My love bite on your neck von Fara_ThoRn ================================================================================ Love bite 07 - Love bites ------------------------- Meine Damen und Herren, das Geheimnis wird gelüftet. Ist Meilo das glitzernde Popsternchen Keith, oder nicht? Heute werdet ihr es erfahren. ;D Love bite 07 - Love bites Ich kann es nicht fassen! Warum ich?! Wieso nur? Wieso?! Aber was jammere ich eigentlich? Ich bin ja selbst schuld an der ganzen Misere. Die Suppe habe ich mir freiwillig eingebrockt. Zwar in einem unüberlegten Moment, eine Kurzschlussreaktion quasi, aber trotzdem … Ich fasse es nicht! Fassungslos und mich im höchsten Maße selbst bemitleidend, schiele ich die vier Mädchen mir gegenüber auf der Couch an, die kichernd und stöhnend ein Jugendmagazin vor sich liegen haben und darin die bunten, schrillen Keith-Bildchen darin ansabbern. Eine von ihnen ist meine Schwester. "Wann fahrt ihr den los?", fragt meine Mutter, die Getränke und kleine Häppchen vor sich herschleppt, und den quietschenden Mädchen zum Fraß vorwirft. "In gut einer Stunde", antworte ich mürrisch und schnappe mir eins der belegten Brote. Hunger habe ich eigentlich keinen, dazu bin ich viel zu aufgeregt. Natürlich nicht wegen Keith, wie die vier Kichererbsen vor mir, wohlgemerkt. Wäre ja noch schöner. "Ahh!!! Wir werden Keith sehen! Ich kann es noch gar nicht fassen!" Penelope zappelt wie ein durchgedrehter Schmetterling mit ihren Armen auf und ab. "Ja! Und stellt euch doch nur mal vor, Keith ist im diesem Moment ganz in unserer Nähe!" "AHHHH!" Ein trächtiges Kreischen. Ich verziehe das Gesicht und halte mir die Ohren zu. Womit habe ich das nur wieder verdient? Einzig das Wissen, dass heute Nacht Meilo bei mir sein wird, lässt mich nicht total verzweifeln, oder gleich aus dem nächstbesten Fenster springen, nur um dem hier zu entkommen. Ich freue mich schon so sehr auf ihn! Es kommt mir so vor, als hätte ich Ewigkeiten auf diesen Tag hingefiebert, obwohl es nur neun Tage waren. Das liegt wohl größtenteils daran, dass ich seit unserem Date in Kassel nur noch an ihn denken kann. Sogar noch mehr, als vor dem Date, und das will was heißen. Zudem habe ich seitdem das sichere Gefühl, dass wir uns inzwischen sehr sehr nahe stehen. Wir telefonieren seitdem noch mehr miteinander, schicken uns ständig SMS und wenn wir das gerade mal nicht tun, erwische ich mich dabei, wie ich die Bilder vom Herkules anstarre, die Meilo mir wie versprochen alle zugeschickt hat. Gleich noch am selben Abend hatte er dieses Versprechen eingelöst. Es dauerte die halbe Nacht, bis die Fotos alle durch waren, aber das war es wert gewesen. Und nun starre ich schon wieder auf eins der Bilder, und zwar auf genau das, welches laut Meilo so unglaublich passend für eine Eiswerbung wäre. Wie schön der Tag mit ihm gewesen ist. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen, und den Tag noch einmal mit ihm erleben … Verdammt, wie sehr ich ihn vermisse! Und das Geplapper meiner Schwester und ihrer Freundinnen trägt nicht gerade zu meiner Erheiterung bei. "Meint ihr, er wird sein neues Lied singen?", höre ich eine von ihnen in die kreischende Mädchenrunde fragen. Keine Ahnung, wie sie nochmal heißt. Mein Kopf ist mit ganz anderen Dingen beschäftigt, als mit der Namensfindung eines kleinen, blondgelockten Mädchens. "Hoffentlich! Das ist so romantisch!", seufzt meine Schwester hingebungsvoll. Als ob die eine Ahnung von Romanik hätte! Schaff dir erstmal einen Freund an, bevor du über dieses Thema mitreden kannst. "Oh ja! Und wie es das ist! Habt ihr den Song schon?" "Klar! Hab's sogar als Liveaufnahme* von Youtube auf meinem Handy!" Wunderwerk der Technik. Heute kann man sich einfach alles auf ein kleines Smartphone laden und immer bei sich tragen. Wo war Youtube, als ich noch ein Teenie war? Aber wer braucht schon Youtube, wenn man Eiswerbebilder auf seinem Handy hat? "Zeig mal! Kenne ich das?", quietscht eine der Mädchen. Kathrin, glaube ich, heißt das hyperaktive Ding. "Das ist von vorgestern. Da war er in der Schweiz." "Zeig her! Das kenne ich ja noch gar nicht!" Die vier ziemlich auffällig geschminkten Mädchen (sie sollten sich definitiv keine Transe als Vorbild in Sachen Make-Up nehmen!) drängen sich um das kleine Display eines Handys. Sie starren da drauf, wie ich, wenn ich das Bild der Eiscremewerbung anstarre. "Wie heißt der Song?" "My love bite on your neck", sagt eine der Freundinnen meiner Schwester und schon hört man leise Gitarrentöne, die sich fest in mein Hirn hämmern. "Was heißt eigentlich love bite?" "Knutschfleck", antworte ich leise und lasse den Rest meines angefangenen Brotes, sowie mein Handy sinken. "Das heißt so viel wie: Mein Knutschfleck auf deinem Hals." "Gott, ist das süß!" "Warum macht er mir nicht welche?" Kindisches Gekicher, das ich allerdings ausblende. Wie gebannt höre ich auf den in englisch gesungenen Text, bekomme aber nur Fetzen mit, da mich jedes Wort, das ich verstehe, in helle Aufruhr versetzt. 'Ich hoffe, sie werden dich noch lange daran erinnern … letzte Nacht … so heiß … so intensiv … My love bite on your neck … Ich erinnere mich seither in jeder einsamen Nacht daran … erinnere mich an jeden einzelnen Biss auf deiner süßen Haut … in dieser Nacht … nur wir beide …' Ich werde unruhig und bemerke, dass ich unbewusst die Hand auf meinen Hals gelegt habe. Genau an die Stelle, an der mich noch immer Meilos Knutschflecken verzieren, die er mir im Park als Andenken hinterlassen hat. Dieses Lied trifft meine Gefühle so genau, dass es mir fast schon Angst macht. Sehnsucht wallt in mir auf und ich schaue auf die Uhr. Noch acht Stunden! Dann kann Meilo seine love bites an mir erneuern. "Das ist ja so schön! Und so anders", säuselt meine Schwester. Ich werde nervös und fühle mich irgendwie ertappt. Als hätte dieser Keith eben vor versammelter Mannschaft meine intimsten Gefühle preisgegeben. Ich fühle mich unwohl, dass die Mädels das gehört haben, was eigentlich totaler Schwachsinn ist, da sie von einen Gefühlen ja gar nicht wissen können. Ich atme einmal tief durch und verdränge dieses irrationale Unwohlsein aus mir. Nach einem Bissen in mein Brot klappt das auch ganz gut. Der Song ist zu Ende, das Gefühl, ertappt worden sein, ebenfalls. "Vielleicht macht er ja noch eine poppigere Version daraus", gackert eins der Hühner neben Nicole. Ich beiße genervt in mein Brot. Eine poppigere Version? Ernsthaft? Endlich mal ein Lied von dieser Transe, die mir nicht völlig auf die Eier geht, und die beschweren sich auch noch darüber! Aber was rege ich mich eigentlich auf? Erstens kann es mir egal sein, und zweitens habe ich besseres zu tun, als mich über ein Lied aufzuregen. Ich muss jetzt erst einmal das Konzert hinter mich bringen und dann ist Meilo-Zeit. Doch bevor ich im Himmel, sprich, in Meilos Arme lande: "Nicht so hastig!" Herr Gott nochmal! Sind die Mädels nicht schon alt genug, um zu wissen, wie man in einen Wagen steigt? Kreischend, lachend, quietschend und teils sogar stöhnend krabbeln die drei auf die Rückbank meines Wagens. Mein Schwesterherz haut sich auf den Beifahrersitz. "Kann's losgehen?!", rufe ich, als ich hinter dem Lenkrad sitze und den Motor starte. "JAAAA!!!" Warum frage ich auch so blöd? Jetzt bin ich taub. Obwohl ... Taub lässt sich das Konzert sicher besser ertragen. "Seit ihr auch alle angeschnallt da hinten?", ruft meine Mutter, die neben der Fahrertür steht und ins Auto schielt. "Ja!!!" "Fein." Ich winke meiner Mutter zu, die mich mitleidig angrinst (ja, ja. Schmiere es mir noch aufs Brot!) und gebe Gas. Die Meute jubelt noch lauter und zu allem Überfluss schmeißt Nicole eine CD von diesem glitzernden Schnulzenpopheini ein. Ich atme tief ein und reiße mich zusammen, nicht der aufkommenden Versuchung zu erliegen, mich ins Lenkrad zu verbeißen. Das tut immer so im Nacken weh, wenn man lenken muss. Auf dem Parkplatz unweit des großen Konzertgeländes herrscht dichtes Gedränge und ich muss langsam fahren, damit ich niemanden umniete. Überall rennen aufgebrachte Teenager herum. Grell geschminkt, in Glitzerfummeln und Heels. Ich fühle mich unwohl und total fehl am Platz. Hier falle ich auf wie ein unbunter Vogel. Prompt stelle ich mir vor, wie es für meine Schwester sein muss, mit ihrem großen Bruder auf das Konzert ihres Idols zu gehen. Nein wirklich! Ich habe Mitleid mit ihr. "Nicole?" "Hm?" Sie wirkt aufgeregt. Ihre Hände zittern sogar. "Dein Handy ist aufgeladen?" "Ja." "Gut. Wir treffen uns nach dem Konzert in der Vorhalle am rechten Getränkestand." Mit kullerrunden, großen Augen schaut sie mich an, während ich mich in eine freie Parklücke zwänge. "Willst du nicht mit?" "Doch. Aber geht ihr schon mal vor. Passt aber ja auf euch auf! Papa reißt mir den Kopf ab, wenn er erfährt, dass ich nicht die ganze Zeit über wie eine Glucke über euch gewacht habe!" "Niclas! Oh Danke!" "Ja, ja. Schon gut. Ab mit euch." Die Bande springt aus dem Wagen und sprintet laut gackernd zum Eingang der großen Konzerthalle. Ich kann mir gerade so ein weiteres 'Passt auf euch auf' verkneifen. Hoffentlich passiert ihnen nichts! Ich hasse es, es zuzugeben, aber ich kann langsam erahnen, was Eltern wohl durchmachen müssen, wenn ihre Kücken flügge in die Welt hinausfliegen. Ich werde alt! Verratet Meilo nichts davon, denn was will er schon mit so einem alten Greis wie mir? Gemächlich schlurfe ich hinter ihnen her, auf die moderne Konzerthalle zu, und fühle mich mit jedem Schritt älter, was diesmal nicht an meinen neu entdeckten Elterngefühlen liegt. Ich gehöre definitiv zu den Ältesten der Konzertbesuchern. Das steht fest. Ein paar wenige Elternteile kann ich ausmachen, doch ansonsten liegt das Durchschnittsalter etwa bei vierzehn, fünfzehn. Na ja, aber wenigstens bin ich nicht der einzige männliche Gast hier. Zwar muss ich nicht lange darüber nachgrübeln, welche sexuelle Richtung die Kerlchen hier haben, nur leider: Alle zu jung für meiner einer! Moment! Was denke ich da wieder? Hallo Niclas?! Meilo kommt heute zu dir. Du musst dich also erst gar nicht nach Kerlen umschauen. Gegen Meilo kommt hier sowieso keiner an! Hundert pro nicht! Meine Laune steigt wieder an, und ich bringe es sogar fertig, dem Kerl, der meine Eintrittskarte sehen möchte, fröhlich zuzulächeln. Der verzieht keine Miene, sondern schubst mich an sich vorbei. Sehr nett, du Grobian! Kreischenden Teens ausweichend, betrete ich die hohe und helle Vorhalle. Aggressives Merchandise lässt grüßen, und das sogar schon vor Konzertbeginn. Die müssen es ja nötig haben. Weiter vorn sehe ich meine Schwester mächtig zuschlagen. Ich schleiche weiter, nicht dass ich ihren gekauften Kram auch noch schleppen darf. Den darf sie mal schön mit an der Garderobe abgeben. Ich schaffe es ungesehen an ihr vorbei und betrete den eigentlichen Konzertsaal. Wir haben Stehplätze, weshalb ich durch die Tür mit der Aufschrift Innensaal gehe, noch einmal meine Karte herzeigen muss, die mir dann auch noch eingerissen wird. Ey, die war teuer, Alter! Lautes Geplapper empfängt mich in der großen, runden, kuppelförmigen Halle. Ich habe Glück, oder viel mehr meine Schwester und ihre Freundinnen, denn wir scheinen noch recht früh zu sein. Es ist noch nicht allzu viel los, und noch werden die Zuschauer ganz vorne eingelassen. Im Hintergrund läuft leise Musik. Erinnerungen werden wach. Genau hier fand vor Jahren ein Metallica Konzert statt. Ich mitten drin. Es war der Hammer gewesen! Gemächlich schlendere ich weiter nach hinten, bis vor die erste von drei Absperrungen, die die Halle unterteilen, und lehne mich gegen die Konstruktion. Hier lässt es sich gut aushalten. Mit einem Auge auf die Tür warte ich ab, bis meine Schwester samt ihren Freundinnen ebenfalls die Halle betritt, und natürlich bis ganz nach vorn rennt. 'Viel Spaß dabei', denke ich und krame mein Handy hervor. Mal sehen, ob Meilo an sein Handy geht. *** Die Lichter werden heruntergedimmt, bis sie komplett aus sind. Nur noch ein paar Spotlights auf der Bühne leuchten in einem warmen, orangenen Licht. Enttäuscht stecke ich mein Handy weg. Jetzt macht es auch keinen Sinn mehr zu probieren, ob Meilo an sein Handy geht. Bei jedem meiner Versuche hat es mich lediglich gleich zur Mobilbox weitergeleitet, und ich habe in der letzten Stunde vergebens versucht ihn zu erreichen. Pech, doch ich nehme es gelassen. Sicher arbeitet er noch, oder fährt gerade im Auto herum. Noch ist Zeit. Viel, viel Zeit ... Die Vorband hat nicht lange durchgehalten. Die Fans waren unerbittlich. Einige buhten sie sogar aus, obwohl sie gar nicht so schlecht waren, wie ich finde. Irgendeine noch recht junge Rockband. Ihren Namen habe ich mir nicht gemerkt. Jetzt scheint es jedoch 'endlich' nicht mehr lange zu dauern, und gleich wird der Hauptact die Bühne betreten. Keith Kandyce, der feuchte Traum meiner Schwester, höchstpersönlich. Lässig lehne ich mich gegen meinen hart umkämpften Platz an der Absperrung und verschränke die Arme vor der Brust. Das Gekreische der Fans ist fast unerträglich und lässt meinen Nervpegel gefährlich hoch ansteigen. Da freut man sich ja schon fast auf die Musik! Weitere Lichtspots gehen an, Rauchschwaden verhüllen die Bühne, die ersten Töne erklingen. Sie kommen mir bekannt vor. Kein Wunder, nachdem Nicole mich seit Wochen mit dieser Scheiße quält, dürfte mir jedes dieser 'Lieder' bekannt vorkommen. Oder es liegt schlicht daran, dass sich einfach alle Songs dieser Retortenmusik gleich anhören? Auch möglich. Die Nebelschwaden teilen sich, die ersten Musiker betreten die Bühne. Ah. Der werte Herr holt sich Livemusiker auf die Bühne. Wenigstens etwas. Die Schreie der Fans werden lauter, Mädchen drängen sich vorn gegen die Absperrung. Ich stelle mich auf Zehnspitzen und versuche meine Schwester auszumachen, doch es ist zu dunkel. Es wird ihr schon gut gehen. Hoffentlich ... Zur Not gibt es ja noch die Notfallsanis. Die Stimme des ehrenwerten Keith Kandyce ertönt. Sie schallt echohaft durch die Halle, doch sehen kann man ihn noch nicht. Die Schreie werden lauter, Hände gehen in die Luft, ich werde ein paar Mal unsanft angerempelt und vor lauter Handydisplays erkennt man nichts mehr von der Bühne. Ich schüttle den Kopf. Solche Handyvideos werden doch nie was. Sound übersteuert, Bildquali scheiße. Dann doch lieber ein, zwei Bilder geknipst und dann das Konzert genießen, um sich später daran richtig erinnern zu können. Videos findet man heutzutage genug im Netz. Die Jugend von heute! Die Nebelschwaden verziehen sich und Mr. Kandyce himself betritt die Bühne. Mit großen, ausladenden Schritten nähert er sich der Mitte der Bühne. Ein Mikro in der Hand, in das er hineinschmachtet, bis er ganz vor stehen bleibt. Die ersten Ohnmachtsopfer werden über die Absperrung getragen. Das ging ja schnell. Schade um die 80 Kröten Eintritt. Mein Schwersterlein ist nicht dabei. Gut. Ich will ja mein Geld nicht umsonst ausgegeben haben. Besonders, weil ich momentan nicht viel davon habe. Der erste Song wird runtergesungen, und ich muss zugeben, singen kann er ja. Nur die Art der Musik ist zum Kotzen. Sorry, aber so ist es nun mal. Der zweite Song folgt auf dem Fuße. Der Beat wird einen Ticken schneller und die Fans ticken mit. Neben mir schreit sich eine fast die Seele aus dem Leib, und mir fällt siedend heiß ein, dass ich meine zuvor rausgesuchten Ohropax im Auto liegen lassen habe. Toll! Jetzt bleibt mir nichts anders über, als mein Trommelfell weiter quälen zu lassen, oder ... Ich stoße mich von der Absperrung ab und will mich an die äußere Wand der Halle begeben, da endet auch der zweite Song. Es wird still. Selbst die Konzertbesucher verstummen und geifern erführchtig der Bühne entgegen. Ach? Auf einmal geht's? Die Schreiqueen neben mir hechelt aufgeregt und zittert wie Espenlaub. Sie will doch nicht umfallen wollen? Bitte nicht auf mich! "Hallo Leute!", hallt Keiths Stimme durch die Halle. Aufbrausendes Geschrei. "Habt ihr alle Spaß?!" Noch lauteres Geschrei. Pfiffe. Mein Kopf fängt an sich zu drehen. "Ihr glaubt gar nicht, wie sehr ich mich freue, heute Abend bei euch zu sein! In dieser wundervollen Stadt!" Klick. Ich höre die Schreie nicht mehr. Höre die Pfiffe und gebrüllten Liebesbekundungen an Keith Kandyce nicht mehr. Als hätte mir eben jemand die Gehörgänge mit Wachs verschlossen, welches alle anderen Geräusche, außer Keiths Stimme, abschirmt. Das Gefühl, ich würde mich um die eigene Achse drehen, wird schlimmer. Mein Magen fühlt sich total flau an, während ich wie gebannt auf die Bühne starre. Auf diesen kunterbunten Keith Kandyce, und frage mich: Kann das sein? Spielt mir mein Hirn gerade bloß einen üblen Streich? Fest presse ich die Augenlider zusammen und öffne sie erst wieder, nachdem ich bis drei gezählt habe. Keine Veränderung. Keith redet, aber ich verstehe die Worte nicht. Höre nur den ganz eigenen Singsang seiner Stimme. Sehe, wie er über die Bühne stolziert, lacht und seinen Fans zuwinkt. Bei diesem Lachen saust eine Gänsehaut über mich hinweg. 'Das kann nicht sein', bete ich mir vor. 'Niemals!' "Beim nächsten Song will ich, dass ihr alle in die Hände klatscht! Bekommt ihr das hin?!" Hände recken sich in die Luft. Ich stoße mich jetzt doch von der Absperrung ab, gehe aber nicht auf die Wand rechts neben mir zu, sondern drängle mich, ungeachtet der bösen Blicke und Ellenbogenstupser, zwischen den Fans hindurch auf die Bühne zu, die ich wie hypnotisiert anstarre. Selbst die emporgehobenen Arme all der Fans halten mich davon nicht ab. Musik erklingt. Die Menge klatscht und wippt im Takt mit. Ich habe Mühe mich nach vorn vorzuarbeiten, doch ich gebe nicht auf. Und ich schaffe es tatsächlich bis fast ganz nach vorn, bis mich die hysterischen Hardcorefans nicht mehr durchlassen und ich deshalb stoppen muss. Jetzt stehe ich keine fünf Meter von der Bühnenabsperrung entfernt. Ich kann sogar meine Schwester sehen, der ich aber keine Beachtung schenke. Stattdessen starre ich mit wachsendem Entsetzen weiter den Kerl auf der Bühne an, mustere Keith Kandyce' geschminktes Gesicht, oder sollte ich besser sagen, das geschminkte Gesicht von "Meilo?" *** Je länger ich ihn anschaue, desto sicherer werde ich mir. Das ist er! Das ist Meilo! Mein Meilo, den ich auf dem Parkplatz abgeschleppt habe. Den ich bei mir hab übernachten lassen. Den ich in mein Bett gelassen habe und am Ende sogar in mein Herz. Der Kerl, mit dem ich den Herkules erklommen habe, mit dem ich täglich telefoniere, dem ich meine Seele ausgeschüttet habe, und wegen dem ich mit meinem Handy ziemlich schmutzige Dinge getan habe. Dieser Mistkerl! Ich habe keine Ahnung, der wievielte Song das schon ist, seitdem mich diese furchtbare Gewissheit volle Kanone von den Füßen gerissen hat. Es ist mir auch egal, denn ich höre nicht hin. Starre nur auf die Bühne und versuche zu begreifen, was hier eigentlich gerade abläuft, versuche irgendeinen Hinweis zu finden, der mir sagt: Das hier ist nicht Meilo. Das kann er nicht sein. Der Kerl sieht ihm nur ähnlich, oder ist sein böser Zwilling. Doch ich finde keinen Beweis dafür, dass er es nicht ist. Das er es nicht sein kann. Und zum tausendsten Mal frage ich mich, warum mir das nicht schon vorher aufgefallen ist. Die Antwort ist einfach. All die Bilder, die ich vorher von 'Keith Kandyce' gesehen habe, weichen durch all die Schminke schon sehr von dem Mann dahinter ab, dass man diesen erst auf den zweiten oder dritten Blick erkennt. Sicher sind die Meisten davon auch noch mit einem Computerprogramm nachbearbeitet. Doch jetzt, wo ich seine unverkennbare Sprechstimme gehört habe, und ihn mir genauer anschaue, erkenne ich die bittere Wirklichkeit. Sein Gang, sein Lächeln, der durchdringende Blick, einfach sein ganzes Gebaren. Er ist es! Das ist Meilo! Er tänzelt da oben umher, wird von all den Teenagern hier umjubelt und singt einen Song nach dem Anderen, und die Menge schmelzt deswegen dahin. Nur ich, ich stehe wie angewurzelt da und sterbe jedes Mal, wenn er beginnt zu reden und ich die mir nur allzu vertraute Stimme höre, und kann es noch immer nicht so recht begreifen, obwohl es doch so offensichtlich ist. Der Song, den sie eben auf der Bühne gespielt haben, geht zu Ende und in mir kommt schon wieder dieses furchtbare Gefühl auf, dieses bangen auf die Sekunde hin, in dem Meilos Stimme wieder erklingt. Das Licht erlischt und man kann Meilos Umriss erkennen, der nach einer Wasserflasche greift und etwas trinkt. Dabei denke ich zwangsläufig wieder an unseren Tag in Kassel. Was für ein schöner Tag das gewesen war ... Nein! Nein, das ist unmöglich mein Meilo! Das kann er nicht sein! Niemals! Das Mikro knistert und wie befürchtet ertönt kurz danach seine Stimme. Meilos Stimme. Eindeutig und ohne jeden Zweifel. Schauer rinnen über meinen Körper. Das Licht geht wieder an. Bühnen-Meilo redet weiter. Was, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Und dann hält er plötzlich mitten im Satz inne und ... sieht er mich etwa? Die Menge tobt, jubelt ihm weiter zu und er starrt immer noch in meine Richtung. Ich bin unschlüssig. Falls er mich wirklich hier unten sehen kann und erkannt hat, soll ich jetzt etwa lächeln? Ihn böse anfunkeln? Wahrscheinlich bilde ich es mir nur ein, und er sieht mich gar nicht. Doch dann rafft er sich plötzlich zusammen und geht hinter zu dem Kerl, der am Keyboard steht, flüstert ihm was ins Ohr, dieser nickt und dann stellt sich Meilo wieder vorn hin und zupft sich das Mirko aus dem Ständer. Mir wird heiß und kalt zugleich. Wie selbstsicher er sich da oben bewegt ... "Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr einen ganz besonderen Menschen kennengelernt habt und wisst, das ihr ihn unmöglich jemals wieder gehen lassen könnt? Das Ziehen in den Eingeweiden, die Aufregung, wenn man mit diesem Menschen zusammen ist, oder einfach nur seine Stimme hört? Und obwohl man sich erst seit Kurzem, wisst ihr, dass das zwischen euch etwas Magisches ist. Ihr müsst ständig an diesen jemand denken, auch wenn ihr gar nicht mit zusammen seid, und fiebert auf den Tag hin, an dem ihr ihn wiederseht." Er dreht sich zum Keyboarder, der die ersten Töne des nächsten Songs erklingen lässt. Mein Herz hämmert aufgeregt gegen die Brust. Das kann doch nicht ... "Genau das ist mir vor nicht allzu langer Zeit passiert. Ich bin jemanden begegnet, der mir nicht mehr aus dem Kopf geht, weswegen ich ein neues Lied geschrieben habe. Einige von euch werden es schon kennen … Das hier ist nur für dich, Sweety." Ich schließe die Augen. 'Sweety ...' Unter mir bricht regelrecht der Boden weg. Das kann nicht sein Ernst sein! Das hier ist ein schlechter Traum! Ein ganz schlechter! Doch als ich meine Augen wieder öffne und auf die Bühne schaue, ist Meilos Blick starr auf mich gerichtet. Er sieht nervös aus. Ängstlich. Gut so! Geschieht ihm recht! Doch leider empfinde ich das Selbe wie er. Ängstlich und nervös starre ich zurück, denn ich kenne den Song und kenne den Text, wenn auch nur bruchstückhaft. Die langsame Melodie lässt meine Brust zusammenschnüren und kurioser Weise muss ich daran denken, was Nicoles Freundin vorhin gesagt hat, und wie erleichtert ich bin, dass der Song nicht 'poppig' ist, wie die anderen zuvor. Dennoch, am liebsten würde ich abhauen. Aber erstens geht das in diesem Gedränge schlecht, und zweitens fesselt mich Meilo viel zu sehr, als dass ich wirklich flüchten möchte. Um mich herum schmachtet die Menge, leuchtet mit ihren Handys der Bühne entgegen und ist dabei ganz still. Sie sind ihm verfallen! Ich schaue kurz hinter mich. Mädchen und Jungs bis hinten zur Wand. Oben auf den Sitzreihen, die sich unter der Kuppel entlangziehen, ist es genauso voll. Kein Platz scheint unbesetzt. Wie viele Menschen passen in die Halle? Mindestens 10.000, wenn nicht sogar noch mehr. Sie alle hier himmeln Meilo an. Meinen Meilo! Mein Meilo, der gerade einen Liebessong für mich singt und ... Mir wird schwindelig. Das kann er doch nicht machen! Er kann doch nicht einfach einen Liebessong schreiben, ihn singen, vor all diesen Menschen, und Gott weiß vor wie vielen noch! Einen Liebessong für mich! Was will er damit bezwecken? Seine Fans beglücken? Mich beeindrucken? Ganz bestimmt erhofft er sich damit nicht, mich in irgendeiner Weise zu erreichen. ... Oder? Das will ich auch gar nicht! ... Oder? Zu viele Oder für meinen Geschmack. Zu viele Fragen, die mir den Kopf stürmen, während Meilo vor seinem Mikro steht, eingehüllt in ein warmes Licht und noch immer für mich singt und mich dabei geradewegs anschaut. Als der Song zu Ende ist, wird auch der Spott gedimmt, der eben noch auf Meilo gerichtet war. Ich kann erneut nur noch seine Umrisse erkennen, was heißt, er sieht mich wahrscheinlich auch nicht. Ein Ruck geht durch meinen Körper und ich schiebe mich Richtung Ausgang. Ich muss hier raus! Ich brauche frische Luft! *** Wie lange ich schlussendlich schon im Vorraum der Konzerthalle stehe, kann ich nicht sagen. Als ich dem Konzertsaal entkommen bin, lief ich blindlings zur nächstbesten Wand, an die ich mich lehnen konnte. Ich habe es tunlichst vermieden, zu einem der Merchandisestände hinüberzuschauen, musterte stattdessen meine Sneakers und schaute meinen Gedanken beim Herumwirbeln zu. Drinnen geht das Konzert anscheinend langsam dem Ende entgegen. Vor wenigen Minuten hatten die Fans nach einer Zugabe geschrien, die Meilo ihnen auch prompt gewehrt hatte, aber jetzt ertönt kein einziger Musikton mehr. Zugabe Nummer zwei scheint dafür auszufallen. Die Fans schreien sich die Hälse wund, aber es scheint nichts zu nutzen. Ich kann Meilo verstehen. Mir wäre auch nicht nach einer Zugabe, wenn ich kurz davor vor versammelter Mannschaft einen Liebesschwur heruntergedrällert hätte. 'Oh Gott!' Mein Herz trommelt panisch gegen die Rippenbögen und mir wird leicht übel. Ich fasse es noch immer nicht, aber Keith Kandyce, der Kerl, den meine Schwester so abgöttisch verehrt, ist mein Meilo! Mein wundervoll witzig-frecher Meilo. Der Mann, den ich in mein Bett gelassen habe und, was noch wichtiger ist, in mein Herz! Dieser verdammte Idiot! Warum hat er mir das verschwiegen? Wieso hat er mir in Kassel nichts davon gesagt? Deshalb hat er also kein Wort über seinen Job verloren. Ist es nicht so? Er wollte es vor mir geheim halten. Er hat mich an der Nase herumgeführt, er hat mich angelogen und ... "Entschuldigung? Sind Sie Niclas?" "Was?", zische ich sauer und schaue auf. Ein bulliger Kerl steht plötzlich vor mir. Er trägt ein Headset im Ohr und sieht damit sehr wichtig aus. Jedenfalls scheint er sich für sehr wichtig zu halten, so wie er auf mich herabstarrt. "Ob sie Niclas sind", wiederholt er grollend. "Warum wollen Sie das wissen." Ich kann auch bedrohlich gucken, wenn ich will. Nur sieht das bei diesen Typen sicher etwas wirkungsvoller aus, als bei mir. "Sind Sie es, oder nicht?" Ich atme genervt aus. "Ja. Ich heiße Niclas", knurre ich. "Also was wollen Sie von mir?" "Ich soll Sie bitten, mir zu folgen." Was soll ich? "Sicher nicht", grunze ich diesen Typen an und verschränke die Arme vor meiner Brust. Ich bin jetzt nicht in der Stimmung, einfach einem Typen zu folgen, nur weil ich dazu gebeten worden bin. "Jemand möchte Sie aber gern sehen." Jemand? Soll ich raten, wer dieser jemand ist? "Wer?", frage ich beißend nach. "Meilo." Ich zucke zusammen und meine Wut verpufft. Ich bin verblüfft, dass er mir Keith Kandyce' richtigen Namen sagt. Doch wenn ich mich hier so umsehe, ist das wohl besser so. Die Fans trudeln langsam aus der Konzerthalle hinaus. Das heißt, meine Schwester wird auch bald hier sein. Oh Gott! Ich darf gar nicht dran denken! "Dauert es lange?", frage ich nach. "Das weiß ich nicht. Ich habe nur den Auftrag Sie zu ihm zu bringen." Hm. Na schön. Bis die ganzen Menschenmassen aus der Halle sind und an der Garderobe auf ihre Sachen waren, dauert es noch eine ganze Weile. In der Zwischenzeit kann der Kerl mich auch zu Meilo bringen, und dann Gnade ihm Gott! Der bekommt was zu hören! Das schwöre ich euch! "Also schön. Bringen Sie mich zu Meilo." Der massige Typ geht voran. Ich folge ihm, und komme dir dabei unweigerlich ebenfalls unglaublich wichtig vor, denn er schiebt die gackernden und kichernden Fans beiseite, macht Platz, damit ich durch kann. So fühlt man sich also als Star. Eine Erfahrung, auf die ich gerne verzichtet hätte. Obwohl das sicher ganz anders aussähe, wenn nicht ich, sondern Meilo ... ähm ... Keith Kandyce an meiner Stelle hier langlaufen würde. 'Was für eine Scheiße.' Ich kann es immer noch nicht fassen! Sicher ist das nur ein Traum. Ein ganz böser Traum … Er führt mich an der schon gut besuchten Garderobe vorbei. Ganz hinten am anderen Ende des Vorraums, bleibt der Kerl schließlich stehen, öffnet mit einem Sicherheitsausweis eine große, schwere Doppelflügeltür aus Eisen, durch die er mich zuerst hindurchschiebt und hinter sich wieder schließt. Es piepst. Jetzt kann niemand hier rein, es sei denn, er hat auch eins dieser praktischen Kärtchen. "Hier entlang." Rechts neben uns tut sich ein schmaler Flur auf. Ein paar Leute, ebenfalls mit Headsets im Ohr, rennen an uns vorbei, stürmen in einen Raum keine zwei Meter vor uns und quasseln leise und geschäftig miteinander. Kaltes Neoröhrenlicht erhellt die ganze Szenerie. Laufen hier auch die ganzen Bands und Showacts herum, wenn sie hier auftreten? Latsche ich gerade über den Gang in dem auch vor Jahren die Mitglieder von Metallica gelaufen sind? 'Huu! Ich werde gleich selbst zum Fangirly!', denke ich sarkastisch, bloß um mich irgendwie von dieser surrealen Situation abzulenken, in der ich mich befinde. "Hier wären wir. Warten Sie dort drinnen. Er wird bald bei Ihnen sein." Ich werde in einen Raum geschoben und dort allein gelassen. Allein, in einem kleinen, nicht wirklich einladenden Raum. Ich sag's doch. Vollkommen absurd! Ein Albtraum! Ich seufze und starre gen Zimmerdecke. Ich komme mir total dämlich vor. Ich stehe hier tatsächlich in Keith Kandyce' Umkleidekabine! Keith Kandyce … Meilo … Keith … Meilo … Ich ringe kurz nach Luft und fahre mir unruhig übers Gesicht. Meilo ist Keith. Das gibt's doch nicht! Das ist so unfassbar irreal! Das kann nur ein schlechter Scherz sein, oder? Meilo will mich verarschen! Ja genau! Er will mich auf die Probe stellen, oder sowas ähnliches! So muss es sein, denn alles andere wäre einfach ein völliges Desaster! Unruhig laufe ich in der kleinen Kabine umher. Und was, wenn es wahr ist? Wenn er mich nicht auf die Probe stellen möchte? Was wird dann aus uns? Oder anders ausgedrückt: Hat das mit uns eine Chance? Hat es die überhaupt jemals gegeben? Und nehmen wir mal irrwitziger Weise an, es hätte eine Chance, zu was macht mich das dann? Zu einem Starfucker? Ich bin am Ende die kleine Nutte, die Keith Kandyce zu sich ruft, damit er für die Nacht etwas zum Vernaschen hat? Pech nur, dass ich weder Keiths kleine, willige Nutte sein will, noch will ich gleich von ihm vernascht werden. Das was ich will, ist Meilo. Mein alter, stinknormaler Meilo, der in meiner Fantasie irgendeinem stinknormalen Job nachgeht, wie jeder andere Normalverdiener in diesem Land. Ich seufze. Ja schön! Ich hatte null Ahnung mit was er genau seine Brötchen verdient, und nachgefragt habe ich auch nicht, weil ich dachte, die wenige Zeit zusammen ist zu kostbar, um sie mit Arbeitsgeschwätz zu vergeuden. Ist sie ja auch, aber bei aller Liebe, wenn jemand ein bekannter Sänger ist, erwähnt man das nicht wenigstens mal bei einem Date? So etwas Wichtiges verschweigt man doch nicht! Was wäre so schwer daran gewesen, zu sagen: "Hey hör mal. Ich trage bei meinem Job Make-Up und Glizterfummel und bin damit recht erfolgreich."? Ich seufze erneut und tigere weiter in der Umkleide hin und her, in der Hoffnung, dass mich das irgendwie weiter bringt. Vielleicht sollte ich mich mal in Meilos Lage hineinversetzen. Einen Versuch wäre es wert. Eventuell sehe ich dann klarer. Noch einmal durchatmen. Okay. Also ich bin Meilo und führe ein Doppelleben als Popsänger. Ich habe jemanden kennengelernt, den ich … sagen wir mal, den ich wirklich gern habe und unbedingt wiedersehen möchte. Aus diesem Grund sage ich ihm auch, dass ich ein Alter Ego namens Keith Kandyce habe und … Ich bleibe stehen und puste laut die Luft aus meinen Lungen. Wahrscheinlich wäre das mit der Keith-Sache doch nicht so einfach zu erklären gewesen, aber er hätte es mir dennoch sagen müssen, finde ich. Dann hätte ich ... Ja was hätte ich dann? Die Flucht ergriffen? Ihn ausgelacht und gedacht, dass er mich veräppelt? Wahrscheinlich letzteres, mit dem Ergebnis, dass er sicherlich geknickt gewesen wäre und wir hätten keinen schönen Tag miteinander verbracht, sondern uns vielleicht sogar noch in den Haaren gelegen. Und wieder seufze ich und setze mein Hin- und Hergelaufe fort. Dann war es eventuell doch ganz gut gewesen, dass er es mir nicht gesagt hat. Obwohl es nicht richtig gewesen ist, es zu verschweigen. Oder? Verdammt! So komme ich nicht weiter! Ich bin hin- und hergerissen. In meinem Hirn herrscht denkfreie Zone. Wie ich es auch drehe und wende, ich komme nicht weiter. Ich brauche dringend jemanden zum Reden! Das steigt mir langsam echt über den Kopf! Was würde ich dafür geben, den Meilo, den ich bis vor ein paar Stunden noch geglaubt habe zu kennen, jetzt bei mir zu haben. Nicht den tuntigen Sänger, der meiner Schwester das Höschen ... Oh Gott! Denk doch nicht an sowas, Niclas! Weder an das Höschen meiner Schwester, noch daran, dass sie wahrscheinlich Keith Kandyce' größter Fan unter der Sonne ist. Das kommt ja noch erschwerend dazu, merke ich gerade! Wie bringe ich ihr das nur bei? Ich bin am Arsch, wenn sie das rausbekommt. Sie killt mich, und danach werden weder Meilo noch ich jemals wieder eine freie Minute füreinander haben, falls wir uns denn überhaupt jemals wiedersehen. Mir wird schlecht, als ich mir das vorstelle. Ihn niemals wiedersehen ... Nein! Das wäre das Furchtbarste von allem! So verzwickt, wie das Ganze zwar ist, bleibt es dennoch dabei, dass ich mich in Meilo verliebt habe. Was mich dazu bringt, mich zu fragen, was ich jetzt tun soll. Ich weiß es nicht. Ich weiß es echt nicht … Völlig ratlos schaue ich mich in dem Raum um, in den mich der Kerl mit dem Headset zurückgelassen hat. Ablenkung ist angesagt, denn alles Grübeln bringt mir sowieso nichts, solange der Grund des Grübelns nicht hier ist, und dann hoffentlich eine saugute Erklärung für mich parat hat. Ohne Zweifel befinde ich mich in einer Umkleide. Hier hat sich mein lieber, netter Meilo also in die tuntige Version seines sonst so liebenswerten Ichs verwandelt. Kaum vorstellbar, aber so muss es sein, denn überall sehe ich deutliche Anzeichen dafür. Der Raum ist nicht sonderlich groß, reicht aber dicke für eine Person. Ein großer Spiegel, der fast die gesamte Wand einnimmt, zu meiner Linken, auf dem unzählige Schminkutensilien stehen. Mir wird kurz wieder schwindelig, als ich das Zeug sehe, doch ich reiße mich zusammen. Der Spiegel wird stilecht von dicken Glühbirnen umrandet. Vor mir steht eine Garderobe voll Kleidung. Bühnenoutfits, wenn ich mich nicht irre. Teilweise ganz schön merkwürdiges Zeug. Ich sage nur light-Bondage gepaart mit Glam Rock der besonders kitschigen Art. Direkt neben der Garderobe gibt es einen kleinen Durchgang. Die Tür ist einen Spalt geöffnet, wodurch ich ein Waschbecken erkennen kann. Wohl ein Badezimmer. Mitten im Raum, also direkt rechts neben mir, steht eine Couch inklusive Tisch. Eine Ablage hinter mir, neben der Eingangstür. Dort entdecke ich eine Sporttasche. Eine mir sehr bekannte Sporttasche, wie ich nervös erkenne. Ich kann nicht anders, und gehe darauf zu. Vorsichtig spähe ich hinein. Wechselklamotten, ein Geldbeutel und zu guter Letzt: Ein Handy. Es blinkt. Sicher meine Anrufe. Ich unterdrücke den Drang nachzusehen, ob es so ist. Wahrscheinlich rufen ihn sowieso tausende Leute am Tag an. Andererseits … Ich drücke die kleine Taste unter dem Display. Es schaltet sich an und ich erkenne sofort, dass es PIN-Code geschützt ist. Aber das ist eigentlich total nebensächlich. Viel wichtiger ist der Bildschirmhintergrund, der angezeigt wird. Das Eiscremewerbebild! Unser Eiscremewerbebild! Meilo hat es sich tatsächlich als Hintergrund eingestellt! Genau wie ich. Ich warte, bis das Display wieder schwarz ist und taumle dann zwei Schritte zurück. Mein Herz klopf so schnell und schmerzhaft fest gegen die Brust, dass mir erneut schwindelig wird. Mit unsicheren Schritten laufe ich zur Couch und lasse mich auf das Polster fallen. Das ist zu viel für mich! Zu viel Aufregung, zu viel Zeug, das in meinem Kopf herumwirbelt. Eine leise Stimme in meinem Hinterkopf flüstert mir zu, dass das was zu bedeuten hat. Das Meilo dieses Bild aus dem selben Grund wie ich als Cover eingestellt hat, aber darüber mag ich jetzt nicht nachdenken. Noch nicht. Nicht, bevor alles geklärt ist. Es surrt laut in meinem Kopf und ich starre auf den Tisch vor mir. Am liebsten würde ich wieder gehen, aber meine Beine wollen nicht gehorchen. Nach ein, zwei Minuten des Starrens, fallen mir fünf Wasserflaschen auf, die neben auf dem Tisch stehen. Sieht verlockend aus. Mein Mund ist trocken wie Stroh. Ich beuge mich vor und mopse mir einfach eine. Soll Keith Kandyce mich doch dafür verklagen, oder sich bei Meilo beschweren. Von ihm würde ich auf jeden Fall eine Flasche Wasser bekommen. Selbst in einer Gaststätte mit gesalzenen Preisen ... Wieder stürmt alles auf mich ein. Angefangen bei unserer ersten Begegnung, bis hin zum heutigen Abend, als ich ihn auf der Bühne hab stehen sehen. So surreal ... Nachdenklich zupfe ich an dem kleinen abstehenden Teil des Plastikverschlusses herum. Was tue ich nur, wenn er gleich hier rein kommt? Wenn sich die Tür vor mir öffnet und er den kleinen Raum betritt? Wie soll ich reagieren? Ich weiß es beim besten Willen nicht. Ich weiß, was ich nachher getan hätte, wenn Meilo zu mir gekommen wäre. Aber jetzt? Das ändert alles, und doch ändert sich auch nichts, weil ich mir trotz allem sicher bin, dass ich Meilo will. Es ist verwirrend. Und ich dachte, es wäre vorher schon kompliziert genug gewesen. Wie man sich doch täuschen kann. Die Option, ihn in Berlin einfach mal für ein paar Tage oder gar Wochen zu besuchen, ganz zwanglos, klingt für mich inzwischen wie das Einfachste der Welt. Nie wieder beschwere ich mich über die Vorschläge meiner Mutter! Vielleicht sollte ich sie schnell mal anrufen und sie ein weiteres Mal nach Rat bitten? Hallo Mama. Erinnerst du dich noch an Meilo? Der Kerl, der mir das Hirn rausgef... liebt hat? Der mich nach Kassel eingeladen, und mir damit endgültig klar gemacht hat, dass ich ihn liebe? Weißt du was? Meilo ist Nicoles Lieblingspopstar. Soll ich es demnächst am Essenstisch mal erwähnen? "Nicole grillt mich ..." "Nic? Du bist schon hier?" Ich zucke zusammen. Meilo! Direkt hinter mir! Wie kommt der denn da hin? "Sorry. Hab ich dich erschreckt?" "Wie bist du ...? Ich meine ... so schnell und leise ..." Ich deute perplex auf die Tür vor mir. "Ich war im Bad. Duschen", erklärt er und zeigt hinter sich. Duschen? Wieso habe ich nichts gehört? "Hätte ich gewusst, dass Bruce dich schon gefunden, und zu mir gebracht hat, hätte ich dich nicht warten lassen. … Hast du lange gewartet?" Ich schlucke hart, schüttle dann schwach den Kopf. "Dann ist ja gut." Meilo lächelt mich verkrampft an. "Ähm ... Darf ich?" Er deutet neben mir auf die Couch. Abermals nicke ich. Warum auch nicht? Ist ja seine Umkleide. Keith Kandyce' Umkleide … Scheiße! "Hallo erst mal", beginnt er und streift sich sichtlich nervös eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Erst jetzt, nachdem ich mich vor dem Schock seines plötzlichen Erscheinens einigermaßen erholt habe, wird mir so richtig bewusst, dass er wirklich hier ist. Und damit meine ich nicht den Sänger Keith Kandyce, sondern meinen stinknormalen Meilo. Der Meilo, der mir diese verfluchten Knutschflecken verpasst hat. Der Meilo, der mein Herz dazu bringt, wie verrückt in einem schnellen Rhythmus gegen meine Rippenbögen zu trommeln, nachdem er es mir so mir nichts, dir nichts gestohlen hat. "Hallo", antworte ich ebenso angespannt. Die Wut in mir ist verpufft. Keinen Schimmer, wohin sie sich plötzlich verzogen hat. Dafür werde ich wieder total nervös. Ich versuche ruhig zu bleiben und dabei klammere ich mich an die Wasserflasche, als würde es um mein Leben gehen. Doch nicht ich bin ihm eine Erklärung schuldig, sondern er mir, weshalb ich nicht lange um den heißen Brei rede. "Soll ich dich erst fragen, oder erklärst du es mir von selbst?" Was er mir erklären soll, brauche ich ihm ganz bestimmt nicht näher zu umschreiben. "Das musst du nicht. Deshalb habe ich dich ja herbringen lassen." Herbringen lassen? Der gnädige Herr hat seine Lakaien ausgesandt, um mich in sein Gemach verschleppen zu lassen. Wenn die Situation mich nicht so dermaßen überfordern würde, würde ich jetzt anfangen zu lachen, so absurd ist das Ganze. "Hätte ich gewusst, dass du heute Abend hier bist, hätte ich es dir schon vorher gesagt." Und da ist sie wieder, die Wut. "Was hättest du mir schon vorher gesagt? Das du mit hochhackigen Boots und einer Tonne Schminke im Gesicht vor tausenden Teenagern über die Bühne stöckelst?", frage ich ihn und lasse ihn dabei hören, wie wütend ich bin. "Das hättest du mir wirklich schon eher erzählen sollen. Oben am Herkules zum Beispiel. Da wäre doch der perfekte Zeitpunkt für gewesen." Und danach hätte ich mich kopfüber in die Tiefe stürzen können. … Ja, ja schon gut. Das war jetzt leicht übertrieben. Aber ich weiß wirklich nicht, wie ich mit dem ganzen Zeug umgehen soll. "Du bist sauer auf mich", sagt Meilo leise und nickt dabei, als wolle er seine Worte selbst bestätigen. "Dazu hast du auch allen Grund." Er leckt sich nervös über die Lippen und starrt auf einen unsichtbaren Punkt vor sich. Von der sicheren Ausstrahlung, die er auf der Bühne hatte, ist nichts mehr zu sehen. Er wirkt unsicher und so gar nicht wie ein berühmter Popstar. Die Wut in mir legt sich wieder. Nochmal: Das hier ist Meilo. Und es geht ihm schlecht. Wie kann ich dabei wütend bleiben? "Ja, es macht mich sauer", antworte ich. "Ich bin wütend darüber, dass du mir nichts davon erzählt hast, aber ..." "Aber?" Hoffnungsvoll sieht er mich an. Ich muss selbst kurz überlegen, denn das Aber war eigentlich gar nicht geplant gewesen. "Aber wir haben gerade mal drei Tage miteinander verbracht", rede ich schließlich weiter. "Eigentlich noch weniger. Ich bin nicht begeistert davon, dass du mir nichts von deinem ... Job ... erzählt hast. Und so gerne ich es auch wäre, ich bin nicht wirklich sauer auf dich. Nicht sehr zumindest." Es gibt Dinge, die erzählt man sich nicht beim ersten Date, um sich selbst vielleicht besser dastehen zu lassen, oder sein Gegenüber nicht gleich zu verschrecken. Dass man ein berühmter Popstar ist, der unzählige Teenies zum kreischen und flennen bringt, gehört genau zu diesen Dingen, nehme ich an. Meilo atmet tief ein und sieht endlich wieder selbstsicherer aus. "Ich wollte es dir sagen", schwört er mir. "Heute oder morgen. Glaubst du mit das?" Ich zucke mit den Schultern. Wie bereits erwähnt. Wir kennen uns eigentlich noch nicht richtig. Umso verrückter ist es, dass ich tief in meinem Inneren das genaue Gegenteil fühle, denn wenn dem nicht so wäre, hätte ich mich auch gar nicht so schnell in ihn verlieben können. Scheiße! Es ist wirklich total verrückt! Einfach alles, was mir seit unserem Kennenlernen passiert ist. Sogar die Fahrt nach Kassel. Hätte ich das jemals für Kilian getan, so kurz nach unserem Kennenlernen? Bestimmt nicht. Aber für ihn habe ich es getan. Ohne lange darüber nachzudenken, bin ich in mein Auto gesprungen und losgerast. "Bitte Nic", redet Meilo weiter. "Du musst es mir glauben. Ich hätte es dir gesagt. Von Angesicht zu Angesicht. Ich wollte es dir nicht am Telefon sagen und letzte Woche kam es mir einfach nicht über die Lippen. Ich wusste nicht, wie ich dir das erklären sollte." Das kann ich inzwischen verstehen. Mir an seiner Stelle wäre es wahrscheinlich auch so gegangen. Doch da gibt es noch was, das mir auf der Seele brennt. "Wolltest du mir auch dein kleines Liedchen vorspielen?", frage ich ihn. Wieder klinge ich eingeschnappter als ich es in Wirklichkeit bin. Aber ich kann nicht anders. Dieser Song hat mich echt aus der Bahn geworfen. "Ja", haucht er leise und sieht mir in die Augen. "Das wollte ich. Aber vorher ..." Er beugt sich zu mir. "... vorher wollte ich dir sagen, dass ich dich lie..." "Hör auf!", unterbreche ich ihn panisch und stehe auf. "Nicht jetzt! Nicht so!" Mein Herz rast. In meinem Kopf brummt es wie in einem Bienenstock. Der kann mir doch nicht ausgerechnet jetzt eine Liebeserklärung um die Ohren hauen! Nicht nachdem, was heute Abend passiert ist. Ich meine … Ich … Ich kann nicht ... "Ich muss hier raus", japse ich hastig, stolpere um den Tisch herum und eile auf die Tür zu. Das ist jetzt eindeutig zu viel für mich! "Niclas!" Ich stürme in den Flur und rausche auf die Ausgangstür zu. "Niclas! Warte doch!" Schnelle Schritte hinter mir. Ich komme am Ausgang an aber Überraschung, ich kann nicht raus, denn niemand hat mir zuvor eins dieser Kärtchen gegeben, mit der man die Tür öffnen kann. Meilo holt mich deshalb schnell ein, packt mich an der Schulter und wirbelt mich herum. An die Wand gedrückt stehe ich ihm gegenüber. Ziemlich nahe gegenüber. Mein Körper reagiert sofort auf seine unmittelbare Nähe. Herzrasen, Gänsehaut, Kribbeln im Bauch. "Es tut mir leid! Ich wollte nicht, dass du es so erfährst! Bitte glaube mir!", redet Meilo auf mich ein. Dabei macht er ein verzweifeltes Gesicht. Ihn so zu sehen, bereitet mir Stiche in der Brust. "Meilo, ich ..." "Nein! Ich will, dass du es weißt! Hörst du? Ich will, dass du weißt, dass ich dich liebmmm…!" Panisch über das, was er da im Begriff war, mir ein zweites Mal sagen zu wollen, machte ich kurzen Prozess. Wie verhindert Mann, dass Mann redet? Genau! Mann küsst ihn. So stehen wir hier. Im Flur des Backstage Bereiches der Konzerthalle in eine Ecke gedrückt und küssen uns. Meilos Schreck über meine Attacke ist schnell verflogen. Gierig umtanzen sich unsere Zungen, und in mir platzt endgültig der Knoten, der sich seit der Erkenntnis, wer Meilo ist, in mir gebildet hat. Das Gefühl in mir ist stärker als die Wut und Verwirrung deswegen. Es ist mir im Endeffekt total egal, dass Meilo eine zweite Identität als Popsänger hat. Ebenso gut könnte er als Geheimagent für die russische Regierung arbeiten. Ich liebe diesen Kerl einfach! Ich habe keine Ahnung, wie er es geschafft hat, sich so schnell in mein Herz zu schleichen, nachdem Kilian es mir, zerfetzt und in Einzelteilen, in einen Karton gepackt, und zurückgegeben hat. Doch alles was zählt ist, dass er es geschafft hat. Dass er hier ist, bei mir, und das Selbe fühlt, auch wenn ich nicht zugelassen habe, dass er es sagt. Dazu ist es noch zu früh. Ja, betitelt mich als Dummkopf, aber so empfinde ich eben. Es auszusprechen, ist definitiv noch zu früh und es ist vor allem der falsche Ort dafür. "Umkleide", keucht Meilo schließlich in meinen Mund und zerrt mich mit sich. Keine Sekunde lassen wir uns dabei los. Küssen uns weiterhin wie zwei liebeskranke Teenager und stolpern zurück in die Umkleide. Keine Ahnung, ob uns jemand dabei beobachtet hat. Mit einem lauten Knall schlägt die Tür hinter uns zu und wir landen nach wenigen Schritten auf der Couch. Meilo plumpst dabei auf mich, drückt mich schwer in die Sitzfläche, und verschwendet keine Zeit. Mit seinen Händen fährt er unter mein Oberteil. Ich bekomme sofort eine Gänsehaut, die sich über mein Rückgrat schlängelt und in meinem Schoß einschlägt wie eine Bombe. Ich werde in einem Bruchteil von einer Sekunde so hart, wie schon lange nicht mehr. All mein Blut rauscht hinab in meinen Unterleib, und das so schnell, das mir ganz schwindelig wird. "Meilo! Ich will di..." "Meilo? Bist du fertig?" Erschrocken zucken unsere Köpfe Richtung Kabinentür. Jemand steht davor und klopf an. "Äh ... Ja! Gleich!" "Ist gut. Ich warte am Hintereingang im Taxi." "Okay! … Scheiße!", zischt Meilo und seufzt genervt. Meine Laune sinkt, denn gleich danach rutscht er von mir runter, eilt rüber zur Ablage und packt die Sporttasche. "Meilo?" "Ja?" Als könne er kein Wässerchen trüben schaut er mich fragend an. Ich hebe meine Augenbrauen und verschränke die Arme vor der Brust. Seufzend dreht er sich ganz zu mir herum. "Sorry. Das war mein Manager. Ich muss ins Hotel." Jetzt? Wo wir doch eigentlich vorgehabt haben, uns endlich wieder näher zu kommen? Sein Manager ruft, und er rennt? Ist das immer so? Ich werde ihn niemals für mich alleine haben, oder? Das Hochgefühl und die Gewissheit, die ich noch vor wenigen Minuten hatte, dass es mir egal ist, dass Meilo dieser tuckige Popsänger ist, und dass ich ihn dennoch liebe, ist plötzlich verschwunden und macht Platz für die bittere Realität. "So läuft das also?", frage ich ihn traurig. "Was meinst du?" "Nichts. Schon gut." Ich stehe auf und schreite auf die Tür zu. Diesmal ist Meilo schneller und versperrt mir den weg. "Lass mich durch!" "Nein! Erst wenn du mir sagst, was du hast!" Ich straffe mich und stelle mich der unumstößlichen Wahrheit. "Ist das nicht offensichtlich?!", grante ich ihn an. Meilo schluckt bloß und guckt mich weiter mit seinem Hundeblick an. "Dein Job!", kläre ich ihn auf. "Das kann doch nichts werden zwischen uns, wenn wir kaum Zeit füreinander haben!" Es ist bitter, aber so ist es nun mal. Wie will daraus jemals etwas Ernstes werden können? Kurz sieht Meilo mich erschrocken an, doch dann zeichnet sich Entschlossenheit in seinem Gesicht ab. "Hör mir jetzt mal zu!" Er umfasst mein Gesicht. "Diese Figur, Keith Kandyce, die werde ich nicht mehr lange sein. Mein Vertrag läuft aus. Das habe ich dir doch schon erzählt. Nur, solange ich noch an diesen Vertrag gebunden bin, darf ich nicht gegen ihn verstoßen. Verstehst du?" Wieder habe ich keine Ahnung, was er meint. "Gegen ihn verstoßen? Weil du nicht pünktlich aus der Umkleide kommst?" "Nein", sagt er leise. "Ich darf keine Beziehung mit jemanden eingehen." Mir klappt der Unterkiefer nach unten. So was schreiben die in ihre Verträge? "Aber du hast doch gesagt, du wärst in der Vergangenheit mit jemanden zusammen gewesen?" "Ja. Das wusste aber nur mein Manager. Er hat es geduldet, was meine Plattenfirma allerdings nicht wissen durfte. Aber aus diesem Grund lief es nicht lange gut zwischen uns, und es ging ziemlich schnell in die Brüche. Mein Manager meinte, ich solle ganz drauf verzichten. Es wäre besser für mich und für meinen Erfolg. Ich will einfach nicht, dass er das mit uns mitbekommt und wieder darauf herumreitet, oder es diesmal gar der Plattenfirma steckt." "Tolle Idee!", schnaube ich. "Und der Song?" Sehr unauffällig war der ja nicht gerade. "Was soll damit sein? Es ist doch bloß ein Song." Grinsend zwinkert Meilo mir zu. "Wir reden nachher weiter. Ja? Wenn ich zu dir komme. Dann erkläre ich dir alles ganz in Ruhe und ich beantworte all deine Fragen." Hört sich vernünftig an, aber ... "Das geht nicht", flüstere ich. "Meine Schwester ... Wenn sie dich sieht, dann ..." Den Rest lasse ich unausgesprochen. In seinen Augen kann ich erkennen, dass er versteht, was ich damit sagen will. Abrupt lässt er mich los und schnappt sich Zettel und Stift aus seiner Tasche. "Hier ... Das ist die Adresse von meinem Hotel, meine Zimmernummer und der Name, unter dem ich dort wohne. Sag, du bringst die Blumen für André und sollst sie persönlich bei ihm abgeben." Es ratscht leise, als Meilo den Zettel vom Block reißt und ihn mir entgegenhält. Sprachlos schaue ich erst Meilo, dann den Zettel, dann wieder Meilo an. "Ist das dein Ernst?", frage ich ihn schließlich. "Mein Vollster", grinst er und küsst mich stürmisch. "Ich warte auf dich und kann es kaum erwarten, endlich mit dir alleine zu sein." Bepackt mit der Sporttasche rauscht er aus der Umkleide und lässt mich alleine und ratlos zurück. Nachdem ich meine Gedanken einigermaßen wieder sortiert habe, lese ich, immer noch leicht verdattert, den Zettel in meiner Hand. "Hotel Zur Sonne, Ammenweg 42b, Zimmernummer 127, André Sotterbach zu Großfels. ... Das kann doch unmöglich sein Ernst sein!" Wenn ich es nicht selbst gerade erleben würde, ich würde es nicht glauben. "Wo bin ich denn da bloß hineingeraten?" *** Den Zettel gut in meiner Hosentasche verstaut, laufe ich im Vorraum des Konzertsaales auf und ab, nachdem jemand so gütig gewesen ist, und mich aus dem Backstage Bereich gelassen hat. Meine Schwester und ihre Freundinnen sind noch immer nicht aufgetaucht. Wann kommen die denn endlich? Ich will zu Meilo! "Das war ja so geil!" "Und wie! Hach! Ich liebe Keith!" "Schade nur, dass er bloß eine Zugabe gegeben hat." "Und? Leute, wir haben ihn live gesehen!!!" Lautes Quietschen. Rosa-glitzernde Herzchen schweben durch die Luft. Da sind sie ja! "Auf Mädels! Ab nach Hause!" Hektisch treibe ich die Meute vor mir her zum Ausgang. Ohhh! Lauft schneller ihr lahmen Dinger! Wo ist ein Cowboy wenn man ihn braucht? Ich scheuche die kreischende Mädchenschar über den Parkplatz auf mein Auto zu und verfrachte sie sicher darin. "War das Konzert gut?", frage ich sie und starte den Motor. Nicht, dass es mich interessieren würde, aber ich brauche Ablenkung. "Gut? Es war der Wahnsinn!", kreischt meine Schwester und zappelt wie eine Irre auf dem Beifahrersitz herum. "Keith ist ja so heiß!" Erneut kreischen die jungen Dinger laut auf. Ich bin zwar der selben Meinung wie sie, doch warum so kreischen? Wenn, dann hätte doch ich jeden Grund dazu, denn ich sitze hier eingepfercht in einem Auto voll Fangirlies, obwohl ich doch zu Meilo will. Hm … Macht mich das im Grunde nicht auch zu einem, heftig schluck, zu einem Fangirl?! Ich mag gar nicht genauer darüber nachdenken. Es ist alles so verrückt. Einfach unfassbar! "Niclas? Legst du die CD ein, die ich am Merch-Stand gekauft habe?" Mein Schwesterlein wedelt mit besagter CD direkt vor meinem Gesicht herum. "Leg sie selbst ein", brumme ich und verscheuche ihre Hand. "Ich muss aufpassen, dass ich keinen eurer Fangemeinde überrolle." Wieder kreischen sie auf und freuen sich wie Bolle, als die CD beginnt zu spielen. Ich atme tief durch und mahne mich zur Ruhe. Es hat bald ein Ende! Als ich jedoch Meilos Stimme höre, kann es mir gar nicht mehr schnell genug gehen. Scheiß auf die runden Dinger, auf denen die Höchstgeschwindigkeit drauf gemalt ist! Die Mädels bekommen gar nicht mit, wie ich im halsbrecherischen Tempo die Landstraße entlang düse. Sie sind ganz vertieft in den Song, der durch meine Lautsprecher schallt. Wenn die wüssten ... 'Meine Schwester bringt mich wirklich um, wenn sie das spitz kriegt!' ****** * KREISCH! Mein Rechtschreibprogramm schlägt mir doch tatsächlich Nacktaufnahme vor. *lach mich schlapp!* Hehehe. Und? Überrascht? Sicher nicht, was? XD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)