For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky von Morwen ================================================================================ Kapitel 38: Lavellan -------------------- Loghain. Ein Name, von dem sie gehofft hatte, ihn nie wieder hören zu müssen. Ellana war dankbar dafür, dass Solas sie nicht ansprach, als sie wenig später wieder zu ihm aufschloss, obwohl er ihr ansehen musste, wie aufgewühlt sie war. Doch sie hätte die Wut, die Trauer und den Schmerz, die sie in diesem Moment empfand, nicht in Worte fassen können. Noch nicht. Loghain war ihr Kontakt zu den Grauen Wächtern. Ellana hätte niemals damit gerechnet, dass er noch lebte. Sie hatte wie der Großteil der Bevölkerung angenommen, dass König Alistair ihm damals nach seiner Krönung für seinen Verrat den Prozess gemacht hatte. Doch offenbar hatte die Königin – Loghains Tochter – ihn dazu bringen können, Gnade walten zu lassen: ein Akt der Barmherzigkeit des jungen Königs, der sich seine Güte und sein Mitgefühl hatte bewahren können, obwohl er selbst einer der größten Leidtragenden unter Loghains Herrschaft gewesen war. Nun lag es an ihr, dem Verräter dieselbe Barmherzigkeit zu zeigen und ihn als Verbündeten der Inquisition zu begrüßen. Doch Ellana war sich alles andere als sicher, ob sie dazu in der Lage war...   „Inquisitorin?“ Ellana hörte, wie sich leise Schritte näherten, doch sie sah sich nicht um. Eine Decke um die Schultern geschlungen saß sie unter den kahlen Ästen einer Eiche und starrte zum mondlosen Himmel empor, während ihre Begleiter ein Dutzend Meter entfernt am Lagerfeuer beieinandersaßen und sich leise unterhielten. Solas war, kurz nachdem sie das Lager aufgeschlagen hatten, in der Dunkelheit des Waldes verschwunden, um für eine Weile zu meditieren, wie er es hin und wieder tat, wenn sie auf Reisen waren. Ellana respektierte seinen Wunsch, sich zurückzuziehen, auch wenn sie sich am Anfang noch Sorgen gemacht hatte, wann immer er nachts auf Wanderschaft gegangen war. Doch mittlerweile kannte sie ihn besser und wusste, dass er sehr vorsichtig war und jeglichen Gefahren aus dem Weg gehen würde. Das leise Knirschen von Leder war zu hören, als Hawke sich neben ihr auf dem kalten Boden niederließ und die Knie an den Körper zog. Für eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander, während sie den von unzähligen Sternen erhellten Nachthimmel bewunderten. Dann ergriff Hawke schließlich das Wort. „Wir werden den Kammwald morgen erreichen“, teilte sie Ellana leise mit. „Loghain wird uns dort bei Sonnenuntergang am geplanten Treffpunkt erwarten.“ Ellana gab keine Antwort, sondern nickte nur. All das hatte die andere Frau ihnen bereits vor wenigen Stunden mitgeteilt, weshalb sie sich fragte, warum Hawke es für nötig hielt, ihr alles noch einmal zu erzählen. Es sei denn... „Was kann ich für Euch tun, Hawke?“, fragte sie und warf der anderen Frau einen kurzen Blick zu, bevor ihre Augen wieder in die Ferne schweiften. Hawke seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Verzeiht“, sagte sie. „Ich rede für gewöhnlich nie lange um den heißen Brei herum... Aber mir ist der Ausdruck auf Eurem Gesicht nicht entgangen, als ich Loghain heute Morgen erwähnte. Ich weiß nicht, warum sein Name einen solchen Zorn bei Euch hervorruft, aber ich wollte Euch wissen lassen, dass ich bei dem Treffen morgen nicht von Eurer Seite weichen werde, und Ihr meine Unterstützung habt, egal, was auch passiert.“ Ellana blinzelte kurz. Sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit dem Verständnis und Mitgefühl in Hawkes Stimme. Sie hatte sich nach ihrem Gespräch am Vormittag für ihre Reaktion geschämt und gehofft, dass niemand die Entgleisung ihrer Gesichtszüge bemerkt hatte. Wie es aussah, hatte sie sich geirrt. Doch anstatt darüber hinwegzusehen und nicht weiter auf ihr Unwohlsein einzugehen, hatte sich Hawke Sorgen gemacht und war gekommen, um ihr ihren Beistand zuzusichern. Ellana war seltsam berührt. Erst als die andere Frau aufstand, um zum Lagerfeuer zurückzukehren, wurde ihr plötzlich bewusst, dass Hawke auf eine Antwort gewartet hatte. „Bleibt“, stieß sie hervor und griff nach ihrer Hand. Sie wusste selbst nicht ganz, warum, doch sie wollte in diesem Augenblick nicht allein sein. Hawke blieb stehen und sah überrascht auf sie herab. „Bitte“, fuhr Ellana fort und senkte die Stimme. „Wenn es Euch– ... Falls es Euch nichts ausmacht.“ Hawke zögerte einen Moment lang, bevor sie schließlich nickte. „Wie Ihr wünscht“, entgegnete sie sanft und setzte sich wieder. Dieses Mal hielt ihr Schweigen länger an, als Ellana sich sammelte und nach den richtigen Worten suchte, um fortzufahren. Sie schätzte es sehr, dass Hawke sie nicht drängte, sondern geduldig wartete, während Ellana noch überlegte, wo sie anfangen sollte. „Meine Mutter“, begann sie schließlich mit leiser Stimme zu erzählen, „war eine außergewöhnliche Frau.“ Hawke sah sie nicht an, während sie sprach, sondern starrte in die Dunkelheit hinaus, doch Ellana konnte sehen, dass sie ihr aufmerksam zuhörte. „Sie wuchs im Armenviertel von Denerim auf“, fuhr sie fort, und ihre Augen folgten Hawkes Blick. „Obwohl sie von klein auf in dem Waschhaus meiner Großeltern mit anpacken musste, fand mein Großvater doch zwischendurch immer wieder die Zeit, um sie die verschiedensten Dinge zu lehren. Er selbst war Dalish und war in seiner Jugend viel gereist, und er brachte meiner Mutter nicht nur mehrere Sprachen bei, sondern auch das notwendige Wissen, um in der Wildnis zu überleben. Als meine Mutter schließlich alt genug wurde, um für sich selbst sorgen zu können, ging sie ebenfalls auf Reisen.“ Ellana konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ihre Großmutter hatte ihr die Geschichte so viele Male erzählt, dass sie sie selbst jetzt noch Wort für Wort wiederholen konnte, wie die Märchen über den Schreckenswolf, die man kleinen Kindern erzählte, wenn sie nicht artig waren. „Sie bereiste ganz Ferelden von den tiefsten Wäldern bis hin zu den großen Städten. Auf ihren Reisen begegnete sie unter anderem auch meinem Vater... mit dem sie sich anfangs überhaupt nicht verstand, auch wenn er ihr Seelenpartner war.“ Hawke lachte leise. „Das kommt mir bekannt vor.“ Ellana lächelte schwach. „Ja, ich... habe auch schon mehrmals von solchen Fällen gehört“, meinte sie, während sie an Solas dachte. Dann fuhr sie fort: „Meine Mutter machte außerdem die Bekanntschaft mit der Frau, die später die Heldin von Ferelden werden sollte. Sie verbrachte einige Zeit in ihrer Gesellschaft und blieb auch danach noch weiter mit ihr in Kontakt.“ Ellana fröstelte auf einmal und schlang die Decke fester um ihre Schultern. „Meine Mutter hatte keine Ahnung, dass diese Bekanntschaft sie eines Tages das Leben kosten würde“, wisperte sie. Hawke warf ihr einen mitfühlenden Blick zu. „Ich nehme an, hier kommt Loghain mit ins Spiel...?“, fragte sie sanft. Ellana nickte. „Nach der Niederlage in Ostagar und dem Tod von König Cailan begann er, die Grauen Wächter und alle ihre Verbündeten, sowie jene, die ihnen Unterschlupf boten, gnadenlos zu verfolgen.“ Sie erinnerte sich noch lebhaft daran, wie ihre Mutter, die auch in den anderen Stadtvierteln von Denerim Kontakte hatte, ihr von den dortigen Hausdurchsuchungen erzählte. „Als die Heldin von Fereldin zusammen mit Alistair und ihren restlichen Begleitern Schutz suchte, war meine Mutter die erste, die ihnen ihre Hilfe zusagte. Die Tage, die sie damals bei uns verbrachten, waren sehr... interessant.“ Ellana war damals erst zwölf Jahre alt gewesen, doch obwohl ihre Mutter sie gebeten hatten, ihre Besucher in Ruhe zu lassen, hätte sie nichts daran hindern können, heimlich den Gesprächen der Gäste zu lauschen. Ihre Unterhaltungen darüber, Loghain zu stürzen, waren ihr sehr aufregend und abenteuerlich vorgekommen, doch in welcher Lebensgefahr die Gruppe damals geschwebt hatten, war ihr erst Jahre später bewusst geworden. Erst als sie schließlich von der schlanken, dunkelhaarigen Frau mit den goldenen Augen beim Lauschen erwischt wurde, hielt sie sich an die Anweisungen ihrer Mutter und ließ die Gäste in Frieden, zu viel Angst hatte ihr der Ausdruck in den Augen der Fremden eingejagt. „Doch so viele Personen unter einem Dach bleiben nicht unbemerkt“, fuhr sie fort. „Ihr müsst wissen, dass die Elfen im Gesindeviertel von Denerim damals sehr arm waren und oft Hunger litten. Da auf die Erfassung der Grauen Wächter eine Belohnung ausgesetzt war, dauerte es nicht lange, bis jemand aus der Nachbarschaft die Stadtwache rief. Für gewöhnlich interessiert diese sich nicht für die Belange der Elfen, doch dies war ein besonderer Fall.“ Hawke schien zu ahnen, was als nächstes folgte, denn sie streckte die Hand aus und schloss sie um Ellanas kalte Finger. Mit einem kleinen Nicken ermutigte sie sie, ihre Erzählung fortzusetzen. „Sie kamen in der Nacht“, erzählte Ellana leise. „Kaum einen Tag, nachdem unsere Besucher weitergezogen waren. Die Wache durchsuchte das ganze Haus, doch sie konnten nichts finden, nicht einmal eine Spur. Also drohten sie uns an, unser Haus abzubrennen, wenn wir ihnen nicht sagten, wohin die Wächter gegangen waren...“ Ellana erzählte Hawke, wie sie sich in jener Nacht angsterfüllt an ihre Großmutter geklammert hatte, während ihre Mutter vorgetreten war und der Stadtwache all ihre Fragen beantwortet hatte. Sie führte sie jedoch auf eine falsche Fährte, und nachdem die Wachen wieder abgezogen waren, verbarrikadierte sie alle Türen und Fenster. Warum sie sie angelogen hätte, hatte Ellana sie am nächsten Tag gefragt. Weil das Schicksal von Ferelden vom Erfolg jener Frau abhing, hatte ihre Mutter ihr geantwortet und sie in ihre Arme gezogen. Und weil es wichtig ist, für das, woran man glaubt, zu kämpfen. Ellana hatte ihre Worte nie vergessen. „An jenem Abend ahnte ich noch nicht, dass es eines der letzten Mal sein sollte, dass ich meine Mutter lebend sah“, schloss sie leise ihre Erzählung. „Denn nur wenige Tage später verschwand sie plötzlich. Wir erfuhren lange nicht, was mit ihr passiert war, bis ein Nachbar uns erzählte, dass er gesehen hatte, wie zwei Wachen sie abgeführt hatten.“ „Um sie zu verhören“, vermutete Hawke. „Ja“, wisperte Ellana. „Das auch.“ Sie fühlte sich mit einem Mal sehr müde. „Mache ich Loghain für den Tod meiner Mutter verantwortlich? – Nein“, sagte sie dann. „Er wusste wahrscheinlich nicht einmal, wer sie war. Aber wofür ich ihn verantwortlich mache, sind die Umstände, die zu ihrem Tod geführt haben. Die auch unzählige andere Unschuldige das Leben gekostet haben, deren einziges ‚Verbrechen‘ darin bestand, der Heldin von Ferelden dabei zu helfen, ein noch größeres Unglück zu verhindern.“ Hawke antwortete nicht gleich, sondern schien noch in Gedanken versunken zu sein. „Ich... glaube, ich verstehe Eure Gefühle“, entgegnete sie schließlich leise. „Auch ich habe Familie verloren; die Verderbnis hat meinen Vater und meinen Bruder das Leben gekostet. Wer weiß, ob ich selbst noch hier wäre, hätten Elissa Cousland und König Alistair Loghain und seinen Verbündeten nicht mit aller Macht Widerstand geleistet...“ Für eine Weile sagte keiner von ihnen ein Wort. Das Lagerfeuer war mittlerweile runtergebrannt und die meisten ihrer Gefährten hatten sich bereits schlafen gelegt. Nur die vertraute Gestalt von Varric saß noch neben den glühenden Überresten des Feuers, vermutlich, weil er auf Hawke wartete. „Ich danke Euch für Euer Vertrauen“, sagte Hawke dann und erhob sich vorsichtig. „Ich verstehe jetzt, wieso die Erwähnung seines Namens Euch so erschüttert hat. Und mein Angebot bleibt bestehen – was auch passiert, ich werde Euch morgen nicht allein lassen. Das verspreche ich.“ Ellana spürte Tränen in ihren Augenwinkeln brennen. „Ich danke Euch“, flüsterte sie. Hawke schenkte ihr ein schwaches, aber von Herzen kommendes Lächeln. „Ich wünsche Euch eine erholsame Nacht, Inquisitorin“, sagte sie. Dann wandte sie sich ab und kehrte zum Lagerfeuer zurück. Ellana sah mit neuer Hoffnung im Herzen noch einmal zu den Sternen hinauf, bevor sie sich ebenfalls erhob und sich in ihr Zelt begab.   „Vhenan“, murmelte Solas im Halbschlaf, als sie zu ihm unter die Decke kroch und sich an ihn kuschelte. Er drehte sich zu ihr herum und schlang die Arme um sie, bevor er sie warm auf die kalten Lippen küsste. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er leise. Ellana schloss die Augen und schmiegte die Wange an seine Brust. „Jetzt ja“, flüsterte sie. Eines Tages würde sie auch ihm ihre Geschichte erzählen. Doch an diesem Abend war es befreiender gewesen, mit einer Außenstehenden wie Hawke zu sprechen, die ebenso wie Ellana in Ferelden aufgewachsen war und die Verderbnis durchlebt hatte, und wusste, welchen Verlust sie erlitten hatte. Solas würde sie sich auch noch anvertrauen, doch das hatte Zeit. Sie hatten noch Zeit. Und mit dem Gedanken schlief sie schließlich ein. Hosted by Animexx e.V. 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