkohol beschwerten Aufzählung über die Gräueltaten des Elfjährigen war auch die Höhle vorgekommen. Warum etwas so Beiläufiges in Harrys Erinnerung geblieben war, konnte er sich nicht erklären. Noch weniger, warum Dumbledore glaubte, dass ausgerechnet dort ein Horkrux versteckt sein sollte. War er schon dort gewesen? Was hatte er entdeckt?   „Ja.“, antwortete Harry schließlich. „Wie ist er gesichert?“   „Ich weiß es leider nicht.“, gab der alte Schulleiter seufzend zu. „Ich habe Vermutungen, die völlig falsch sein könnten.“ Kurz zögerte er. „Harry, ich habe dir versprochen, dass du mitkommen darfst. Und ich stehe zu meinem Wort. Aber es wird äußerst gefährlich werden. Es wäre ein großer Fehler, wenn ich dich nicht warnen würde.“   „Ich komme mit.“, sagte Harry schnell. Er konnte es sich nicht leisten, dass Dumbledore es sich doch noch anders überlegte.   „Nun gut. Aber ich erwarte, dass du jeden Befehl befolgst, den ich dir womöglich erteile, auf der Stelle und ohne weitere Fragen.“   „Natürlich.“   „Damit wir uns richtig verstehen, Harry. Das heißt, dass du auch Befehle wie „Lauf!“, „Versteck dich!“ oder „Geh zurück!“ befolgen musst. Habe ich dein Wort darauf?“   „Ich – ja, natürlich.“   „Auch, wenn ich dir sage, verlass mich und bring dich selbst in Sicherheit, wirst du meinen Worten Folge leisten?“   Das würde der am einfachsten auszuführende Befehl sein. „Ja, Sir.“, antwortete Harry ein wenig zögerlich.   „Sehr gut. Dann geh bitte um hol deinen Tarnumhang. Wir treffen uns in fünf Minuten in der Eingangshalle.“ Damit drehte sich Dumbledore von ihm weg und starrte wieder aus dem Fenster. Die Sonne stand in der Zwischenzeit so tief, dass sie ihn in ein rubinrotes Licht tauchte. Es sah beinahe so aus, als wäre er von Blut überströmt.   Fünf Minuten. Wie sollte er es schaffen, in dieser kurzen Zeit Voldemort eine Nachricht zukommen zu lassen?   Ohne weiter nachzudenken, rannte Harry die Wendeltreppe hinunter und zurück zum Gryffindor-Turm. Seine Kammeraden riefen ihm irgendetwas hinterher, aber er hörte ihnen nicht zu. Er stürzte in den Schlafsaal, holte seinen Umhang und die die Karte des Rumtreibers. Er wollte gerade nach seiner Schultasche greifen und ein Stück Pergament und eine Feder herausholen, als die Tür aufgerissen wurde.   „Glaub ja nicht, dass du dich so einfach verdrücken kannst.“, fauchte Weasley ihn an. Sein Gesicht war schon wieder puterrot angelaufen.   „Dafür habe ich jetzt keine Zeit.“, knurrte Harry und drückte sich an ihm vorbei. Im Augenwinkel bekam er mit, wie Weasley seinen Zauberstab ziehen wollte, sich aber in seinem Zaubererumhang verfing.   Voldemort zu schreiben war keine Option mehr. Zumindest nicht für Harry. Blieb nur eine andere Alternative, aber dafür musste er wohin, wo keine anderen Schüler waren.   Leider waren die Gänge gerade voll und auch Weasley wollte einfach nicht verstehen, dass er ihn in Ruhe lassen sollte. Er war Harry durch das Loch gefolgt und rannte hinter ihm her.   Harry schaffte es, hinter einer Abzweigung seinen Tarnumhang überzuwerfen. Es waren nur Sekunden, bis die nächste Gruppe Schüler um die nächste Ecke kam und fast in ihn hineingelaufen wären. Er konnte gerade noch so ausweichen.   Weasley hatte weniger Glück. In seiner Hast rannte er eine Zweitklässlerin um. Er stammelte nur ein „Sorry!“ und rannte weiter.   Ein vorbildlicher Vertrauensschüler! Jeder andere Gryffindor wäre eine bessere Wahl gewesen.   Erleichtert stellte Harry fest, dass Weasley in eine andere Richtung lief, als er wollte.   Harry bahnte sich, so schnell er konnte, seinen Weg durch die Schüler hindurch, bis er in dem Korridor im zweiten Stock angekommen war, der von den meisten gemieden wurde.   Vorsichtig öffnete er die Tür zu der Mädchentoilette und schlüpfte hinein.   „Myrte?“, rief Harry erst leise, dann noch einmal lauter. Keine Antwort. Es war sehr bedauerlich, dass er die Präsenz von Geistern nicht spüren konnte. Er konnte nur hoffen, dass sie wirklich gerade woanders spukte und sich nicht irgendwo versteckte.   „Dobby!“, flüsterte er, aber der kleine Hauself hörte ihn trotzdem und ploppte sofort vor ihm auf.   „Was kann Dobby für Harr…“ Die vor Aufregung wackelnden Ohren sackten herab. Verwirrt schaute sich der kleine Elf um, die Augen wurden immer größer, die Ohren klatschen gegen seinen Kopf, während er immer heftiger hin und her warf.   „Dobby! Hier bin ich.“ Harry hatte seinen Tarnumhang vom Kopf rutschen lassen und hielt Dobby an seinen Schultern fest. Wäre er nicht so in Eile gewesen, hätte er über die Situation gelacht. Der Hauself beruhigte sich schnell wieder und sah sehr erleichtert aus, als er Harry vor sich sah.   „Harry Potter hat Dobby gerufen?“ Ein bisschen Unsicherheit schwang in seiner Stimme mit.   „Ja, ich habe einen sehr wichtigen Auftrag für dich.“   Wie erwartet fingen seine Augen an, zu leuchten.   „Hör genau zu, ich habe wenig Zeit.“ Und sie wurde immer knapper. Weasley war umgedreht und kam jetzt direkt auf sie zu.   „Du musst Draco sagen, dass er für mich eine Nachricht an IHN schicken muss. Er soll IHM schreiben: ‚Haben einen. Sind auf dem Weg. Werde es beschützen.‘“ Harry hoffte, dass er dazu in der Lage war und Dumbledore nicht auf die Idee kam, den Horkrux an Ort und Stelle zu zerstören. Andererseits schien es nicht so einfach zu sein, einen Horkrux zu zerstören. Bestimmt würde es auch nicht so leicht sein, überhaupt an ihn heranzukommen. Wenn Dumbledore Recht hatte, hatte Voldemort diesen Ort mit allerlei dunklen Zaubern und Flüchen belegt. „Wiederhole!“   „Mr. Malfoy soll Nachricht verschicken. An… an IHN.“ Unsicher sah Dobby zu ihm auf.   „Es ist in Ordnung, Dobby. Draco wird wissen, wer gemeint ist.“ Sie mussten sich beeilen. Weasley war fast da.   „Ja, Mr. Harry Potter, Sir. Mr. Malfoy soll Nachricht an IHN schicken. Mr. Malfoy muss schreiben: Sie haben einen. Und sind auf dem Weg. Und werden es beschützen.“   Harry konnte nur hoffen, dass es ausreichend sein würde und er und Draco später keine Schwierigkeiten mit Voldemort bekämen. „Sehr gut, Dobby. Beeile dich!“   Dobby verschwand noch, während er sich verneigte. Im gleichen Moment wurde die Tür aufgerissen.   Weasley stand im Türrahmen, die Haare standen wild in alle Richtungen, sein Gesicht hochrot. „Hier… hast… du dich… also… versteckt, … Potter.“ Obwohl er total abgehetzt nach Luft schnappte, schaffte er es, seinen Namen mit so viel Verachtung auszuspucken, wie er es früher nur Draco gekonnt hatte.   Harry hatte es nicht geschafft, seinen Tarnumhang wieder über seinen Kopf zu ziehen. „Was willst du, Weasley?“, entgegnete Harry genervt. Er hatte keine Zeit dafür. Dumbledore wartete sicher bereits.   „Du weißt genau, was ich will. Gib einfach zu, dass du mit Hermine geschlafen hast.“ Weasleys sonst so blassblaue Augen funkelten fast wahnsinnig. Sein Gesicht war zu einer wilden Fratze verzogen.   „Wir haben aber nicht miteinander geschlafen.“ Langsam wurde Harry wütend. Er stand unter Zeitdruck. Das passte ihm gerade überhaupt nicht.   „Glaubt ihr wirklich, dass ich so dumm bin? Dass ich das nicht mitkriegen würde? Mit dem dummen Weasley kann man’s ja machen. Hermine schreit deinen Namen beim Sex und ich soll glauben, dass da nichts zwischen euch ist?“   „Nur weil du zu langweilig im Bett bist und sie sich deswegen jemand anderes vorstellt, heißt das noch lange nicht, dass wir miteinander geschlafen haben. Ich habe kein Interesse an deiner kleinen Freundin. Nicht mein Typ. Viel zu langweilig.“ Und das falsche Geschlecht.   Vor Wut schnaufend zog Weasley seinen Zauberstab. „Furnunculus!“   Genervt wehrte Harry den Fluch ab. Dieser jämmerliche Zauberer war durch ihr letztes Duell kein bisschen schlauer geworden.   „Hör auf. Hör auf! HÖR AUF!“, schrie er und gleich darauf. „Locomotor Mortis!“   Weasley benutzte wieder die gleichen Zaubersprüche, keiner ging über den Wissenstand eines Drittklässlers hinaus. Was hatte er während der DA-Stunden gemacht? Erbärmlich. Mit einem gezielten Schlenker seines Zauberstabs, wehrte Harry den schwachen Fluch ab.   „Ich kann deine Lügen einfach nicht mehr ertragen. Du warst schon immer ein mieser Freund. Immer musst du alles an dich reißen. Immer heißt Harry hier und Harry da. Stupor!“   Wieder lenkte Harry den Zauber ab. Er überlegte, ihn einfach schnell auszuschalten, damit er wegkonnte, aber er hatte keine Lust, dieses Theater noch den Rest des Schuljahres zu ertragen. Er konnte es sich nicht leisten, dass Weasley ihm die ganze Zeit hinterher schnüffelte, nachdem er erst Granger losgeworden war.   Sie waren allein. Es war der perfekte Zeitpunkt, sich Weasley vom Hals zu schaffen. Seine Erinnerungen würde Harry nicht löschen. Weasley musste glauben, dass sie ihren Streit beigelegt hatten. Aber dazu mussten er erst einmal bereit sein, ihm zuzuhören.   Harry wusste noch nicht, wie er es angehen sollte. Er würde nichts zugeben, was nicht stimmte. Am besten wäre es, Weasley vorerst machen zu lassen. Irgendwann wäre er erschöpft. Hoffentlich dauerte es nicht zu lange. Dumbledore würde Verständnis haben, wenn Harry seinen Freunden noch schnell alles berichtete, aber die dieses Verständnis würde auch nicht unbegrenzt gelten.   „Harry Potter, unser Erlöser.“, spie Weasley aus. „Jedes Jahr aufs Neue wurdest du auf ein Podest gehoben und es wurden große Reden gehalten, wie toll du doch bist. Du hättest unsere Schule gerettet und gegen Du-weißt-schon-wen gekämpft. Aber keiner sieht, dass ohne dich unsere Schule gar nicht gerettet werden müsste!“   Harry wusste nicht so genau, was er darauf erwidern sollte. Wenn Voldemort ihn damals als Baby hätte töten können, hätte die Zaubererwelt den ersten Krieg verloren. Daran bestand gar kein Zweifel. Sie würden jetzt unter Voldemorts Tyrannei leiden. Schlammblüter wie Granger wären tot, sobald sie ihren ersten Magieausbruch hätten und Weasley wäre wahrscheinlich nicht einmal geboren worden, weil seine Eltern, die Blutsverräter, hingerichtet worden wären. So gesehen, hatte Weasley recht.   „Und ohne Hermine und mich hättest du gar nichts hinbekommen. Schon im ersten Schuljahr hättest du die Rätsel gar nicht alle lösen können. Das Einzige, was du konntest, war fliegen. Hermine und ich haben die ganzen Aufgaben gelöst. Aber am Ende hat nur gezählt, was Harry Potter in den Kerkern gemacht hat. Rictusempra!“   Ah, Weasley hatte doch Fortschritte gemacht. Dieses Mal hatte er die Worte des Fluches richtig betont. Aber es half nichts. Harry wehrte ihn wieder mit Leichtigkeit ab.   „Kannst du dir überhaupt vorstellen wie das ist? Nein, natürlich nicht. Du stehst ständig im Mittelpunkt, während ich immer übersehen werde.“   Das stimmte nicht. Harry hatte die Jahresabschlussfeier noch genau im Kopf. Alle Schüler hatten genau gewusst, was in den Kerkern vorgefallen war. Sie wussten, dass Weasley durch McGonagalls Schachspiel gekommen war, dass Granger Severus‘ Tränkerätsel durchschaut hatte. Sie alle hatten dafür nicht wenige Punkte für Gryffindor bekommen und sie alle wurden gefeiert, nicht nur Harry.   „Glaubst du, es ist leicht als jüngster Sohn mit 5 älteren Brüdern? Meine eigenen Eltern überschlagen sich fast deinetwegen. ‚Oh, Harry kommt. Wir müssen noch das, das und das vorbereiten. Und hast du daran gedacht, das zu kaufen? Harry mag das doch so gern.‘ Ich hingegen hatte, seit ich denken kann, nur alte, abgetragene Kleider und bekam das Spielzeug, das meine Geschwister nicht mehr wollten. Selbst einen eigenen Zauberstab habe ich erst bekommen, als der alte von Charlie kaputt war. Aber solche Sorgen musst du dir nicht machen. Deine Eltern haben dir ja genügend hinterlassen.“   Harry hätte nicht in Worte fassen können, wie sehr er Weasley in diesem Moment hasste. Er würde mit Freuden alle Galleonen aufgeben, wenn dafür seine Eltern wieder leben würden. Aber sie waren tot und kein Geld der Welt konnte sie zurückbringen.   Weasley beklagte sich, dass er abgetragene Kleider tragen musste? Wenigstens sorgte seine Mutter dafür, dass sie sauber waren und ganz und ihm passten. Die abgetragenen Kleider, die er von Dudley bekommen hatte, waren viele Nummern zu groß und zerschlissen. Selbst eine eigene Schuluniform hatte er vor Hogwarts nicht bekommen. Stattdessen wurden alte Sachen eingefärbt.   Auch das alte Spielzeug von Dudley hatte er auch nicht bekommen. Das lag kaputt in dem zweiten Zimmer, in das Harry nur einziehen durfte, weil auf seinem ersten Hogwartsbrief „Im Schrank unter der Treppe“ gestanden hatte.   Er wurde beschimpft, schikaniert, musste die Hausarbeiten erledigen, die seine Tante nicht machen wollte, bekam kaum zu essen und musste dankbar sein, dass sie ihn überhaupt aufgenommen hatten. In seinen Augen hatte Weasley das große Los gezogen. Aber der konnte sich nur beschweren.   Um sie herum knisterte es. Die Spiegel bekamen feine Risse. Harry verkrampfte sich leicht. Unwillkürlich musste er an den Sectumsempra denken und wie gern er ihn jetzt bei Weasley benutzen würde. Aber er musste sich zusammenreißen. Schwarze Magie würde ihm jetzt nicht weiterhelfen.   Weasley bemerkte davon nichts. Er war zu sehr auf seinen Hass auf Harry konzentriert.   „Ich möchte dir jedes Mal eine Würgefluch auf den Hals hetzen, wenn du im Hogwarts-Express den ganzen Süßigkeitenwagen leer kaufst und mir dann großspurig was hinhältst. Als wäre ich ein dummes, kleines Hündchen. Impedimenta!“   Er hätte auch einfach ‚Nein!‘ sagen können. Aber Weasley war schon immer gierig. Wahrscheinlich war es noch nicht genug gewesen, was Harry ihm gegeben hatte.   Harry war so wütend. Seine Zauberstabhand zuckte, der Drang einen richtigen Fluch zu benutzen und sich nicht nur halbherzig zu verteidigen wurde immer größer.   Vielleicht wäre es doch eine Option, Weasleys Gedächtnis zu löschen? Aber damit das auf Dauer funktionierte, müsste er auch das Gedächtnis von halb Hogwarts löschen. Zu aufwendig. Zu zeitintensiv. Er musste sich zusammenreißen.   „Es ist so demütigend. Niemand nimmt mich ernst, niemand nimmt mich wahr. Selbst meine Geschwister mögen dich mehr als mich. Ich bin zwar ihr Bruder, aber gegen den Auserwählten bin ich unsichtbar.“   Harry war sich sicher, dass seine Brüder ihn schon nicht so gut leiden konnte, bevor sie Harry kennengelernt hatten. Wer konnte schon so einen missgünstigen Gnomen leiden?   „Dass meine Familie dich mir vorzieht, hat dir nicht gereicht, nicht wahr? Du musstest mir auch noch Hermine wegnehmen. Sie war sie erste, dich mich gesehen hatte, die mich wollte. Petrificus Totalus!“   Weasleys Zauber verblasste an der Spitze von Harrys Zauberstab.   Harry hatte nicht gewusst, dass Weasleys Verbitterung so groß war. Es war schlimm, wenn man permanent das Gefühl hatte, nicht genug zu sein. Harry kannte das nur zu gut. Aber während Harry dafür kämpfte, besser und stärker zu werden, warf Weasley jede Verantwortung von sich ab. Immer waren die anderen schuld, wenn es nicht so lief, wie er es wollte. Dass er derjenige war, der etwas ändern musste, kam ihm überhaupt nicht in den Sinn. Er wollte Ruhm und Ansehen, ohne seinen Zauberstab zu heben.   Harry war da gerade recht gekommen. Als bester Freund des Auserwählten stand Weasley immer mit im Rampenlicht. Aber nur, wenn es für ihn von Vorteil war. Siehe Trimagisches Turnier. Dieser beste Freund hatte sich genau wie alle anderen gegen Harry gestellt. Erst als alle gejubelt hatten, kam er zurückgekrochen. Wer war hier ein mieser Freund?   „Du konntest es einfach nicht ertragen, dass sie dir nicht genauso hinterherhechelt wie alle anderen.“   Genau hier lag das Problem. Je mehr es zum Bruch ihres Goldenen Trios kam, desto mehr wurde Weasley bewusst, dass er sich nicht länger in Harrys Berühmtheit sonnen konnte. Also hatte er – leider sehr erfolgreich – versucht, die anderen gegen ihn aufzubringen.   „Wir hatten beide dein egoistisches Verhalten so satt. Wie oft hatte Hermine gesagt, dass du dich zusammenreißen sollst, aber du musstest ja immer und immer wieder Streit mit Malfoy suchen. Expelliarmus!“   Dabei hatte Weasley mindestens so oft wie Harry Streit mit den Schlangen gesucht. Aber es war einfacher, die Schuld einfach jemand anderem zuzuschieben.   „Du kostet uns haufenweise Hauspunkte. Du bist häufiger beim Nachsitzen als beim Quidditch-Training. Und deinetwegen konnten wir beim letzten Spiel nicht dabei sein. Deinetwegen haben wir verloren. Impedimenta!“   Die Handbewegung des Fluchs war falsch und Weasley kam ins Straucheln. Er hatte länger durchgehalten, als Harry gedacht hatte. Schade, dass nichts Schlimmeres passiert war.   Harry hatte es so satt, dass Weasley immer und immer ihn dafür verantwortlich machte, dass sie verloren hatten.   „Aber wir anderen sind dir völlig egal. Nichts ist dir wichtig außer du selbst. Es ist genauso, wie Snape im ersten Jahr gesagt hatte. Du bist arrogant und eingebildet und glaubst, dass du ein Anrecht auf alles hast, nur weil du berühmt bist. Rictusempra!“   Harry konnte sich gerade noch so davon abhalten, den Kitzelfluch zurück an seinen Absender zu schicken.   „Genau wie beim Trimagischen Turnier! Du hast zwar immer wieder gesagt, dass du deinen Namen nicht hineingeworfen hast, aber ich wette, du hast es mehrfach versucht. Du musst so unsagbar froh gewesen sein, als dein Name ausgerufen wurde. Sonst wäre ja ein ganzes Jahr vergangen, ohne dass alle Augen auf dich gerichtet gewesen wären.“   Wie konnte dieser Gnom es wagen? Nach allem, was Harry in dieser Zeit durchmachen musste? Nachdem ihm seine Freunde im Stich gelassen hatten?   „Diggory war unser wahrer Champion. Er hat alle Aufgaben allein gemeistert ohne Hilfe von anderen.“   Der wahre Champion. Harry erinnerte sich gut an den Anstecker, den man nur einmal antippen musste, damit „Potter stinkt“ darauf zu lesen war. Eine Erfindung von Draco. Er nahm es ihm nicht übel. Sie waren damals noch nichts füreinander gewesen außer erbitterte Schulrivalen.   Aber es waren nicht nur die Slytherins, die diesen Anstecker getragen haben. Sie haben ihren Weg in jedes Haus gefunden. Diggorys Freunde trugen den Anstecker. Und Diggory hat mit ihnen darüber gelacht! Trotzdem war Harry so fair gewesen und hatte ihm von den Drachen erzählt.   Diggory hatte ihm als Gegenleistung verraten, dass er das Ei unter Wasser öffnen müsste. Aber er hatte diese Information auch nur von dem als Moody verkleideten Barty Crouch bekommen. Bei jeder Aufgabe hatte Diggory genauso viel Hilfe gehabt wie Harry.   „Im Gegensatz zu dir! Du schaffst gar nicht allein. Du wärst völlig aufgeschmissen gewesen, wenn nicht Du-Weißt-Schon-Wer gewollt hätte, dass du gewinnst. Hätte der falsche Moody dich nicht durch jede Aufgabe geschummelt hätte, hättest du bereits bei der ersten Aufgabe kläglich versagt.“   Das hatte Harry nie bestritten. Trotz allem war Harry damals noch viel zu unbekümmert gewesen und hatte sich mehr auf sein Glück und andere verlassen.   „Aber das siehst du nicht, weil du viel zu arrogant bist, um die Wahrheit zu erkennen.“   Er hatte nicht wirklich darüber nachgedacht, warum sein Name als vierter Champion – als einziger Kandidat für eine vierte Schule – ausgerufen wurde. Nach all den Unterstellungen und Beschimpfungen wollte er sich einfach nur beweisen. Wenn er nicht so stur gewesen wäre, hätte er vielleicht bemerkt, dass da mehr dahinter steckte. Vielleicht hätte er mit Absicht verloren. Vielleicht würde dann…   „Und genau wegen dieser Arroganz musste Diggory sterben.“   Harrys wurde abrupt aus seinen Gedanken gerissen. Seine Hand zuckte gefährlich, aber Weasley konnte es nicht sehen. Harry biss seine Zähne so fest aufeinander, dass es weh tat. Wie konnte dieser Wurm es wagen? Er war nicht dabei gewesen. Er musste nicht zusehen, wie Diggory leblos zusammensackte, weil eine körperlose Stimme ihn als überflüssig bezeichnete.   Hinter ihm knackte es. Die Risse in dem Spiegeln wurden immer größer und einzelne Stücke brachen raus, fielen klirrend zu Boden. Eine letzte Warnung, aber Weasley bemerkte immer noch nichts. Harry war kurz davor, seine Beherrschung zu verlieren. Den Drang, einen Sectumsempra bei Weasley zu benutzen, war fast überwältigend.   „Jedes Jahr auf neue bringst du uns in Gefahr. Genauso wie letztes Jahr. Ohne Nachzudenken rennst du von einer Gefahr in die nächste und ziehst uns alle mit rein. Wegen deiner Arroganz musste Sirius sterben. Du hast ihn auf dem Gewissen!“   Harry sah rot. Seine Magie brach aus ihm heraus. Alle Spiegel zersprangen mit einem Mal, die Splitter flogen durch den Raum, trafen Weasley, der zu langsam war, um einen Schild heraufzubeschwören, schnitten in seine Kleider, in seine Haut.   Schreiend sackte er zu Boden. Sein Zauberstab fiel ihm aus der Hand, während er versuchte, sein Gesicht zu schützen. Aber die Splitter und größere Glasscherben droschen weiter gnadenlos auf ihn ein, trafen jede ungeschützte Stelle.   Die Schuluniform wurde aufgerissen, hing in Fetzen von seinem Körper. Die Splitter und größere Scherben schlitzten seine Haut auf und bohrten sich in das rosige Fleisch.   Harry beobachtete, wie das Blut in kleineren und größeren Strömen zu Boden floss und sich sich zu einer immer größer werdenden Lache verband. Die Spiegelscherben lagen überall verteilt, blitzten zwischen dem Rot hervor, spiegelten Weasleys entsetztes, schmerzverzehrtes Gesicht.   „Har…ry.“, kam es schwach von Weasley. Das Blut war überall. Es floss in einem kleinen Rinnsal aus seinem Mund, klebte an der Hand, die schützend sein linkes Auge bedeckte.   Die Verletzungen mussten schlimmer sein, als es auf den ersten Blick aussah. Aber Harry hatte kein Mitleid. Beinahe teilnahmslos schaute er auf seinen ehemaligen Freund hinab.   „Zu dumm, wenn man nicht mal in der Lage ist, einen einfachen Schutzschild zu errichten.“ Harry ging langsam auf ihn zu. Seinen Zauberstab hielt er festumklammert, sein Blick war ausdrucklos. „Ich sollte dich einfach hier liegen und verbluten lassen.“   Weasley versuchte, nach seinem Zauberstab zu greifen, aber Harry schob ihn einfach mit dem Fuß zu Seite. Fasziniert sah er zu, wie der Stab das Blut seines Meisters aufnahm, bis kein Stück Holz mehr unbefleckt war.   „Wie erbärmlich ist das? Besiegt, ohne dass dein Gegner auch nur einen Zauberspruch gegen dich benutzt hat.“ Harry hockte sich vor Weasley hin.   Weasley versuchte, wegzurücken, aber rutschte durch sein eigenes Blut weg. Er stöhnte laut auf vor Schmerzen.   Harry lachte verächtlich. „Draco würde das gefallen.“   Weasleys Gesicht war eine grässliche Fratze, eine Mischung aus Schmerz, Unglauben und purem Entsetzen. Langsam schien er zu begreifen, dass Harry nicht mehr der gleiche war. Harry war gefährlich und er hätte ihn nicht so provozieren sollen.   „Weißt du, ich habe wirklich nicht mit deinem kleinen Schlammblut geschlafen. Aber eigentlich wusstest du das, nicht wahr? Du brauchtest einfach nur einen Grund, um mit ihr Schluss zu machen, bevor sie es tun würde. Denn du wusstest ganz genau, dass sie nicht lang bei dir bleiben würde. Dass sie schnell begreifen würde, dass sie was Besseres haben kann als dich kleinen Bundimun.“   Harry zerrte die Hand von Weasleys Gesicht. Er erstickter Schrei dran aus Weasleys Mund, gefolgt von einem kleinen Schwall Blut. Das eine Auge war geschlossen, von Blut verklebt und geschwollen. Gnadenlos zwang Harry das Lid mit einem kleinen Zauber nach oben.   Weasley wimmerte unaufhörlich. „Bitte, Harry… Brauche Hilfe.“   Harry ignorierte ihn. Das Auge sah schlimm aus. Mehrere Splitter waren eingedrungen. Konnte ein Zauberer so erblinden? Immerhin war kein Fluch für die Verletzungen verantwortlich.   Weasley sah furchtbar aus. Übersät mit kleineren und größeren Wunden, einige oberflächlich, die meisten tiefer. Gespickt mit tropfenden Glassplittern. Kaum vorstellbar, dass Harry das getan haben soll. Er hatte völlig die Kontrolle verloren und seine Magie war aus ihm herausgebrochen. Nur gut, dass wegen der Maulenden Myrte alle diesen Flur mieden.   „Du hättest ja einfach mal versuchen können, besser zu werden. Auf ein Level mit ihr oder mit mir zu kommen. Aber dann hättest du dich ja anstrengen müssen. Stattdessen machst du andere für dein Versagen verantwortlich. Du bist einfach nur eifersüchtig. Das warst du von Anfang an. Ich war der Junge, der überlebt hat – ein Titel, auf den ich liebend gern verzichtet hätte, wenn ich dafür meine Eltern gehabt hätte – und du nur ein unterdurchschnittlicher Zauberer unter vielen. Hättest du es lieber gehabt, wenn Voldemort dich ausgewählt hätte?“   Ein Duell zwischen Weasley und Voldemort? Das würde er zu gern sehen.   „Oder hättest du lieber im Trimagischen Turnier gekämpft? Natürlich wärst du auch gern Champion gewesen, aber beim Anblick der Drachen hättest du dir vor Angst in die Hose gemacht. In deiner Eifersucht siehst du nur, was du nicht hast. Die ganzen negativen Seiten blendest du einfach aus. Vielleicht sollte ich dir dabei helfen?“   Harry kam mit der Spitze seines Zauberstabs gefährlich nah an das verletzte Auge.   Ein gurgelndes Geräusch löste sich aus Weasley Kehle, dann drehte sich sein unverletztes Auge nach innen und er verlor das Bewusstsein.   „War das das kleine Schlammblut wert?“, fragte Harry den ohnmächtigen Jungen.   Weasley hatte eine Menge Blut verloren. Sein Gesicht war fast so durchscheinend wie das eines Geistes. Es war schwer vorstellbar, dass dafür nur die zerborstenen Spiegel verantwortlich sein sollten. Konnten sie wirklich so einen großen Schaden angerichtet haben?   Nicht mehr lang und das Leben würde Weasley verlassen. Harry hatte zwei Möglichkeiten. Entweder er löschte Weasleys Gedächtnis und brachte ihn schnell auf die Krankenstation oder er ließ ihn hier liegen.   Die Entscheidung war schnell getroffen. Niemand hatte sie hier zusammen gesehen. Er würde eine Menge erklären müssen, wenn er Weasley in die Krankenstation brächte. Es würde mal wieder die Aufmerksamkeit auf ihn lenken. Dumbledore würde ihre Suche abbrechen oder einfach ohne Harry gehen. Das kam nicht in Frage.   Harry stand auf. Er musste das Blut von seinen Schuhen und den Umhang entfernen und zur Tür kommen, ohne Spuren zu hinterlassen.   Ungläubig schaute er an sich hinab. Nicht einen Tropfen hatte er abbekommen. Er stand Mitten in der riesigen Blutlache. Er sollte Blut unter seinen unsichtbaren Füßen sehen, aber da war nur der makellose saubere Boden. Nicht einmal der Saum seinen Tarnumhangs hatte etwas abbekommen.   Wie konnte das sein? Hatte der Tarnumhang noch einen weiteren Zauber auf sich? Schmutzabweisend oder so?   Vorsichtig ging Harry Richtung Ausgang. Das Blut vor ihm floss zur Seite, als ob es den Umhang nicht beschmutzen wollte. Hinter ihm strömte es wieder zusammen. An der Tür angekommen, konnte man nicht mehr sehen, dass jemand bei Weasley gewesen wäre.   Es war ein bisschen beunruhigend, aber Harry war auch dankbar, dass er nicht noch mehr Zeit verschwenden musste. Er würde sich später darüber Gedanken machen. Dumbledore war bestimmt schon ungeduldig. Mit einem letzten Blick auf den Totgeweihten setzte er den Tarnumhang wieder richtig auf und ging hinaus.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   „RON!“ Seit über einer Stunde hatte sie ihn und Harry gesucht. Die Toilette im zweiten Stock war ihre letzte Hoffnung gewesen. Jetzt wünschte sie sich, sie hätte dort als erstes nachgesehen. Tränen rannen ihre Wangen hinab, tropfen erst auf die Blutlache, dann auf leichenblasse Gesicht des Jungen, den sie liebte.   Er atmete noch. Ganz schwach. Sie wollte ihn nicht allein lassen, aber sie wusste nicht, wie sie Madam Pomfrey Bescheid geben sollte. Sie musste sich beeilen. Ron würde nicht mehr lang durchhalten.   „Ich bin gleich wieder da. Halte durch, Ron. Bitte!“ Widerwillig löste sie sich von ihm. Ihre Sachen waren blutdurchdrängt, aber es war ihr egal.   Sie rannte den Korridor entlang, die Treppen hinunter. Völlig außer Atem kam sie im Krankenzimmer an.   Madam Pomfrey war völlig entsetzt, als dem aufgeregtem Mädchen zuhörte, zögerte aber nicht und nahm sich eine Tasche mit Zaubertränken und ließ sich den Weg weisen.   Erst als Ron im Krankenzimmer im Bett lag, ihm ein Trank nach dem anderen eingeflößt, ein Zauber nach dem gesprochen worden war und Madam Pomfrey ihr versicherte, dass er stabil war, ging sie erschöpft zurück in den ihren Gemeinschaftsraum. Sie würde keinen Schlaf und keine Ruhe finden, bis er wieder bei Bewusstsein war.   Müde schleppte sie sich die Treppen hoch. Plötzlich erregte etwas ihre Aufmerksamkeit. Sie schaute aus dem riesigen Fenster hinüber zu dem Verbotenen Wald. Etwas hockte auf den Baumspitzen. Trotz der Dunkelheit konnte sie unzählige glühende Augen sehen. Sie waren einfach nur da und starrten auf das Schloss, als würden sie auf irgendetwas warten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)