My love bite on your neck von Fara_ThoRn ================================================================================ Love bite 45 - Bauchgefühl -------------------------- Love bite 45 - Bauchgefühl "Ich bin satt!", tönt Meilo und reibt sich den Bauch. "Zu viel Marzipan." "Ha ha. Wohl eher zu viel Nussnugatcreme", helfe ich seiner Erinnerung auf die Sprünge. Zwei Quarktaschen, zwei dick beschmierte Brötchen mit besagter Nugatcreme und sechs Marzipanherzen später, sitzen wir wie zwei gemästete Quarkbällchen auf meinem Bett. Umringt von Krümeln, klebrigen Messern und leeren Bäckertüten. Wie gut, dass mein Bett schon vorher eingesaut war, sonst bekäme ich jetzt die Krise. Krümel im Bett, wäh! "Wie auch immer, ich zieh mich mal an", beschließt Meilo und steigt aus dem Bett. "Tu das. Und ich räume hier mal auf." Mit schlurfenden Schritten räume ich alles in die Küche, bevor ich mein Bettzeug abziehe und alles auf einen Haufen werfe. "Könnte deine Mutter den hier für mich aufbügeln?", fragt mich Meilo und hält mir einen dieser Schonbezüge für Kleidung entgegen. "Ich kann es auch selbst machen, wenn sie mir zeigt, wo alles steht." "Klar macht sie das", sage ich. Für Meilo tut sich sicher alles. "Ist das für das Wochenende?" "Ja." "Da fällt mir ein, ich weiß gar nicht, welchen Anzug ich anziehen soll. Ist da Krawatte angesagt?" "Quatsch! Ein Hemd reicht." "Hoffentlich wird das nicht zu kalt." "Wir feiern nicht draußen, du Dussel." "Ahso." Hätte ich mir auch denken können. "Hilfst du mir, einen passenden Anzug herauszusuchen?" "Mach ich. Aber zuerst gehe ich wo hin." Er meint das Badezimmer. "Viel Erfolg", rufe ich ihm kichernd nach. Er schenkt mir einen Luftkuss, und draußen ist er. Dann suche ich in der Zwischenzeit mal meine Mutter auf und bringe ihr Meilos Anzug. Da sie weder im Wohnzimmer, noch in der Küche ist, versuche ich es unten. Wir haben keinen Keller, weshalb das Erdgeschoss als solcher herhalten muss. Hier hat meine Mutter ihre heilige Waschmaschine, samt Bügelraum, Nähzimmer, Papas Hobbyraum nicht zu vergessen, einen Vorratsraum mit großer Tiefkühltruhe und die Garage, die dazu noch als Unterstand für die Gartengeräte, unsere Fahrräder und dergleichen dient. Wenn Mama nicht oben ist, ist sie meist hier und sitzt an ihrer Nähmaschine. Ihr zweites Heiligtum neben der Waschmaschine. "Mama?" "Hier!" Hab ich es doch gewusst. "Meilo hat gefragt, ob du seinen Anzug fürs Wochenende noch mal auf Vordermann bringen könntest." Ich betrete das Nähzimmer. "Das soll er mich gefälligst selbst fragen." What? "Seit er sich in unser Haus geschlichen hat, hat er sich noch kein einziges Mal bei mir blicken lassen. Das ist unhöflich. Sag ihm das." Sie wirft mir einen schnippischen Blick zu, der durch ihre Brille, die sie für die kleine Pfriemelarbeit an der Nähmaschine immer trägt, noch viel besser rüberkommt, als ohne, und macht weiter, irgendeinen, mit Spitze besetzten, Firlefanz zu nähen. Die Maschine rattert laut, weshalb ich lauter mit ihr sprechen muss. "Das war meine Schuld", erkläre ich ihr. "Ich habe ihm gesagt, dass er sich vor euch verstecken soll." Das Rattern verstummt. "Das du dahinter steckst, hätte ich mir ja denken können. Schäm dich! Und jetzt gib den Anzug her. So wie du ihn hältst, zerknittert er nur noch mehr." Sie steht auf und entreißt mir den Anzug. "Und was wirst du anziehen? So gehst du mir auf keinen Fall zu Meilos Eltern." "Doch Mama. Genau das hatte ich vor", murre ich. "Ich gehe in Schlabberhose und einem mit Nutella bekleckerten Shirt auf die silberne Hochzeit meiner Schwiegereltern." Sie seufzt theatralisch und sieht mich mit schrägen Kopf an. Sie scheint irgendwie schlecht gelaunt zu sein. "Geh hoch und such dir was raus, dann zeig es mir." "Dir zeigen? Ich bin kein kleines Kind mehr!" "Solange du Nutella auf deinem Shirt hast, siehst du aber wie eins aus." "Das war Meilos Schuld!" War es wirklich. Er konnte sich nicht beherrschen und fiel abermals über mich her. Dabei kullerte ihm das Brötchen aus der Hand. Es kam, wie es kommen musste. Mit der beschmierten Seite landete es auf meiner Brust. "Wie ich dich kenne, bist du nicht ganz unschuldig daran. Los! Ausziehen. Dann mache ich es in die Wäsche. Wo ist eigentlich dein Bettzeug?" "Mist! Vergessen." "Dann hopp hopp! Damit ich heute Vormittag noch eine Maschine voll bekomme." Oh Mann! "Und rasiere dich mal! Du siehst schon aus wie dein Vater!" What?! Was bin ich froh, wenn ich von zuhause ausgezogen bin. Wieder einmal. Diesmal hoffentlich zum aller letzten Mal. Mir frieren fast die Brustwarzen ab, als ich ohne Shirt die Treppen nach oben steige. Meine Mutter kennt auch keine Gnade! "Läufst du immer halb nackt durchs Haus? Falls ja, kann ich in Zukunft für nichts garantieren", raunt es hinter mir, als ich gerade in mein Zimmer will. Warme Arme legen sich um mich. Schnurrend lege ich den Kopf zurück. "Eigentlich nicht, aber wenn du mich dann immer so umarmst, überlege ich es mir nochmal." Zähne knabbern an meinem Hals. Ich drehe den Kopf leicht zur Seite und gebe Meilo mehr Spielraum. Der Duft von Rasierwasser steigt mir in die Nase. Meilo muss sich rasiert haben. Prüfend fahre ich mir mit der Hand übers Kinn. Meine Mutter hatte recht. Ich bin total kratzig. "Ich glaube, ich sollte mich auch rasieren", überlege ich laut und schäle mich aus Meilos Armen. "Wieso? Sieht doch gut aus", meint er und streichelt mit den Fingerrücken über meine Wange. "Findest du?" Er nickt. "Mama meinte eben, damit sehe ich aus wie mein Vater." Meilo guckt mich nachdenklich an. "Stimmt. Irgendwie schon ..." WHAT?! "Ich bin im Bad", knurre ich und rausche an Meilo vorbei. Ich höre, wie er leise lacht, mir, so wie ich ihm vorhin, viel Erfolg wünscht und in mein Zimmer geht. "Geh lieber mal runter zu meiner Mutter! Die war schon sauer, weil du dich nicht bei ihr angemeldet hast!", rufe ich ihm zu und schließe schnell die Badezimmertür hinter mir. Hihi. Hat er nun davon. Eine Rasur später, stehe ich wieder in meinem Zimmer. Meilo ist nicht da. Ob er noch unten ist? Ich stöhne genervt. Meine Mutter lässt ihn sicher nicht gehen und textet ihn zu, während sie ihm zeigt, was sie alles auf ihrer Nähmaschine fabriziert hat. Am besten, ich gehe ihn retten. Zudem muss die dreckige Bettwäsche noch runter. Also los! Ich ziehe mir noch fix einen Pulli an, dann trapple ich auch schon nach unten. Ich bin noch nicht ganz unten angekommen, da höre ich meine Mutter auch schon lachen. Weshalb sie das tut, kann ich nicht sagen, aber sie scheint ja eine Menge Spaß mit meinem Schatz zu haben. Woll'n doch mal sehen, was die zwei so getrieben haben, während ich mir meinen Vater vom Gesicht rasiert habe. Dadurch, dass ich so schwer beladen bin, biege ich zuerst in die Waschküche ein und stopfe alles in die Maschine. Anschalten tut meine Mutter sie später. Auf dem Weg ins Nähzimmer, lausche ich der Stimme meiner Mutter. Sie fragt meinen Schatz schon wieder aus, wie es scheint. "Und was hast du dann vor?", möchte sie wissen. "Wenn alles klappt, richte ich mir selbst ein Tonstudio ein. Dann bin ich unabhängiger, und kann mir in Ruhe eine neue Plattenfirma aussuchen, die mich nicht in allem einschränkt." Ich bin kurz vor der Tür, doch ich wage mich nicht rein. Ich lehne mich gegen die Wand und lausche weiter. Das macht man nicht, ich weiß, aber ich kann nicht anders. Bei dem Thema schrillen bei mir eben alle Alarmsirenen auf. "Nicole hat mir davon erzählt. Was die alles von dir verlangen. Das muss furchtbar sein." "Ja." "Aber können die das denn?" "Es steht im dem Vertrag, den ich unterschrieben habe. Es war mein freier Wille, dem zuzustimmen. Nur wusste ich damals noch nicht, was das alles für mich bedeuten würde." "Wie furchtbar!" "Ich wusste es eben nicht besser. Ich dachte, so schlimm wird es schon nicht. Das sind halt Standartklauseln. Ich sah nur meine Chance vor Augen, endlich Geld mit dem zu verdienen, was ich am liebsten tue: Singen." Es tut mir so weh, wenn ich mir das alles vorstelle. Sie haben einen ahnungslosen Musiker hinters Licht geführt. Wer weiß, wie viele noch unzufrieden mit dem Deal ihrer Plattenfirmen sind. Alles nur Abzocke! Ja, gut. Wahrscheinlich zocken nicht alle ihre Musiker so ab, aber das es ausgerechnet bei Meilo passiert ist, macht mich wütend. Den nächsten Vertrag unterzeichnet er hoffentlich nicht so schnell, und lässt noch mal jemanden drüber schauen, der sich damit auskennt. "Wie gut, dass du da jetzt bald raus bist", sagt meine Mutter. Ich kann mir ganz genau ihr Gesicht dabei vorstellen, wie sie Meilo liebevoll anlächelt und ihm vielleicht sogar die Hand tätschelt. "Ja", meint Meilo leise. "Ich hoffe nur, dass alles gut geht, wenn es soweit ist." "Wie meinst du das?" "Meine Fans. Trotz allem sind sie mir wichtig, und ich habe Angst, dass sie es nicht verstehen, wenn ich als Keith aufhöre." Ich höre, wie meine Mutter mitfühlend seufzt. "Was wird denn der offizielle Grund für Keith Kandyce Rückzug aus dem Musikgeschäft sein?", möchte sie von ihm wissen. Da bin ich aber auch mal gespannt. Bis jetzt konnte mir Meilo noch nichts Konkretes sagen. "Wahrscheinlich gesundheitliche Gründe. Das wird allerdings noch diskutiert." "Aber das wäre gar nicht mal so schlecht. Das verstehen deine Fans sicher." "Vor allem, weil es wahr ist." Das Blut in meinen Adern gefriert mir zu Eis. Wie bitte? Ich kann gerade so verhindern, dass ich kopflos in das Nähzimmer stürme, und Meilo frage, was das bedeuten soll. Stattdessen höre ich weiter zu und schicke Stoßgebete gen Himmel, dass mit Meilo alles okay ist. "Bist du krank?" Mama klingt genauso besorgt, wie ich es bin. "Nicht wirklich", sagt Meilo, und ich kann ihn leise schmunzeln hören. Mein schockgefrorenes Herz wird wieder leichter. "Mir ging es in letzter Zeit nur nicht so prickelnd. Ich war übellaunig und genervt, weil ich diesen ganzen Scheiß am liebsten viel eher beendet hätte, und bei Nic geblieben wäre." Och du süßer Kerl! Grinsend stoße ich mich von der Wand ab, mache mich aber noch nicht bemerkbar. "Das hat mein Manager natürlich mitbekommen und schob es kurzerhand auf ein Burnout. Er wollte mich sogar zu einem Arzt schicken, was ich aber noch verhindern konnte." Davon wusste ich ja gar nichts! "Was hat Nic dazu gesagt?" Ja genau! Was habe ich denn dazu gesagt? "Nichts, weil er es nicht weiß. Er macht sich auch so schon genug Gedanken darüber." "Hat er dir das gesagt?" "Nicht direkt. Aber ich sehe es ihm an. Na ja ... Einmal hat er es auch mitbekommen, wie down ich war. Deshalb möchte ich ihn nicht noch mehr beunruhigen." Nun muss ich mich doch wieder gegen die Wand lehnen. Ich schlucke hart und atme tief durch. Ich wusste es, dass da noch mehr ist! Das Meilo mit viel mehr zu kämpfen hat, als er mir sagen will. Wie viel mag da noch sein? Ich ringe mit mir selbst. Sage ich ihm, dass ich gelauscht habe? Ich weiß es nicht. Es sind noch 22 Tage, dann hat er es hinter sich. Und von diesen 22 Tagen, wird er mindestens 5 nichts mit dem ganzen Dreck zu tun haben. Ich werde nichts sagen. Wenn Meilo weiß, dass ich es weiß, macht er sich nur noch mehr Sorgen, weil er glaubt, ich mache mir auch Sorgen. Natürlich mache ich mir die, doch das muss er nicht wissen. Es hat bald ein Ende. Unnötig, sich darüber mehr aufzuregen, als nötig. Ich muss einfach zusehen, dass er die paar Tage noch gut rumbekommt. Und bis es soweit ist, werde ich solange auf ihn aufpassen. Jawohl! Inzwischen unterhalten sich die zwei über ein weitaus weniger verzwicktes Thema. Und zwar über diesen 'Ersatzkünstler', den die Plattenfirma demnächst mit Meilo auf die Bühne schicken möchte. Meilo hat mir beim Frühstück davon erzählt. Die erhoffen sich, dass die Fans auf den Anderen anspringen, und so Keith schneller vergessen und fleißig die Platten des Neuen kaufen, mit dem sie Keiths Sparte füllen möchten. Mir soll es recht sein. Meilo wohl auch, denn dann trauern seine Fans ihm nicht so lange nach, und er hört endlich auf, sich darüber Gedanken zu machen. Hauptsache der Kerl lässt die Pfoten von meinem Mann, sonst rauscht es! "Mama?" Mit festen Schritten biege ich ins Nähzimmer ein. "Hab die Bettwäsche in die Maschine gesteckt", sage ich ihr. Und zu Meilo: "Ach hier bist du. Ich habe dich schon gesucht." "Entschuldige. Wir haben uns ein wenig verquatscht", grinst mein Schatz. "Kein Ding." Ich lege meine Arme auf seine Schultern und lehne mich gegen seinen Rücken. Sofort schmiegt er sich an mich. Das warme Kribbeln in meinem Bauch, das ich davon bekomme, lässt mich erschaudern. Und wie ich auf dich aufpassen werde, mein geliebter Schatz! *** "Boha! Das Gesicht, das du die ganze Zeit über ziehst, ist ja nicht mehr feierlich. Kannst du auch mal lächeln?" Meine Augen zucken rüber zu Clem, der vorn neben dem Eingang des Weinkellers steht, und mich mit in die Seiten gestemmten Armen genervt anstarrt. Kurz ziehe ich die Mundwinkel hoch, doch sie bleiben nicht lange dort. Clem seufzt äußerst angepisst, wirft die Arme gen Decke und schüttelt den Kopf. "Eigentlich müsstest du himmelhochjauchzend hier herumhüpfen, oder habe ich da irgendeinen Denkfehler?" "Warum soll ich hier herumhüpfen? Meilo ist nicht bei mir", brumme ich gegen meine Handfläche, mit der ich meinen Kopf abstütze. "Mann, Mann, Mann. Häng ihn dir doch um den Hals!" Wenn das so einfach ginge. Ich würde es auf alle Fälle tun! "Was willst du denn noch? Er ist hier, oder? Sonst jammerst du immer, dass er so weit weg ist. Jetzt ist er es nicht, da jammerst du auch. Du weißt auch nicht was du willst, eh?" "Ich will Meilo", gebe ich zur Antwort. "Klaus-Peter. Sagt doch auch mal was dazu!" KP, der nicht unweit von Clem entfernt steht, und eins der Weinetikette studiert, schaut auf. Erst zu Clem, dann zu mir. "Du wirst hier nicht fürs Rumstehen bezahlt. Tu mal was für dein Geld." "Siehste!", lacht Clem schadenfroh und grinst mich breit an. "Das gilt auch für dich." Nun darf ich grinsen. "Ich meine doch das leidige Thema Meilo", zickt Clem allerdings weiter. Ich dagegen suche mir Arbeit, das heißt, Laden fegen ist angesagt. Wenn nicht viel zu tun ist, geht das immer. "Was soll damit sein? Lass ihn doch. Der Junge ist verliebt." "Und? Ich bin auch verliebt, rede aber nicht ständig von Kilian." "Tust du wohl", meint KP gelassen. "Aber nicht so!" Clem kann es nicht lassen. Nerve ich wirklich mit meinem Gerede über Meilo? "Beruhige dich Clem. Ich bin doch schon am Arbeiten", sage ich zu ihm. "Ach das meine ich doch nicht! Die Arbeit ist mir doch schnuppe!" "Was?" KP hätte beinahe die Weinflasche fallen lassen. Mit großen Augen schaut er rüber zu Clem. "So meinte ich das doch nicht!", wiederholt Clem, diesmal um KP zu beruhigen. "Ich will doch nur wissen, wo das Problem liegt, Nic. Meilo ist einen Tag eher angereist. Er ist hier, in dieser Stadt, wartet daheim auf dich. Und du schiebst 'ne Fresse wie drei Monate Dauerschneefall." Ganz unrecht hat er nicht, muss ich zugeben. Er weiß aber auch nicht, wie schwer es vorhin für mich war, Meilo bei meiner Familie zurückzulassen, während ich mich auf den Weg zum Bus machen musste. Und weil ich heute mit dem Bus in die Stadt fahren musste, musste ich sogar noch eher aus dem Haus als sonst. Ätzend! Ich habe heute Null Bock auf Arbeit! "Genau deshalb schiebe ich 'ne Fresse wie drei Monate Dauerschneefall. Weil Meilo zuhause ist und ich nicht bei ihm sein kann. ... Ich will nach Hause", jammere ich und halte mich am Besenstiel fest. Clem verdreht die Augen. "Man könnte glatt meinen, du seist süchtig nach ihm", gackert er und wendet sich wieder seiner Arbeit zu. Wenn der wüsste! Ist es wirklich so verwunderlich, dass ich lieber bei ihm sein möchte, als hier? Wieso versteht Clem mich nicht? Und wieso sieht er so aus, als würde ihn etwas bedrücken? Moment mal! Ihn bedrückt offensichtlich wirklich was! "Ähm Clem? Da fällt mir was ein. Kommst du mal mit hinter? Mir was helfen?", frage ich ihn, um mit ihm reden zu können, ohne dass KP zuhört. "Ist gut", murmelt Clem und folgt mir. "Was soll ich denn helfen?", fragt er mich, als wir hinten im Pausenraum sind. "Darf ich dich fragen, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist?" "Was?" "Komm schon. Ich sehe dir doch an, dass dir was auf der Seele liegt. Was ist los?" Clem stürzt die Lippen, seufzt dann und lehnt sich mit verschränkten Armen gegen den Türrahmen. "Du merkst auch alles, was?" "Nicht immer, aber ich lerne dazu. Und du musst zugeben, dein Herumgezetere war schon arg auffällig eben." "Ja, gut. Mir geht was im Kopf herum." Wusste ich es doch! "Ist was mit dir und Kilian?", frage ich prompt. "Indirekt", gibt er zu. "Heute Morgen klingelte das Telefon. Kilian war schon auf der Arbeit, und ich noch unter der Dusche, weshalb der Anrufbeantworter darangegangen ist. Es waren Kilians Eltern." "Oh ... Was wollten sie?" "Sie wollen mit Kilian reden. Wegen mir." Ein ungutes Gefühl breitet sich in mir aus. Ich weiß, was das bedeutet. Diese Scheiße hab ich auch schon durchmachen müssen. "Wieso hast du mir nicht gleich was davon gesagt?", will ich wissen. "Weil du selbst so aussahst, als ginge dir was im Kopf herum." "Und? Das heißt noch lange nicht, dass du nicht mit mir reden kannst. Du weißt, dass ich mich mit Kilians Eltern auskenne." Hoffnungsvoll sieht er mich an. "Bedeutet das, du hast eine Ahnung, was die von Kilian wollen?" "Ja, die habe ich", antworte ich. "Und was?" "Was wohl? Sie wollen, dass Kilian dich fallen lässt, und in den Schoß seiner Familie zurück kommt." "WAS?!" Ich hebe beschwichtigend die Hände. "Beruhige dich. Soweit wird es nicht kommen. Kilian hat mit Sicherheit aus dem gelernt, was damals geschehen ist." "Was ist denn geschehen?", fragt Clem mich aufgeregt. "Die ganze Geschichte erspare ich dir. Ich sage nur so viel, dass Kilians Eltern ihm ausreden wollten, mit mir eine Beziehung zu führen. Ich war nicht dabei, aber sie müssen ganz schön auf ihn eingeredet haben. Danach kam er total aufgelöst nach Hause, schimpfte und war nur schwer wieder zu beruhigen. Ich wurde auch sauer, nachdem, was er mir erzählt hatte, und na ja ... Sagen wir es so: Danach bekam seine Mutter einen unschönen Anruf von mir." "Nein!", japst Clem ungläubig. "Doch", nicke ich. "Was hast du denn gesagt?" "Ist doch egal." Das werde ich auf keinen Fall laut wiederholen. Ich habe mich danach ganz schön geschämt, und eine gute Idee war die ganze Sache auch nicht gewesen. "Fakt ist, Kilian wird nicht auf sie hören, egal was sie sagen. Mach dir keine Sorgen. Wahrscheinlich löscht er die Nachricht, sobald er sie hört und vergisst sie. Kilian wird ganz sicher nicht mehr zu ihnen fahren." "Ich glaube nicht, dass er die Nachricht löschen wird", flüstert Clem schuldbewusst. heißt das etwa ...? "Das habe ich schon gemacht." "Ups", sage ich. "Warum?" "Weil ich Angst hatte!", ruft er. "Ach Clem", seufze ich. "Was machst du nur immer?" "Keine Ahnung", murmelt er. "Soll ich es ihm sagen?" "Wenn du ihm vertraust, dann ja." "Er wird sauer werden." Das glaube ich nicht, doch das sage ich Clem nicht. Da muss er jetzt durch. "Und wenn, was macht das schon? Du weißt doch, wie du Kilian um den Finger wickelst", grinse ich, drehe meinen Zeigefinger in der Luft und meine das mehr als nur zweideutig. "Stimmt. Dank dir weiß ich das." "Damit meine ich nicht nur 'das'. Kilian hört auf dich, und er liebt dich. Vergiss das nicht." "Danke", sagt er und umarmt mich plötzlich. "Und es tut mir leid, dass ich dich wegen Meilo so angeblökt habe." "Schon gut. Jeder hat mal einen schlechten Tag. Besonders, wenn die Schwiegereltern einen piesacken." Oder die eigenen Eltern ... "Falls du auf das Wochenende anspielst: Stell dich nicht so an. Schrecklicher als Kilians Eltern können die gar nicht sein." Oh wie wahr! Nun, nachdem alles geklärt ist, gehen wir wieder voller Elan an die Arbeit. Na gut, ich weniger, weil mir immer noch Meilos Anwesenheit zuhause im Kopf herumgeistert. Vor meinem inneren Auge sehe ich ihn, wie sich alle an ihm hängen, besonders Nicole, mit ihm reden, lachen, und was weiß ich noch alles mit ihm tun. Ich bin neidisch! Und eifersüchtig. Mein Meilo. Ganz allein meiner. Himmel! Ich bin mehr als bloß süchtig. Ich bin besitzergreifend! Das wird sich hoffentlich ändern, wenn wir endlich zusammen wohnen. Wenn ich mehr von Meilo habe, und wir endlich einen gemeinsamen Alltag haben. Einen gemeinsamen Alltag in unserem ganz eigenen Reich ... Und plötzlich freue ich mich. Wieso? Weil wir nachher zur Besichtigung fahren! Meilo und ich, zusammen in unserem vielleicht baldigen Heim. Ohhhh! Ich kann es nicht mehr abwarten! Wie spät ist es eigentlich? Ohhhh! Noch eine Stunde bis Feierabend. Verdammt! Jetzt bin ich doch wieder mies gelaunt. In Gedanken zähle ich die Minuten runter, starre immer wieder zur großen Uhr, die hinter mir über der Tür hängt, und wische gedankenverloren über den Tresen. Noch so viele Minuten ... Ganz zu schweigen von den Sekunden. "Ey! Da kommen Ingo und Ed!", ruft Clem auf einmal. Und tatsächlich. Lautes Motorengehäule, das mir nur allzu vertraut vorkommt. Eine Maschine, Ingos Maschine um genauer zu sein, hält genau vor dem Laden. Darauf zwei Personen, was mich wundert, denn sonst fährt Ed doch immer selbst auf seiner restaurierten Honda. Bestimmt hat er sie wegen des Wetters stehen lassen. Sehr vernünftig. Die beiden steigen ab und machen sich daran, sich die Helme vom Kopf zu ziehen. Ingo hat ihn zuerst ab, grinst mich dermaßen breit durch das Schaufenster an, dass ich nicht anders kann, als zurück zu grinsen. Ed, der hinter ihm steht, kämpft immer noch mit dem Helm. Nanu? Ingo hilft ihm. Mir wird ganz warm ums Herz. Die zwei sind so ein tolles Paar. Immer noch so verschossen ineinander, auch wenn sie sich manchmal in den Haaren lie... Ich blinzle perplex. Der Helm ist ab, doch das ist nicht Ed, sondern "Meilo?" Das gibt's nicht! Das da ist wirklich Meilo! "Na da schau an. Er konnte es ohne dich offensichtlich auch nicht mehr aushalten, hm?", lacht Clem neben mir. "Wie süß." Mein Herz schlägt schneller, so, als ob ich Meilo gerade nach Wochen wieder das erste Mal sehen würde. Doch dann legt sich die Freude wieder. "Hat Ingo sie eigentlich noch alle?", rufe ich sauer, pfeffere den Lappen auf die Theke und stürme los Richtung Ausgang. Clem folgt mir. "Was fällt dir ein?", zicke ich Ingo an, kaum dass ich draußen in der Kälte vor ihnen stehe. "Hallo. Schön dich zu sehen, und gern geschehen, dass ich dir deinen Liebsten vorbeigebracht habe", schnattert Ingo. "Auf dem Motorrad?! Mitten im Winter?!" Was da alles hätte passieren können! Ich mag gar nicht darüber nachdenken! "Reg dich ab. Ich fahr die Maschine wie im Schlaf." "Weiß das auch die eisglatte Fahrbahn, auf der du hier her gefahren bist?!" "Ist doch nichts passiert", sagt Meilo, der sich neben mich gesellt, und seine Hand auf meinen Rücken gelegt hat. "Die Straßen sind gestreut und frei." "Und?!", zische ich Meilo zu, und zu Ingo: "Im Winter mit dem dem Motorrad fahren! Das kann auch nur dir einfallen!" "Reg dich ab", lacht dieser. "Mit nach Hause darfst du ihn wieder nehmen." "Werde ich auch!" Ganz sicher lasse ich Meilo nicht wieder auf diese Maschine klettern! Ingo bedenke ich noch mit einem bösen Augenaufschlag, dann zerre ich Meilo mit mir in den Laden. "Wie konntest du dich da drauf setzen?", frage ich ihn aufgebracht. Unschuldig zuckt er mit den Schultern. "Ich wollte schon immer mal Motorrad fahren, und ich wollte zu dir. Es hat einfach gepasst." "Einfach gepasst? Und da bist du einfach zu Ingo rübermaschiert?" "Nein. Er hat mein Auto erkannt und ist rüber gekommen. Wir haben gequatscht, Ingo schlug vor, mich zu dir zu fahren, und hier bin ich." Ich schnaube wütend und verdränge alle Horrorvorstellungen von Motorradunfällen auf schneeglatter Fahrbahn. "Sei nicht wütend", flüstert Meilo und schiebt seine Arme um meine Taille. "Ich bin gesund und munter." "Das will ich dir aber auch geraten haben", knurre ich und lehne mich gegen ihn. Dafür bekommt Ingo noch sein Fett weg. "War Ed auch da?" "Nein. Er war unterwegs, ein liegen gebliebenes Auto eines Bekannten wieder flott machen." So so. Na warte Ingo, bis Ed erfährt, dass du bei dem Wetter Motorrad gefahren bist. Der hustet dir was! "Und? Wie sieht es aus? Stellst du mir endlich mal deine Arbeitskollegen vor, oder muss ich das selbst tun." Ich weiß, dass das ein Ablenkungsmanöver ist, aber ich gebe nach. Es bringt nichts, noch wütend auf ihn zu sein. Ingo trägt sowieso die größte Schuld an allem. "Viele sind nicht da", erkläre ich. "Clem kennst du ja schon." Ich deute auf ihn. Er steht immer noch neben dem Eingang, lächelt, als wir ihn ansehen und winkt, was mich selbst zum Grinsen bringt. "Und hinten ist noch Jean. Der kümmert sich um eine Weinbestellung. Und Klaus-Peter sitzt sicher wieder vor seinem Schreibtisch." "Dein Boss?" "Ja." "Bei dem muss ich mich noch unbedingt bedanken", meint Meilo. "So? Warum?" "Na weil er dir immer frei gibt." "Dann bedank dich lieber bei mir", flötet Clem. "Ich springe nämlich meist für deinen Lover ein, wenn er zu dir gurkt." "Wenn das so ist", lacht Meilo, läuft rüber zu Clem und umarmt ihn. Fest klopft er ihm auf den Rücken. Etwas unwohl ist mir schon bei diesem Anblick, auch wenn ich das gar nicht will. Ich bin froh, als Meilo ihn wieder loslässt. "Komm. Ich stell dir den Rest vor", locke ich meinen Schatz, weil ich schon wieder dieses leicht besitzergreifende Gefühl in mir aufwallen spüre. Ist das normal? *** Eigentlich dachte ich, es lässt sich verdammt schwer arbeiten, solange ich weiß, dass Meilo zuhause auf mich wartet, doch das ist nichts im Vergleich dessen, was ich jetzt durchmache, wo Meilo in meiner unmittelbaren Nähe steht, und mich beobachtet, während ich einen Kunden bediene. Ich spüre seine Blicke regelrecht auf mir! Und das macht mich wahnsinnig! Ich kann mich kaum auf den Kunden konzentrieren, höre ihm nur mit einem Ohr zu und das ist gar nicht gut. Ich muss aufpassen, dass ich keinen Mist baue! Zum Glück hat der Kunde keine speziellen Wünsche, sondern will nur wissen, ob die Nudeln auch Vegan sind, die er sich ausgesucht hat. Das bekomme ich zum Glück noch hin, bejahe und darf ihn zur Kasse begleiten. Als er den Laden verlassen hat, drehe ich mich zu Meilo. "Du bringst mich total aus dem Konzept", sage ich zu ihm. Er grinst dreckig und bleibt in seiner gewohnt locker-lässigen Art vor einem der Regale stehen. "Gut", raunt er. "Das hatte ich auch vor." Tzäh! "Wie lange musst du noch arbeiten?" "Noch eine viertel Stunde. Dann gehen wir." Endlich! "Wann haben wir den Besichtigungstermin?" "In einer halben Stunde. Müsste machbar sein." "Das wird knapp", überlege ich. Die U-Bahn ist sicher voll. Die Stadtbusse ebenfalls. "Wir schaffen das schon. Dann muss die Marlerin eben kurz warten." "Die Makerlin wartet aber nicht gern", erkläre ich ihm. "Das durfte ich mir schon zwei Mal anhören." Sie wird dann immer ganz zickig. Was kann ich dafür, wenn Clem nie aus den Puschen kommt? Denn wie schon zur ersten Besichtigung, war Clem auch bei fast jeder anderen mit von der Partie. Bis jetzt. Heute ist er nämlich nicht mit dabei. Heute gehen nur Meilo und ich dort hin. Lächelnd stoße ich mich von der Theke ab, laufe um sie herum und lande in Meilos Armen. Es ist im Moment kein Kunde da und Clem sowie Jean sind hinten, weshalb ich ungeniert Meilo meine Lippen aufdrücke. Zärtlich bitte ich mit meiner Zunge um Einlass, welcher mir auch gewährt wird. Seufzend erkunde ich seine mir nur allzu vertraute Mundhöhle, lade Meilos Zunge zum Tanzen ein. "Ähäm!" Oh Shit! Wir fahren erschrocken auseinander. Clem steht mit verschränkten Armen vor uns. Hinter ihm steht Jean, der uns breit angrinst. "Hopla", sage ich mich räuspernd. "Schämt euch! Mitten im Laden!" Man sieht Clem an, dass er das nicht ernst meint. "Mal nicht neidisch werden", ärgere ich ihn. Er will etwas erwidern, doch da geht die Türglocke. Kundschaft. Zwei junge Kerle betreten den Laden. Clem begrüßt sie, weshalb ich Jean dabei helfe, die Regale wieder aufzufüllen. Es sieht eben nicht gut aus, wenn man als Angestellter vor der Kundschaft mit seinem Lover herummacht. Während Jean mir die Flaschen reicht, steige ich auf die kleine Trittleiter und stelle den Wein schön in Reih und Glied nebeneinander. Nebenbei höre ich Clem zu, wie er sich mit einem der Kerle unterhält und ihn berät. Das macht er echt gut. Er kennt sich mit den verschiedenen Weinsorten fast so gut aus wie Jean. Jean erklärt uns immer alles, aber Clem kann sich die ganzen Besonderheiten einfach besser merken als ich. "Danach müssen wir noch das Tomatenpesto auffüllen. Schaffst du das noch?" "Denke ja." Das müsste zu machen sein. "Das war die Letzte. Ich hole schnell die Kiste mit dem Pesto." "Ist gut." Ich steige von der Leiter und stelle sie an ihren Platz, bevor ich zu dem Pesto-Regal gehe. Doch auf dem Weg dorthin, bleibe ich mit meinem Blick an Meilo hängen. Er steht immer noch an Ort und Stelle, aber er ist nicht mehr alleine. Typ Nummer zwei steht bei ihm und unterhält sich mit ihm. Erst denke ich mir nichts dabei, doch als Jean mir die Kiste mit dem Pesto hinstellt, damit ich die kleinen Gläschen einräumen kann, werde ich stutzig. Von hier aus habe ich eine perfekte Aussicht auf das Ganze. Meilo ist es nicht, der mir Kopfzerbrechen bereitet, sondern der andere Kerl. Das sieht doch ein Blinder, dass er sich an meinen Schatz ran zu machen versucht! Ich erkenne die Anzeichen, das dümmliche Grinsen, den verlegen wirkenden Augenaufschlag und vor allem die gelegentlichen Annäherungsversuche, die sich in kleinen Berührungen äußern. Der widerliche Kerl versucht Meilo zu betatschen! Ich werde grün vor Eifersucht, starre die ganze Zeit über zu den beiden rüber und versuche dabei die Gläser in geordneter Folge aufzustellen, was mir aber sicher nicht gelingt. Es ist mir auch vollkommen egal. Ich habe nur eins im Sinn: Der Typ soll sich vom Acker machen! Ich kann nicht verstehen, über was sie sich unterhalten, so sehr ich es auch versuche. Immer wieder schaue ich Meilo an, aber er sieht einfach nicht zu mir. Es ist nicht so, als würde er auf die Anmachversuche anspringen, das wäre ja noch schöner, aber was dagegen unternehmen tut er auch nicht. Und wieder tatscht die Hand des Anderen nach Meilos Arm. Okay. Das langt! Was zu viel ist, ist zu viel. Ich muss diesem Kerl klar machen, dass Meilo vergeben ist, sonst fliegt gleich eines Pestogläser auf dessen Hinterkopf zu. Gar keine schlechte Idee ... Das kleine Wörtchen, das schon den halben Tag in meinem Kopf herumgeistert taucht auf: Besitzergreifend. Ja, das bin ich. Und es macht mir noch nicht mal was aus, so sauer bin ich auf diesen dreisten Typen. Ich wiege das schwere Glas in meiner Hand. Natürlich werde ich es nicht werfen. Das gute Pesto wäre viel zu Schade dafür, aber es mir vorzustellen hat was. Langsam erschrecke ich vor mir selbst. Schnell stelle ich das Glas an Ort und Stelle. Genau wie die restlichen Gläser. Dann falte ich den Karton zusammen, klemme ihn mir unter den Arm und gehe rüber zu Meilo, der mich plötzlich ansieht. Sofort strahlen seine grünen Augen und ich bekomme weiche Knie. Ich bin so ein Idiot! Besitzansprüche schön und gut, aber das hier ist Meilo. Ich weiß, dass er nicht auf so eine plumpe Anmache reinfällt.* Und ich weiß auch, dass er ebenso fühlt wie ich. Also was soll der Scheiß, frage ich mich. Wieso gerät mein Körper dermaßen außer Kontrolle, wenn ich sehe, dass ein Anderer versucht, sich an Meilo ranzumachen? 'Weil der Kerl wissen soll, dass Meilo zu dir gehört', erklärt mir mein Verstand. Na wenn das so ist, dann werde ich das doch gleich mal tun, nicht? "Das wär's dann", richte ich mich an Meilo und stelle mich neben ihn. "Feierabend. Wir können los." "In Ordnung", sagt er, lächelt mich dabei verliebt an und legt seinen Arm um mich. Das dämliche Gesicht, dass der andere dabei zu Tage legt, ist Genugtuung genug für mich. Ein knappes Tschüss, und weg sind wir, auf den Weg hinter in die Umkleide. "Uff! Der hat mir vielleicht das Ohr abgequasselt", stöhnt Meilo, als wir unter uns sind. "Hat er das?", frage ich nach und lasse es ganz beiläufig klingen, während ich mir die Schürze ausziehe. "Und wie!" "Wieso hast du nichts gesagt? Oder bist weggegangen?" "Ich wollte vor euren Kunden nicht unhöflich sein", meint Meilo und setzt sich auf einen der drei Stühle, die hier stehen. "Zum Glück hast du dann doch bemerkt, dass ich in der Klemme stecke." "Was?" Ich drehe mich zu ihm um. "Ich habe die ganze Zeit zu dir rübergelinst, doch du hast mich nicht bemerkt." "Das kann nicht sein! Ich hab doch ständig zu dir rübergeschaut, aber du hast nur diesen Typen im Blick gehabt." "Das stimmt nicht. Immer, wenn ich zu dir gesehen habe, hast du entweder die Weinflaschen eingeräumt, oder die Gläser." Ich mag mich irren, aber kann es sein, dass Meilo leicht verärgert aussieht? Sowas! "Heißt das etwa, wir haben das gleiche Gedacht?" "Was hast du denn gedacht?", fragt er mich vorsichtig. "Ich hab daran gedacht, dem Kerl eins der Pestogläser an die Rübe zu schmeißen, wenn er dich weiterhin so penetrant anbaggert." Nu ist es raus, aber das macht mir nichts, weil ich es im Gefühl habe, dass Meilo was ganz Ähnliches gedacht hat. "Und ich habe mich gewundert, warum du so ruhig bleiben kannst, während sich ein Fremder an mich heranschmeißt", gibt Meilo auch schon zu. Lachend schüttle ich den Kopf und setze mich rittlings auf Meilos Schoß. "Meins", flüstere ich, sehe belustigt, wie mein Schatz erst die Stirn runzelt, dann aber erleichtert grinst. "Alles meins", wiederhole ich und nehme seinen Mund ein. Meins, meins, meins ... Und alle sollen es sehen. Zum Beispiel an den kleinen dunklen Flecken an seinem Hals, die er leider noch verdecken muss. Nachdem ich meine Besitzansprüche an Meilo ziemlich deutlich gemacht habe, verabschieden wir uns noch schnell von Clem, Jean und KP, dann machen wir uns auf den Weg zur U-Bahn. Es ist doch nicht so voll, wie ich vorhin befürchtet hatte. Dennoch bleiben wir in der Bahn stehen und warten die vier Stationen, bis wir wieder aussteigen müssen. "Morgen früh zeigt sie uns noch eine Wohnung, die liegt etwas außerhalb. Danach fahren wir am besten gleich weiter zu meinen Eltern", sagt Meilo. "Ist gut", nicke ich. "Alles klar bei dir?" "Ja. Was soll schon sein?" "Du siehst wieder so abwesend aus", meint er. "Es ist nichts", beteuere ich, wobei das nicht ganz stimmt. Bei dem Wort Eltern bekomme ich schon wieder leichte Angstzustände. "Sie werden dich schon nicht fressen", schmunzelt Meilo, und wieder wundere ich mich, dass er so leicht erraten konnte, was mich beschäftigt. "Das übernehme lieber ich." "Scherzbold!", lache ich und stoße ihm leicht in die Seite. "Das war kein Scherz", gluckst Meilo. Ich stupse ihn noch einmal, schaue ihn vielsagend an, dann stelle ich mich vor die Schiebetür. Die nächste Station gehört uns. Das Haus, zu dem wir müssen, ist nicht weit von der U-Bahn entfernt. Ein Pluspunkt, finde ich. Nur ist die Gegend nicht gerade ein Traum. "Hochhäuser", seufze ich. "Lass uns doch erst mal die Wohnung anschauen. Sie soll der Wahnsinn sein." "Genau wie der schmuddelige Kiosk da drüben?", frage ich. "Der Typ, der da sein Bier trinkt sieht auch wahnsinnig aus." "Wir schauen doch nur. Warten wir ab, wie die Wohnung ist." "Schwulenfeindlich?", schlage ich vor. "Oder glaubst du, die empfangen uns mit offenen Armen?" Unauffällig nicke ich in Richtung einer Gruppe herumgammelnder Jugendlicher. "Wer weiß?", meint Meilo. Ich verdrehe nur die Augen. Ehrlich gesagt, ich fühle mich hier unwohl. Und wenn die Wohnung aus puren Gold bestünde, ich werde unter Garantie nicht in so eine Gegend ziehen. "Na los! Wir besichtigen die Wohnung, dann sehen wir weiter, ja?" "Von mir aus." Bleibt nur zu hoffen, dass das nicht Meilos Traumbude ist. Wir laufen einige Meter, da sehen wir schon die Maklerin vor einem der Hochhäuser stehen. "Herr Haug! Wie schön, Sie endlich persönlich zu treffen", flötet sie und kommt uns breit lächelnd entgegen. Aufgeregt streckt sie ihm ihre Hand hin. Und mir bleibt nur wieder abermals mit den Augen zu rollen. Das gibt's nicht! Jetzt wird die in Gegenwart von Meilo scheinbar auch noch rollig. Was ist denn heute nur los? Ihre Wangen leuchten rosa, als sie ihn anschaut. Hat er heute irgendwelche Hormone an sich? Mir egal, dass keine zehn Meter von uns entfernt diese Bande von Jugendlichen hockt. Ich nehme Meilos Hand in meine. "Können wir?", frage ich in die Runde. "Ja natürlich", tönt die Maklerin und lässt uns eintreten. "Die Wohnung befindet sich im fünfzehnten Stock. Es gibt eine große, nach Süden ausgelegte Außenterrasse ..." Bla, bla, bla. "Ist der Aufzug nicht ein bisschen zu klein?", stelle ich die Frage aller Fragen, denn: "Wie bekommen wir da unsere Möbel hoch?" "Für sperrige Güter wie Schränke oder große Umzugskisten gibt es auf der anderen Seite einen Lastenaufzug. Den können Sie nutzen." "Perfekt", erwidert Meilo, was Frau Maklerin zum Strahlen bringt. Nervt es euch, wenn ich sage, dass ich wieder mit den Augen rolle? Irgendwie hatte ich mir die ganze Besichtigungsnummer mit Meilo anders vorgestellt. Die ganze Aktion fängt an mich zu nerven. Die Wohngegend ist scheiße, die Maklerin glotzt meinem Partner auf den Hintern, und ich hasse Aufzüge! Ganz besonders Lastenaufzüge. In meiner Not packe ich Meilos Hand fester. Ich will hier weg! Doch er drückt mich bloß retour, lächelt mich bezaubernd an, sodass ich gar nicht anders kann, und zurück lächle. Wahrscheinlich verströmt er heute tatsächlich liebestolle Hormone, denn gegen sein Lächeln ist kein Kraut gewachsen. Als wir die Wohnung betreten, dann die Ernüchterung. Sie ist wirklich der Hammer! "Wow", haucht Meilo. Wir stehen in einem großen, offenen Raum und blicken direkt auf die schon erwähnte Außenterrasse. Selbst von hier aus hat man einem wundervollen Blick über die Stadt. Die Maklerin plaudert ihr gewöhnliches Wissen über die Wohnung runter. Quadratmeterzahl, Anzahl der Räume, die guten Klimabilanzen ... Bla, bla, bla. Und mir wird immer mulmiger zumute. Ich will hier nicht leben! Die Wohnung scheint ja toll zu sein, doch es fühlt sich immer noch nicht wie Zuhause an. Zuvor hatte ich noch geglaubt, dass ich nicht so empfinde, würde daran liegen, dass Meilo nicht bei mir ist, aber dem ist offensichtlich nicht so. "Was hältst du davon?", fragt er mich. Ich zucke mit den Schultern. "Verstehe. Es ist immer noch die Lage." "Nicht nur", murmle ich. "Sag jetzt nicht, dir gefällt die Wohnung nicht." "Doch, schon ... nur ..." "Nur?" Seufzend schaue ich Meilo an. "Ich sehe uns hier nicht. Verstehst du?" Er mustert mich eingehend. So sehr, dass ich doch glatt leichte Verunsicherung verspüre. Dann allerdings nickt er. "Ich denke ja", sagt Meilo. "Es passt nicht." Erleichterung erfasst mich. Es passt nicht. Ja, genau das ist es. Das sind nicht wir. Was auch immer wir sind, beziehungsweise einmal sein werden, aber wir sind und werden auf jeden Fall nicht das hier. "Vielleicht hätten wir nochmal genauer darüber reden sollen, was wir wollen." "Daran liegt es nicht", wende ich ein. "Die Atmosphäre muss stimmen." Besser weiß ich es nicht auszudrücken. Meilo wendet sich der Makerlin zu und ruft sie zu uns. "Ja?" Wimpergeklimper. "Wir haben genug gesehen", sagt Meilo zu ihr. "Sie nehmen es?" Ja. Und dazu noch eine Armbrust und drei Feldkanonen. "Nein." Meilo schüttelt den Kopf und die Maklerin scheint ihren fast zu verlieren, so fassungslos glotzt sie meinen Schatz an. "Die Wohnung gefällt uns nicht." Man kann förmlich sehen, wie der Maklerin das Lächelns auf dem Gesicht gefriert. "Oh", macht sie, nickt dann übertrieben und verfällt wieder ganz in den Geschäftsmodus. "Nun, dann brechen wir hier ab und sehen uns morgen wieder." "Können wir nicht schon jetzt die Wohnung, die für morgen angesetzt ist, besichtigen?", frage ich. "Wir haben noch Zeit." "Leider ist die Wohnung noch nicht frei", sagt die Maklerin. "Den Besichtigungstermin kann ich leider nicht kurzfristig umlegen." "Schade." Dann hätten wir morgen Zeit gespart, aber was soll's. "Hätten Sie noch etwas anders für uns, dass Sie uns jetzt zeigen könnten?", möchte Meilo wissen. "So weit ich weiß, hatte ich nichts weiter für Sie im Hinterkopf ... Aber ich schaue nochmal nach." Sie zückt ihr Smartphone. "Ich hätte noch eine Immobilie im Stadtkern. Das wäre allerdings eine Eigentumswohnung." "Das bedeutet, sie steht nur zum Verkauf?", harke ich nach. "Das heißt es." Unsicher schaue ich Meilo an, doch er sagt bloß: "Anschauen kostet nichts." Auch wieder wahr. Wir fahren zusammen mit der Maklerin in ihrem schicken Angeberwagen, da wir ja mit der U-Bahn hergekommen sind, zu besagter Wohnung. Die Gegend, zu der wir unterwegs sind, gefällt mir schon viel besser. Und der Clou: Der Weinkeller liegt keine drei Straßen weit von der angegeben Adresse entfernt. "Ich könnte zur Arbeit laufen", sage ich zu Meilo, als wir ausgestiegen sind. "Nur ein paar Minuten in diese Richtung, schon bin ich im Weinkeller." "Schon ein Pluspunkt für die Eigentumswohnung", lacht er. "Ja ...", sage ich leise und reibe mir den Bauch. Mein Magen spielt verrückt. Schon seit wir hier her unterwegs sind. Vielleicht mag er das Wort Eigentumswohnung nicht, aber davon lasse ich mich nicht abschrecken. Wie Meilo gesagt hat. Anschauen kostet nichts, und eventuell sind wir hiernach schlauer, was wir eigentlich genauer suchen. Wir folgen der Maklerin, die über die Straße geht und an ein paar kleinen Häusern vorbeiläuft. Also wenn die Wohnung in einem dieser Häuser ist, dann ist sie viel zu klein, fürchte ich. Tja, und wo bleiben wir am Ende stehen? Vor eben einem dieser Häuser. Zwei Stockwerke und ein ausgebautes Dachgeschoss. Es sieht alt aus, nicht alt alt. Eher liebevoll restauriert alt. Lange, schmale Fenster im Erdgeschoss sowie im ersten Stock, die dort jedoch doppelt so breit sind. Es sind keine dieser modernen Dinger, sondern diese Alten, in Vierecke unterteilten. Doch bei näherer Betrachtung sind sie nur auf alt gemacht. Sicher sind sie ebenfalls neu hergerichtet. Zartgelber Putz, auf dem sich die dunkelgrünen Fensterläden wirklich hervorragend machen. Dem zweiten Stock sieht man das Alter fast gar nicht mehr an. Kernsaniert trifft es hier ganz gut. Ich weiß nicht genau, wie ich es beschreiben soll, aber ich versuche es mal. Wenn man, so wie ich, vor dem Haus steht, sieht man auf eine Hälfte der Schrägseite des Daches. In der Mitte allerdings ist so etwas wie ein Erker, nur viel größer. Er hat, passender weise, die Form eines Hauses und ist komplett verglast. Davor ein Balkon. Richtig hübsch, aber eben viel zu klein, wenn man die beiden Wohnhälften betrachtet. In gewisser Weise beruhigt mich das. Keine Eigentumswohnung. Keinen riesigen Kredit aufnehmen, um die Wohnung abzubezahlen. Adé Eigentum, hallo du schöne, entspannte Mietwelt. Trotz dem offensichtlichen Platzmangel, laufen wir weiterhin der Maklerin hinterher, gehen durch das kleine hübsche schmiedeeiserne Tor, tapsen über den kleinen mit roten Steinen gepflasterten Weg, der einen kleinen, gut gepflegten Vorgarten teilt, auf die Eingangstür zu "Das Haus wurde in den Zwanzigern erbaut, wurde allerdings 2010 komplett kernsaniert, umgebaut und auf diesem Wege auch modernisiert. Storm kommt von der eigenen Solaranlage, überschüssiger Strom wird ins öffentliches Stromnetz gespeist, geheizt wird mit Erdwärme." "Hört sich wirklich gut an", sagt Meilo. Ich schweige und bestaune lieber die kleine Bank, die links neben der Eingangstür steht. Wie in der Waldhütte gibt es hier so eine Art Veranda. Nicht groß, aber ausreichend. Sofort sehe ich Meilo und mich dort sitzen. Während die Maklerin aufschließt, drehe ich mich um. Der kleine Vorgarten ist eingefasst mit hohen Büschen. Nichts im Vergleich zu dem Wald, in besagter Hütte, aber auch nicht zu verachten. Ein perfekter Sichtschutz. "Nic?" "Hm?" Ich drehe mich wieder um. Meilo sieht mich grinsend an. "Träumst du? Komm schon mit rein." "Oh ... Ja! Komme." Ich schüttle das komische Gefühl ab, das mich eben befallen hat. Mit Meilo auf dieser Veranda hocken. So weit wird es nie kommen. Aus vielerlei Gründen nicht. Obwohl die Gegend besser nicht sein könnte. Beinahe mitten im Viertel ... Drinnen ist es trotz des diesigen Wetters hell und freundlich. Links neben mir geht eine Treppe nach oben. Vor uns Wohnung Nummer eins. Also schätze ich mal, dass das hier die freie Wohnung sein soll. Etwas stutzig macht mich das schon. Wo sind die Türen? Die Leute über dieser Wohnung müssen doch sicher über die Treppe nach oben kommen. Die können dann ja in die Erdgeschosswohnung glotzen. "Fangen wir am besten hier unten an", sagt die Maklerin und bittet uns weiter hinein. Unten anfangen? "Ähm Entschuldigung?", richte ich mich an sie. "Ja?" "Gehört der obere Stock etwa mit dazu?" Die Maklerin lacht hell. "Das hoffe ich doch, oder würden sie ein halbes Haus kaufen?" "Ein ... Haus?", japse ich. "Das ganze Haus ist zu verkaufen?" Ich rudere mit meinen Armen in der Luft. "Sage ich das nicht bereits?" "Sie sagten, es sei eine Eigentumswohnung", erinnere ich sie. "Das hier ist ja auch eine Wohnung", meint sie schnippisch und macht mit ihrer Führung weiter. Mir bleibt die Spucke weg. Die hat uns angelogen! Ich schaue neben mich, wo ich Meilo vermute, doch er ist ihr inzwischen munter gefolgt. Notgedrungen laufe ich ihnen nach, aber in der Sache ist das letzte Wort noch nicht gesprochen! Wieder rasselt sie die Einzelheiten des Hauses runter, zeigt uns jenes und dieses, erwähnt etwas von einem Gäste-WC. Wo dieses sein soll? Keine Ahnung, denn ich kann ihr nicht richtig zuhören. Ich stehe einfach mitten in diesem Wohnraum, der größer ist, als ich anfangs vermutet hätte, inklusive Terrasse und offener Küche, und spüre meinen Bauch ungnädig ziehen und gluckern. Ich reibe ihn besorgt, während ich mich in dem unmöblierten Raum umschaue. Wie geschaffen für ein Wohnzimmer. Hier könnte man abends schön sitzen, eingekuschelt auf dem Sofa. Auf einem riesigen Sofa. Platz genug ist dafür allemal, trotz der angrenzenden Wohnküche. Sie ist vom Eingang gesehen gleich rechts gelegen. Wenn man das Haus betritt, kann man sie nicht sehen, da sie eine Wand vom Eingangsbereich abtrennt. Das war's allerdings auch schon an Wänden. Bis auf die Treppe, von der aus man bis ganz nach oben schauen kann, und noch ein paar Stützbalken, behindert nichts die Sicht. Auf was? Na auf den beschissen schönen Garten, gleich jenseits der Glasfront, die zur Terrasse führt. Groß kann der Garten nicht sein, denn wir sind ja mitten in der Stadt, aber von hier aus könnte man meinen, er sei riesig. Überall Bäume und Büsche. Meine Mutter hätte ihre wahre Freude daran. "Gehen wir in den ersten Stock", höre ich die Maklerin sagen, die sich anhört, als käme ihre Stimme von ganz weit weg. Mein Bauch zieht sich wieder zusammen. Meilo ergreift plötzlich meine Hand. Er lächelt, und mir wird ganz leicht ums Herz. Er zieht mich mit sich, hinter der plappernden Maklerin her, die Treppe nach oben. Sie zieht sich nach rechts übers Eck, dann stehen wir mitten im ersten Stock. Alle Fenster hier sind bodentief. Sie wirken von draußen viel kleiner. Überhaupt sieht das Haus von außen viel kleiner aus, als es von innen ist.** Wieder ist der Raum ziemlich groß, wenngleich auch kleiner als unten, was daran liegen mag, dass der erste Stock in mindestens einen weiteren Raum unterteilt ist. "Hier wäre zum Beispiel Platz für ein Schlafzimmer. Im angrenzenden Raum, neben dem raumhehen, fest eingebauten Kleiderschrank, ist das große Badezimmer mit Wanne, Dusche und zwei Waschbecken." Was hab ich gesagt? Meilo zieht mich mit sich vor die Fenster, von denen aus man nach unten in den kleinen Vorgarten schauen kann. Dahinter liegt die Altstadt mit ihren alten Gebäuden und den Linden, die dort überall stehen. Im Sommer ist das bestimmt noch viel schöner, denke ich. "Kannst du dir vorstellen, morgens aufzuwachen, und das hier zu sehen?", fragt mich Meilo. "Nicht so beeindruckend wie die Wohnung zuvor", wende ich ein, obwohl die doch niemals zur Debatte stand. "Wieder nichts?", frage mich Meilo auch sogleich. Ich will antworten, doch ich bekomme keinen Ton raus. "Wir haben ja noch nicht alles gesehen", krächze ich und frage mich, ob Meilo denn wirklich in Betracht ziehen könnte, gleich ein ganzes Haus zu kaufen. "Dann schauen wir uns das Badezimmer an, ja?" "Hmhm", mache ich und halte mir abermals den Bauch. Was ist denn mit ihm bloß los?! Das Badezimmer verbirgt sich hinter einer Schiebetür aus Milchglas, die sich, wenn man sie aufschiebt, hinter dem Kleiderschrank versteckt. Wer's mag. Dafür bietet das in die Länge gezogene Bad viel Platz, ist ebenfalls hell und besitzt alles Nötige, was ein Bad haben muss. Inklusive einer Wanne, in der man locker zu zweit hinein passt. Doch dies und die zwei Waschbecken sind für mich nicht ausschlaggebend für einen Hauskauf. ... Arg! Also falls ich mal vor hätte eins zu kaufen. Nur dann, versteht sich. "Die Wanne ist schon mal groß genug für zwei", scherzt Meilo mit der Maklerin und schenkt mir einen eindeutigen Blick. Ich lächle schmal und höre erneut das ungesund klingende Gurgeln meines Bauches. Eine Gänsehaut überzieht mich. Das komische Gefühl in mir will einfach nicht weichen. Nach der Besichtigung des Badezimmers und des Schlafzimmers, geht es noch einen Stock höher hinaus. Nämlich ins Dachgeschoss. Um dort hin zu kommen, müssen wir wieder zurück, durchqueren das Schlafzimmer und steigen weiter die Treppe hinauf, die wieder nach rechts der Hauswand folgt und in einem breiten Flur endet. Am Ende dieses Flurs befindet sich jener ausgebaute Erker, den ich schon von Draußen bewundert habe. Im Winter könnte man dort gemütlich sitzen, und im Sommer sich einfach raus auf den Balkon setzen. Links und rechts neben uns befinden sich zwei Türen. Die Maklerin zeigt uns das erste von diesen Zimmern. "Ich weiß nicht, ob es Ihnen vom Platz her genügen würde, aber ein Tonstudio hätte hier drinnen sicher Platz. Der andere Raum ist etwas kleiner geschnitten. Man könnte ein Arbeitszimmer daraus machen, oder ein Gästezimmer." Meilo schaut sich interessiert um. "Wie sieht es mit der Isolierung aus? Wird es im Sommer hier oben nicht furchtbar warm?" "Es ist alles bestens isoliert. Darüber brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen", antwortet sie prompt. "Das Zimmer müsste umgebaut werden. Die Fenster müssen auch Schalldicht sein", überlegt Meilo und betritt den Raum, den die Maklerin als Tonstudio auserkoren hat. "Alles kein Problem. Sie können alles so umbauen, wie sie es bräuchten, denn es würde Ihnen gehören", lacht die Maklerin. Ich lehne mich gegen die Wand und reibe mir fester über den Bauch. Es zieht heftig darin. Scheiße, hoffentlich habe ich mir nichts eingefangen! "Falls Sie interessiert sind, kann ich Ihnen alles Wissenswerte per E-Mail zuschicken." "Das wäre nett", sagt Meilo und in meinem Bauch fängt etwas an Rumba zu tanzen. "Ich muss mal kurz ... ", krächze ich und stürme aus dem Raum. Ich brauche Luft! Weil der Weg nach unten zu weit ist, gehe ich raus auf den Balkon. Glücklicherweise ist die Balkontür nicht abgeschlossen. Ich lehne mich gegen die Brüstung und atme tief durch. Die Winterluft tut unglaublich gut und beruhigt meinen aufgewühlten Bauch ein wenig, bis ich hinter mir Schritte höre. "Nic? Geht es dir nicht gut?" Meilo ist sofort bei mir und legt seinen Arm um meinen Rücken. Dankbar lehne ich mich an ihn. "Mir war nur kurz übel", flüstere ich. "Übel? Wird du krank?" "Hoffe nicht." Ich will ihm das Wochenende nicht versauen. Unter keinen Umständen. "Du magst das Haus nicht", schließt er aus meinem Verhalten. Tue ich das? "War ja auch nur so eine Idee." "Wessen Idee? Die von der Maklerin?", lache ich auf. "Die hat die dicken Eurozeichen in den Augen. Nur deshalb schleppt die uns hier her." "Und wenn schon", winkt Meilo ab. "Hier geht es nicht um sie, sondern um uns." "Das heißt, dir gefällt es hier?" Ich traue mich gar nicht Meilo anzuschauen. Ich will nicht seine Enttäuschung sehen, die ich sicher gleich aus seiner Stimme heraushören kann. "Dir nicht, wie es aussieht." "Das habe ich nicht gesagt!" "Dann sag es mir jetzt. Findest du die Idee, hier zu leben, vollkommen absurd? Siehst du uns wirklich nicht hier?" Erneut zieht und grummelt es in meinem Bauch. Gut, dass ich mich an der Brüstung festhalten kann. Ich überlege ernsthaft, gehe im Kopf all die Eindrücke durch, die ich von dem Haus habe. Die Veranda, auf der wir sitzen könnten; das Wohnzimmer, auf dessen Couch wir faul herumlümmeln; den Garten, in dem meine Mutter herumwerkeln kann, während wir ihr dabei helfen; das Schlafzimmer, in dem wir morgens aufwachen, mit Blick über die Stadt und die Linden; die große Badewanne, in der wir beide liegen; und zu guter Letzt der Balkon, auf dem wir gerade stehen. Hier könnten wir nach der Arbeit sitzen, zu Abendessen, nichts tun, außer beisammen zu sein. So eine Scheiße! Und wie ich uns hier sehe! Schon die ganze Zeit über, und mein Bauch wusste das. Deshalb hat er die ganze Besichtigung über gezogen und gegurgelt, weil ich es vor meinem inneren Auge sehe, uns beide, und weil das alles gar kein Problem wäre, wenn wir das Haus einfach mieten könnten, anstatt es gleich zu kaufen. "Nic?" Meilo wartet auf meine Antwort. Unten, auf dem Gehweg, läuft ein Pärchen mit einem Hund spazieren. Zwei Männer! Verdammt, das gibt es nicht! Als soll es so sein. Klar, ich kann es darauf schieben, dass wir hier nahe am Viertel sind, aber das wäre zu einfach. Zu banal. Mein Bauch gurgelt erneut. "Und wie ich uns hier sehe", flüstere ich und schaue weiter dem Paar hinterher, wie es langsam den Weg entlang schlendert. "Auch mit einem Hund?", fragt Meilo mich lachend. "Von mir aus auch mit einem Pony, wenn dich das glücklich macht." "In Ordnung. Aber du mistest jeden Tag den Stall aus." Ich rümpfe die Nase. "Lass uns darüber reden, wenn die Zeit dafür reif ist, ja?" "Ist gut. Aber was ist jetzt? Wollen wir es wagen?" Wollen wir? Mein Bauch sagt allem Anschein nach ja. Schon die ganze Zeit über. Doch was sagt mein Verstand dazu? ****** * Ah ja. Plumpe Anmache, ja? Man erinnere sich nur ans Abschleppen und an die lange Stange, nech? XDDD **Das Haus ist bestimmt eine Tardis XD. Von innen größer als von außen. Oder von außen viel kleiner als von innen? :-P Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)