Ein würdiger Traum von Sharry (Der Preis des Vertrauens) ================================================================================ Kapitel 20 - Das Buch --------------------- Kapitel 20 – Das Buch -Mihawk- Die ersten Sonnenstrahlen wärmten seinen Rücken, während er müde irgendwelche Tabellen überflog, die ihm erklären sollten, warum ein Seezug so wichtig für die Inseln sei. Nicht, dass es ihn wirklich interessierte. Pünktlich auf die Sekunde klopfte es an der Tür und die Haushälterin kam hinein. In der Hand das allmorgendliche Frühstückstablett. Schnell nahm er die Füße vom Schreibtisch, ehe sie ihn wieder erziehen konnte. Diese Frau hatte nichts mehr mit der wilden Amazone gemein, die er in der vergangenen Nacht im Flur angetroffen hatte. „Wie geht es Loreen?“, grüßte er sie, ohne aufzublicken und nahm ihr das Tablett ab. „Sie scheint klar zu kommen“, antwortete Kanan und ging um den großen Schreibtisch herum, um einige Fenster zu öffnen, „Allerdings wird das Training heute ausfallen müssen.“ Überrascht sah er von seiner Zeitung auf. „Wieso? Hat sie sich verletzt?“ „Nein, nein.“ Die Stimme der älteren Dame war nicht besonders Besorgnis erregend. „Sie hat nur Besuch von Tante Rosa.“ „Ach so.“ Blut schoss in seine Wangen. „Wenn das so ist, ja, Sie haben wohl Recht. Es ist wohl wirklich sinnvoller…“ „Jetzt beruhigt Euch wieder.“ Die Haushälterin grinste ihn an. „Das ist was ganz Natürliches. Sie hat nicht die Krätze.“ „Na, das weiß ich doch“, antwortete er eine Spur zu schnell. „Gut“, sagte sie und goss ihm den Kaffee ein, „Dann benehmt Euch auch nicht so.“ Ehe er antworten konnte, zog sie ein Buch unter dem Tablett hervor. „Was ist denn das? Ich wusste gar nicht, dass Ihr Bücher lest.“ Erneut hob er den Blick von den gedruckten Buchstaben. „Wollen Sie etwas Bestimmtes andeuten?“ „Natürlich nicht.“ Doch sie schürzte die Lippen und öffnete das Buch. „Sie können dieses Buch nicht lesen.“ „Wieso nicht? Ist es exklusiv für Männer mit groben Manieren?“ Sie schien wirklich verstimmt. Er vermutete stark, dass sie darüber wütend war, dass er die Nacht zum Piraten geeilt war, bevor sie herausfinden konnte, was passiert war. „Ich würde gerade zu gerne Ja sagen, da Sie mir als meine Angestellte eine zu scharfe Zunge an den Tag legen. Fakt ist jedoch, dass dieses Buch in einer toten Sprache geschrieben wurde. Lassen Sie mich also meine Aussage korrigieren. Selbstverständlich dürfen Sie dieses Buch lesen. Ich bezweifle nur, dass Sie dazu in der Lage sind.“ Er ließ seinen Blick wieder auf die Zeitung in seinen Händen sinken. „Da ist aber jemand schlecht gelaunt“, kommentierte Kanan, die mit dem Buch zur Tür ging, „Wir beide wissen, dass Ihr mich gerade wegen meiner scharfen Zunge so mögt, genau wie unseren jungen Gast. Aber ich versteh schon, dass Ihr etwas verstört seid über Tante Rosas Besuch.“ Damit ging sie. Er konnte nicht anders, als sich kurz zu schütteln, eher er seine Lieblingslektüre aufschlug. -Zorro- Wie nach einem kleinen Sieg reckte er beide Hände in die Höhe, ehe er eilig zum Waschbecken huschte und sie schnell wusch. Er war erfolgreich gewesen. Er hatte es geschafft. Er hatte wahrlich die Herausforderung einer Frau gemeistert. Halt, das hörte sich falsch an. Wirklich, wirklich falsch. Außerdem hatte er nicht viel mehr geschafft, als einen Watteknubbel in eine Öffnung einzuführen, die er vor einigen Tagen noch nicht mal hatte. Dieser Gedanke war ziemlich eklig. Seufzend ging er zurück ins Zimmer. Dies war leider der Beweis, dass er eine waschechte Frau war. Nicht, dass er das wirklich groß angezweifelt hatte, schließlich kannte er ja die körperlichen Unterschiede beider Geschlechter. Aber bisher hatte er das Gefühl gehabt, dass sich nur die Hülle um ihn herum geändert hatte und er im Inneren noch ein richtiger Kerl war. Mit einer Hand drückte er gegen den flachen Bauch, während ihn in den Tiefen seiner Organe ein erneuter Krampf begrüßte. Es machte ihm etwas Angst. Er war eine richtige Frau, dies bedeutete auch… Er konnte diesen Gedanken nicht beenden. Er wusste, was das bedeutete. Zumindest theoretisch war er in der Lage schwanger zu werden. Verdammte Scheiße! Mit zitternden Händen fuhr er sich durchs offene Haar. Das war alles so real, so wirklich. Erst dieser verdammte Traum und jetzt das. Er musste unbedingt wieder ein Mann werden! Besser heute als morgen! Eilig zog er sich an. Es war ein einfaches schwarzes Kleid aus weichem Stoff, welches sehr locker und bequem saß, doch selbst das schien auf seiner Haut zu kratzen. Auf nackten Füßen verließ er das Zimmer und begab sich in die Küche. Dort wartete schon ein herrliches Frühstück auf ihn und die Haushälterin, die offensichtlich in einem Buch schmökerte. „Was lesen Sie da?“, fragte er, ließ sich auf seinen Schemel fallen und begann zu essen. Er hatte unglaublichen Hunger. „Oh, überhaupt nichts. Es ist nur ein Buch, das der Herr oben hatte, aber es ist eine tote Sprache.“ Sie hielt es ihm entgegen und er musste aufpassen, dass er sich nicht verschluckte, denn es war das Buch von der Geschichte, die er vor so vielen Abenden dem anderen erzählt hatte. Die Sage Hakuryuus. „Du kennst dieses Buch?“ Kanans scharfem Blick entging absolut nichts. Er nickte nur. „Nun gut.“ Sie war aufgestanden und legte das Buch neben seinen Teller, ohne genauer nachzufragen. „Der junge Herr schien auf jeden Fall sehr interessiert. Er bedauert offensichtlich, dass er es nicht lesen kann.“ Für einen Moment sahen sie einander einfach nur an und Zorro hatte das Gefühl, dass sie ihn las wie ein offenes Buch. „Wie dem auch sei. Meine Töchter sollten jeden Moment da sein, für die erste Anprobe. Also iss schnell auf und dann lass uns loslegen.“ Sie klatschte freudestrahlend in die Hände und wollte gehen. „Kanan.“ „Ja, meine Liebe?“ Er drehte sich nicht zu ihr um, sondern betrachtete das wertvolle Buch vor ihm. „Sie haben mich heute nach meinem Alter gefragt. Das ist das erste Mal, dass Sie etwas Persönliches von mir wissen wollten. Sie wissen nicht, wer ich bin und trotzdem sind Sie so freundlich zu mir. Warum? Warum fragen Sie nicht?“ Hinter ihm ertönte ein sanftes Lachen, doch er starrte stur auf das kleine Buch. „Aber Loreen, was für ernste Gedanken. Mach dir keine Sorgen, ich weiß doch genau wer du bist. Du bist so ein liebes Kind, natürlich kann ich gar nicht anders, als dich zu bemuttern.“ Im nächsten Moment war er alleine in der Küche. Er würde ihr wohl nie die Wahrheit sagen können ohne ihr das Herz zu brechen. Eine Stunde später stand Zorro in der Mitte eines großen Ankleidezimmers, in nicht mehr als seiner Unterwäsche und hochhackigen Schuhen, mit ausgestreckten Armen, während drei Frauen um ihn herum wuselten. Kanan und ihre jüngste Tochter, Koumyou Seira standen über einen Katalog mit Stoffproben in verschiedenen Farben gebeugt und diskutierten lautstark. Die älteste Tochter maß währenddessen Zorro aus. Ihre entspannten haselnussbraunen Augen und ihr sanftes Lächeln schienen nie aus der Ruhe zu kommen. Neben den anderen beiden Frauen in ihrer Familie wirkte sie sehr zurückhaltend und konnte leicht übersehen werden, obwohl sie sehr hübsch war, selbst im Alter. Im Grunde wirkte sie durch ihre Lachfältchen etwas älter als Kanan, der sie im Übrigen mit ihren Grübchen und dem dünnen braunen Haaren kaum ähnlich sah. Während sich ihre Mutter und Schwester über Kleinigkeiten stritten, arbeitete sie fleißig weiter und ließ sich in keine Diskussion einfädeln. „Vielleicht solltet ihr einfach Loreen fragen, welchen Farbton sie schöner findet.“ Ihr schwaches Stimmchen ging beinahe unter, doch ihr Lächeln, welches sie Zorro schenkte, war warm und herzlich. Sie wirkte so unscheinbar, dass der Pirat bereits ihren Namen vergessen hatte, was aber nicht weiter schlimm war, denn alle nannten sie eh nur Mausi. „Mausi hat Recht, Mutter.“ Die jüngste Tochter hob den Katalog hoch und hielt ihn Zorro entgegen. „Was denkst du, Loreen? Dieser Stoff hier trifft die vorgegebene Farbe aus der Einladung doch am besten oder?“ Im nächsten Moment hielt sie das Kärtchen aus der Einladung daneben, auf der ein Muster für Zorros Kleidfarbe abgedruckt war. „Aber nein“, widersprach Kanan, „Ich denke der Stoff unten rechts ist viel passender. Was denkst du Loreen?“ Ohne sich wirklich bewegen zu können, da Mausi ihn weiter ausmaß, starrte er den Katalog an. „Also um ehrlich zu sein, sieht das alles für mich genau gleich aus.“ Ungläubig klappten die Münder der beiden Frauen auf. „Fragen Sie doch einfach Dulacre, was ihm lieber ist.“ „Du hast das System nicht verstanden!“, brüllte die Frau des Bürgermeisters und warf den Katalog nach ihm, der seine Schulter nur um Haaresbreite verfehlte. „Er darf nicht wissen, welche Farbe dein Kleid hat“, stimmte auch Kanan aufbrausend zu. „Das ist noch lange kein Grund, mit Büchern zu werfen“, wandte Mausi ruhig ein, ohne in ihrer Tätigkeit inne zu halten, „Wir wollen ja schließlich nicht noch mehr blaue Flecken, oder?“ Darauf sagte niemand etwas. Zorro konnte es nicht ändern. Dieser Körper war einfach zu fragil. Von den Tanzstunden und dem Training des vergangenen Tages hatte er blaue Flecken an Knien, Schienbein und Hintern. In der Nacht hatte er sich selbst die Schultern blutig gekratzt und sein linkes Handgelenk war leicht geschwollen, da er auf ihm gelandet war, als er aus dem Bett gefallen war. Es war ziemlich lächerlich, dass solche Kleinigkeiten ihre Spuren hinterließen. „Sie ist halt wie eine Porzellanpuppe“, lachte Mausi leise, ehe sie weiterarbeitete. „Hast du denn eigentlich einen speziellen Wunsch, Loreen?“, fragte sie ihn dann, „für das Kleid oder die Maske? Man sieht es uns vielleicht nicht unbedingt an, aber wir sind wirklich sehr begabte Schneiderinnen und meine Tante wohnt auf dem Sabaody Archipel und kommt an die ausgefallensten Stoffe dran. Also keine Scheu.“ Einen Moment sahen ihn wieder alle an. „Also, ich hab nicht wirklich Ahnung von solchen Dingen. Es sollte bequem sein, sodass ich mich gut drin bewegen kann.“ „Ich hab schon ein paar ganz tolle Ideen“, rief Kanan überglücklich und fing an wie verrückt auf einen Zettel zu kritzeln. In diesem Moment klopfte es an der Tür, ehe diese sich einen Spalt weit öffnete. „Nicht reinkommen!“, brüllte Frau Koumyou sofort, „Hier steht ein entkleidetes Fräulein. Zeigt Anstand.“ Ein genervtes, tiefes Seufzen kam von der anderen Seite der Tür. „Dies ist immer noch mein Haus, Frau Koumyou, bitte zeigen Sie etwas Anstand“, antwortete Falkenauge kühl, „Ich wollte nur Bescheid geben, dass ich nochmal nach Suzuno muss und erst heute Abend wieder da sein werde.“ Für einen Moment wurde er ruhig. „Und nur so nebenbei. Es ist nicht so, als hätte ich Loreen noch nie nackt gesehen.“ Dann schloss er die Tür und ging. Zum wiederholten Male sahen ihn Kanan und ihre jüngste Tochter fassungslos an, während Mausi noch nicht mal aufschaute. „Wie bitte?“ „Gibt es etwas, das du uns sagen solltest?“ „Kind, er ist viel zu alt für dich!“ Er ließ sie noch ein paar Sekunden verzweifelt auf ihn einreden, da er sie eh nicht unterbrechen konnte und holte tief Luft. Das würde ein sehr langer Tag werden. -Mihawk- Es war kurz vorm Dunkelwerden, als er das alte Herrenhaus wieder erreichte. Müde und gereizt wegen der unnötigen Zeitverschwendung. Es missfiel ihm außerordentlich, dass die Marine seine derzeitige Anwesenheit auf Sasaki ausnutzte, um ihn wegen jeder Kleinigkeit herbei zu zitieren. Im Flur konnte er aufgrund der fehlenden Schuhe davon ausgehen, dass die beiden Töchter Kanans bereits den Heimweg angetreten hatten, auch wenn er ihnen nicht begegnet war. Da der Arbeitsmantel der Haushälterin ebenfalls fehlte, vermutete er, dass sie hinterm Haus war und Gartenarbeit erledigte, wie sie es gerne in der Abenddämmerung zu tun pflegte. „Na, Lorenor. Wie war dein Mädelstag?“ fragte er lauthals und fies grinsend, als er ins Wohnzimmer trat. Dunkelheit begrüßte ihn. Sein Gast war nicht da. Vermutlich war er schon schlafen gegangen, obwohl es noch nicht mal Abendessenszeit war. So ein Besuch von Tante Rosa war anscheinend etwas zu viel für die frischgebackene Frau, dazu hatte er die Nacht offensichtlich nicht gut geschlafen. Trotzdem konnte Dulacre nicht verhindern, dass er erst in der Küche, dann im Esszimmer und schließlich auch im Trainingsraum nach dem Piraten guckte. Er war nicht da. Ein bisschen verstimmt ging er die Treppe hoch. Es war nicht so, als hätte er von dem anderen erwartet, dass dieser auf seine Rückkehr warten würde, aber es wäre wohl schön gewesen, zumindest ein angenehmes Gespräch an diesem Tag zu führen. Ein Luxus, an den er sich in den letzten Tagen zu schnell gewöhnt hatte. Leise klopfte er gegen die Gästezimmertüre, bekam jedoch keine Antwort. Vorsichtig öffnete er die Tür, doch das Bett war frisch gemacht und das Zimmer leer im schwindenden Licht der Sonne. Wo war sein Wildfang denn? Dulacre wusste, dass der Pirat nicht einfach in die verschlossenen Schlaf- und Aufenthaltsräume seiner Eltern oder seiner Schwester gehen würde. Ebenso sah er keinen Grund, warum der andere die Bedienstetenzimmer aufsuchen sollte. Der begehbare Kleiderschrank seiner Mutter, der schon immer als Schneidereiraum und Ankleidezimmer sämtlicher Familienmitglieder diente, war abgeschlossen. Die Anprobe war also definitiv vorbei. Selbst in seinen privaten Räumen sah er nach, fand jedoch nur die übliche Kälte drin vor. Ob Lorenor alleine das Haus verlassen hatte? So abwegig war der Gedanke nicht. Er sollte Kanan fragen gehen. Auf dem Weg zurück zur Treppe kam er wieder am Gästezimmer vorbei und blieb stehen. Von der anderen Seite des Flurs, also aus seinem Arbeitszimmer, konnte er ganz leise Musik vernehmen. Etwas misstrauisch öffnete er die Tür und betrat sein Büro. Bis auf die Schreibtischlampe war auch dieses Zimmer dunkel. Der uralte Schallplattenspieler spielte leise vor sich hin. Dulacre konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann er ihn zuletzt benutzt hatte, ob er ihn je benutzt hatte, dass er ihn überhaupt hatte. Die Glastür zum Balkon war weit geöffnet und ein frischer Wind wehte hinein. Auf der anderen Seite der gläsernen Wand leuchteten mehrere Kerzen, sowie ein paar Laternen. Langsam durchquerte der Samurai den Raum und trat in den Türrahmen. Draußen saß der Pirat auf einem der Stühle. Die offenen Haare verdeckten sein Gesicht, während er tief gebeugt über den kleinen Tisch lehnte. Eine kaum angebrochene Weinflasche und ein halbgefülltes Glas standen neben ihm. Die kleinen nackten Füße lugten unter dem Tisch hervor und lagen auf dem anderen Stuhl. Der Pirat schien etwas zu schreiben, denn die Flüssigkeit im Glas schwappte bei jeder leichten Bewegung hin und her. Lorenor hatte ihn noch nicht bemerkt. Zu vertieft in seiner Arbeit. Und so beobachtete er das Mädchen im Schein des Kerzenlichtes, während die Welt um sie herum immer dunkler wurde. Er hatte es nie gemocht, wenn jemand ungefragt in sein Büro ging. Dieser Raum und sein Schlafzimmer waren sein Reich. Doch aus welchem Grund auch immer, störte es ihn gerade überhaupt nicht. „Wie lange willst du mich noch anstarren?“ Oh, der andere hatte seine Anwesenheit anscheinend doch bemerkt. „Dir auch einen schönen Abend“, entgegnete er gelassen. Mit ruhigen Bewegungen nahm er das Black Sword von seinem Rücken und lehnte es gegen seinen Schreibtischstuhl, ehe er hinaus auf den Balkon trat und sich auf dem Geländer niederließ, da beide Stühle vom Jüngeren beansprucht wurden. „Wie war dein Tag?“ Sowohl überrascht als auch etwas entnervt sahen die grünen Augen kurz zu ihm auf, bevor Lorenor wieder den Kopf senkte und sich auf die Blätter vor ihm konzentrierte, in seinem Schoß lag unverkennbar die dunkelrosa Wärmflasche der Haushälterin. Tatsächlich schrieb er fleißig vor sich hin, während er mit der freien, rechten Hand immer wieder eine Seite in einem Buch umblätterte. Wahrscheinlich machte er sich Notizen. „Was willst du hören?“ Zorros Worte waren ruhig, nicht aggressiv. „Kanan und ihre Töchter sind unglaublich anstrengend und ich kann nicht glauben, dass wir heute nicht trainieren, nur wegen… so etwas.“ Er blätterte leise eine weitere Seite um. „Und wie war es bei dir?“ Es klang weniger nach ehrlichem Interesse als nach einer höflichen Floskel, was äußerst ungewöhnlich für den Piraten war. Dulacre beobachtete seinen Wildfang, der trotz ihrer Unterhaltung nicht aufgehört hatte vor sich hin zu schreiben. „Langweilig“, antwortete er knapp, „Mir wurde mitgeteilt, dass ich mich in den nächsten Wochen nicht mehr auf längere Reisen begeben soll.“ Sein Gegenüber sah ihn fragend an. „Wieso das denn?“ Dies war nun tatsächlich Neugierde, ohne falsche Höflichkeit. Er zuckte mit den Schultern. „Das wurde mir nicht gesagt. Allerdings gehe ich davon aus, dass alle sieben Samurai in Mary Joa versammelt werden sollen und ich deswegen in unmittelbarer Nähe bleiben soll.“ Für einen Moment hörte der Grünschopf mit seinen Notizen auf. „Das hört sich nach was Ernstem an“, murmelte er, seinem Blick problemlos standhaltend, „Steht uns ein Krieg bevor?“ Er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als er sich etwas zurücklehnte und die Arme verschränkte. Sein Schüler war gar nicht so dumm, wie er immer tat. Dann nickte er: „Das vermute ich zumindest. Irgendetwas geht in der Welt vor, was die Marine möglichst klein halten will. Deswegen auch dieses unnötige Interesse an Lady Loreen und Zeitungsartikel über Hochzeiten und Krönungen anstelle über Piraten und Gesetzeslose.“ Lorenor nickte nachdenklich. „Als Ablenkung.“ Eine Sekunde sahen sie einander ernst an. Einvernehmlich darüber, dass etwas Großes die Welt erschüttern würde, wenn tatsächlich alle Samurais eingeladen wurden. „Weißt du schon wann?“ Dulacre schüttelte den Kopf. „Wenn dieses Ereignis schon kurz bevorstehen würde, hätte man mich direkt nach Mary Joa bestellt. Und da die anderen Samurai erst einmal bis hier kommen müssen, gehe ich davon aus, dass wir noch Zeit haben. Soweit ich weiß, braucht alleine die Piratenkaiserin mehr als ein paar Tage um aus dem Calm Belt zur Red Line zu gelangen. Wenn sie überhaupt kommt. Sie ist eine verwöhnte Zicke. Der arme Typ, der sie benachrichtigen muss.“ „Wäre es dann nicht sinnvoller, den Ball abzusagen, wenn ein Krieg bevorsteht?“ Die sanfte Stimme des Mädchens klang ernst und erwachsen. „Nein, das würden die Aristokraten nie zulassen. Außerdem muss doch der Schein gewahrt werden. Die Bevölkerung würde merken, dass etwas nicht in Ordnung wäre, wenn ein solch bedeutungsvolles gesellschaftliches Ereignis abgesagt werden würde. Mach dir keine Hoffnungen, Lorenor. Da kommen wir nicht mehr raus.“ Zustimmend, wenn auch ein wenig geknickt, nickte der Jüngere, ehe er wieder zu schreiben anfing. „Du bist Linkshänder?“ Erneut sah sein Gast ihn mit dieser Mischung aus Überraschung und Genervtheit an. „Offensichtlich.“ „Was schreibst du da?“ Zu seinem Erstaunen schlug sein Wildfang das kleine Buch zu um es vor ihm zu verbergen. „Nichts Wichtiges.“ Doch genau das war sein Fehler gewesen, denn nun konnte er im schimmernden Kerzenlicht den Rücken vom Buch ausmachen und wusste sofort, um welche Geschichte es sich handelte. Wieder musste er leise schmunzeln. „Du brauchst dir keine Notizen zu machen. Du bist eh der einzige, der mit diesen Büchern was anfangen kann. Sie gehören dir. Du kannst sie mitnehmen, wenn du zu deiner Crew zurückkehrst.“ Er wusste nicht, ob es am Kerzenlicht lag, aber Lorenor schien zu erröten als er wegsah. „Ach was“, murmelte er, „Ich mache gar keine Notizen.“ Zweifelnd griff Dulacre nach dem Stapel bereits beschriebener Blätter und zog sie zu sich, ehe der Grünschopf reagieren konnte. „Nicht! Ich bin noch nicht fertig.“ Mit großen Augen ließ er seinen Blick über die Zeilen aus einfachen, eleganten Buchstaben gleiten. Es waren keine Stichpunkte. Es war eine Geschichte. „Du hast eine schöne Handschrift.“ Das war nicht wirklich das, was er sagen wollte. „Normalerweise nicht“, antwortete der Pirat und hob seine linke Hand in die Höhe um sie genauer zu betrachten, „Ich glaube das liegt an diesen kleinen Händen. Ich bin auch deutlich langsamer als sonst.“ „Du hast dir also vorgenommen es zu übersetzen?“, stellte er nun die gewollte Frage. „Naja, ich hab mir gedacht, dass das schneller geht, als wenn ich dir beibringe, wie man es liest.“ Überrascht sah er den anderen an, der immer noch peinlich genau seine Hand begutachtete und so seinem Blick auswich. „Kanan hat mir erzählt, dass du diese Bücher gerne lesen würdest und da ich heute eh nicht viel Sinnvolles machen konnte…“ Lorenor beendete seinen Satz nicht, doch Dulacre konnte nicht anders als ihn anstarren. Damit hatte er nicht gerechnet. „Außerdem konnte ich mich nicht genügend entspannen um zu meditieren. Diese verfluchten Krämpfe.“ Der Samurai lachte schwach: „Meiner Ansicht nach ist das kein großer Verlust. Du weißt, dass ich nichts von dieser Trainingsmethode halte.“ Doch seine Gedanken lagen bei etwas ganz anderem. „Danke“, murmelte er ruhig und ehrlich. Er war wirklich dankbar. Er hätte den anderen nie darum gebeten, sein Stolz hätte es ihm verboten. Er hätte es ihm nie gebeichtet, aber seitdem er von diesen 13 Pfaden der Schwertkunst erfahren hatte, wollte er unbedingt diese Bücher lesen. Jeder wahre Schwertkämpfer würde über diese Anfänge der Kampfkunst lernen wollen. Doch diese Sehnsucht hätte er nie zugegeben. Hätte sich nie erlaubt, diese Schwäche einzugestehen. Und nun hielt er die ersten Seiten dieses Werkes in seinen Händen. „Ich bin noch nicht so weit gekommen“, flüsterte Lorenor beinahe, ohne auf seinen Dank zu reagieren, „aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich zumindest das erste Buch schaffen werde, ehe die anderen auf Sarue ankommen.“ Das unbekannte Glücksgefühl erhielt einen plötzlichen Dämpfer, als er daran dachte, dass der anderen ihn in einigen Tagen bereits wieder verlassen würde. Wie hatte er sich in so schneller Zeit so sehr an ihn gewöhnen können? Was hatte er sich da nur ins Haus geholt? Der Grünschopf hatte währenddessen wieder angefangen fleißig weiterzuschreiben und so begann Dulacre zu lesen. „Ich muss mich auch bedanken.“ Die Stimmlage seines Gastes klang zwar eher beleidigend, aber daran war der Samurai mittlerweile gewöhnt, ohne dass es ihn stören würde. Als würde er ein scheues Rehkitz verfolgen, ließ er seinen Kopf gesenkt. „Selbstredend. Aber was meinst du jetzt speziell?“ Nun gut, mehr Vorsicht konnte man nicht von ihm verlangen. Schließlich war dieses Rehkitz in Wirklichkeit ein gefährlicher Wolf. Sein Wildfang rollte mit den Augen ohne aufzusehen. „Für… für heute Nacht“, antwortete er deutlich leiser als zuvor. Dem Samurai wurde es auf einmal ganz warm um die Nasenspitze. „Pass besser auf deine Wortwahl auf, wenn Kanan in der Nähe ist. Sie würde da viel zu viel rein interpretieren und ich möchte nie wieder das Gespräch über die Verhütung mit ihr führen müssen.“ Lorenor lachte leise. „Wem sagst du das, ich hatte das heute Morgen hoch zwei, weil du deinen Mund nicht halten konntest.“ Einen Moment kreuzten sich ihre Blicke. „Aber das meinte ich gar nicht. Danke, dass du nicht gefragt hast, was passiert ist.“ Der Ältere ließ die Blätter in seiner Hand sinken. Für einen Moment konnte er die Spannung greifen. Dann fing er sich wieder, schlug die Beine übereinander und betrachtete erneut die Zeilen vor sich. „Das hatte nichts mit Mitgefühl zu tun, Lorenor.“ Er konnte die Augen des anderen auf sich fühlen. „Es war ziemlich offensichtlich, wovon du geträumt hast. Außerdem war dein nächster Nervenzusammenbruch längst überfällig.“ „Wie bitte?!“ Ach, er liebte es, wenn die Stimme seines Gastes so gereizt wurde. „Jetzt reg dich bitte nicht so künstlich auf“, entgegnete er, als er aufstand und nach der Lehne des freien Stuhls griff. Wie auf Geheiß zog Lorenor die Füße ein, sodass er sich dem Jüngling gegenüber hinsetzen konnte. „In deiner momentanen Lage war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass du früher oder später einen Albtraum haben würdest. Frauen neigen verstärkt dazu, in ihrer menstrualen Phase schlecht zu schlafen und dann hatten wir auch noch Vollmond.“ „Wird das hier jetzt eine esoterische Sitzung?“ Wieder sahen sie sich kurz an, bevor der Jüngere schnell den Blick senkte und weiterschrieb. „Und dazu kommt, dass du nur von drei möglichen Szenarien hättest träumen können.“ „Woher willst du das denn überhaupt wissen?“ Dulacre zuckte mit den Schultern. „Weil es genau drei Dinge gibt, die dir Angst machen würden.“ Wieder schlug er die Beine übereinander. „Die erste Möglichkeit wäre gewesen, dass Kanan dich in ein knallpinkes Kleid gesteckt hätte. Daran habe ich zuerst gedacht, als ich deine Schreie gehört habe. Wusste aber, dass es nicht das war, als ich dich gesehen habe.“ „Und woher das?“, knurrte der andere, sichtlich gereizt. „Naja, wenn es das gewesen wäre, hättest du im Schlaf versucht dir die Klamotten von deinem Leib zu reißen.“ Sie beide erröteten für eine Sekunde. „Und die zweite Möglichkeit?“, murmelte Lorenor schnell. „Es wäre wohl ein hoffnungsloser Kampf gegen mich gewesen, den du natürlich verloren hättest.“ Erschrocken schnellte der Blick seines Gastes nach oben. „Aber auch das konnte ich verneinen, nachdem ich deine Worte gehört hatte. Daher war es offensichtlich, dass du nur von deiner Crew geträumt haben konntest.“ „Ich werde nie Schach mit dir spielen“, murrte der Pirat ungläubig, „Hast du zu viel Freizeit oder so, dass du dir um sowas Gedanken machst?“ Problemlos erwiderte er den Blick seines Schülers. „Du überraschst mich. Du kennst Schach?“ „Nicht nur Schach“, knurrte Lorenor wie eine Drohung. „Wie dem auch sei“, erwiderte er und griff nach dem Weinglas des Grünschopfes, „wenn es dich beruhigt, möchte ich dir sagen, dass ich diese Sorgen aus deinem Traum für unbegründet halte. Solche Ängste sind nichts weiter als unnötige Zeitverschwendung und erschaffen nicht vorhandene Probleme.“ Sein Gegenüber entgegnete nichts, während er das Glas mit einem Schluck leer trank. Es war ein guter Wein, auch wenn er für ihn ruhig noch herber sein durfte. „Das, worüber du dir eigentlich Sorgen machen solltest, wenn man mal von der ganzen Geschichte mit diesem Ball absieht, ist eher, wie weit du mit deinem Plan bist, wieder ein Mann zu werden.“ Der Jungspund sah weg. „Ich schließe daraus, dass du noch nicht weiter gekommen bist?“ Zorro verschränkte die Arme. „Das ist nicht so einfach, okay? Es ist nicht so, als müsste ich einfach nur einen Kuchen nach Rezept backen, klar?“ „Nicht, dass du backen könntest.“ „Du bist keine große Hilfe, weißt du?“ „Wir beide wissen, dass ich dir helfen könnte, wenn du mir nur sagen würdest, was das Problem ist.“ Mit einem leichten Grinsen lehnte er sich zurück. „Wir beide wissen auch, dass das nicht passieren wird.“ Lorenor grinste nicht weniger böse. Doch dann wurde sein Gesicht recht bedrückt. „Was ist denn los, Kleiner?“, neckte er den anderen bewusst weiter. „Nenn mich nicht Kleiner.“ „Mal sehen.“ Er sah ihn weiterhin herausfordernd an. „Also?“ „Bitte.“ Überrascht weiteten sich seine Augen. „Ich weiß, ich soll auf mich Rücksicht nehmen, aber bitte, lass uns noch ein paar Stunden trainieren.“ Langsam sah er zum Himmel hinauf. „Ist das denn sinnvoll, bei deinem aktuellen Zustand?“ „Ich bin nicht krank, ich hab nur…“ Mit jedem Wort war der andere leiser geworden. „Na gut, meinetwegen. 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