Das sechste Jahr von CruelLamia (Wie weit würdest du gehen, um deine Liebe zu beschützen?) ================================================================================ Kapitel 8: Wissen ist Macht --------------------------- Einige Zeit später machte Harry sich auf den Weg in die Bibliothek. Er war noch etwa eine Stunde bei Hagrid geblieben, hatte zugesehen, wie der Halbriese sich betrank, ihm zugehört, wie er von seinem Hausmonster geschwärmt hatte und hatte ihn schließlich ermuntert, sich hinzulegen und zu schlafen, als er anfing, ein Lied über einen sterbenden Zauberer zu singen. Da Harry glücklicherweise seinen Tarnumhang dabei hatte, konnte er sich unbemerkt in die Bibliothek schleichen. Nicht zum ersten Mal wunderte er sich, dass sie nicht durch einen oder mehrere Zauber vor unbefugten Betreten geschützt war. Selbst bei der Verbotenen Abteilung fehlte jeglicher Schutzzauber. Nur die Bücher selbst waren verzaubert, damit sie nicht gelesen werden konnten, wenn man keine Erlaubnis dazu hatte. Wenn man es dennoch versuchte, machten sie sich mit lautem Gekreische bemerkbar und es war schwierig, sie wieder zu schließen, bevor sie unerwünschte Aufmerksamkeit auf einen lenkten. Harry lächelte. Selbst dieser Fluch war simpel und sehr leicht zu umgehen, wenn man ihn erst einmal erkannt hatte.   Als er vor wenigen Wochen das erste Mal hier war, um wirkungsvollere Verteidigungszauber zu finden, stand er eine ganze Weile unschlüssig zwischen den Büchern und wusste nicht, wie er es anstellen sollte, auch nur ein Buch in die Hand zu nehmen, ohne dass es anfing, zu schreien. Diese Erfahrung hatte er bereits in seinem ersten Jahr gemacht und hatte wirklich keine Lust, diese zu wiederholen. Und während er so die Gänge entlang lief, dem Flüstern der Bücher zuhörte, kam ihm eine Idee. Es war eine Erlaubnis notwendig, um diese mit dunkler Magie gefüllten Bücher zu öffnen und zu lesen. In der Regel wurde diese von einem Lehrer erteilt. Aber die Bücher mussten dann doch irgendwie erkennen, wer berechtigt war, sie zu lesen und wer nicht. Und je nachdem, wie der Zauber beschaffen war, konnten man ihn bestimmt umgehen oder für sich nutzen. Harry war sich sicher, dass Tom Riddle in seiner Zeit auf Hogwarts viel Zeit in der verbotenen Abteilung verbracht und sich dabei nicht nur die Buchrücken angesehen hatte. Es kam auf einen Versuch an. Harry entschied sich für ein Buch, strich sanft mit seinem Finger über den Rücken und ließ rein intuitiv ein bisschen seiner Magie in es hineinfließen. Das Buch nahm sofort die angebotene Magie in sich auf und auf der Stelle erstarb das Flüstern. Er nahm es vorsichtig heraus, atmete noch einmal tief durch und öffnete es… Es blieb stumm.  Das Buch war ein normales Buch in seinen Händen und er konnte es ohne Probleme lesen.   Nach ein paar weiteren Versuchen mit anderen Büchern hatte Harry das Prinzip verstanden. Diese Bücher nutzen seine Magie nicht als eine Art Blutopfer, sondern testeten nur, ob er würdig war, in ihnen zu lesen. War er es nicht, blieb das Flüstern und er machte einen großen Bogen um das entsprechende Buch. In der Zwischenzeit konnte er sogar Bücher lesen, die ihm Anfang verschlossen geblieben waren. Einige davon hatte er später aus purer Neugierde noch einmal getestet und plötzlich konnte er auch diese öffnen. Anscheinend wurde er immer mächtiger und das erkannte auch der Fluch, der auf diesen Büchern lag, und unterwarf sich Harrys Magie immer mehr und mehr. Also waren die Bücher mit einem Zauber belegt, der erkennen konnte, wie viel Macht derjenige, der es lesen wollte, hatte. In der Regel sollten nur die Lehrer in der Lage sein, die Bücher zu öffnen und konnte dann einem Schüler ein bestimmtes Buch „leihen“. Wahrscheinlich gab es sogar hier Unterschiede und nicht jeder Lehrer hatte die gleiche Berechtigung. Wahrscheinlich war Dumbledore der einzige, der Zugriff auf alle Bücher hatte. Und mit Sicherheit hatte niemand damit gerechnet, dass ein Schüler hinter das System kommen würde und dann auch noch mächtig genug war, es für sich zu nutzen. Wie dumm. Spätestens nach Tom Riddle hätten zusätzliche Schutzmaßnahmen getroffen werden müssen. War Dumbledore wirklich so überheblich, zu glauben, dass nie wieder ein anderer Schüler nach Voldemort so mächtig werden würde? Und wenn dem so war, wieso glaubte der alte Mann dann, dass Harry eine Chance hatte, den Dunklen Lord zu besiegen? Harry hatte das dumpfe Gefühl, dass der alte Schulleiter ihm noch viel, viel mehr verheimlichte.   Harry suchte selten nach bestimmten Zaubern. Er ließ sich meistens von seinen Instinkten leiten, wenn er mal wieder etwas stöbern und sich so nützliche Zauber aneignen wollte. Da viele dieser Bücher keine Titel oder Titel in unbekannten Sprachen hatten, war es fast unmöglich, ein Buch zu einem bestimmten Thema zu finden. Aber es war Harrys Glück, dass er so neugierig war und schon viele Bücher durchgeblättert hatte. So wusste er, in welchem Buch er die Erinnerungszauber suchen musste und ging zielsicher auf das Regal zu.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Eine Stunde später schloss er ein handgroßes Buch, welches in dunkelgraues Leder gebunden war und besah sich noch einmal den Titel.   Nemu Ärtd nunek na Degno v   Diese Sprache hatte etwas befremdlich Vertrautes. Sie erinnerte ihn an den Spiegel, den er zufällig in seinem ersten Jahr gefunden hatte. Zu seinem Glück war nicht das ganze Buch in dieser Sprache geschrieben. Es war anscheinend eine Übersetzung und nur den Titel hatte man vernachlässigt. Er räumte es wieder ordentlich an seinen Platz und lächelte leicht. ‚Das wird einfacher werden, als ich gedacht hatte.‘   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Auf dem Rückweg zu seinem Schlafsaal machte er einen kleinen Umweg, wie immer, wenn er nachts aus der Bibliothek kam. Er hatte es sich seit dieser schicksalshaften Nacht, die die Entscheidung für sein weiteres Leben gebracht hatte, angewöhnt. Er blieb kurz vor einer Tür stehen. Damals war diese offen gewesen. Ein Flüchtigkeitsfehler, der wohl nie wieder geschehen würde. Bedauerlich für ihn, aber es war besser so. Wenn die falschen Leute erfahren würden, was in diesem Raum nachts passierte und vor allem, wer da drin war… Er wollte lieber nicht darüber nachdenken, was dann geschehen würde. Nein, die Tür musste zu bleiben, nur so würde es niemand außer ihm selbst wissen. Und er würde das Geheimnis sicher bewahren. Nur zu gern, hätte er seine Hand auf das Holz gelegt und sich der irrsinnigen Vorstellung hingegeben, so eine Verbindung mit der Person dahinter aufzubauen, aber wahrscheinlich lag ein Schutzzauber auf der Tür, der sofort seine Anwesenheit verraten hätte. Leise seufzend widerstand er dem Drang, etwas Dummes zu tun und ging weiter seinen Weg in den Gryffindor-Turm.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Der nächste Morgen kam schnell und obwohl Harry wie so oft in letzter Zeit nicht genügend Schlaf bekommen hatte, war er noch vor allen anderen wach und gut gelaunt. Und er hatte auch nicht vor, sich seine gute Laune so schnell vermiesen zu lassen. Deswegen gewährte er sogar Ginny, sich an seinen Arm zu hängen und zusammen mit den anderen Gryffindors gingen sie hinunter zum Frühstück.   Der Anblick der Slytherins, die ihnen vor der Großen Halle entgegen kamen, hätte beinahe seinen Vorsatz zunichte gemacht. Harrys Augen verengten sich zu Schlitzen als sein Blick auf Miles Bletchley fiel. Dieser sah erschrocken auf und ging dann ganz schnell weiter. Der Gryffindor konnte sich ein kurzes fieses Grinsen nicht verkneifen. ‚Der weiß jetzt, wo sein Platz ist.‘ Und beruhigt stellte er fest, dass auch die anderen Slytherins sich wieder normal benahmen. Sie warfen seiner Gruppe einen abschätzigen Blick zu und gingen dann weiter zu ihrem Haustisch. Nur Draco blieb noch kurz vor ihm stehen, flankiert von seinen beiden Bodyguards und schaute von oben auf ihn herab. „Na, Narbengesicht! Hast wohl doch noch jemanden gefunden, der sich trotz deiner hässlichen Visage mit dir sehen lässt. Oder sollte ich lieber fragen, wie viel die kleine Schlampe verlangt?“ Draco musterte Ginny verächtlich von oben bis unten und verzog angewidert das Gesicht. „Ah! Ich schätze, so viel wird es ja nicht sein. So arm, wie die Weasleys sind, ist die kleine Schlampe sicher für jeden Knut dankbar. Dann kann sie sich vielleicht irgendwann mal Sachen auch in ihrer Größe leisten.“ Harry hätte am liebsten laut losgelacht. Zwar übertrieb der blonde Slytherin maßlos, aber er konnte nicht bestreiten, dass Ginny versuchte, auch in ihrer langweiligen Schuluniform aufzufallen. Dieses Bemühen zeigte sich in einer etwas zu engen Bluse, die sich verdächtig über ihre Brüste spannte, und einem Rock, der ihr wohl vor einem Jahr perfekt gepasst hatte. Nicht wirklich das, was er als attraktiv empfand. Sie tat ihm fast leid, da es offensichtlich war, dass sie sich seinetwegen so anzog, um besonders ihm zu gefallen. Er war sich der Ironie dieses Verhaltens ihrerseits nur allzu bewusst, was nicht unbedingt dazu beitrug, seine Beherrschung nicht zu verlieren und sein rechter Mundwinkel zuckte verdächtig, was auch den drei Slytherins nicht entgangen war, die ihn kurz überrascht anschauten, bevor sie wieder zurück in ihre Rollen verfielen.   Ginnys Fingernägel krallten sich schmerzhaft in seinen Unterarm und verhinderten dadurch erfolgreich, dass er seinem Drang nachgab. Stattdessen hielt er überrascht inne, als das rothaarige Mädchen beschämt ihren Kopf schluchzend in seiner Schulter vergrub. Leicht genervt tat er, was von ihm als Auserwählter und anständiger Gryffindor erwartet wurde und nahm sie in den Arm. Draco schnaubte verächtlich und wollte sich schon wegdrehen, als ein anderer Rotschopf an Harry vorbei und mit erhobenen Zauberstab auf Malfoy zu raste. „Das wirst du bereuen, du mieses, kleine Frettchen!“ Ron war die Zornesröte ins Gesicht gestiegen und sah jetzt aus wie eine überreife Tomate. Aber der Slytherin lachte nur. „Och! Du brauchst doch nicht gleich so wütend zu werden. Ich habe doch gesehen, dass du dir das kleine Schlammblut angelacht hast. Ich bin mir sicher, sie gibt dir auch ein paar Sickel, wenn du lieb Männchen machst, wie sich das für brave kleine Wiesel gehört.“ Das war zu viel. Wutschnaubend feuerte Ron einen Fluch auf Malfoy ab. Dieser aber parierte diesen mit Leichtigkeit. Sofort stellten sich Crabbe und Goyle beschützend vor ihren Anführer und hoben drohend ihre Zauberstäbe. „Lasst mal, Jungs!“, sagte Draco noch immer leicht belustigt. „Der ist schon gestraft genug. Immerhin hat er jetzt ein rolliges Schlammblut am Hals.“ Augenblicklich drehte der Slytherin sich um und betrat die Große Halle. Die anderen beiden folgten ihm sofort und beachtete nicht länger die kleine Gruppe von Gryffindors.   Harry kam nicht umhin, mal wieder still zu bewundern, wie sehr Draco seine Slytherins im Griff hatte. Ein Wort und sie parierten. Er selbst dagegen hatte die Gryffindors nicht so im Griff, obwohl er ja auch sowas wie ein Anführer ihres Hauses war. Aber dafür war er in der Vergangenheit wahrscheinlich einfach zu sanft und zu lieb gewesen. Das zeigte sich vor allem daran, dass er eine kleine Rothaarige im Arm hielt und ihr tröstend über den Rücken streichen musste, weil sie sich einfach nicht beruhigen konnte und immer noch heulte, während ihr Bruder wütend vor sich hin schimpfte und eine leicht zitternde Hermine versuchte, dessen Aufmerksamkeit zu erregen. Die anderen, die noch um sie herumstanden, schauten vorwurfsvoll auf Harry und beschwerten sich, dass er nichts unternommen hatte. „JETZT REICHT‘S!“, donnerte er plötzlich los und Ginny löste sich vor Schreck aus seiner Umarmung. Seine gute Laune war jetzt definitiv im Kerker. Und er konnte nicht mal den Slytherins die Schuld in die Schuhe schieben. Die hatten nur getan, was er von ihnen verlangt hatte und benahmen sich wieder ganz normal. Dazu gehörte natürlich auch, dass sie sich gegenseitig beleidigten. „Was hätte ich denn tun sollen? Dass Ginny sich an mich geklammert hat, hat mir nicht unbedingt den Spielraum gegeben, irgendwie zu reagieren. Hätte ich irgendwelche Flüche Malfoy auf den Hals gejagt, hätte ich sie ausversehen treffen können. Und weil Ron unbedingt mal wieder den Beschützer raushängen lassen musste, stand der mir zusätzlich in der Schussbahn. Außerdem lasst ihr euch alle viel zu leicht provozieren.“ Er fuhr sich mit der rechten Hand durch seine strubbeligen Haare und versuchte so ein paar nervige Strähnen aus seinem Gesicht zu streichen. Natürlich ohne Erfolg. „Wir kennen Malfoy jetzt schon seit über fünf Jahren. Immer zieht er die gleiche Show ab und kommt mit den gleichen dummen Sprüchen an. Das wird doch langsam langweilig. Ignoriert diesen aufgeblasenen Schnösel doch einfach und geht nicht immer auf seine Provokationen ein. Dann wird’s ihm vielleicht auch irgendwann mal zu langweilig.“ Genervt ließ er seine schockierten Hauskameraden stehen. Er war wirklich der letzte, der was gegen einen guten Schlagabtausch hatte. Das konnte wirklich amüsant sein. Aber den Kindergarten, den seine Mitschüler jedes Mal veranstalteten, war einfach nur lächerlich. Mit Worten konnten die sich einfach nicht wehren. Immer musste gleich ein Zauberspruch ran oder es flogen die Fäuste. Selbst Hermine, die sich früher nie gescheut hatte, dem blonden Slytherin ihre Meinung ins Gesicht zu sagen, hatte aufgehört ihm Paroli zu bieten. Stattdessen wartete sie darauf, dass andere für sie Partei ergriffen. Kein Wunder, dass die Slytherins sie alle nicht ernst nahmen. Harry ging an seinen Haustisch, schnappte sich ein trockenes Brötchen und einen Apfel und verließ die Halle wieder. Seine Kameraden ignorierte er dabei völlig. Er hatte jetzt absolut keine Lust, sich mit diesen auseinanderzusetzen und Vorzeigegryffindor zu spielen.   Als erstes hatte sie heute Morgen Zaubertränke. Also begab sich Harry schon mal auf den Weg in die Kerker zu dem Klassenraum von Professor Slughorn und aß im Laufen seine karge Mahlzeit. Am liebsten würde er sich auf einen Platz weiter hinten setzen. In die Ecke. Ein Einzelplatz. Aber er hatte den Bogen heute schon extrem gespannt und wenn seine sogenannten Freunde zum Unterreicht kamen und er sich noch weiter abkapseln würde, würden sie ihn wahrscheinlich nicht mehr in Ruhe lassen und ihm pausenlos auf die Pelle rücken. Dann könnte er seinen „Plan“ mit Slughorn gleich vergessen. Also müsste er sich wohl oder übel zusammenreißen und sich wieder mit ihnen vertragen, sich sogar für sein Benehmen entschuldigen. Und hoffentlich sie soweit beruhigen, dass sie ihn nach der Stunde mit ihrem Zaubertränkeprofessor alleine lassen würden. Nicht zufrieden mit der jetzigen Situation ließ er sich auf seinen üblichen Platz fallen und wartete geduldig auf Hermine und Ron.   Leider trafen die Slytherins vorher ein. ‚Na toll! Jetzt muss ich mich auch noch vor den Schlangen zum Idioten machen. Da werden die dann aber schön was zum Lachen haben.‘ Leicht verbittert sah er zu, wie die anderen ihre Plätze einnahmen. Draco schaute kurz auf und nickte ihm unauffällig zu. Harry erwiderte schnell die Geste, bevor es jemand bemerken konnte. Dann kamen auch endlich die beiden Gryffindors. Sie schauten skeptisch zu ihrem Freund und Harry bemühte sich, ein entschuldigendes Lächeln aufzusetzen. Sichtlich erleichtert eilten sie zu ihrem Freund und setzten sich zu ihm. Ron wollte schon was sagen, aber Harry ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. „Entschuldigt, Leute, dass ich eben so ausgerastet bin.“ Er sprach so leise wie möglich, damit weder die Slytherins, noch die vier Ravenclaws, die soeben den Klassenraum betreten hatten, ihn hören konnten. „Ich glaube, ich bin einfach nur etwas überreizt. Die letzten Wochen waren doch sehr stressig gewesen.“ Hermine lächelte ihn beruhigend an. „Mach dir mal keine Sorgen. Wir wissen, dass du die letzte Zeit sehr gestresst warst. Nicht nur die Sitzungen bei Professor Dumbledore, sondern auch die Erinnerung, die du von Professor Slughorn holen solltest. Das allein war ja schon anstrengend genug und um die Schule musstest du dich ja auch noch kümmern. Und Malfoy kann es auch einfach nicht lassen mit seinen fiesen Sprüchen. Klar, dass du irgendwann mal ausrasten musstest.“ Ron nickte eifrig zu dem Gesagten. Hatte er das jetzt richtig verstanden? Schoben sie seinen Ausbruch wirklich auf die Slytherins, obwohl sich seine Wut eindeutig gegen seine Leute gerichtet hatte? Überrascht und erleichtert zugleich setzte er das scheue Lächeln auf, welches sie ohne Zweifel jetzt von ihm erwartete. „Danke, Hermine. Ich wusste, dass ihr es verstehen würdet. Ich werde mich nachher noch bei den anderen entschuldigen.“ „Ach, mach dir deswegen keine Gedanken.“, kam es von Ron. „Jetzt, wo du die Erinnerung hast, wird es ja auch wieder bei dir etwas ruhiger werden.“   „Was wird ruhiger werden?“ Ernie Macmillan, der einzige Hufflepuff, der Zaubertränke belegt hatte und deswegen schon seit Anfang des Schuljahres bei dem Trio saß, gesellte sich zu ihnen. „Ach, nichts Wichtiges.“, sagte Ron schnell. Ernie zuckte nur mit den Schultern. Er war es schon gewöhnt, dass die drei ihre Geheimnisse hatten.   Dann wurde auch schon der große Bauch durch die Tür geschoben, der zu ihrem Professor gehörte. Wie immer grüßte er fröhlich und lächelte dabei besonders Harry, Hermine und Zabini an. Diese aufgedunsene Spinne versuchte nicht mal zu verheimlichen, dass er seine Lieblinge hatte und sie bevorzugte. Sie bekamen eindeutig mehr Punkte als anderen Schüler, aber das wenigstens unabhängig ihres Hauses. So war wenigstens Gryffindor nicht im Nachteil, wie sie es die fünf Jahre davor bei Snape gewesen waren.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Nach dem Unterricht bat Harry Ron und Hermine, schon mal vorzugehen, weil er noch kurz etwas mit Professor Slughorn bereden wollte. Die beiden Gryffindors zwinkerten ihm kurz verschwörerisch zu und gingen dann schon mal zu ihrem nächsten Unterricht. Harry wartete geduldig bis alle Schüler den Raum verlassen hatten. Slughorn selbst stand mit seinem Rücken zu ihm und bemerkte ihn nicht. Mit einem Ungesagten Zauber schloss der Gryffindor die Tür und legte gleichzeitig einen Schutz- und einen Stillezauber darüber, damit er ungestört seiner Aufgabe nachgehen konnte. „Professor!“, rief er, nachdem er seine Vorbereitungen abgeschlossen hatte. Dieser drehte sich erschrocken um. „Meine Güte, Harry! Sie haben mich vielleicht einen Schrecken eingejagt. Ich dachte, es wären schon alle gegangen.“ „Ja, ich wollte nur noch kurz etwas mit ihnen besprechen, Sir.“ Slughorns Miene verdüsterte sich augenblicklich und er drehte sich wieder zu dem Regal um, um seine Zaubertrankzutaten zu sortieren. „Wenn es schon wieder um diese Erinnerung geht, dann…“ „Nein, Sir!“, unterbrach Harry ihn rasch. „Darum geht es nicht. Hagrid…“ Harry verstummte und biss sich leicht auf die Unterlippe. Ein gequälter Laut entschlüpfte seinem Mund und zwang den Zaubertränkeprofessor, sich wieder zu seinem Schüler umzudrehen. Harry stand unsicher vor ihm und suchte nach den richtigen Worten. Sofort wurde Slughorns Blick milder und er ging auf Harry zu, um ihn aufmunternd anzuschauen. „Ich habe gehört, dass Sie dem Wildhüter sehr nahe stehen. Wollen Sie mit mir wegen seines… Haustieres sprechen?“ Harry holte tief Luft und schaute dem alten Mann fest in die Augen. „Ja, Sir. Ich war gestern Abend da. Er hat mir erzählt, dass Sie bei der Beerdigung dabei waren und ihm geholfen haben.“ „Ja, ich war da gewesen. Aber ob ich wirklich so eine große Unterstützung gewesen bin, wage ich zu bezweifeln.“ Harry sah, dass er angestrengt nachdachte. „Wir haben ziemlich viel getrunken, immer wieder auf die tote Acromantula angestoßen. Ich kann mich kaum noch erinnern, was alles passiert ist und schon gar nicht, wie ich wieder ins Schloss gekommen bin.“   ‚Jetzt!‘ Harry hatte sich genau den Moment herausgesucht, in dem sein Professor über seinen Rückweg nachdachte. Das war die Erinnerung, der Zeitraum, den er brauchte. „Memorostens!“ Harry hatte blitzschnell seinen Zauberstab gezogen und den Fluch auf Slughorn gesprochen. Dieser war völlig überrumpelt und hatte so keine Zeit den Fluch abzuwehren. Die Erinnerungen von dem Abend brachen aus den Augen seines Opfers heraus und liefen wie ein Film immer wieder zwischen ihm und Harry ab, während Slughorn selbst vollkommen still dastand. Ein äußerst nützlicher Nebeneffekt dieses Zaubers. Es war genauso, wie er es sich gedacht hatte. Die Erinnerung war verschwommen, benebelt vom Alkohol. Er würde nur wenige Dinge verändern müssen.   Harry atmete tief durch. Soweit hatte alles funktioniert. Es war aber auch so einfach. Zwischendurch hatte er überlegt, ob er Legilimentik nutzen sollte, um die Erinnerungen von der Spinne zu manipulieren, hatte den Gedanken aber gleich wieder verworfen. Slughorn konnte mit Sicherheit Okklumentik. Das hätte dann nur noch zu mehr Problemen geführt. Und selbst wenn dem nicht so gewesen wäre und Harry in dessen Inneres hätte eindringen können, war er dennoch nicht geübt. Er hätte wahrscheinlich ewig gebraucht, um die richtigen Erinnerungen zu finden und wer weiß, was er bis dahin noch alles von Slughorns Erinnerungen, Gefühlen und abartigen Wünsche aufgeschnappt hätte. So war es besser. Er musste sein Ziel nur dazu bringen, an den Moment zu denken, den er sehen wollte und schon konnte er auf diesen Moment zugreifen. Und außerdem war es nicht so leicht, diesen schwarzmagischen Fluch abzuwehren. Ein einfacher Schutzschild reichte nicht aus. Man musste entweder rechtzeitig den richtigen Gegenfluch sprechen oder sich mit dem schwarzmagischen Schild schützen. Und innerhalb von Hogwarts war er wohl der einzige, der diesen beherrschte. Obwohl… Bei Dumbledore und Snape konnte man sich nie sicher sein, was diese wirklich wussten und konnten.   Harry richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf sein Opfer. „Wenn du mir einfach die Erinnerung gegeben hättest, die ich wollte, hätten wir uns beide diesen Mist ersparen können.“ Harry schloss kurz die Augen und konzentrierte sich. Er ließ Slughorns bruchstückhafte Erinnerung immer wieder vor seinem geistigen Auge ablaufen und begann dann, die Bilder stückchenweise anzupassen. Als er mit dem Ergebnis zufrieden war, öffnete er wieder die Augen und erhob erneut seinen Stab. „Memormuto!“ Nun veränderte sich auch die Bilder vor ihm.   Er konnte sehen, wie Slughorn völlig betrunken zurück zum Schloss torkelte und auf dem Gelände auf einen herumstreunenden Harry traf.   Als nächstes sah man beide im Schloss, Harry stützte seinen Professor und half diesem in seine Räumlichkeiten zu gelangen.   Dann saßen sie gemeinsam auf einer Couch und unterhielten sich. Harry musste den Professor abhalten, eine weitere Flasche Wein zu öffnen.   Im nächsten Bild sah man Slughorn fürchterlich weinen und Harry ihn trösten.   Die letzte Szene zeigte, wie der Professor Harry eine Erinnerung gab, Harry sich artig bedankte und dann den Professor allein ließ.   Das war perfekt. Genauso sollte es aussehen. Wie hatte dieser Stümper nur seine eigene Erinnerung mit Tom und dem Horkrux so schlecht manipulieren können? Das kann doch unmöglich schwerer sein, als fremde Erinnerungen zu verändern.   Es wurde Zeit den Zauber abzuschließen, immerhin musste er noch in den nächsten Unterricht. „Rememoriae!“ Die veränderten Bilder flogen zurück, wo ihre Originale hergekommen waren. Slughorn schaute kurz irritiert zu Harry, als wäre ihm wieder etwas eingefallen, was er bis jetzt vergessen hatte. „Ich wollte mich eigentlich nur noch mal bei Ihnen bedanken, Sir, dass Sie sich doch umentschieden haben und mir die echte Erinnerung gegeben haben.“ Beinahe schüchtern blickte er zu seinem Professor hinauf und versuchte irgendein Zeichen zu entdecken, ob der Zauber nicht doch schiefgegangen war, den Zauberstab fest umklammert. Nur für den Fall. Slughorn dagegen sah so angespannt aus, als ob er jeden Moment platzen würde. „Reden wir nicht mehr davon. Ich glaube, sie müssen zu ihrem nächsten Unterricht, Mr. Potter.“, sagte er scharf und machte damit deutlich, das für ihn das Gespräch beendet war. Sichtlich verärgert drehte er sich um. ‚Anscheinend ist ihm gerade wieder eingefallen, dass er ja doch seine wohlbehütete Erinnerung rausgerückt hat.‘ Harry grinste diabolisch. „Natürlich, Sir.“   Er schnappte sich seine Sachen und machte sich auf den Weg zu seiner nächsten Stunde, Kräuterkunde, wo seine beiden ehemaligen besten Freunde bestimmt schon auf ihn warteten. Ihr Verhalten heute hatte auch den letzten Zweifel, den Harry wegen ihrer Freundschaft empfunden hatte, verpuffen lassen. Nein, solche Freunde brauchte er ganz sicher nicht Seine gute Laune war wieder da und fröhlich lief er durch die Flure des alten Schlosses.   ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~   Weasley und Granger waren schon an den Gewächshäusern, wo ihr nächster Unterricht stattfinden sollte. Sie warteten auf ihre Lehrerin als plötzlich ein lautes Kreischen aus dem Verbotenen Wald kam und sie aufschreckte. Es klang wie das laute Krähen unzähliger Vögel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)