Sterben nach Wunsch von KiraNear (Path of Amy) ================================================================================ Kapitel 5: Keine Fußspuren im Sand ---------------------------------- Dieses Mal mit Sirene und Blaulicht auf dem Autodach, fuhren die vier so schnell wie möglich zurück in die Baker Street. Unterwegs hatte Sherlock versucht, seinen Mitbewohner am Telefon zu erreichen, doch es gelang ihm nicht. „Naja, dass er nicht ran geht, muss ja nicht unbedingt bedeuten, dass ihm etwas zugestoßen ist. Es könnte ja auch sein, dass er das Telefon nicht hört, unter der Dusche steht oder gerade die Windeln seiner Tochter wechselt.“ Sherlock schüttelte den Kopf, die Miene finster, starrte er hinaus auf die Straße vor ihm. „Nein, John hat einen sehr lauten und deutlichen Klingelton, den kann er gar nicht überhören. Und seit er seine kleine Tochter hat, ist er generell dafür sehr hellhörig geworden, für den Fall, dass er in der Praxis angerufen wird. Unter der Dusche kann er nicht sein, er hat feste Duschzeiten. Und seine Tochter lässt er sich meist von Mrs. Hudson wickeln, das kann es also auch nicht sein.“ Man konnte aus seiner Stimme heraushören, wie gestresst er sich im Inneren deswegen fühlte – und auch, wie zerknirscht er war. Da hatte er die ganze Zeit die wahre Absicht des Täters vor der Nase, und war ihm blindlings in die Falle gelaufen. „Aber eines verstehe ich nicht“, mischte sich Mrs. North ein. „Woher wusste er, wann sie zu mir kommen würden und ob sie überhaupt kommen würden? Warum hat er nicht einfach gewartet, bis Mr. Watson beim Einkaufen ist oder generell alleine? Warum solche Umstände?“ „Das ist ganz einfach“, meinte Sherlock und rieb sich die Stirn, die Falten blieben trotzdem. „Er hat nicht darauf spekuliert, dass ich dorthin fahren würde, sondern es bewusst geplant. Ob er das, was er Ihnen erzählt hatte, auch wirklich den anderen Opfern erzählt hat, können wir jetzt nicht mehr herausfinden. Es ist auch vollkommen irrelevant, ob er es ihnen gesagt hat oder nicht. Ihnen hat er es auf jeden Fall erzählt und er wusste, dass sie irgendeine Kommunikationsmöglichkeit haben. Er wusste, dass Sie ihr iPad dabeihaben und hat uns glauben lassen, dass Sie ungestört eine Nachricht hinterlassen können. In Wirklichkeit war es seine Absicht, er wollte, dass Sie eine Nachricht hinterlassen. Es war für ihn nur noch eine Frage der Zeit, bis ich dahinterkommen würde, und er hat darauf gewartet. Einfach, um die Genugtuung zu genießen, mich auf eine falsche Fährte gelockt zu haben. Darum ging es ihm vorrangig. Neben dem Effekt, dass John von mir getrennt wird. Da er einer von Moriartys Ameisen ist, ist es von ihm zu erwarten, dass er es auf diese Art macht. Dass er sich auf diese Art und Weise an mir rächen will, dass ich die Königin des ganzen Ameisenhaufen auf dem Gewissen habe.“ Keiner widersprach ihm, viel zu sehr waren sie von seinen neuesten Schlussfolgerungen gebannt. „Es war ein Fehler von mir zu glauben, sie alle erwischt zu haben – es ist wie bei einer Fruchtfliegenplage. Immer, wenn man denkt, man hat sie alle, taucht irgendwo wieder eine neue auf.“ Kurz flammten Erinnerungen vor seinem inneren Auge auf, daran, wie Johns Leben schon das eine oder andere Mal auf dem Spiel gestanden hatte. Als er in dem riesigen Lagerfeuer fast verbrannt wäre. Als Moriarty ihm eine Bombe um den Körper befunden hatte. Als er sich unwissentlich im Zielkreuz eines Scharfschützen befand. Sherlock schluckte angesichts der Tatsache, dass er selbst stets die Ursache dafür war.   „John Watson ist ein tapferer Mann“, sagte Sherlock laut in die Runde, ohne jeglichen Zusammenhang. Verwundert sahen die anderen ihn an, kommentierten es jedoch nicht. „Er war im Krieg, ihm geht es sicherlich gut“, versuchte er sie trocken zu beruhigen. Dass er sich durchaus Sorgen machte, ließ er sich so gut wie nicht anmerken. Er wusste, zu was Moriartys Leuten teilweise fähig waren, er hatte die Ergebnisse oft genug sehen müssen. Körperliche und seelische Verletzungen – viele Menschen mussten unter dem kriminellen Meisterhirn und seinen Schergen leiden. Er wusste, dass man John nicht so leicht unterkriegen könnte, aber er war immer noch ein normaler Mensch. Wenn man es nur richtig machte, würde sein Widerstand brechen, wie eine Walnuss oder ein Krebspanzer …, wenn man bei den Menschen nur die richtigen Knöpfe drückte. Sherlock schloss nicht aus, dass der Täter bereits über Dr. John Watsons persönliche Schwachpunkte Bescheid wusste. Dies war einer der seltenen Momente, in denen er sich wünschte, er hätte sich mit seinen Ermittlungsergebnissen geirrt, doch er wusste, dass es nur simples Wunschdenken war, wie es jede normale Person auch in diesem Moment haben würde. Zerknirscht biss er sich auf die Lippe. Sollte der Täter Watson oder gar Mrs. Hudson bereits vor Ort etwas angetan haben, wusste Sherlock nicht, wie er reagieren sollte. Er musste an den Mann denken, der Mrs. Hudson geschlagen hatte – und den ihn dafür immer wieder aus dem Fenster fallen gelassen hatte. In anderen Momenten hätte es ihn zum Schmunzeln gebracht, doch jetzt brachte es nur den Zorn in seinem Inneren zum Kochen. Er ballte die Fäuste und zwang sich dazu, einen Blick aus dem Seitenfenster zu werfen, innerlich angespannt stellte er fest, dass ihn zu seinem Glück niemand bemerkte. Sie alle gingen ihren eigenen Sorgen und Gedanken nach, sahen ihn gar nicht. Oder sie ignorierten ihn großzügig, zumindest sah er in ihren Mienen keine Veränderung. Im gleichen Augenblick erreichten sie die Baker Street, Lestrade hielt direkt vor dem Haus an und stellte den Wagen ab. „Mrs. North, Mr. Universe, wenn ich Sie beide bitten dürfte, für einen Moment hier im Wagen zu warten. Die Lage im Gebäude ist momentan noch sehr unklar für uns und es ist schon gefährlich genug, dass ich Holmes hier mitnehme.“ Dabei deutete er mit seinem Kopf in Richtung Sherlock, der sich bereits auf den Weg zur Wohnungstüre befand. Wobei ich mich gerade frage, für wen das hier gefährlicher sein könnte, Lestrade dachte an den gleichen Vorfall wie Sherlock wenige Sekunden zuvor. Er hatte den Mann gesehen, der unzählige Male aus dem Fenster gefallen war, wie verletzt er gewesen war. Schon damals war sich Lestrade sicher, dass er, egal wie gut er Sherlock kannte, niemals den Zorn dieses Mannes auf sich ziehen mochte. Niemals wollte er die Folgen davon spüren. Und er spürte, dass es für den jetzigen Täter nicht anders aussehen würde und hoffte, dass Sherlock nicht mehr im Besitz seiner Schusswaffe war. Er schätzte ihn nicht als jemanden ein, der sofort den Abzug drücken würde, dennoch gab es ihm ein beruhigendes Gefühl, zu wissen, dass ihm Mrs. Hudson die Waffe eines Tages abgenommen hatte.   Dann zog er seine eigene Dienstwaffe, lehnte sich an die Wand und sah Sherlock ins Gesicht. Sie beide konnten an der Tür keinerlei Kampfspuren erkennen, ebenso wenig wie von einem Einbruch. Hat er dem Täter etwa freiwillig die Tür aufgemacht? schoss es beiden durch den Kopf, dann öffnete Sherlock die Tür und sah sich um. Auch im Inneren sah alles aus wie an jedem anderen Tag, genauso, wie Sherlock es vorhin hinterlassen hatte. Lediglich die Tür zu ihrer Wohnung war zugezogen, was schon ein wenig verdächtiger auf ihn wirkte. Habe ich die Tür vorhin verschlossen? Oder habe ich sie offengelassen? Hat John sie nach mir zugemacht? Er bereute es immer mehr, seinen Kollegen und Zimmergenossen nicht mitgenommen zu haben, als Mrs. Hudson aus ihrer Wohnung kam und fast wieder in diese hineinfiel. „Sherlock, ich will ja nicht unhöflich klingen, aber was machen Sie denn hier? Wo ist John? Ich dachte, Ihnen geht es nicht gut!“, plapperte sie in einem Schwall, den Sherlock zu stoppen versuchte. „Nein, Mrs. Hudson, mir geht es gut. Ich bin gesund und unverletzt. Was ist denn mit John? Ist er nicht dort oben, ich habe versucht ihn auf seinem Handy zu erreichen, aber er geht nicht ran …“ Verwirrt sah ihn die ältere Dame an, sie konnte sich auf die ganze Sache immer noch keinen Reim machen. Immer wieder strich sie über Sherlocks Gesicht und Oberkörper, als wollte sie sichergehen, dass er nicht einmal einen Kratzer hatte. „Nun, es ist so, vorhin kam ein fremder Mann vorbei, er hatte sich als ihr Klient vorgestellt. Mr. North war sein Name … ja genau, er hieß wie eine Himmelsrichtung. Er kam vorbei, und meinte, Sie beide hätten den Täter gefunden. Nur dass sie verletzt worden wären und Johns Hilfe benötigen würden. John hat sofort seinen Arztkoffer genommen und sie sind zusammen irgendwo hingefahren … sagen Sie mir, Sherlock, was ist hier los? Wer war der Mann, der ihn geholt hat?“ „Mrs. Hudson, das muss ich Ihnen ein anderes Mal erklären, jetzt haben wir leider keine Zeit dafür“, dabei versuchte er nicht seine Beherrschung zu verlieren. Er war sich vollkommen im Klaren darüber, dass Mrs. Hudson es nicht besser gewusst hatte, woher auch? Am Ende war sie trotz ihrer Vergangenheit ein einfacher Mensch, mit einfachen Gedanken und Moralvorstellungen … „Mrs. Hudson, das ist jetzt unglaublich wichtig: Können Sie sich an irgendwelche Einzelheiten oder Details erinnern? Irgendwas, was uns helfen könnte, herauszufinden, wo die Beiden hingefahren sind?“ Doch diese schüttelte zu seiner Enttäuschung nur den Kopf. Sherlocks Stirn lag wieder in Falten, dann versuchte er sich zu entspannen. Das gelang ihm nur geringfügig. „Ist wenigstens Amy in Sicherheit? Oder haben sie sie mitgenommen?“, fragte er so ruhig es ihm möglich war. „Ja, sie ist in Sicherheit. Er hat sie mir vorhin vorbeigebracht und das Einzige, was sie hatte, war bisher eine weitere volle Windel …“ „Sobald er wieder hier ist, müssen Sie ihm umgehend beibringen, wie man das macht. Er kann es nicht immer auf sie abwälzen.“ Dabei quälte er sich zu einem Lächeln, noch mehr als sonst. Mrs. Hudson seufzte, dann setzte sie ebenfalls ein schwaches Lächeln auf. „Ja, das werde ich wohl müssen. Es gibt Dinge, vor denen man sich nicht für immer drücken kann.“ Stumm kommunizierten ihre Augen miteinander, wie zwischen einer Mutter und einem Sohn; dann verabschiedete sie sich, mit den Worten, dass sie mal nach der Kleinen sehen müsse. Doch Sherlock wusste, dass es nur eine Ausrede war, sie würde wieder verängstigt am Küchentisch sitzen und auf einen Anruf warten. Einen, der ihr sagen würde: Ihre beiden Jungs sind in Sicherheit. Fest entschlossen sah Sherlock Lestrade an, dann betraten sie die Wohnung.   Doch auch in ihr fanden sie keinerlei Hinweise darauf, was hier vor wenigen Stunden passiert war. Es sah frisch verlassen aus, wie aus dem Alltag geschnitten. „Wie bei den anderen Opfern – sie sind alle einfach mitgegangen“, merkte Lestrade an, sich immer noch vorsichtig umsehend. „Nur leider sehen wir auch nichts, dass uns sagt, wo die beiden nun sind.“ „Nicht ganz, er war sogar so freundlich und hat mir einen Hinweis hinterlassen“, sagte Sherlock und hob einen kleinen Zettel in die Höhe, auf welchem die Wörter „Fisch“ und „North“ standen. Lestrade kniff die Augen zusammen, er konnte sich nicht ganz zusammenreimen, was mit „Fisch“ gemeint sein könnte. Dies konnte Sherlock ihm in den Augen ablesen. „Lestrade, wir verlieren am besten so wenig Zeit wie möglich und befragen die Frau. Wenn wir überhaupt noch viel Zeit haben!“ Mit diesen Worten drängte er sich an ihm vorbei und rannte die Treppen hinunter, Lestrade schloss die Wohnungstür und folgte ihm. Sherlock stand bereits an seinem Wagen und befragte die junge Frau, was mit dem Codewort „Fisch“ gemeint sein könnte. Sie dachte kurz nach, viel zu lange in Sherlocks Augen, dann fiel es ihr ein und sie sah ihn mit großen Augen an. „Ich weiß genau, was er damit meint. Früher, als ich noch verheiratet war, sind mein Mann und ich oft zu unserem kleinen Küstenhaus gefahren, um uns dort ein wenig zu erholen. Wir sind dort auch oft angeln gegangen, kein Wunder, bei den ganzen Fischern um einen herum kommt widersteht man nur schwer der Versuchung, es nicht auch zu tun. Bei unserer Trennung habe ich das Haus bekommen und halte mich dort auch heute noch das eine oder andere Mal auf. Ich habe oft meinen Stammkunden davon erzählt, wir hatten auch mehrere Buchlesungen.“ „Jetzt, wo er Ihren Schlüsselbund hat, hat er natürlich auch vollen Zutritt auf dieses Haus. Zurück zu Ihrem Gefängnis konnte er ja nicht, er konnte es schlecht riskieren, mir oder Lestrade dabei in die Arme zu laufen.“ „Sagen Sie, wo ist dieses Haus genau? Wir müssen uns so schnell wie möglich auf den Weg machen.“, mischte sich Lestrade ein. Mrs. North sah zwischen den beiden hin und her. „Natürlich, fahren wir sofort hin. Es ist westlich der Ortschaft Isle of Grain. Lassen Sie uns fahren, ich sage Ihnen, wie wir auf den schnellsten Weg dorthin kommen, ohne dabei auf den Berufsverkehr oder andere Hindernisse zu stoßen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)