Das sechste Jahr von CruelLamia (Wie weit würdest du gehen, um deine Liebe zu beschützen?) ================================================================================ Kapitel 11: Gefährliches Spiel ------------------------------ „Herr!“ Lucius war zu ihnen getreten und kniete jetzt vor Voldemort.   „Sprich!“   „Die Schüler kommen, Herr.“ Sie schauten in die Richtung, in der sie die Neuankömmlinge vermuteten und tatsächlich konnten sie in der Dunkelheit schwach Umrisse mehrerer Personen erkennen, die sich ihnen eilig näherten. Ganz vorne an der Spitze lief Snape und führte das kleine Grüppchen Slytherins an. Harry konnte noch erkennen, wie die letzten Reste des Desillusionierungszaubers, den zweifellos Snape über sie gelegt hatte, von ihnen abglitten. „Ah, sehr gut. Danke, Lucius. Du kannst dich wieder zu den anderen gesellen. Du ebenfalls, Wurmschwanz!“ Der plötzlich schärfere Tonfall seines Meisters ließ den kleinen, dicklichen Zauberer zusammenzucken. Schnell verbeugte er sich – soweit es eben mit seinem plumpen Körper möglich war – und beeilte sich dann, so viel Platz wie möglich zwischen sich und Voldemort zu bringen und wäre dabei beinahe in Lucius hineingelaufen. Harry beobachtete mit grimmiger Freude, wie der ranghohe Todesser Wurmschwanz daraufhin am Kragen packte und auf den Boden schleuderte. Das Wimmern, das daraufhin folgte, war Musik in seinen Ohren. Seit wann ergötzte er sich bloß so an den Schmerzen anderer? Oder war es nur deswegen, weil es dieser Verräter war?   „Vielleicht ist es ganz gut, dass du schon da bist.“, unterbrach Voldemort Harrys Gedankengang. „So können wir gleich klar stellen, welche Position du von jetzt an einnimmst.“ Bevor Harry etwas erwidern konnte, durchschritten die Schlangen die Barriere. Sie schauten sich kurz um, entdeckten sie beide und schritten eilig auf sie zu. Kurz vor ihnen blieben sie stehen und ließen sich, wie die anderen Todesser zuvor, auf die Knie fallen. Auch wenn Harry wusste, dass dies nicht ihm galt, gab es ihm doch einen gewissen Kick, die anderen so unterwürfig vor ihm zu sehen. „Severus! Schön, dass ihr endlich da seid.“ Angesprochener erhob sich und blickte direkt in die scharlachroten Augen. „Du weißt ja, wie ungern ich warte. Aber keine Sorge! Unser Mr. Potter hier hat mir die Zeit über Gesellschaft geleistet und die Wartezeit vertrieben.“   Die Augen des Zaubertränkelehrers huschten kurz zu Harry, registrierten den Besen und das Stoffbündel in dessen Händen und ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Lippen, gut verborgen durch seine eigene Todessermaske. Dann richtete er seinen Blick wieder fest auf Voldemort. „Ja, Herr.“ Er trat beiseite, so dass Voldemort nun die Jungtodesser in Augenschein nehmen konnte.   „Ihr könnt aufstehen.“ In einer fließenden Bewegung kamen sie dem Befehl nach.   Harry betrachtete die Todesserroben der Slytherins. Es waren im Gegensatz zu denen der vollwertigen Todesser einfache schwarze Roben, die aber genauso den kompletten Körper verhüllten. Ihre Masken bedeckten nicht das ganze Gesicht, der Mund und die linke Wange blieben frei. Außerdem waren sie schmucklos, verrieten nichts über Status und Rang innerhalb der Reihen der Todesser. Aber welchen Rang sollte ein Schüler auch schon bekleiden? „Wann bekomme ich eigentlich so eine schicke Maske?“, fragte Harry mit einem leicht sarkastischen Unterton.   Voldemort begann, zu lachen. Es klang nicht so, als würde ihn die Frage amüsieren, aber dafür die gleich folgende Antwort umso mehr. „Gar nicht.“ Überrascht drehte sich Harry zu ihm. Was sollte das? Doch bevor er nach dem Warum fragen konnte, wurde er auch schon mit einem Wink der bleichen Hand zum Schweigen gebracht. „Du wirst keine brauchen. Vorerst wirst du ohnehin an keiner Unternehmung teilnehmen. Du hast andere Aufgaben, die im Vordergrund stehen. Und ich möchte nicht das Risiko eingehen, dass du zufällig enttarnt wirst. Und später, wenn das Versteckspiel nicht mehr notwendig sein wird“, ein triumphales Grinsen zierte das schlangenartige Gesicht, „wirst du ohnehin an meiner Seite stehen. Dann ist es nicht mehr notwendig dein hübsches Gesicht zu verhüllen.“   Ausdruckslos starrte Harry Voldemort an. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet und er wusste auch nicht, was er von dieser Entwicklung halten sollte. ~Das ist der Preis für deine Forderung, über den anderen zu stehen. Du hast doch selbst gesagt, sie sollen sehen, dass du nicht zu ihnen gehörst. Ich habe deinen Wunsch erfüllt.~ Bösartig grinsend blickte der Dunkle Lord auf Harry herab und genoss seinen kleinen Triumph. Ja, auch das war eine Möglichkeit, sich seine Loyalität zu sichern. Die ganze Welt würde Harry hassen und sich von ihm abwenden, wenn er sich eines Tages offiziell auf Voldemorts Seite stellen musste. Wer würde ihm dann noch glauben? Wer ihm vertrauen? Er könnte auch nicht behaupten, unter dem Imperius-Fluch gestanden zu haben. Zu viele wussten, dass Harry in der Lage war, diesen zu brechen, seit im vierten Schuljahr Barty Crouch jr. unter Einfluss des Vielsafttrankes als der Auror Alastor Moody, ihr Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste in diesem Jahr, die ganze Klasse zur Demonstration unter diesen Fluch gestellt hatte. Keine Chance für ihn, seine Meinung noch einmal zu überdenken – nicht, dass er das gewollt hätte. Aber ja! Keine Maske zu tragen, band ihn stärker an den Dunklen Lord. Aber wenn er dafür ein bisschen Macht über die Todesser bekommen würde, sollte ihm das recht sein.   „Ich verstehe. Dann ist das so.“   Soweit das überhaupt möglich war, wurde Voldemorts Lächeln noch eine Spur hinterhältiger. „Ich wusste doch, dass dir meine Idee gefällt. Nun“, er drehte sich wieder zu den Slytherins um, die immer noch unbeweglich vor ihnen standen, „wie ihr zweifellos mitbekommen habt, gehört unser hochgeschätzter Harry Potter ab jetzt zu unserer kleinen Gemeinschaft. Und um das von vorneherein klarzustellen: Ich erwarte, dass dieses Bündnis vorerst nicht bekannt wird. Mr. Potter hat einige Aufträge, die er für mich erledigen soll und ihr werdet ihn unterstützen, wo ihr nur könnt. Das bedeutet, gibt er euch einen Befehl, werdet ihr ihn sofort und ohne jedwede Widerworte befolgen, als hätte ich selbst ihn ausgesprochen. Ansonsten verhaltet ihr euch so wie immer. Sollte sich einer von euch meinen oder seinen Anweisungen widersetzen, so hat Mr. Potter das Recht, jede Strafe zu verhängen, die er für angemessen hält. Und natürlich wird das nur ein kleiner Vorgeschmack dessen sein, was ihr von mir zu erwarten habt.“   Eine leichte Unruhe breitete sich unter den Schülern aus, während nun Harry derjenige war, der ein boshaftes Grinsen zur Schau trug. ‚Das könnte jetzt interessant werden.‘   Voldemort verengte seine Augen zu Schlitzen. „Was hat das zu bedeuten?“, donnerte er los und ein weiteres Mal in dieser Nacht hallte seine Stimme bedrohlich über den Platz.   Niemand wagte, auch nur einen Mucks von sich zu geben. Von Harry schien er keine Antwort zu erwarten, weswegen dieser entspannt die Arme vor seiner Brust verschränkte und neugierig das Schauspiel beobachtete. Zu seiner Überraschung war es Draco, der schließlich in ehrfürchtiger Haltung hervortrat und zu Boden sank. „Herr…“   „Erhebe dich, junger Malfoy, und erzähle mir, was vorgefallen ist.“   Kurz und knapp schilderte Draco die Ereignisse der letzten Tage. Dass Potter bei ihnen im Gemeinschaftsraum gewesen war, um mit ihnen über ihr auffälliges Verhalten zu sprechen und dass es dabei zu einer Auseinandersetzung gekommen ist, die ein wenig außer Kontrolle geraten war. Auch Harrys Reaktion auf das ganze Geschehen und seine Warnung ließ er dabei nicht aus. „Tritt näher! Ich will es sehen.“, zischte Voldemort.   Draco tat, wie ihm befohlen. Er sah in die beängstigenden roten Augen und konzentrierte sich auf seine Erinnerungen von diesem Abend. Kurz spürte er das fremde Bewusstsein seines Lords, als dieser mit Legilimentik in seinen Geist eindrang. Nur sekundenspäter war es wieder vorbei. Ein kurzer Schauer durchlief seinen Körper, um das Gefühl der fremden Präsenz in ihm abzuschütteln.   „Interessant. Sehr bemerkenswerte Zaubersprüche, die du dir angeeignet hast, Harry. Sehr kreativ.“ ~Ich muss wohl Acht geben, dass meine Untergebenen deine Bestrafungen nicht irgendwann mehr fürchten als die meinen.~ „Auf jeden Fall sehr unterhaltsam.“ Keine Verärgerung schwang in der Stimme mit. Voldemort klang eher amüsiert. Das änderte sich aber schnell, als er nun den Jungen zu sich rief, der für diesen Vorfall verantwortlich war. „Miles Blechtley. Tritt vor!“ Zitternd und so blass, dass man die Haut kaum noch von der bleichen Maske unterscheiden konnte, trat Blechtley aus den Reihen und ließ sich wenig elegant vor seinem Lord nieder.   „M… Mein Herr. Es tut… tut mir leid. Ich wusste doch nicht, dass…“   „SCHWEIG! Ich brauche keinen weiteren zitternden und stammelnden Todesser. Wie erbärmlich! Weißt du, unser Mr. Potter hier hat recht. Man sollte nicht mit schwarzmagischen Flüchen um sich werfen, wenn man keine Kontrolle über sie hat. Oder willst du nach Askaban? Gefällt dir die Vorstellung, als wandelnder Toter vor dich hinzuvegetieren, gefangen in Trauer und Einsamkeit ohne jede Hoffnung auch nur eines Hauchs von Glück jemals wieder spüren zu können?“ Seine Stimme wurde zum Ende hin gefährlich leise. „Ich verspreche dir. Das wird nichts im Gegensatz dazu sein, was passieren wird, wenn du dich auch nur noch ein einziges Mal meinen Anweisungen widersetzt.“ Kurz ließ er seine Worte auf den winselnden Jungen einwirken. „Hast du mich verstanden?“   „Ja… ja, Herr. Ich werde… AAAHHHHHHHH!“ Harry war froh, dass die Barriere auch über einen Abhörschutz verfügte. Denn dieses Gebrüll, ausgelöst durch Voldemorts Cruciatus, hätte unweigerlich ganz Hogsmeade aufgeweckt. Der Schrei brachte Harrys Knochen zum Vibrieren und setzte sich in seinem Körper fest. Erinnerungen an seine eigenen Erfahrungen mit diesem Fluch wurden wach. Es war nicht angenehm.   „Nur als kleine Hilfe, damit du meine Befehle nicht vergisst.“, sagte Voldemort, nachdem er den Fluch unterbrochen hatte. „Geh mir aus den Augen.“   „Ja… Jawohl, H… H… Herr.“ Die Stimme war kraftlos, genauso wie der Körper. Schwerfällig schleppte sich Blechtley an seinen Platz zurück.   „Das war ein interessantes Schauspiel, der kleine Kampf, den ihr euch geliefert habt. Aber ich muss leider zu meiner Schande eingestehen, dass die Fähigkeiten einiger meiner Jungtodesser zu wünschen übrig lassen. Es wäre vielleicht ganz hilfreich, wenn du mit ihnen trainieren könntest, so wie du es mit deinen Freunden letztes Jahr getan hast. Wäre das möglich?“   „Natürlich, mein Lord. Das sollte sich einrichten lassen.“ Eine Mischung aus Überraschung und Aufregung breitete sich in Harry aus. Er war davon ausgegangen, dass die Babyschlangen nach ihrem Abschluss ein entsprechendes Training bekommen würden. Aber wahrscheinlich lag mehr hinter dieser Anfrage, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Immerhin würde er ihnen alles beibringen, was er im vergangenen Jahr auch seinen anderen Mitschülern bei der DA beigebracht hatte. Dadurch würden sie wissen, über welche zusätzlichen Fähigkeiten, Zauber und Flüche der Feind verfügte. In einem Kampf würde ihnen dieses Wissen einen entscheidenden Vorteil einbringen. Ein wissendes Lächeln erschien auf Harrys Lippen. Es würde Voldemort noch ein Stück mehr Kontrolle über Harry geben. Aber es störte ihn nicht. Im Gegenteil. Es hatte ihm Spaß gemacht, zu unterrichten und er freute sich darauf, es wieder tun zu können.   Kurz tauchten in seinem Kopf die Bilder seiner ehemaligen Freunde auf, wie sie zusammen trainiert und gekämpft hatten. Nur für ihn hatten sie sich in Gefahr begeben und ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Sie vertrauten ihm. Doch nun würde er sie ein weiteres Mal hintergehen. Harry schüttelte die Bilder ab. Es spielte keine Rolle mehr. Wehmut würde ihn nur behindern. Er hatte sich entschieden und er würde zu seiner Entscheidung stehen. Komme, was wolle.   „Vielleicht wäre es in diesem Fall günstig, wenn du eine feste Kontaktperson in Slytherin hättest, die dir bei der Koordination der Treffen helfen kann und auch sonst, wenn du etwas mit ihnen zu klären hast. Irgendwelche Vorschläge?“   Harry haderte kurz mit sich. Auch wenn er das eigentlich nicht wollte, so gab es doch nur eine Person, die dafür in Frage käme. Jede andere Wahl würde unweigerlich unbequeme Fragen nach sich ziehen. „Malfoy. Er hat bereits bewiesen, dass er für diese Position mehr als geeignet ist. Er hat mir in dieser Hinsicht bereits gute Dienste geleistet.“   „Ah! Wie der Vater, so der Sohn. Ich bin einverstanden.“ Mit einer kurzen Bewegung seiner bleichen Hand begann Dracos Maske sich zu verändern. Es bildete sich ein filigranes Muster aus dornenbesetzten Ranken in Silber und Hellgrün. Nur blass hob es sich vom Weiß seiner Maske ab, dafür aber umso deutlicher ihn von den übrigen Jungtodessern. Es stellte ihn nun auch offiziell über sie. Innerhalb von Hogwarts standen nur noch Harry und Severus im Rang über Draco.   Draco trat vor und kniete ein weiteres Mal in dieser Nacht auf dem Boden. „Danke, Herr.“, fast erstickt brachte er die Worte heraus, völlig überwältig von dieser Ehre, die ihm zu Teil wurde und war sich doch gleichermaßen bewusst, dass er nun höhere Erwartungen zu erfüllen hatte, und was geschehen würde, wenn er diesen nicht gerecht werden würde.   Voldemort winkte ab. „Bei mir musst du dich nicht bedanken.“ In einer fließenden Bewegung stand Draco wieder auf, wandte seinen Blick Harry zu. Kurz schaute sich die beiden früheren Kontrahenten in die Augen, beide Gesichter völlig ausdruckslos. Dann deutete Draco eine leichte Verbeugung an, die Harry mit einem ebenso kurzen Nicken erwiderte.   „Wunderbar!“ Voldemort klatschte einmal in seine spinnenartigen Hände, seinen Zauberstab dabei immer noch fest im Griff. Eine beinahe kindliche Freude spiegelte sich in seinem Gesicht wieder und ließ diese Schlangenfratze noch unheimlicher aussehen. „Komm, Harry! Wir hatten noch etwas Anderes zu besprechen. Der Grund für unsere heutige Zusammenkunft.“   Sie gingen ein paar Schritte weiter, während die Slytherins sich ein wenig entspannten, dankbar, dass sie nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit ihres Dunklen Lords standen, sich aber sehr bewusst, dass sie noch nicht entlassen waren. Unentschlossen standen sie da. Draco machte den Anfang und ging zu seinem Vater, der ihm sofort voller Stolz eine Hand auf die Schulter legte und flüsternd mit ihm ein Gespräch begann. Ein paar Slytherins stellten sich in kleinen Grüppchen zusammen, nur Blechtley blieb allein stehen und wurde von den anderen gemieden.   „Also, was hast du mir zu berichten?“, fragte Voldemort als sie außerhalb der Hörweite der anderen waren. Die Zeit der höflichen Plauderei war vorbei. ~War mit der Erinnerung alles zu deiner Zufriedenheit?~   ~Ja, es lief alles perfekt. Dumbledore hat nicht gemerkt, dass es nicht die von Slughorn war. Ich war nur überrascht, dass er sofort wusste, dass ich die Erinnerung hatte.~   ~Mmmhh… Ja, er scheint immer über mehr Dinge informiert zu sein, als er eigentlich sollte. Du musst Acht geben, was du im Schloss tust und sagst. Eine Enttarnung deinerseits würde uns beide zum Nachteil gereichen.~   ~Keine Sorge! Ich denke, er nutzt die Portraits, um an die Informationen zu gelangen. Es würde passen. Und ein paar „Spione“ wird er auch unter den Schülern haben. Ich werde mich nicht von ihm überrumpeln lassen.~   ~Gut.~   ~Auch, wenn ich mich ernsthaft frage, warum er auch mich überwachen lässt. Jetzt, wo ich so darüber nachdenke, hat er das seit meinem ersten Jahr in Hogwarts getan. Aber weshalb? Er hat keinen Grund, mir zu misstrauen.~   ~Er wird seine Gründe haben. Lass dir gesagt sein, Albus Dumbledore ist nicht der nette alte Zauberer, der er vorgibt, zu sein. Ein Mann, der so paranoid ist und jeden und alles um sich herum beobachtet, hat mit Sicherheit auch eine Menge Inferi im Kerker. Nun gut. Jetzt ist nicht die Zeit, um über den alten Mann zu philosophieren. Fahre fort!~   Jetzt war es so weit. Vorsichtig wägte Harry seine nächsten Worte ab, wohl wissend, dass es keinen Unterschied machen würde, wenn er sie schön verpackte. Er konnte nur hoffen, dass Voldemort seine Wut nicht an ihm auslassen würde. ~Letzen Endes hat deine Erinnerung keine neuen Erkenntnisse gebracht. Dass Slughorn dir die Informationen über die Horkruxe gegeben hat, war bereits an der manipulierten Erinnerung erkennbar. Allerdings hat er mir im Anschluss verraten, dass er die Horkruxe sucht und leider hat er auch bereits einen gefunden und… zerstört.~   ~WAS?~ Voldemorts Augen loderten auf. Jeden Moment, so schien es, würde ein Funke aus der glimmenden Glut springen und sie alle in Flammen setzen. Bereute er es, Harry die Erinnerungen gegeben zu haben? Gab er ihm die die Schuld, dass der Horkrux zerstört worden war? Harry hoffte, dass der Dunkle Zauberer noch viel Verstand besaß, um zu erkennen, dass Dumbledore den Horkrux zerstört haben muss, bevor Voldemort ihm die Erinnerung gegeben hat. Er musste sich doch sicher gewesen sein, dass sie Informationen ihm nicht schaden konnten. Oder? Sonst hätte er sie ihm doch niemals gegeben.   ~Wie kann er es wagen? Dieser elende Wurm!~ Dieser alte Narr hatte es tatsächlich gewagt, einen seiner Horkruxe zu zerstören, ein Stück seiner Seele. Blitzschnell drehte er sich um und entließ seine Wut mit einem gezielten „Crucio!“. Einer der Harry unbekannten Todesser ging schreiend zu Boden. Harry war überrascht, dass es nicht ihn oder Lucius Malfoy getroffen hatte. Immerhin hatte Harry – wie er jetzt wusste – einen dieser Horkruxe zerstört. Tom Riddles Tagebuch. Und Lucius Malfoy war dafür verantwortlich, dass es überhaupt soweit hatte kommen können, als dieser eben jenes Tagebuch in Harrys zweiten Jahr der kleinen Ginny Weasley untergeschoben hatte. Aber wahrscheinlich wusste Lucius nicht einmal, was es überhaupt mit dem Tagebuch auf sich hatte. Er bezweifelte doch sehr, dass Voldemort ihm genug vertraute, um ihm zu erzählen, dass es ein Stück seiner Seele enthielt. Allerdings war Harry froh, dass nicht er es war, der sich jetzt vor Schmerzen wand. Diese Erfahrung musste er nicht wiederholen.   Alle Gespräche waren verstummt. Nur die markerschütternden Schreie des Todessers hallten durch die Nacht. Geschockt und verwirrt blickten die Anwesenden auf das am Boden liegenden Häuflein aus Schmerz und Qual, nichts ahnend, dass dieser „nur“ Kollateralschaden war. Die Minuten verstrichen und noch immer hielt der Fluch an. Keiner wagte es, einzuschreiten und den Dunklen Lord aufzuhalten. Ein Ruck ging durch Harry und er überwand den Meter, der ihn von Voldemort trennte und legte ihm in einer beruhigenden Geste eine Hand auf den Oberarm. Voldemort drehte schlagartig seinen Kopf zu Harry, sah ihn mit hasserfüllten Augen an und schien ihn doch nicht zu sehen. Harry verstärkte seinen Griff und versuchte, ihn mit sanfter Gewalt zu zwingen, den Arm zu senken und so den Fluch zu unterbrechen. Mit sanfter, aber eindringlicher Stimme lenkte er, Voldemorts Aufmerksamkeit auf sich. ~Hör auf! Beruhige dich! Er kann nichts dafür. Und wenn du ihn weiter folterst, wird er seinen Verstand verlieren.~ Voldemorts Blick klärte sich ein wenig und das Gesagte schien langsam in sein Bewusstsein einzusickern. Er sah auf sein unschuldiges Opfer und gab dem leichten Druck von Harrys warmer Hand nach.   Mit einem warnenden Blick in Richtung der übrigen Todesser, kehrte er der Szenerie den Rücken zu und ging in die andere Richtung davon. Harry beeilte sich, ihm zu folgen. ~Das hätte nicht passieren dürfen. Das wird der alte Narr mir büßen. Welcher war es?~   Harry musste nicht nachfragen, um zu wissen, was Voldemort meinte. ~Ein Ring.~ Er wagte es nicht, das genauer auszuführen. Voldemort war ohnehin in tödlicher Stimmung. Er wollte nicht wissen, wie dieser reagieren würde, wenn Harry jetzt dessen Familie erwähnen würde. Er hoffte einfach, dass Voldemort nur einen Ring zum Horkrux gemacht hatte.   Voldemort war außer sich. Er musste sich sehr zusammenreißen, um nicht die Kontrolle über sich zu verlieren. Lieber hätte er jeden Anwesenden mit dem Cruciatus belegt, bis sie darum bettelten, von ihrem wertlosen Leben erlöst zu werden. Aber er wusste, dass das keine Lösung war. Das brachte sein zerstörtes Seelenstück nicht zurück. Der Schuldige würde immer noch leben, um ein paar Gegner ärmer und könnte weiterhin seine kostbaren Horkruxe zerstören. ~Wie hat er ihn zerstört?~   ~Das wollte er mir nicht erzählen.~   Auch wenn er nichts Anderes erwartet hatte, erzürnte ihn diese Antwort nur noch mehr. Die Wut ballte sich in ihm zusammen, wuchs stetig an, drängte gegen seine Haut und schien ihn zerreißen zu wollen. Er musste sich beruhigen. Er brauchte einen Plan. Er brauchte mehr Informationen. ~Hat er erwähnt, ob er noch andere Horkruxe gefunden hat?~   ~Er meinte, dass er Hinweise auf einen weiteren hat. Genaueres wollte er nicht erzählen.~   Harry musste hart schlucken als sich die Magie um Voldemort weiter zusammenzog. Es schien, als ob selbst die Magie in der Luft durch seine Gefühle beeinflusst wurde und gerade jetzt braute sich ein Sturm zusammen. Nach außen war nichts zu sehen. Die Gegend war ruhig, kein Lüftchen bewegte die Blätter an den Bäumen, das Gras unter ihren Füßen oder die Kleider an ihren Leibern. Aber dafür konnte es Harry spüren. Eine Hitze breitete sich plötzlich über seinen gesamten Körper aus, wie kleine Flammen, die an ihm lang züngelten und immer größer und heißer wurden, bis sie sich zu seinem Inferno entwickelt hatten, in dem Harry nun gefangen war. Er glaubte, seine Haut schmelzen zu spüren, bis nur noch blanker Knochen zurück blieb, der dann langsam verkohlte und zu Staub zerfiel. Seine Lungen brannten, als hätte er reines Feuer eingeatmet. Es war zehnmal schlimmer als der Cruciatus-Fluch und Harry wusste, dass er das nicht lange durchhalten würde.   ~Aber er hat mir zugesagt, dass… er mich mitnimmt, wenn er sicher weiß, … wo er ist.~, zischte er mit schmerzverzehrter Stimme. Auch Harrys mühevoll aufrechterhaltene Selbstbeherrschung bekam langsam Risse. Nur mit größter Anstrengung konnte er sich auf den Beinen halten, die immer mehr einzuknicken drohten. Doch er hielt stand.   Voldemort starrte ihn an. Sein Blick fast wahnsinnig, sein Verstand von Wut und Hass vernebelt. Harry wusste nicht, ob er überhaupt noch in der Lage war, seine Worte zu verstehen, ob er zu ihn durchdringen konnte, oder ob seine Magie ihn gleich in Stücke zerreißen würde und alle anderen, die hier versammelt waren hinterher. Nein! Das durfte nicht geschehen. Niemals würde er das zulassen. „Ich… Ich kann ihn… ihn aufhalten…“ Mit letzter Kraft krallte Harry sich in Voldemorts Unterarm. Der Kontakt hatte eben schon einmal funktioniert, um zu ihm durchzudringen. Harry hoffte, dass es auch jetzt reichen würde, denn zu mehr hatte er einfach keine Kraft mehr.   Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, in der Harry Voldemort einfach nur in die Augen starrte und seine Fingernägel in dessen Arm grub. Endlich begann sich die Magie langsam wieder zu beruhigen, die Flammen zogen sich zurück, wichen einer sanften Brise, die leicht mit Harrys Haaren spielte und sanft seine glühende Haut kühlte.   ~Gut. Dann wirst du verhindern, dass er ihn zerstört; ohne Verdacht zu erregen. Informiere mich umgehend, wenn es soweit ist. Wir werden dann einen Plan erarbeiten, wie wir den Horkrux unbemerkt in meinen Besitz zurückbringen. Es darf nicht noch einer zerstört werden!~   Erleichtert, dass es funktioniert hatte, versuchte Harry, wieder zu Atem zu kommen und stützte sich dabei halb auf Voldemort ab. Er war dankbar – auch wenn er das nie laut zugeben würde – dass der Dunkle Lord ihm die Zeit gestattete und ihn nicht einfach abschüttelte. Noch hatte er nicht genug Kraft gesammelt, um alleine stehen zu können und wäre unweigerlich vor aller Augen zusammengebrochen. Das war vielleicht seine Art, sich für seinen Ausbruch zu entschuldigen, der ihm mit Sicherheit fast das Leben gekostet hätte. Es hätte nicht mehr viel gefehlt und Voldemorts tödliche Magie hätte sich explosionsartig über ganz Hogsmeade ausgedehnt. Niemand hätte das überlebt. Wussten die Todesser eigentlich, wie mächtig ihr auserwählter Herrscher wirklich war? Verdammt! Er selbst hatte ja bis eben keine Ahnung gehabt. Er würde ganz sicher sein Möglichstes tun, um diesen Mann nie ernsthaft zu verärgern. Wie hatte er nur bis jetzt überleben können? Und wie verdammt noch mal hätte er je gegen ihn kämpfen UND gewinnen sollen? Die Prophezeiung war doch totaler Mist.   Nachdem Harry das Gefühl hatte, wieder alleine stehen zu können, löste er sich von seiner Stütze und verneigte sich leicht. ~Natürlich, mein Lord.~   Nun da sich beide wieder beruhigt hatten, gingen sie zu den Todessern zurück. Sie hatten nichts von tödlichen Gefahr mitbekommen, in der sie eben geschwebt hatten. Das war bestimmt auch besser so. Sie waren immer noch geschockt und verunsichert, wegen des kleinen Wutausbruches dessen Zeuge sie vorher gewesen waren. Sie überlegten wohl, was ihren Meister so in Rage versetzt hatte, dass er einen der Ihren ohne ersichtlichen Grund – egal, wie banal dieser auch seiner sollte – gefoltert hatte. Aber nachfragen würden sie nicht. Sie waren nur froh, dass ihr Lord sich wieder beruhigt hatte.   Der bedauernswerte Todesser, der die Wut abbekommen hatte, hatte seine Maske abgenommen, um besser Luft zubekommen. Ihm war deutlich anzusehen, dass er noch immer unter den Nachwirkungen des Cruciatus-Fluches litt. Auch wenn der Fluch keine körperlichen Auswirkungen hatte, seine Auswirkungen auf die Psyche, wenn er zu lange angewendet wurde, waren unbestreitbar. Das beste Beispiel waren die Longbottoms, Nevilles Eltern, die kurz nach Voldemorts Verschwinden vor 15 Jahren auf der Langzeitstation für Fluchgeschädigte im St.-Mungos-Hospital lagen, weil einige von Voldemorts treuesten Anhängern – darunter auch Bellatrix Lestranges, die Harrys Patenonkel, ihren eigenen Cousin, Sirius Black ermordet hatte – sie so lange mit eben diesen Fluch folterten, bis sie den Verstand verloren hatten. Nach allem, was Harry über die Folgen wusste, war es bei diesem Todesser sehr knapp gewesen. Viel länger hätte sein Verstand das nicht überstanden und er hätte das Schicksal der Longbottoms geteilt. Immer noch zitternd und bebend kauerte er zusammengesunken auf dem kalten, leicht feuchten Boden. Aber Harry hatte kein Mitleid. Er war nur dankbar, dass er nicht da lag… oder jemand anderes aus ihrer kleinen Runde. Auch wenn bei ihm eben nicht viel gefehlt hatte.   Wurmschwanz stand ängstlich an der Seite, während Lucius, Severus und der zweite unbekannte Todesser sich um den traumatisierten Zauberer kümmerten. Die Jungtodesser standen nur steif da, geschockt durch die Demonstration der Grausamkeit ihres Meisters. Dieser schaute aber nur gelangweilt auf die Szene, ehe er zu sprechen begann. „Lucius! Bring zusammen mit Rabastan Rodolphus zu deinem Anwesen. Narzissa soll sich um ihn kümmern. Seht zu, dass er sich erholt und schnell wieder einsatzbereit ist. Severus! Bring deine Schützlinge zurück ins Schloss. Wir sind für heute hier fertig. Ihr habt alle eure Befehle. Ich erwarte, dass es keine Probleme geben wird. Missachtung oder Fehlschläge dulde ich nicht. Ach, und Harry?“   „Ja, mein Lord?“   „Denke nicht, dass du über jeden Zweifel erhaben bist. Die Informationen, die du mir gegeben hast, sind äußerst nützlich, in der Tat, aber… Mein Vertrauen musst du dir erst noch verdienen.“   „Ich bin mir dessen absolut bewusst.“ Keiner der beiden sah, wie bei diesen Worten blassblaue Augen interessiert aufleuchteten.   Und während Snape die Slytherins einsammelte, Wurmschwanz in kriecherischer Haltung zu Voldemort eilte, Lucius und Rabastan mit Rodolphus disapparierten und Harry sich auf seinen Besen schwang, wurden sie von 15 Raben beobachtet, die still und leise ihre Runden am schwarzen Nachthimmel zogen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)