Endormis von Friedi ================================================================================ Kapitel 19: Endormis -------------------- Protagonist: James Potter *** Der Mann trug einen Bowler und einen langen Nadelstreifenumhang. Bei näherer Betrachtung glaubte ich mich zu erinnern, dass ich ihn vor ein paar Jahren schon einmal gesehen hatte. Er arbeitete in der Ministeriumsabteilung für magische Unfälle und Katastrophen. Ich fragte mich, was er mit Sirius‘ Fall zu tun hatte. Andererseits jedoch hatte ich auch 12 Jahre verschlafen. Es war also gut möglich, dass er inzwischen in eine andere Abteilung versetzt worden war. Der Ministeriumsmitarbeiter wirkte mehr als nur überrascht, uns zu sehen. Er blickte abwechselnd von Sirius zu Peter, schließlich zu mir und wieder zu Sirius. Man konnte ihm regelrecht ansehen, wie er versuchte sich einen Reim auf das zu machen, was er sah. „Cornelius“, begrüßte Dumbledore den Mann freundlich. „Wie schön, dass du es dir einrichten konntest zu kommen. Wie es scheint, gibt es einige neue Informationen, die ein neues Licht auf den Fall ‚Sirius Black‘ werfen.“ Während Dumbledore ihm also die Geschichte erklärte, teilte Sirius mir im Flüsterton mit, dass es sich bei dem Zauberer um den aktuellen Zaubereiminister, Cornelius Fudge, handelte. „War damals nicht dieser Crouch der absolute Favorit, um die Nachfolge für Ministerin Bagnold anzutreten?“, fragte ich in unserer Zeichensprache. Ich wollte den Minister nicht gerade mit der Nase darauf stoßen, dass wir über ihn tuschelten. „Wer weiß“, erwiderte Sirius. „Ich saß immerhin 12 Jahre in Askaban und ich habe mich mit Jana eher nicht über Politik unterhalten. Aber eventuell weiß sie ja mehr darüber, falls es dich so brennend interessiert.“ „Zumindest kann es nicht schaden, etwas über die aktuellen Gegebenheiten Bescheid zu wissen, oder?“ „Kann schon sein. Das war in den letzten Monaten allerdings nicht gerade meine oberste Priorität gewesen.“ Ich zuckte mit den Schultern und lauschte wieder dem Gespräch zwischen Dumbledore und dem Zaubereiminister. Der schien noch nicht so recht fassen zu können, was er gerade gehört hatte und musste alles für sich wiederholen, was Dumbledore ihm erklärte, um ganz sicher zu gehen, dass er es auch wirklich verstanden hatte. „Also … ähm … Peter Pettigrew war also der Geheimniswahrer der Potters?“, fragte er. „Das ist richtig“, mischte ich mich ein. „Er und Sirius haben getauscht.“ „Und … und Pettigrew war es auch, der all diese Leute umgebracht hat?“, stammelte er. „Ja, ebenfalls richtig“, bestätigte Sirius. „Aber was ist mit seinem Finger? Der war doch das größte Stück, was von ihm übrig war!“ „Nun, also ich würde sagen, dieses Stück hier von ihm ist definitiv größer als sein Finger, den er sich selber abgetrennt hat.“ Sirius deutete mit einem Fußtritt auf Peter, der immer noch bewegungsunfähig am Boden lag. Seine kleinen wässrigen Augen huschten panisch umher, aber zu einer Reaktion war er nicht imstande. „Nun …“, stammelte Fudge. „Ja … das lässt sich wohl nicht bestreiten.“ Er zog ein Taschentuch aus seinem Umhang und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Aber, Dumbledore, sagten Sie nicht einmal, Black hätte schon zu Schulzeiten gelegentlich etwas in die Luft gesprengt?“, erkundigte er sich. „Das war ich nicht“, widersprach Sirius grimmig. „Das war auch Peter. Meistens waren es Unfälle und es sah komischerweise immer danach aus, als wären es James oder ich gewesen. Wir haben damals nie einen Grund gesehen, uns zu verteidigen. … Wir dachten schließlich, Peter wäre unser Freund.“ „Aber was ist mit den Einbrüchen, dieses Jahr?“, wollte Fudge wissen. „Ich habe zufällig herausgefunden, dass Peter hier in Hogwarts ist“, antwortete Sirius. „Er ist immerhin ein Anhänger Voldemorts und er hat sich in Harrys Schlafsaal aufgehalten! Da konnte ich doch wohl kaum einfach rumsitzen und nichts tun!“ „Nun gut …“ Wieder wischte er sich nervös mit dem Taschentuch über seine schweißnasse Stirn. Er brauchte einen Moment, ehe er sich wieder gesammelt hatte. „Nun, es sieht dann wohl ganz danach aus, als wären Sie doch unschuldig, richtig?“, stammelte er. Niemand antwortete auf diese offensichtlich rhetorische Frage. Immer noch nach Worten ringend, fuhr der Minister fort. „Ich bitte Sie vielmals um Entschuldigung für diesen Irrtum“, stammelte er an Sirius gerichtet. „Die Beweise schienen so eindeutig, verstehen Sie.“ „Sprechen Sie mich doch einfach frei, nehmen dieses Etwas hier mit,“ Sirius deutete auf Peter, „und dann ist der ganze Fall erledigt.“ „Gut, gut“, erwiderte Fudge. „Wie wäre es außerdem mit einer Entschädigung? Ich kann Ihnen einen Pressetermin anbieten. Ein Interview mit dem Tagespropheten?“ „Ich will kein Interview“, lehnte Sirius ab. „Es interessiert niemanden, wie die 12 Jahre in Askaban für mich waren. Das kann sich wohl jeder auch selber einigermaßen ausmalen. Es reicht völlig, wenn im Tagespropheten steht, dass ich unschuldig bin.“ „Natürlich, natürlich. Und einen Goldbetrag, als Entschädigung?“ „Hören Sie. Ich habe genug Gold in meinem Verlies. Kein Gold, das Sie mir anbieten könnten, könnte mich für die letzten Jahre entschädigen, geschweige denn sie ungeschehen machen. Ich will nur meinen Freispruch. Das ist alles.“ „Nun gut …“ Wieder benötigte er einen Moment, um sich zu sammeln. „Irgendwie habe ich das Gefühl, der Crouch hätte sich nicht so leicht aus der Fassung bringen lassen, wie der“, teilte ich Sirius mit einer versteckten Geste mit. Er rollte nur mit den Augen, als Antwort. Fudge hingegen schien es überhaupt nicht mitbekommen zu haben. Dieses Mal brauchte er einen ziemlich langen Moment, um seine Fassung wiederzuerlangen. „Wie wäre es, wenn Sie einfach meine Entlassungspapiere unterzeichnen?“, schlug Sirius mittlerweile etwas ungeduldig vor. „Richtig, richtig“, erwiderte Fudge und beschwor nun eilig einen langen Bogen Pergament herauf, wo er hastig alles ausfüllte und schließlich unterzeichnete. „Bitte sehr.“ „Ich danke Ihnen“, antwortete Sirius und nahm eine Kopie der Entlassungspapiere entgegen. Fudge nickte ihm nur nervös zu, dann warf er mir einen Blick zu, nur um sich dann wieder an Dumbledore zu wenden. „Und … ähm … die Potters sind also tatsächlich am Leben, richtig?“ „Solange ich in Ihren Augen nicht wie ein Zombie aussehe, würde ich das doch meinen“, warf ich ein. Er warf mir einen peinlich berührten Blick zu, doch Dumbledore ergriff bereits das Wort, bevor er antworten konnte. „Dieses Phänomen ist in der Tat noch nicht aufgeklärt“, erwiderte er. „James und Lily kamen letzten Montag zu mir, auf der Suche nach Antworten, doch ich fürchte, ich habe bis jetzt noch nicht herausfinden können, wie sie wiederauferstehen konnten.“ „Verstehe“, sagte Fudge. „Wenn Sie jedoch so freundlich wären“, fuhr Dumbledore fort, „Dann denke ich, dass es besser wäre, wenn die Öffentlichkeit nicht davon erfährt, dass James und Lily am Leben sind. Es könnten noch immer alte Feinde da draußen sein, die dem Vorwurf Todesser zu sein entgangen sind.“ „Verstehe“, antwortete Fudge und nickte bedächtig. „Natürlich … also auch kein Interview für Sie, Mr Potter?“ „Ich fand es schon schwer genug, meinem Sohn erklären zu müssen, was ich mir selber nicht erklären konnte“, lehnte ich missmutig ab. „Bedauerlicherweise, muss ich Ihnen sagen, dass Ihr ganzes Vermögen vererbt wurde“, gestand Fudge und sah mich entschuldigend an. „Sie verstehen sicherlich, dass das Ministerium nicht ahnen konnte, dass Sie und Ihre Frau wiederauferstehen würden.“ Ich antwortete nicht und stand stattdessen nur da wie festgefroren. Dieser Gedanke war mir in der letzten Woche nicht ein einziges Mal in den Sinn gekommen. Tatsächlich hatte ich sogar gelegentlich – wenn auch eher halbherzig – im Tagespropheten nach Anzeigen für ein neues Haus Ausschau gehalten. Ich hatte nicht mit einer Silbe daran gedacht, dass mein ganzes Vermögen wahrscheinlich an Jana und Harry aufgeteilt worden war, so wie ich es selber in meinem Testament gewünscht hatte. Die Nachricht traf mich nun, wie ein Schock, obwohl sie mich eigentlich nicht hätte überraschen dürfen. „Nun, wir hatten diesen Fall noch nie, ein Testament rückabwickeln zu müssen“, fuhr Fudge sichtlich verlegen fort, als ich nicht antwortete. „Vielleicht wenn Sie mit Ihrem Sohn reden …“ „Ich will Harry nicht damit belästigen“, entgegnete ich bitter. „Sie haben sich nichts vorzuwerfen. Es ist ja alles mit rechten Dingen zugegangen und Harry hat mein Gold rechtmäßig geerbt.“ „Wenn ich Ihnen dann also die Unterstützung des Ministeriums zusichern dürfte …“ „Ich komme schon irgendwie klar. Ich will keine Aufmerksamkeit. Auch nicht vom Ministerium.“ „Nun gut …“ „Bringen Sie ihn hier jetzt einfach weg“, bat ich ihn und deutete auf Peter. „Richtig!“ Etwas unbeholfen griff er nach seinem Zauberstab und wandte sich nun Peter zu. „Ich würde Ihnen vielleicht raten, ihn nicht von dem Fluch zu befreien“, setzte ich noch an, doch es war schon zu spät. „Finite Incantatem“, sagte er und gab somit Peters Körper wieder frei. Peter richtete sich panisch auf. „I-i-ihr liefert mich doch nicht den Dementoren aus?“, stammelte er und sah uns flehentlich an. „Wir – wir sind doch Freunde!“ Ich warf ihm nur einen vernichtenden Blick zu und Sirius knurrte ihn an, ohne sich dafür in einen Hund verwandeln zu müssen. „J-j-james, S-sirius, bitte“, flehte er verzweifelt. „Ihr versteht das nicht. Er hätte mich getötet. Was hättet ihr denn an meiner Stelle getan.“ „Eher wären wir gestorben, als unsere Freunde zu verraten“, antwortete Sirius und sein Ton verfinsterte sich. „Wir hätten dich niemals verraten“, pflichtete ich ihm bei. „Ich hab‘ das nicht gewollt“, heulte Peter. „Bitte, wir sind doch Freunde!“ „Freunde verraten einander nicht“, wies ich ihn bissig zurück. Er zuckte zusammen. Einen kurzen Momentlang stand er nur gekrümmt da und zitterte verängstigt. Dann jedoch ergriff Dumbledore wieder das Wort. „Genug davon“, gebot er mit erhobener Stimme. „Cornelius, bitte führen Sie ihn ab.“ „Natürlich“, erwiderte Fudge. „Mr Pettigrew, wenn Sie mir bitte folgen mögen.“ „Und, wenn Sie so freundlich sein könnten, Cornelius“, fuhr Dumbledore fort, „würden Sie die Dementoren bitte gleich mitnehmen.“ „Ja, ja, die müssen gehen“, versprach Fudge. „Werden ja nicht länger benötigt.“ Mit einem kurzen Nicken in unsere Richtung wandte er sich ab und führte Peter mit erhobenen Zauberstab aus dem Zimmer. Sirius wartete bis die Tür ins Schloss fiel. Dann wandte er sich an mich. „Ich kann dich übrigens beruhigen“, versicherte er mir. „Den Teil deines Goldes, das an Jana vererbt wurde, bekommst du eins zu eins zurück.“ „Sie hat es rechtmäßig geerbt“, wehrte ich ab. „Ich will weder sie noch Harry damit belästigen. Ich krieg das schon irgendwie alleine hin.“ „Tja …“, sagte er mit einem leisen Seufzen, doch ich hatte den Eindruck, dass es gespielt war, „ich schätze, darüber wirst du dich mit ihr streiten müssen und nicht mit mir.“ Ich warf ihm einen Blick zu, doch sein Grinsen verriet mir nicht wirklich, was er dachte. „Ich schließe daraus, dass Jana offenbar wieder aufgetaucht zu sein scheint“, mischte sich Dumbledore nun ein. „Ja, Professor“, bestätigte ich ihm. „Sie und Sirius hatten offenbar Kontakt zueinander.“ „Eine wirklich erfreuliche Nachricht.“ „Ich weiß jetzt auch, wie Lily und ich überlebt haben. Sirius hat mich an etwas erinnert, das – nun, wie soll ich sagen – in Vergessenheit geraten ist.“ „Interessant. … Ich bin gespannt darauf die Geschichte zu hören, aber vielleicht wollen wir Lily, Harry und Remus dazu holen. Dann müssen wir die Geschichte nicht zweimal erzählen.“ „Gute Idee!“ „Setzt euch doch solange“, bot er uns an. „Und bedient euch ruhig an den Zitronenbrausebonbons. Die sind wirklich gut.“ Sirius und ich warfen uns einen kurzen Blick zu, dann setzten wir uns. Sirius griff auch sogleich nach einem Brausebonbon, während Dumbledore erneut zu seinem Kamin hinüberging und nach Lily und Remus rief. Keine zehn Sekunden später erschienen sie auch bereits nacheinander im Feuer, direkt gefolgt von Harry. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Lily sofort. Sie kam auf Sirius und mich zugestürmt und umarmte Sirius zur Begrüßung. „Sirius! Es ist so schön, dich wiederzusehen“, rief sie. „James und ich haben uns wirklich Sorgen gemacht, als wir hörten, dass du in Askaban gesessen hättest und nun auf der Flucht wärst. Du bist doch wieder freigesprochen worden, oder?“ Sie warf uns abwechselnd einen fragenden Blick zu. „Ja, alles OK“, erwiderte Sirius mit einem leichten Grinsen und hielt seine Entlassungspapiere für alle sichtbar in die Höhe. „Ist alles geklärt.“ „Das beruhigt mich“, sagte sie. Dann wandte sie sich mit einem vorwurfsvollen an mich. „Aber ihr habt wirklich lange gebraucht! Du bist so lange nicht zurückgekommen und ich hab‘ mir schon Sorgen gemacht, dass ihr vielleicht Schwierigkeiten mit den Dementoren bekommen hättet!“ „Tut mir leid“, erwiderte ich entschuldigend. „Wir hatten so viel zu klären. Da haben wir glatt die Zeit vergessen.“ „Wenn du wenigstens diese Karte dagelassen hättest!“, warf Lily mir vor. „Dann hätte Remus nach euch sehen können.“ „Aber ich brauchte diese Karte!“ Ich zog sie beruhigend in meine Arme. „Tut mir wirklich leid. Ich wollte dich nicht so beunruhigen. Und jetzt ist ja auch alles in Ordnung.“ Sie ließ die Umarmung zu, antwortete jedoch nichts weiter darauf. Trotzdem wusste ich, dass sie mir wegen so etwas nicht lange böse sein könnte. Harry stand noch immer neben dem Kamin und beobachtete uns mit regem Interesse. Er musterte Sirius mit einem leicht skeptischen Blick, so als wisse er noch nicht so richtig, was er von ihm zu halten habe. Remus dagegen, der einen Augenblicklang ebenfalls nur dagestanden hatte, als wäre er festgewachsen, trat nun mit entschlossenen Schritt auf uns zu und umarmte Sirius schließlich, wie einen lange verlorenen Bruder. „Schön, dich wiederzusehen, Remus“, grüßte Sirius ihn und klopfte ihn freundschaftlich auf den Rücken. „Du kannst dir nicht vorstellen, was es für mich bedeutet, zu erfahren, dass du unschuldig bist und Lily und James leben“, erwiderte Remus und hielt Sirius eine Armlänge von sich weg, um ihn anzusehen. „Du siehst überhaupt nicht danach aus, als hättest du 12 Jahre in Askaban gesessen und wärst nun mehrere Monatelang auf der Flucht gewesen!“ „Ja, das ist in der Tat eine etwas längere Geschichte“, bestätigte ihm Sirius mit einem Nicken. „Und wir sind auch schon alle gespannt darauf, sie zu hören“, mischte sich nun Dumbledore wieder ein. „Setzt euch doch, setzt euch. Dann können wir über alles reden, was geschehen ist. Und ich würde sagen, es ist in der Tat viel passiert.“ Er beschwor noch einige Stühle herauf, damit sich alle setzen konnten. Schließlich, als alle Platz genommen hatten, begann Sirius damit, die Geschichte zu wiederholen, die er bereits mir erzählt hatte. „Der Traum!“, rief Lily plötzlich aus, als Sirius an dieser Stelle der Geschichte angelangt war. Sie hatte die Hand vor den Mund geschlagen und blickte geschockt drein, geradezu entsetzt über sich selbst. „Wie haben wir den bloß vergessen können?“ „Du bist nicht die Einzige“, tröstete Sirius sie. „Mir ist er genauso in Vergessenheit geraten, bis Jana mich in Askaban angeklopft hat und mich daran erinnert hat.“ „Sie hat dich kontaktiert?“, fragte Lily überrascht. „Aber wie-? Ich meine, wie konnte sie dich erreichen?“ „Sie hat James‘ alten Zwei-Wege-Spiegel gefunden“, antwortete Sirius und hielt ihn in die Höhe. „Darüber hat sie mit mir sprechen können. Sie war es, die mich wieder daran erinnert hat, dass wir alle diesen Trank eingenommen haben, um uns vor einem eventuell tödlichen Angriff zu schützen.“ „Endormis“, erwiderte Lily nickend uns sie starrte dabei ins Leere, als kämen stückchenweise all ihre Erinnerungen zurück. „Der Trank der schlafenden Toten. … Ich hatte nie erwartet, dass wir tatsächlich direkt bei uns zu Hause angegriffen werden könnten.“ „Was jedoch nicht bedeutet, dass er nicht trotzdem gewirkt hätte“, entgegnete Sirius. Lily konnte nur nicken. Sie starrte noch immer ins Leere und schien einen Moment zu brauchen, um diese Erkenntnis zu begreifen. Ich griff beruhigend nach ihrer Hand. Harry starrt uns fasziniert und mit offenem Mund an, während Remus nur erstaunt die Augen aufgerissen hatte. „Wie dem auch sei“, fuhr Sirius fort, als niemand etwas sagte. „Jana hat mich jedenfalls schließlich angeklopft und mich an alles erinnert. Sie hat auch alles über den Trank recherchiert, was einiges an Arbeit für sie war.“ „Ich hatte ein Buch darüber“, warf Lily ein. „Hat Jana es nicht gefunden?“ „Doch, aber die entscheidende Seite hat gefehlt.“ „Oh!“ „Sie hat aufwendig nach einem weiteren Exemplar suchen müssen, bis sie schließlich auf alte Briefe zwischen dir und Professor Slughorn gestoßen ist.“ „Ja, ich habe das Buch von einem seiner alten Kontakte erhalten.“ „Sie hatte auch vor, euch aufzuwecken. Allerdings konnte dies nur zu bestimmten Gelegenheiten geschehen und sie war jedes Mal zu krank dazu und hat so alle Gelegenheiten verpasst.“ „Lebt sie?“, warf Remus ein. „Sie war doch schon immer so kränklich gewesen. Wie hat sie überhaupt so lange durchhalten können?“ „Ja, sie lebt“, antwortete Sirius. „Und mittlerweile geht es ihr auch schon wieder recht gut. Wie sie es geschafft hat, so lange alleine zu überleben, kann ich nicht sagen und ich habe es nie gewagt, es zu hinterfragen.“ „Warum hat sie sich nie gemeldet?“, wollte Harry plötzlich wissen. Sirius starrte ihn verdutzt an. „Was meinst du damit?“, fragte er etwas begriffsstutzig. „Ich wusste nie, dass Dad eine Schwester hat“, antwortete Harry. „Wenn sie doch lebt, warum hat sie sich nie bei mir gemeldet? Warum konnte ich nicht bei ihr aufwachsen?“ „Sie war zu kränklich“, erinnerte ich ihn. „Sie hätte sich wirklich nicht alleine um dich kümmern können.“ „Jaah“, erwiderte er. „Na gut. Aber sie hätte sich ja trotzdem bei mir melden können. Wenigstens hätte sie mir doch sagen können, dass ich ein Zauberer bin. Warum war ich ihr so egal?“ „Du bist ihr nicht egal“, widersprach Sirius ihm. Er wirkte immer noch sehr überrascht. „Du warst ihr nie egal. Sie wohnt nicht einmal weit von dir entfernt und sie hat sich doch bei dir gemeldet.“ „Nein.“ „Sie hat dir doch auch regelmäßig Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke zukommen lassen!“ Jetzt blickte Harry verdutzt drein und zog irritiert die Augenbrauen hoch. „Die ganzen anonymen Geschenke waren von ihr?“, stellte er daraufhin fest. „Anonym?“, fragte Sirius irritiert nach. „Ja.“ „… Dann sollten wir sie wohl persönlich fragen, warum sie die Geschenke anonym versendet hat, aber hast du dich nie gefragt, von wem die Geschenke sein könnten, wenn sie anonym waren?“ „Doch, aber immer, wenn ich jemanden gefragt habe, konnte es mir niemand sagen. Keiner schien irgendeine Idee zu haben, wer mir die Geschenke geschickt haben könnte.“ „Aha … also ich kann dir nicht erklären, warum sie die Geschenke anonym versendet hat. Aber ich weiß, dass du ihr nicht egal warst. Sie wohnt ganz in deiner Nähe.“ Harry überlegte einen Moment, bevor ihm ein Licht aufzugehen schien. „Sie ist das Gespenster-Mädchen?“, fragte er, doch es war mehr eine Feststellung als eine Frage. „Wer?“, wollte Sirius verdutzt wissen. „Das Gespenster-Mädchen“, wiederholte Harry. „Eine junge Frau, die bei mir in der Gegend wohnt. Ich kenne ihren richtigen Namen nicht, aber alle in der Gegend bezeichnen sie als das Gespenster-Mädchen, weil sie aussieht wie ein Geist. Ich dachte immer, sie wäre stumm, denn jedes Mal, wenn ich ihr begegnet bin, dann hat sie nur irgendetwas gestikuliert.“ Er fuchtelte ein wenig mit seinen Händen, um die Zeichensprache nachzuahmen. Sirius blickte ihn halb ernsthaft, halb belustigt an. Es fiel schwer festzustellen, für welche Gefühlsregung er sich entscheiden wollte. „Jana ist nicht stumm“, warf ich ein. „Aber es kommt sehr schnell vor, dass sie ihre Stimme verliert, wenn sie zu krank wird.“ „Ich mag den Spitznamen ‚Gespenster-Mädchen‘“, fand Sirius. „Der ist ja geradezu niedlich!“ „‚Niedlich‘?“, wiederholte ich. „Eher besorgniserregend!“ „Besorgniserregend war, wie sie dagegen tatsächlich aussah!“, widersprach Sirius mir und mir schlief förmlich das Gesicht ein. „Ich will keine weiteren Details wissen!“, stellte ich klar. Sirius warf mir einen kurzen Blick zu, ging aber nicht weiter darauf ein. „Vielleicht hat sie ja tatsächlich versucht, dir zu sagen, wer sie ist“, überlegte Lily, den Blick auf Harry gerichtet. „Du hast sie vielleicht nur nicht verstanden.“ „Jaah“, antwortete Harry. „Kann schon sein.“ „Ich denke, ihr werdet Gelegenheit bekommen, sie selber danach zu fragen“, meldete sich Dumbledore plötzlich zu Wort. „Vorerst würde ich jedoch noch einmal gerne auf deinen Traum, Lily, und den Zaubertrank zu sprechen kommen. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann hattest du ganz offensichtlich eine sehr klare Vision von den Geschehnissen, die passiert sind.“ Lily wirkte, als könne sie diese Erkenntnis noch immer nicht so recht begreifen und sie brauchte einen Moment, bevor sie antwortete. „Ich hab‘ nie wirklich daran geglaubt“, erzählte sie. „Ich meine, Albträume waren doch schließlich auch irgendwie normal damals, oder?“ „Dennoch scheinst du ein gewisses seherisches Talent zu besitzen“, entgegnete Dumbledore. „Möglicherweise solltest du diese Fähigkeit zukünftig etwas weiter ausbauen.“ Sie blickte sehr ungläubig drein. Ich wusste, dass sie früher nur Marlene zuliebe Wahrsagen gewählt hatte, weil die sie so sehr darum gebeten hatte. Sie hatte mir einmal erzählt, dass sie eigentlich nie daran geglaubt hatte, dass man wirklich zuverlässig die Zukunft vorhersehen könne. Entsprechend halbherzig hatte sie dieses Fach belegt. Ich konnte nur ahnen, wie schwer es für sie sein musste, sich vorzustellen, dass sie tatsächlich eine Begabung besaß, die sie bisher immer verkannt hatte. „Dein Talent für Zaubertränke jedoch, steht wohl außer Frage“, fuhr Dumbledore fort, als Lily nicht antwortete. Ein verlegenes Grinsen huschte über ihr Gesicht. „Es ist so viel passiert seit wir diesen Trank eingenommen haben“, sagte sie. „Das war ja noch bevor Harry geboren wurde. Wir haben uns zu Hause so sicher gefühlt. … Zu sicher. … Und schließlich haben wir gar nicht mehr daran gedacht.“ „Ein Fehler, der wohl jedem hätte passieren können“, erwiderte Dumbledore nachsichtig und er lächelte sanft. „Aber vielleicht erlaubst du mir die Neugierde, was genau das für ein Trank ist?“ Aller Augen waren auf sie gerichtet und sie schien einen Momentlang über ihre Antwort nachdenken zu müssen. „Ich glaube, ich hatte damals Professor Slughorn gefragt, ob er vielleicht ein paar Rezepte für Schutztränke empfehlen könne“, erzählte sie schließlich. „Ich weiß gar nicht mehr, wonach ich überhaupt genau gesucht hatte, aber er empfahl mir einen seiner alten Freunde, der sich darauf spezialisiert hatte, Rezepte von alten Zaubertränken, die längst in Vergessenheit geraten waren, zu sammeln. Von ihm hab‘ ich auch das Buch erworben. Den Endormis hat er mir direkt vorgeschlagen. Der Trank wehrt einen möglicherweise tödlichen Angriff nicht ab, doch er mildert ihn soweit, dass der Betroffene in einen tiefen Schlaf versetzt wird, der nur zu bestimmten Zeitpunkten beendet werden kann. Verpasst man eine Gelegenheit, muss man ganze 13 Vollmonde auf die nächste warten.“ „Ja, das hat Jana auch herausgefunden“, bestätigte Sirius. „Allerdings hatte ich mir ausgerechnet, dass die nächste Gelegenheit, euch zu wecken, erst in der Nacht vom 25. auf den 26. Mai sein würde.“ „Dann muss die Wirkung des Trankes nachgelassen haben“, schlussfolgerte Lily. „Das geht?“, wunderte sich Sirius. „Ja, natürlich“, erklärte sie. „Jeder Trank verliert früher oder später seine Wirkung. Es kommt ganz auf seine Stärke drauf an, wie lange die Wirkung anhält. Ich weiß noch, dass mir Professor Slughorns Freund geraten hat, ich solle für den Trank geriebene Affodill-Wurzel verwenden, nicht Wermut. Wermut würde bewirken, dass man tatsächlich stirbt, sobald die Wirkung nachlässt, bevor man geweckt wird. Affodill-Wurzel dagegen lässt den oder die Betroffene/n von alleine aufwachen und immerhin konnte ich nicht wissen, wie lange mein Trank wirken würde, falls er in Kraft treten sollte.“ „… Gut, damit konnten Jana und ich natürlich nicht rechnen“, gab Sirius zu. „Ich glaube, ich hatte ein bisschen darauf gehofft, dass wir den Trank tatsächlich nie brauchen würden“, fuhr schuldbewusst fort. „Oder aber, dass wir direkt nach 24 Stunden aufgeweckt würden. Erst danach muss man 13 Vollmonde auf die nächste Gelegenheit warten. … Aber ich hätte wohl damals darauf hinweisen sollen.“ „Das hätte sich in der Tat als ganz praktisch erweisen können“, stimmte Dumbledore ihr zu. „Und dennoch ist es ein Glück, dass ihr diesen Trank genommen habt. Mach dir nicht allzu große Vorwürfe deswegen.“ Einen Momentlang sagte niemand etwas. Ich zog Lily erneut in meine Arme und hielt sie einfach nur fest. „Scheinbar war dein erster Versuch, diesen Trank zu brauen offenbar doch ziemlich stark“, warf Remus ein. Es war sehr schwer, anhand seines Gesichtsausdruckes zu sagen, ob er diese Tatsache bedauerte oder bewunderte. Lily jedoch schüttelte mit dem Kopf. „Er war gar nicht so stark“, widersprach sie. „Es heißt, die längste bisher bekannte Wirkungsdauer wären 100 Jahre nach seinem Inkrafttreten gewesen.“ „Super!“, kommentierte ich. „Jetzt bin ich irgendwie froh darüber, dass wir nur 12 Jahre verpasst haben!“ „Dabei ist diese Geschichte eigentlich sogar bekannt“, fuhr Lily fort. „Dornröschen stand auch unter dem Einfluss dieses Trankes.“ Sirius, Remus und ich blinzelten sie nur verdutzt an. Ich tauschte einen Blick mit Sirius und war mir definitiv sicher, dass er von dieser Geschichte auch noch nie gehört hatte. „Aber das ist doch ein Märchen!“, bemerkte Harry. „Nein, ist es nicht“, erzählte Lily. „Es wird als Muggel-Märchen erzählt, doch eigentlich beruht es auf einer wahren Begebenheit. Ich habe irgendwann mal festgestellt, dass eigentlich viele Märchen, die ich aus meiner Kindheit kannte, eigentlich wahr sind und von Zauberei handeln.“ „Ich hab‘ als Kind keine Muggel-Märchen zu hören bekommen“, teilte Sirius in einem leicht belustigten Ton mit. „Hast du überhaupt Märchen zu hören bekommen?“, wollte ich wissen. Ich war mir ziemlich sicher, dass die Blacks von derlei Kram überhaupt nichts gehalten hatten. „Nein, hab‘ ich nicht. Das stimmt auch wieder“, gab er zu. „Wozu hattet ihr damals Muggelkunde?“, wollte Lily ungläubig wissen. „Da wurden uns auch keine Muggel-Märchen erzählt“, schwor ich. „Ich sollte Professor Burbage vielleicht den Tipp geben, sie als Thema in den Unterricht aufzunehmen“, stellte Dumbledore mit einem milden Lächeln fest. Er schien sich gerade wirklich zu amüsieren. Harry unterdessen schien wirklich überrascht zu sein. „Dann ist die Geschichte von Dornröschen also wirklich wahr?“, fragte er noch einmal nach. „Ja, ist sie“, meinte Lily nickend. „Aber ich denke trotzdem, dass möglicherweise auch viel hinzugedichtet worden ist. Es gibt verschiedene Fassungen von dieser Erzählung. In einer ganz alten Fassung hieß es, glaube ich, dass sie Zwillinge zur Welt gebracht hätte … Aber ich glaube, diese Version ist auch Unfug. … Das ist einfach absurd!“ Sie schüttelte entschieden den Kopf, doch ich hatte das Gefühl, aus ihrem Tonfall ein leises Bedauern herauszuhören. Ich war mir allerdings nicht sicher, ob ich es mir nicht vielleicht doch bloß einbildete. Niemand sonst schien etwas bemerkt zu haben. Also fragte ich nicht nach. „Tatsache ist jedoch wohl, dass sie tatsächlich 100 Jahre geschlafen hat, nachdem die Wirkung des Trankes bei ihr eingesetzt hatte“, schloss Lily schließlich. „Also beginnt die Wirkung des Trankes erst zu verfallen, wenn die betreffende Person angegriffen wird?“, wollte Remus wissen. Lily nickte. Wir kamen nicht mehr dazu, weiter darüber zu diskutieren. Es klopfte an der Tür und noch bevor Dumbledore den Besucher hereinbitten konnte, stürmte auch schon der Minister wieder in das Büro. Er blickte sich etwas verwundert um. Sein Blick fiel auf Lily, Remus und Harry, doch er nickte nur und wandte sich dann aufgelöst an Dumbledore, dass Peter ihm entwischt sei, als er ihn den Dementoren hatte übergeben wollen. Er habe sich in eine Ratte verwandelt und hatte die einsetzende Dämmerung genutzt, um zu verschwinden. Sirius und ich konnten uns ein genervtes Aufstöhnen nicht verkneifen. Der Crouch hätte Peter nicht entkommen lassen. Da war ich mir sicher. Im Grunde konnte ich eigentlich nicht wissen, ob dieser Fudge nicht sogar der bessere Minister war und doch hatte ich diesen unbändigen Eindruck, dass er ein absoluter Stümper war! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)