Love you like you do von Marron ================================================================================ Kapitel 16: ------------ „Hier“, murmelte Genzo und drückte dem Mittelstürmer ein weiteres Taschentuch in die Hand. „Danke“, erwiderte Tsubasa fast lautlos, dann räusperte er sich. Er schielte zum Keeper hin, welcher ganz ruhig und gefasst auf dem Sofa neben ihm saß und ihn freundlich ansah. Fahrig wischte der Jüngere die letzten Tränen weg und stopfte das Taschentuch in die Hosentasche. „Und danke, dass du an Misaki gedacht hast“, fügte er hinzu, denn sein bester Freund war vor etwa zwanzig Minuten aufgetaucht und hatte sich bereit erklärt, für ein paar Stunden auf Daibu aufzupassen. Tsubasa selbst hatte völlig vergessen gehabt, dass der andere Teil des Goldenen Duos heute in der Stadt war, um mit ihm Zeit zu verbringen – Genzo hatte ihn angerufen und gefragt, ob er spontan einspringen könnte. Er war nicht allzu genau darauf eingegangen, weswegen es so besser wäre, aber Misaki hatte beim Anblick des Mittelstürmers nicht weiter nachgefragt. Daibu selbst war regelrecht euphorisch geworden, seinen Onkel Taro so schnell wiederzusehen und war freudig plappernd mitgegangen. Tsubasa war erleichtert gewesen, dass sein Sohn von dem ganzen Drama scheinbar nichts mitbekommen hatte. „Kein Ding. Das war eh besser so, denke ich“, der Ältere fuhr ihm mit den Fingerspitzen sanft über die Schläfe und strich ihm das Haar aus der Stirn. „Wie geht’s dir?“, fragte der Keeper und erhielt eine ehrliche Antwort: „Besser – wenn auch nur ein bisschen. Ich fürchte, das musste einfach mal raus.“ „Mh-hm“, nickte er und rückte näher an den Mittelstürmer heran, „Es war für dich echt nicht leicht, hm?“ „Nein“, meinte Tsubasa langsam, „Ich hatte vor allem immer eine unheimliche Angst um Daibu. Manchmal bin ich mitten in der Nacht aufgestanden und hab Stunden neben seinem Bettchen gesessen ud auf seinen Atem gehört. Sanae wollte es nie hören, wenn ich von meinen Ängsten gesprochen habe und irgendwann hab ich es ihr nicht mehr erzählt, sondern bin abgehauen. Ich konnte nicht mehr.“ Er brach ab, weil seine Augen wieder zu brennen anfingen. Wie konnte er nach der letzten Stunde überhaupt noch Tränen übrig haben? Ständig kamen neue davon, wenn er über diese Zeit sprach, sogar, wenn er nur daran dachte. Wie hatte er es je geschafft, all das so gut zu verdrängen? Wie hatte er früher weitergemacht? Die warme Hand, welche sich um ihn legte und ihn näher zum Keeper zog, schien eine Antwort zu sein. Ja, richtig, Genzo war immer schon für ihn da gewesen. Selbst, als er und Sanae noch nicht zusammen waren, hatte der Ältere sich zurück gehalten und sich gleichzeitig immer dafür eingesetzt, dass es zwischen ihm und seiner Frau klappte. Er erinnerte sich daran, dass der Keeper nach dem Sieg der U-16 scherzhaft gesagt hatte, Tsubasa solle in Japan seine Freundin bloß mal in den Arm nehmen und richtig fest drücken. Als der Rest der Mannschaft gelacht hatte, hatte Genzo ihm zugeflüstert, dass er Sanae besser nach Brasilien mitnehmen solle, damit sie ihm kein anderer wegnahm. Da waren seine Gefühle schon da gewesen – das hatte der Keeper selbst gesagt. Trotzdem war nicht eine Silbe über seine Lippen gekommen. „Danke, dass du damals für mich da warst“, murmelte der Mittelstürmer und legte seinen Kopf auf die Schulter des Älteren. Er spürte Genzo nicken. „Wofür sind Freunde denn sonst da?“ „Möchtest du, dass mehr als Freundschaft daraus wird?“, fragte Tsubasa und die Hand seines Freundes verkrampfte sich. Eine Weile schien er mit sich zu ringen, dann antwortete er mit einem Flüstern: „Ja, schon. Aber das ist nicht schlimm.“ Er zögerte. „Oder?“ „Nein, ist es nicht“, antwortete der Mittelstürmer mit einem Kopfschütteln. „Wirst du es...den anderen erzählen?“, fragte Genzo und klang bedrückt. „Nein“, antwortete Tsubasa langsam, „Das mache ich nicht. Ehrlich gesagt...“ Er verstummte schließlich. Er hatte das Gefühl, wenn er es einmal aussprach, würde er es nicht mehr aufhalten können. „Du findest es nicht schlimm? Furchtbar oder ekelhaft?“ „Nein, finde ich überhaupt nicht“, meinte der Mittelstürmer und war sich sehr wohl bewusst, dass er gerade log. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. „Wenn das die Wahrheit ist...dann weißt du gar nicht, wie erleichtert ich bin.“ Als Tsubasa spürte, wie die Lippen des Keepers sein Haar streiften, biss er sich nervös auf die Lippen. War es wirklich gerecht, seinen Freund so zu belügen? Obwohl er ihn ja nicht wirklich direkt log, er verschwieg ihm ur etwas, das unangenehm sein würde. Schlagartig wurde ihm klar, dass seine Frau ganz genauso gedacht haben musste. Er räusperte sich. „Also, im Moment find ich es nicht schlimm. Ich weiß noch nicht so genau, was ich darüber denke.“ „Ah“, machte Genzo und es klang leicht enttäuscht. „Ich muss dir doch die Wahrheit sagen! Sanae hat es nicht getan und...ich will dich nicht belügen.“ Nach diesem Geständnis herrschte Stille und er seufzte leise. Schließlich löste er sich von dem Keeper und sah ihm ins Gesicht. „Ich will einfach nur das Richtige tun. Damit ich dich nicht verletze.“ Der Ältere sah ihn an, als suche er etwas. „Du könntest mich nie verletzen, Tsubasa. Das kann ich nur selbst mit meiner dummen Hoffnung.“ Er lächelte gequält. „Glaub mir, die hat mir schon oft genug Streiche gespielt!“ „Hoffst du noch auf ein uns?“, fragte der Jüngere leise. Sanft nickte Genzo. „Jeden Tag.“ Was sollte er denn darauf nur sagen? „Aber ich-“ „Ich weiß“, erklärte der Keeper sachlich, „dass es für dich unmöglich erscheint. Aber Wünsche halten sich nicht an Wissen und Logik.“ Hierauf nickte Tsubasa nur. Er rückte von seinem Freund weg, da er ihn nicht weiter mit seiner Nähe unnötig quälen wollte, aber der Ältere griff nach seiner Hand. „Hier“, meinte er und legte seine Hand auf seine Brust, „Hier hoffe ich darauf. Fühlt sich das so falsch an?“ Wortlos schüttelte er den Kopf. Genzo rutschte näher, lehnte sich nach vorn – verharrte Zentimeter vor Tsubasas Lippen. „Fühlt sich das schlimm an?“, fragte er und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Dabei sah er ihn an, als wolle er seine Reaktion ganz genau beobachten. Tsubasas Hand lag immer noch auf der Brust des Älteren und so konnte er spüren, wie sich dessen Herzschlag beschleunigte. Er spürte das Pochen in seinen eigenen Ohren, wusste, dass sein Puls gerade genauso in die Höhe schoss. Aber vor allem fühlte er dieses Flattern in seinem Bauch, dass dort jedes Mal auftauchte, wenn Genzo ihn seit seinem Liebesgeständnis berührte. Unangenehm war es ihm nicht, er wusste lediglich nicht, ob er wirklich etwas daraus werden lassen wollte. Ob er bereit war, alle Konsequenzen ohne Murren zu leben. Jetzt erst lösten sie sich voneinander. „Was sagst du?“, fragte der Keeper leise. Tsubasa seufzte. „Lass mir Zeit, okay? Ich verspreche nichts.“ Der Ältere nickte schwer, lies ihn los und verschwand ins Bad. Nachdenklich blickte der Mittelstürmer ihm nach, bevor er den Kopf schüttelte. Zuallererst sollte er sich um seine Frau kümmern – danach konnte er den Rest in Angriff nehmen! Nach vier weiteren Tagen, in welchen Genzo nicht ein Wort über dieses Gespräch verloren, erhielt Tsubasa die Nachricht, dass Sanae wieder zu Hause sei. Absolut fit genug also, um mit ihm zu reden. Sie telefonierten – recht unterkühlt und knapp von seiner Seite aus – und er traf sie zwei Tage später zu Hause. Merkwürdigerweise hatte er gar nicht mehr das Gefühl, in sein eigenes Haus zurück zu kehren, sondern einem Teil seiner Vergangenheit, seines alten Ichs zu begegnen. Es war eigentlich kein gutes Zeichen, dass er scheinbar so schnell mit seiner Ehe abgeschlossen hatte, oder? Sanae war nicht allein. Natürlich nicht – wann hatte sie sie schon mal Streit allein ausgetragen? Tsubasa bedachte Anna mit einem scharfen Blick, dann deutete er mit dem Kinn in Richtung Haustüre. „Verschwinde“, knurrte er, „Das hier geht nur sie und mich etwas an.“ Genzos Exfreundin schnaubte. „Ich bleibe“, erklärte sie locker. „Raus!“, war die heftige Antwort des Mittelstürmers. Anna wechselte einen Blick mit Sanae und zog dann wortlos von dannen. „Du hättest nicht direkt laut werden müssen“, bemerkte Sanae leise. Er verschränkte die Arme vor der Brust und ballte unter den Ellbogen die Hände zu Fäusten. Eine Geste der Beherrschung, die er sich von seinem Freund eher unbewusst abgeschaut hatte. „Wieso sollte ich? Sie kümmert mich gerade echt nicht.“ Sein Tonfall war so hart und flach, dass sie zusammen zuckte. „Es tut mir Leid“, murmelte sie, „Ich wollte nie – es ist einfach so passiert.“ „Ach? Einfach so?“, fragte er und bemühte sich nicht einmal, den Sarkasmus aus seiner Stimme zu halten, „Und ich dachte, es wäre viel schwerer, deine Vorstellung von Treue ins Wanken zu bringen. Hab ich mich wohl getäuscht.“ Sie sah auf, Schock spiegelte sich in ihrem Blick und er wusste vorher schon ganz genau, was seine Frau sagen würde. „So meinte ich das doch gar nicht! Ich meinte, dass ich selbst nicht verstehen konnte, wie mir das passiert ist!“ Tsubasa rollte mit den Augen. Ob sie es bewusst tat oder nicht, aber sie log doch schon wieder! „Aha. Und da gehen unsere Meinungen auseinander. Ich denke, du weißt sehr genau, warum du mit Schneider in die Kiste gehüpft bist.“ Sanae schnappte nach Luft, wollte schon etwas sagen – und schwieg dann doch mehrere Minuten lang. „Woher weißt du das?“, fragte sie dann beinahe lautlos. „Er war bei mir“, erklärte Tsubasa trocken, „“Versuchte, einen auf freundlich zu machen und hat sich dabei verplappert.“ Sie nickte vor sich hin, als ergebe das Sinn und verknotete die Finger ineinander. „Es tut mir Leid“, wiederholte sie und er biss hörbar die Zähne zusammen. „Kannst du auch noch was anderes sagen?“, fragte er mühsam beherrscht. Hatte er am Anfang des Gespräches noch das Gefühl gehabt, überhaupt nichts zu empfinden, so merkte er jetzt doch, wie kurz davor er war, die Beherrschung zu verlieren. Sie war langsam gekommen, die blinde Wut, aber nun hatte sie ihn voll erwischt. „Aber es tut mir doch Leid“, murmelte sie. „Na und?!“, meinte er, lauter als beabsichtigt, „Das interessiert mich doch nicht! Du hast nicht an mich gedacht, als du bei ihm warst. Wieso erst danach? Wieso war er überhaupt bei dir?“ Er merkte, dass er zu laut wurde, dass er zu schreien begonnen hatte, aber er konnte sich nicht bremsen. Erst das Babygeschrei stoppte ihn. „Natsuko ist aufgewacht“, meinte Sanae abwesend und wollte schon gehen, um sich um das Kind zu kümmern. „Natsuko?“, wiederholte Tsubasa schockiert. Ihm wurde schlagartig kalt. „Du nennst dieses Kind nach meiner Mutter?“ War es nur Einbildung, oder bekam er tatsächlich nicht mehr genügend Luft? Was dachte sie sich nur? Wie hatte er diese Frau jemals verstehen können? „Du bist ihr Vater. Du wirst immer ihr Vater sein. Zumindest empfinde ich es so.“ Wie vor den Kopf geschlagen taumelte er einen Schritt zurück. „Sie ist nicht meine Tochter“, erklärte er flach, „Kein Wunschdenken der Welt kann das bewerkstelligen. Ich...ich kann das nicht, Sanae. Ich kann kein fremdes Kind als mein eigenes aufziehen.“ Sie sagte nichts, verschwand kurz – und kam mit dem Kind auf dem Arm wieder zurück! „Sieh sie dir doch an! Siehst du diese süßen Augen? Sie braucht doch eine Familie! Einen Vater!“ Er wich noch weiter zurück, jetzt berührte seine Schulter den Türrahmen der Haustüre. „Frag doch ihren richtigen Vater!“, erwiderte er wütend, „Der ist sicher bereit, heile Welt mit dir zu spielen!“ Wollte sie ihn etwa mit Schuldgefühlen dazu bringen, bei ihr zu bleiben? Ihm wurde schlecht. „Aber du bist doch meine Welt, Tsubasa! Bitte, ich war doch so einsam damals. Immer warst du weg, nachdem Hayate-“ Ihr flehender Ton brach ab und sie verbarg das Gesicht hinter dem Kopf des Babys, das sie an sich drückte. Das Baby, welches sie mit einem anderen Mann hatte. Er sah rot. „Das hätte dir vorher einfallen müssen, Sanae“, er war selbst überrascht über die Kälte in seiner Stimme, aber äußerlich verzog er keine Miene, „Für mich ist es vorbei.“ Ihr Kopf schoss hoch, Tränen schwammen in ihren Augen. „Nein!“, rief sie völlig verzweifelt, „Bitte, das darfst du nicht tun!“ In ihm meldeten sich leichte Schuldgefühle. Sie war immer noch die Mutter seines Sohnes. Und er hatte sie wirklich zu oft allein gelassen, hatte immer auf ihre Treue und ihr Verständnis gebaut. War es richtig, sie jetzt zu verlassen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)