Lieben und geliebt werden von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 9: Zwiespalt -------------------- Es war alles aus !   Eigentlich war es schon damals beinahe passiert – aber diesmal erstarben bei André all die letzten Hoffnungen, die er noch gehegt hatte! Die Hoffnungen, die ihm Lebensmut und Zuversicht gaben, dass es alles wieder gut werden und seine so heißgeliebte Freundin ihm irgendwann mal doch noch ihr Herz schenken würde... Aber nein! Es war nun endgültig aus und vorbei und er konnte getrost all seine Hoffnungen begraben! Warum nur musste dieser Graf von Fersen unbedingt nach Frankreich zurückkehren?   Von Fersen hätte ja auch in sein Heimatland Schweden gehen können... Doch André wusste die Antwort: Von Fersen kehrte wegen der Königin, die er liebte und verehrte, nach Frankreich zurück. Also würde wieder die Gerüchteküche losbrechen und ihrem Ruf schaden, wenn die zwei nicht noch mehr achtgeben und aufpassen würden...   Und Oscar? Warum entschied sie sich ausgerechnet für den Mann, dessen Herz sie niemals erreichen würde?! Wusste sie denn nicht, dass von Fersen in ihr nur eine gute Freundin sah?   André wäre am liebsten erneut weggelaufen, aber das war unmöglich – er hatte aus der Lektion gelernt und würde es nicht noch einmal wagen. Er würde lieber weiterhin an ihrer Seite bleiben und unter der unerwiderten Liebe zu ihr leiden, anstelle ihre Freundschaft, die sie seit ihrer Versöhnung wiedererrichtet hatten, zu zerstören – diesmal unwiderruflich. Ach, Oscar... Wieso konnte das Liebesglück nicht ein einziges Mal zu ihm hold sein... Nur ein Mal – nicht wie in jener Nacht, als sie von Fersens Namen während der Leidenschaft gestöhnt hatte, für die er, André, eigentlich verantwortlich gewesen war.           André...   Auch wenn Oscar ihrem Freund seine Liebesqual ansah, geriet sie dennoch in Zwiespalt ihrer Gefühle, obwohl sie sie längs niedergerungen geglaubt hatte... Seit von Fersen aus Amerika zurückgekehrt war und sich in die Dienste ihrer Majestät gestellt hatte, brachen ihre Gefühle schon wieder durcheinander. Sie versuchte sie erneut im Keim zu ersticken, aber es gelang ihr nicht mehr. Zum einen war da von Fersen, dessen leidendes Herz wegen der verbotenen Liebe zu der Königin von Frankreich sie mitleidend stimmte und zum anderen war da André, dessen Liebesqual ihr selbst schmerzte. Sie wollte ihren Freund nicht noch mehr verletzen, aber was sollte sie denn dagegen tun?! Sie musste Gewissheit haben! So konnte es nicht weiter gehen! Sie musste unbedingt eine Lösung finden! Eine Lösung, die nicht gerade erheiternd war... außer vielleicht für ihr einstiges Kindermädchen...   Sophie jubelte innerlich vor Freude, als Oscar sie darum bat ihr ein Kleid zu bringen. Wofür das alles war, fragte die alte Dame nicht. Sie war einfach zu glücklich: Endlich würde ihr Schützling ein Kleid tragen, das sie einstmals für sie genäht hatte! „Ich bringe ihr auch gleich das Korsett... und seidene Strümpfe...“, schwärmte Sophie, als sie an ihren Enkel vorbei lief und Oscar die besagten Sachen überglücklich mitbrachte. Für André dagegen war es eine Qual und Unglaube zu gleich – sein Herz zerriss noch mehr, denn Oscar tat das definitiv nicht für ihn! Er versuchte sich einzureden, dass es ein Witz wäre.   „Aua! Nicht so fest, ich bekomme kaum Luft!“, hörte André Oscar hinter den verschlossenen Türen ihrer Gemächer schimpfen.   „Wer schön sein will, muss leiden“, vernahm er gleich die Belehrung von seiner Großmutter.   Und kurz darauf schrie Oscar wieder wütend auf: „Sei vorsichtig, du reißt mir die Haare vom Kopf!“   Was seine Großmutter darauf antwortete, verstand André nicht wirklich, aber Oscars Schimpfen über jede Kleinigkeit folgte weiter und sie tat André beinahe leid. Er ging im Kaminzimmer auf und ab und versuchte seine gemischten Gefühle zu besänftigen und eine Erklärung zu finden. Wozu tat sich Oscar das Kleid an, wenn es für sie unbequem und unerträglich war? Nur um Graf von Fersen zu beeindrucken? Denn ganz bestimmt zog sie sich seinetwegen um! Und nebenbei gesagt, sich Oscar in einem Kleid vorzustellen war das Gleiche wie eine Bohnenstange von oben bis unten mit Seide umwickeln zu lassen! Diese Vorstellung brachte André sogar zum freudlosen Lachen.   Aber er wurde eines besseren belehrt, als Oscar sich in dem Kleid sich einige Augenblicke später zeigte. Er konnte es kaum glauben, dass es sie war – sie sah einfach zu schön und elegant darin aus. Und das Kleid selbst war wie nicht aus dieser Welt: Eng schmiegte es sich an ihrem Körper, betonte ihre Figur mehr als die Uniform und an den Hüften faltete es sich in einen buschigen Rock aus. Die Farbe war ein silbriges Blau, das zu ihrer Augenfarbe gut passte. Die kurzen Ärmel saßen an den Schultern wie leicht aufgeplustert und brachten ihren viereckigen Ausschnitt, der gekonnt ihre Oberweite versteckte, zur Geltung. Ihre Haare waren zum ersten Mal hochgesteckt – nur an den Schläfen säumten wellige Haarsträhnen die seitliche Kontur ihres Antlitzes und die Spitzen berührten ganz leicht die Mulde ihres Schlüsselbeins. Auf dem Kopf prangte ein schmales, goldenes und mit Saphiren versehenes Diadem. Das war das einzige Schmuckstück, das sie trug. Für André aber war das nicht von Bedeutung. Er war noch niedergeschlagener und verbitterter, weil Oscar gleich darauf in eben diesem Kleid auf einen Ball in einer bestellten Kutsche gefahren war, um mit von Fersen zu tanzen! Er durfte sie nicht begleiten, denn sie wollte unerkannt bleiben. Aber er brachte es nicht über sich, auf sie auf dem Anwesen zu warten und verfolgte sie mit Abstand, um zu sehen, was aus diesem Tanz werden würde.       - - -       Schritt, für Schritt und nicht vergessen, dass sie hier als eine ausländische Gräfin auftrat. Mit Würde und Anmut lief Oscar durch den Ballsaal und erntete bewundernde Blicke der Anwesenden. Innerlich atmete sie auf - niemand konnte sie hier in Inkognito erkennen. Wie sollte man sie denn auch erkennen? Alle waren doch gewohnt, sie in der Uniform zu sehen, dass ein Kleid praktisch bei ihr unvorstellbar war!   Noch eins, zwei Schritte und dann entdeckte sie von Fersen in den Reihen der stehenden Herren und Damen. Oscars Herz schlug aufgeregt, aber sie versuchte den Grafen gewissenhaft zu übersehen und lief weiter an ihm vorbei. Was würde er wohl tun? Würde er in ihr eine Frau sehen? Oder würde er sie erst gar nicht beachten?   „Madame...“   Oscar blieb wie erstarrt stehen: Seine Stimme jagte ihr einen Schauer über den Rücken und ließ ihr Herz bis zum Hals schlagen. Dass er sie angesprochen hatte, war für sie ein Segen und Fluch zugleich. Gut, dass sie mit dem Rücken zu ihm stand.   „Würdet Ihr mir den nächsten Tanz schenken?“, sprach von Fersen, „Bitte...“, fügte er etwas mit Nachdruck hinzu, als von ihr keine Reaktion kam.   Oscar bekam ein mulmiges Gefühl, aber sie willigte dennoch mit einem zustimmenden Nicken und gesenktem Blick ein. Die Musik setzte wieder ein, die Geigen spielten eine passende Melodie zu einem Menuett und der Tanz begann. Von Fersen führte sie mit Eleganz und Oscar schwebte graziös wie ein Feder in der Luft.   „Madame...“ Von Fersen nutzte den Tanz aus und sprach sie wieder an: „Darf ich Euch mit der Frage belästigen, woher Ihr kommt und wer Ihr seid?“   Natürlich nicht! Oscar erschrak innerlich. Niemand durfte sie hier erkennen – und ganz besonders nicht von Fersen! Krampfhaft versuchte sie an sich nichts anmerken zu lassen, hob kein einziges Mal ihren Blick und verließ sich ganz auf seine Führung, um das damenhafte Auftreten noch mehr zur Geltung zu bringen.   „Entschuldigt meine Neugier, aber Ihr erinnert mich an jemanden“, hörte sie ihn weiter reden und ihr wurde miserabel zu mute. Von Fersen sprach von einer Freundin, die ihr sehr ähnlich sah, die aber eine Uniform trug. Oscar begriff gleich, dass die Rede von ihr war und ihr wurde noch unbehaglicher. Was machte sie da eigentlich? Sie spürte nichts, keine Wärme und keine Leidenschaft. Sie hörte den Grafen kaum zu und musste immer wieder an André denken. Was tat sie ihm denn an?! Es war leichtsinnig, hierher zu kommen! Sie wollte nur fort von hier! Sie wollte nur zu ihrem Freund! Mitten in einer Drehung, entriss sie sich dem Grafen und rannte überstürzt davon.   Draußen auf dem Hof stand ein Brunnen, sie lehnte sich vornüber und stützte sich mit beiden Armen auf den Rand, um Luft zu holen. Von Fersen würde niemals eine Frau in ihr sehen, das hat sie gerade erkannt und begriffen! Für ihn war sie nur eine Kameradin, mehr nicht! André dagegen hatte sie schon immer als Frau gesehen und er liebte sie!   Oscars Herz begann aufgeregter zu schlagen, als wäre es aus dem Schlaf geweckt. Eine unnatürliche Wärme breitete sich in ihr aus, die bei von Fersen nicht da war. Oscar stiegen Tränen in den Augen und sie richtete sich auf, um sie mit ihrem Handrücken wegzuwischen. War das etwa die Liebe? Keine Schwärmerei oder eine bestimmte Phase ihrer launischen Gefühle, sondern eine aufrichtige und reine Liebe, die André bei ihr schon seit einer langen Zeit hervorbrachte? War das das, was sie zu ihrem Freund immer empfand und erst jetzt bewusst wurde? Waren ihre Gefühle deshalb in jener Nacht mit ihr durchgegangen, als er sie geküsst hatte? Und nicht nur das! Sie hatte sich von ihm verführen lassen, sich von seiner Leidenschaft mitreißen lassen!   Oscar glaubte immer noch seine Lippen und seine Finger zu spüren, als wäre das gerade eben passiert! Sie musste unbedingt zu ihm! Sie hörte feste Schritte hinter ihrem Rücken und diese rissen sie aus ihren Gedanken und aus dem Zwiespalt mit sich selbst. Sie drehte sich um und sah den Grafen auf sich zukommen. Oscar überlegte nicht, was sie tun sollte. Sie hob ihren Rocksaum etwas an, kehrte ihm abrupt den Rücken und rannte noch schneller von ihm weg, als kurz zuvor aus dem Ballsaal.   Von Fersen wunderte sich noch mehr über diese Unbekannte, die ihm allerdings viele Fragen zu ihrer Person offen ließ. Er wollte über sie mehr erfahren, aber da lief sie schon wieder vor ihm weg. Er setzte ihr nach, so einfach würde er sie nicht gehen lassen!   „Lasst sie laufen, Graf.“, sagte jemand hinter ihm und bewog ihn stehen zu bleiben. Diese tiefe Stimme kannte er, obwohl er die Person kaum jemals reden hörte. Er drehte sich um und seine Vorahnung bestätigte sich: Das war André - Oscars Diener und bester Freund. Aber was machte er hier ohne sie? Und warum hielt er ihn davon ab, der Unbekannten nachzulaufen? Oder hieß das etwa... „Das war also wirklich Oscar...“, sprach er seinen Gedanken laut aus.   André zog seine Lippen zu einem Strich. Er wollte Oscar nicht verraten, aber genauso wenig wollte er, dass von Fersen sie verfolgte. „Es steht mir nicht zu, Euch das zu sagen, Graf...“, meinte er ausweichend und machte kurz einen Diener, bevor er seinen Weg ging. „Ihr entschuldigt mich, ich muss los...“   „Ich verstehe...“ Von Fersen sah ihm eine Weile grübelnd nach. Dass er mit Oscar getanzt hatte, da bestand für ihn kein Zweifel mehr, dank Andrés Erscheinung. Aber aus welchem Grund Oscar ein Kleid anzog und mit ihm getanzt hatte, war ihm ein Rätsel. Er würde sie irgendwann aufsuchen müssen, um mehr davon zu erfahren. Und zwar von ihr selbst! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)