Digimon 00001100 von UrrSharrador (Samsara Madness [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 31: Das Verbotene ------------------------- Hier oben zerrte der Wind ziemlich in Tagekos Haar. Sie hatten es irgendwie geschafft, auf das Dach des Einkaufszentrums zu gelangen, und das bevor die Einsatzkräfte die schwelende Halle gestürmt hatten. DunkelWereGarurumon hatten sie ebenfalls hierher locken können, allerdings war der Preis hoch gewesen. Sie hatten sich mehr auf ihre Flucht als auf ihre Verteidigung konzentriert und ihre Karten hatten sich seither drastisch verschlechtert. Das Asura hatte Volcanomon zuerst aufs Korn genommen, wie um die größere Gefahr gleich aus dem Weg zu räumen. Mittlerweile war es zurück zu Kyaromon digitiert. Kouki schrie sich neben Tageko heiser und ließ Gatomon von einer Armor-Form zur nächsten wechseln, doch DunkelWereGarurumon war flink und selbst wenn sein Digimon einmal traf, machte es ihm kaum etwas aus. Fumiko war von Tageko mit der Aufgabe betraut worden, sich mit ihren Freundinnen im Stiegenhaus zu verschanzen – dort war es eng und DunkelWereGarurumon würde es sich vielleicht zweimal überlegen, ob es sie dort angreifen würde. Tageko wollte nicht, dass Fumiko ihre Judo-Künste auspacken musste, um schon wieder selbst gegen ein Digimon zu kämpfen. Hoffentlich kam es nicht dazu. So aber blieb alles an ihr und Blossomon hängen. Das Pflanzendigimon war groß und kassierte eine Menge Schläge und Tritte, während DunkelWereGarurumon seine Spiralblumen und Ranken abwehrte oder einfach nur auswich. Es war nicht so zerstörerisch wie FlaWizardmon, aber dafür viel präziser. Dichte Wolken dräuten am Himmel und die bleigrauen Lichtverhältnisse ließen den Kampf auf dem spiegelglatten Dach des Einkaufszentrums irgendwie unwirklich wirken. Tiefe Furchen von Digimonkrallen durchzogen Glas und Beton. Von jenseits der Dachkannte blitzten überall die Blaulichter der Einsatzwagen herauf, man hörte Leute etwas rufen. Tageko schwitzte in ihrer dünnen Jacke. Hoffentlich blieb der Kampf unbemerkt – oder war es vermessen, sich das zu wünschen? Seit seiner Digitation hatte DunkelWereGarurumon kein Wort mehr gesagt. Es knurrte nur hin und wieder, wenn es Schläge austeilte. Blossomon wurde Stück für Stück an den Rand der Plattform getrieben. Wenn es stürzte, war alles vorbei. Dann traf ein vernichtender Fußtritt Lynxmon und beförderte es quer über das Dach. Nahe der Kante blieb es liegen und digitierte zu Salamon zurück. Kouki lief zu seinem Partner. Noch einer weniger. Tageko biss sich auf die Unterlippe. Ihre Digimon waren noch erschöpft vom letzten Kampf … Es musste doch einen Weg geben, DunkelWereGarurumon zu besiegen! Die Rettung kam auf leisen Schwingen wie ein Tarnkappenbomber. Das Asura bemerkte sie eher zufällig durch einen raschen Blick, machte einen Riesensatz rückwärts, landete auf den Händen und stieß sich wieder ab, als sich ein gleißender Strahl in das Dach fraß. „Cyberdramon!“, rief Kouki erfreut, als er das Digimon hoch am Himmel heranfliegen sah. Direkt über dem Feind ließ es etwas fallen, das im Flug gelb aufleuchtete – und mit tosender Wucht stürzte Tyrannomon auf DunkelWereGarurumon hernieder. Dann war es erst mal still. Cyberdramon landete und setzte Taneo und Jagari ab, die beide ziemlich durchgefroren wirkten. „Tut mir leid“, sagte Taneo. „Ich hab zunächst nicht auf mein Handy gesehen. Ist alles in Ordnung?“ „Klar. Wir haben euch das da übriggelassen“, meinte Renji und deutete lässig auf DunkelWereGarurumon, auf dem momentan ein riesiger Dinosaurier saß. Durch den in diesem Moment ein Beben lief. „Jagari“, knurrte er, und dann … Es sah fast komisch aus. Tyrannomon wurde von dem viel kleineren Digimon hochgehoben, an einer einzigen Zehe gepackt und quer über das Dach geschleudert. Das Glas dort bekam Risse, hielt aber. Taneo musste Cyberdramon gar kein Zeichen geben. Kaum dass DunkelWereGarurumon wieder aufrecht stand, schoss das Digimon schon auf es zu, erwischte es mit seinen Klauen – und dann war es vorbei. Das Asura stieß ein Jaulen aus, als Cyberdramons glühende Krallen es wie Wachs schmolzen. Seine Daten explodierten förmlich und verschwanden dann auf ähnliche Weise wie FlaWizardmons.   Fünf Minuten später hatte Cyberdramon sechs DigiRitter, ihre anderen Digimon und zwei Unbeteiligte auf das oberste Deck eines nahen Parkhauses gebraucht. Dort digitierte es zurück. Tageko wandte sich ihren Freundinnen zu, die halb ohnmächtig vor Angst waren. „Ich muss euch wohl etwas beichten …“ „Du … bist du … Hast du …“, begann eins der Mädchen zittrig. „Waren das dieselben Monster wie damals, als es diesen Nebel in der Vorstadt gab? Und als diese komischen Türme aufgetaucht sind?“, fragte das andere gefasster. Tageko seufzte, aber es klang erleichtert. Die früheren Vorkommnisse machten es einfacher, die Sache zu erklären. „Ja. Sie heißen Digimon. Und die hier seht, sind unsere Freunde. Das da ist Budmon.“ Sie hielt ihnen das kleine Digimon entgegen, das sich schüchtern noch kleiner machte. Während Tageko ihren Freundinnen erzählte, dass sie wohl oder übel gegen bösartige Digimon kämpfen mussten und das am besten geheim bleiben sollte, trat Taneo an Koukis Seite, der nachdenklich zum Einkaufszentrum zurücksah. Von hier aus sah die Zerstörung gar nicht so schlimm aus, aber das Gelände war abgeriegelt worden und man sah immer noch Blaulicht und neugierige Menschenmassen. Er fragte sich, wann das Mercurio das nächste Mal öffnen würde. „Wir dürfen jetzt keine Zeit mehr verlieren“, sagte Taneo. Kouki schwieg. „Wenn die Asuras bereits in unsere Welt gelangen können, müssen wir diesen Kampf so schnell wie möglich beenden.“ „Sie sind nicht erst jetzt in unsere Welt gekommen“, erwiderte Kouki beklommen. „Sie waren von Anfang an da.“ „Wie meinst du das?“ „Ich bin diesen beiden schon einmal begegnet – Fumiko auch. Das war, bevor wir zum ersten Mal in die DigiWelt gegangen sind. Ich glaube, sie sind durch dasselbe Tor gekommen, durch das Gennai uns unsere DigiVices geschickt hat.“ „Verstehe“, murmelte Taneo. „Aber du hast recht.“ Kouki deutete auf Tagekos Freundinnen, von denen eine es immerhin wagte, Budmon zu berühren. „Wir sollten auf jeden Fall verhindern, dass Menschen in unsere Kämpfe reingezogen werden.“ Taneo schnaubte. „Macht das einen Unterschied? Ob unschuldige Menschen oder unschuldige Digimon, es ist unsere Aufgabe, beide vor den Asuras zu schützen. Das Problem ist höchstens, dass Menschen deren Anblick nicht gewohnt sind. Und dass wir hier schneller Probleme mit der Polizei oder anderen … Autoritäten kriegen.“ Kouki schwieg wieder eine Weile nachdenklich. Salamon kam zu ihm und er hob es hoch, streichelte es. „Es ist sicher nicht falsch, wenn wir bald wieder in Aktion treten. Sorry, wenn du glaubst, ich hätte vor Liebestollheit die Welt vergessen“, meinte er mit einem schiefen Grinsen und einem Blick auf Fumiko, die eben sehr ruhig auf Tagekos andere Freundin einredete, die noch ziemlich aufgelöst wirkte. „Hab ich nicht behauptet. Wir müssen uns alle zusammenreißen. Morgen Treffen bei dir?“ „Geht klar.“   Die Sache mit dem Einkaufszentrum zog große Wellen nach sich. Die Medien berichteten wechselweise von einem Selbstmordattentäter mit Sprengstoffgürtel und einem Amokläufer mit Flammenwerfer. Über Digimon kam nur in Internetforen etwas, die sonst Verschwörungstheorien diskutierten, und wahrscheinlich würden auch die Klatschblätter diesbezügliche Vermutungen drucken lassen. Alles in allem waren sich die DigiRitter einig, dass sie noch mal glimpflich davongekommen waren. Tagekos Freundinnen würden angeblich auch dichthalten. „Wir haben ein neues Problem“, sagte Jagari. Immerhin er schien wie ausgewechselt, fand Tageko. Taneo dürfte gute Arbeit geleistet haben. Unter seiner einseitigen Frisur steckte wieder ein strahlendes Gesicht und er war hochmotiviert, klappte seinen Laptop auf und zeigte ihnen die Karte der DigiWelt. „Ich habe daheim probiert, Tore zu öffnen. Es geht nicht. In dem ganzen Bereich um den letzten Lichtsamen herum gibt es nur ein einziges Tor, das mein DigiVice öffnen konnte.“ Neugierig beugten sich die anderen vor. „Lass mich raten, das, das direkt in das Gebiet mit dieser Wüstenruine führt?“, fragte Taneo. „Genau. Das nächste funktioniere Tor ist ewig weit entfernt. Mindestens tausend Kilometer.“ „Und was sagt uns das?“, fragte Kouki. „Dass die Asuras nicht untätig waren. Diesmal ist es keine Falle, sondern eine Herausforderung“, sagte Taneo grimmig. „Du meinst, sie haben die Fernseher zerstört, um uns direkt zu dem Samen zu locken?“, fragte Tageko. „Sieht so aus. Sie wollen vielleicht nicht, dass wir so etwas wie mit Orochimon nochmal abziehen.“ „Wie viele von den Biestern leben jetzt eigentlich noch?“, fragte Renji. „Allzu viele können’s ja gar nicht mehr sein, oder?“ „Mal sehen.“ Jagari zählte sie an den Fingern ab. „Da waren Pumpkinmon und Karatenmon. SkullScorpiomon, Orochimon, Cerberusmon, LordMyotismon. Und DunkelWereGarurumon und FlaWizardmon. Macht acht.“ „Demnach gibt es noch vier“, sagte Fumiko. „Immer noch?“, rief Renji enttäuscht aus. „Ich dachte, wir hätten schon viel mehr erwischt.“ „Und wir kennen die vier übrigen nicht“, gab Kouki zu bedenken. Sein Blick glitt sehnsüchtig durch den Raum, dann lächelte er. „Irgendwie würd ich mir wünschen, Gennai würde mal wieder aufkreuzen und uns einen Tipp geben.“ „Das eine funktionierende Tor zu betreten hieße das tun, was die Asuras von uns wollen“, sagte Taneo. „Aber tausend Kilometer? Wollen wir so lange durch die DigiWelt reisen?“, fragte Tageko zweifelnd. „Wir haben drei Ultra-Digimon. Wenn uns alle vier Asuras dort erwarten, haben wir unter Umständen ein Problem. Wenn sie wieder gleich nach unserer Ankunft den Fernseher zerstören, erst recht. Wir könnten wieder aus irgendeiner anderen Richtung kommen. Wir legen so viel Distanz wie möglich pro Tag zurück. Wir nehmen einen unbeschädigten Fernseher mit, verstecken ihn am Abend irgendwo und reisen zurück in unsere Welt. Hier ruhen wir uns aus und am nächsten Tag nach der Schule machen wir weiter. So bringen wir den Fernseher stückchenweise vorwärts. Wenn wir auf Cyberdramon und Nefertimon fliegen, sind wir in ein paar Tagen bei der Ruine.“ „Und wenn die Asuras unseren Fernseher nachts finden, können wir von vorne anfangen“, entgegnete Renji. „Und wir kommen sowieso irgendwann bei der Ruine an, also wo ist der Unterschied?“ „Der Fernseher, den die Asuras für uns vorgesehen haben, könnte über einer Stachelgrube hängen“, sagte Tageko nur. „Oh.“   So entschieden sich die DigiRitter für ein trotziges und kräftezehrendes Vorhaben, das sie am Sonntag starten wollten und dann stückchenweise immer nach der Schule verfolgen wollten. Für Jagari sah das ein wenig wie ein Computerspiel aus, an dem man immer ein bisschen weiterspielte. Seit dem Gespräch mit Taneo fühlte er sich tatsächlich besser. Objektiv betrachtet konnte man wirklich nicht sagen, dass die anderen ihn irgendwie ausgrenzten. Und er hatte sich damit abgefunden, dass bei einer Freundschaft nicht zählte, wie man zueinander gekommen war. Auf Nefertimons Rücken saßen immer Kouki und Fumiko; Cyberdramon trug die anderen und war deshalb nicht so schnell wie sonst. Sie brauchten bis zum Mittwochabend, ehe sie die Wüste mit der Ruine erreichten. Dort versteckten sie ihren Fernseher in einer Felshöhle. Am Donnerstag würden sie extra früh losreisen und sich den Lichtsamen holen – selbst wenn das bedeutete, gegen vier Asuras gleichzeitig kämpfen zu müssen.   In fast feierlichem Schweigen schritten die DigiRitter und ihre Digimon durch den Sand. Kouki wusste nicht, ob er oder Fumiko zuerst nach der Hand des jeweils anderen gegriffen hatte. Der Himmel war von grauen Wolken bedeckt, obwohl sie in einer Wüste waren. Das konnte kein gutes Omen sein. Sie hatten die Ruine bereits einmal gesehen, doch nun prangte eine riesige metallische Kuppel darauf wie eine graue Warze. Die Asuras hatten den Zugang aus der Luft abgeschnitten. „Falls es gefährlich wird, fliehen wir sofort“, schärfte Tageko den anderen ein. Sie und Taneo gingen, flankiert von Cyberdramon und Blossomon, zuvorderst. Selbst Renji verzichtete auf eine genervte Antwort. Ein weiteres übles Omen. Sie mussten unter einem halb verfallenen Torbogen mit merkwürdigen Schriftzeichen darauf hindurch. Dabei traten sie in den Schatten der Kuppel, der sich wie ein zähes Gewicht auf ihre Schulter legte. Der letzte Lichtsamen … Sie mussten alles geben … Kouki drückt Fumikos Hand viel zu fest, aber sie gab keinen Mucks von sich. Die Ruine war vielleicht mal eine Arena gewesen, vielleicht aber auch irgendetwas, was es heute nirgendwo mehr gab. Zerborstene braune Mauern, keine mehr höher als hüfthoch, ragten aus Sanddünen hervor. Das Feld wurde umrahmt von Tribünen oder Logen, die so baufällig wirkten, dass es ein Wunder war, dass die gewaltige stählerne Kuppel, die auf ihnen ruhte, sie nicht einfach zerbröseln ließ. An der Unterseite hatte die Kuppel kleine eckige Lampen oder Fenster, die gedämpftes gelbes Licht in die Arena fallen ließ. Es wirkte, als schwebte ein riesiges UFO über der Ruine. Der letzte Lichtsamen war nicht im inneren Feld der Ruine zu sehen. Vielleicht war er in den oberen Logen des Gebäudes … Aber wahrscheinlich war er dort, wo das Asura ein weiteres unheilverkündendes Gerät aufgestellt hatte. „NeoDevimon“, sagte Kouki düster, der die Analyzer-Brille trug. „Level: Ultra. Ein Asura.“ Im hinteren Bereich des Gebäudes schien etwas Großes gewütet zu haben. Die Mauern waren vernichtet, als hätte eine Riesenfaust eine Handvoll Steine herausgebrochen. Sand hatte die Zerstörung zur Hälfte bedeckt, und ein metallischer Zylinder, groß wie ein Kleinwagen, steckte dort in dem Geröll. Der schwarze Rauch, der daraus hervorquoll, erweckte den Eindruck eines riesigen Kochtopfs, das Glühen an der Unterseite war das eines Gasherds. Wenn dem so war, dann war das skurrile Digimon, das dahinterstand, der Koch. NeoDevimon hatte Glieder wie ein Mensch, aber die Proportionen waren völlig falsch. Die Arme reichten bis zum Boden, die klauenbewehrten Hände und die schwarzen Stiefel waren doppelt so groß wie der Kopf, der von einer goldenen Maske mit Spinnenaugen bedeckt war. Die Kleidung des Digimons bestand aus Leder mit Goldplatten, die Brust war entblößt, wirkte aber roboterhaft und grau. Aus seinem Rücken sprossen große, rote Hautflügel. „Willkommen“, sagte das Asura. Die DigiRitter blieben stehen, ihre Partner nahmen kampfbereit Aufstellung. „Das ist es!“, rief Jagari plötzlich. „Das Digimon war bei mir auf dem Bildschirm! Es hat NBW gespielt!“ „Hä?“, fragte Renji. NeoDevimon kicherte. Selbst seine Stimme klang metallisch. „Ihr Menschenkinder begebt euch mehr und mehr in die Nähe unserer Digitalen Welt. Es war mir ein Leichtes, die virtuellen Welten, die ihr selbst erschaffen habt, zu durchsuchen. Ich wusste, irgendwann würde ich auf einen von euch treffen.“ „Es war ein Fehler, dass du hier allein auf uns wartest“, sagte Taneo. „Du hast keine Chance.“ „Aber ich bin nicht mehr lange allein“, entgegnete NeoDevimon. „Ich dachte schon, ich müsste ewig auf euch warten. Es wurde bereits kompliziert, es zu bändigen, so sehr hat die Chaossaat es genährt.“ „Wovon redest du?“, fragte Kouki. „Ist doch egal! Draufhauen und gut ist’s!“, sagte Renji. „Volcanomon!“ „Ha! Gern!“ Volcanomon führte sein Mikrofon zu den Lippen. In dem Moment schoss ein Strahl schwarz gefärbten Lichts aus dem Zylinder himmelwärts. Mehr Rauch quoll hervor, floss über den Boden, als würde der Kochtopf übergehen – und dann zwängten sich zwei rot glänzende Sicheln heraus, dann blasse Arme, ein Kopf mit Stacheln … Der Zylinder kippte um, glasige Flüssigkeit schwappte heraus und versickerte in Sand und Geröll und ein Digimon wurde ausgespuckt. Seine Haut war rosa, die Augen schmal, der Kopf geformt wie der eines Nagetiers. Eine einzelne Kralle steckte an jedem seiner Füße und ein dünner Schwanz peitschte durch die Luft. Mit seltsamen klickenden Geräuschen sah sich das Wesen um und schnupperte. „Okay …“, machte Renji. Ihre Digimon spannten sich an. Kouki schob sich die Brille wieder über die Augen, doch sie zeigte nichts an. „Ist das denn überhaupt ein Digimon?“, fragte er zweifelnd. „Was sollte es denn sonst sein?“, fragte Fumiko verwundert. NeoDevimon lachte scheppernd. „Es hat lange gedauert, es wieder digitieren zu lassen. Darf ich vorstellen? Arkadimon, das Verbotene!“ Endlich erschien ein Bild vor Koukis Augen. Die Brille zeigte das Wesen an, schrieb aber keine Daten dazu. „Arkadimon? Davon hat doch Gennai gesprochen!“, rief Jagari. „Er hat gesagt, es wäre vom Licht des letzten Heiligen Steins gebannt worden! Kouki, schalte mal durch die gespeicherten Digimon, da war ein Bild von ihm!“ Er tat wie geheißen und fand das Digimon schließlich – ein furchterregendes Ungetüm namens Arkadimon auf dem Ultra-Level, das dem hier aber nur entfernt ähnlich sah. Das rosa Ding ging den DigiRittern ja kaum bis zur Schulter! „Ich vermute, es ist noch nicht wieder auf dem Ultra-Level.“ Er schaltete wieder auf die normale Ansicht. Nun erkannte die Brille auch das Level des Digimons vor ihnen. „Rookie“, berichtete er. Renji brach in schallendes Gelächter aus. Auch die anderen entspannten sich merklich. Ein Rookie-Digimon war nun wirklich keine Gefahr mehr für sie. NeoDevimon klimperte mit seinen goldenen Krallen. „Unterschätzt besser nicht die Macht des …“ Weiter kam es nicht.   Tageko hatte von Anfang an befürchtet, dass an diesem Arkadimon etwas faul war – es sah so harmlos aus, dass es schon wieder verdächtig war. Sein Kopf zuckte schnuppernd hin und her, und irgendwann schien es zu bemerken, dass NeoDevimon ihm am nächsten stand. Es streckte eine seine Sicheln aus – und diese dehnte sich, wurde zu einem einzigen, flexiblen Stachel, der sich mitten in seinem Satz in NeoDevimons Brust bohrte. Die DigiRitter waren perplex, als das metallische Asura ein Krächzen ausstieß. Dann ließ der Stachel-Tentakel es los, und es fiel einfach vornüber. Und verschwand. Einfach so. Seine Datenreste glitzerten nur kurz um Arkadimons Stachel, das zirpte und sich den DigiRittern zuwandte. „Kouki, passt auf, irgendetwas stimmt nicht mit ihm!“, sagte Nefertimon, als wäre das nicht offensichtlich. „Zurück“, murmelte Taneo. „Schießt alle eine Attacke auf es ab und zieht euch dabei zurück.“ „Soll das ein Witz sein?“, rief Renji fassungslos. „NeoDevimon war einfach nur ein Weichei! Wir werden doch jetzt wohl nicht …“ Arkadimon schien ihn als sein nächstes Opfer auserkoren zu haben. Ein Stachel raste genau auf Renjis Stirn zu, der wie erstarrt dastand. Im letzten Moment warf sich Volcanomon dazwischen und fing den Stachel mit den Händen auf, nur um ihn dennoch selbst in die Brust zu bekommen. Mit einem ungläubigen Stöhnen digitierte es in gelbem Licht zurück. Der Stachel wurde schnalzend wieder zu Arkadimons Sichel. „Mein Gott!“, kreischte Renji mit hoher Stimme, als sein Digimon in die Arme hob. Seine Hände zitterten. Volcanomon war nicht einmal zu Kyaromon zurückdigitiert. Stattdessen war es ein einfacher Fellball mit Augen und langen Ohren geworden, so klein, dass das nur das allerniedrigste aller Digimon-Level sein konnte. „Was hast du mit ihm gemacht, du Monster?!“, schrie Renji Arkadimon an. Wie zur Antwort legte das Digimon den Kopf schief – und glühte rot auf. Kouki packte Renji am Arm. „Weg, los!“ Die DigiRitter liefen denselben Weg, den sie gekommen waren, nach draußen. Als Tageko einen Blick über die Schulter warf, sah sie, wie Cyberdramons Ausradierkralle, Blossomons Spiralblume und Nefertimons Fluch der Königin Arkadimon trafen. Der umgekippte Zylinder zerbarst in tausend Stücke, Geröll wurde zu Sand zermalmt, eine Staubwolke stob auf. Jenseits des Torbogens hatte Taneo seinen Rucksack abgestellt und holte eben den Fernseher heraus, den er für den Fall der Fälle mitgenommen hatte. Die DigiRitter stellten sich im Halbkreis um ihn herum auf, die DigiVices gezückt, bereit, in ihre Welt zu fliehen. Gebannt starrten sie zurück zu der hellbraunen Wolke. Hatten sie Arkadimon nicht vielleicht doch erwischt? Tageko hörte, wie Renji die Zähne bis zum Knirschen zusammenbiss. Die Digimon waren bis zu ihnen zurückgewichen. Die Wolke legte sich langsam. Dort war niemand mehr. Arkadimon war verschwunden. Die DigiRitter seufzten erleichtert auf. Dann explodierte die Steinmauer neben ihnen. Ein blasser Schatten tauchte durch die neue Schuttwolke. Die DigiRitter schrien auf, die Digimon fuhren herum. Ein Krachen, Knirschen und das Knistern von elektrischem Strom. Tageko hatte sich nicht geirrt, als sie das rote Licht vorhin gesehen hatte. Arkadimon war digitiert. Es war nun größer und hässlicher, hatte ausgefeiltere Gliedmaßen und winzige Flügel. Der geißeldürre Schwanz und der Nagetier-Insekten-Kopf waren derselbe. Und mit seinen Beinen, kräftig wie die eines Kängurus, war es direkt auf dem Fernseher gelandet und hatte ihn zu einer blitzenden, rauchenden Masse zerquetscht. „Scheiße!“, entfuhr es Kouki. Die DigiRitter wichen so schnell zurück, dass mehr als einer von ihnen mit den Schuhen im Sand den Halt verlor und auf den Hosenboden stürzte. Sofort prasselten von allen Richtungen weitere Attacken auf Arkadimon ein. „Kommt schon!“, rief Renji. Seine Kehle klang, als wäre auch sie mit Sand gefüllt. „Es ist immer noch erst auf dem Champion-Level!“ „Es hat schon als Rookie zwei Ultra-Digimon besiegt“, sagte Taneo düster. Die Sandwolke, die sich nach den letzten Attacken erhoben hatte, wurde zur Seite geweht, als Arkadimon die Flügel spreizte. Sie waren nun länger als zuvor. Es hatte sich mit den Händen geschützt und keinen einzigen Kratzer. Obwohl sie es mit all ihrer Kraft angegriffen hatten … „Das gibt’s doch nicht!“, rief Jagari. „Das ist … Das ist unfair!“ Arkadimon gab klickende Kicherlaute von sich. „Das hat so keinen Sinn“, sagte Tageko, ihre Stimme zitterte leicht. „Wir müssen weg hier!“ „Aber der Lichtsamen ist so nah“, knurrte Taneo und kaute auf seiner Fingerkuppe. „Es muss doch einen Weg geben …“ „Aber wir kommen nicht an ihm vorbei! Taneo!“, rief sie, als er keine Anstalten machte, sich zu bewegen. „Wenn wir es hier nicht besiegen können, wo es allein ist und wir zu sechst, wann dann?“, gab er wütend zurück. „Keine Ahnung!“, rief sie. „Ich weiß nur, dass dieses Biest ein Asura und dann Volcanomon besiegt hat, gründlich! Und das, als es noch auf dem Rookie-Level war!“ „Ich fürchte, Tageko hat recht“, meinte Kouki. Fumiko nickte. Taneo stieß die Luft aus. „Cyberdramon, kannst du uns hier rausbringen?“ Wie schon so oft dieser Tage sprangen die DigiRitter auf Cyberdramons Schultern und Nefertimons Rücken. „Ich kann noch kämpfen, und ich bin nicht so schnell“, sagte Blossomon und hob seine Pflanzenranke. „Ich werde es aufhalten.“ „Ich auch“, sagte Tyrannomon. „Nein, wirst du nicht“, sagte Tageko bestimmt. „Höchstens eine letzte Salve, dann digitierst du zurück und kommst mit uns.“ „Du auch, Tyrannomon“, sagte Jagari. Sie tauchten Arkadimon in eine Wolke aus Feuer und rotierenden Blüten, dann flogen ein Cyberdramon und ein Nefertimon mit einigen kleineren Digimon und den DigiRittern so schnell von der Ruine fort, als wäre der Teufel persönlich hinter ihnen her.   Taneo drehte sich auf Cyberdramons Schulter um. Wenn er nach vorne sah, raubte ihm der Flugwind ohnehin die Atemluft. „Siehst du etwas?“, brüllte Jagari in sein Ohr. Er strengte die Augen an. Ja, eindeutig. „Es verfolgt uns“, schrie er zurück. Arkadimon hatte seine Flügel weiter aufgespannt und flog ihnen hinterher. Es war nicht ganz so schnell wie Cyberdramon und Nefertimon, aber ihre Digimon würden sicherlich bald müde werden. „Und was tun wir jetzt?“, rief Renji von Cyberdramons anderer Schulter aus. „Es hat unseren einzigen Fernseher zerlegt!“ In seinen Armen hielt er das klägliche Etwas, das von dem einst so starken Volcanomon übrig war. „Wir können nur versuchen, ihm irgendwie zu entkommen“, meinte Tageko. „Wenn wir es abhängen, können wir in aller Ruhe einen neuen Fernseher suchen.“ „Ja. Nur dass dieses Ding dann in der DigiWelt Amok läuft“, sagte Taneo, so leise aber, dass es niemand außer ihm selbst hörte. Der Abend brach herein und er spürte, wie Cyberdramon ermüdete. Sie hatten die Wüste hinter sich gelassen und überflogen einen dichten Nadelwald. Taneo gab Kouki und Fumiko mit Gesten zu verstehen, dass sie landen mussten. Sie wählten dazu eine kleine Klippe und schlugen sich sofort tiefer in den Wald. Mutlos marschierten sie zu Fuß weiter, die Digimon wieder im Kleinformat. Kaum jemand sprach ein Wort, sie alle hingen trüben Gedanken nach. Ein Digimon, das plötzlich um so viel stärker war, als es sein sollte? Wo war der nächste Fernseher, durch den sie diese Welt verlassen konnten, in der sie plötzlich nur noch Gejagte waren? Oder gab es doch eine Möglichkeit, Arkadimon zu besiegen? Konnten sie von anderen Digimon Hilfe erwarten? Oder von Gennai? Wie konnten sie ihn kontaktieren? Würden die Digimon ihre Partner beschützen können? Waren sie überhaupt qualifiziert dazu, wenn sie einem Champion-Digimon nicht beikamen? Die ganze Zeit, bis die Dunkelheit hereinbrach und sie sich eine verlassene Digimon-Höhle als Nachtlager aussuchten, behielt Taneo den Himmel im Auge. Arkadimon war nicht zu entdecken. Es war aber eindeutig in ihre Richtung geflogen; hätte es den Kurs beibehalten, müsste es über sie hinweggerauscht sein. Das bedeutete, es wusste, dass sie hier waren. Es war gelandet und suchte in diesem Wald nach ihnen. So begann die Flucht der DigiRitter vor Arkadimon. Und keiner von ihnen ahnte, dass sie die DigiWelt nie wieder durch einen Fernseher verlassen würden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)