Digimon 00001100 von UrrSharrador (Samsara Madness [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 4: Der Jäger der Asuras ------------------------------- Kouki ließ die Beine über die Klippe baumeln und grübelte finster vor sich hin. Vor ihm erstreckte sich meilenweit das grüne Blätterdach des Waldes, der Himmel zog langsam sein Dämmerkleid aus und schlüpfte in sein samtenes Nachtgewand. Seine heftige Reaktion tat ihm bereits wieder leid, aber … Es war doch wohl ein schlechter Scherz. Yuki war noch keinen Tag lang tot und schon kam so ein … Ding daher, das aussah wie ein Hund, und das behauptete – ja, wirklich behauptete, es konnte sprechen! –, es wäre sein Partner. Kouki stieß einen Stein an, der klackend in die Tiefe stürzte. Die anderen würden sich garantiert wundern, was in ihn gefahren war. Aber sollten sie doch. War ja nicht so, als wären das seine Freunde.   „Hey, Macho“, sagte Tageko, nachdem sie eine Weile schweigsam auf der Lichtung gestanden waren. Fumiko saß auf dem Baumstamm und streichelte gedankenverloren das Ei. Renji tat, als wüsste er nicht, dass die Staffelläuferin ihn meinte. „Du kennst diesen Kouki besser als wir. Müssen wir uns Sorgen um ihn machen?“, fuhr das Mädchen fort. Renji zuckte mit den Schultern und warf Salamon einen Blick zu, das wie ein begossener Pudel – Renji fand dieses Wortspiel genial – auf dem Boden lag und traurig ins Leere starrte. „So gut kenn ich ihn auch wieder nicht. Keine Ahnung, was er hat.“ „Er hat einen Namen gesagt“, erinnerte sich Taneo. „Yuki, wenn ich mich nicht täusche.“ Wieder konnte Renji nur mit den Schultern zucken. Da schnelle Flattern von Flügeln ließ sie aufsehen. Salamon richtete sich auf und zuckte mit den Ohren und auch die anderen Digimon wirkten alarmiert. Renjis lebende Kerze kniff die Augen zusammen und starrte in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Das Blattwerk naher Bäume raschelte, dann kam taumelnd ein pinkfarbenes Digimon – wenn es eines war – in ihr Sichtfeld. Es sah lustig aus, fand Renji, ein großer Kopf mit schimmernden Augen, aus dem kurze Ärmchen und noch kürzere Beinchen sprossen. Weiße, lange Flügel flatterten und ließen das Laub zittern. In den Händen trug das Digimon einen alten Fernsehbildschirm, den zu schleppen seine ganze Kraft zu erfordern schien. „Ah … endlich!“, ächzte es. „Seid ihr die DigiRitter?“ „Sind wir das?“ Renji sah sich fragend um. „Kommst du von Gennai?“, fragte Kokuwamon, das Hirschkäfer-Ding, zu dem Taneos Stachelball geworden war. „Aye.“ In einem steilen Winkel ging das kleine Wesen zu Boden und landete neben Fumiko auf dem Baumstamm. Seufzend stellte es den Monitor ab und streckte sich. „Endlich. Ich dachte schon, ich komme zu spät und ihr seid weitergegangen.“ „Die Digimon haben gesagt, wir sollen hier warten“, sagte Tageko. „Wer bist du?“ „Ich bin Piximon.“ Das kleine, feenartige Wesen schüttelte die Flügel aus. Renji bemerkte, dass es außer dem Fernseher auch noch einen eisernen Stab dabei hatte. „Gennai glaubt, dass ihr viele Fragen haben werdet, aber ihr sollt euch noch gedulden. Ich habe hier eine Nachricht von ihm, und es ist wichtig, dass ihr sie ganz schnell hört.“ Es drückte mit seinen winzigen Fingern auf den Knöpfen herum, die unter dem Bildschirm angebracht waren, der daraufhin zu flimmern begann, ehe ein Bild sichtbar wurde. „Seid gegrüßt“, ertönte es blechern aus den Uralt-Lautsprechern. Renji und die anderen drängten sich vor den Apparat, um einen Blick auf den Mann zu werfen, der darin sichtbar geworden war. Er war wohl zwischen zwanzig und dreißig Jahren alt, hatte eine markante Nase, strahlend blaue Augen und braunes Haar. „Es tut mir leid, dass ich nicht persönlich vor euch treten kann, aber wir mussten umdisponieren. Es geht gerade sehr chaotisch zu in der DigiWelt und der Jäger der Asuras ist mir auf den Fersen. Mein Name ist Gennai, und ich bin sozusagen dafür verantwortlich, dass ihr jetzt hier seid. Unsere Situation verdient eigentlich eine längere Erklärung, aber dafür ist keine Zeit. Hört mir gut zu, DigiRitter. Ihr seid in Gefahr, seit ihr unsere Welt betreten habt. Es war wichtig, dass ihr einmal durch das Tor geschritten seid, damit eure DigiVices kalibriert werden und ihr eure Digimon trefft. Aber jetzt sollte euer vorrangiges Ziel sein, wieder in eure Welt zurückzukehren. Ich werde versuchen, dort mit euch Kontakt aufzunehmen. Jetzt, da ihr schon einmal hier wart, sollte es mir leichter gelingen.“ „Was redet der Typ für einen Stuss?“, fragte Renji. „Pscht!“, herrschte ihn Jagari an, der förmlich an Gennais Lippen klebte. „Ihr könnt mit euren DigiVices und diesem Fernseher in eure Welt zurückkehren. Von dort aus könnt ihr dann mit jedem beliebigen Computer wieder die DigiWelt betreten“, fuhr Gennai fort. „Wenn ihr noch Fragen habt, wird Piximon sie euch vielleicht beantworten können. Ich kann euch momentan nur mit wenig Rat zur Seite stehen, der Jäger der Asuras …“ „… ist es leid, einem Geist hinterherzujagen!“, rollte eine Stimme direkt durch den Erdboden, kratzig und krächzend, übertönte Gennai und ließ einen Schauer über Renjis Rücken laufen. Im selben Moment brach der Boden vor ihnen auf, Erde und Steinchen spritzten auf, Laub wurde durch die Luft gewirbelt, in Sekundenbruchteilen wurden bleiche, knöcherne Scherenarme sichtbar, gefolgt von vielgliedrigen Insektenarmen und einer hässlichen Knochenfratze mit glühenden Augen. Das lange Digimon schnellte in die Höhe und fauchte sie durchdringend an. Renji brüllte vor Schreck auf, stolperte rückwärts und fiel auf den Hosenboden. Ihre Digimon kreischten auf und versammelten sich schützend vor ihren Partnern, die allesamt erschrocken zurückwichen. Fumiko war kreideweiß geworden, sie hatte das Ei fest umklammert und drückte es an sich. Das bleiche Insektenwesen, das so lang war wie ein kleiner Van, riss kichernd das Maul auf und blitzende Lichtnadeln schossen in ihre Richtung. Piximon schnellte zwischen sie und das Monstrum. Sein Stab rotierte, zischend wurden die Lichtblitze abgewehrt. Einige fuhren noch vor dem Digimon in den Boden und gruben rauchende Löcher hinein, ein Strahl streifte den Fernseher. Mit einem Knall barst ein Stück aus seiner Abdeckung, schwarzer Qualm waberte auf und Gennais Bild verschwand mitten im Satz. Der knöcherne Skorpion landete schwer auf dem Waldboden und richtete angriffslustig seinen Stachelschwanz auf. „Was ist das?“, schrie Renji aufgelöst. Seine Knie zitterten so stark, dass es ihm nicht gelang, aufzustehen. „Ein Boss! Das muss der erste Bossgegner sein!“, rief Jagari heiser aus und Renji hätte ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen. Renji sah, dass keiner der anderen so unrühmlich hingefallen war wie er, Taneo war erbleicht und zurückgewichen, Jagaris Augen leuchteten und Tageko starrte das Digimon aus großen Augen mit offenem Mund an. Verdammt, warum hatte er plötzlich solche Angst? Piximon landete auf dem Baumstumpf und streckte in einer beschützenden Geste den Stab aus. „Das ist SkullScorpiomon“, sagte es und klang mehr als nur beunruhigt. Gegen den Skorpion wirkte es geradezu lächerlich winzig. „Der Jäger der Asuras. Aber eigentlich sollte es …“ Es brach ab. „Gennai hinterherjagen, wolltest du sagen?“ SkullScorpiomons Stimme war grauenhaft, kratzend und schabend. Seine Zangen klackten. Geifer tropfte aus seinem Maul. „Ich lerne aus meinen Fehlern. Was ist wohl süßer – eine weitere Kopie dieses Feiglings zu zerstören, oder die DigiRitter zu töten?“ „Hat es … Hat es gerade töten gesagt?“ Renjis Stimme war so piepsig, dass er sich selbst dafür verwünschte. Dabei hoffte er im Augenblick eigentlich nur, die Kontrolle über seine Blase zu behalten. „Keine Sorge, wir beschützen euch“, sagte Candlemon entschlossen. Die anderen Digimon gaben Worte der Zustimmung von sich, sogar Salamon. SkullScorpiomon hatte dafür nur ein krächzendes Lachen übrig. „Seid vorsichtig“, sagte Fumiko. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieses Ding anders ist als das Kiwimon von vorhin.“ SkullScorpiomon lachte noch lauter, es klang, als würde jemand Nägel über eine Schultafel ziehen. „Kommt!“, schrie Candlemon. „Alle zusammen!“ „Wartet!“, rief Piximon aus, doch die Digimon übertönten es einfach. Feuer, Pilze und elektrische Blitze schlugen dem Skelettwesen entgegen. SkullScorpiomon wich nicht einmal aus. Die Attacken prallten an seiner knöchernen Haut ab, ohne es auch nur ins Wanken zu bringen. Salamons schrilles Jaulen ertönte, doch was auch immer das bewirken sollte, es funktionierte nicht. Kokuwamon stürzte surrend auf den Feind zu, die Fühlerkontakte elektrisch knisternd, doch ein einziger Hieb mit einer knöchernen Klaue schleuderte es ins Dickicht davon. „Kokuwamon!“, rief Taneo aus. Der kleine Spinner wollte seinem Kamikaze-Digimon tatsächlich hinterher laufen. „Bleib hier du Idiot!“, brüllte Renji und schaffte es endlich aufzustehen. Fauchend wie eine Schlange krabbelte SkullScorpiomon auf Taneo zu, sein Stachel blitzte im schwindenden Tageslicht auf … Ein pinkfarbener Schemen stürzte zwischen die beiden. „Grubenbombe!“ Piximon machte etwas mit seinem Speer, und eine dröhnende Explosion erschütterte die Lichtung. Renji hatte einen halbherzigen Schritt auf Taneo zugemacht, blieb aber stehen, als er spürte, wie die Druckwelle sein blondes Haar zerzauste und flattern ließ. Fliegengewicht Jagari, der begeistert noch ein paar Schritte auf dieses doch so phänomenal animierte Monster zugegangen war, verlor das Gleichgewicht und stürzte. SkullScorpiomon war mit einem Mal von einer schwarzen Rauchwolke eingehüllt. Hatte das kleine Piximon diese Bombe ausgelöst? Taneo warf der Rauchwolke nur einen Blick zu, dann rannte er weiter und verschwand zwischen den Bäumen. Ein Fauchen ertönte, und SkullScorpiomons Scherenarme teilten die Rauchwolke und griffen pfeilschnell nach Piximon, das sich nicht schnell genug in Sicherheit bringen konnte. Die scharfen Klauen erwischten seinen Stab und für einen Moment glaubte Renji, dass dieser zerspringen müsste. So sehr Piximon auch daran zerrte und sich abmühte, es bekam ihn nicht los. „Candlemon! Hilf ihm!“, schrie Renji seinem selbsternannten Partner zu, obwohl er irgendwie ahnte, dass es nichts brachte. „Los, Freunde!“, feuerte Candlemon tatsächlich die anderen Digimon an. Wieder setzte ein Hagel aus Attacken ein, der wirkungslos an SkullScorpiomons Knochenpanzer verpuffte. „Scheiße! Verdammt! Wir sind erledigt!“, schrie Renji. Er wusste, alles, was zwischen ihnen und dem sicheren Tod im Magen dieser Kreatur stand, war das Piximon, das nicht einmal die Kraft besaß, seine Waffe loszureißen. „Jetzt reiß dich mal zusammen!“, schrie Tageko zurück. Ihr Pilzdigimon schoss unermüdlich seine Pfifferlinge auf den Feind, der darüber nur krächzend lachte. „Also sollst du mein erstes Opfer heute sein“, zischelte SkullScorpiomon und öffnete sein Maul direkt vor Piximons Körper. Das kleine Digimon ließ seinen Stab los, doch die zweite Zange schloss sich so fest um seinen winzigen Körper, dass es aufschrie. „Fumiko!“, schrie Renji verzweifelt. „Wenn dein Ei je vorhat zu schlüpfen, soll es das jetzt tun!“ Doch Fumiko war wie erstarrt und ihr Ei ebenso. Jagari saß am Boden und gaffte sein aufgeschrammtes Knie an, als könnte er nicht fassen, dass er blutete. Der Junge war kreidebleich geworden, während sein Elecmon-Haustier einen wirkungslosen Stromschlag nach dem anderen gegen SkullScorpiomons Seite schickte … Renji wusste, er musste etwas tun, er war der Einzige, der etwas tun konnte, er war der Mann in diesem Haufen, würde den Ruhm einstecken und Fumiko beeindrucken, genau! Das verlieh seinen zitternden Beinen Kraft. Er schritt auf SkullScorpiomon zu. „Hey, du … hässliche Kröte!“ SkullScorpiomons gelb glühende Augen rollten zu ihm. „Willst du noch vor Piximon sterben?“, krächzte es und Renjis Blut gefror ihm einmal mehr in seinen Adern, doch er zwang seine Furcht auf dieselbe Weise nieder, wie er es stets tat – er motzte andere an. „He, Jagari!“, rief er mit hysterisch klingender Stimme. Der blonde Junge sah ihn apathisch an. „Hast du jetzt endlich kapiert, dass das hier kein verdammtes Spiel ist?“ Jagari antwortete nicht, aber sein gehetzter Blick sprach Bände. Renji drehte sich suchend um. „Und wo ist Taneo, dieser Feigling? Versteckt er sich in einer Höhle?“ SkullScorpiomon sah ihn an und klackerte amüsiert mit seinen Kauwerkzeugen, das Piximon immer noch in festem Griff. Da sah Renji, wie Taneo wieder aus dem Dickicht trat – auf seiner Schulter saß Kokuwamon, das sich abstieß und von hinten auf den riesigen Knochenskorpion zuflog. Das große Jägerdigimon bemerkte es trotzdem. Sein knöcherner Schwanz peitschte durch die Luft und fegte den Käfer davon. „Kokuwamon, wieder zurück!“, rief Taneo. Renji sah, dass er einen dicken Ast in der Hand hielt und vorsichtig näherschlich. Das gab ihm schließlich den Rest. Dieses kleine, lästige Nervenbündel sollte mehr Mut haben als er selbst? Unmöglich! Er würde ihn nicht allein im Rampenlicht stehen lassen! „Okay!“, rief Renji aus und trat seinerseits auf SkullScorpiomon zu, strich sich zitternd eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht und breitete dann die Arme aus. „Das ist jetzt genug! Lass das kleine Ding los und kämpf mit uns! Wir sind eher in deiner Größenordnung, meinst du nicht?“ SkullScorpiomon maß ihn aus seinen kleinen, glühenden Augen. „Es macht keinen Spaß, wenn sich die Beute selbst stellt“, schnarrte es. „Dich heb ich mir bis zuletzt auf. Zuerst kommen deine Freunde dran.“ „Nein, kommen sie nicht!“, rief Renji. Ein Schweißtropfen lief von seiner Schläfe über seine Wange. Er stellte sich demonstrativ zwischen das Digimon und Fumiko und war Candlemon zutiefst dankbar, dass es neben ihn hoppelte. Aber täuschte er sich, oder leuchtete das Kerzendigimon …? „Renji, das Gerät!“, rief Taneo plötzlich. „Das Gerät?“ Er sah an sich herab. Das Ding, das Gennai DigiVice oder so ähnlich genannt hatte und das er in der Bauchtasche seines Trainingsanzugs trug, hatte wieder zu glühen begonnen, schwach nur und durch den Stoff zusätzlich gedämpft, aber trotzdem. „Ha! Das ist gut!“, rief Candlemon. „Weiter so, Renji!“ Es glühte tatsächlich. SkullScorpiomon erstarrte und senkte den Kopf. „Das Licht der Digitation“, zischte es. Piximon in seinen Klauen wand sich, um in seine Richtung zu sehen. SkullScorpiomon reckte seinen Schwanz in die Höhe. „Als ob ich das zulassen würde!“ Es krabbelte auf seinen zahlreichen Beinen näher. Die gezackte Klinge auf der Spitze seines Schweifs blitzte rötlich im Abendlicht auf. Renji schluckte. Seine Fantasie schickte ihm ein schreckliches Bild vor sein inneres Auge, in dem er sich selbst sah, aufgespießt und zerhackt von diesem Ungetüm, und seine Knie wurden wieder weich und er wich zurück. Das Licht erlosch. „Renji!“, rief Candlemon und klang enttäuscht. „Was ist los? Wir hätten es fast gehabt!“ „K-Klappe“, gab Renji zurück und war mit den Nerven am Ende. SkullScorpiomon blieb stehen und zischte, es klang seltsam erleichtert – und diesen kurzen Augenblick nutzte Piximon aus. Zwar konnte es sich nicht befreien, aber es entriss seinen Stab aus der zweiten Klaue des Skorpions und schwang ihn in einem weiten Bogen. „Grubenbombe!“ SkullScorpiomon stieß ein Fauchen aus, als ein Knall es erneut eine schwarze Rauchwolke hüllte. Piximon stürzte mit rasenden Flügelchen aus den Schwaden, flog in die Mitte der Menschen und riss den Stab hoch. Eine Art schimmernde Blase bildete sich um sie, schloss sich schmatzend und hob sie alle hoch. Renji zuckte zusammen, als sie mit einem Ruck davonflogen, Taneo und Kokuwamon einsammelten und kreuz und quer durch die Bäume zischten. Tief durchatmend sackte Renji an der runden Wand der Blase zusammen. „Wow. Also, danke, Piximon“, murmelte er. „Du bist zwar klein, aber du hast uns gerade den Arsch gerettet.“ „Warum hast du aufgehört, Renji?“, nervte Candlemon. „Fast wäre ich digitiert!“ „Halt die Klappe, ich diskutier nicht mit Kerzen“, gab Renji müde zurück. Taneo hockte sich neben Jagari auf den Boden der Blase, durch die man verschwommen den vorbeirasenden Wald sehen konnte. „Alles okay mit dir?“, fragte er. Jagaris Pyjama war am Knie zerrissen und die Haut ziemlich übel aufgeschürft, er hatte wohl einen Stein oder so erwischt. Fassungslos schüttelte der blonde Junge den Kopf. Die Strähnen, die sein rechtes Auge verdeckten, wippten lustig. „Kein Spiel … Aber es kann nur ein Spiel sein … Vielleicht bin ich wirklich hingefallen und … Aber warum würde mein Knie dann hier bluten …“ „Der ist hinüber“, stellte Renji fest und fing sich einen bösen Blick von Taneo ein. „Piximon, sag uns die Wahrheit“, verlangte Tageko. Die hochgewachsene Läuferin hatte die Arme verschränkte und lehnte am Rand der Blase. „Deine Attacke hat diesen Skorpion nicht in seine Einzelteile zerlegt, oder?“ Piximon schüttelte den Kopf – was bedeutete, es wackelte mit dem ganzen Körper. „Leider nein. Dafür ist SkullScorpiomon zu zäh.“ Die schillernde Blase erreichte den glatten, grauen Stamm eines besonders mächtigen Baumes, und ehe einer von ihnen erschrocken aufschreien konnte, flogen sie mitten durch die Rinde, als wäre sie Luft. Piximon löste die Blase mit einem Wink seines Stabes auf und sie fanden sich im Baumstamm wieder, innerhalb einer hohen, flimmernden grauen Röhre. Dann drückte es auf eine Art Knopf an der Wand, und das Flimmern erstarb und die Rinde war wieder massiv. Diese Welt kam Renji immer unwirklicher vor. „Die Digimon haben vorher etwas von Asuras gesagt“, erinnerte sich Taneo und warf den ungewöhnlichen Wesen einen Blick zu. „Gehört dieses Ding auch zu diesen Asuras?“ „Aye“, machte Piximon. „Das war SkullScorpiomon. Eigentlich hätte es auf Gennais Fersen sein müssen. Aber es scheint stattdessen mir gefolgt zu sein.“ „Wer ist denn jetzt eigentlich Gennai?“, fragte Tageko. „Und wer sind diese Asuras?“ Piximons niedliches Gesicht wurde grimmig. „Die Asuras sind momentan die größte Bedrohung für unsere Welt. Zwölf mächtige Digimon, die die DigiWelt mit Dunkelheit und Chaos überziehen. Um sie zu besiegen, seid ihr hier.“ „Warte mal, hast du gesagt, zwölf?“ Renji stellte sich zwölf dieser Skorpione auf einmal vor. Ein Schauer lief über seinen Rücken. „Sonst geht’s euch gut? Du kannst wenigstens diese Bomben schmeißen, aber wir? Wir sind nur Menschen!“ Das kleine Digimon sah ihn seltsam an. „Habt ein bisschen mehr Vertrauen in eure Fähigkeiten. Gennai hat all seine Hoffnungen in euch gesetzt. Und Azulongmon auch.“ „Wer ist Azulongmon?“, fragte Tageko. Sie und Renji schienen die Wortführer zu sein. Das war auch nur recht und billig, fand er, schließlich waren sie beide die Ältesten und Größten. „Einer der vier großen Beschützer der DigiWelt“, antwortete Piximon. „Ihr könntet es so etwas wie unseren Schutzgott nennen.“ „Prima. Das ist ja schon mal ein Anfang.“ Renji knackte mit seinen Fingerknöcheln. „Wo finden wir diese Schutzgötter? Die müssen ihrem Job ja wirklich lasch nachgehen.“ Piximons Mienenspiel nahm eine traurige Note an. „Ihr findet sie nirgendwo. Die Asuras haben sie in einen ewigen Schlaf gebannt.“ Renjis Mund klappte auf. „Sag mal, seid ihr eigentlich noch zu retten? Eure Götter haben gegen diese Monster verloren, und wir sollen sie besiegen? Wir sind doch nur Menschen – und die Hälfte von uns sind noch Kinder.“ „He“, machte Jagari beleidigt. Piximon seufzte. „Ich hätte mir denken können, dass ihr so reagiert. Aber ihr seid die letzte Hoffnung für die DigiWelt. Fürs Erste solltet ihr aber in eure eigene Welt zurückkehren. Es sind einige Dinge nicht so gelaufen wie geplant. Gennai hat ein Tor geöffnet, das euch in die DigiWelt gerufen hat, und dabei wurden eure DigiVices und das Tor aufeinander kalibriert. Ihr könnt jetzt jederzeit mithilfe von Computern in die DigiWelt reisen. Wartet am besten in der Menschenwelt, bis Gennai Kontakt mit euch aufnimmt. Da seid ihr wahrscheinlich sicherer.“ „Wahrscheinlich“, schnaubte Renji. „Wie beruhigend.“ „Aber um zurückzukommen, brauchen wir doch diesen Fernseher, oder?“, fragte Fumiko. Erst jetzt bemerkte Renji, dass sie neben ihrem Ei auch noch den alten Monitor in den Armen trug. „Es wird immer besser und besser“, murmelte Renji sarkastisch. Der Bildschirm war tot; er hatte einen großen Sprung und ein Stück der Abdeckung war abgesplittert. „Unsere Rückreisemöglichkeit ist hinüber.“ Jagari schien plötzlich aus seiner Starre zu erwachen, als er den kaputten Fernseher sah. Vielleicht erinnerte er sich, dass er gerade seine Kindersendung sehen wollte. Die, in der es um so ein gottverdammtes Computerspiel ging. Der Junge leckte sich mit der Zunge über die Lippen. „Piximon, darf ich mal kurz deinen Stab haben?“ Das fellige Digimon reichte ihn dem blonden Jungen, der die Spitze am Fernseher ansetzte und begann, den Rest der Abdeckung herunterzuhebeln. „Was zum Teufel tust du da?“, fragte Renji gereizt. „Das da ist ein Fernseher“, stellte Jagari fest. Was für ein kluger Junge er doch war. „Keine Kristallkugel oder ein magischer Spiegel oder so was, sondern ein elektronisches Gerät. Vielleicht kann ich ihn reparieren.“ Er benutzte den eisernen Stab als Schraubenzieher und arbeitete sich bis in die Eingeweide des Bildschirms vor. Der Riss in der Mattscheibe wurde noch breiter, aber er störte sich nicht daran. „Sagt mal“, murmelte Piximon plötzlich alarmiert, als wäre ihm plötzlich etwas aufgefallen. „Wie kommt es, dass ihr nur zu fünft seid? Haben wir nicht sechs DigiVices in die Menschenwelt geschickt?“ „Oh …“ Über dem ganzen Chaos mit SkullScorpiomon hatte Renji Kouki komplett vergessen. „Verdammt! Einer von uns ist davongelaufen, bevor du gekommen bist!“ „Salamon ist auch weg“, rief Elecmon. „Was?“ Kokuwamon sah sich um. „Seit wann?“ „Ich glaube, in der Blase war es noch da!“ „Der Welpe sucht sicher Kouki“, murmelte Renji. „Das ist eine Katastrophe!“ Piximon flatterte aufgeregt auf und ab. „SkullScorpiomon ist noch da draußen!“ In dem Moment knirschte etwas ohrenbetäubend. Auf nicht ganz zwei Metern Höhe fraßen sich zwei bleiche, spitze Klauen in den Stamm. Rundherum fuhren sie, wie ein Dosenöffner, glitten durch die graue Rinde wie durch Butter, und schließlich knickte der Stamm weg und stürzte geradezu absurd langsam und raschelnd um. Renji, Taneo, Fumiko und Tageko schrien auf, als SkullScorpiomons Totenschädel über ihnen in der Röhre erschien. „Ich kann euch riechen“, gackerte es. „Habt ihr geglaubt, ihr könnt mir entkommen?“ „Jagari, beeil dich!“, schrie Renji, als der Skorpion sich in den Stamm quetschte und langsam die Wand herunterkroch. Sie duckten sich, doch die Beine des Digimons waren nur noch zentimeterweit von ihnen entfernt. Jagari werkelte fieberhaft an dem Fernseher. Ein elektrisches Knistern ertönte, er zuckte zurück, griff noch einmal zu und rief dann: „Fertig!“ Ein körniges Rauschen war auf dem unversehrten Teil des Bildschirms zu sehen. Piximon riss ihm den Stab aus der Hand und flog damit auf SkullScorpiomon zu. Ein Lichtblitz verließ das Maul des Asuras, den Piximon mit dem Stab abwehrte. „Beeilt euch!“, schrie es keuchend, während der Skorpion abermals eine Klaue um es schloss. „Drückt auf den Knopf rechts unten und haltet eure DigiVices vor den Fernseher!“ „Die Dinger? Meinst du so?“ Jagari zog sein Gerät und richtete es auf den Apparat, dann drückte er auf den ausgeleierten Knopf in der Ecke des Apparats. Mit einem saugenden Geräusch wurden sein Körper und der von Elecmon in den Bildschirm gezogen, wie ein Staubsauber eine Sandfigur eingesaugt hätte. Fumiko war die nächste, die mit ihrem Ei folgte. Über ihnen ließ Piximon eine neuerliche Grubenbombe zerplatzen. „Was ist mit Kouki?“, fragte Taneo, aber Renji stieß ihn in Richtung Apparat. „Mach schon, oder willst du draufgehen?“ Während Taneo und Kokuwamon im Bildschirm verschwanden, schrie Piximon über ihnen laut auf. Renji sah, dass SkullScorpiomon es im Maul hatte. Kurz flackerte sein Blick zu dem Schalter an der Stamminnenwand. Und wenn Kouki doch in Gefahr war? „Was ist los, Großer?“, rief Tageko hinter ihm. „Er muss wohl oder übel allein klarkommen. Du hast es eben selbst gesagt, wenn wir noch länger warten, sind wir tot!“ Renji schluckte, vergewisserte sich, dass Candlemon neben ihm war, und drückte mit gezücktem DigiVice auf den Knopf unterhalb des Monitors. Die Welt geriet aus den Fugen. Und war kurz darauf wieder so richtig in Ordnung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)