Lieben und geliebt werden von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 41: Schreckensjahre --------------------------- Oscar erholte sich langsam, aber sie erholte sich. Die Frauen im Haus strickten und nähten was das Zeug hielt – für den nahenden Winter. Aber jetzt war noch Ende August. Unwetter, Regen, Hagel und Überschwemmungen waren seit einiger Zeit an der Tagesordnung. Und diese Woche schien zum ersten Mal die Sonne durch, die am Ende auch nicht viel Gutes mit sich brachte: Die Ernte war so oder so zum großen Teil bereits verdorben und die schwüle Hitze machte es den Menschen auch nicht gerade leicht. Nichtessostrotz waren Oscar und ihre Familie in Arras besser aufgehoben als in Paris...   Oscar hielt es nicht mehr aus – seit einem Monat war sie hier und musste noch immer das Bett hüten. Sie durfte nicht aufstehen und wenn, dann nicht ohne fremden Hilfe und Stütze. Zu essen gab es nicht viel, aber sie hatte auch keinen sonderlichen Appetit. Nun war es aber genug! So stand sie quälend langsam auf und verließ das Zimmer, das sie mit André teilte. Von ihm war in dem Moment nichts zu sehen, als wäre er fort. Und im Allgemeinen herrschte im Haus Stille – sehr eigenartig, denn der fehlende Trubel und das fehlende Quengeln der Zwillinge machte Oscar stutzig.   Schleppend langsam bewegte sich Oscar an der Wand, mit einer Hand stützte sie sich an der kahlen Oberfläche und den anderen Arm hielt sie um ihre Mitte. Hier und da pochte noch der dumpfe Schmerz und auch ihr Kopf dröhnte bei heftigen Anstrengungen. Oscar aber wollte unbedingt an die frische Luft. Sie stieg die Treppen herab, von wo man gleich die Küche sehen konnte. Dort verrichteten Sophie und Madame de Soisson geschäftig ihre Aufgaben. Oscar huschte so unbemerkt wie möglich vorbei, um Sophies sorgenvollen Tiraden zu vermeiden. Das hätte ihr gerade noch gefehlt! Dann kamen weitere Räume, wo die Diener des Hauses nächtigten und dann endlich die Außentür.   Mit heimlicher Freude und Erleichterung stieß Oscar sie auf und trat hinaus auf den kleinen Hof hinter dem Haus. Sofort schlug ihr die stickige Luft entgegen, aber es war auf jeden Fall besser, als im Haus und auf ihrem Zimmer. Nicht einmal eine leichte Brise des Windes wehte vorbei und dennoch fühlte sich Oscar erheiternder. Ihr Blick fixierte drei ihr sehr bekannte und treue Menschen. Sie wusste nicht, ob sie einschreiten oder es belassen sollte. Aber andererseits hätte sie gerne den Grund der kleinen Auseinandersetzung gewusst. Sie bewegte ihre Füße und bekam nur mit, wie Alain den armen Gilbert beinahe verprügelte. Sie schritt doch ein und erfuhr, dass er ihn erwischt hatte wie dieser Diane innig umarmt hatte. Auch Diane beteuerte, dass es auch ihr Wille war, aber Alain wollte nichts davon hören. „Gönne deiner Schwester das Glück, Alain.“ Und während alle sie verwundert ansahen, sprach sie schon das junge Paar an: „Allerdings müsst ihr mit eurer Hochzeit abwarten.“   „Gewiss, Lady Oscar.“ Das war schon Hoffnung und Segen für Gilbert – viel besser als bei Alain, obwohl dieser mehr das Recht hatte.   „Ihr dürft nicht hier sein, Oberst!“, schnaufte dieser.   „Du willst mir doch nicht vorhalten, was ich darf und was nicht?“ Oscar verzog eine schiefe Grimasse.   „Nein, das nicht, aber...“   Oscar wollte nicht mehr darauf eingehen. „Wo sind die anderen?“   „André ist mit euren Kindern und Rosalie zum Wirt gegangen und sie besprechen im Gasthof „Zum alten Allas“ wichtige Angelegenheiten wegen der Ernte.“, erklärte Diane und kam zu ihr, um sie zu stützen. „Eure werte Mutter und Sophie sind im Haus.“   „Und es gibt Neuigkeiten aus Paris.“, fügte Gilbert hinzu und Oscar wurde hellhörig. „Sprich!“, verlangte sie auf der Stelle.   „Nun...“ Gilbert zögerte. Seit Monaten versuchten sie Lady Oscar nicht mit den politischen Dingen zu belasten – aus Sorge, dass ihre Wunden dadurch nicht gut verheilen würden. Das hatte ihnen der Arzt empfohlen und sie hielten sich alle daran.   Alain war dagegen nicht so zurückhaltender wie die anderen. „Die Rechte aller Menschen und Bürger wurden erklärt und gleichgestellt...“   „Gut. Wenn André und Rosalie da sind, werden wir besprechen, wie es weiter geht.“, meinte Oscar undurchschaubar und in ihrem Kopf plante sie schon alles Mögliche.       - - -       Mit der Revolution wurde es immer schlimmer. In Arras hatte man viel zu tun und jeder hielt sich gerade so über die Runden und half den anderen Menschen wie und wo sie konnten. Im Oktober wurde Versailles gestürmt und die Königsfamilie nach Paris in den Palais Tuilerien verbannt – das hatte Bernard bei seinem Aufenthalt in Arras offenbart. Seitdem brachte er jeden Monat Neuigkeiten aus Paris. Oscars Wunden verheilten immer besser und wenn es nach ihr ginge, wäre sie schon längst nach Paris mit Bernard aufgebrochen. Nur mit Mühe und Geduld konnte André sie stets dazu bewegen, in Arras bei ihm und ihren gemeinsamen Kindern zu bleiben. Vielleicht lag es an dem Alter der Zwillinge, weshalb Oscar sich überreden ließ – denn die beiden brauchten ihre Eltern wie noch nie zuvor und in diesen vom Krieg gekennzeichneten Land sie alleine zu lassen war sehr gefährlich.   Im Sommer 1791 brachte Bernard die nächsten Nachrichten aus Paris. „...die königliche Familie wurde bei ihrer Flucht natürlich erkannt und zurück nach Paris gebracht. Seitdem fordern alle Bürger die Absetzung des Königs.“   Oscar fluchte und war wütend. So konnte man doch nicht mit dem König umgehen! Was war nur in die Menschen gefahren?! Und noch mehr war sie entsetzt, als man den König im Januar 1793 hinrichtete...   Oscar konnte nicht mehr in Arras bleiben – sie musste einfach nach Paris! Auch da stellten sich ihre Angehörigen quer und ließen sie nicht gehen. „Erlaubt bitte mir zu gehen.“, erbot sich Rosalie. „Ich werde an Eurer Stelle mich um die Königin kümmern und Euch auf den Laufenden halten.“   Oscar wollte nicht, aber das war die beste Alternative, um die anderen milder zustimmen. Zumal Rosalie als Bürgerliche und Ehefrau von Bernard dort nichts passieren würde, im Gegensatz zu einer Aristokratin. Denn in Paris rollten noch immer die Köpfe und die prachtvollen Häuser der Adligen wurden zum größten Teil dem Erdboden gleichgemacht. Es dauerte nicht lange, bis auch die Königin hingerichtet wurde und da brach Oscar zusammen. Nicht Bernard brachte ihr die Nachricht, sondern ihr Vater, der nach der Hinrichtung gekommen war, um sie und seine Frau abzuholen und ins Ausland zu gehen. Oscar blieb dennoch in Arras – es gab hier noch immer viel zu tun.   Nicht lange und auch Robespierre geriet später im Jahr 1794 unter der Guillotine und die Terrorherrschaft war damit beendet. Neue Zeiten brachen an und nach zehn Jahren der erbitterten Kämpfen schien endlich etwas Ruhe und Frieden einzukehren. Das Land atmete auf. Die Revolution, Elend und Grausamkeit hatten viele Opfer gekostet. Darunter auch die Mutter von Alain und die Großmutter von André. Einzig ein schlichtes und fröhliches Ereignis fand doch noch statt – Gilbert und Diane hatten geheiratet und es dauerte nicht lange, bis bei ihnen Nachwuchs sich ankündigte.       - - -       „Bist du dir sicher, dass die Weiber heute alleine sind?“   „Ganz sicher! Bis auf das Mannsweib sind die Männer außer Haus.“   „Umso besser... Mit der hab ich sowieso eine gewisse Rechnung zu begleichen...“       - - -       „Mama, Mama, schau!“, rief die achtjährige Andrée aus dem Zuber, als Oscar den Baderaum betrat: „Ich kann unter dem Wasser lange aushalten, ohne zu atmen!“   „Ach ja?“ Oscar zog eine Braue nach oben und ihre Tochter tauchte sogleich unters Wasser.   „Das übt sie schon die ganze Zeit.“, meinte Diane lächelnd und legte frische Sachen und Tücher neben dem Zuber auf eine Holzbank. „Braucht Ihr noch etwas, Madame Oscar?“   „Nein, danke, ich komme schon alleine zurecht.“ Oscar entkleidete sich bis auf die Haut, nachdem Diane den Baderaum verlassen hatte. Sie blieb vor dem Zuber stehen – Andrée befand sich immer noch unter Wasser und dann schnellte sie ruckartig an die Oberfläche. „Hast du gesehen, Mama? Wie lange habe ich es unter Wasser ausgehalten?“   „Lange genug.“ Oscar stieg in den Zuber, tauchte selbst kurz unters Wasser, nur um ihre Haare nass zu machen und dann wieder hoch. „Jetzt wasche dich, wir erwarten heute einen Besuch.“   „Von wem?“ Andrée seifte sich derweilen schnell ein.   „Von deinen Großeltern.“ Oscar tat das Gleiche und Andrée verzog sogleich ihr Gesicht, als sie das hörte. „Wenn ich ehrlich bin, dann ist es mir gleich, ob sie kommen... Großpapa kommt zu uns nur wegen Oskar...“   Da musste Oscar ihrer Tochter recht geben. „Aber meine Mutter kommt doch wegen euch beiden.“   „Ja, das stimmt.“   „Na siehst du. Mach also nicht so ein trübes Gesicht.“   „In Ordnung, Mama.“ Andrée lächelte wieder und tauchte wieder unters Wasser, um den Schaum abzuspülen. „Ich steige dann raus, Mama.“   „Ja, mach das. Kannst du mir gleich ein paar Tücher und mein Hemd reichen?“   Andrée beeilte sich beim Abtrocknen, schlüpfte in ihr knöchellanges Unterkleid und brachte ihrer Mutter die genannten Sachen, während diese sich gewaschen hatte. „Hier Mama.“   „Danke.“ Oscar trocknete sich ab, während ihre Tochter sie musterte. „Tun dir die Wunden noch weh?“   „Nein, sie sind schon längst verheilt.“, erklärte Oscar knapp und zog ihr knielanges Hemd an.   „Und dennoch seid Ihr trotzdem noch ansehnlich geblieben, Kommandant Oscar Francois de Jarjayes...“, erscholl eine tiefe Stimme von der Türschwelle.   Entsetzt und erschrocken starrten Mutter und Tochter auf den Mann, der die Tür gerade hinter sich schloss und hämisch grinste. „Es freut mich, Euch in dieser Aufwartung anzutreffen, Ihr macht es mir umso leichter Euch zu besiegen...“   „Wer seid Ihr?“ Oscar schob ihre Tochter schützend hinter sich und sah den Mann herausfordernd an, obwohl sie sich ihrer aussichtslosen Lage und Blöße bewusst war. „Wie kommt Ihr überhaupt hierher?“   Der Mann machte langsame Schritte auf sie zu. „Schade, dass Ihr mich vergessen habt... Ich dagegen habe an Euch all die Jahre gedacht, um mich eines Tages an Euch zu rächen, dafür dass Ihr mich damals bloß gestellt habt! Ich bin mit meinen Gehilfen hier...“   Oscar kam sogleich eine Erinnerung hoch. „Ihr seid der Steuereintreiber, der arme Bauern schikaniert hat, Monsieur Vicedo!“   „Gut erraten! Und nun bin wieder hier und meine Freunde bändigen gerade Eure widerspenstigen Weiber!“ Vicedo grinste noch breiter und entblößte seine Zähne.   „Was habt Ihr mit ihnen vor?!“   „Das Gleiche, was ich auch jetzt mit euch vor haben werde! Ich nehme Euch, hier und jetzt...“ Vicedo leckte sich anzüglich die Oberlippe und warf einen anzüglichen Blick auf das Mädchen hinter Oscars Rücken. „Und dann Eure Kleine als Nachspeise...“   Oscars Blut kochte, ihre Gedanken überschlugen sich, aber ihre Haltung blieb gerade und unbeugsam. „Das glaubt Ihr doch wohl selber nicht!“   „Doch...“ Der ehemalige Steuereintreiber blieb direkt vor ihr stehen und umfasste ihr Kinn.   Oscar schlug seine Hand sofort weg. „Fasst mich nicht an!“   „Kratzbürstig wie eh und eh...“ Er packte sie grob am Handgelenk. „Du wirst mir gehorchen!“   „Nein!“ Oscar wehrte sich, stieß ihn von sich ab und ging von ihm rückwärts weg. Sie trat in eine Pfütze und rutschte aus – ein fataler Fehler ihrerseits. Vicedo stürzte sich auf sie und drückte sie am Hals gegen den Boden, bis ihre Gegenwehr erlahmte und ihre Kräfte nachließen, aber sie selbst noch bei Bewusstsein war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)