Das sechste Jahr von CruelLamia (Wie weit würdest du gehen, um deine Liebe zu beschützen?) ================================================================================ Kapitel 17: Raum des Schreckens ------------------------------- Harry beeilte sich, in den Gryffindor-Turm zu kommen. Er war länger auf der Krankenstation gewesen, als er gedacht hatte. Er wollte unbedingt noch zu Weasley und Granger, bevor die Hexe in ihren nächsten Unterricht musste. Sie wollten bestimmt wissen, was bei seinem Besuch herausgekommen war und er wollte es ihnen lieber gleich erzählen, als dass sie später noch auf die Idee kommen würden, ihn zu suchen.   Er bog gerade in den Gang ab, als die beiden aus dem Portrait geklettert kamen. Granger sah ihn als erstes. „Harry! Da bist du ja. Wir haben uns schon Sorgen gemacht. Was ist passiert? Wie geht es Lisa?“   Ein kleines trauriges Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. „Ihr geht es soweit ganz gut. Zumindest, solange ich nicht in ihrer Nähe bin.“   Sie sahen ihn verwirrt an. „Was meinst du damit? Hat Malfoy…“   „Malfoy hat gar nichts getan.“, presste Harry zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Bei Merlin. Weasleys Besessenheit mit dem Slytherin war ja beinahe schlimmer als seine eigene. „Er hat Lisa lediglich geholfen, so unwahrscheinlich das auch klingen mag.“   „Was ist denn nun mit ihr passiert?“, fragte Granger vorsichtig.   „Jemand hat sie angegriffen und mit einem Fluch belegt, der dafür sorgt, dass sie sich vor mir ekelt.“   „Das ist ja schrecklich. Aber Madam Pomfrey konnte doch den Fluch bestimmt brechen?“, fragte sie hoffnungsvoll. Ihr blindes Vertrauen in die Heilerin und die Lehrer im Allgemeinen empfand Harry einfach nur als nervig.   „Nein. Sie kennt den Fluch nicht.“ Mit einem gewissen Maß an Genugtuung beobachtete Harry, wir ihr Gesicht bei seinen Worten zusammen fiel.   „Und du bist dir sicher, dass es nicht Malfoy gewesen ist? Wer soll es denn sonst gewesen sein? Hast du noch jemand anderen dort gesehen?“, fragte Weasley. Er wollte seine Theorie, dass der Slytherin der Böse war, einfach nicht aufgeben.   „Ich habe niemand anderen gesehen. Aber ich kenne mich dort auch nicht aus. Wer weiß, wo da überall Seitengänge sind. Aber Malfoy war es nicht. Warum hätte er sie sonst zur Krankenstation bringen sollen? Das Risiko wäre doch viel zu groß gewesen, dass er ertappt worden wäre.“   „Warum nimmst du Malfoy so in Schutz? Er ist ein mieser Slytherin. Wahrscheinlich hat er Lisa das Gedächtnis gelöscht und sie kann sich deswegen nicht an ihn erinnern.“ Damit hatte er genau ins Schwarze getroffen. Aber Lisas Gedächtnis wurde ja nicht gelöscht. Zumindest nicht nachdem, was Madam Pomfrey ihm erzählt hatte. Der Verdacht wäre natürlich sonst naheliegend gewesen, dass es Draco gewesen war. Deswegen hatte sie es ihm wohl nicht erzählt. Damit er nicht anfing, Draco zu beschuldigen. Nicht dumm. Und jetzt überaus hilfreich.   „Madam Pomfrey hat gesagt, dass Lisa ihren Angreifer nicht erkannt hat, nicht, dass ihr Gedächtnis gelöscht worden wäre.“, gab trocken zurück.   „Das heißt aber nicht, dass Malfoy nicht doch…“   „Ron! Das reicht. Madam Pomfrey hat das mit Sicherheit kontrolliert. Du kannst nicht immer Malfoy an allem die Schuld geben. Und wenn Harry glaubt, dass er es nicht war, dann glaube ich es auch.“   Weasley funkelte seine Freundin wütend an. Hatte Harry jetzt etwas einen Beziehungsstreit provoziert? Hoffentlich nicht. Das Theater wie vor ihrer Beziehung würde er nicht noch einmal überstehen.   Granger ignorierte die wütenden Blicke und konzentrierte sich wieder auf Harry. „Und wie geht es jetzt mit dir und Lisa weiter?“   „Sie will nicht mehr mit mir ausgehen. Auch dann nicht, wenn der Fluch seine Wirkung verloren hat. Sie hat gemeint, dass sie nicht immer aufpassen will, ob sie jemand verfluchen will oder nicht.“ Harry schaute auf seine Füße und ließ seine Schultern hängen.   „Oh, Harry! Das tut mir so leid.“, rief Granger aufgeregt und zog ihn eine tröstende Umarmung.   Harry ließ es über sich ergehen. Auch Weasley klopfte ihn aufmunternd auf den Rücken. „Danke, ihr beiden.“ Er lächelte traurig. „Aber ich habe dich jetzt lange genug aufgehalten. Du musst zum Unterricht.“   „Oh ja!“, rief sie plötzlich, als hätte sie völlig vergessen, dass sie noch Unterricht hatte. Als ob sie das je vergessen würde. „Ich muss mich beeilen. Kopf hoch, Harry. Wir reden später weiter. Ja?“   Er nickte ihr dankbar zu und hoffte, dass er das irgendwie würde vermeiden können.   „Ich begleite dich.“, rief Weasley schnell, als die Hexe sich umgedreht hatte und davon gehen wollte.   „Nicht nötig.“, antwortete sie bissig und ging einfach weiter, ohne sich noch mal zu ihrem Freund umzudrehen.   Weasley stand einfach nur da und schaute ihr hinterher. „Na dann hat sie halt Pech. Komm, Harry. Lass uns in den Gemeinschaftsraum gehen. Wir können eine Runde Zauberschnippschnapp spielen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und ging auf den Eingang zu ihrem Turm zu.   „Äh, Ron!“, sagte Harry vorsichtig. Das konnte er gerade nicht gebrauchen. Er wollte sich gleich mit den Slytherins zum Training treffen. „Ich denke, du solltest lieber Hermine hinterhergehen.“   „Wieso denn das? Die kriegt sich schon wieder ein.“, winkte er ab.   „Das glaube ich nicht. Du kennst doch Hermine. Je länger sie Zeit zum Nachdenken hat, desto wütender wird sie. Du solltest es lieber gleich klären.“   Weasley sah nicht so aus, als würde er Harry recht geben wollen. Wie ein trotziges Kind stand er vor dem Portrait. Die fette Dame schaute ungeduldig auf ihn herab.   „Ja, wahrscheinlich hast du recht.“, gab er dann doch widerwillig zu. „Ist es okay, wenn ich dich allein lasse? Ich meine…“   „Ja, klar. Kein Problem. Wirklich. Beeil dich lieber, bevor ihr Unterricht anfängt.“   „Danke, Kumpel.“ Damit drehte Weasley sich um und beeilte sich, seiner wütenden Freundin hinterherzulaufen.   Harry atmete erleichtert auf. Das hätte ihm jetzt gerade noch gefehlt. Er musste noch mal kurz in seinen Schlafsaal, die Karte des Rumtreibers und seinen Tarnumhang holen und würde dann zum Raum der Wünsche gehen.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Unter dem Tarnumhang verborgen schlich Harry durch Hogwarts. Je näher er seinem Ziel kam, desto weniger Schüler begegneten ihn. Es war erst Nachmittag und die meisten saßen in ihrem Unterricht. Zu dieser Zeit waren nur vereinzelte Sechst- und Siebtklässler anzutreffen, die ein paar freie Stunden hatten, da sie nur noch die Fächer besuchen mussten, in denen sie ihre UTZ‘ machen wollten. Aber auch von denen verirrte sich niemand in die Nähe von Harrys Bestimmungsort, was ihn ein wenig überraschte. Er hatte erwartet, dass die ehemaligen DA-Mitglieder hin und wieder den Raum der Wünsche aufsuchen würden, aber überraschenderweise hielten sie sich von ihm fern. Zumindest war es so in den letzten beiden Wochen gewesen. Vielleicht hatten sie keine Zeit? Vielleicht hatten sie sein Potential nicht erkannt und dachten, dass er lediglich zum Trainieren von Flüchen gedacht war? Oder vielleicht wollten sie einfach nur nicht an die Ereignisse zum Ende des letzten Jahres erinnert werden. Was auch immer der Grund für ihre Abwesenheit war, Harry war dankbar. Dass er den Raum der Wünsche für das gemeinsame Training mit den Babytodessern ausgesucht hatte, war schon riskant genug gewesen. Wenigstens war eine seiner Sorgen unbegründet gewesen. Aber bedauerlicher Weise kannte er nicht so viele geheime Räume in Hogwarts und die Alternative wäre noch risikoreicher gewesen. Sehr zu Harrys Bedauern.   Es wäre perfekt gewesen. Welcher andere Ort wäre besser gewesen, um die zukünftigen Todesser zu für ihren Herrn und Meister zu trainieren, als sein heimliches unzugängliches Versteck, dass seit ungefähr tausend Jahren verborgen in den Eingeweiden des Schlosses verborgen lag?   Die Kammer des Schreckens.   Selbst nach den Ereignissen in Harrys zweiten Jahr zweifelten immer noch viele an seiner Existenz. Alles sei nur ein makabrer Scherz gewesen. Niemals würde ein Monster in Hogwarts unbemerkt über Jahrhunderte lang leben können. Darüber hinaus: welches Wesen lebt denn schon so lange? Nun… Der Basilisk, der mehrere Jahrhunderte alt werden kann und auch bereits seit der Gründung von Hogwarts gelebt hat, war in der Zwischenzeit tot, verrottete in der Kammer, die für so lange Zeit sein zu Hause gewesen war. Natürlich gab es damals Gerüchte darüber, wie Harry Potter dieses Monster getötet hatte und es hatte sie wie ein Lauffeuer verbreitet. Aber so schnell, wie die Geschichte von Ohr zu Ohr getragen wurde, so schnell wurde sie auch wieder zu einem Flüstern und verstarb letztlich ganz. Niemand traute einem zwölfjährigen Schüler zu, dass er einen Basilisken töten konnte. Nicht einmal, wenn dieser Zwölfjährige Harry Potter höchstpersönlich war. Lieber glaubte man, das alles gar nicht wahr wäre. Und die versteinerten Schüler konnten unmöglich Opfer eines Basilisken gewesen sein. Immerhin waren sie nicht tot. Nur versteinert. Also weigerte man sich zu glauben und die Geschichte geriet in Vergessenheit. Genauso wie fünfzig Jahre zuvor.   Die Ignoranz der Zaubererwelt überraschte Harry immer wieder. Bei Voldemorts Rückkehr waren sie auch schon so blind gewesen. Wollten die Zeichen nicht sehen und sich lieber in einer falschen Sicherheit wiegen, bis es zu spät war. Und diese Ignoranz war auch der Grund, warum kaum jemand wusste, wo der Eingang zur Kammer des Schreckens lag. Selbst die Lehrer, die seine Geschichte glaubten – Dumbledores Fanclub – kannten den geheimen Zugang nicht. Und somit war der Eingang nie verschlossen worden. Es war auch unnötig, denn man musste Parsel sprechen können, um hineinzugelangen. Harry war der einzige an dieser Schule, der die Schlangensprache beherrschte. Sofern Voldemort es nicht irgendwie schaffte, Dumbledore an seiner langen Nase herumzuführen und einen Lehrerposten übernahm. Was für ein absurder Gedanke.   Der Schulleiter hatte Harry nie gebeten, die Kammer zu öffnen, damit er sie vollständig zerstören konnte. Mit ihren weiten Raum, getränkt in uralter dunkler Magie, tief unter dem Schloss versteckt, wäre sie der perfekte Ort gewesen. Aber wie sollte er mehrere Slytherins unbemerkt hineinschleusen? Die Maulende Myrte, die nach ihrem Tod genau das Klo, in dem sie ihren Tod gefunden hatte, als ihr neues Zuhause auserkoren hatte, hatte mit Sicherheit den Auftrag, Dumbledore sofort zu berichten, falls Harry versuchen sollte, in die Kammer zu gelangen. Und unauffällig ließ sie sich nicht öffnen. Und dann war da das Problem, dass Dumbledore in der Lage war, die Kammer zu betreten. Nicht durch den normalen Eingang, aber mit der Hilfe von Fawkes. Der Phönix wusste, wo die Kammer war und konnte ohne Vorwarnung auftauchen und das mit einem weißbärtigen, neugierigen Zauberer im Schlepptau.   Ohne Vorwarnung.   Das war der Grund gewesen, warum Harry die Idee verworfen hatte. Der Raum der Wünsche war zwar wesentlich bekannter, aber die Magie des Raumes sorgte dafür, dass niemand so einfach in dem Raum auftauchen konnte. Man musste durch die Tür und man musste den richtigen Wunsch kennen. Ansonsten zeigte sich der Eingang nicht und der leere Flur blieb ein leerer Flur mit nicht weiter als einem Wandteppich, auf dem Barnabas der Bekloppte versuchte, Trollen Ballett beizubringen.   Und genau in diesem Flur stand Harry jetzt und beobachtete den Teppich, wartete auf den richtigen Moment.   Die Trolle standen dümmlich auf einer Lichtung mitten im Wald in der Mitte des Wandteppichs. Ihre gräulich grüne Haut sah aus wie altes trockenes Leder, rissig und fleckig. Einer kratzte sich an seiner kahlen Schädeldecke, während zwei andere sich gegenseitig Insekten und Spinnen vom Körper sammelten und sich in den Mund steckten. Die übrigen beiden standen einfach nur da, starrten vor sich hin, während Rotz aus ihren Nasen lief, sich mit den Speichelfäden aus ihren Mündern verband und zäh zu Boden tropfte. Ihre Knüppel lagen achtlos auf der Seite auf einem Haufen. Sie waren dunkel verfärbt von dem Blut, mit dem das Holz immer und immer wieder während ihrer sinnlosen Prügelleien getränkt worden war.   Barnabas selbst saß am Rand des riesigen Werkes auf einem Stein und fuchtelte wild mit seinem Zauberstab herum. Fünf rosa Tutus wurden immer größer und größer bis sie auf eine passende Form für dreieinhalb Meter große Waldtrolle angewachsen waren. Zufrieden mit seiner Arbeit stand Barnabas auf und lies diese fünf rosa Monstrositäten hinter sich her schweben. Bei den Trollen angekommen versuchte er sie als erstes zu animieren, die Sachen anzuziehen. Die Trolle sahen ihn aber nur mit einem dümmlich, teilnahmslosen Blick an. Barnabas ließ sich davon aber nicht beirren und ließ das erste Tutu über den Kopf eines Trolls schweben und zog es ihm dann über. Die dünnen Träger zerrissen und alles, was von dem Kleidchen übrig blieb, war ein Fetzen rosa Stoff, der über den dicken Bauch des Waldtrolles hing. Der Troll schaute verwirrt an sich herab und gab irgendwelche Grunzlaute von sich. Ein anderer Troll wurde durch diese Laute aufmerksam und nahm sich ein Kleid von dem Boden. Er schaute seinen Kameraden an, dann das Stück Stoff und versuchte es dann, um seinen Bauch herum zu binden. Das empfindliche Material hatte dieser groben Behandlung nichts entgegenzusetzen und zerriss gleich beim ersten Versuch. Er zuckte mit den Schultern und steckte sich die Reste in den dreckigen Lumpen, der als Lendenschurz diente, das einzige Kleidungsstück, das Trolle gewöhnlich trugen. Wenn man Glück hatte.   In der Zwischenzeit setzten sich auch die anderen Unholde in Bewegung. Einer band sich das Tutu um den Kopf und schaute mit Glubschaugen und etwas, das wohl einem Lächeln gleichkommen sollte, seine Kameraden an. Er schlug einen auf die Schulter, um dessen Aufmerksamkeit zu bekommen, der schlug die Hand aber nur weg. Statt auf den anderen Troll zu reagieren, wischte der sich mit seiner Hand über sein Gesicht und starrte dann auf den Rotz, der an ihr hängen geblieben war. Er versuchte es abzuschütteln, aber seine Hand blieb weiterhin feucht und klebrig. Mit dieser Hand griff er dann nach einem Kleid und wischte sie daran ab. Der Stoff verklebte und verfärbte sich dunkel. Der Troll schaute auf sein dreckiges Kleid und versuchte dann, den Glibber wieder abzuwischen. Vergeblich. Bei dem Versuch zerriss er das ganze Kleid, in viele kleine Stofffetzen. Verärgert wollte er sich das letzte verbleibende Kleid nehmen, wurde aber von dem letzten Troll daran gehindert. Beide zogen an dem Stoff und wie erwartet zerriss auch der ohne Widerstand. Die beiden Trolle schaute sich nun beide wütend an. Sie schnaubten beide und Harry glaubte zu sehen, wie kleine Rauchwölkchen aus ihren Nasenlöchern kamen, ähnlich wie bei Drachen aus ihren Nüstern, kurz bevor sie Feuer spien. Was aber tatsächlich aus den Nasenlöchern der Trolle kam, war noch mehr Rotz.   Barnabas bekam von all dem nichts mit. Er hatte sich weggedreht und verzauberte einzelne Musikinstrumente, die eine ruhige Melodie zu spielen begannen. Die Töne lenkten die Trolle voneinander ab und ihre Köpfe drehten sich gleichzeitig zu der Quelle der ihnen unbekannten Geräusche.   Der Zauberer ignorierte die drohende Gefahr und ging fröhlich auf die fünf Trolle zu. Ehe sie sich versahen, hatte er eine Ballettstange mit Spiegel gezaubert und Trolle standen in Reih und Glied daneben. Verwirrt über die plötzlich veränderte Situation schauten sie sich um. Der Blick in den Spiegel hatte die erwartete Reaktion zur Folge. Nun, erwartet für Harry. Barnabas hatte sicher nicht damit gerechnet oder ganz einfach nicht darüber nachgedacht. Die Trolle sahen nicht sich in dem Spiegel, sondern nur fremde Trolle, die es zu verprügeln galt. Beinahe gleichzeitig schlugen sie mit voller Wucht auf den Spiegel ein, der in Millionen von Einzelteilen zersprang. Die Splitter prallten von ihrer ledrigen Haut ab, aber die fremden Trolle, die plötzlich verschwunden waren, und dieser unbekannte glänzende Regen machte sie nur noch wütender. Und in ihrer Wut stürzten sie sich auf das einzige Ziel, das noch da war. Barnabas. Der Troll, der das Tutu um seinen Kopf gebunden hatte, holte mit seiner riesigen Pranke aus und traf den Möchtegernballettlehrer seitlich am Kopf. Der Zauberer flog bis an das andere Ende von dem Wandteppich, wo er benommen versuchte, wieder aufzustehen.   Die anderen Trolle holten ihre Knüppel und humpelten so schnell es ihnen möglich war mit ihren schwerfälligen Bewegungen auf den am Boden liegenden Mann zu. Er tat Harry fast ein bisschen leid. Aber wer auf die Idee kam, dummen, hirnlosen Trollen tanzen beibringen zu wollen, musste mit so einem Ausgang rechnen. Und je öfter Harry die Szene mit ansehen musste, umso weniger Mitleid empfand er. Der Künstler, der diesen Wandteppich geschaffen hatte, musste ähnlich gedacht haben. Denn er hatte die Szene so eingerichtet, dass Barnabas nie sein Bewusstsein verlor. Egal wie oft und wie heftig er verprügelt wurde, immer blieb der Bekloppte oder besser der Verkloppte bei Bewusstsein und bekam die Attacken der verblödeten Trolle vollständig mit. Aber nicht nur die Attacken, sondern auch alles andere, was sich um ihn herum abspielte. Also auch wenn jemand in den Raum der Wünsche wollte.   Heute würde es allerdings anders sein; wie auch schon die paar Male zuvor, als Harry sich mit den Slytherins im Raum der Wünsche getroffen hatte. Harry musste nur auf den richtigen Augenblick warten.   Und dann war es soweit. In dem Moment, in dem Barnabas die Augen schloss, als ob die Keule, die gerade auf sein Gesicht zuraste, dadurch verschwinden würde, sprach Harry den Zauber, der die Figur des Barnabas fein geknüpft aus magischer Wolle erstarren ließ. Die Trolle ließen sich davon nicht beirren. Egal, ob der Zauberer sich leicht bewegte und versuchte, sich zu schützen oder bewegungslos liegen blieb, sie kloppten weiter auf ihn ein, bis es ihnen zu langweilig wurde und sie sich eine neue Beschäftigung suchten. Meistens bestand die darin, sich auf den Rasen setzten, dumpf vor sich hinstarrten und durch ihren Gestank Insekten und Aasfresser anlockten. Jedes Mal das gleiche. Auch wenn mit kleinen Abwandlungen. Nicht jedes Mal machte sich Barnabas die Mühe, Tutus für die Waldtrolle zu zaubern. Hin und wieder schaffte er es sogar wirklich, dass ein Troll einen Knicks versuchte und dabei umfiel. Aber spätestens dann fingen die Trolle wieder an, auf ihn einzuprügeln. Ein aussichtslosen Unterfangen.   Harry drehte sich von dem Trauerspiel weg. In ein paar Stunden, wenn das Training vorbei war und die Slytherins wieder gegangen waren, würden die Trolle von ihrem Opfer abgelassen haben und Harry würde den Zauber von dem Teppich nehmen. Barnabas würde die Reste der Tutus und der Zauberinstrumente, die in der Zwischenzeit von den Trollen zerstört worden waren, auflesen und dann wieder von vorn beginnen, als ob nie etwas gewesen war.   Der Gang war leer, niemand war in der Nähe. Es würde noch zehn Minuten dauern, bis Draco hier sein würde und erst danach würden die anderen Slytherins kommen. Genug Zeit, um alles in Ruhe vorzubereiten. Harry nahm seinen Tarnumhang ab. Es war niemand in der Nähe. Er stellte sich vor die riesige Steinwand und schlossen die Augen. Innerlich stellte er sich den Raum vor, wie er aussehen würde. Er hatte von Anfang an eine genaue Vorstellung gehabt und eine Weile gebraucht, bis er den richtigen Wunsch gefunden hatte, damit der Raum exakt seinen Vorstellungen entsprach. Erinnerungen an Dracos Gesichtsausdruck, als er ihm von dem Wunsch erzählt hatte, den er benutzen müsste, um in den Raum zu gelangen, rückten in sein Bewusstsein und Harry musste unwillkürlich lächeln. Es war nicht einfach, den Eisprinzen sprachlos zu machen.   Harry setzte sich in Bewegung. Dreimal musste er an der Wand vorbeilaufen und dabei konzentriert an seinen Wunsch denken. ‚Ich brauchen einen Raum, in dem ich die zukünftigen Todesser für den Erben Slytherins trainieren kann.‘ Das war sein Wunsch an den Raum der Wünsche gewesen. Jede andere Formulierung hatte nicht das erhoffte Ergebnis gezeigt. Mehrere Stunden hatte es gedauert, bis Harry damals den richtigen Wortlaut gefunden hatte.   Als er das dritte Mal an der Wand vorbeigelaufen war, begann sich eine Tür zu formen. Wie jedes Mal stand Harry davor und beobachtete mit klopfenden Herzen, wie Dornenranken aus dem Boden herauswuchsen und sich zu einem perfekten Torbogen trafen. Das Muster sah verdächtig nach dem gleichen aus, das seit zwei Wochen Dracos Todessermaske zierte. Aber der Eingang war noch nicht fertig. Während sich eine massive Holztür aus dem Stein unter dem Dornenbogen materialisierte, krochen Schlangen an den Ranken empor, wanden sich elegant um die spitzen Dornen. Sie zischelten bedrohlich, aber es waren nur Laute, keine Wörter.   Endlich war die Tür fertig. Ohne zu zögern griff Harry nach dem schlangenkopfförmigen Knauf in der Mitte. Die Flügeltüren öffneten sich langsam, aber ohne großen Widerstand und er konnte in den Raum der Wünsche, in seinen Raum eintreten.   Es war genauso, wie er es in Erinnerung gehabt hatte, wenn auch etwas kleiner. Ob es an seiner fehlerhaften Erinnerung lag – immerhin war er damals erst 12 Jahre alt und mit völlig anderen Dingen beschäftigt gewesen – oder ob die Magie des Raumes doch seine Grenzen hatte, konnte er nicht mit Sicherheit sagen. Aber das spielte auch keine Rolle. Nicht wirklich. Der Raum war immer noch riesig. Ausreichend Platz für ihn und die Slytherins, die bald hier eintreffen würden.   Betrachtete man die massive Holztür, erwartete man wohl einen anders gearteten Raum. Mehr einen Dschungel mit gefährlichen Pflanzen und Tieren. Das war es zumindest, was Harry gedacht hatte, als er sich das erste Mal ihr gegenübergesehen hatte. Er hatte mit einem erneuten gescheiterten Versuch gerechnet. Umso erstaunter war er gewesen, als er eingetreten war. Da war kein Dschungel, kein Holz, keine gefährlichen Kreaturen. Sondern nur Stein. Der ganze Raum war mit glatten, grauen Stein ausgekleidet. Ein breiter Weg führte weit in die große Halle, gesäumt von vielen riesigen, dicken Säulen, um die sich steinernen Schlangen wanden.   Harry ging in den Raum hinein. Die Tür fiel schwerfällig ins Schloss. Das Geräusch wurde durch den gesamten Raum getragen, begleitete Harry auf seinen Weg bis zum Ende der Kammer. Auf der Plattform am Ende blieb er stehen, schaute beinahe ehrfürchtig auf die riesige Statur von Salazar Slytherin, die bedrohlich die gesamte Kammer überblickte. Erinnerungen stürmten auf ihn ein und für einen kurzen Moment glaubte er, zu sehen, wie sich Salazars Mund öffnete und er erwartete jeden Moment den Basilisken zwischen seinen Lippen hervorkriechen zu sehen. Aber nichts passierte. Natürlich nicht. Der Basilisk lag in der echten Kammer des Schreckens und verrotte vor sich hin.   Harry wandte seinen Blick ab. Von der Statur. Von seinen Erinnerungen. Er war froh, dass er es geschafft hatte, diesen Raum so zu gestalten. Auch wenn es nicht die echte Kammer war, es war absolut perfekt. Bewundernd ließ er seinen Blick durch den Raum gleiten. Bald würde die Ruhe vorbei sein. Bald würden hier ein Haufen Babytodesser Zauber und Flüche üben und Harry musste ihnen Hilfestellung geben, wann immer es notwendig sein würde. Aber vorher würde er noch mit Draco reden. Zum einen wollte er unbedingt wissen, was das für ein Fluch gewesen war, den er bei Turpin angewendet hatte, und zum anderen wollte er wissen, warum er es getan hatte.   Ein Grummeln holte Harry aus seinen Gedanken und erinnerte ihn daran, dass er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Seufzend stellte er sein Gespräch mit Draco hinten an. Als erstes müsste er sich etwas zu Essen beschaffen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)