No light von psycho_puschel ================================================================================ Kapitel 1: No light ------------------- No light Stiles war nie ein ruhiges Kind, nie gelassen, nie geduldig und nie abwartend. Wenn du so aufwächst, ohne einen Ruhepol und mit diesem ständigen Ticken im Hinterkopf, dann tendierst du irgendwann dazu, Situationen, die du nicht direkt ändern kannst, zu verdrängen. Das weiß Stiles. Er weiß es und er verdrängt es, denn so funktioniert dieses ganze monströse Konstrukt, richtig? Jeder erwartet, dass er so ist, weil jeder weiß, dass er so ist, und niemand kann ihm einen Vorwurf deswegen machen. Er war immer so. Wenn er also verdrängen will, so richtig aktiv (wenn es etwas wie aktive Verdrängung geben sollte), dann kann er nicht von Scott hören, wie leid es ihm tut, dass er Stiles Dad nicht beschützen konnte, er will nicht von Lydia hören, dass alles wieder gut wird und er aus dem Koma erwacht, und er will nicht von Derek hören, dass sie das Viech, was ihm das angetan hat, zur Strecke bringen werden. Er braucht das nicht, er kann das nicht und es ist sein verdammtes Recht es nicht hören zu wollen. Seine Freunde verstehen das. Spätestens nach dem zwanzigsten abgelehnten Anruf. Zu Hause ist es leer und egal wie sehr er sich darauf vorbereitet hat, es trifft ihn trotzdem wie ein Schlag in den Magen. Stiles weiß ohnehin nicht, was er hier soll. Das Problem ist, auch wenn er sich fühlt als hätte er hier nichts zu suchen, hat er überall sonst doch nur noch weniger zu suchen. Also schmeißt er die Jacke in die Ecke, die Post auf den Tisch und setzt sich. Das Haus ist so verdammt groß, dass er nicht weiß wohin mit sich, so verdammt leer und unordentlich und vollgestellt mit so viel Kram, den er noch erledigen wollte, dass Stiles nicht weiß, was er tun soll. Der volle Müllbeutel, der rausgebracht werden muss, das Geschirr, das schmutzig in der Spüle liegt, und die Einkäufe auf dem Küchentisch. Alles von heute Morgen fühlt sich an als wäre es jahrealt und vergangen und da ist der Punkt, an dem das Leben ein Arschloch ist, weil du aus der Tür gehst mit dem Gedanken daran, was für ein Dressing du zum Salat machen möchtest, und wiederkommst und niemand mehr da ist, der ihn essen könnte. Er könnte ihn einfach selber essen, aber selbst wenn ihm gerade nicht so kotzübel wie nie zuvor in seinem Leben wäre, würde es sich immer noch falsch anfühlen. Vielleicht sollte er Scott den Salat vorbeibringen, aber es ist Radicchio und Scott hasst alles Bittere und Stiles hasst Reden, zumindest über ernste Themen. Er überlegt, ihn wegzuschmeißen, was wäre schon dabei, ernsthaft, er wäre nicht der erste verschwenderische Teenager auf diesem Planeten. Er hat dieses irrationale, dämliche Gefühl, dass es eine endliche Symbolik hätte und das kann er nicht, nicht wenn die Wunde so frisch ist und er so verzweifelt. Es ist lächerlich, wie er hier am Küchentisch sitzt und den Salat anstarrt, als könnte er zurückstarren, als säßen sie im selben Boot und würden sich jeden Moment gegenseitig auslachen. Und ja, er personifiziert Salat und nein, er ist nicht mehr ganz dicht. Stiles lacht leise, hörbar bitter, aber irgendwie ist es befreiend. Vielleicht ist es das. Vielleicht muss er sich einfach zwingen, etwas zu tun, am besten das, was er am besten kann. Planen. Pläne schmieden. Zum Beispiel Plan S wie Salatverwertung. Die Sache ist bloß, ernsthaft, wer möchte Salat haben? Es gibt Gründe, wieso du nicht täglich Leute auf der Straße triffst, die dich mit Salat als Neukunden werben wollen, gute Gründe, Gründe wie 'kein Mensch möchte Salat geschenkt bekommen', 'Salat schmeckt nicht (jedem)', 'Wie willst du spontan Salat transportieren, wenn du nicht fest einplanst, ihn zu kaufen?' und außerdem hält Salat sich nicht ewig und wer möchte ein Werbegeschenk haben, das einem nach einer Woche den Kühlschrank vollgammelt; richtig, niemand. Niemand möchte Salat haben. Salat ist das fünfte Rad am Wagen und manchmal ziemlich einsam. Und, wow. Er hat selten so einen Schwachsinn gedacht (und das soll was heißen, wirklich, er hat Dinge gedacht, die ihn selbst zutiefst verstört haben). Aber vielleicht braucht er ausgerechnet das, vielleicht ist normal zu normal und er muss das denkbar Dämlichste tun, um nicht zu denken. Und mit einem Mal hat Stiles eine Idee. *** Er fragt sich, ob es an ihm liegt, dass alle Häuser so kühl und unheimlich sind, oder ob es einfach daran liegt, dass er sich in Peter Hales Wohnung befindet. Das hier ist eine beschissene Idee, das weiß er. Er hat erstaunlicherweise nicht den letzten Rest seines Verstandes verloren, oder vielleicht doch, diese Aktion wäre der Beweis, aber er ist zumindest noch zurechnungsfähig genug, um bewerten zu können, was für einen Mist er hier gerade verzapft. Es ist nicht die Tatsache, dass er bei jemandem einbricht, es ist nicht einmal die Tatsache, dass er einbricht, um Salat vorbeizubringen. Es ist die Tatsache, dass er bei Peter Hale einbricht, um ihm Salat vorbeizubringen. Anfangs war der Gedanke nur flüchtig, aber die Vorstellung von Peter, der nach Hause kommt und eine Schüssel Salat auf dem Tisch vorfindet, hat Stiles zum Lachen gebracht und das ist anscheinend Grund genug gewesen. Er ist immer noch nur ein Teenager und, wenn es nach gewissen Leuten geht, einer mit einem ziemlich schlechten Sinn für Humor, also ist das schon okay. Vermutlich. (Er hätte absolut alles getan, um aus diesem schrecklich leeren Haus zu entkommen.) Auf dem Hinweg sind Stiles Gedanken immer wieder abgeschweift, zu allem, was heute passiert ist. Er hätte sich beinahe bei dem Gedanken daran übergeben, dass er hier saß, in seinem Jeep auf dem Weg zu Peter Hale; nicht im Krankenhaus, wie ein guter Sohn es tun würde. Stiles Dad weiß, wie betäubend Stiles den Geruch von Krankenhäusern findet und wie unverblümt sie ihn in die Vergangenheit katapultieren, ohne dass er eine Chance hat, zu entkommen. Es ist okay. Wirklich. Vermutlich würde es seinen Dad stören, dass Stiles den alten Haarnadel-Tick benutzt hat, um sich Zugang zu Peters Wohnung zu verschaffen, aber hey, es ist Peter Hales Wohnung. Als würde sein Dad ihn nicht heimlich dafür highfiven wollen. Also kann Stiles seine Bedenken beiseite schieben. Es ist schon irgendwie richtig, dass er hier in Peters Küche steht, mit diesem schrecklich hässlichen Stoffbeutel und einer Taschenlampe in der Hand. Er überlegt, wo er den Salat am besten platzieren soll. Auf dem Küchentisch wird Peter ihn direkt entdecken, aber wenn Stiles Pech hat, kommt er erst morgen wieder und bis dahin ist der Salat hundertprozentig matschig. (Was eigentlich wirklich kein Problem sein sollte; als hätte das hier alles einen richtigen Sinn.) „Was zur Hölle wird das?“ Oder Stiles hat das Glück, dass Peter nie weg war. „Oh Gott. Du bist zu Hause.“ „Ich bin zu Hause.“ Natürlich ist er das. Peter zieht eine Augenbraue hoch und wartet auf eine Antwort. Stiles weiß nicht wirklich, was er antworten soll, 'Ich bin in dein Apartment eingebrochen' klingt zu kriminell (es ist nicht kriminell, okay, er hat gute Absichten) und 'Ich habe dir Salat vorbeigebracht' klingt zu sehr, als würde er sich kümmern, als wäre er Peters Großmutter und das hier würden sie jeden Samstag über Plätzchen und einer Tasse Tee tun. Stiles sagt gar nichts, zieht die lächerlich pinke Tupperwarenbox (ernsthaft? Teleshopping ist das reinkarnierte Böse) aus dem Beutel und stellt sie wortlos auf den Küchentisch. Peter sieht ihn skeptisch an und Stiles fängt an zu denken, dass es vielleicht und mit minimaler Wahrscheinlichkeit eine schlechte Idee war, einem Werwolf Salat zu machen. Vielleicht sollte er sich die Schüssel wieder schnappen und abhauen. Es wäre keine große Sache. Jeder in ihrem komischen Patchwork-Pack hat sein Kontingent an seltsamen Aktionen schon mehr ausgeschöpft als Stiles. Er könnte tun, als wär er nie hier gewesen, und es würde niemanden kümmern, weil in den nächsten drei Stunden ungefähr fünf Dinge passieren werden, die weitaus seltsamer sind. Stiles greift nach der Schüssel und Peter schlägt seine Hand weg. „Au! Das war definitiv nicht nötig, danke.“ Peter ignoriert ihn. Für einen Moment denkt Stiles, er wäre wütend, aber dann sieht er dieses Schmunzeln, was ihn daran erinnert, dass Peter mit Abstand der unheimlichste Kerl der Welt ist und hey, ist das nicht passend, nachdem er Stiles besten Freund zu einem Werwolf gemacht hat, das Mädchen, auf das er seit der Grundschule steht, beinahe umgebracht hätte und zahlreiche Leute in ihrer Stadt tatsächlich umgebracht hat und was zur Hölle tut er hier- „Stiles, bist du gerade in mein Apartment eingebrochen, um mir Salat vorbeizubringen?“ „Erstens: Es ist nicht einbrechen, wenn-“ Peter öffnet den Mund, um Stiles zu korrigieren, aber Stiles lässt ihn gar nicht erst zu Wort kommen. „Nicht einbrechen, okay? Nenn es wie du willst, nenn es das kostenlose Stilinski-Rundum-Sorglos-Paket, ist mir egal, aber es ich tue nichts Kriminelles.“ Peter seufzt. „Gut.“ Er zuckt mit den Schultern. „Nachdem du offensichtlich mit deinem obligatorischen Moral-Palaver durch bist: Wie kommst du auf... das hier?“ Er zeigt auf die Box vor ihm und es ist beinahe vorwurfsvoll und Stiles beinahe eingeschnappt. Dann realisiert er, was Peter gesagt hat, und reißt die Augen ein kleines Stück auf, weil er ehrlich nicht damit gerechnet hat, irgendetwas erklären zu müssen. Es gibt einen Grund. Es gibt bestimmt einen. Es gibt einen superguten, absolut rationalen Grund, wieso er hier ist, wieso er Peter Salat gemacht hat, und er will ihn wirklich nicht wissen. Stiles ist nicht blöd, selbst ohne irgendwelche Psychologie-Abendschulkurse ist ihm glasklar, was er hier macht, aber er wird sich eher aus dem nächsten Fenster stürzen als Peter davon zu erzählen. „Weißt du, Stiles“, Peters Stimme ist in den Erzähl-Modus abgerutscht und er steht nicht einmal mehr einen Meter von ihm entfernt. Stiles geht einen Schritt zurück. Wenn er in der letzten Zeit etwas zu schätzen gelernt hat, dann den Wert von Sicherheitsabstand. Peter lächelt. „In einem Punkt habe ich Menschen noch nie verstanden.“ Stiles schluckt, weil Peters Stimme diesen bedrohlichen Unterton annimmt und er genau die Wand in seinem Rücken spürt und immer noch die Erinnerung an das Monster mit den leuchtend roten Augen hat, das sie vor knapp einem Jahr die ganze Nacht durch die High School gejagt hat. Es ist nicht so, als hätte er irgendeine Möglichkeit, es zu vergessen. „Wenn du wütend bist, wieso das genaue Gegenteil tun? Wieso lässt du deine Wut nicht einfach heraus?“ Stiles atmet laut aus und lacht dabei fast und insgesamt ist es ein ziemlich verkorkstes Geräusch, aber es passt. „Ernsthaft? Die Moral-Nummer wieder? Ich hab verstanden, dass du keinen moralischen Kodex hast, immer der Nase nach und alles, aber musst du es verpacken, als hättest du gerade das Geheimnis des Universums gelüftet?“ Peter sieht ihn durchdringend an, irgendwo zwischen amüsiert und enttäuscht, als hätten sie diese Situation wochenlang geprobt und Stiles hätte es trotzdem vermasselt. „Nicht Moral. Das ist der Punkt.“ „Entschuldigung, aber für mich klang das gerade haargenau nach 'zerfetz ein paar Obdachlose und dann geht es dir besser', was für dich vielleicht auf einer Ebene mit Yoga steht, aber für mich definitiv nicht klargeht. Wegen der Moral. Mo-ral. Moraaaaal.“ Stiles schwingt zur Unterstützung des Wortes seine Hände durch die Luft, weil manche Leute es einfach nur so lernen, er hat mal gebabysittet, er weiß das, aber Peter greift nach seinem linken Handgelenk und hält es eisern fest. „Denkst du das macht es besser? Auf lange Sicht?“ Stiles schluckt hart. Diese ganze Aktion driftet in Gefilde ab, die nicht gut für ihn sind. Er kennt die Antwort, schlimmer noch, er weiß, dass Peter sie auch kennt. Was Stiles nicht versteht, ist, worauf er damit hinaus will. Wenn er etwas über Peter in Erfahrung gebracht hat, dann dass er manipulativ und gefährlich ist und alle Zeichen eigentlich seit den letzten drei Minuten auf Achtung stehen. (Stehen sollten.) Aber vielleicht will er das. Vielleicht ist das hier sein letztes großes Hurrah oder zumindest eine Ankündigung der Art. Stiles reißt sein Handgelenk los und Peter lässt ihn gehen. „Ich hoffe, du erstickst an dem Salat.“ Als Stiles sich umdreht lächelt Peter ihn zufrieden an. „Aaah. Da haben wir es doch.“ Er knallt die Tür hinter sich zu und fährt nach Hause. Als er ein paar Tage später von der Schule zurückkommt, steht die pinke Schüssel auf seinem Esstisch, gespült, immerhin, und er fährt für den Rest des Tages zu Scott. (Welcher Mensch, der halbwegs bei Verstand ist, benutzt Spülmittel mit Pfefferminz-Geruch?) (Stiles vergaß; Peter ist kein Mensch und sein Verstand ist vor Jahren zu einem Häufchen Asche verbrannt.) Als er am Abend wiederkommt und die Schüssel wegräumen will, fällt ihm ein Gutschein für drei Probestunden in Mrs. Dorsons Yogaschule in die Hände und was zu viel ist, ist zu viel. Er zieht sein Handy aus der Jeanstasche, schmeißt sich aufs Sofa und wählt Peters Nummer. (Er weiß bis heute nicht, wieso er sie tatsächlich eingespeichert hat.) „Ja?“ „Nicht. Lustig.“ Peter lacht am anderen Ende der Leitung auf. „Du wirktest bei unserem letzten Treffen so unausgeglichen. Ich wollte mich nur revanchieren.“ Stiles legt kommentarlos auf, schmeißt sein Handy in die Ecke mit dem riesen Stapel Wäsche und schließt die Augen. Er nimmt solche Dinge sonst nicht so ernst, er kann sich beruhigen und es einfach vergessen, das kann er, okay, das steckt in seiner Natur. Die Stiles Stilinski-Frohnatur. Vielleicht nicht ausgerechnet, wenn sein Dad im Koma liegt, aber- ...aber- aber was. Aber Peter hat Recht. Minimal. Stiles ist beschissen darin, mit solchen Situationen umzugehen. Das war er, als seine Mutter gestorben ist, und das hat sich nie geändert, aber er hat es geschafft, okay. Peter hat nicht Recht. Stiles kann es überspielen und unterm Strich kommt trotzdem keine größere Katastrophe dabei raus, als ein Werwolf-Reptil, das die halbe Stadt auf dem Gewissen hat. Kein Grund zur Panik. Am nächsten Tag schickt er Peter einen Flyer zur jährlichen Kleidersammlung für die Obdachlosen in Beacon Hills und er hat ein gutes Gefühl dabei. Er ist wirklich angepisst, als er am Mittwoch am Rathaus vorbeifährt und mitansieht, wie Peter zwei Säcke voller Kleidung an einem der Stände abgibt. Am Freitag besucht er Mrs. Dorsons Yogakurs, aber zwischen den ganzen über-dynamischen Müttern fühlt er sich ziemlich fehl am Platz. Er merkt zum ersten Mal, dass etwas wirklich schiefläuft, als er Peter in seinem Auto sitzen sieht, als er nach Hause fahren will, und ihm eine Stunde später eine SMS schreibt. Yoga ist auch nur ein neuer Trend für Leute, die sonst nicht genug Probleme haben, oder? - Keine Interesse an alleinerziehenden Müttern? Stiles weigert sich zu antworten, aber er lacht, bevor er einschläft, über irgendetwas, wovon er schon längst nicht mehr weiß, was es war. (Alleinerziehende Mütter. Ha. Ja klar.) *** Am Samstag reißt Stiles sich zusammen und fährt im Krankenhaus vorbei. Scott hat ihm gesagt, er soll ihn anrufen, damit er mitkommen kann, und Stiles hatte sein Handy in der Hand, ehrlich, aber irgendwie fühlt es sich falsch an. Sie reden nicht oft über solche Dinge, was total okay ist, Stiles würde ausrasten, wenn es anders wäre. Scott ist für ihn da, wenn er ihn braucht, aber auf dieser coolen beste-Freunde-Meta-Ebene (die Stiles sich nicht aus dem letzten Sci-Fi-Film, den sie zusammen geguckt haben, geklaut hat, niemals) und ohne, dass sie nächtelang über ihre Ängste vor der Zukunft und vorm Leben allgemein sprechen müssten, während sie abwechselnd Dostoevsky zitieren. Stiles hat so schon genug mitgemacht, er muss das nicht in Therapiesitzungen mit seinem besten Freund wieder präsent werden lassen, vielen Dank. Im Krankenhaus sagen sie ihm, dass der Zustand seines Vaters unverändert ist, was er ohnehin schon weiß, weil Scott ihn Dank seiner Mom jeden Tag auf dem Laufenden hält. Es ist trotzdem ein beschissenes Gefühl, weil er nicht ändern kann, dass er mit der lächerlichen Hoffnung vorbeigekommen ist, dass sein Dad wie durch ein Wunder wieder aufgewacht ist. Er setzt sich auf den Stuhl neben dem Bett, in dem sein Vater liegt, und er versucht, an irgendetwas zu denken, was er sagen kann, aber die Instrumente lenken ihn zu sehr ab und der Geruch von Desinfikazionsmitteln frisst sich in Minutenschnelle unter seine Haut. Er erzählt seinem Vater, was er die letzten Tage gemacht hat, dass es ihm gut geht, dass er gefälligst aufwachen soll, weil Stiles jeden Tag Salat im gefühlten Wert eines Einfamilienhauses verkommen lässt, und dass er keinen Mist bauen wird. Über letzteres ist er sich nicht wirklich sicher, aber es kann nicht schaden, seinen Dad vor einem zusätzlichen Herzinfarkt zu bewahren. Auf dem Weg nach Hause fährt er bei Derek vorbei, um sich auf den neusten Stand in Sachen Alpha-Pack bringen zu lassen, aber Derek scheint es ziemlich egal zu sein, dass Stiles eigentlich noch etwas mit dem Tag vorgehabt hat. „Hinsetzen. Klappe halten. Warten.“ „Dir ist klar, dass du mich auch einfach nett fragen könntest?“ Stiles Stimme wird zum Ende hin ein bisschen lauter (hey, wow, Derek hat normale Nachbarn, die bei Ruhestörung an die Wand klopfen, wer hätte das gedacht), aber Derek ist schon wieder verschwunden. Er kommt nach einer gefühlten Ewigkeit, in der Stiles alle vertikalen Fugen auf dem Boden gezählt hat (313, sie werden alle sterben), mit Scott und Isaac im Schlepptau wieder. Sie wirken nicht wirklich so, als hätten sie irgendeine Ahnung, was los ist, was wundervoll ist, weil es sich damit entweder um eine von Dereks Launen oder einen von seinen Plänen handelt, und, hey, ja, 313 Fugen, als hätte Stiles es nicht gewusst. „Also was gibt es so Wichtiges?“ Er ist sich ziemlich sicher, dass Derek Scott von irgendeinem Treffen mit Allison weggezerrt haben muss, weil Scott die meiste Zeit ein beneidenswertes Temperament hat und selten so angepisst ist. „Ich habe einen Plan-“ Stiles will Derek gerade an seine anderen grandiosen Pläne erinnern, zum Beispiel den letzten, der nicht einmal einen Monat zurückliegt und bei dem sie alle fast draufgegangen wären, oder den vorletzten, bei dem sie alle, hey, cool, fast draufgegangen wären, als er unterbrochen wird. „Keine Sorge, eigentlich haben wir einen Plan.“ Peter kommt die Treppe herunter, die, die er immer herunterkommt, jedes verdammte Mal, bei jedem verdammten Treffen, und Stiles zuckt zusammen, weil, fantastisch, Peter Hale ist das letzte, was er heute gebrauchen kann. Oder jemals. Stiles rückt ans anderen Ende des Sofas, als Peter sich neben ihn setzt, als wäre es das Normalste auf der Welt. Was zur Hölle. Derek ignoriert Peter so gut es geht und erklärt seinen Plan und Stiles würde liebend gerne beurteilen können, ob es sich um die nächste Freifahrt in den Tod handelt oder ob man tatsächlich damit arbeiten kann, aber. Er ist ein wenig beschäftigt, weil das Sofa ernüchternd kurz ist und Peter ihm immer näher kommt. Und nein, er bildet sich das nicht ein, okay, so durch ist selbst er noch nicht, Peter ist einfach schnell und Stiles ist ein 17-jähriger Teenager mit ADHS und er vergisst nur manchmal sein Adderall zu nehmen, nicht immer, aber eben heute. Also. Natürlich bekommt er es nicht direkt mit. Als Peter Stiles Verständnis von Sicherheitsabstand weit genug gedehnt hat, stößt Stiles ihm seinen Ellenbogen in die Rippen. Peter stößt ihm als Antwort ebenfalls in die Rippen und Stiles stößt zurück. Es ist ein Reflex, okay, er kann nichts dafür, dass sie weitermachen, bis Derek ihnen androht, sie beide vor die Tür zu setzen. Peter lehnt sich zurück und schließt die Augen und Stiles versucht, irgendwie den Rest von Dereks Plan zu verstehen, aber irgendwann gibt er auf. Er setzt darauf, dass Scott ihm nachher alles erklärt, was etwas wirklich Neues für sie wäre und nah an ein Weltwunder grenzen würde. Und, hey, ja. Scott kann ihm am Ende nicht wirklich viel erzählen, womit Stiles felsenfest gerechnet hat, aber er wird den Teufel tun, Derek zu fragen. Bevor er sich am Abend hinlegt, checkt Stiles sein Handy und findet eine SMS, die haargenau das beschreibt, was (hoffentlich) Dereks Plan war, und Stiles ist verwirrt und ein kleines bisschen panisch, bis er den Absender sieht. Natürlich ist sie von Peter. Weil der Tag noch nicht beschissen genug war. *** Zwei Tage später ist alles ein einziges Chaos. Dereks Plan, Peters Plan, der Plan ist in der Praxis noch viel beschissener als in der Theorie. Und wer hat es ihnen stundenlang in allen gemeinbekannten Rhythmen vorgesungen und darf den Mist am Ende trotzdem jedes Mal ausbaden? Stiles hat den beschissensten, unterbezahltesten Job der Welt. Zum Dank für seine Hilfe darf er Scott und Isaac nach Hause fahren und mitansehen, wie sich die Bezüge von seinem Baby langsam blutrot färben und, jap, sein Leben ist ein wunderschönes Epos mit nur 99% Drama. Als Stiles nach Hause kommt sitzt Peter am Küchentisch und liest die Zeitung von vorgestern als wäre es das Natürlichste auf der Welt. Stiles ist nicht einmal mehr überrascht. Peter sieht von der Zeitung auf, aber er sagt nichts, und, okay, wenn es das sein soll, hat Stiles nichts dagegen. Nicht heute. Er geht ins Wohnzimmer, schmeißt sich auf die Couch und schließt die Augen. Er ist so verdammt fertig. Kann nicht einmal alles nach Plan funktionieren? Als er die Augen wieder öffnet, steht Peter von ihm, und diesmal zuckt Stiles zusammen. „Nicht cool. Wenn du schon in meinem Haus rumlungern musst, lass mich dabei zumindest in Ruhe.“ Peter ignoriert ihn und greift nach seinem Handgelenk und dank seiner verfluchten Werwolf-Über-Sinne greift er genau den Arm, an dem Stiles der Super-Badass-Zwillings-Monster-Alpha erwischt hat. Stiles zischt leise und Peter zieht eine Augenbraue hoch. „Was ist passiert?“ „Was denkst du ist passiert?! Dein beschissener Plan hat nicht funktioniert. Team Beacon Hills 0, Alpha-Pack 1. Aber weißt du was, ich beschwer mich schon nicht mehr. Verschwinde einfach und morgen setzen wir uns an den nächsten Plan, der uns dem Ende unserer blutjungen Leben einen Schritt näher bringt.“ Peter seufzt und dreht Stiles Handgelenk leicht, um die komplette Wunde sehen zu können. „Immer so überdramatisch.“ Stiles reißt sich los. „Überdramatisch?! Weißt du eigentlich, was in den letzten Stunden los war? Oh nein, warte, vergessen, du warst nicht da. A propos, wieso zur Hölle warst du nicht da, es war dein verdammter Plan!“ Peter lacht auf und greift wieder nach Stiles Handgelenk. Stiles zerrt und reißt, aber diesmal ist sein Griff eisern. „Was ist aus 'Dereks Plan' geworden?“ Stiles will antworten, okay, nein, er will ihn anschreien, und er ist so kurz davor, die Nerven zu verlieren, als er irgendetwas Warmes in seinen Körper strömen spürt, irgendetwas, das ihn vergessen lässt, was er sagen will, und auf einen Schlag ist der Schmerz weg. Er blinzelt nur ein bisschen verwirrt, weil, ernsthaft? „Hast du- Hast du gerade diese Heil-Nummer mit mir abgezogen, die Scott mit den Tieren in der Klinik abzieht? Ich bin kein Hund, Peter!“ Peter verdreht die Augen und lässt Stiles Arm ein wenig unsanfter als nötig los. „Damit du es weißt, ich habe Aspirin da. Aspirin? Das Zeug, was normale Menschen nehmen, wenn sie Schmerzen haben?“ „Nein, hast du nicht. Du hast kaum irgendetwas da, außer Berge von Salat, oh, und nebenbei, das Zeug in der grünen Schüssel? Wenn du Glück hast, hast du ihm bis zum Ende des Tages beigebracht, durch einen brennenden Reifen zu springen.“ Stiles schluckt hart. Ersnthaft? Ja, okay, dann war er seit ein paar Tagen nicht mehr einkaufen, seine Prioritäten waren leider ein wenig mehr Richtung 'Überlebe das mörderische Alpha-Pack', Überlebe das mörderische Druiden-Viech' und 'Hilf deinen Freunden, irgendwie am besten beides zu überleben' gesetzt. Ohne Mist. Peter muss ihm wirklich keine Vorwürfe machen, weil er nicht einkaufen war, er ist nicht sein Vater, okay. „Erinnerst du dich an das, was ich dir letztens gesagt habe?“ Es ist eine unangenehme Art, auf die Peters Stimme jedes Mal eine Oktave tiefer fällt, wenn er etwas mit einer wirklichen Intention dahinter sagt, aber das heißt nicht, dass Stiles darauf anspringen muss. Er hat noch einen letzten Rest Selbstwertgefühl, vielen Dank. „Oh, du meinst, wie wir episch gegen das Alpha-Pack triumphieren werden? Jedes einzelne Wort.“ Peter sieht ihn unbeeindruckt an, als hätte er nichts anderes erwartet, als wäre Stiles lächerlich vorhersehbar und Peter würde ihn seit Jahren kennen und irgendwo in dem Blick schwingt ein Verständnis mit, was Stiles für einen Sekundenbruchteil den Atem raubt. „Stiles.“ Der Ton ist tadelnd, mit einer Mischung aus Enttäuschung und väterlicher Sorge und das- das ist nicht fair. Der Tag war zu lang und beschissen und er will nichts mehr als sich in sein Bett zu schmeißen und zu schlafen und zu vergessen, zu was für einem verdammten Zugunglück sein Leben innerhalb von einem Jahr geworden ist. „Okay, weißt du was, nichts 'Stiles'. 'Stiles, danke, dass du uns alle mal wieder vor dem sicheren Tod bewahrt hast'. Oder 'Stiles, wir wissen, wie beschissen die letzten Wochen für dich waren', aber nicht 'Stiles' als wäre ich ein verdammter Fall für die Psychiatrie, okay?“ Er weiß nicht, was von den Dingen, die er gesagt hat, es getriggert hat, aber im nächsten Moment drückt Peter ihn gegen die Wand und es fühlt sich an, als wären sie wieder beim Status Quo angelangt. Als wären die letzten Monate nie dagewesen und sie wieder in dem menschenleeren Parkhaus und er sollte panisch werden, am besten eine ausgewachsene Panikattacke haben, aber vielleicht sind solche Dinge einfach zu sehr zu seinem Alltag geworden. „Bist du dir sicher, dass du das dem ex-katatonischen Wahnsinnigen erzählen solltest, der mehr Leben auf dem Gewissen hat, als du an einer Hand abzählen kannst?“ Aus dem Augenwinkel erkennt Stiles die Fangzähne und zuckt zusammen, weil alles mit einem Schlag wieder viel zu präsent ist; Peters harter Griff, die Kälte und der warme Atem auf seinem Gesicht, das Geräusch von Autos in der Nähe und der Geschmack von Blut in seinem Mund. Er erwartet den Biss, Klauen wie Rasierklingen in seiner Aorta, irgendetwas, aber Peter steht nur da und wenn Stiles genau hinsieht wirken sie beide gleichermaßen überrascht – was zur Hölle. „Das ist interessant.“ Peter greift nach Stiles Kinn und dreht seinen Kopf zur Seite und Stiles Gedanken überschlagen sich zu einem einzigen Nicht schon wieder. „Hörst du das?“ „Was, die Cops? Ja. Ja, definitiv, jetzt wo du es sagst, aaabsolut, man, klingt als wären sie fast da. Wenn ich du wäre, würde ich meinen Werwolfhintern so schnell es geht aus meinem Haus schwingen.“ Peter lacht leise, der Sack wagt es wirklich zu lachen, und dann hebt er Stiles Kinn minimal an, bis Stiles sich absolut sicher ist, dass, erstens, sein Nacken komplett entblößt ist und, zweitens, sein Leben kurz vor seinem viel zu verfrühten Ende steht. In der Reihenfolge. „Dein Herzschlag, Stiles.“ Stiles schluckt und er kann fühlen, wie Peter die Bewegung beobachtet als wäre es das Faszinierendste auf der ganzen Welt. „Es tut mir unglaublich leid, dass meine Panikattacken deine Ruhe stören, ehrlich.“ „Du verstehst es wirklich nicht, oder? Seitdem du ins Haus gekommen bist, war dein Herzschlag durchgängig unruhig.“ Stiles schnaubt und versucht, mit seinem Fuß irgendetwas zu treffen, irgendetwas, okay, bitte, das kann nicht so verdammt schwer sein, aber Peter drückt ihn nur fester an die Wand. „Ist dir je in den Sinn gekommen, dass das daran liegt, dass du in mein Haus eingebrochen bist? Schon wieder?“ Peter bohrt ihm eine Kralle in den Nacken, nicht so tief, dass sie die Haut durchdringt, aber tief genug, um am nächsten Tag einen deutlichen Abdruck zu hinterlassen. „Hör hin, Stiles.“ Stiles hält für ein paar Sekunden die Luft an, weil er mit einem Schlag ahnen kann, worauf Peter hinaus will, und weil er weiß, dass er Recht hat. Irgendetwas berührt seinen Nacken und Stiles fühlt sich desorientiert und erschöpft und braucht einen Moment, um zu verstehen, dass es Peters Zähne sind. Seine menschlichen. „Dein Herzschlag ist absolut gleichmäßig.“ Seine Stimme ist leise, viel zu nah an Stiles Ohr und viel zu selbstsicher, als hätte er nur darauf gewartet, Stiles zeigen zu können, was für ein Wrack er ist. Stiles lacht auf und kann nicht ändern, dass er jetzt Panik bekommt, ausgerechnet jetzt, als wüsste sein Körper genau, dass Peter ihn hören kann. Er weiß, dass er eins und eins zusammenzählen kann und wird, und da hat er seine Antwort, okay, er ist so kurz davor die Nerven zu verlieren, war er seit Tagen, und Peter hatte vielleicht von Anfang an Recht. Er lässt ihn los und Stiles schnappt aus einem Reflex nach Luft. „Vielleicht möchtest du deine zu Einstellung zu gewissen Dingen überdenken. Wenn Yoga dir nicht ereignisreich genug ist, ich habe gehört, es gibt genug andere Möglichkeiten, Aggressionen auszulassen.“ „Danke, aber ich denke, ich passe.“ Peter gibt ihm diesen Blick, als wüsste er etwas, was Stiles noch nicht weiß, irgendetwas, was alles wie üblich eine Hundertachtziggradwendung nehmen lässt, aber bevor er irgendwie reagieren kann, ist Peter weg. *** Stiles versteht es erst fast eine Woche später, als er im Krankenhaus ist und die Ärzte ihm sagen, dass die Tendenzen für eine Genesung bei seinem Vater immer schlechter stehen. Die Sache ist, er kann sich zusammenreißen, er kann die Fassung bewahren, egal in was für einer Scheiße sie gerade stecken, zumindest das hat ihm das letzte Jahr gezeigt. Superwerwölfe, Monsterreptilien – alles kein Ding. Stiles ist fassungslos, als er Scotts Mom anschreit, die Wartestühle im Flur umtritt und mit 50 km/h in die verkehrsberuhigte Zone vor Peters Apartment einbiegt. Als Peter die Tür öffnet, hat er Stiles Faust im Gesicht (Werwolfreflexe - am Arsch!) und Stiles hat sich in den letzten Wochen selten so gut und beschissen zugleich gefühlt. „Du hast es die ganze Zeit gewusst, oder?!“ Peter antwortet nicht, er renkt seinen Kiefer mit einem penetranten Knacken wieder ein, und Stiles renkt ihn ihm mit dem nächsten Schlag wieder aus, das ist zumindest der Plan, aber nachdem er nicht mehr das Überraschungsmoment auf seiner Seite hat, fängt Peter seinen Schlag gekonnt ab. Und ja, Stiles ist angepisst, er denkt nicht nach und vermutlich tut er genau das, worauf Peter hingearbeitet hat, aber er kann es nicht ändern, er hat es zwei Wochen ignoriert, vielleicht länger, wenn jemand das Recht hat auszurasten, dann er. Peter sagt weiter nichts, verzieht keine Mine und wehrt Stiles Schläge ab, als hätten sie eine feste Ordnung, während Stiles vor ihm steht und sich fühlt, als würde alles auseinanderfallen. „Wieso zur Hölle hast du es mir nicht gesagt?!“ Peter wehrt den nächsten Schlag ab, aber diesmal hält er Stiles Handgelenk fest und seine Stimme schneidet, als er spricht, nicht so sehr wie der Inhalt seiner Worte, aber es ist nah dran. „Weil es absolut gar nichts geändert hätte.“ „Weißt du was, wie wäre es, wenn du mir die Entscheidung überlässt?! Ich habe es wirklich satt, dass du mir ständig drei Schritte voraus bist, obwohl es hier um meinen Dad geht.“ „Beruhig dich.“ „Und wieso zur Hölle bist du ständig in meinem Haus?! Es ist ja nicht so als hätte ich mittlerweile sogar die Fernster verschlossen. Wortwörtlich. Ich war im Baumarkt und habe mir eine Stunde lang das Neuste in Sachen Schlösser zeigen lassen. Eine Stunde, Peter!“ „Stiles.“ „'Stiles' mich nicht immer. Tu nicht so als würden wir uns seit Jahren kennen, brich nicht bei mir ein, pinn mich nicht gegen Wände und misch dich um Gottes Willen nicht in meine Angelegenheiten ein!“ Peter steht einfach vor ihm, aber er sieht zum ersten Mal wirklich verärgert aus, und Stiles wird nie verstehen, wieso ausgerechnet das ihn dazu bringt, innezuhalten. Er atmet tief ein und aus, aber der leichte Nebel in seinem Kopf will nicht verschwinden und um ihn herum dreht sich alles weiter. Er sieht Peter einen Moment skeptisch an, dann schiebt er ihn beiseite und setzt sich aufs Sofa. „Ernsthaft. Warum bist du ständig da? Von allen Personen, wieso ausgerechnet du?“ Stiles versucht, ihm Zeit für eine Antwort zu geben, er versucht es wirklich, weil er es wirklich wissen will, wissen muss, aber irgendetwas in seinem Kopf treibt ihn so nachdrücklich voran und bereitet ihm solche Kopfschmerzen, dass Peter noch nicht einmal die Zeit finden kann, den Mund aufzumachen, bevor Stiles weiterredet. „Ich meine, hast du eine Wette mit Derek verloren und musst mich jetzt babysitten, oder was? Weil ich damit absolut klarkommen würde, ehrlich. Nichts für ungut, versprochen.“ „Ist dir je in den Sinn gekommen, dass ich mich tatsächlich kümmere?“ „Oh nein, nein, nein. Weißt du wer sich kümmert? Scott kümmert sich. Lydia kümmert sich. Weißt du, woher ich das weiß? Weil sie nicht ständig in mein Haus einbrechen und mir Dinge an den Kopf werfen, die mir für die nächsten Wochen keine Ruhe geben. Weil sie warten, bis ich von mir aus zu ihnen komme.“ „Findest du es nicht beunruhigend, dass deine Definition von Kümmern das genaue Gegenteil beinhaltet?“ „Das genaue-“ Stiles sitzt da, mit offenem Mund und großen Augen und sein Kopf kann nicht wirklich verarbeiten, was Peter gerade gesagt hat. Es fühlt sich ziemlich danach an, als würde er mittlerweile unbewusst eine Barriere errichten für alles, was Peter sagt und was ihn die nächsten zehn Tage schlaflos lassen würde. Peter sieht für einen Moment aus, als würde er über irgendetwas nachdenken, dann streckt er seine Hand nach Stiles aus und Stiles schließt seine Augen und er weiß nicht wieso, er weiß im Moment ohnehin ziemlich wenig. Als Peters Finger seine Haut berühren, zuckt er zusammen, aber anders, nicht so erratisch wie sonst und vielleicht sollte er sich Sorgen machen. (Vielleicht hätte er anfangen sollen, sich Sorgen zu machen, als sein bester Freund zu einem verdammten Werwolf geworden ist.) Peter murmelt etwas, was Stiles nicht ganz versteht, weil er auf einmal dieses Rauschen in seinen Ohren wahrnimmt, das mit jedem Herzschlag dreißigmilliardenmal lauter wird, und als er seine Sinne wieder halbwegs fokussieren kann, ist Peter weg. Einfach verschwunden. Stiles weiß nicht, was lauter ist, das Rauschen oder sein viel zu schneller Herzschlag, oder ob mittlerweile beides dasselbe ist, aber es fühlt sich an wie ein Energieschub der schlimmsten Art. Die Art, die dich mit nichts zurücklässt, außer tagelangen Kopfschmerzen und dem Chaos, das du angerichtet hast. Stiles weiß aus Erfahrung, dass er eine Menge Chaos anrichten kann. Seine Hände bohren sich ein Stück ins Polster unter ihm und er versucht irgendetwas zu finden, was ihn ankert, irgendetwas, was keine Schemen sind, sondern konkrete Anweisungen, was er tun soll, aber sein Kopf ist komplett überfüllt und alles, was ihm helfen könnte, kann er nicht schnell genug greifen. Eigentlich ist es ziemlich lächerlich, weil er merkt, wie die Panik über die Panik seine Panik anstachelt, was poetisch und wunderschön wäre, wenn er nicht das Gefühl hätte, zu ersticken. Er versucht, seine Atmung irgendwie zu beruhigen, weil jeder Atemzug mittlerweile lauter ist als das Rauschen und sein Herzschlag zusammen, aber sein Körper protestiert, als wäre der Moment, in dem er seine Atmung beruhigt, gleichzeitig sein letzter. Stiles schließt die Augen und lässt zu, wie tausende Farben vor ihm herumtanzen und dann- Nichts. Als er seine Augen wieder öffnet, liegt er auf dem Sofa, und er fragt sich, ob er tatsächlich kollabiert ist, oder ob er einfach nur vergessen hat, was passiert ist. „Du hättest mit deiner Panikattacke nicht etwa zwei Minuten warten könne, bis der Tee fertig ist?“ Stiles beäugt Peter kritisch, als könne er nicht ganz glauben, was er ihm weismachen möchte, aber aus irgendeinem Grund vermeidet er es, Peter in die Augen zu sehen. „Panikattacke?“ Peter nickt, stellt zwei Tassen auf den Tisch und setzt sich an Stiles Fußende. „Wie-“ „Wunderst du dich ernsthaft, wieso du eine Panikattacke hattest, wenn du eine Woche lang mit einer infizierten Wunde herumläufst?“ Stiles sieht auf seinen Unterarm und sein Mund formt ein 'Oh' und ja, das ergibt tatsächlich Sinn. „Also hast du eben gefühlt, ob ich Fieber habe?“ Und Stiles hasst seine verräterische Stimme manchmal, wie sie diese vibrierende Note bekommt, jedes Mal, wenn er etwas sagt, was ihm schwerfällt. Ernsthaft. Er erwartet ein 'Nein, ich nutze absolut jede Gelegenheit, um Teenager zu befummeln', irgendetwas, was drei Meilen gegen den Wind 'Sarkasmus' schreit, aber Peter zieht seine Augenbrauen hoch, mit diesem verräterischen Halblächeln, und Stiles verschluckt sich im nächsten Moment an seinem Tee. Es ist Pfefferminz und brennt höllisch im Rachen. Er trinkt noch einen Schluck, einfach um diesen Kloß aus seinem Hals zu bekommen, und dann sitzen sie da, reden nicht, trinken Tee und es ist beinahe friedlich. Irgendwann sind die Tassen leer und Peter steht auf und sammelt sie ein. Stiles erwartet, dass er jetzt rausgeschmissen wird, was wirklich okay wäre; er will ja eigentlich auch nicht hier sein. Aber Peter nimmt bloß die Fernbedienung vom Tisch und legt sie auf die Decke, unter der Stiles sich verkrochen hat. (Und von der er keine Ahnung hat, woher sie kommt, wenn er genauer darüber nachdenkt.) „Hier. Sei ein guter Teenager und sieh fern.“ Stiles würde protestieren, aber er ist ziemlich erschöpft und, hey, wer hätte das gedacht, es gibt die Looney Tunes noch. Als er aufwacht dämmert es draußen bereits. Sein Kopf liegt auf Peters Oberschenkel und seine Beine hängen halb von der Couch, halb auf dem Boden, Peters linker Arm ruht auf seiner Hüfte und Stiles ist sich ziemlich sicher, dass er so nicht eingeschlafen ist. Auf keinen Fall. Niemals. Er kann seinen Kopf kaum drehen, aber zumindest aus dem Augenwinkel erkennt er, wie Peter kurz blinzelt als hätte er die letzten Stunden genauso fest geschlafen wie Stiles, und irgendetwas an dem Bild bringt ihn für eine Millisekunde zum Lachen, weil, ernsthaft, was tun sie hier. Was zur Hölle tun sie. Peter macht eine Bewegung mit seiner Hand, die so minimal ist, dass Stiles sie im ersten Moment kaum bemerkt. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er denken, Peter hätte ihm über die Hüfte gestrichen. (Er weiß es besser, allein wegen etwas, das sich 'logischer Menschenverstand' nennt.) „Schlaf.“ Und Stiles könnte ausrasten, weil Peters Stimme selbst komplett verschlafen klingt, als wäre Stiles ein kleines Kind, auf das er zwangsweise aufpassen muss, damit es sich nicht im nächsten Moment im Goldfischglas ertränkt. Er könnte ausrasten, aber stattdessen schließt er die Augen und schläft wieder ein. Er war ohnehin nicht richtig wach. Er wacht das zweite Mal mitten in der Nacht auf und als er sein Handy aus der Sofafalte fummelt, leuchtet ihn viel zu hell die Uhrzeit entgegen. Halb vier. Stiles stöhnt auf und fährt sich mit einer Hand durchs Gesicht. Er hat ziemlich sicher fast zehn Stunden geschlafen, aber er fühlt sich trotzdem kein Stück ausgeruhter oder frischer oder irgendwie besser. Sein Kiefer ist ausgeleiert und er hat dieses Pochen in den Schläfen, das mit jedem Gedanken penetranter wird. Neben ihm auf dem Tisch liegt eine Schachtel Aspirin, daneben steht ein Glas Wasser und am anderen Ende sieht er irgendetwas blitzen, was hoffentlich seine Schlüssel sind. Von Peter ist keine Spur zu sehen und wenn das kein Zeichen ist. Stiles schnappt sich die Schlüssel und überlegt kurz, ob er eine Aspirin nehmen soll, aber am Ende steckt er einfach die ganze Schachtel in seine Jackentasche und fährt. Peter hat sowieso keine Verwendung dafür. *** Stiles erwartet nicht, Peter das nächste Mal im Supermarkt zwischen Bio-Müsli und Reiscrackern zu sehen. Ernsthaft. Was zur Hölle ist der Sinn von seiner filmreifen Aus dem Weg geh-Taktik, wenn Peter an den erdenklich unpassendsten Orten aufkreuzt? Und noch ernsthafter, wen zur Hölle will er damit verarschen? Bio-Müsli? Stiles überlegt, ob er sich umdrehen soll, weil, hey, im Schutz des Salatdressings soll Peter ihn erst mal ausfindig machen, als hinter ihm eine kleine Frau mit einem viel zu lauten Sprachorgan auftaucht und sich beschwert, dass sie hier Regale einräumen müsse und keine Zeit für Kinder beim Versteckspielen habe. Als sie Stiles ein paar Schritte zurückscheucht, sieht er aus dem Augenwinkel, wie Peter ihn angrinst, als würde er genau wissen, was Sache ist. Grandios, das war es also mit seinem Plan. „Wirklich, Stiles? Mitten in der Nacht abhauen? Ich hätte dir Frühstück gemacht, du hättest nur fragen müssen.“ Stiles zischt und dreht sich um, um zu sehen, ob irgendjemand bereits die Cops gerufen hat, weil, einerseits, nur fair, andererseits, peinlich. „Wirklich, Peter? Sexuelle Anspielungen gegenüber Teenagern? Ich hätte in der Öffentlichkeit mehr von dir erwartet.“ Peter grinst und zeigt seine Zähne und- „Warte, nein! Das war nicht- Oh Gott, einfach nein.“ „Kein Problem, dann beschränke ich die Anspielungen weiterhin auf unsere gemeinsamen Nächte.“ Mit jedem anderen wäre dieser Schlagabtausch lustig, vielleicht nicht ganz so trocken oder überhaupt möglich, aber mit Peter fühlt es sich einfach von Grund auf falsch an und es bewirkt, dass Stiles Magen sich zusammenzieht. Alles, was mit Peter zu tun hat, fühlt sich so an. Falsch. (Den Gedanken daran, dass es nicht nur das sein kann, schiebt Stiles beiseite.) „Weißt du was, Peter-“ „Stiles!“ Stiles zuckt zusammen und fährt herum und unter Umständen stößt er Peter dabei seinen Ellenbogen in den Magen. Aber, ernsthaft, er ist einkaufen und nicht auf einem Speed-Date, was zur Hölle. Woher kommen die ganzen Leute? Stiles braucht einen Moment, um die Frau vor ihm wiederzuerkennen. Alte Frauen haben diese Angewohnheit, alle gleich auszusehen, und Stiles hat seine Klon-Armee-Theorie noch nicht gänzlich aufgegeben, aber. Er weiß nicht, was er hiervon halten soll. „Hallo, Mrs Burke.“ Seine Stimme hat diesen Unterton, den er selbst nicht erwartet, irgendetwas Emotionales, Gepresstes. Vielleicht liegt es daran, dass ihm Bilder durch den Kopf schießen, wie Mrs Burke ihn auf die Schaukel gelassen hat, die Mr Burke für ihre Enkel gebaut hat, oder wie sie ihn ab und zu zum Abendessen eingeladen haben, wenn seine Eltern beide Nachtschicht hatten und Stiles bei seinem ersten Versuch, sich selbst Abendessen zu kochen, die Mikrowelle explodiert ist. Mrs Burke lächelt ihn an, als wäre Stiles ihr lang verschollener Sohn und irgendetwas daran tut unglaublich weh. „Wie geht es dir?“ Stiles schluckt hart, aber er lächelt zurück. „Ganz gut. Viel zu tun. Schule und alles.“ Er weiß nicht wirklich, was er sagen soll, nicht einmal, was er sagen würde, wenn er ein normaler Teenager mit einem normalen Leben wäre. Peter steht immer noch neben ihm und Stiles lässt seinen Blick eine Millisekunde zu ihm herüberschweifen und. Huh. Peter sieht von ihnen allen mit Abstand am unzufriedensten mit der Situation aus. Der Blick wäre Gold wert, wenn Stiles nicht im Hinterkopf die Sorge hätte, dass er Mrs Burke in der nächsten Sekunde an die Kehle geht. „Das ist gut zu hören. Wie geht es deinem Vater?“ Er zuckt zusammen und hofft, dass sie es nicht sieht, aber er fühlt sich als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen und er ist nicht wirklich der Typ Mensch, der mit einem eleganten Salto wieder auf beiden Füßen landet. Er fummelt nervös am Griff seines Einkaufswagens herum und jetzt muss sie einfach merken, dass etwas nicht stimmt. Stiles weiß immer noch nicht wirklich, was er sagen soll, nur dass er aufhören sollte, herumzudruchsen, aber seine Kehle fühlt sich so verdammt trocken an und er ist sich hundertprozentig sicher, dass er ein 'Ihm geht’s gut' nicht einmal halbwegs glaubhaft rüberbringen würde. Und dann liegt Peters Hand auf einmal auf seiner, mitten auf dem Griff vom Einkaufswagen, und Stiles hofft, dass er nicht hyperventiliert und dass Mrs Burkes Sehstärke sich über die Jahre noch weiter verschlechtert hat. Grandios, jetzt muss er etwas sagen, und wenn es nur zur Ablenkung ist. „Ihm geht’s gut. Ist ein bisschen grummelig, weil ich ihn zwinge, Salat zu essen, aber Sie wissen ja, wie er ist.“ Stiles kann nicht wirklich fassen, dass er die Worte ohne Stottern hervorbringt, und er stellt erleichtert fest, dass Mrs Burke aussieht, als würde sie es ihm voll und ganz abkaufen. „Oh ja, ich weiß genau, was du meinst. Bestell ihm meine Grüße, würdest du das tun?“ Er nickt und lächelt und ist erschrocken, wie leicht es ihm fällt. „Ich muss weiter, Sam will noch in diesen neuen Baumarkt nebenan.“ Sie verdreht die Augen. „Es war wirklich schön dich wiederzusehen, Stiles.“ Und dann nickt sie Peter zu und geht und Stiles würde am liebsten hier und jetzt zusammenbrechen, aber er überrascht sich selbst und dreht sich zu Peter. „Sie hat im Haus neben uns gewohnt. Damals, als-“ Stiles hört nur zu gut, wie seine Stimme bricht und wie er auf der Suche nach Worten, die ihn nicht nach einem Waisenkind klingen lassen, irgendwann aufgibt. Peters Daumen streicht über seinen Handrücken, minimal. Stiles ist sich nicht einmal sicher, ob es ein Versehen ist, oder ob Peter ihn beruhigen will; ihn wundert nichts mehr, wirklich, und vielleicht sollte ihm ausgerechnet das Sorgen machen. Er zieht seine Hand ruckartig weg und es fühlt sich an, als würde die seltsame Atmosphäre um sie herum in tausend kleine Teilchen zersplittern und das sollte eine gute Sache sein, verdammt. Stattdessen fühlt sich seine Hand kalt an und sein Kopf leer und er hat das Bedürfnis, den Rest des Tages unter seiner Bettdecke zu verbringen. „Okaaay. Das war wieder unglaublich lustig. Ich muss los, sonst ist meine Tiefkühl-Pizza gleich nicht mehr ganz so tiefgekühlt.“ Für einen Moment sieht Peter aus, als wollte er ihn aufhalten, aber dann lässt er ihn gehen und Stiles wundert sich, weil das in den letzten Wochen absolut nicht seine Art gewesen ist. Bevor er in die Süßigkeitenabteilung einbiegen kann, kommt ihm dieser Gedanke und er dreht sich um und Peter steht tatsächlich noch da. „Ach und hey, Reiscracker und Biomüsli als Tarnung? Ich hätte mehr von dir erwartet.“ *** Wenn Stiles Albträume hat, dann sind sie nur schemenhaft, immer, aber das macht sie nicht weniger real oder beängstigend, eher im Gegenteil. Er wacht mittlerweile jede Nacht mindestens einmal auf und damit ist es beinahe zu einer Routine geworden. Es ist mit Sicherheit nicht gesund, aber er kann gut damit leben. Diesmal ist es anders. Er wacht nicht ruckartig auf, nicht schweißgebadet, es ist eher ein langsames Erwachen; das macht es so schlimm. Er hängt halb in seinem Traum aus Umrissen und Eindrücken fest, aber er schafft es einfach nicht, sich diesen letzten Ruck zu geben. Stiles versucht sein Handy zu greifen, das grelle Licht weckt in bestimmt auf. Als er es nirgendwo findet, bekommt nur noch mehr Panik. (So weit ist es also schon gekommen.) Er konzentriert sich auf seine Atmung, aber sein Herz pocht wie wild und irgendwann gibt er auf und lässt es über sich ergehen. Nach einer schier ewig langen Zeit fühlt er sich in der Lage, sich im Bett aufzusetzen. Sein Handy liegt keinen halben Meter neben ihm und irgendwie hat der Gedanke etwas Beruhigendes. Er greift es sich und wählt Peters Nummer, er weiß nicht wieso oder er will es nicht wissen. Begründungen sind ohnehin überflüssig. Stiles hat nur diesen einen Wunsch (neben dem, dass sein Vater aufwacht), dass Peter ans Handy geht, und vielleicht ist es auch schon kein Wunsch mehr sondern ein Zwang. „Dreiundzwanzig Uhr ist ein neues Tief, selbst für deinen leichten Schlaf, Stiles.“ Stiles war selten so erleichtert und besorgt zugleich, weil erst jetzt langsam zu ihm durchsickert, was er tut. „Sag irgendetwas. Mir egal was, frag mich nur nichts und leg nicht auf.“ Beinahe hätte er vergessen, dass er gerade erst aufgewacht ist, aber seine Stimme ist verräterisch heiser. Erst schweigt Peter und Stiles erwartet fast, dass er in der nächsten Sekunde auflegt, weil es zu ihm passen würde, wirklich, aber anscheinend hat er Peter damit einfach überrumpelt. „Wusstest du, dass Derek mit dreizehn eine Emophase hatte? Oder ist das schon zu viel Frage für dich?“ Stiles lacht. „Niemals! Hundert Mäuse darauf, dass du dir das gerade bloß ausdenkst.“ „Es war wirklich nicht schön mitanzusehen.“ Peter schweigt einen Moment als würde er die Erinnerung noch einmal aufleben lassen, dann fügt er hinzu: „Ich habe Fotos“, und Stiles hört deutlich das Schmunzeln in seiner Stimme. Irgendetwas an der Situation ist unglaublich angenehm, so normal, dass es für sie schon wieder das absolute Gegenteil davon ist. Kurz glaubt er, dass das hier sein Traum ist, nicht die ganzen Schemen, und all das nur ein schlechter (guter) Scherz ist. Peter Hale ist so nicht, er kommt Bitten nicht nach und er erzählt Stiles nicht irgendwelche Belanglosigkeiten, damit es ihm besser geht. Aber andererseits ist Stiles auch nicht der Typ, der- ...der- Was tut er hier eigentlich? „Und du? Warst zu der Zeit ein Metalhead oder was kommt als nächstes?“ „Rate. Wie schätzt du mich ein?“ Stiles überlegt einen Moment, aber er kann Peter nicht einschätzen und das war schon immer so. Es ist auf irgendeine Weise seltsam, sich darüber Gedanken zu machen, privat auf eine gewisse Art, und es lenkt zu sehr von dem Monster ab, das Peter Hale ist. „Du hast Kindern ihre Lutscher geklaut und in ihren Tränen gebadet.“ Er weiß nicht, was daran Scherz ist und was nicht, er weiß nur, dass ein ernster Grundgedanken mitschwingt, aber Peter lacht, er lacht, nicht abfällig sondern als hätte Stiles ihm gerade einen lustigen Witz erzählt. „Auch wenn das eine sehr charmante Vorstellung ist, muss ich dich leider enttäuschen. Ich war eher das Gegenteil.“ „Du warst Kindergärtner?“ Diesmal lacht Peter sogar noch lauter und Stiles hat keine Ahnung wieso, aber er hat das Gefühl er wird mit jeder Sekunde süchtiger nach diesem Geräusch. Irgendetwas daran ist falsch, von Grund auf, und damit so anziehend für Stiles, dass es ihm für Sekunden den Atem raubt. Er kann nicht anders als nervös mitzulachen, versteht sich selbst und die Situation und die ganze Welt nicht mehr. Es ist ein befremdliches Gefühl aber unter zig Schichten kommt es ihm entfernt bekannt vor, fast familiär. „Ich war ein ambitionierter kleiner Student mit allem was dazugehört. Freude, Freundin, Studienkredit. Rückblickend war es wirklich ermüdend.“ „Aber du warst damals glücklich?“ Stiles hat keine Ahnung, wieso ihm diese Frag in den Kopf geschossen ist, und noch weniger, wieso er sie gestellt hat. Es fühlte sich in dem Moment wie die wichtigste Frage der Welt an. „Wir sind heute aber ziemlich neugierig.“ Stiles kann nicht ändern, dass er sich seltsam ertappt fühlt. Natürlich war ihm klar, dass Peter eine Vergangenheit hat und nicht als mörderischer Werwolf geboren ist (wobei er sich immer noch nicht ganz so sicher ist), aber das alles von ihm zu hören ist etwas ganz anderes. Und Stiles versteht immer noch nicht, wie es überhaupt dazu gekommen ist, dass Peter ihm diese Dinge erzählt. Er fragt sich, was mit Peters Freundin passiert ist. Ob sie sich ganz normal getrennt haben, ob sie damals im Feuer gestorben ist, oder ob Peter sie umgebracht hat. Er könnte es sich vorstellen. Stiles weiß nicht wieso dieses Thema so eine morbide Faszination für ihn birgt. (Vielleicht weil es mittlerweile ein Stück weit auch sein Alltag geworden ist.) Er schüttelt den Kopf. Eigentlich ist es egal. „Keine Sorge, das liegt an der Uhrzeit und am Halbschlaf. Morgen können wir uns wieder den Tod an den Hals wünschen.“ „Du bist also der Überzeugung, er herrscht gerade Waffenstillstand?“ Der Satz klingt keine Sekunde nach einer Frage sondern von vornherein nach einer Aussage, die mit einer Andeutung einhergeht, die Stiles nicht gefallen mag. Er guckt auf die Uhr. „Die nächsten 46 Minuten schon. Und morgen können wir dann so tun, als wäre das niemals passiert.“ „Ich glaube fast, Verdrängung ist eher deine Stärke als meine, Stiles.“ Und da ist es wieder. Dieses Wort, was ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Es hätte so angenehm sein können, die nächsten Minuten, er hätte so vieles erfahren können, so viele Fragen stellen können, die ihm mit einem Schlag auf der Seele brennen, aber Peter ist Peter und wenn Stiles dieses Chaos auch nur eine Sekunde mit einer Lösung verwechselt hat, ist er wirklich mehr durch als er dachte. „Gute Nacht, Peter.“ Stiles würde gerne zögern und seine Reaktion mitbekommen, wenigstens die Richtung, in die sie geht, aber das ist nicht der Punkt der Aktion. Er hat sich katastrophal verfahren und das hier ist vermutlich seine letzte Chance, umzukehren, also legt er auf. Er lässt das Handy trotzdem beinahe wehmütig auf seinem Brustkorb liegen und schließt die Augen. Vielleicht sollte er vergessen, was er gerade erfahren hat. Das Dämlichste, was er tun kann, ist noch länger darüber nachzudenken. Also tut er es, denn seine Situation ist ganz klar noch nicht beschissen genug. Irgendetwas zwischen ihnen hat sich verändert. Er hat keine Ahnung, wie er Peter, das Monster, was ihn Nächte lang terrorisiert hat, auf einmal vermenschlichen kann, aber Stiles kann nicht anders, als sich einen jungen Peter Hale vorzustellen. Nicht verbittert, einfach jung und unerfahren und ihm selbst vielleicht ähnlicher als ihm lieb ist. Vielleicht ist es genau das. Die Tatsache, dass Peter so viele Menschen verloren hat und trotzdem noch da ist. Stiles jagt es Schauer über den Rücken, wenn er daran denkt, dass er auch so werden könnte. Im Prinzip haben sie alle das Potenzial dazu. „Es ist wirklich rührend, wie du unser Gespräch rückwirkend analysiert.“ Stiles lacht trocken. Nicht dass er damit gerechnet hat, dass Peter herkommt, aber er ist auch nicht wirklich überrascht. (Ihn überrascht höchstens die Schnelligkeit, aber hey, Werwölfe halt.) „Hörst du jemals auf, bei mir einzubrechen?“ „Du könntest mir den Zweitschlüssel geben, dann wäre es kein Einbruch mehr.“ Stiles fällt auf, dass es das erste Mal ist, dass Peter in seinem Zimmer steht. In der dunklen Küche passte er erschreckend gut ins Bild, aber in dem kleinen Jugendzimmer, das bis zum Rande vollgestopft mit Stiles Leben ist, wirkt er einfach nur fehl am Platz. Stiles könnte ihn fragen, was er hier will, aber er würde sowieso nicht schlau daraus werden, also setzt er sich im Bett auf und macht Peter Platz. „Ich habe das Gefühl, deine äußerst dramatische Lebensgeschichte war noch nicht zu Ende?“ „Magst du es etwa, wenn Onkel Peter dir eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt?“ Stiles ganzer Körper rebelliert bei den Worten. Irgendetwas an Peters Haltung ihm gegenüber hat sich verändert, die ganzen letzten Wochen über, und es zu leugnen ist an diesem Punkt längst zwecklos. Stiles will trotzdem aufs Verrecken nicht feststellen können, was genau es ist. Es schwingt in allem mit, was Peter sagt und tut. „Wenn du die beunruhigenden bis verstörenden Anspielungen lassen und einfach weitererzählen könntest, das wäre großartig.“ Erst jetzt setzt Peter sich und Stiles hätte fast vergessen, dass da dieser Platz neben ihm ist und dass Peter so dicht bei ihm nichts Gutes bedeuten kann. Er erwartet, dass er wie immer jede Gelegenheit nutzt, Stiles seine Privatsphäre zu nehmen, aber diesmal ist es anders, diesmal wahrt er den Sicherheitsabstand, der Stiles fast enttäuscht zurück in die Kissen sinken lässt. „Es gibt nicht wirklich mehr zu erzählen. Danach kam das Feuer und den Rest der Geschichte kennst du.“ Er weiß, was Peters Absicht ist, als er ihn stumm ansieht. Er will Stiles Reaktion sehen, sehen ob da Panik (die Erinnerungen) oder Hass (die Erinnerungen) in seinen Augen zu lesen ist, aber das einzige, was Stiles fühlt, ist eine schlagartige Trauer, die ihn wegzuspülen droht. Es ist nicht fair und er weiß nicht was er damit meint. Er will Peter fragen, ob er seine Entscheidungen bereut, oder wieso er überhaupt so geworden ist, wieso er nicht einfach zurück an die Uni gegangen ist und sein Leben weitergelebt hat, aber irgendetwas hält ihn davon ab. Es ist diese unsichtbare Barriere, die dich unglaublich wütend macht, weil du keinen rationalen Grund findest, wieso sie da ist, aber du kannst sie einfach nicht durchbrechen und weißt, dass du am Ende des Tages frustriert und unbefriedigt einschlafen wirst. Es ist auf dem besten Weg, ihn wahnsinnig zu machen, als Stiles etwas bemerkt. Huh. Er dachte nicht, dass es tatsächlich diese Millisekunde gibt, in der jeder noch so kalkulierende Pokerspieler seine Emotionen nicht verstecken kann und sie offenlegt, aber da ist sie, diese Millisekunde, und Stiles schwört auf alles, was ihm heilig ist, dass Peter ihn mit blanker Verwunderung ansieht. Und da ist noch etwas, was er nicht deuten kann, aber was sich jetzt schon tief in sein Gedächtnis brennt, weil Peter beinahe verletzlich aussieht. Es bringt Stiles nicht aus dem Takt oder so. Keine. Sekunde. Er schnappt nicht viel zu laut nach Luft und starrt nicht irritiert zurück und Stiles belügt sich auch nie selbst. Peter sieht aus als wollte er etwas sagen, aber Stiles weiß nicht, was man auch nur im Entferntesten dazu sagen könnte. Etwas stimmt nicht. Etwas stimmt mit ihm nicht und mit dieser ganzen Situation nicht und damit, dass er mit Peter sympathisiert, erst recht nicht. Und es ist nicht nur das. Es sind auch Dinge, die er bisher hat schleifen lassen, damit sie irgendwo in seinem Hinterkopf in Vergessenheit geraten. Die meisten sind Emotionen, wie die gleißende Panik, was er tun soll, wenn sein Vater nicht wieder genest, oder die Enttäuschung, dass Peter genau in solchen Momenten auf Stiles Worte hört und Sicherheitsabstand zu ihm hält, oder die Panik darüber, dass er tatsächlich enttäuscht deswegen ist. Und als hätte Peter seine Gedanken lesen können (was Stiles gar nicht mehr so abwegig findet), kommt er näher; nicht merklich, vermutlich nicht mehr als einen Zentimeter, aber es lässt den Raum unerträglich heiß werden und vermutlich auch die Hölle zufrieren. Stiles weiß nicht, was er tun soll. Alles, was er sagen könnte, klingt lächerlich, aber er hat dieses beunruhigende Gefühl, dass etwas passieren wird, wenn er nichts sagt. „Was stimmt mit uns nicht?“ Es klingt melodramatisch, also korrigiert Stiles sich. „Halt, nein, was stimmt mit dir nicht?“ Peter sagt nichts. Als wüsste er genau, dass er Stiles nicht einmal eine halbe Minute geben muss, bis dieser Damm bricht und er einfach redet, über all die Dinge, die ihn seit Wochen nicht schlafen lassen. Es passiert, aber zu Stiles Überraschung ist es keine Flut von Dingen, sondern nur ein Gedanke, den er am liebsten wegschließen und für immer auf dem Grund des Meeres versenken würde. „Ernsthaft. Wie kann es sein, dass ich nur dann Ruhe finden kann, wenn du da bist? Ist das alles ein schlechter Scherz oder so? Oder ist das wieder so ein Werwolf-Ding? Was wirklich okay wäre, ehrlich. Bitte sag, dass es so ist.“ Stiles kann nicht ändern, dass er gegen Ende verzweifelt klingt. „Ich hab dir von vornherein gesagt, dass du deine Wut nicht ewig herunterschlucken kannst. Du brauchst ein Ventil und ich bin da, das ist alles.“ Dann fügt Peter ein wenig leiser hinzu: „Mach dir nicht so einen Kopf“, was beinahe rührend wäre, wäre es nicht wieder das perfekte Abbild des Dilemmas, in dem Stiles steckt. Und trotzdem ist er aus irgendeinem Grund nicht zufrieden mit der Antwort. Stiles könnte schwören, dass Peter zu erst etwas anderes sagen wollte. Aber vielleicht hat er tatsächlich Recht. Was Peter sagt klingt nicht unlogisch und er kann nicht leugnen, dass es ihm hilft. Das ist die Hauptsache, richtig? Es ist nicht so, als würde er etwas hochgradig Unmoralisches tun (es fühlt sich nur beizeiten so an). Im Grunde ist es doch harmlos. Wenn Peters Anwesenheit ihm hilft, sei's halt drum. Es wird ohnehin niemand jemals erfahren. „Okay.“ Stiles ist sich sicher, dass Peter weiß, was er damit meint; 'Es ist okay, wenn du da bist.' „Und jetzt?“, fragt Stiles aus einem Gefühl der Unsicherheit heraus, trotz allem nicht ganz sicher, ob Peter die Tragweite seiner Worte verstanden hat. „An deiner Stelle würde ich die Gelegenheit nutzen und schlafen.“ Stiles will eine sarkastische Bemerkung darüber machen, dass er dann vermutlich nie wieder aufwachen wird, aber er ist so unglaublich erschöpft und Peters Hand auf seiner Schulter gibt ihm diesen Halt, den er tagelang gesucht hat. Er manövriert seine Beine um Peter herum und streckt sich im Bett aus. Stiles weiß nicht, wie Peter die Nacht hier verbringen will (ob er überhaupt so lange bleibt), aber ehrlich gesagt ist es ihm herzlich egal. Am Rande seines Bewusstseins fragt er sich, ob das hier wirklich gut ist; dass es höchstgradig gefährlich ist, steht außer Frage. Aber vielleicht funktioniert es deshalb. Nach allem was passiert ist, ist 'sicher' vielleicht einfach nicht mehr das, womit Stiles klarkommt. Zu seiner Überraschung schläft er die restliche Nacht ohne Albträume durch und als er aufwacht, fühlt er sich zum ersten Mal nach langer Zeit als hätte er Energie getankt und nicht verschwendet. Er blickt sich im Zimmer um, aber Peter ist nicht da und Stiles vermutet das heißt, er ist gegangen. Der Gedanke lässt ihn mit einem Gefühl zurück, das er nicht einordnen kann (und außerdem ist 'Wehmut' so ein steinzeitliches Wort). Als Stiles sich am Ende des Tages wieder in sein Bett legt und nach einer schier endlosen Zeit kurz vorm Eindösen ist, spürt er, wie sich die Matratze senkt. Er ist kurz davor, in Panik zu verfallen, aber ihm kommt ein absurder Gedanke und er öffnet die Augen einen Spalt. Tatsächlich. „Schon wieder?“ Stiles möchte, dass es genervt klingt, aber es klingt viel mehr erleichtert und damit so unpassend zum Inhalt seiner Worte, dass es einfach lächerlich ist. Deswegen lächelt Stiles (oder weil Peter irgendetwas murmelt, was so sarkastisch klingt, dass nur er es sagen kann). Morgen ist es sowieso egal. Er kann genauso gut einfach schlafen. Stiles ist weniger irritiert, als Peter den Abend danach wieder auftaucht oder den Abend danach und den danach. Sie reden nie viel; Peter kommt immer kurz bevor Stiles eingeschlafen ist. Es ist fast, als hätte er sich einen Wecker gestellt auf zehn vor Stiles schläft, und Stiles fragt sich, ob es ist, weil er der direkten Konfrontation aus dem Weg gehen möchte. (Stiles ist sich nicht sicher, wen von ihnen er meint.) Er weiß nicht, was er von dem Gedanken halten soll, aber er weiß auch nicht, was er davon halten soll, dass er Peter mittlerweile wortwörtlich erwartet. Vermutlich ist es kein gutes Zeichen. Und dann ist da diese eine Nacht in der Stiles zu lange im Krankenhaus gewesen ist und er mit zigtrilliarden Gedanken nach Hause kommt und einfach keinen Schlaf finden will. Peter ist nicht da. Zum ersten Mal, seit es angefangen hat. Es ist okay; er braucht ihn nicht. Nur weil Stiles die letzten Nächte keine Albträume hatte, heißt das nicht, dass es an Peter gelegen hat, und es verdammt ihn auch nicht dazu, jetzt welche zu haben. Er schließt die Augen. Vielleicht, wenn er es schafft, müde genug zu werden- Es ist egal. Er braucht Peter nicht. Stiles dreht sich im Bett herum und konzentriert sich auf seine Atmung. Früher, als er klein war und abends keine Ruhe finden konnte (was jeden Abend war, wirklich), kam seine Mom zu ihm ans Bett und hat ihre Hand auf seinen Brustkorb gelegt. 'Schließ deine Augen und atme ein, als wolltest du alle Luft dieser Welt in dir aufnehmen', hat sie gesagt und Stiles hat eingeatmet, bis ihm schwindelig wurde und seine Mom ihn angelächelt hat, als hätte er alles richtig gemacht. 'Und jetzt atme aus und behalte nur die schönen Gedanken bei dir. Lass alles andere los.' Es hat jedes Mal funktioniert. Mit jedem Atemzug fühlte er sich ruhiger, wohler, sicherer. Stiles versteht erst jetzt richtig, was sie damals damit meinte, dass seine Atmung ein Filter sei. Stiles atmet ein und nimmt den Eindruck des leeren Zimmers in sich auf und er atmet aus und denkt an Peters Worte. Mach dir nicht so einen Kopf. Und dann schläft er. Als er aufwacht, ist er desorientiert. Es fühlt sich nicht so an, als hätte er genügend Schlaf bekommen, nicht mal annähernd, also wieso ist er wach? Stiles blickt sich im Raum um, aber es ist zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen. Er hätte schwören können- Und dann merkt er es und er hat keine Ahnung, wieso es so lange gedauert hat. Peter liegt neben ihm. Stiles kann nicht ändern, dass es sich anfühlt, als würde eine unglaublich große Last von ihm abfallen. Er hat sich oft gefragt, ob Peter schläft, wenn er hier ist, oder ob er Stiles einfach nur beobachtet, ganz der creepige Typ, der er ist. Seltsamerweise hat er sich nie Sorgen gemacht, dass Peter durch seine privaten Sachen stöbern könnte, aber vielleicht liegt es daran, dass Stiles sich kaum etwas Privateres vorstellen kann, als seelenruhig neben ihm zu schlafen. Dieses Mal weiß Stiles, dass Peter auch schläft. Ihre Schultern berühren sich, aber ansonsten fühlt es sich an, als hätte Peter betont darauf geachtet, dass sie keinen Körperkontakt haben. Es ist irgendwie ein lächerliches Bild, lächerlich angenehm, wie Stiles zu seinem eigenen Schrecken feststellen muss. Er fühlt sich warm und gut, ruhig und sicher, er kennt dieses Gefühl von früher und er sollte sich nicht wundern, denn das war der Sinn der Sache. Trotzdem ist etwas anderes dabei. Etwas, das ihn sich einsam fühlen lässt, weit entfernt, als würde irgendein Detail fehlen, das Stiles nicht kennt, aber trotzdem zum Leben braucht. Er ist beinahe sehnsüchtig danach. Er rückt näher, nur einen Millimeter, weil er diese seltsame Idee hat, dass das es besser macht, aber es ist eher das Gegenteil. Er fühlt sich einsamer, verzweifelter, und dieser Drang nach irgendetwas, was er nicht benennen möchte, wird immer stärker. Er drückt seinen Körper an Peters, weil Stiles so ist, weil er noch nie aus seinen Fehlern gelernt hat, und es wird besser und schlimmer. Stiles ist mit einem Mal rastlos. Egal wie sehr Peters Anwesenheit ihn in letzter Zeit beruhigt hat, jetzt bewirkt sie das komplette Gegenteil. Zu seinem Erstaunen meint er es nicht gänzlich negativ. Plötzlich hat er dieses irrationale Gefühl, dass er in Peter hineinkriechen muss, damit etwas passiert, dass das Bett immer kleiner und der dunkle Raum größer wird und er nur bei ihm Zuflucht finden kann. Stiles schlingt ein Bein um ihn, legt seinen Kopf an Peters Hals und nimmt ihn im nächsten Moment wieder weg, weil es zu viel und nicht genug ist und dann legt er seinen Mund auf Peters, damit sie beide nicht ersticken, weil es sich genau danach anfühlt, und er wird hart und das hier ist ein Albtraum, weil er Recht hat; Peter atmet nicht. Alles dreht sich. Stiles schreckt zurück, panisch, er weiß nicht worüber mehr. Peter atmet nicht. Er ist kalt. Peter atmet nicht. Stiles fühlt sich, als hätte er mit einem Schlag alles verloren. Wieso? Wieso stirbt alles um ihn herum? Die Panik nimmt Überhand. Fest um Peter umschlungen zu sein fühlt sich falsch an und er sich elendig, er muss hier raus und tritt und kämpft und beißt, er weiß nicht mal wirklich, wogegen er ankommen will, aber das Gewicht ruht so unglaublich schwer auf ihm. Und dann ist alles still, nichts dreht sich mehr, Peter atmet, schwer, gegen Stiles Mund und Stiles reißt die Augen auf und schließt sie wieder, als Peter ihre Münder aufeinander presst, anders (natürlich anders - lebendig), beinahe aggressiv und entfernt verzweifelt. Stiles weiß nicht wohin mit sich, was er tun soll, er lässt es geschehen und er ist immer noch hart. Fuck. Das hier passiert nicht wirklich. Es ist ein Traum, ganz einfach, Peter war am Abend nicht da, wieso sollte er es jetzt sein. Es hat sich sowieso keine Sekunde real angefühlt. (Stiles weiß, dass das momentan seine Realität ist und es eher die Träume sind, die sich zu echt anfühlen, aber er belässt es dabei.) Er fragt sich, wann Peter aufhört ihn zu küssen, als wäre Stiles ein Ertrinkender, er fragt sich, ob er aufhören würde, wenn Stiles aufhören würde. Er fragt sich, ob er aufhören könnte. Und dann ist es vorbei und etwas zerbricht in Stiles und er hat Angst, dass Peter es gehört hat. Er starrt Stiles an, wirkt selbst ziemlich erschrocken, was es beinahe lustig macht. Wäre da nicht die Tatsache, dass es real ist. Dass Peter ihn geküsst hat und dass Stiles sich nicht gewehrt hat, dass er seinen Schwanz gegen Peters Bein gepresst hat als wäre es die einzig logische Reaktion. „Du hattest einen Albtraum.“ Peter möchte es beifällig sagen, das weiß Stiles, aber er klingt außer Atem und es ist wie Balsam, das seine Seele schleichend vergiftet. Er kann nicht leugnen, was passiert ist. Keiner von ihnen kann das. „Und das ist deine Antwort darauf?“ Stiles ist erschrocken, wie bitter seine Stimme klingt, aber die Frage ist berechtigt. Was zur Hölle hat Peter sich dabei gedacht? Andererseits ist es vielleicht besser, wenn alles weitere unausgesprochen zwischen ihnen bleibt. „Weißt du was, es ist mir egal. Geh einfach. Das hier war von vornherein eine schlechte Idee.“ Und Peter tut das letzte, was Stiles erwartet. Er steht auf und geht, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. 'Das war's also,' denkt Stiles sich. Es soll nicht so traurig und wütend klingen, aber er kann sich nicht helfen. Das ist der Punkt. Wie konnte er auch nur eine Sekunde lang glauben, dass Peter Hale ihm gut tun würde? Er sollte sich davon losreißen. Es ist keine große Sache. Stiles ist einsam und immer noch ein hormongesteuerter Teenager, es sollte sich nicht so beschissen anfühlen, Peters Nummer in seinem Handy zu blockieren. Es ist schließlich nur Peter. Stiles sackt auf seinem Bett zusammen und fühlt nichts (fast nichts) außer dieser Erschöpfung, die auf einmal an jeder Faser seines Körpers nagt. Er sollte weiterschlafen, aber er tut es nicht. Nicht, weil er Angst hat, dass er ohne Peter nicht schlafen kann, nur weil es schon fast fünf Uhr morgens ist und er ohnehin die Küche putzen muss. Die Sache ist, Stiles hat diese konkrete Vorstellung von seinem Leben. Wie er Lydia mit Ende zwanzig heiratet und wie sie ihre Flitterwochen auf Bali verbringen und das ist die eine Sache, an der er festhält, selbst dann noch als sein Leben auf einmal aus Verfolgungsjagden mit Werwolfjägern besteht und Zeug, das er bisher nur in John Sinclair Heften gelesen hat. Stiles kann einfach nicht zulassen, dass der Plan zehn Jahre seines Lebens überstanden hat, nur damit Peter Hale ihn zerplatzen lässt wie eine Seifenblase. *** Stiles hat nicht erwartet, dass es nach allem noch schlimmer kommen könnte, oder konkreter, dass er sich noch schlimmer fühlen könnte. Nachts zittert er, von Schlaf keine Spur, und tagsüber ist er desorientiert. Er fühlt sich hilflos, als würde er versinken und der letzte Rest Luft aus seinen Lungen gepresst werden. Scott kommt ihn regelmäßig besuchen, am Anfang zum Zocken, aber Stiles ist sich ziemlich sicher, dass es mittlerweile viel eher ist, weil er sich Sorgen um ihn macht. Er kann es ihm nicht verdenken. Stiles ist vielleicht passiv, aber nicht blöd, er weiß selbst, wie er sich verändert und er versteht, wieso Scott sich Sorgen macht. Er macht sich selbst auch Sorgen. Der Punkt ist, es geht nicht darum, was mit ihm passiert. Stiles ist vielleicht verzweifelt, aber er ist nicht selbstzerstörerisch. Er braucht diese Ruhe und dieses Nichts gerade einfach. Was ihn viel eher besorgt ist das Warum, der Auslöser, der nur bedingt sein Vater sein kann. Sein Dads Zustand hat sich nicht verschlechtert und natürlich macht die Zeit es nicht besser, in diesem Fall macht sie es sogar schlimmer, aber das ist es nicht. Leugnen bringt nichts. Stiles vermisst Peter. Zwischen seinen hektischen Herzschlägen traut Stiles sich manchmal, in seltenen Momenten, es sich einzugestehen. Aber die Tatsache ist wie jede andere auch; temporär. Es ist kein Problem, das sich mit der Zeit nicht lösen wird. Er braucht Abstand und davon so viel wie möglich. Er weiß, dass das alles nur eine Verkettung der Umstände ist, dass er für den Moment eine Bezugsperson als Substitut braucht, mehr nicht. Deswegen hat er keinen Grund, sich darüber den Kopf zu zerbrechen; es ist natürlich, oder zumindest so natürlich, wie die Dinge für ihn nun mal sind. Er weiß das, er meißelt es sich mental aber- und abermal in Stein, aber es ändert nichts daran, dass er abends gedankenverloren immer wieder die Liste der blockierten Nummern in seinem Handy aufruft und sich fragt, was gewesen wäre und was hätte sein können. Und jede Nacht fühlt sich sein Bett größer an, und je größer es sich anfühlt, desto enger sind die Orte, an denen Peter ihn in seinen Träumen gegen Wände drückt und ihm dabei die Luft zum Atem nimmt. Manchmal spürt er Peters Lippen auf seinem Körper, nie ohne die Zähne und immer aggressiv, als würde er Stiles dafür bestrafen wollen, dass er es so weit hat kommen lassen. Dann denkt Stiles sich, dass es vermutlich seine ganz eigene Art ist, sich selbst zu bestrafen. Aber er tut das richtige. Peter kann in seinen Träumen noch so oft diese Grenze überschreiten, in der Realität wird Stiles es nicht noch einmal zulassen. Sein Leben wird einfacher so sein. Es gibt diese Nächte, in denen Stiles aufwacht, weil er denkt, Peter hätte sich neben ihn gelegt. Es sind die Nächte, in denen er seine Entscheidung bereut. Einmal war er so weit, dass er in seinem Jeep saß mit nichts mehr als seinen Boxershorts an, aber ein paar Blocks vor Peters Haus ist er doch wieder umgekehrt. Zum Glück. Er fragt sich oft, was Peter tut. Es ist ein beunruhigendes Gefühl, nicht weil es ihn interessiert, nicht deswegen, okay, sondern weil er Angst hat, dass Peter etwas plant. Es macht ohnehin alles so erschreckend wenig Sinn. Stiles hasst das. Er kann damit umgehen, wenn irgendwelche Arschlöcher Pläne schmieden, weil sie Macht oder Geld oder Rache wollen, irgendwelche rationalen Gründe haben, aber Peters gesamtes Dasein macht seit seiner 'Wiederauferstehung' keinen Sinn für Stiles und das ist so beängstigend. Er fühlt sich klein, ohne Durchblick und er ist immer auf das Schlimmste vorbereitet. Er ist trotzdem nicht darauf vorbereitet, dass die Ärzte ihm sagen, dass sein Vater zu einer finanziellen Belastung wird, dass die Chancen auf eine Genesung so gering sind, dass sie die Maschinen abstellen wollen. Stiles dachte, er würde mehr fühlen, an Ort und Stelle zusammenbrechen, irgendetwas in der Art, aber er nickt bloß und verlässt das Krankenhaus. Er fühlt sich wie in Trance. Das hier kann nicht passieren. Es kann nicht sein, dass sein Leben in einem einzigen Jahr zu so etwas geworden ist, zu etwas Unkontrollierbarem, was zu allen Seiten Funken sprüht und gottverdammte Waldbrände auslöst. Er weiß, dass er wütend und verzweifelt ist, aber darüber liegt dieser Rauch, den er nicht durchdringen kann. Vielleicht ist es ein Selbstschutzmechanismus, damit er sich nicht von der nächsten Brücke stürzt. Er will zu Peter fahren. Mehr als alles andere (fast alles andere) möchte er auf seinem großen Sofa zusammenbrechen, sich in die warme Decke wühlen und schlafen, endlich wieder schlafen. Er möchte mit dem Geruch von Pfefferminztee in der Nase aufwachen und wissen, dass Peter da ist, dass irgendjemand da ist, dass Stiles Leben nicht nur ein Spiel auf Zeit ist, in dem ihn letzten Endes jeder verlassen wird. Stattdessen vergräbt er sich in seinem eigenen kalten Bett und wünscht sich, dass dieser Tag vorbeigeht. Er möchte einfach nur vorspulen, bis alles wieder gut ist, und die Zeit dazwischen nicht miterleben müssen. Und wenn es kein Halten und diesen Moment überhaupt nicht gibt, dann ist es so. Stiles versucht, sich von Pack-Treffen fernzuhalten (eigentlich, sich von allem fernzuhalten), nicht nur wegen Peter, sondern vor allem wegen Scott. Natürlich weiß Scott es. Natürlich vergeht kein Tag, an dem Scott nicht vor seiner Zimmertür steht, aber Stiles macht ihm nur manchmal auf. Es ist irrsinnig, irgendwie, dass Scott einfach in sein Zimmer kommen könnte, aber es nicht tut. Stiles sollte ihm vermutlich dankbar sein deswegen, aber alles um ihn herum fühlt sich so belastend an, selbst diese Kleinigkeit. Oder vielleicht liegt es gerade daran, dass Scott ihn um Erlaubnis bittet, dass er nicht einfach auf einmal in seinem Zimmer steht, vielleicht macht das es so schwer. (Oder es liegt daran, dass Scott nicht Peter ist.) Trotzdem kann Stiles sich nicht ewig vor Pack-Treffen drücken. Er will wenigstens versuchen, den paar Leuten zu helfen, die noch da sind. Auf dem Parkplatz vor Dereks Apartment passiert etwas Seltsames. Stiles spürt diese gleißende Panik in sich hochkommen, die er nicht erwartet hatte, weil da seit Tagen keine Emotion war, gar nichts. Was passiert, wenn Peter da ist? Wie sollen sie miteinander umgehen? Stiles hat Scott im Voraus ein Dutzend Mal gefragt, ob er weiß, wer alles da ist, aber Scott konnte ihm keine Antwort geben und Stiles hat sich aus irgendeinem Grund nicht getraut, direkt nach Peter zu fragen. Eigentlich ist es egal. Sie haben sich nichts mehr zu sagen, hatten es von vornherein nicht. Und trotzdem ist er erleichtert, als er Peter nicht bei den anderen sitzen sieht. „Stiles!“ Scott strahlt ihn an, als wäre es ein verdammtes Weltwunder, dass es tatsächlich gekommen ist. Vielleicht ist es das; er hatte es selbst auch nicht ganz erwartet. Aber da ist mehr in Scotts Blick als die Erleichterung, Stiles zu sehen. „Wir haben es! Wir wissen, wie wir deinen Dad retten können.“ Und das hatte Stiles nicht erwartet, nicht heute, eigentlich gar nicht mehr. Er lacht auf, vorsichtig, ungläubig. Das ist ein Scherz. „Bist du dir- Seid ihr euch sicher?“ Er sieht in die Runde, sieht Derek und Lydia und Isaac und Allison und langsam fällt diese Last von ihm ab. Vielleicht hat er zu früh aufgegeben. Er hätte von Anfang an auf seine Freunde hören sollen. „Es ist eigentlich ziemlich einfach. Wir mussten nur sicher gehen, dass wir wissen, womit wir es zu tun haben,“ sagt Derek, und Stiles versteht, was er meint. Sie können es sich nicht leisten, sich kopflos ins Gefecht zu stürzen. Nicht jetzt. „Es ist eine Hydra,“ ruft Scott, als wären das gute Nachrichten, als würden sie verdammt noch mal Bingo spielen und er hätte seine Reihe voll. Es ist lächerlich, die Worte und die Tonlage, aber das ist sein Leben, richtig? Trotzdem. Stiles möchte wissen, wieso sie sich so sicher sind, weil er nicht daran denken kann, was passiert, wenn es nicht stimmt. Wenn er alle Hoffnung in diese Aktion setzt und er am Ende mit nichts als vergeudeter Zeit dasteht. (Aber es wäre nicht wirklich anders als das, was er die letzten Tage getan hat.) „Und ihr seid euch wirklich wirklichsicher? Zu einhundert Prozent?“ Derek nickt. „Peter hat es in einem der Bücher gefunden. Alle Anzeichen passen; die gerissenen Viehherden, die Male auf der Haut deines Vaters...“ Die Tatsache, dass es Peters Verdienst ist, macht Stiles die Sache irgendwo madig. Peter hat nicht das Recht, noch diese Rolle in Stiles Leben zu spielen. Er lenkt sich ab. „Also, wie sieht der Plan aus?“ Stiles weiß ehrlich gesagt nicht, ob er noch die Kraft für irgendetwas Nervenzehrendes hat. Er möchte nicht wieder nächtelang als Köder durch den Wald rennen und er möchte die Sitzbezüge seines Babys auch nicht schon wieder vollbluten. Trotzdem. Stiles würde absolut alles tun, um seinen Dad zu retten. Scott grinst ihn an. „Wir töten sie.“ Und wenn das nicht mal eine Ansage ist. Als Stiles später am Tag Dereks Wohnung verlässt, fühlt er sich gut. Wirklich, aufrichtig gut; die Gedanken an Peter vielleicht ausgenommen, aber was soll er groß machen? Du könntest hinfahren und dich bedanken, denkt ein Teil von Stiles. Vielleicht heißt bedanken auch gleichzeitig entschuldigen. Stiles weiß nicht wirklich, ob er das möchte. Andererseits muss er die Sache zwischen ihnen nicht geradebiegen, wirklich nicht, es ist nichts Nennenswertes. Ob Peter jetzt das letzte bisschen Information geliefert hat oder nicht, es hat nichts damit zu tun, was zwischen ihnen passiert ist. Stiles könnte ihm einen Geschenkkorb vor die Tür stellen und einen Zettel mit 'Danke, dass du stundenlang Bücher gewälzt hast um meinem Dad das Leben zu retten' reinstecken. Das könnte er machen und er tut es, fährt zum nächsten Supermarkt und lässt sich beraten und es verwundert ihn. Wo zur Hölle liegen seine Prioritäten bitte? Die Verkäuferin ist nett, aber sichtlich überfordert. „Also, Ihr Onkel mag... was genau?“ Stiles erklärt es ihr noch einmal. „Wein. Wein und klassische Literatur.“ So stellt Stiles sich Peter zumindest unweigerlich vor. Mit einem Buch von Poe vorm Kamin, sein Glas Rotwein schwenkend und über den Tod philosophierend. Stiles kann nichts dafür. Es ist so unglaublich passend und der Gedanke tut etwas mit ihm, er lässt ihn sich zurück an Peters Wärme neben sich erinnern. Die Verkäuferin greift ins Regal, hinter zwei verstaubte Blumengestecke und zieht einen kleinen, roten Korb hervor. „Wir hätten hier diesen, äh...“ Sie dreht das Ding in ihrer Hand, bis sie die Aufschrift findet. „Ah. Ja. Also wir hätten hier diesen Korb mit Orangenmarmelade und Spekulatius.“ Stiles lehnt dankend ab. Vielleicht hätte er in die Mall und nicht den nächstbesten Supermarkt am Waldrand fahren sollen. „Wie sieht es mit Rotwein aus?“ Sie schüttelt den Kopf. „Wir haben Brandy.“ Muss er das verstehen? Muss er verstehen, wieso dieser Laden am Ende der Welt zwanzig Sorten Marmelade führt, aber keinen Rotwein? „Alles klar. Brandy, nur knapp an Rotwein vorbei.“ Vielleicht sollte Stiles weniger sarkastisch und angepisst klingen, die arme Frau kann auch nichts dafür, dass er manchmal die dämlichsten Entscheidungen fällt und dann an ihnen festhält, einfach aus Prinzip. Er nimmt die Flasche, zahlt grummelnd seine fünfzig Mäuse und verlässt den Laden. Stiles kennt sich mit Brandy nicht aus, aber wenn er hier keine Deluxe-Spirituose in der Hand hält, was er stark vermutet, ist der Preis Wucher. Es sei denn, Peter erstickt daran. Dann ist er gerechtfertigt. Stiles fragt sich, wie er es machen soll. Soll er die Flasche verpacken (womit?), soll er einen Zettel drankleben (er hat nur den zerknüllten Kassenbon), soll er sie Peter überhaupt geben oder soll er sie einfach selbst trinken, sich einschließen und zusehen, was passiert. Stiles war lange nicht mehr betrunken. Wirklich lange. Vielleicht wäre heute eine gute Gelegenheit. Irrelevant. Stiles hat sich etwas vorgenommen und daran hält er sich. Er vergibt Peter nicht, es ist kein großes Zeichen, bloß ein kleines (überteuertes) Dankeschön. Der Weg zu Peters Wohnung fühlt sich zu familiär an, obwohl es von Dereks Wohnung aus ein vollkommen anderer ist. Etwas daran lässt Stiles Magen sich zusammenziehen. Er kann die Strecke abschätzen. Vielleicht noch zwei Minuten, dann steht er vor Peters Tür. Und dann? Er hat sich immer noch nichts überlegt. Mit etwas Glück braucht er das nicht. Peter könnte weg sein, einkaufen oder spazieren oder auswandern, aber, ernsthaft, als würde Stiles Leben so funktionieren. Er bleibt länger als nötig im Auto sitzen, eine halbe Ewigkeit vermutlich. In Peters Wohnung brennt kein Licht, aber gut, es dämmert auch gerade erst. Stiles zieht den Schlüssel aus dem Zündschloss. Letzte Chance, wegzufahren: vertan. Er kann nicht ändern, dass der Weg zum Haus sich eher anfühlt wie der zu seiner eigenen Hinrichtung. Und in dem Moment realisiert Stiles, dass er nie hergekommen ist, um die Flasche abzustellen und dann wieder zu fahren. Er schluckt hart. Über eine Woche hat er Peter nicht gesehen. Zeit, das zu ändern. Die Klingel ist unendlich laut in Stiles Ohren und er zuckt zusammen. Großartig. Sein Herz rast. Beinahe ist er überzeugt, dass Peter nicht zu Hause ist, aber dann öffnet sich die Tür im letzten Moment doch noch. Stiles weiß nicht, was er sagen soll. 'Danke' wäre ein Anfang, das weiß er, aber vielleicht bekommt Peter es in den falschen Hals und dann- Stiles drückt ihm die Flasche wortlos in die Hand und drängt sich an ihm vorbei in die Wohnung. Er weiß nicht wieso. Er könnte schwören, er hatte sich eben noch vorgenommen, alles Erdenkliche zu tun, damit es nicht so weit kommt. „Sicher. Mach es dir bequem, sei mein Gast.“ Etwas an Peters Stimme klingt anders, angespannter, als wollte er Stiles tatsächlich nicht da haben. Der Gedanke lässt Stiles Herzschlag aussetzen, nur kurz, nichts Bedrohliches, keine große Sache. Er betritt das Wohnzimmer, schmeißt sich auf das große Sofa und lässt ein weiteres (letztes) Mal zu, dass er in den Kissen versinkt. Der Geruch von Pfefferminztee flutet Stiles und lässt ihn mit etwas zurück, was er nicht ganz einordnen kann. Es erschreckt ihn, wie sehr er es vermisst hat. Das alles. Peter. Gerade in Anbetracht dieser Tatsache sollte er sich wundern, was er hier tut. Peter lehnt im Türrahmen. Stiles kann seine Präsenz hinter sich so klar ausmachen, dass es ihm Schauer über den Rücken jagt. Beinahe verrenkt er sich den Nacken, um ihn ansehen zu können. „Sagst du mir, was ich hiervon zu halten habe?“ Peter schüttelt die Flasche in seiner Hand leicht. Er wirkt aufrichtig verwirrt, was eine seltsame Genugtuung für Stiles mit sich bringt. „Herzlichen Glückwunsch.“ Stiles weiß nicht, wie er darauf kommt, aber es macht beinahe Spaß, zuzusehen, wie er Peter immer mehr irritiert. Dieser Rollentausch ist... erfrischend. Peter zieht fragend eine Augenbraue hoch und Stiles würde fast lachen, will es, aber er möchte auch einmal den Taffen spielen, also reißt er sich zusammen. „Herzlichen Glückwunsch, du bist tatsächlich nützlich gewesen.“ Jetzt scheint Peter zu verstehen, was Stiles meint, und für einen Moment sieht er aus, als wäre er überrascht von ihm. Von seiner Größe, sich tatsächlich zu bedanken. Die Vorstellung, dass es Peter aus dem Konzept bring, ist seltsam befriedigend. Stiles will gehen. Er will gehen wollen. Er sollte gehen. Es gibt hier nichts mehr für ihn. Und dann stellt Peter zwei Gläser auf den Tisch, setzt sich zu ihm und schenkt ihnen ein. Das ist vermutlich das letzte, was Stiles erwartet hat. „Du weißt, dass ich siebzehn bin?“ Es klingt vorwurfsvoll und das soll es verdammt noch mal auch. Sofa-Abende mit Peter und Brandy sollten nichts sein, was Stiles in seinem Leben will. Trotzdem. Es ändert nichts daran, dass er bleiben möchte. Er nimmt den ersten Schluck und er schmeckt scharf, unangenehm und nach purem Alkohol auf seiner Zunge. Ernsthaft? Für den Scheiß hat er fünfzig Mäuse aus dem Fenster geschmissen? Er sieht zu Peter und wundert sich, ob er genau so enttäuscht ist, aber Peter wirkt tatsächlich angetan von dem Brandy. Er sieht aus als würde er jeden Schluck genießen, trinkt betont langsam, lässt den Geschmack auf seiner Zunge zergehen und mit einem Mal glaubt Stiles, der Preis war gerechtfertigt. Was soll das? Wieso wird ihm heiß, wenn er Peter beobachtet und wieso fühlt er sich so glücklich, als hätte er endlich etwas richtig gemacht? Stiles weiß wieso. Die Antwort strömt durch seinen Körper und verbreitet sich mit einer Schnelligkeit und Intensität, dass ihm schwindlig wird. Es ist egal. Es war ein Mal, ein Kuss, ein Fehler. Er sollte mehr trinken. Stiles leert das Glas in einem Zug und sein Magen rebelliert. Zu viel. Zu schnell. (Fast so wie in der Nacht, in der Stiles diesen Albtraum hatte und Peter ihn-) „Und da sag noch einmal jemand, Teenager hätten kein Gefühl für gemäßigten Alkoholkonsum.“ Peter ist erstaunt, fast belustigt, und Stiles möchte schmollen, würde es tun, wäre er alleine, aber dann gäbe es vermutlich auch keinen Grund dazu. Er ist kein kleines Kind. Er weiß, was er tut. (Er verfährt sich hoffnungslos.) Stiles erwartet, dass Peter ihm die Flasche aus der Hand nimmt, als er sie ansetzt und sich ein weiteres Glas einschenkt. Es würde dazu passen, wie er ihn in letzter Zeit behandelt. Aber Peter nickt nur als wolle er sagen 'tu, was du für richtig hältst'. Stiles lacht. Es geht schon lange nicht mehr darum, was richtig ist oder was er dafür hält. Es ist frustrierend, wie schnell Stiles Gläser sich leeren, obwohl er den Geschmack hasst, viel zu nah an Desinfikazionsmitteln, und wie voll Peters Gläser bleiben, obwohl er den Geschmack zu lieben scheint. Sie reden nicht mehr als nötig, zumindest redet Stiles sich das ein. Eigentlich wäre gar keine Kommunikation zwischen ihnen notwendig, eigentlich könnten sie hier stillschweigend sitzen und sich betrinken. Aber manchmal möchte Stiles Peter sagen, dass dieser Brandy das ekeligste ist, was er jemals in seinem Mund hatte, und manchmal möchte Peter anscheinend sarkastisch darauf antworten, dass er es ihm nicht annähernd glaubt, und manchmal verdrängen sie, dass Peter auf den Kuss anspielt und dass Stiles immer noch der Meinung ist, dass der Brandy schlimmer ist. Weitaus. Stiles hat mittlerweile sein drittes Glas geleert und Peter ist vermutlich noch bei seinem ersten, maximal dem zweiten. Was für einen Unterschied macht es? Werwölfe werden ohnehin nicht betrunken. Stiles hat sich längst schachmatt gesetzt. Sie haben beide lange nicht mehr geredet, für ihre Verhältnisse zumindest, als Stiles von diesem Gedanken ergriffen wird, der ihn nicht mehr loslässt. „Wie kann es sein, dass wir hier sitzen?“ Vielleicht ist seine Stimme nicht ganz ruhig oder deutlich, aber Peter scheint die Frage trotzdem ernst zu nehmen. Es ist schön, wenn Peter ihn ernstnimmt. „Was meinst du?“ „Du bist tot.“ Stiles macht eine Bewegung wie damals mit dem Molotowcocktail in der Hand, als er Peter getötet hat und dann lacht er. Er hat Peter getötet; ja klar. Peter versteht, worauf er anspielt, und dann korrigiert er Stiles. „Ich war tot.“ Stiles lacht noch mehr, in sein Glas hinein, haut es sich dabei gegen die Schneidezähne und sieht aus dem Augenwinkel, wie Peter ihn skeptisch beobachtet. „So poetisch,“ sagt Stiles, als würde das es erklären. Es stimmt. Irgendwie ist es poetisch; alles an Peter ist so. Die ganze Nummer mit dem unschuldigen jungen Mann, der alles verloren hat und für Rache an seinen Geliebten zum Mörder wird. Wie ein schlechter Roman, den Stiles in einer Nacht verschlingen würde ohne jemals jemandem davon zu erzählen. Aber eine Frage bleibt. „Wieso bist du zurückgekommen?“ Peter öffnet seinen Mund (den Mund, der vor einer halben Ewigkeit auf Stiles Mund lag), aber dann sagt er doch nichts. Er scheint abwägen zu wollen, die richtigen Worte zu suchen, und das findet Stiles nicht fair. Er selbst hat auch keine Möglichkeit mehr dazu. „Mach dir nicht so einen Kopf,“ sagt Stiles und dann merkt er, dass es genau die gleichen Worte waren, die Peter damals gewählt hat. 'Wie schmeckt dir deine eigene Medizin?' denkt Stiles sich oder zumindest hofft er, dass er es denkt. Irgendetwas zwischen ihnen ändert sich. Es fühlt sich an wie etwas Großes, das das Universum aus den Fugen geraten lässt, und es jagt Stiles eine Heidenangst ein. Damit sie sich nicht länger anschweigen und in der Hoffnung, dass sich diese Atmosphäre um sie herum damit vielleicht einfach auflöst, hakt Stiles noch einmal nach. Er will es ohnehin wissen. „Also? Wieso?“ Diesmal antwortet Peter geradeheraus, aber er hatte vermutlich ohnehin genug Zeit, um sich die Worte zurecht zu legen. Unfair, „Ich bin vieles, Stiles, aber ich bin niemand, der sich leicht geschlagen gibt.“ „Also war es für Rache?“ Stiles lacht, zuerst, weil er denkt, dass es lustig ist; das ist Peter Hale wie er leibt und lebt. Dann hört er genauer hin und merkt, wie bitter es klingt. Es ist ein trauriger Gedanke. An der Stelle im Buch hätte Stiles es vermutlich für Tage frustriert beiseite gelegt. „Ein Teil von mir, ein zugegeben ziemlich großer Teil, war auf Rache aus, ja.“ „Und der andere?“ Stiles fühlt sich hellwach. Es ist eine Frage, die er sich sogar vor diesem ganzen Chaos schon oft gestellt hat. „Du wirst lachen, weil es aus meinem Mund zu weich klingen wird.“ „Sag es.“ Er lässt seine Augen nicht von Peters Lippen, nicht eine Sekunde. Das hier ist bedeutungsvoll, das weiß selbst sein betrunkenes Ich. „Ich dachte mir: Das kann nicht alles gewesen sein. Es muss einen Grund geben, wieso ich überhaupt am Leben war.“ Stiles versteht genau, was Peter damit meint. Er fragt sich diese Dinge selbst oft genug. Es ist beängstigend, Peter zu sehen und sich unweigerlich die Frage zu stellen, ob Stiles auch irgendwann so sein wird. Er meint nicht den Teil, der ein Mörder ist, er meint diesen resignierten Menschen, der da steht und nichts mit sich anzufangen weiß, weil alle um ihn herum ihn verlassen haben. Es jagt ihm einen Schauer über den Rücken. Natürlich würde er so werden. Wie sollte er sonst damit umgehen? „Und? Hast du den Grund gefunden?“ Stiles ist fasziniert davon, wie Peter ihn mit einem Mal ansieht und sein Blick langsam seinen Fokus verliert. Als würde er sich die Antwort gründlich überlegen. Der Gedanke ist nicht mehr ärgerlich sondern angenehm, nur leicht stechend, weil es auch impliziert, dass Peter solche privaten Dinge ehrlich mit Stiles teilen möchte. Dann sieht Peter ihn mit so einer Inbrunst an, dass es Stiles den Atem verschlägt. „Ja.“ Und in dem Moment versteht Stiles, dass es hoffnungslos ist, die ganze Situation und er selbst am meisten. Er ist in Peter verliebt, jede Faser seines Körpers schreit es, tagelang schon. Stiles ist ein Wrack. „Ich brauche Luft“, krächzt er und stürmt aus dem Raum, der in den letzten Wochen mehr Zuhause als jeder andere Ort für ihn war. Er hat bereits das erste Mal, als er hier war, die Balkontür gesehen und jetzt reißt er sie mit seiner letzten Kraft auf und tritt in die kühle Nacht hinaus. Er fühlt sich, als würde er langsam und qualvoll sterben. Das hier ist ein Desaster. Sein ganzes Leben ist ein Desaster. Er ist ein Desaster. Es ist ähnlich wie kurz vor seiner Panikattacke. Stiles kann nicht atmen aber er fühlt sich so aufgeregt und so voller Energie und sein Herzschlag ist so laut, dass er erst viel zu spät hört, dass Peter neben ihm steht. Stiles hofft, dass Peter etwas sagt, weil er weiß nicht, was er selbst sagen könnte. Alles wäre okay, um diese viel zu laute Stille zu neutralisieren. „Was ist los?“ Alles außer das. 'Ich bin in dich verliebt, du Idiot', möchte Stiles schreien, aber diesmal ist er sich sicher, dass er es nur denkt. 'Du bist mehr als doppelt so alt wie ich, hast zu meiner Linken und Rechten Menschen umgebracht, bist ein machthungriger, narzisstischer Werwolf und ich möchte trotzdem nichts mehr, als tagelang mit dir auf diesem Sofa zu sitzen', schreit sein Verstand. „Ich bin betrunken,“ sagt Stiles etwas hilflos. „Sag bloß.“ Es ist ironisch, wie unwahr es ist. Stiles fühlt nichts anderes als Ernüchterung. „Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?“ Er versteht nicht, wieso sie über Nebensächlichkeiten reden, während in seinem Kopf in überdimensionalen Neonbuchstaben ein einziges Wort aufleuchtet. Verliebt. „Was?“ Er wollte nicht, dass es so harsch aus ihm herauskommt, aber er hat keinen Nerv dafür. Nicht jetzt. „Du solltest nicht auf leeren Magen trinken,“ sagt Peter bitter, beinahe wütend, und geht zurück in die Wohnung. Stiles hat es nicht so gemeint. Er wollte nicht wieder alleine sein, es war nur- Er seufzt. Alles egal. „Ich sollte gehen,“ sagt er zurück im Warmen. Peter nickt bloß. „Das solltest du.“ Irgendetwas daran bringt Stiles im Bruchteil einer Sekunde auf Hundertachtzig. Wenn Peter ihn nicht dahaben möchte, hätte er ihn auch einfach längst rausschmeißen können. Stiles will sich bestimmt nicht aufdrängen. Er schnappt sich seine Jacke, die er auf die Sofalehne geschmissen hat, und stürmt zur Tür. „'Kay. Ciao.“ Hinter sich hört er etwas poltern, vielleicht zu Bruch gehen, aber es ist egal. Alles egal. Er knallt die Tür zu und stapft zu seinem Jeep. Seine Hände zittern, als er den Schlüssel zum Zündschloss führt, und er hat tatsächlich Bedenken. Er kann so nicht fahren. Der Jeep wackelt als Stiles mit der Faust aufs Lenkrad schlägt. Verdammter Peter Hale mit seiner verdammten, manipulativen Art. Er denkt zurück an das, was Peter gesagt hat, dass er aus irgendeinem Grund zurückkam. Stiles weiß längst, dass Peter kein Monster ist. Vielleicht hat er sich genau so verfahren wie Stiles. Zum ersten Mal seit sein Vater ins Koma gefallen ist, möchte Stiles weinen. Einfach alles loslassen und weinen, bis er so erschöpft ist, dass er Schluckauf bekommt und einschläft. Was soll der Mist? Er wird nicht in seinem Auto vor Peters Haustür anfangen wie ein kleines Mädchen zu heulen. Vielleicht ist er ja doch betrunken. Er sieht noch einmal zurück zu Peters Wohnung, ein wenig wehmütig, weil er weiß, dass es das letzte Mal gewesen sein wird, dass er hier ist. Und dann sieht er Peter da stehen, am Fenster, wie er Stiles beobachtet und es macht ihn unfassbar wütend. Er steigt aus dem Jeep aus und knallt die Tür zu. Er tut es mit so einer Wucht, dass sie wieder aufschwingt. „Du hast kein verdammtes Recht dazu!“, schreit er gegen die Hauswand und in der Wohnung über Peter geht das Licht an. Als Stiles zurück zum Fenster sieht, ist Peter weg und Stiles lacht bitter. Er ist weg. Wie jeder andere auch. Vielleicht hat Stiles es sich auch von vornherein bloß eingebildet. Er will sich zurück ins Auto setzen, aber auf einmal ist da diese Hand auf seiner Schulter, erst sanft, und dann wird er gegen sein Auto gepresst bis er kaum noch Luft bekommt. Es tut gut. Er wusste, auf Peter ist Verlass. „Hast du jetzt deinen letzten Funken Verstand verloren?“, zischt er. Er klingt wütend, wirklich wütend, beinahe aufrichtig. Und, ja, Stiles ist sich sicher, dass er genau das getan hat. Er könnte nicken, weil es so zutreffend ist, oder er könnte Peter ankeifen, dass er ihn loslassen soll, aber was Stiles nicht kann, ist ihn küssen, nicht so wie Peter es kann, unnachgiebig und als wollte er ihn zerfleischen. (Vielleicht will er das.) Stiles weiß nicht, wer von ihnen angefangen hat, aber sich die Frage zu stellen erscheint ihm kindisch. Was für eine Rolle spielt es? Peter scheint ihn zum Schweigen bringen zu wollen und Stiles ist an dem Punkt angelangt, an dem er es nur zu gerne zulässt. Es hat etwas von einem Verband, was Peter mit ihm tut, Schadensbegrenzung im großen Stil. Wie er ihn zusammenhält, beinahe beschützt, damit die Wunde heilen kann, von selbst, bloß nicht durch sein Zutun. Es ist faszinierend und das letzte, was Stiles erwartet hätte. Peter drängt ihn mehr gegen das Auto, fast wieder hinein, weil die Tür immer noch offen steht und dann fällt Stiles auf den Fahrersitz und Peter ist über ihm. Stiles hat das Gefühl er brennt, jede Faser seines Körpers. Es fühlt sich so verdammt gut an. Peter knurrt beinahe, als er Stiles in den Sitz drückt und Stiles hat das Gefühl, Peter muss tatsächlich um seine Selbstbeherrschung ringen. Der Gedanke erregt ihn wie nichts zuvor in seinem Leben und er stöhnt in Peters Mund. Im nächsten Augenblick lässt Peter von ihm ab und sieht Stiles mit dieser Mischung aus Panik und Verlangen an, die Stiles wahnsinnig macht. Er weiß, dass es hier und jetzt zu Ende ist. Stiles seufzt und setzt sich auf. Mit einem Satz schwingt er sich rüber auf den Beifahrersitz und macht Peter damit neben sich Platz. Er ist immer noch halb hart und irgendwo in seinem Kopf fühlt er sich entblößt, aber das fühlt er sich mit Peter ohnehin immer. „Kommt jetzt das Gespräch?“, fragt Stiles halb sarkastisch, halb ernst. Es ist seltsam, Peter auf seinem Sitz zu sehen, hinter dem Steuer von Stiles Jeep, aber ihm gefällt das Bild. Peter mit seinem (nicht mehr ganz) perfekt gestylten Haar im Kontrast zu dem abgegriffenen Leder des Lenkrads. Peter scheint über seine Frage nachzudenken. „Nein,“ sagt er beinahe zögerlich. Dann: „Aber wenn du wieder reinkommst, gibt es mehr Brandy.“ Stiles lacht. Klingt nach einem Deal. Sie sitzen lange Zeit nur so da, auf dem großen Sofa, Stiles am einen und Peter am anderen Ende, als müssten sie diesen Abstand um alles auf der Welt wahren. Stiles findet es nicht schlimm. Das ist die Sache mit Peter. Sie müssen nicht reden, sie müssen sich nicht einmal nah sein (nicht zwangsweise), Stiles muss nur wissen, dass er da ist. Nicht mehr. Ab und an schenkt Peter ihm etwas vom Brandy nach und Stiles ist jedes Mal überrascht, weil er nicht mitbekommen hat, wie er das letzte Glas geleert hat. Er fühlt sich benebelt, aber stocknüchtern. Irgendwann fängt Stiles an, über Belanglosigkeiten zu reden, Details aus seiner Kindheit, die Peter nicht interessieren sollten, aber wenn es so ist versteckt er es wirklich gut. Stiles weiß nicht, was er damit erreichen will, ist sich nicht sicher, ob er überhaupt etwas erreichen will. Es ist gut so. Sie treiben einfach da hin. Vielleicht bildet Stiles es sich tatsächlich nicht ein und Peter hat genau so wenig Kontrolle darüber wie er selbst. „Müde?“, fragt Peter ihn auf einmal. Hat Stiles gegähnt? Er weiß nicht, ob er müde ist. Erschöpft vielleicht. „Wie spät ist es?“ Peter guckt auf die Uhr an seinem Handgelenk. (Stiles fragt sich, wieso er sie trägt. Ist Zeit nicht irgendwie irrelevant, wenn du den Tod ausgetrickst hast?) „Das willst du nicht wissen, glaub mir.“ Peter hat Recht. Stiles will es nicht wissen, aber nicht weil er Angst um seinen Schlafrhythmus oder so etwas Absurdes hätte, sondern weil er glaubt, dass es vorbei ist, sobald die Sonne aufgeht. Er weiß es irgendwie. „Vor oder nach vier?“, fragt er deswegen. Es ist scherzhaft gemeint aber unter all den Schichten schnürt es ihm ein wenig die Kehle zu. Peter lacht. Unfair. „Du hast wirklich kein Gefühl für Zeit, oder?“ Nein, das hatte Stiles noch nie. „Wo willst du schlafen?“, fragt Peter ihn, statt auf eine Antwort zu warten. Es klingt fast nach einer Herausforderung, aber wenn Stiles genauer darüber nachdenkt hat alles, was Peter sagt, diesen Effekt auf ihn. Er zuckt mit den Schultern, aber ihm wird unweigerlich heiß. Als wüsste Peter nicht ganz genau, wo er schlafen will. Die Frage ist, kann Stiles es sagen? Genau so? „Rate,“ schafft er hervorzupressen, nur leicht atemlos. Er versteht es nur bedingt. Peter hat nachts so oft bei ihm gelegen und nur weil Stiles jetzt auf einmal seine verdammte Erleuchtung hatte macht es plötzlich einen Unterschied für ihn? Was soll der Mist? Peter grinst ihn tatsächlich an, er wagt es. Er hat in diesem Moment mehr von einem Raubtier als von einem Menschen, aber Stiles hat mittlerweile keine Angst mehr vor dieser Seite. Herausforderung angenommen. Peter nimmt Stiles sein leeres Glas aus der Hand und bringt es in die Küche. Stiles weiß, dass er nicht zurückkommen wird, also geht er hinterher. Er hat eine starke Vermutung, wo Peters Schlafzimmer ist. Etwas daran fühlt sich nicht richtig an, unangenehm beinahe. Peters Schlafzimmer ist so privat, dass Stiles es bisher nicht einmal gewagt hat, es sich vorzustellen. Er fragt sich, ob es kahl ist. Er kann sich nicht vorstellen, dass Peter Fotos an seinen Wänden hängen hat. Aber zum Glück ist Stiles Stiles und sein Verstand setzt immer in den richtigen Momenten aus. Der Raum ist tatsächlich relativ leer, fast schon kühl, aber auf eine gute Art. Passend. Weniger Dinge und Erinnerungen, die einen vom Schlafen abhalten könnten. Stiles möchte nicht herumschnüffeln, aber er möchte es doch, möchte so viel wie nur irgendwie möglich von Peter erfahren. Auf der Kommode an der hinteren Wand steht ein Bild, Postkartengröße, an den Rändern vergilbt. Auf den ersten Blick wirkt es ungeliebt, als wäre es mehr aus Schuldbewusstsein als aus freiem Willen aufgestellt worden, aber es ist das einzige Bild in diesem Raum und Stiles weiß, wie viel es Peter bedeuten muss. Es zeigt seine Familie. Vor dem Feuer. Ein junger Derek (tatsächlich mit Wuschelhaaren und Slimjeans) guckt mürrisch in die Kamera, rund herum Leute, die Stiles nicht einordnen kann. Bis auf Peter natürlich. Er wirkt so anders, dass Stiles zweimal hinsehen muss, um ihn zu erkennen. Äußerlich ist er ohne Frage der gleiche Peter, den Stiles kennt, aber seine Ausstrahlung ist eine komplett andere. Stiles fragt sich, ob er sich auch in diesen Peter verliebt hätte. Die Frage hat etwas Zynisches und er fühlt sich für einen Moment schlecht. Trotzdem muss er unweigerlich lächeln. Es war so klar. Natürlich hatte Stiles Unrecht und Peter hat ein Foto in seinem Schlafzimmer; Peter ist ein Dramatiker der alten Schule. Stiles fragt sich, was es bedeutet; das alles. Was genau er für Peter ist. Es ist eine irrationale und unfaire Frage, wenn er genauer darüber nachdenkt. Keine Stunde nach seiner Erkenntnis und er stellt Ansprüche wie ein pubertäres kleines Mädchen. „Genug in meiner Vergangenheit herumgeschnüffelt?“ Die Worte verunsichern Stiles und er fährt herum. Kurz beschleicht ihn die Angst, dass er tatsächlich zu weit gegangen ist, aber Peter wirkt nicht wütend. Melancholisch vielleicht. Der Ausdruck hat etwas. „Du hättest dich auch jederzeit in meinem Zimmer umsehen können.“ Es stimmt, rückwirkend. Stiles fragt sich, ob Peter einfach seine Privatsphäre respektieren wollte oder ob es ihn schlichtweg nicht interessiert hat. „Es ist spät,“ sagt er bloß noch einmal, als wollte er alles, was Stiles brennend interessiert, absichtlich umgehen. „Zeit zum Schlafen.“ Stiles versucht sich an einem schiefen Lächeln, die Aufgeregtheit mit einem Schlag zurück in jeder Zelle seines Körpers, aber Peters Ausdruck nach zu urteilen scheitert er daran ziemlich erbärmlich. Das gute ist, er kann es morgen auf den Alkohol schieben. Wenn er es genauer bedenkt, kann er alles auf den Alkohol schieben. Vielleicht sollte er die Gelegenheit nutzen, aber Stiles überrascht sich selbst. Er braucht tatsächlich nicht mehr als das hier. Es ist ohnehin zu viel, als Peter sein Shirt und seine Hose auszieht, als würde er hier wohnen. Was er genau genommen tut. Stiles sollte nicht so erschlagen von der Erkenntnis sein. Peters Bett ist riesig im Vergleich zu Stiles kümmerlichem Singlebett und er fragt sich unweigerlich, wozu Peter so viel Platz braucht. Ihm gefällt der Gedanke nicht. Stiles fragt sich kurz, ob er seine Hose anlassen soll. Aber er weiß aus Erfahrung, wie unbequem das ist und er braucht den Schlaf und er braucht auch die Nähe zu Peter und es ist ja nicht so, als hätte er die halbe Flasche Brandy getrunken, auf die er es notfalls schieben könnte. Stiles wünschte nur, er könnte sich daran erinnern, welche Boxershorts er heute Morgen angezogen hat. (Er betet, dass es nicht die mit den Looney Tunes sind, die er vor ein paar Tagen aus seinem Schrank gekramt hat, um die Erinnerung aufleben zu lassen.) (Entwarnung. Es sind andere.) Stiles erkennt sich selbst nicht wieder, als er sich an den äußersten Rand des Bettes legt. Zwischen Peter und ihm ist Platz für den Atlantik. Mindestens. Was soll das? Er hat doch gerade beschlossen, dass er es auf den Alkohol schieben kann. Zu seinem Wohlwollen scheint Peter die Situation auch nicht richtig zu gefallen und er kommt ihm ein wenig näher und natürlich ist Stiles der hyperaktive Teenager der er ist, rückt weiter weg und vergisst dabei, dass das Bett zwar riesig, aber nicht unendlich ist. Der Aufprall ist hart. Echtholzparkett ist natürlich so viel elitärer als Teppichboden. „Elegant wie eh und je.“ Peter zieht eine Augenbraue hoch und sieht aus als wüsste er nicht ganz, was er davon halten soll. Stiles wünschte sich, er könnte ihm sagen, dass er es genau so wenig versteht. „Zweiter Versuch,“ nuschelt er, als er sich zurück ins Bett legt. Er hat nicht damit gerechnet, dass Peter ihn am Arm packt und beinahe erbarmungslos zu sich zieht. Aber gut. Stiles beschwert sich nicht. „Wie spät?“, fragt er, die Stimme automatisch gesenkt, als wolle er Peter nicht vom Schlafen abhalten, jetzt wo sie sich so nah sind. Peter seufzt. „Was spielt das für eine Rolle?“ 'Ich möchte ausrechnen, wie viel Zeit ich noch mit dir habe', denkt Stiles. „Ich muss um neun im Krankenhaus sein,“ sagt er. Peter zieht ihn noch näher zu sich. Stiles dachte nicht, dass das tatsächlich geht. Er fasst sich ein Herz und entspannt sich, lässt zu dass sein Kopf gegen Peters Brust sinkt und spürt, wie sein Herzschlag gleichmäßiger wird. Vielleicht ist es Einbildung, höchstwahrscheinlich ist es das, aber Stiles hat das Gefühl, sein Herzschlag passt sich dem von Peter an. Seit wann ist er eigentlich so ein verdammtes Mädchen? Aber es ändert nichts. Er schläft glücklich ein. Natürlich wacht Stiles nicht vor neun auf. Er hat das Gefühl, es ist ein Wunder, dass er überhaupt aufwacht. Er hätte Jahre so weiterschlafen können. Etwas fehlt, das Bett ist leer. Peter ist weg, aber damit hat Stiles vermutlich gerechnet. Er steht auf und braucht ein paar Momente, um sein Gleichgewicht wiederzufinden. Es ist Peters Wohnung, er kann nicht weit weg sein, richtig? Er findet ihn in der Küche (es war ihm so klar). Peter ist damit beschäftigt, eine Kanne Tee aufzubrühen und Stiles fällt das erste Mal auf, dass er gestern nicht an morgen gedacht hat. Wie verhält er sich, wie erklärt er sein Verhalten, was macht er- „Zwei Stücke Zucker?“ Stiles war bis jetzt tatsächlich der Meinung, dass Peter ihn nicht wahrgenommen hat, aber wie konnte er auch nur für einer Sekunde das Supergehör von Werwölfen vergessen? Vielleicht weil er in Peter gestern keine Sekunde etwas anderes als einen Menschen gesehen hat. Stiles nickt, um die Zuckerfrage zu beantworten. Hundertprozentig hat Peter auch das irgendwie mitbekommen. Er weiß immer noch nicht ganz, was er erwarten soll. Sollte er nicht einfach abhauen? Er weiß nicht, ob er damit umgehen kann, wenn die Dinge seltsam zwischen ihnen werden. Er weiß nicht, ob er sich so daran erinnern möchte. „Ich mache mich besser auf den Weg,“ sagt er deswegen, aber irgendwie möchte er Widerstand von Peter erfahren. Vielleicht möchte er auch einfach nicht, dass es schon vorbei ist. „Du trinkst deinen Tee.“ Peter drückt ihm eine Tasse in die Hand. Er ist in diesem Modus, in dem er etwas Väterliches für Stiles hat ('Substitut', schreit sein Verstand). Stiles kann nicht ändern, dass er sich fragt, ob das eine Sache zwischen ihnen sein würde. Wenn es etwas Ernstes wäre, meint er. Ob Peter morgens immer vor Stiles aufstehen würde und ihnen Tee machen würde und sie sich über ihre Tassen hinweg angrummeln würden, weil sie ganz sicher beide keine Frühaufsteher sind, und ob sie sich über den Politikteil in der Zeitung streiten würden (hundertprozentig würden sie das) und ob sie trotzdem gemeinsam das Haus verlassen würden. Stiles wünscht es sich mit so einer Intensität, dass es ihn völlig unvorbereitet trifft. Er hat Angst zu hyperventilieren, hier und jetzt und auf der Stelle. Er wollte noch nie etwas so sehr in seinem Leben. Er nimmt einen Schluck aus seiner Tasse und merkt zu spät, dass der Tee noch viel zu heiß ist. „Muss man dich jetzt tatsächlich noch beim Trinken betreuen?“ Es ist schnippisch, aber nur ein bisschen, gerade angenehm, ein Zwischending aus früher und gestern. Heute. „Ich würde eher behaupten, dass du bald in das Alter kommst, in dem du bei allem betreut werden musst, aber okay. Was immer du dir einreden möchtest.“ Peter lacht, aber dort, wo früher nur hämische Töne waren, ist jetzt etwas anderes, auch wenn es kaum merklich ist und es vermutlich niemals jemand außer Stiles erkennen wird. „Doch wieder so großspurig unterwegs? Woher kommt der Sinneswandel?“ Stiles weiß es nicht. Gestern hätte er noch schwören können, dass es heute vorbei sein würde und sein Verstand sagt immer noch, dass es eigentlich so sein muss, aber- Aber was? „Ich habe meinen Rausch ausgeschlafen,“ sagt er mit einem Schulterzucken, als würde das es erklären und vielleicht ist das für einen Rhetoriker wie Peter tatsächlich so. Für Stiles wird es immer eine Ausrede bleiben. Sie stehen noch einige Zeit in der Küche rum und trinken ihren Tee. Stiles weiß, dass sie auch ins Wohnzimmer gehen und es sich auf dem großen Sofa bequem machen könnten, aber er hat diese irrationale Angst, dass er dann nie wieder geht. Also trinkt er seine Tasse aus, vielleicht ein wenig langsamer, als er es mit jedem anderen Menschen getan hätte, und ab und zu wirft er Peter Dinge an den Kopf, wie wie zur Hölle er darauf kommt, einen Teenager eine halbe Flasche Bandy killen zu lassen („Ich habe schlicht und ergreifend deinen gesunden Menschenverstand überschätzt. Keine Sorge, das wird so schnell nicht wieder vorkommen.“), oder wie er es schafft, die ganzen Pflanzen in seiner Wohnung nicht eingehen zu lassen, wo er doch technisch gesehen ein Zombie ist („Plastikpflanzen, Stiles.“), oder wieso seine Wohnung permanent nach Pfefferminztee riecht, obwohl sie gerade einen komplett anderen Tee trinken, den Stiles nicht einmal aussprechen kann („Du meinst Mentha Piperita, was das lateinische Wort für Pfefferminze ist. Erkennst du den Zusammenhang?“). Die restlichen abertausend Fragen hält Stiles zurück. Für ein nächstes Mal vielleicht. Stiles weiß nicht genau, wie er sich verabschieden soll, also macht er es mit einem einfachen 'Ich hab lang genug deine Wohnung belagert' und Peter antwortet mit einem 'Jederzeit wieder', was vermutlich sarkastisch gemeint war, aber vielleicht ja auch nicht. Er wird es vermutlich darauf ankommen lassen müssen. Die Sache ist, Stiles möchte immer noch, dass sein Verstand sich mehr darauf einstellt, dass das hier niemals zu seiner Realität werden kann und wird, aber. Es funktioniert nicht. Er verlässt Peters Wohnung nicht wehmütig. Es fühlt sich nicht nach einem Ende an. Als er im Auto sitzt, automatisch in Gedanken daran, wie Peter gestern Nacht an dieser Stelle aussah, fühlt Stiles sich vollkommen. Als würde das erste Mal in seinem Leben alles gut werden. Er checkt beiläufig sein Handy und bleibt an Scotts neuster Nachricht hängen. Wir kümmern uns um die Hydra. Alles wird gut, versprochen. Stiles möchte es glauben. *** Es stimmt. Alles wird gut. Sein Dad wacht tatsächlich aus dem Koma auf und Stiles ist der glücklichste Mensch der Welt. Wirklich. Für zwei Tage. Dann bemerkt er etwas. Erst hat er es gar nicht wahrgenommen und dann mit einem Schlag ist es viel zu präsent. Peter ist weg. Stiles redet sich ein, dass es nicht sein kann, dass Peter schlicht und ergreifend nicht jeden Tag auf seiner Fußmatte stehen muss. Kurz überlegt er, ob es ist, weil sein Vater wieder da ist. Vielleicht hat Peter daraus den Schluss gezogen, dass Stiles ihn nicht mehr braucht. Aber das ist es nicht. Er weiß, dass Peter weg ist, spürt es mit jeder Faser seines Körpers. Er versteht nur nicht, wieso er es erst jetzt mitbekommt. Die Panik, von der Stiles dachte, dass er sie ein für alle Mal abgelegt hat, holt ihn ein und lässt sein Herz rasen. Peter ist weg. Er schnappt sich seine Jacke und rennt zu seinem Auto, fummelt die Schlüssel aus der Tasche und setzt sich hinters Steuer. Ist das ein schlechter Scherz? Als er Peters Wohnung erreicht, weiß Stiles bereits, was ihn erwartet: Leere. Er bekommt die Tür in unter einer Minute auf und fühlt sich zurückversetzt an den Anfang von alldem. Stiles hätte sich niemals ausgemalt, dass es so endet. Was Schwachsinn ist. Es ist nicht vorbei. Die Wohnung ist verlassen, aber nicht leer, nicht so, als hätte Peter seine Sachen gepackt, eher als wäre er kurz einkaufen. Das macht es nicht besser. „Stiles.“ Stiles fährt herum, sein Herz klopft so schnell, für eine Millisekunde- „Derek?“ Natürlich ist es nicht Peter. Peter ist weg. Das ist ein Albtraum. Und dann kommt ihm eine Idee. „Du weißt, wo er ist, oder?“ Stiles wollte nicht so wütend klingen, nicht so, als würde er die Antwort notfalls gewaltsam aus Derek herausquetschen und er überrascht sich und ihn damit anscheinend gleichermaßen. Derek schüttelt den Kopf und wirkt seltsam resigniert, schuldbewusst, schießt es Stiles durch den Kopf. Wenn es wirklich stimmt, sollte es ihm eine Heidenangst einjagen. „Es ist nicht so einfach, Stiles.“ „Also weißt du wirklich, was hier los ist.“ Stiles versucht sich zu beruhigen, aber wie kann er das, wenn Peter nicht hier ist. Vielleicht ist das ein schlechter Scherz. Vielleicht will Peter ihm vor Augen führen, wie hilflos Stiles ohne ihn ist (oder vielleicht hat er absichtlich diesen Platz in Stiles Leben eingenommen, um ihn dann wieder alleine zu lassen). „Ich habe das verdammte Recht, es zu erfahren.“ „Stiles-“ „Nein. Einfach nein. Wieso zur Hölle würdest du mir nicht sagen wollen, wo er hin ist? Glaubst du, es bricht mir das Herz oder so ein Mist? Glaubst du, ich schmeiß alles hin und fahre ihm hinterher?“ (Stiles zweifelt keine Sekunde daran, dass er es tun würde.) „Er wollte nicht, dass ich es dir sage.“ Und von allen Dingen hat Stiles am wenigsten damit gerechnet. Es tut verdammt weh. Als wollte Peter ihn absichtlich aus seinem Leben stoßen, mit einem Mal, und es wäre okay, vielleicht, wenn Stiles einen Grund dazu sehen würde, aber da ist keiner. (Außer dass es Peter Hale ist und Stiles das von Anfang an hätte erwarten sollen.) Vielleicht hat er gelogen. Vielleicht bricht es ihm das Herz. „Sag es mir! Sag mir den verdammten Ort wo er sich versteckt, Derek!“ Er kann nicht ändern, dass er wütend wird, schreit und dabei erstickt. In erster Linie richtet es sich gegen ihn selbst, aber das ist egal, alles ist egal, niemand ist mehr da. Er stößt Derek vor die Schultern, will irgendetwas erreichen, einen Unterschied oder einfach nur seinen Standpunkt klar machen, aber es ist lächerlich. Derek scheint es nicht einmal richtig wahrzunehmen. „Beruhig dich.“ Es ist unfair. Es sind die gleichen Worte, die Peter damals benutzt hat, als Stiles aus dem Krankenhaus kam und auf seiner Türschwelle zusammengebrochen ist. Es ist genau dasselbe. Wieder ist Stiles kurz davor, jemanden für immer zu verlieren und wieder fühlt er sich so verdammt hilflos, dass er kotzen könnte. Er hat es satt. Dieses ewige Standhalten, nur damit es wieder und wieder passieren kann. „Bitte“, krächzt er in einem letzten Versuch. Er hat nicht gemerkt, dass Derek ihn stützt, er weiß nicht, wie lange schon. „Bitte sag es mir.“ Derek geht ein Stück vor und Stiles folgt ihm, immer noch halb auf ihn gestützt, bis er am Sofa angekommen ist. „Gut. Setz dich.“ Stiles fällt in die Kissen und fühlt sich dabei wie ein Fels, zu schwer, als könnte er nicht aufhören zu sinken. „Bist du dir sicher, dass du es wissen möchtest?“ Irgendetwas an den Worten dreht Stiles den Magen um. Er zögert trotzdem keine Sekunde mit seiner Antwort. „Ja!“ „Dann versuch mich reden zu lassen.“ Es ist ein kleiner Seitenhieb auf die Tatsache, dass Stiles genau das nie tut. Er lässt Derek nie ausreden, nie überhaupt zu Wort kommen, wenn er die Wahl hat. Stiles nickt trotzdem. Er muss es wissen. So verdammt dringend. „Wir haben die Hydra, die deinen Vater getroffen hat, nie erwischt.“ „Aber-“ Stiles hält inne. Er weiß, dass er Derek ausreden lassen muss, aber das ergibt alles keinen Sinn. Nichts davon. Lebt sein Vater dann überhaupt? Oder ist das wieder nur einer von Stiles Träumen? „Deinem Vater geht es gut,“ sagt Derek, als wüsste er genau, was in Stiles vorgeht. Er atmet erleichtert auf. „Aber,“ setzt Derek an, „das hat er nicht uns zu verdanken.“ Stiles nimmt die Reue und Selbstkritik in Dereks Stimme wahr. Es hat etwas Rührendes und Stiles fragt sich kurz, ob er zu hart mit ihm war. Gleichzeitig macht es ihm Angst. Wenn es nicht Derek und Scott waren, die seinen Vater zurückgebracht haben, wer dann? Und dann kommt ihm dieser Gedanke. „Hatte Peter etwas damit zu tun?“ Derek nickt. „Du weißt, wozu der Nemeton da ist?“ Natürlich weiß Stiles das. Es ist ja nicht so, als hätte er die letzten Monate tausende Bücher und Artikel darüber gelesen oder so. „Der Nemeton ist dazu da, das Gleichgewicht unserer Welt aufrechtzuerhalten,“ sagt er, zitiert dabei unbewusst irgendeinen Lexikon-Artikel, der es am ehesten auf den Punkt bringt. Derek nickt wieder. „Ganz genau. Es ist im Prinzip wirklich simpel. Du musst dir das ganze bildlich vorstellen, wie eine Waage. Der Nemeton unterscheidet nicht, er zählt viel mehr. Eine Seele ist so gut wie jede andere.“ Und da beginnt Stiles, diese schreckliche Theorie zu haben. Dass Peter nicht weg ist, weil Stiles ihm egal ist, sondern aus dem gegenteiligen Grund. Er schluckt hart, sein Hals ist trocken und kratzig vom Schreien und Toben. Das darf nicht sein, bitte. „Was willst du mir sagen, Derek?“ „Ich denke, das hast du verstanden.“ Natürlich hat Stiles das. Er hat verstanden, dass Peter ein verdammter Idiot ist, der betrunkene Gespräche zu ernst nimmt und dem es wichtiger ist, was für einen Eindruck er in dieser Welt hinterlässt als dass er tatsächlich lebt. Stiles möchte ihn anschnauzen dafür, vielleicht ohrfeigen, gegen Wände pressen und rasend machen und ihn küssen, dafür dass er Stiles so unglaublich wichtig geworden ist und er das nicht einfach tun kann. Er kann sein Leben nicht wegschmeißen, nur weil er glaubt das richtige zu tun. So funktioniert das nicht. Stiles fasst einen Entschluss. Ihm ist egal wie, ihm ist egal ob er dafür sein eigenes Leben eintauschen muss (was irgendwo kontraproduktiv wäre); er holt Peter zurück. „Also?“ Derek sieht ihn verwirrt an. „Wie lautet der Plan?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)