I still miss you von yamimaru (~ even after all those years ~) ================================================================================ Kapitel 3: Actions speak louder than words ------------------------------------------ „Erde an Karyu?“ Frech wurde ihm gegen die Nase geschnippt, woraufhin er sein Gesicht verzog und leicht auf Abstand ging.   „He, wofür war das denn?“, murrte er und rieb sich über die malträtierte Stelle, schaute Zero vorwurfsvoll an.   „Na, wenn du nicht reagierst, wenn ich mit dir rede“, erwiderte sein Gegenüber lapidar grinsend und zuckte nonchalant mit den Schultern. „Woran hast du gedacht, hm?“   „Daran, was für ein Dummkopf ich doch gewesen bin“, nuschelte er und versuchte sich wenigstens an einem schiefen Lächeln, was aber vermutlich niemanden und besonders nicht Zero überzeugen konnte. Wie denn auch, wenn ihm doch eigentlich gerade vielmehr der Sinn danach stand, sich in einer dunklen Ecke zu verkriechen und erst wieder herauszukommen, wenn sein dummes Herz aufgehört hatte, so schrecklich wehzutun.   „Ach Karyu, darüber musst du doch nicht nachdenken. Sag einfach Bescheid und ich erzähl dir das den lieben langen Tag lang. Ganz ausführlich und im Detail.“   Karyu blinzelte, schaute Zero für einige Sekunden nur komplett perplex an, bis der Sinn hinter dem Gesagten auch schließlich zu ihm durchsickerte. Man mochte es glauben oder nicht, aber die kecke Art des Kleineren vertrieb gerade beinahe wie von selbst seine trüben Gedanken, die schlechten Erinnerungen und zauberte ihm tatsächlich ein kleines, diesmal ehrliches Lächeln auf die Lippen. Trotzdem blies er im nächsten Augenblick gespielt empört die Backen auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Schließlich musste der Schein ja gewahrt werden und so, nicht wahr?   „Tsukasa~“, jammerte er also dezent übertrieben in Richtung Bühne, wo die anderen beiden gerade damit beschäftigt waren, den nächsten Song auszusuchen, und zog eine mitleidheischende Schnute, als der Drummer vom Display aufblickte. „Zero verarscht mich schon wieder!“   „Cool, worum genau geht’s? Kann ich mitmachen?“, feixte der Angesprochene jedoch nur, hüpfte von der Plattform und trabte zu ihnen herüber. Schwungvoll ließ er sich neben ihm aufs Sofa fallen und schaute gespannt in die Runde. Doch wo Karyu sich weigerte, näher auf das Gesagte einzugehen, berichtete Zero natürlich sogleich munter drauf los.   „Ich hab Karyu nur angeboten, ihm regelmäßig zu sagen, was für ein kleiner Dummkopf er doch ist.“   „Du meinst wohl eher großer Dummkopf, oder?“, stieg Tsukasa natürlich gleich in die Neckerei mit ein und Karyu verdrehte nur genervt die Augen. Ein kleines Schmunzeln konnte er jedoch nicht unterdrücken, während Hizumi ihr Geplänkel nur zu deutlich hörbar überaus witzig fand. Schon früher hatte es diesem immer am meisten gefallen, wenn Karyu veräppelt wurde oder einen auf den Deckel bekommen hatte. Letzteres meist von ihrem Bassisten. Immer dann, wenn Zero der Meinung gewesen war, er hätte es mal wieder übertrieben. Dabei war er immer so brav gewesen … Karyu grinste innerlich. Okay, das war eine glatte Lüge. Was Zero anging, hatte man ihn wohl noch nie als brav bezeichnen können.   „Ihr seid hier die Dummköpfe! Alle drei, so sieht's aus“, maulte er dennoch, wenn auch nur gespielt verärgert, und erhob sich.   „Hey, ich hab gar nichts gemacht“, quäkte es von der Bühne her und die Schnute, die Hizumi zur Verdeutlichung seiner Worte zog, war wirklich beeindruckend.   „Nein, natürlich nicht. Und du hast dich auch ganz sicher nicht gerade prächtig amüsiert.“ Karyu warf ihrem nun feixenden Sängerknaben einen übertrieben vorwurfsvollen Blick zu und musste sich bei dessen frechem Grinsen selbst ein solches verkneifen. Es war schön, Hizumi so gut gelaunt zu sehen und wenn er sich dafür necken lassen musste, störte ihn das herzlich wenig. Also blieb er auch weiterhin in seiner Rolle des Eingeschnappten und reckte demonstrativ auch noch sein Kinn in die Höhe. „Ich organisier mal lieber die nächste Runde, ihr seid nüchtern ja wirklich nicht zu ertragen.“ Den Versammelten noch dezent kindisch die Zunge herausstreckend – immer wieder schön, wie so ein bisschen Alkohol es schaffte, erwachsene Männer in Kleinkinder zu verwandeln – machte sich Karyu also auf den Weg, eben erwähntes Vorhaben in die Tat umzusetzen.   An der Tür angekommen, die ihr Separee vom Rest der Bar trennte, hielt er nochmal kurz inne und schaute über die Schulter zurück zu seinen Freunden. Hizumi hatte sich seinen Platz auf dem Sofa geschnappt und erzählte gerade mit Feuereifer von einem seiner neuen Designs, während Tsukasa allen Ernstes jeden einzelnen Sakebecher auf dem Tisch eindringlich musterte, ob sich in einem nicht vielleicht doch noch ein letzter Rest Alkohol befand. Karyu schmunzelte und schüttelte amüsiert den Kopf – seine Jungs waren wirklich unglaublich. Gerade wollte er sich wieder herumdrehen, als ihn ein durchdringender Blick aus tiefbraunen Augen in jeder Bewegung erstarren ließ. Die Härchen auf seinen Unterarmen richteten sich auf, als mit einem Mal ein Knistern in der Luft lag, das er fast körperlich spüren konnte. Zeros volle Lippen zierte ein feines Lächeln, als er bemerkte, welche Wirkung er gerade auf ihn hatte und Karyu wusste in dem Moment nicht, ob er sich dafür schämen sollte, dass er so durchschaubar war oder, ob ihm dieser Umstand nicht tatsächlich einfach nur egal war. Der Bassist legte leicht den Kopf schief, zog eine Augenbraue sacht nach oben und er konnte nicht anders, musste darauf einfach mit einem beinahe vorfreudigen Grinsen reagieren. Er war sich nicht ganz sicher, was genau diese Sekunden zwischen ihnen nun bedeuteten, als er sich abwandte und in den Rauch und Lärm der Bar eintauchte. Was er aber wusste, war, dass ihn dieses Gefühl, das nun durch seinen Körper vibrierte, mehr berauschte, als der Alkohol es je vermögen würde.   ~*~   Noch eine ganze Weile waren sie im Karaoke-Zimmer geblieben und hatten sich gefühlt einmal durch die gesamte Spirituosenauswahl getrunken, während die zum Besten gegebenen Lieder immer schiefer und die Texte immer alberner umgedichtet wurden. Nun jedoch saßen sie wieder gemütlich an ihrem lauschigen Plätzchen im Hauptraum der Bar. Karyu und auch Zero waren mittlerweile auf Cola umgestiegen, während Tsukasa noch die letzten verbliebenen Kurzen auf dem Tablett vernichtete und Hizumi an den Tresen verschwunden war, um irgendwas zu organisieren.   „Gut, dass wir morgen freihaben“, stellte Zero mit einem amüsierten Blick auf seinen, schon leicht auf seinem Stuhl hin und her schwankenden, Bandkollegen fest und Karyu lachte leise.   „Besser ist das. Der hätte morgen vermutlich ohnehin nur den Rhythmus seiner pochenden Kopfschmerzen im Ohr.“   „Ha, von wegen! Ich spiele mein Schlagzeug sogar mit 'nem fetten Kater besser, als ihr eure Babys zupft“, plusterte Tsukasa sich auf und schaute deutlich schielend zu ihnen herüber. Karyu nickte mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, der nur zu deutlich machte, wie wenig er den Worten seines Freundes Glauben schenkte, und tätschelte ihm das Haupthaar.   „Na klar doch, Drummer Boy, alles, was du sagst.“   „So Jungs“, ertönte da Hizumis Stimme, der gerade wieder an den Tisch zurückgekehrt war und Karyu somit davor bewahrte, mit Bierdeckeln beworfen zu werden. Leise klirrend stellte er das mitgebrachte Tablett, mit dem er eine Flasche Sekt und vier Gläser herüberbalanciert hatte, auf dem Tisch ab und schaute auffordernd in die Runde. „Jetzt wird angestoßen. Wir haben schon seit fünf Minuten den 9. September.“   Karyu verzog das Gesicht, obwohl er den Geschmack von Sekt eigentlich recht gerne mochte. Aber er vermied es normalerweise, diesen in der Öffentlichkeit zu genießen, hatte dieser doch immer eine sehr interessante Wirkung auf gewisse Stellen seines Körpers.   „Für mich nicht, ich bleib lieber bei meiner Cola. Im Gegensatz zu manch anderen hier muss ich nämlich morgen früh raus“, erklärte er und versuchte sich so unauffällig wie möglich aus der Affäre zu ziehen, was ihm jedoch, wie fast schon erwartet, nicht gelingen sollte.   „Nix da!“, kam es vehement. Allerdings nicht von Hizumi, wie er schon befürchtet hatte, sondern ausgerechnet von Zero, dessen Worte von einem dermaßen eindeutigen Blick begleitet wurden, dass ihm prompt ein heißes Ziehen durch den Magen jagte. Für einige Augenblicke wusste er nichts zu erwidern, bis er schließlich ergeben ausatmete und den kleineren Mann neben sich schief anlächelte.   „Auf deine Verantwortung“, raunte er halblaut. „Du weißt, was das Zeug mit mir anstellt.“   „Mhmh“, summte Zero nah an seinem Ohr, „deswegen hab ich's gesagt.“   Karyu atmete zittrig ein und leckte sich über die plötzlich ganz trocken gewordenen Lippen. Den Mund zu einer Erwiderung geöffnet, wurde er jedoch von Hizumi daran gehindert, auch etwas zu sagen, weil dieser mittlerweile den Sekt geköpft hatte und ihm auffordernd ein gefülltes Glas entgegenstreckte. Ergeben griff er danach, wartete, bis auch Tsukasa und Zero ausgestattet waren und hielt sein Glas dann abwartend nach oben.   „Auf D'espairsRay!“, rief Hizumi aus.   „Auf uns!“, erwiderten sie im Chor und stießen leise klirrend die Sektkelche aneinander.   Alle, bis auf ihn selbst natürlich, hatten in der nächsten Sekunde auch schon die Handys gezückt, um diesen denkwürdigen Moment für die Manias mit einem Bild festzuhalten, das später vermutlich auch noch mit einem kurzen Kommentar versehen, online gestellt werden würde. Karyu trank einen kleinen Schluck, nachdem die Fotos geschossen waren, und spürte Zeros Blick beinahe körperlich auf sich ruhen.   ‚Auf uns, Zero‘, dachte er, mit einem kleinen, heimlichen Schmunzeln auf den Lippen und genoss das Prickeln, welches der Sekt nicht nur in seinem Mund und Magen verbreitete.   ~*~   Lächelnd schaute er Hizumi und Tsukasa nach, die, je einen Arm um die Schultern des anderen gelegt, munter plappernd und in Tsukasas Fall doch ordentlich schwankend auf den Ausgang der Bar zusteuerten. Noch einmal drehten sie sich um, lachten, als diese Bewegung sie ins Straucheln brachte, und winkten. Er winkte zurück und konnte spüren, wie sein Lächeln im selben Augenblick melancholisch wurde, als die beiden endgültig aus seinem Sichtfeld verschwanden. Nur langsam ließ er die Hand wieder sinken, den Blick noch immer auf den nun leeren Ausgang der Bar gerichtet. Er hätte lügen müssen, würde er behaupten, sich in der letzten Stunde nicht mehr als nur einmal gewünscht zu haben, endlich mit Zero allein sein zu können. Der Sekt zeigte bereits die erwartete Wirkung auf seine Libido und die warme Hand des Kleineren, die noch immer – oder schon wieder – auf seinem Oberschenkel ihren Platz gefunden hatte, verstärkte dies nur noch. Aber jetzt, da er dabei zugesehen hatte, wie Hizumi und Tsukasa erneut für eine unbestimmte Zeit aus seinem Leben verschwunden waren, wurde das erregende Kribbeln in seinem Magen langsam aber sicher von einem wehmütigen Ziehen abgelöst. In der Vergangenheit hätten sie sich spätestens morgen wiedergesehen. Proben, Fernsehauftritte, Videodreh – irgendetwas wäre sicherlich geplant gewesen. Doch nun würde es wieder Monate, wenn nicht sogar ein ganzes Jahr dauern, bis es ihre vollgestopften Terminkalender endlich wieder zulassen würden, erneut einen Abend zu finden, an dem sie auch alle vier Zeit hatten.   „So viel haben sie nicht getrunken, die kommen schon heil zu Hause an“, vernahm er Zeros tiefe Stimme nah an seinem Ohr. Warme Finger strichen sacht über die kurzen Stoppeln seiner ausrasierten Seiten, an die er sich, um ehrlich zu sein, noch immer nicht gewöhnt hatte, und schickten ihm eine feine Gänsehaut über den Rücken. Die wenigen Worte beruhigten ihn, schafften es, ihn aus seinen trüben Gedanken zu holen und erinnerten ihn mit tröstlicher Nachdrücklichkeit daran, dass er noch nicht wieder allein war.   „Du weißt doch, wie das ist. Alte Gewohnheiten wird man nur schwer wieder los“, murmelte er, seinen Blick nur zögerlich von der nun wieder geschlossenen Tür der Bar lösend und schmiegte sich leicht in die so wohltuende Berührung. Zero wusste natürlich, dass er ihren Freunden nicht nur hinterherstarrte, weil er sicherstellen wollte, dass sie sich in ihrem angeheiterten Zustand nicht doch noch die Beine brachen. Ebenso wie er wusste, dass sich Karyu nicht wirklich ernsthafte Sorgen um die beiden Schnapsnasen machte, obwohl dies durchaus seinem Naturell entsprochen hätte. Nein, der Bassist wollte ihn mit seinem Kommentar nur ablenken, vielleicht auch ein bisschen necken, aber ohne ihn vor den Kopf zu stoßen und das liebte er so sehr an ihm. Zero konnte launisch sein, unterkühlt und verdammt stur, nie jedoch würde er ihm eine seiner größten Schwächen – die Unfähigkeit das Geschehene zu akzeptieren und es sich nicht mehr ganz so zu Herzen zu nehmen – gegen ihn verwenden. Ganz im Gegenteil.   Erneut war er in den Tiefen seiner Gedanken gefangen und erst warme Lippen, der sachte Druck eines kaum spürbaren Kusses, den er nur für einen Sekundenbruchteil an seiner Schläfe fühlte, ließen ihn wieder aus ihnen auftauchen. Bereits diese flüchtige Berührung schaffte es, sämtliche Grübeleien, die ihn ohnehin nicht weiterbringen würden, aus seinem Kopf zu verbannen. Ein wohliger Schauer ließ ihn erzittern und für einen Moment das Atmen vergessen. Verwundert senkte er leicht den Kopf, schaute Zero in die verschmitzt funkelnden Augen, auf die Lippen, die sich zu einem ebensolchen Lächeln geformt hatten.   „Alte Gewohnheiten …“, Zero zuckte die Schultern, „wird man nur schwer wieder los?“   „War das jetzt eine Feststellung oder eine Frage?“ Karyu schmunzelte, legte einen Arm um die Schultern des anderen und zog ihn näher.   „Beides?“ Noch immer lag ein neckisches Funkeln in Zeros Blick, doch dahinter glaubte er ganz andere und lange vermisste Gefühlsregungen erkennen zu können.   „Darf ich das als Aufforderung ansehen?“   „Du hast nie um Erlaubnis gebeten, dann fang jetzt auch nicht damit an.“ Zero zog fast schon tadelnd an seinem Ohrläppchen, aber Karyu grinste nur verschmitzt und kam den einladend einen Spalt breit geöffneten Lippen näher.   „Wo du recht hast …“ Gerade mal einen flüchtigen Blick hatte er jetzt noch für ihre Umgebung übrig, konnte nur eben so viel seiner Aufmerksamkeit zusammenkratzen, um zufrieden festzustellen, dass die Bar mittlerweile fast leer war. Die Nische, in der sie saßen, war kaum einsehbar, nur schummrig beleuchtet und schlichtweg perfekt für das, was er schon den ganzen Abend über tun wollte. Lächelnd überwand er auch noch den letzten Abstand zwischen ihnen, atmete den so vertrauten Duft seines Freundes ein, bevor er Zeros Lippen mit den eigenen verschloss. Für eine Sekunde zuckte er zurück, war beinahe erschrocken über die Intensität seiner Empfindungen, als die Sehnsucht wie eine Welle über ihn hereinzubrechen drohte. Aber wieder waren da diese schönen Augen, die seinen Blick voller Wärme erwiderten und eine Hand, die sich in sein Haar schob und ihn nachdrücklich wieder näher zog.   Zärtlich berührten sie sich, machten sich erneut miteinander vertraut und als Zeros Zunge gegen seine Unterlippe stupste, sich einen Weg in seinen Mund bahnte, flatterten ihm mit einem wohligen Seufzen die Lider zu. Bereits vorhin am Telefon hatte ihm die tiefe Stimme des Bassisten einen wahren Funkenflug in seinem Magen beschert und die beiläufig liebevollen Berührungen, die er ihm den ganzen Abend über geschenkt hatte, hatten die Glut in seinem Inneren stetig angefacht. Doch dieser Kuss, die Vertrautheit, die plötzlich wieder zwischen ihnen zu herrschen schien, übertraf einfach alles. Karyu fühlte sich, als wäre ein Feuerwerk in seinem Inneren gezündet worden und würde ihn nun mit Licht und Wärme schier durchfluten. Ein so wunderbares und immer wieder aufs Neue unglaubliches Gefühl. Genauso überwältigend, wie damals …   ~*~   Trotz meiner Müdigkeit und der Tatsache, dass sich meine Beine anfühlten, als wären sie aus Blei, hatte ich ein Dauergrinsen im Gesicht und warf auch noch mein letztes Plektron in die wogende Menge jubelnder Fans, bevor ich mich wieder nach meinen Jungs umblickte. Ein nicht minder strahlender und dank Zeros Übereifer doch recht tropfender Hizumi streckte mir auch schon eine Wasserflasche entgegen. Gierig schnappte ich danach, schraubte sie auf und nickte ihm kurz dankend zu. Himmel, ich liebte Lives, die entschädigten einfach für alles. All der Stress und Ärger der letzten Monate, mein noch immer anhaltender Jetlag und sogar die unbequemen Hotelbetten waren vergessen, sobald wir endlich wieder auf der Bühne standen. Vor allem die Atmosphäre in diesen kleinen Clubs hatte es mir angetan. Auch wenn wir uns heute auf dieser Minibühne fast schon mehr im Weg gestanden hatten, als alles andere und ich mir vorhin dank der Enge auch noch meinen Kopf am Mikro gestoßen hatte, ging einfach nichts über diese energiegeladene und schlichtweg berauschende Stimmung.   Natürlich war ich froh, dass wir uns mittlerweile einen Namen gemacht hatten und auch gut von unserem ‚Hobby‘ leben konnten. Dennoch fand ich es immer wieder schade, dass wir dadurch in Japan kaum noch die Möglichkeit bekamen, in solch kleinen Venues zu spielen. Aber dafür gab es ja Auslandsauftritte, oder? Durstig trank ich die halbe Flasche auf ex aus, bevor ich den Rest grinsend über die erste Reihe Fans verteilte, die so praktisch nah am Bühnenrand standen. Ein weiteres Mal schwoll das Kreischen zu einem fast ohrenbetäubenden Crescendo an, als sich nun auch endlich Tsukasa von seiner Verkabelung gelöst und hinter dem Drumset hervorgekämpft hatte, um sich mit erhobenen Armen feiern zu lassen. Auch wenn ich noch Stunden hier verbringen und die Energie der Fans in mich hätte aufsaugen können, war ich, wenn ich ehrlich zu mir selbst war, viel zu ausgelaugt, um noch länger hier herumzustehen. Außerdem musste ich vor Zero die Bühne verlassen, bevor mir der Kleine wieder durch die Lappen ging.   Ein letztes Mal winkend drehte ich mich also zu den Treppen, die am hinteren Ende der Bühne in den Backstagebereich führten, und wurde auch schon von den äußerst zufriedenen Gesichtern unserer Crewmitglieder erwartet. Einige Daumenhochs, anerkennende Klapse auf den Rücken später und einmal um die Ecke gebogen, sah ich auch schon die Tür unseres zugewiesenen Aufenthaltsraums vor mir. Statt jedoch aber hineinzugehen, huschte ich seitlich in die Schatten einer Nische und wartete. Lange dauerte es nicht, da hörte ich auch schon Hizumis aufgedrehtes Gelächter und kaum zwei Sekunden später bogen meine drei Pappenheimer um die Ecke.   Alle drei sahen exakt so aus, wie ich mich fühlte: eigentlich total am Ende und trotzdem aufgedreht und definitiv auf einem Endorphin-High. Selbst Zero wirkte für seine Verhältnisse ziemlich ausgelassen und vermutlich hatte er auch deswegen vergessen, mich heute im Auge zu behalten. Tja, Pech gehabt, mein Lieber! Schneller als man es mir wohl zutrauen mochte, hatte ich also nach seinem Arm gegriffen und ihn in ‚meine‚‘ Nische gezogen. Zwar hörte ich noch, dass Hizumi irgendwas durch den Gang krakeelte, aber viel wichtiger war der kleinere Körper in meinen Armen und die warmen Lippen, gegen die ich meine eigenen gerade presste.   Wochen war es nun schon her, dass ich Zero das letzte Mal abgepasst hatte und verdammt noch eins, ich hatte ihn so sehr vermisst. Auch wenn ich heute vermutlich mal wieder mit einem blauen Auge oder schmerzenden Kronjuwelen für meine Mühen ‚belohnt‘ werden würde, konnte ich einfach nicht anders. Dementsprechend forsch wühlte ich meine Finger in seine Haare und hielt mich an ihm fest, wollte ich doch in den wenigen Augenblicken, die er brauchen würde, um die erste Überraschung abzuschütteln und auf Abwehr zu gehen, so viel wie möglich von ihm haben. Zu meiner grenzenlosen Verblüffung legten sich seine Arme jedoch kaum eine Sekunde später fest um meinen Nacken, während er sich der Länge nach gegen meinen Körper presste und mit der Zunge in meinen Mund schlüpfte, der mir in schierer Verwunderung leicht offenstand.   Schnell hatte ich mich jedoch wieder gefasst und ließ den neugierigen Eindringling nur zu gerne weiter vordringen. Ich umschmeichelte und lockte ihn, drängte zurück und lockte erneut, bis schlussendlich ich es war, der Zeros Reich für sich eroberte. Meine Hände hatten den Weg unter sein Shirt gefunden, streichelten über die noch immer heiße, verschwitzte Haut und kratzten mit den Fingernägeln leicht darüber, was er mit einem kleinen Biss in meine Unterlippe quittierte.   „Zero“, raunte ich erregt und schluckte schwer.   Himmel, wenn der andere wüsste, was genau dieser Biss gerade in mir ausgelöst hatte, würde vermutlich mein letztes Stündlein schlagen. Aber Zero schien heute weniger aufmerksam zu sein als sonst oder ich war ein besserer Schauspieler, als ich mir selbst zugetraut hätte. Denn ich erhielt nur ein unwilliges Knurren zur Antwort, bevor sich die vollen Lippen ein weiteres Mal auf meine legten und mir nicht nur den Atem, sondern auch jegliches Denkvermögen raubten.   Erneut ließ ich meine Nägel Spuren auf Zeros Rücken zeichnen, bevor ich ihn nachdrücklich an der Hüfte packte und ihn so nahe gegen mich zog, dass nicht einmal ein Blatt Papier mehr zwischen unsere Leiber gepasst hätte. Die Finger spreizend presste ich sie gegen das feste Fleisch seines Hinterns und ließ vorerst noch sacht mein Becken kreisen. Mit einem unterdrückten Keuchen löste er sich von meinen Lippen, sah mich für einen Sekundenbruchteil aus fast schwarzen Augen an, in denen das Feuer schier zu lodern schien. Gerade, als er seinen Mund auf meinen Hals legte und ich mit fiebrig geweiteten Augen das Kinn reckte, um ihm mehr Spielraum zu geben, huschte ein Schatten über die Flurwand, die der Nische gegenüberlag. Verdammt …    „Hey Karyu, da bist du ja! Unsere Manag…“   Ich hatte keine Chance, irgendetwas an meiner Situation zu ändern, denn nicht einmal die aufziehende Panik hätte mir die Schnelligkeit verleihen können, die ich gebraucht hätte, um dem Unausweichlichen doch noch zu entgehen. In derselben Sekunde, in der Hizumis Stimme an meine Ohren drang, jagte ein grausamer Schmerz durch meinen Unterleib, ließ mich erst mit einem kaum unterdrückten Aufschrei zurücktaumeln, bevor ich heiser wimmernd zu Boden ging.   ‚Ich hab's geahnt. Fuck, tut das weh!‘, schoss es mir durch den Kopf.   Durch leidend verengte Augen und noch immer vor Schmerzen keuchend erhaschte ich gerade noch Zeros bitterbösen Blick, bevor erneut Hizumis Stimme zu hören war. Diesmal jedoch mit einem Laut, in dem sowohl Verwunderung, als auch so etwas wie Begeisterung mitschwang.   „Halt bloß die Klappe!“, herrschte Zero unseren Vocal an.   „Aber das … ihr …“   Zero wischte sich unwirsch über den Mund, bevor er Hizumi mit nun wieder nahezu tödlicher Ruhe in der Stimme entgegenraunte: „Kein Wort, zu niemandem, verstanden?“ Im Vorbeigehen verpasste er ihm noch eine Kopfnuss, die sich gewaschen hatte, und verschwand dann endgültig aus meinem Sichtfeld. Ich stöhnte leidend, rappelte mich ganz langsam und vorsichtig auf und schaute den Kleinsten vorwurfsvoll an.   „Vielen Dank auch. Was für ein scheiß Timing“, knurrte ich und blickte ihm in sein breit grinsendes Gesicht. Fehlte nur noch, dass er seine geballten Fäustchen vor den Mund schlug und begeistert zu quietschen begann. Gerade setzte er zum Sprechen an, doch ich kam ihm zuvor: „Egal was du sagen willst, spar's dir, sonst kriegst du von mir auch noch 'ne Kopfnuss.“   „Okay, okay … Der Genießer schweigt“, antwortete der Sänger frech und rieb sich schelmisch über seinen hoffentlich schmerzenden Hinterkopf. „Ach ja, die Managerin will irgendwas von dir. Deswegen hatte ich dich eigentlich auch gesucht.“ Leise vor sich hin summend drehte er sich schließlich doch zum Gehen um und winkte über die Schulter. „Ihr seid ja so~o sü~üß.“   „Hau ab jetzt!“ Ich verdrehte die Augen und bemitleidete mich für einen langen Moment selbst.   Warum hatte dieser Idiot auch ausgerechnet jetzt stören müssen? Warum hatte uns überhaupt jemand zusammen sehen müssen? Verflucht, jetzt würde es doch nur noch umso schwerer werden, Zero von mir zu überzeugen. Aber andererseits …   Langsam schlich sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen. Zero hatte meinen Kuss erwidert … Verdammt noch eins, er hatte ihn tatsächlich erwidert!   Von einer Sekunde auf die andere strahlte ich übers ganze Gesicht. Vergessen war das noch immer anhaltend schmerzhafte Pochen meines Unterleibs und der Ärger über Hizumis Störung. Dieser verdammte, wunderbare Kerl hatte meinen Kuss erwidert. Leidenschaftlicher und feuriger, als ich es mir hätte träumen lassen. Versonnen leckte ich mir über die Lippen, fuhr mir durch die wirren Haare und fasste einen Entschluss.   Zero hatte mich geküsst und ich würde dafür Sorge tragen, dass er diese Tatsache so schnell nicht wieder vergaß!   ~*~ Ihr Kuss, der noch sachte, beinahe zaghaft begonnen hatte, war schnell leidenschaftlicher und hitziger geworden. Und nun, nach einer kleinen, wunderbaren Ewigkeit, keuchte Karyu leise, als sich Zero von ihm löste und nur Millimeter von ihm abrückte, sodass er trotzdem noch den beschleunigten Atem auf seinen feuchten Lippen spüren konnte. Einen langen Moment sahen sie sich schweigend in die Augen, die wenigen Gäste der Bar, das Hintergrundgeräusch der Musik aus den Lautsprechern lang vergessen. Es gäbe so vieles, was er Zero nun sagen wollte. Angefangen bei einer weiteren Entschuldigung, bis hin zu dem Geständnis, wie sehr er ihn in den letzten einsamen Jahren vermisst hatte. Aber die passenden Worte fand er nicht. Sein Kopf war wie leergefegt, nur die Nähe des anderen zählte, an die er sich klammerte, um dem Ansturm der Gefühle in seinem Inneren Herr zu werden. Kurz schloss er seine Lider, suchte blind Zeros Mund und küsste ihn erneut, diesmal jedoch ruhiger, genießender. „Zu dir oder zu mir?“, murmelte er nah an dem eben noch in Beschlag genommenen Lippenpaar und schmunzelte, während seine Finger unermüdlich durch die feinen Härchen im Nacken seines Freundes kraulten. „Ist dir kein besserer Spruch eingefallen?“, erkundigte sich dieser belustigt, was Karyu ein leises Lachen und ein Kopfschütteln entlockte. „Nein, außerdem wollte ich das schon immer mal fragen.“ „Dumpfbacke“, meinte der Bassist nur grinsend darauf und fuhr ihm durch die Haare, blieb nicht zum ersten Mal an diesem Abend an der kurz geschorenen Stelle hängen. Sanft strich er darüber und jagte ihm damit einen kleinen, angenehmen Schauer über den Rücken. „Meine neue Frisur hat's dir echt angetan“, stellte Karyu mit einem leisen Lachen in der Stimme fest und kniff genussvoll die Augen zusammen. „Mhmh, fühlt sich gut an“, raunte Zero nah an seinem Ohr, küsste die eben noch gestreichelte Stelle und ging dann etwas auf Abstand. „Du zahlst, ich ruf uns ein Taxi. Wir fahren zu mir, das liegt näher.“   Der Blick aus dunklen Augen fachte die Hitze in Karyus Magen nur noch mehr an, zauberte aber gleichzeitig auch ein leicht anzügliches Grinsen auf seine Lippen.   „Da könnte ich ja fast den Eindruck bekommen, du wärst ungeduldig.“   „Alles nur Einbildung“, konterte Zero trocken, aber mit einem schiefen Lächeln im Gesicht, während er bereits die Nummer der Taxizentrale herausgesucht hatte und sich das tutende Handy ans Ohr hielt.   Karyus eigenes Lächeln wurde nur noch weiter, als er sich erhob und aus ihrer Nische heraus an die Bar herantrat, um ihre Zeche zu bezahlen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)