Gegen die Schwerkraft von mickii-K ================================================================================ Prolog: -------- Die Entscheidungen, die wir im Laufe des Lebens fallen, bestimmen letztendlich über Leben und Tod. Geprägt von der Vergangenheit glauben wir zu wissen, was richtig oder falsch ist und beeinflussen somit unsere Zukunft oder unser Ende. In meinem Fall das Letztere. Meine Entscheidung einem wildfremden Mann zu trauen, war mein erster falscher Entschluss gewesen. Mich von seinem Aussehen hinreißen lassen und ihm glauben, dass er wirklich an mir interessiert war, das war mein unweigerliches Ende. Nun lief ich vor diesem Mann weg. Es fühlte sich an, als würde ich versuchen der Schwerkraft zu entfliehen. Versuchen zu fliegen, nur um wieder auf den Boden zu landen. Aber ich gab nicht auf. Ich lief und jeder Schritt zerriss mein Herz in weitere Stücke. Es zerfiel und ich konnte es nicht aufhalten. Ich musste von ihm weg. Niemals wollte ich ihn wieder sehen. Abermals sah ich nach hinten, um sicherzugehen, dass er mir nicht folgte. Ich wusste nicht genau, wohin ich lief. Die Straßen von Port Angeles waren mir nicht bekannt. Doch stehen zu bleiben, um mich zu orientieren, wollte ich nicht. Zu groß war die Angst, dass er mich einholen würde. Ein amüsantes Lächeln drang zu mir durch, weshalb ich verwirrt stehen blieb. Ich war im Industriegebiet angelangt. Der Anblick der leeren Straße behagte mir nicht. Es wirkte so unnatürlich. Das Geräusch von Schritten ließ mich überrascht zu einer schmalen, dunklen Gasse blicken. Mein Magen zog sich nervös zusammen. Ich sollte so schnell wie möglich hier weg. Gerade als ich zum Laufen ansetzen wollte, trat eine Gestalt aus der Dunkelheit hinaus. Wie hypnotisiert starrte ich sie an. Ich hatte schon einmal dem Tod in die Augen geblickt. Genau wie sie, war er damals schleichend gekommen. Überraschend, leise und heiß. Brennend heiß. Ganz anders, als ihre eiskalte Hand, die mich am Hals packte und von sich hochhielt. Der Tod hatte sich dieses Mal in eine wunderschöne Frau verwandelt, die mich mit ihren unnatürlich roten Augen fixierte. Ihre Stimme war wunderschön und doch waren ihre Worte so blutrünstig. Ihr Lachen war ein zauberhaftes Glockenspiel in meinen Ohren und doch hatte es nichts Fröhliches an sich. Heute würde ich sterben. Ich schloss meine Augen, unwillig dem wunderschönen Todesengel in die Augen zu sehen. Der Griff um meinen Hals wurde enger, doch ich kämpfte nicht dagegen an. Es wäre aussichtslos. Vor meinen Augenliedern erschien das Gesicht von ihm. Warum? Warum musste ich gerade jetzt an den verletzten Gesichtsausdruck von ihm denken? Embry. Embry Call. Der Junge, den ich als kleines Mädchen vergöttert hatte. Der Junge, der mir mein Herz zerbrach und mir nur deutlich machte, dass ich ein Monster war. Der Junge, dem es zu verdanken war, dass ich die Schule wechseln musste. Embry. Der Mann, der mir ein Lächeln ins Gesicht zauberte, obwohl ich vergessen hatte, wie man seine Lippen fröhlich verzog. Der Mann, der mein Herz wieder zusammengeflickt hatte. Der Mann, der mir das Gefühl gab, die Schönste zu sein. Ich spürte, wie sich eine Träne meine Wange hinunter bahnte. Ich würde ihn vermissen. Kapitel 1: ----------- Das schrille Klingeln meines Weckers riss mich aus meinem wohligen Schlaf. Ich grummelte leise, während ich mich aufsetzte und mit zugekniffenen Augen aus dem Fenster schielte. Der Himmel war wieder einmal in einem wundervollen Grau und versprach Regen. Ich liebte es. Durch das vielversprechende Wetter war ich etwas milder gestimmt, weshalb es mir deutlich leichter fiel, aus dem Bett aufzustehen. Ich war nämlich ein Morgenmuffel und hasste es, mein Bett zu verlassen. Auf dem Weg zum Badezimmer rannte ich fast meinen Vater um. „Guten Morgen! Warum bist du schon wach?“ Ich war überrascht, ihn so bald anzutreffen. Er stand sonntags normalerweise nie vor zehn Uhr auf. Ich sah in seine verschlafenen schwarzen Augen, die meinen unglaublich ähnlich waren. Er fuhr sich durch seine zerzausten Haare, die schon leicht ergraut waren, und lächelte mich an. „Guten Morgen, Spatz! Ich habe dich diese Woche gar nicht zu Gesicht bekommen, also dachte ich mir, ich stehe einmal früher auf.“ Eine wohlige Wärme umspielte mein Herz. Nach dem Tod meiner Mutter gab es nur noch uns. Wir waren ein perfekt eingespieltes Team. Ich war für den Haushalt zuständig und sorgte dafür, dass all seine Hemden gebügelt waren und immer etwas zu Essen bereitstand, wenn er nach Hause kam. Mein Vater arbeitete und konnte dadurch am Wochenende entspannen. Er war nämlich ein extremer Workaholic. So kam es oft dazu, dass wir uns tagelang nicht sahen. Er selbst behauptete, dass es an der stressigen Arbeit lag, doch ich wusste, dass er log. Denn obwohl der Tod meiner Mutter schon zehn Jahre her war, hatte er ihren Verlust noch nicht verarbeitet. Deshalb schuftete er jeden Tag, und wenn es ging, auch am Samstag, nur um keine Freizeit zu haben. Damit er nicht an sie denken konnte. In unserer kleinen Wohnung gab es zum Beispiel kein einziges Foto meiner Mutter, sogar das Hochzeitsfoto wollte er bei unserem Einzug nicht aufhängen. Ich nahm es ihm nicht übel. Denn genau wie er, wollte ich Unteranderem auch keine Fotos von mir als Kind sehen. Bilder, auf denen ich noch unverwundet war. Wo alles noch so perfekt war. Ich schüttelte leicht den Kopf, um meine Gedanken zu vertreiben. „Ist gut. Ich muss mich für meine Arbeit fertigmachen“, meinte ich mit einem angedeuteten Lächeln. „Klar. Ich mach uns etwas zu essen“, grinste er und ging in die Wohnküche. Ich sah ihm belustigt nach. Als ob man „Cornflakes und Milch auf den Tisch stellen“ als Kochen bezeichnen könnte. Im Bad sprang ich unter die Dusche und drehte das Wasser auf. Nach dem Vorfall vor zehn Jahren liebte ich das Gefühl vom kühlen Nass, dass meine Haut benetzte. Es gab mir irgendwie das Gefühl von Sicherheit. Als ich fertig war, fuhr ich mit der Hand über den beschlagenen Spiegel, um etwas sehen zu können. Große, schwarze Augen blickten mir entgegen. Ich mochte sie. Sie waren nicht außergewöhnlich, sodass man von ihnen angezogen wurde. Nein. Meine Augen waren einfach normal und das liebte ich! Bei meinem Aussehen war Normalität etwas, dass ich sehr willkommen hieß. Meine Hautfarbe war ein wenig heller, als die rostbraune Haut meines Vaters und meine langen Haare waren einfach nur schwarz und glatt. So wie bei fast jedem, der mit den Ureinwohnern Amerikas verwandt war. Leider war ich zu dünn, weswegen auch mein Gesicht schmal war und meine hohen Wangenknochen deutlich hervor stachen. Ich trocknete mir meine Haare und zog mir meine Arbeitsuniform, bestehend aus schwarzer Hose und ebenso schwarzem Hemd, an. Um die Narben an meinem Hals zu verbergen, band ich mir ein grünes Halstuch um. Dem Spiegel zugewandt vervollständigte ich mit einem schwarzen Kajal meine rechte Augenbraue. Ich hatte nämlich keine, denn ein Teil meiner rechten Gesichtshälfte war vernarbt. Verblasste Brandnarben zierten meinen ganzen Körper. Von Kopf bis Fuß war meine rechte Seite bei dem Unfall damals verbrannt. Es war schrecklich für mich gewesen. Doch mittlerweile waren die Wunden verheilt und es waren nur noch hässliche braune Narben zu sehen. Ich seufzte leise und schüttelte den Kopf. Mit routinierten Bewegungen toupierte ich mir meine Haare so, dass man mein rechtes Ohr nicht sah und die Narben verdeckt waren. Ich liebte meine Haare. Anfangs hatte ich keine mehr gehabt und meinen Vater angefleht, dass er mir endlich die notwendige Haartransplantation bezahlt. Doch wir waren arm und auch die Versicherung hatte damals behauptet, dass der Brand eigenverschuldet war, weshalb wir fast kein Geld ausbezahlt bekommen hatten. Aber nach dem Vorfall in der Grundschule hatte er einen Kredit aufgenommen und mir die Operation bezahlt. Ich war ihm dafür unendlich dankbar gewesen, denn es war ein Stück Normalität, das er mir damit geschenkt hatte. Fertig geschminkt betrachtete ich mein Spiegelbild genauestens. In meiner Arbeit wusste niemand von meinen Verletzungen und das sollte auch so bleiben. Ich konnte die mitleidigen Blicke gar nicht mehr ertragen. Da waren mir gehässiges Grinsen und Tuscheln sehr viel lieber. Ich grinste mich an und stöhnte genervt. Mein Grinsen glich immer einer Grimmasse, weshalb ich mich immer bemühte nur leicht zu lächeln. Auch dann war es schief und sah schräg aus, da die Muskeln an meiner rechten Gesichtshälfte beschädigt waren. Ich seufzte nur und wandte meinen Blick vom Spiegel ab. Eines Tages würde ich vielleicht lachen können. Irgendwann, in ferner Zukunft. Vielleicht. Nachdem ich fertig war, ging ich in die Küche und stellte überrascht fest, dass es heute sogar Toasts zum Frühstück gab. „Huyana. Hübsch siehst du aus, meine Kleine“, lächelte er mir liebevoll zu. Ich verdrehte schweigend die Augen. Dass er mich mit meinem hässlichen Namen ansprach, mochte ich nicht und das wusste er ganz genau. „Paps, lass das“, murmelte ich nur und setzte mich ihm gegenüber. Ich hasste Komplimente, denn ich wusste genau, wie ich aussah. Wozu mir also vorlügen, dass ich hübsch oder etwas dergleichen wäre? Er war gerade dabei an seiner Kaffeetasse zu nippen, als er sie wieder abstellte. Seine dunklen Augen blitzten traurig auf. „Ana … Du musst damit aufhören“, seine Stimme triefte vor Besorgnis. Mir drehte sich der Magen dabei um. Ich mochte es nicht, wenn er sich um mich sorgte oder wegen mir traurig war. „Alles okay Paps. Mach dir keine Sorgen um mich. Ich sollte los“, sprang ich, mit einer getoasteten Scheibe Brot im Mund, auf und schnappte mir meine kleine Umhängetasche. Sein verletzter Blick war wie ein Schlag in die Magengrube. Ich wollte ihn nicht so sehen. Ich ging auf ihn zu und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Wir sehen uns am Abend, ja?“, winkte ich ihm und ignorierte seinen überraschten Gesichtsausdruck. ** Nachdenklich sah ich aus dem Schaufenster. Ich hatte endlich meine wohlverdiente Pause. Mein Vater hatte mich vor zwei Jahren gezwungen, dass ich diesen Teilzeitjob annahm. Er wollte, dass ich mehr aus dem Haus ging und nicht meine freie Zeit ständig im Zimmer verbrachte. Ich war jung und sollte mein Leben genießen, hatte er damals gesagt. Anfangs hasste ich es, doch mittlerweile hatte ich die Arbeit hier wirklich lieb gewonnen. Es war ein kleines Kaffee, in dem ich arbeitete. Die Besitzerin bot selbst gebackene Kuchen an und die Sandwiche waren grandios. Ich stütze meinen Kopf mit meiner linken Hand ab und beobachtete die Menschen, wie sie beschäftigt am Fenster vorbeigingen. Viele achteten gar nicht auf ihren Weg, sondern starrten ununterbrochen in ihr Smartphone. Genervt verdrehte ich meine Augen. Ich mochte diese Besessenheit nicht. Irgendwie fand ich das Benehmen unhöflich. Eine Fliege summte an mir vorbei und setzte sich direkt in mein Blickfeld auf die Fensterscheibe. Nachdenklich musterte ich das Tier. Eine Eintagsfliege müsste man sein. So primitiv und der einzige Sinn dieses Wesens war es, anderen Tieren als Futter zu dienen. Das war meiner Meinung nach, das sinnloseste Tier auf dieser Welt. Sinnlos und nervig. Ich nahm die Zeitung, in der ich vorhin kurz herumgeblättert hatte, von meinem Tisch und schlug, damit so fest ich konnte gegen die Scheibe. Ein riesiger Mann zuckte erschrocken zusammen und sah überrascht zu mir. Peinlich berührt hob ich meine Hand und murmelte eine Entschuldigung. Wohl wissend, dass er mich nicht hören konnte. Er schien sauer darüber zu sein, dass ich ihn erschrocken habe, denn er hatte seine Augenbrauen wüten zusammengezogen. Doch die Wut, die in seinen braunen Augen aufgeblitzt war, wich. Sie wurde durch Überraschung ersetzt. Überraschung und etwas mehr, das ich nicht interpretieren konnte. Wie gebannt starrte er mich mit offenem Mund an. Ich fand seinen durchbohrenden Blick irgendwie unangenehm, weshalb ich wieder wegsah. Prüfend tastete ich an meinen Haaren, um sicherzugehen, dass keine Narben hervor lugten. Warum sollte er mich sonst so anstarren? Das helle Klingeln der angebrachten Türglocke ließ mich erstarren. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in mir aus. Und als ich eine Bewegung gegenüber mir wahrnahm, betete ich still dafür, dass sich in dem Boden unter mir ein Loch auftat. Als der Stuhl vor mir herausgezogen wurde, scharrten dessen Beine laut über den Boden. Ich hielt aufgeregt den Atem an und hoffte, dass er mir keine Szene machte. Unfähig meinen gegenüber anzusehen, zupfte ich nervös an meinem olivgrünen Halstuch herum. „Hallo“, sprach er mich an. Seine Stimme löste einen Schauer bei mir aus. Verwirrt über diese Reaktion zog ich meine Augenbrauen zusammen. „Hi“, murmelte ich leise. Ich schielte kurz zu ihm, doch sein Anblick verschlug mir die Sprache. Er hatte ein leicht kantiges Gesicht mit hohen Wangenknochen und einem kleinen Grübchen am Kinn. Seine Haut war rostbraun, genau wie die meines Vaters. Seine dunkelbraunen Stirnfransen hingen ihm in den Augen, was ihn aber nicht zu stören schien. Doch das Beeindruckendste an seinem Aussehen waren seine Augen. Die Iris war auf den ersten Blick braun, doch bei genauerem Betrachten erkannte man kleine karamellfarbene Tupfer. Ich hatte das Gefühl mich in diesem Braun zu verlieren. Kurz schüttelte ich meinen Kopf, um wieder bei klarem Verstand zu sein. „Also …“, fing er an, hielt aber dann doch inne. Er schien innerlich abzuwägen, wie er am besten das Gespräch anfangen sollte. Belustigt musterte ich ihn und entschied mich, ihm etwas entgegenzukommen. „Das vorhin tut mir leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken“, entschuldigte ich mich. Überrascht sah er mich an, grinste aber so gleich wieder. Erneut zog sich mein Magen bei seinem Lächeln zusammen. Ich sollte das Gespräch schnell hinter mich bringen. Seine Anwesenheit behagte mir nicht. „Wenn Sie wollen … Ich könnte Ihnen einen Kaffee, als Wiedergutmachung anbieten?“ „… und dann verschwindest du ganz schnell wieder“, beendete ich in Gedanken meinen Satz. „Gerne“, kam es, wie aus der Pistole geschossen. „Ana … kommst du“, rief mich Nina grinsend zu sich. Innerlich verdrehte ich die Augen. Nina war meine Mitarbeiterin und Mitschülerin. Sie war ein Jahr jünger als ich und schrecklich neugierig. „Ich muss … wieder an die Arbeit … Sie entschuldigen mich“, wandte ich mich an den Mann, ehe ich aufstand und den Tisch abräumte. „Embry. Nenn mich bitte Embry“, strahle er mich an. Ich nickte ihm schweigend zu und ging, ohne etwas darauf zu sagen. Embry. „Embry. Schöner Name, nicht wahr?“, grinste mich Nina an. Sie hatte Ohren wie eine Fledermaus. Ihr entging niemals etwas. Ich seufzte nur. Es gefiel mir nicht. Weder, dass er Embry hieß, noch dieses besitzergreifende Gefühl, das sich in mir ausbreitete. Kapitel 2: ----------- An so etwas, wie Liebe auf den ersten Blick, glaubte ich nicht. Für mich ergab das keinen Sinn. Wie konnte man sofort wissen, ob eine Person zu einem passte? Immerhin basierte Liebe auf etwas weitaus komplexerem als nur dem Aussehen. Da gab es den Charakter und die Persönlichkeit, die alle mit den eigenen übereinstimmen müssen. So etwas konnte man unmöglich in den Millisekunden eines Augenblicks entscheiden. Davon war ich überzeugt. Wenn es so etwas gäbe, dann nur auf der Basis von Begierde. Doch selbst das war nicht etwas, auf das ich hoffen sollte. Niemals würde jemand ein dürres Mädchen ohne Vorbau und verführerischen Kurven begehren. Zumindest niemand, der noch alle Tassen im Schrank hatte. Ich seufzte und schielte rüber zu Embry, der noch immer beim Fenster saß und mich die ganze Zeit über beobachtete. Es war mir unbeschreiblich unangenehm. Ich hasste es, wenn mich Menschen anstarrten. Zudem ich auch noch Komplexe über mein Aussehen hatte. Hatte er meine Narben entdeckt und kann vor Entsetzen nicht wegsehen? Immerhin waren Menschen von Unfällen und der gleichen immer fasziniert. Sie sahen nie weg, sondern zeigten auch noch mit dem Finger darauf und tuschelten wie verrückt. Ich konnte mir Embrys Verhalten nicht erklären und am liebsten hätte ich ihn gebeten, das Kaffeehaus sofort zu verlassen. Doch das wäre schlecht für das Image des Kaffees. Das war zumindest die Ausrede, die ich mir innerlich zurechtgelegt hatte. Denn, was ich nicht leugnen konnte, war mein Herz, das wie verrückt in der Brust trommelte. Oder, dass meine Hände vor Nervosität zitterten und ich den wahnsinnigen Drang, einen guten Eindruck zu hinterlassen, verspürte. In meinen achtzehn Jahren hatte ich noch nie so ein Gefühl gehabt. Ich kannte es nicht und es verwirrte mich. Machte mir sogar irgendwie Angst. "Mann, Mann, Mann … Blinzelt der überhaupt?", kicherte Nina und riss mich aus meinen Gedanken. Nachdenklich sah ich zu ihr. Nina hatte sich über den Tresen gelehnt, ihren Kopf mit beiden Händen abgestützt und starrte ihn ebenso unverblümt an, wie er mich. Bei ihrem Anblick musste ich die Augen verdrehen. Sie war immer schon so gewesen. So etwas wie Feingefühl kannte sie nicht, was ich an ihr aber irgendwie mochte. Nina war meine einzige Freundin und sie war mir wichtig. Vielleicht, weil sie mich mit ihrer Art überrannt hatte und ich mich nicht rechtzeitig zurückziehen konnte. Ich wusste es nicht, war ihr aber unglaublich dankbar für ihre Existenz in meinem Leben. "Im Ernst jetzt. Wie er dich anstarrt, ist schon irgendwie gruselig. Man hat nicht so einen Blick aufgesetzt bei einem Menschen, den man zum ersten Mal traf", meinte sie und verzog ihren Mund nachdenklich. Ich schielte erneut zu Embry. Als sich unsere Blicke trafen, leuchteten seine Augen erneut auf. Warm und so liebevoll. Verwirrt wendete ich meinen Blick wieder ab und seufzte. "Schräg nicht?", murmelte ich verzweifelt. "Quatsch. Es ist wie in den Romanen, die ich lese. Wenn die Zeit stehen bleibt und du nichts außer ihn siehst und er nichts außer dich wahrnimmt. So romantisch", säuselte sie und zog das letzte Wort grauenhaft in die Länge. Ich verdrehte meine Augen. Eine Stimme in meinem Inneren wisperte mir zu, dass sie recht haben könnte, jedoch ignorierte ich sie. So etwas würde mir niemals passieren. Diesen Blödsinn gab es auch nur in Romanen, weil verzweifelte Hausfrauen nur so dahinschmolzen, wenn der Prinz im Roman sich in die arme Dienerin Hals über Kopf verliebte und darum kämpfte, sie zu heiraten und nicht irgendeine vorbestimmte Prinzessin. Aber im echten Leben existierte so etwas nicht. Ich ging zu ihr und lehnte mich mit dem Rücken zu den Gästen an den Tresen. "Hör auf ihn so anzustarren", brummte ich leise, damit mich keiner hören konnte. Ihre blauen Augen funkelten mich belustigt an. "Was denn? Es passiert nicht oft, dass sich auch mal wer für dich interessiert", ihre vollen Lippen verzogen sich zu einem freundlichen Lächeln. Da war sie mal wieder. Ihre Feinfühligkeit. Ich schmunzelte bei ihrem Satz. Nicht oft. So etwas war mir noch nie passiert und genau deshalb war es auch so unglaubwürdig. Ich seufzte nur und zupfte nervös an meinem rechten Handschuh. "Mir wäre es lieber, wenn er das unterlassen würde!" "Soll ich es ihm sagen?", grinsend richtete sie sich auf und warf ihre hellbraunen lockigen Haare über die Schulter. Überrumpelt starrte ich sie an. Ich wollte ja, dass er damit aufhörte. Aber etwas in mir protestierte dagegen. Ohne meine Antwort abzuwarten, ging sie mit einem verführerischen Hüftschwung auf ihn zu. Ich seufzte erneut. Irgendwie behagte mir das alles nicht und warum fühlte ich mich bloß so schuldig? Mit einem mulmigen Gefühl sah ich zu Embry, der Nina herzlich anlächelte. Sein Lächeln war wunderschön. Erschrocken über meinen Gedanken, schüttelte ich den Kopf. Ich durfte so etwas nicht denken. Als ob ich eine Chance bei ihm hätte. Wer wusste schon, was ihn für ein Blödsinn geritten hat. Ich beugte mich neugierig über den Tresen, um ihn Gespräch mitverfolgen zu können. "Ich bin siebzehn und geh mit Ana in die Schule, wir sind Freundinnen, also wenn du etwas wissen willst … ", sie deutete auf mich und ich unterdrückte den Drang, mit dem Kopf gegen den Tresen zu schlagen. Er jedoch lachte nur und sah kurz zu mir. Sein Blick war unheimlich zärtlich und irgendwie verträumt, dass mir der Atem stockte. Die Glocke an der Tür klirrte und ein junges Pärchen kam hinein. "Willkommen", grüßte ich sie übertrieben freundlich. Sie kamen auf mich zu, weshalb ich mich aufrichtete. Ich war zwar froh nun endlich ein wenig von Embry abgelenkt, zu werden. Doch die Tatsache, dass Nina bei ihm war und sie so etwas, wie Punkt und Komma nicht kannte, war beunruhigend. "Hallo, wir hätten gerne zweimal den Tageskuchen zum Mitnehmen", grinste mich die junge Frau an. Ich nickte ihnen zu und packte zwei Stück in eine Kartonbox. Sie waren Stammkunden und kamen jeden Sonntag hier her, um sich einen Kuchen nach dem Mittagessen zu holen. "So … zweimal einen Erdbeerschokokuchen … Das macht dann fünf Dollar bitte", lächelte ich und tippte die Eingaben in die Kassa. Als ich ihnen das Restgeld gab, erhaschte ich einen Blick auf Embry, der aufgestanden war und mich traurig ansah. Es war so, als hätte ich ihm die wüstesten Beschimpfungen auf den Kopf geworfen. Verwirrt erwiderte ich seinen Blick und ignorierte die Kunden vor mir. Nina lugte hinter ihm hervor und sah mich fast schon belustigt an. Anscheinend gefiel ihr Embrys Reaktion. Ohne ein weiteres Wort kehrte er mir den Rücken zu und ging aus dem Laden. Mein Herz stockte. Hatte mein Wunsch ihn hier nicht zu haben so sehr verletzt? War ich der Grund für seinen Schmerz? Abertausende Fragen schwirrten mir im Kopf herum. Ich fühlte mich schrecklich. Ich wollte nicht wie ein Monster dastehen. Sein verletzter Blick war irgendwie unerträglich für mich. Ich erschauderte. Warum nur ging mir das so Nahe? Ohne wirklich zu realisieren, was ich tat, riss ich die Tür auf und lief ihm hinterher. Es war, als würden mich meine Füße automatisch in seine Richtung tragen. Als könnte ich nicht anders und wurde von ihm angezogen. Ich wollte mich entschuldigen. Es behagte mir nicht, dass jemand wegen mir traurig war. Eigentlich sollte ich es am besten wissen, dass Worte unglaublich verletzlich sein konnten. "Embry!", rief ich nach ihm, als ich seinen dunklen Haarschopf entdeckte. Ich war unheimlich froh, dass er alle überragte und so leichter zu erkennen war. "Embry warte!", keuchte ich, denn ich bekam Seitenstechen. Ich kniff meine Augen kurz zusammen, um mich auf meine Atmung zu konzentrieren, als ich plötzlich gegen etwas Hartes lief. Ich sollte mir unbedingt vermerken, dass ich nicht weiterlaufen sollte, wenn ich nicht auf die Straße achtete. Verwirrt blinzelte ich auf, da ich noch immer nicht auf dem harten Boden gelandet war. "Alles Okay?", hörte ich ihn besorgt fragen. Eine merkwürdige Wärme umhüllte meinen Körper. Es fühlte sich wundervoll an. „Ich … J-Ja … Ich … denke schon.“ Ich konnte keinen vernünftigen Satz zustande bringen, als ich in seine besorgten Augen sah. Er war mir viel zu nahe und seine Hände, die mich an meinen Oberarmen festhielten, fühlten sich heiß an. Ich hatte das Gefühl darin – im wahrsten Sinne des Wortes – zu schmelzen. Er nickte mir lächelnd zu, hob mich hoch und stellte mich wieder auf die Füße, als sei ich ein kleines Kind. Die kalte Luft, die auf die Stellen, wo zuvor seine Hände waren, traf, ließ mich erschaudern. War er krank? Es war nicht normal so heiß zu sein. „Embry … ich“, setzte ich an, wurde aber durch sein Kichern unterbrochen. Verwirrt sah ich zu ihm. Embry wirkte total erleichtert und der schmerzliche Ausdruck von vorhin war aus seinem Gesicht verschwunden. Mit einem breiten Grinsen beugte er sich ein wenig herunter und sah mir ins Gesicht. Überrumpelt ging ich einen Schritt zurück. Seine Nähe behagte mir nicht. Ich hatte keine Kontrolle über meine Gefühle, sobald er mir zu nahe war. „Ana. Das ist eine großartige Überraschung“, meinte er nur und grinste von einem Ohr zum anderen. Benommen starrte ich ihn an. Wie konnte sich seine Stimmung so schnell ändern? Hatte er nicht vorhin so gewirkt, als wäre er total am Boden zerstört? Eine Welle der Erleichterung überrollte mich, und ich lächelte ihm leicht zu. „Ich … ich wollte … ehm“, verzweifelt zog ich meine Augenbrauen zusammen. Warum war es mir nicht möglich, in vollständigen Sätzen mit ihm zu reden? Vorhin hatte es doch prima funktioniert! Ich seufzte laut und verdrehte kurz die Augen. Wenn es so etwas, wie einen Gott gab, könnte er doch so gnädig sein und mir bei diesem jungen Mann beistehen. Ich atmete tief durch. „Naja also … wegen vorhin“, fing ich an und sah zu ihm hoch. Erst jetzt wurde mir klar, wie riesig Embry doch war. Ich musste meinen Kopf regelrecht in den Nacken legen. Dabei war ich mit meinen 174 Zentimetern nicht gerade klein. „Ja … ich störe dich bei der Arbeit, hat Nina gesagt“, ergänzte er meinen Satz und sah mich reuevoll an. Ich nickte ihm bestätigend zu, was ich aber sofort wieder bereute. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und wirkte alles andere als glücklich. Erneut meldete sich mein schlechtes Gewissen. „Hör zu Embry … ehm … du kannst gern vorbeikommen“, murmelte ich. Seine großen, heißen Hände packten mich erneut an meine Schulter und zogen mich ganz nahe zu ihm. „Wirklich?“ Seine Augen strahlten mich erfreut an, was mir ein merkwürdiges Glücksgefühl bescherte. Ich nickte ihm zaghaft zu. Diese ganzen Gefühle waren mir zu verwirrend. Irrational. Sie ergaben keinen Sinn. „Das ist …“ „Aber … starr mich bitte … nicht mehr so an“, fiel ich ihm ins Wort. Er zog überrascht seine Augenbrauen in die Höhe und legte den Kopf schief. War es ihm überhaupt nicht aufgefallen? Ich seufzte und schüttelte seine Arme von meinen Schultern. Er war mir schon viel zu nahe gekommen. Normalerweise durfte mich niemand anfassen. Ich hasste es berührt zu werden, aus Angst, sie könnten die Narben auf meinem rechten Arm ertasten. Embry schien meine Reaktion zu registrieren, denn der überraschte Gesichtsausdruck wich und er sah mich verstört an. „Nicht … Ich mag es nicht … angefasst zu werden. Unterlass das bitte“, erklärte ich ihm. Dass ich es überhaupt erwähnen musste, fand ich schräg. Normalerweise wurde man auch nicht von wildfremden Menschen einfach so berührt. Doch ihm schien es nichts auszumachen. Irgendwie erinnerte er mich an Nina. Sie war damals auch wie eine Naturgewalt in mein Leben getreten, ohne dass ich viel dazu beigetragen hatte. „Oh … verstehe“, murmelte er leise, sodass ich mir selbst nicht sicher war, ob ich ihn richtig verstanden hatte. Sicherheitshalber steckte er seine Hände wieder in die Hosentaschen. Zumindest glaubte ich, dass er es tat, um weiteren Körperkontakt zu verhindern. „Naja … ich muss dann wirklich los“, ich deutete mit dem Daumen nach hinten. Eine kalte Windbrise lies mich frösteln, weshalb ich schnell meine Arme um meinen Oberkörper verschränkte und anfing meine Arme warm zu reiben. „Hier. Meine Jacke“, lächelte er und zog sich seine rote Pulloverweste aus. Überstürzt wedelte ich mit den Händen vor mir. „Nein. Nein. Es geht schon!“ Ich konnte doch nicht einfach so eine Jacke von ihm annehmen. Was war mit diesem Kerl nur los? „Ich bestehe darauf“, meinte er jedoch schlichtweg und grinste mich an. Ich seufzte nur und nahm sie entgegen. Irgendwie war ich gegen sein Lächeln schwach und das gefiel mir ganz und gar nicht. Plötzlich wandte er blitzschnell seinen Kopf in die Richtung, wo der Wald war. Verwirrt machte ich es ihm gleich, konnte aber nichts erkennen. „Naja … Ana? Ich muss weg. Wir sehen uns dann morgen, ja?“, er wartete nicht einmal auf meine Antwort und rannte los. Er war wirklich genau wie Nina. Überrumpelt starrte ich ihm hinterher. Ich arbeitete morgen überhaupt nicht. Kopfschüttelnd seufzte ich und zog mir die Jacke an. Sie war unglaublich warm, als wäre sie vorher auf einer Heizung gelegen. Neugierig schnupperte ich am Ärmel und stellte fest, wie angenehm er roch. Herb nach Wald und Moos. Ich fand es äußerst angenehm, da ich den Wald liebte. Embry. Was für ein merkwürdiger Mann er war. Er wirkte so erwachsen, doch seine Handlungen und sein Grinsen waren irgendwie total kindlich und unreif. Wie alt er wohl war? Ich zuckte mit den Schultern. Es konnte mir egal sein, denn ich würde mich sowieso niemals in eine Beziehung einlassen und bestimmt nicht mit jemandem wie Embry. Ein so gut aussehender Mann hatte definitiv etwas Besseres verdient, als ein vernarbtes, melancholisches Wesen wie mich. Irgendwie stimmte mich dieser Gedanke traurig. Ich sollte ihm beim nächsten Mal gleich sagen, dass er aufhören soll, mir näherzukommen. Es gab nichts Schlimmeres, als wenn man sich unnötig Hoffnungen machte. Hoffnungen, die von unsensiblen Menschen nur mit Füßen getreten wurden. So wie damals ... Kapitel 3: ----------- Schweigend sah ich aus dem Fenster zu meiner linken und ignorierte meine nervige Chemieprofessorin, so gut ich konnte. Eigentlich mochte ich das Fach sehr, weshalb ich es auch in meinem Stundenplan hatte. Doch diese Frau Miller würde sogar einen Unsterblichen zu Tode langweilen. Rein hypothetisch natürlich. Unsterbliche gab es ja nicht. Aber es ging mir ums Prinzip. Diese Frau war schrecklich! Wenn es bloß keine bescheuerte Anwesenheitspflicht gäbe. Dem, der sie erfunden hatte, sollte man einmal so richtig in den Hintern treten. Aber ich brauchte nun einmal diese Punkte, die das Chemiefach mit sich brachte. Eigentlich hatte ich nächstes Jahr vor in ein kleines College in Port Angeles zu gehen. An eine Universität war gar nicht zu denken. Nicht bei den Schulden, die wir hatten. Manchmal wünschte ich mir, wir würden in Europa wohnen. Dort war die Gesundheitsvorsorge und alles dergleichen vollkommen umsonst. Keine zusätzlichen Kosten, die man alleine tragen musste, nur weil etwas mit dem Papierkram nicht stimmte. Ich hatte immer noch Gewissensbisse wegen der Haartransplantation, die ich unbedingt gewollt hatte. Ein lautloser Seufzer entwich mir, als ich an meinen Vater dachte. Er tat mir unendlich leid. Immerhin hatte er sich sein Leben bestimmt nicht so vorgestellt. Wahrscheinlich wäre er auch gerne im Reservat geblieben, denn er mochte es dort. Nur mir zuliebe waren wir hier hergezogen, damit ich in Forks in die Schule gehen konnte. Ich wünschte, ich hätte einfach diese egoistischen Wünsche damals nie geäußert. Weder das mit den Haaren noch den Schulwechseln. Es war ja nicht so, als wäre es hier in Forks anders gewesen als dort. Auch hier wurde ich von allen gemieden, weil ich zu still war. Merkwürdig. Ein Freak. Doch damals in der Grundschule im Reservat war ich grauenhaft zur Schau gestellt worden. Nachdem ich wochenlang im Krankenhaus gewesen war, musste ich wieder zurück in die Schule. Ich hatte meinen Vater angefleht, mich nicht dorthin zu schicken, denn die Kinder würden mich auslachen. Leider gab es niemanden mehr in meiner Familie, der mich hätte privat unterrichten können und mein Vater, der musste arbeiten. Zu dieser Zeit war ich noch verpflichtet gewesen einen Kompressionsanzug zu tragen, um zu verhindern, dass die Haut zu dicke Narben bildeten. Das war nicht das Problem gewesen, denn ich konnte über dem Anzug meine normale Kleidung tragen. Das eigentliche Problem waren die Verbrennungen am Kopf. Ich musste deswegen auch eine total bescheuerte Kompressionsmaske tragen. Es war schrecklich gewesen und das Mobbing vorprogrammiert. Also war ich dort an der Schule gewesen, total nervös stand ich vor meiner Klasse, die mich mit Fragen durchlöcherten, aber sie schienen mich nicht auszulachen. Wahrscheinlich waren sie von der Lehrerin vorgewarnt geworden. Ich wusste es nicht, aber ich war richtig glücklich darüber. Es schien alles reibungslos zu verlaufen, bis es zur Mittagspause geläutet hatte und alle Kinder in den Hof gestürmt waren. „Miss Dilo!“ Erschrocken zuckte ich zusammen und sah zu meiner Professorin. Sie verdrehte die Augen, weil ich ihr offensichtlich nicht zugehört hatte. „Was sind Edelgase, Miss Dilo?“, knurrte sie mich regelrecht an. Ich kämpfte gegen den Drang ihr eine Beleidigung an den Kopf zu werfen, weshalb ich sie nur mit zusammengekniffenen Augen anstarrte. „Wissen Sie es nicht?“, fragte sie höhnisch. Natürlich wusste ich es. Ich lernte nämlich gerne. Es war mir ein angenehmer Zeitvertreib und gute Noten machten meinen Vater glücklich. Aber ihr zu antworten, das ging gegen mein Prinzip, jeden hier an der Schule anzuschweigen. „Ana, komm schon. Sag es ihr“, murmelte Nina neben mir. Ich sah kurz zu ihr rüber. Gut, es gab eine Person, mit der ich gerne sprach. Ich seufzte nachgiebig. „Edelgase oder auch Interte Gase, sind sieben Elemente, die zur achten Hauptgruppe gehören. Man findet sie im Periodensystem ganz rechts. Warum ihr Name? Man nennt sie Edelgase, da sie mit keinem Element eine Reaktion eingehen. Sprich, sie sind vollwertig und ihre äußerste Schale ist vollständig mit Elektronen besetzt. Deshalb „edel“. Zu den Elementen gehören Helium, Xe …“ „In Ordnung. Ausnahmsweise gebe ich Ihnen kein Minus“, lächelte sie mich an. Es war ein falsches Lächeln, denn sie hätte mir gerne eines reingedrückt. Die anderen Mitschüler starrten mich mit offenem Mund an und ich hörte einige tuscheln. "Sie kann reden", murmelte ein Mädchen vor uns und schielte über die Schulter zu mir. Genervt rutschte ich tiefer in den Sessel. Natürlich konnte ich reden. Ich sprach oft mit Nina, nur glaubten die Leute mehr dem, was andere erzählten, als ihren eigenen Augen, oder wie in meinem Fall ihren eigenen Ohren. Ich schnalzte abfällig mit der Zunge und sah zu Nina, die mich anstrahlte und den Daumen nach oben deutete. Schmunzelnd drehte ich mich wieder zum Fenster und beobachtete die Vögel, die am Gebäude vorbeizogen. Vögel. Ich wünschte mir, dass ich auch so frei sein konnte, wie sie es waren. Mein Familienname bedeutete eigentlich blauer Vogel in der alt-indianischen Sprache. Vielleicht würde ich eines Tages meine Fesseln auch ablegen können und wirklich leben. Es war ein schöner Traum und ich wollte unbedingt daran glauben. Das schrille Läuten der Schulklingeln ertönte. Ja. Ohne Fesseln lebte es sich definitiv leichter. Eine Fessel namens Miller weniger und schon fühlte ich mich, als könnte ich drei Meter hochspringen. „Mann! Der hast du es aber richtig gezeigt“, kicherte Nina belustigt. Ich musste bei dem Gedanken an ihren blöden Blick auch schmunzeln. „Irgendwie schon, ja“, stimmte ich ihr zu. "Und die bescheuerten Mitschüler! Ihre Blicke!", sie lachte, "Versprich mir, dass du jetzt öfters Konter gibst." Ich hob meine linke Augenbraue und musterte sie skeptisch. "Keiner von den Lehrern ruft mich überhaupt noch auf. Sie haben sich damit abgefunden, dass ich nicht mit ihnen Rede." Sie verzog schmollend ihre vollen Lippen. "Stimmt. Hatte ich vergessen. Mann Ana. Du bist echt ein schräger Vogel. Wäre ich bloß früher gekommen, was?", lächelte sie. "Ach … lieber nicht", meinte ich und wurde prompt in die Schulter geboxt. Sie war letztes Jahr hier hergezogen und hatte irgendwie gefallen an mir gefunden. Sie meinte, dass stille Wasser tief wären und sie solche Menschen gerne mochte. Wahrscheinlich um ihre eigene Hyperaktivität zu neutralisieren. Jeden Tag hatte sie sich zu mir gesetzt und mir Geschichten erzählt. Geschichten über ihre Familie, über ihre erste große Liebe, darüber, dass sie gerne Schauspielerin werden wolle oder einfach nur, wie sehr sie das Essen hier an der Schule hasste. Ich hatte nur dagesessen und sie ignoriert. Doch irgendwie hatte sie es geschafft, dass sie sich in mein Herz schlich. Es war zwei Monate nach ihrem Umzug gewesen. Sie war plötzlich krank geworden und ich hatte mich tatsächlich einsam gefühlt. Als ich sie dann besuchen wollte, stand ich mit offenem Mund vor meinem eigenen Wohnhaus, denn sie war sogar meine Nachbarin gewesen. Diese Tatsache hatte mir damals deutlich gemacht, wie wenig ich auf mein Umfeld geachtet hatte. Es war ein Schock für mich gewesen. Im Laufe der Zeit wurde sie zu meiner ersten Freundin, und als ich sie Vater vorgestellt hatte, hätte er fast zum Weinen angefangen. Ich zeigte es zwar nicht, aber ich mochte Nina. Ich glaube, ich liebte sie sogar, wie eine Schwester. Zumindest glaubte ich, dass sich so Geschwisterliebe anfühlen musste. „Und was hast du heute vor?“, begann sie ein neues Thema und musterte mich neugierig. „Ich weiß es noch nicht. Wahrscheinlich schau ich kurz ins Kaffee. Ich mein …“ „Falls Embry kommt, huh?“, sie grinste verschmitzt, weshalb ich sofort rot anlief. Als ich gestern zurück ins Kaffee gegangen war, war sie total aus dem Häuschen gewesen und hat nur von Hochzeit und anderem Blödsinn gelabert. Sie seufzte laut auf. „Ich finde ihn ja total clever … dir die Jacke zu geben.“ Verwirrt hob ich meine linke Augenbraue an. „Mir war kalt. Was daran ist clever?“ „Ja klar. Mag sein. Aber so stellt er auch sicher, dass er dich wieder sieht“, ergänzte sie lächelnd. Skeptisch musterte ich sie. Nun hatte sie komplett ihren Verstand verloren! Nina war genau so groß wie ich, doch weitaus attraktiver. Ihr Körper war kurvig, jedoch hatte sie kein Gramm zu viel an den Rippen, und dass obwohl sie essen konnte, wie ein Mähdrescher. Aber am meisten gefiel mir ihre zarte, makellose Haut. Ich beneidete sie wirklich darum. Vielleicht wenn ich so aussehen würde wie sie, dann könnte ich diesen Schwachsinn, den sie erzählte, glauben. „Komm schon Ana! Der ist total vernarrt in dich!“, lachend hängte sie sich an meinen linken Arm und zog mich zum Spind. "Er ist zwei Stunden lang dort gesessen und hatte kein einziges Mal den Blick von dir abgewandt. Und du … wie du ihm hinterher gerannt bist. Genau wie in den Ro..." „Lass den Quatsch!“, brummte ich. Niemand, der noch völlig bei Trost war, würde sich etwas aus mir machen und ganz bestimmt nicht jemand, der so aussah wie er. Während ich meinen Spind öffnete, flogen mir einige Zettel entgegen, die ich, ohne sie mir anzusehen, in meine Umhängetasche stopfte, ebenso die Jacke von Embry. Meine eigene dunkelgrüne Regenjacke legte ich über die Tasche und schloss die Tür vom kleinen Spind. „Die hören immer noch nicht auf dich zu nerven, was?“, fragte Nina besorgt. „Nope. Aber ist nicht weiter schlimm. Bald sind wir mit diesem Horror namens Schule durch“, ich klopfte ihr leicht auf die Schultern. „Weißt du, obwohl ich die Schule ja auch hasse, freue ich mich gar nicht auf das Ende. Immerhin werde ich dich dann nicht mehr sehen, stimmt‘s?“, traurig sah sie mich an. Ich wusste nicht wirklich, was ich darauf sagen sollte, weshalb ich nur mit den Schultern zuckte. „Ach was. In Zeiten des Internets, ist es so, als wärst du gar nicht in Seattle an der Uni. Mal davon abgesehen ist Seattle eigentlich gleich um die Ecke.“ „Gleich um die Ecke, was?“, schmunzelte sie und nickte. „Wahrscheinlich hast du recht und ich übertreibe Mal wieder.“ „Mal wieder? Du übertreibst ständig“, erwiderte ich trocken. Sie lachte. Ich mochte ihr Lachen sehr. Es stimmte mich selbst auch immer fröhlich. „Naja. Bis morgen!“, winkte sie. Nachdenklich sah ich ihr hinterher. Sie würde mir unglaublich fehlen. Nina war einfach ganz plötzlich in mein Leben aufgetaucht und hatte mir ein bisschen Normalität gegeben, von der ich schon vor Jahren Abschied genommen hatte. Wenn sie im Herbst nach Seattle zog, würde ich wieder einsam sein. Nachdem ich wusste, wie es sich anfühlte einen Freund zu haben, fand ich diesen Gedanken beängstigend. Ich wollte nicht zurück in die Einsamkeit. „Oh … Genau. Ruf mich an, wie’s mit Embry war!“, rief sie mir lautstark zu. Ich konnte die bohrenden Blicke der anderen Mitschüler am Hof deutlich in meinem Rücken spüren. Mit Sicherheit würde ich sie nicht anrufen. Nicht, nachdem sie mich wieder zum neusten „Klatsch und Tratsch“-Thema gemacht hatte. Murrend schlug ich die Richtung zum Kaffee ein. Ich wusste ehrlich gesagt nicht, warum ich mir die Mühe machte. Er hatte zwar gesagt, dass wir uns heute sehen würden, aber konnte ich seinen Worten trauen? Immerhin kannte ich Embry nicht. Ich musste sichergehen, dass er mich danach in Ruhe ließ. Es kam nichts Gutes dabei heraus, wenn ein gut aussehender Mann etwas von jemandem wie mir wollte. Wahrscheinlich irgendein blöder Streich oder eine verlorene Wette. Doch konnte jemand so viele Gefühle, die in seinen Augen aufgeblitzt waren, vortäuschen? Wenn ich bloß Erfahrung mit solchen Situationen hätte! Ich kannte mich gut in Mathe aus oder anderen Schulfächern. Aber von Beziehungen, Freundschaften, und wie man sich dabei passend verhalten soll – nein – davon hatte ich keinen blassen Schimmer. Vielleicht sollte ich in der Bücherei nach einem Ratgeber suchen, oder im Internet darüber recherchieren. Vorsichtshalber … Kapitel 4: ----------- Der Duft von süßlichem Gebäck und frischem Kaffee erfüllte die Luft. Ich mochte ihn sehr. Es hatte etwas Gemütliches, Entspannendes an sich. Nachdenklich nippte ich an meinem Milchkaffee und sah zu den Gästen. Ich saß ganz hinten im Raum und hatte alles im Blick. Eine Gruppe von Freundinnen saß auf der anderen Seite des Kaffees. Sie waren laut und lachten die ganze Zeit über, während sie von ihren Kindern erzählten. Da war auch noch ein junges Paar, das beim Fenster saß. Es sah sich verträumt an und kicherte die ganze Zeit dümmlich. Im Ernst! Die meiste Zeit über verstand ich nicht, was so lustig an seinen Erzählungen sein sollte. Doch die Frau lachte ständig. Verhielt man sich so, wenn man verliebt war? Es wirkte auf mich genauso, wie es Nina beschrieben hatte. Sie sah nichts außer ihm und er nahm nur sie wahr. Wie sich so etwas anfühlte? Embrys Lächeln erschien vor meinen Augen. Wie er mich ebenso verträumt ansah, mit dieser unglaublichen Wärme. Ich schüttelte leicht den Kopf. Embry war bestimmt nicht in mich verliebt, außer er hätte Tomaten im Kopf und das hatte er nicht. Nein! Nur zu gut konnte ich mich an die braunen Augen, mit feinen karamellfarbenen Tupfern, erinnern. Sie waren wunderschön und hatten mich in irgendeinen Bann gezogen. Einen Bann, der mich nicht mehr losließ. Ich seufzte. Gefühle, wie dieses warme flattern in meinem Herzen, waren mir neu. Sie machten mir Angst. War ich wirklich so ein naives Dummchen, das sich in den erst besten Mann verliebte, der nett zu einem war? Das konnte nicht möglich sein. Wo war mein Misstrauen fremden Menschen gegenüber geblieben? Warum sollte Embry anders sein, als die Menschen zuvor? Warum sollte er sich nicht einen Spaß erlauben? Einen kleinen Flirt mit einem armseligen Mädchen. Vielleicht sah er das als eine Nettigkeit an? Überfordert von all meinen Gedanken und Gefühlen, setzte ich mir meine Kopfhörer auf und blätterte in meinem Literaturbuch. Wir schrieben nächste Woche einen Test über die Literatur Europas. Ich war nicht gut darin. Sprachen waren nie so meins gewesen. Zu den Klängen von lauten Gitarrenriffs, fing ich an zu lernen. Eine riesige, rostbraune Hand wedelte vor meinem Buch, weshalb ich erschrocken zusammenzuckte. Ohne aufzusehen, wusste ich, um wen es sich handelte, denn ich hatte das Gefühl, dass sein Duft den ganzen Raum ausfüllte. Herb nach Wald und Moos. Mein Herz fing an, wild gegen meine Brust zu schlagen und das ganze Blut in meinen Kopf zu pumpen. Nervös biss ich mir auf die Lippen. „Hallo Ana“, er nahm meine Kopfhörer und beugte sich zu meinem Gesicht hinunter. Panisch rutschte ich mit meinem Sessel nach hinten und legte mir eine Hand auf die Brust. Für einen kurzen Moment hatte ich gedacht, dass er mich küssen würde. Ich verlor nun endgültig meinen Verstand. Ich sah zu Embry, der mich verwirrt, mit den Kopfhörern in den Händen, anstarrte. „Ha – Hallo“, erwiderte ich und deutete auf den Platz mir gegenüber. „Setz dich.“ „Wartest du schon lange hier?“, fragte mich Embry, während er sich setzte und seinen Kopf mit der rechten Hand abstützte. Ein Blick zur Uhr an der Wand verriet mir, dass ich schon länger hier war, als ursprünglich geplant. Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Nicht so lange“, murmelte ich leise. Nachdem sich mein Herz beruhigt hatte, rutschte ich wieder an den Tisch. „Macht es dir etwas aus, wenn ich diese Passage noch erledige?“, ich deutete auf den letzten Absatz. Er schüttelte grinsend den Kopf. „Dass ich wirklich einmal jemandem begegne, der in seiner Freizeit lernt.“ Ich sah zu ihm. „Ich nehme an, du warst kein guter Schüler?“ „Naja … es hat gereicht“, verlegen lächelte er mir zu. Erneut flatterte mein Herz freudig auf, als ich in seine Augen sah. Sie waren schöner, als ich sie in Erinnerung hatte. Schnell schüttelte ich den Kopf und sah wieder ins Buch. „Ich … Ich lerne gern. Anfangs … nicht so. Die Schule finde ich schrecklich. Aber die Freude von meinem Vater, wenn ich … wenn ich gute Noten bekam … macht mich glücklich … motiviert mich.“, fing ich an zu reden, weil mir die Stille unangenehm war. Er antwortete mir nicht, weshalb ich kurz zu ihm sah. Embry lächelte nur. Es war ein verträumtes Lächeln, das mich an das Pärchen vorhin erinnerte. Ein Lächeln, das mir den Atem raubte. „Du bist eine gute Tochter. Er muss der glücklichste Mensch auf Erden sein“, sagte er mit einer solch zärtlichen Stimme, dass ich eine Gänsehaut bekam. Aus seinem Munde klang es so echt, als würde ich tatsächlich eine gute Tochter sein. Als wäre mein Vater tatsächlich der glücklichste Mensch auf Erden. Doch ich kannte die bittere Wahrheit. Ich wusste, dass ich nichts dergleichen war. Dass ich nur die fehlende zur Schau Stellung meiner Dankbarkeit und Liebe, mit Noten zum Ausdruck brachte. Ich antwortete nicht darauf und fing an eine kleine Zusammenfassung des Absatzes in meinen Block zu notieren. Während ich schrieb, kam die Kellnerin und er bestellte sich einen schwarzen Kaffee und einen Apfelstrudel, der ihm von Sandy empfohlen wurde. Und obwohl Sandy eine durchaus schöne Frau war, die seinem Alter entsprach und die sich nicht genierte mit ihm zu flirten, beachtete er sie kaum. Nachdenklich biss ich auf meinen Kugelschreiber herum. Warum machte mich das so unsagbar glücklich? Ich seufzte und schlug mein Buch einen Tick zu laut zu. „Genug für heute?“ Während ich meine Tasche packte, sah ich zu ihm. Er sah mich schmunzelnd an. Erneut beschleunigte mein Herz das Tempo. Ich nickte ihm nur schweigend zu. „Ist etwas mit deiner rechten Hand? Ich mein, du trägst ständig einen Handschuh und schreibst auch mit links“, fragte er mich unverblümt. Ich konnte in seinen Augen keine bösartigen Absichten erkennen. Doch er war genauso feinfühlig, wie Nina. Sie hatte mir damals sogar meinen Handschuh ausgezogen, als ich nicht geantwortet hatte. Dass sie damals nicht schreiend davongelaufen war, rechnete ich ihr immer noch hoch an. Nein. Nina war nicht davongerannt, aber sie hatte auch nichts Tröstendes gesagt. Sie hatte mich nur blöd gefragt, ob ich noch Schmerzen hätte, da meine Hand schrecklich aussah. Eine glatte Untertreibung, aber ich war nicht darauf eingegangen und hatte nur ihre Frage verneint. Ich hatte keine Schmerzen, konnte aber meine Hand nicht mehr richtig bewegen, da die Nerven zu beschädigt waren. Deswegen wurde auch mein linker Arm zum Rechten und ich lernte das Schreiben neu. „Ich bin Linkshänderin … Es ist nur … nur ein hässlicher Pigmentfleck … ich mag ihn nicht so“, erklärte ich ihm, während ich versuchte, gelassen zu wirken. Dieses Mal schien er mir die Lüge sogar abzukaufen. „Kann ich mir gar nicht vorstellen. Meine linke Hand ist für gar nichts zu gebrauchen. Ist bei dir wahrscheinlich auch bei der rechten so?“, grinste er. Ich nickte ihm zu. Er hatte recht, meine rechte Hand war zu nichts gut. Ich konnte gerade einmal ein Tablett tragen und grobe Arbeiten mit ihr erledigen. „So … Hier bitteschön. Einmal einen Kaffee, schwarz und einen Apfelstrudel nach europäischer Art“, sie lächelte ihn verführerisch an. Ich arbeitete nicht mit Sandy und kannte sie daher kaum, aber ich mochte ihre aufdringliche Art nicht. Irgendetwas an ihr störte mich. „Dankeschön“, antwortete Embry begeistert und strahlte das Stück Kuchen an. Sandy schnalzte abfällig mit der Zunge. Ich sah überrascht zu ihr. Sie hatte sich ihre Haare rot gefärbt und in einem hohen Zopf zusammengebunden. Von ihrer Statur her ähnelte sie Nina, war aber um einiges kleiner. „Wenn Sie noch etwas brauchen, rufen Sie mich einfach“, säuselte sie und verdrehte die Augen, als er ihr überhaupt keine Beachtung schenkte. Ich fand ihre Reaktion komisch. Sehr sogar! Embry hatte allen Anschein nach Nichts von Sandys Annährungsversuchen mitbekommen, denn er stach mit der Gabel in den Apfelstrudel hinein und verdrehte genussvoll die Augen. „Mann ist der Lecker!“, strahlte er mich an. Belustigt fing ich an zu kichern. Seine Reaktion hatte wirklich nichts Erwachsenes an sich. Es entsprach eher dem Niveau eines Kindes, das zum ersten Mal Schokolade aß. „Was denn?“, Belustigung schwang in seiner Stimme mit. Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen, um ihm antworten zu können, als es mir dämmerte. Ich hatte tatsächlich gekichert. Er hatte mich tatsächlich dazu gebracht. Zu etwas, zu dem ich schon seit Jahren nicht mehr imstande war. Ich hatte vor langer Zeit die Hoffnung aufgegeben, dass ich jemals wieder grinsen – geschweige denn lachen oder kichern – würde. Wie konnte das passieren? Wann hatte sich bei mir der Schalter umgelegt? Ich sah zu Embry, der mich verwirrt anstarrte. Was geschah nur mit mir? „Ana? Alles in Ordnung?“, er schien sichtlich beunruhigt über meinen Stimmungswechsel zu sein. Sein Blick drang zu mir durch und ging mitten ins Herz. Am liebsten hätte ich sein Gesicht in meine Hände genommen, um ihn zu beruhigen. Ich wollte ihn nicht so sehen. Energisch schüttelte ich mit dem Kopf. Ich sollte schleunigst von ihm weg, bevor ich meinen Verstand verlor. „Ich … ich muss los … es ist spät“, murmelte ich, während ich mir meine Jacke anzog und die Umhängetasche über die Schulter warf. „W-Was? Ana … Hey warte“, rief er mir hinterher, als ich aus dem Kaffee stürmte. Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass er aufgesprungen war und in seine Hosentasche griff. Vermutlich, um seine Bestellung zu bezahlen. Ich musste mich beeilen. Er durfte mich nicht einholen. Keuchend lehnte ich mich an die Wand eines hohen Gartenzaunes. Ich hatte mich in einer Gasse versteckt. Ich würde eine Zeit hier warten und dann nach Hause gehen. Wegrennen hatte keinen Sinn. Ich war nicht gut im Sport und er hatte deutlich längere Beine. Embry hätte mich bestimmt schnell eingeholt. Plötzlich ergriff jemand meine rechte Hand. Erschrocken versuchte ich mich zu entziehen, prallte aber gegen eine heiße Wand. „Ana. Was sollte das?“ Panisch drückte ich mich von ihm weg, weshalb er mich sofort losließ. „Ach ja. Nicht berühren. Vergessen … Sorry“, er lächelte, doch es erreichte seine Augen nicht. Eher wirkte er so, als hätte ich ihn geschlagen. Mein Magen zog sich bei seinem Blick zusammen. Ich wollte ihm nicht wehtun. „Ana … Warum bist du weggerannt?“, bohrte er erneut nach. Sein Blick war von Trauer getränkt. Was sollte ich darauf sagen? Ihm sagen, dass er mich überforderte? Dass ich mit meinen Gefühlen nicht klarkam? Dass es mir mein Herz zerriss, wenn ich diesen traurigen Blick sah? Dass ich mich elend fühlte, weil ich der Grund dafür war? Ich wollte das alles nicht. Er brachte mich aus dem Konzept und ich kannte ihn erst einen Tag. Wobei von Kennen kaum die Rede sein konnte. Schweigend sah ich hinunter zu meinen schwarzen Convers. Embry seufzte laut auf und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Ich schielte kurz hoch zu ihm und erstarrte. Er sah süß aus mit zerzausten Haaren. Deutlich jünger. Die Frage, wie sich seine Haare wohl anfühlten, schwirrte mir im Kopf herum. Fassungslos schüttelte ich meinen Kopf. Ich wollte doch damit aufhören! „Ana … Ana was ist los?“ Verwirrt sah ich ihn an. Seine Stimme klang so ernst. Ich schluckte und ging noch einen Schritt zurück. Ich hätte nicht kommen dürfen. Er war gefährlich. Durch Embry drohte meine Welt aus den Fugen zu geraten. Ich hätte Nina schicken sollen, um ihm seine Weste zu geben. Die Pulloverweste! „Em-Embry … Deine Jacke. Hier ich habe sie auch gewaschen“, murmelte ich, während ich die Jacke aus meiner Tasche holte. Er sah mich entrüstet an. Wahrscheinlich empfand er den Themenwechsel für unhöflich. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Just in dem Moment flogen die kleinen Zettel aus der Tasche, die mir meine Mitschüler in den Spind eingeworfen hatten. „Großartig“, murmelte ich und ging in die Hocke, um sie aufzuklauben. Ich hätte die Briefchen im Spind lassen sollen. Als ich nach einem der Zettel greifen wollte, hatte ihn Embry schon aufgehoben. Ich seufzte leise. „Lass das bitte. Ich mach das schon“, meinte ich und sammelte die restlichen Zettel ein. „Stirb Freak?“, las er laut vor. Nachdenklich sah ich zu ihm und nahm ihm den Zettel aus der Hand. Ich hatte nicht gewollt, dass er sie weder sah noch las. Was würde er nun von mir denken? „Amüsant, nicht?“, kommentierte ich die Botschaft meiner Mitschüler und drückte ihm die Jacke in die Hand. Embry biss seine Zähne zusammen. In seinen Augen flackerte der Zorn auf, aber auch Schmerz. Es verwirrte mich, dass er sich die bescheuerte Aussage so zu Herzen nahm, wo es ihn doch gar nicht betraf. „Warum tun sie so etwas?“ Er hatte seine Hände zu Fäusten geballt und schien innerlich zu brodeln. Irgendwie war ich glücklich darüber, dass es ihn so aus der Fassung brachte. So als würde ich ihm etwas bedeuten. Kurz überlegte ich, was ich tun sollte. Ich war noch nie mit einer derartigen Situation konfrontiert gewesen. Zögernd hob ich meine linke Hand und strich ihm über seinen Arm. Anders als ich war er dem Körperkontakt nicht abgeneigt und vielleicht beruhigte ihn das. Überrascht versteifte sich seine Armmuskulatur bei der Berührung, entspannte sich aber sofort. Wieder fiel mir auf, wie unnatürlich heiß er war. Embry lächelte mir liebevoll zu, doch ich konnte erkennen, dass er auf eine Antwort wartete. Ich seufzte und zog meine Hand wieder zurück. „Keine Ahnung? Wirklich. Weil es vielleicht zutrifft?“ Letzteres war an mich selbst gerichtet, doch er schien es zu hören. „Was meinst du damit? Auf mich wirkst du nicht wie ein Monster … im Gegenteil … Du“, fing er an, doch ich schüttelte nur mit dem Kopf. „Lass gut sein, Embry. Monster hin oder her … ich hab einen riesen Hunger! Ich werde mich jetzt auf den Weg nach Hause machen. Mein Vater müsste auch bald daheim sein“, warf ich ein und lächelte ihn schief an. Ich wollte weg von ihm. In seiner Gegenwart war ich nicht ich selbst. Sein Blick war unergründlich. „Okay ... Ich begleite dich sicher nach Hause“, nickte er und lächelte mich leicht an. Ich protestierte nicht dagegen, denn er wirkte zu entschlossen, um ihn von dieser Idee abbringen zu können. Wir gingen schweigend nebeneinander her. Embry hatte kein Wort gesagt, weshalb ich ihm dankbar war. Ich war in seiner Gegenwart einfach nicht mehr ich selbst. Er löste in mir so viele Gefühle aus, dass ich nicht mehr wusste, wohin mit all den Empfindungen. Es war fast so, als würde mein einst zu Eis gewordenes Herz, von einer unglaublichen Wärme umhüllt. Er war wie Nina. Embry riss meine selbst gezimmerten Mauern nieder und drang einfach zu mir durch. Ob ich es wollte oder nicht, stand gar nicht zur Debatte. Ich verstand diese Gefühle nicht. Wie konnte ich einen Menschen schon nach einem Tag mögen? Ich wusste nicht einmal, was seine Lieblingsfarbe war, oder was er gerne aß. „Sag mal … Was ist denn eigentlich deine Lieblingsfarbe?“, schoss mir die Frage aus dem Mund. Verwirrt blieb er stehen und fing an zu lachen. „Was ist bloß los mit dir? Du verhältst dich komisch Ana. Hast du Fieber?“, er legte seine Hand auf meine Stirn und betrachte mich mit einer gespielten Ernsthaftigkeit. „Nein … Fieber hast du keines“, lächelte er mich schief an. Fassungslos starrte ich ihn an. „Fieber? Ich? So heiß, wie du bist, solltest du dich lieber, um dich selbst sorgen!“, rief ich besorgt und machte es ihm nach. Er war wirklich brennend heiß. Dass er da noch normal auf den Beinen stehen konnte, war unglaublich. „So? Du findest mich heiß?“ In seinen Augen war deutlich der Schalk zu erkennen. Ich schnalzte nur mit der Zunge und ging weiter ohne ihm darauf zu antwortet. Er machte sich über mich lustig. Natürlich tat er das! Wer würde sich nicht über einen Idioten, wie mich lustig machen? Als ich seine Schritte hinter mir hörte, schlug mein Herz laut gegen die Brust. Ich hatte das Gefühl, die Kontrolle über alles zu verlieren. Embry warf mich total aus der Bahn. Er war wie eine monströse Welle, die mich einfach mit sich riss. Nervös biss ich mir auf die Lippen. Was sollte ich bloß tun? Das hier war alles nicht normal. Embry war nicht normal. Er hatte so hohes Fieber, das er nicht mehr klar denken konnte. Das musste es sein! Denn niemand bei klarem Verstand würde sich so wechselhaft wie er verhalten. Niemand, der bei Sinnen war, würde sich mit mir abgeben. „Das ergibt Sinn“, dachte ich laut nach. So blöde Märchen, von denen Nina sprach, gab es nicht. Warum vergaß ich das immer, sobald ich ihn sah? „Was ergibt Sinn Ana?“, in seiner Stimme schwang Verwirrung mit. Ich blieb stehen und sah ihn mit schmalen Augen an. Er war definitiv schön. So schön, dass es mir nicht leicht fiel, meinen Blick von seinem Gesicht abzuwenden. Sein Körper war muskulös, aber nicht stämmig. Eher so wie bei einer Wildkatze. Schlank und kräftig. Als ich ihm wieder ins Gesicht sah, grinste er verschmitzt. „Was soll das denn werden?“ „Embry … was führst du im Schilde?“, fragte ich ihn direkt. Ich war noch nie der Typ gewesen, der gerne um den heißen Brei redete. „W-Was meinst du?“ Meine Frage schien ihn sichtlich zu überrumpeln. Ich seufzte nur und ging weiter. Es war leichter für mich meine Gedanken zu ordnen, wenn ich in Bewegung war. „Hör zu. Ich verstehe es, wenn du deinen Spaß haben willst. Dich wegen gestern rächen möchtest oder einfach nur eine Wette verloren hast. Aber … bitte nicht mit mir.“ Ich blieb kurz stehen, und sah über die Schulter zu ihm. Er starrte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, als wäre ich von allen guten Geistern verlassen. Das war ich auch. Wegen ihm. Und ich musste schnell wieder in meine Normalität zurück. „Embry, sieh dich doch an. Du bist … einfach nur … wow … und ich … ich weiß, wie ich aussehe. Bitte sei ehrlich zu mir. Ich möchte nicht verarscht werden“, flehte ich ihn an. Ich musste es endlich von meiner Seele runterreden und irgendwie, dachte ich mir, dass jetzt der beste Augenblick war. Als ich mich zu ihm umdrehte, stand er ein paar Schritte von mir entfernt. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht interpretieren. Kurz flackerte in seinen Augen die Wut auf. Genau wie vorhin, als der den bescheuerten Brief meiner Mitschüler gelesen hatte. „Ich habe keine Wette verloren, noch möchte ich mich an dir rächen … für was denn überhaupt? Ich kann es dir auch nicht richtig erklären … aber bitte zweifle nicht an meiner Ehrlichkeit. Das mein ich ernst“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Seine Stimme war heiser und er schien wirklich unter meinen Worten zu leiden. Mal wieder hatte ich es geschafft, ihn zu verletzten. Mein Herz zog schmerzhaft zusammen, als ich die Verzweiflung in seinen Augen sah. Irgendwo in meinem Inneren beschloss ich, ihm zu vertrauen. Ich wollte daran glauben, dass auch mir ein wenig Glück im Leben zustand. Dass er wirklich nichts im Schilde führte. Ohne es innerlich auszudiskutieren, ging ich auf ihn zu und umarmte ihn. Es war meine erste Umarmung seit Jahren und es fühlte sich verdammt gut an. Embry selbst schien diese Reaktion von mir genauso wenig erwartet zu haben, wie ich, denn er stand zuerst, wie versteinert, da, bis er meine Umarmung erwiderte. Seine Umarmung war heiß, doch irgendwie total angenehm. Es war, als würde auch die letzte Zelle in meinem Körper von seiner unmenschlichen Hitze erwärmt werden. Das einzige was mir in diesem Moment durch den Kopf ging, war eine kleine Passage aus meinem Literaturbuch. Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt. - Pascal Blaise   Kapitel 5: ----------- „Du hast was?“, fassungslos starrte mich Nina an. Ich seufzte. Sie hatte mich schon den ganzen Tag mit Fragen durchlöchert, doch ich war standhaft geblieben. Bis jetzt. Irgendwann konnte nicht einmal mehr ich sie ignorieren, und das sollte schon was heißen. Dennoch ging es mir gegen den Strich. Sie würde bestimmt nur wieder davon reden, dass alles so romantisch war und er mit Sicherheit mein Seelenverwandter sein musste. „Du hast ihn allen Ernstes umarmt?“, kreischte sie. Ich zischte sie an, und deutete ihr, dass sie leise sein sollte. Die Gäste im Kaffee starrten uns nämlich schon an. „Du hast ihn allen Ernstes umarmt?“, flüsterte sie mir zu. Ich verdrehte meine Augen und kicherte leise. Irgendwie war ihre Reaktion zu komisch. Immer steigerte sie sich in alles hinein, es war witzig ihr dabei zuzusehen. „Kneif mich bitte einmal“, hörte ich sie murmeln, weshalb ich verwirrt innehielt. Was war denn nun schon wieder los? Ich sah mich im Kaffee um, aber es schien nichts zu sein. Ich zuckte mit den Schultern und kam ihrer Aufforderung nach. „Au … sag mal, spinnst du?“, zischte sie und rieb sich die Stelle am Oberarm, wo ich sie gezwickt hatte. „Du sagtest ich …“, fing ich an mich zu verteidigen. „Ich weiß was ich gesagt habe. Mann, das sagt man bloß so“, murrte sie. Ich wusste von diesem Sprichwort, wollte es aber dennoch machen. Als kleine Strafe für ihre unsagbare Neugierde. „Oh“, nickte ich ihr zu, „Verstehe.“ Ich stellte mich absichtlich unwissend. Nina boxte mich auf die Schulter und schnaufte. „Tu nicht so blöd“, grinste mich belustigt an. Ihr schien diese Situation zu gefallen. Das war Mal wieder typisch für sie. „Also zurück zum Thema. Warum hast du ihn umarmt? Ich dachte, so etwas wäre ein No-Go für dich“, schmollend verzog sie ihre Lippen. „Ich durfte dich noch nie umarmen“, ergänzte sie murmelnd. Ich sah sie überrascht an. War sie etwa eifersüchtig auf Embry? Erneut musste ich kichern. Dieser Gedanke war grotesk. Nina war meine Freundin und Embry – Embry war halt einfach nur Embry. Ich konnte es nicht wirklich beschreiben. „Du wirkst so glücklich. Egal was er getan hat, es scheint dir gut zu tun. Ich habe dich noch nie kichern gehört. Und den ganzen Tag wirkst du, wie ausgewechselt“, lächelte sie mich an. Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin so wie immer.“ Belustigt hob Nina ihre Augenbrauen an und musterte mich. Ich hatte das Gefühl rot zu werden, weshalb ich wegsah. „Nein. Selbst in der Schule hattest du nicht deinen üblichen ‚Wenn ihr mir zu nahe kommt, reiß ich euch in Stücke‘-Blick aufgesetzt. Es war richtig ungewohnt. Beängstigend“, erklärte sie mir. Ich sah sie verstört an. Sie fand es allen Ernstes beängstigend, wenn ich nicht böse guckte? Nina war wirklich der merkwürdigste Mensch, der mir je begegnet war. Mit Abstand! Die Türglocke läutete mit einem gewohnt hellen Klingeln auf. Ich musste gar nicht zur Tür sehen, um zu wissen, wer gekommen war. Ninas Grinsen sprach Bände. „Hallo Embry“, zwitscherte Nina freudig. „Hi Nina. Ana, hallo“, er grinste uns an. Mein Magen zog sich zusammen, als ich seine Stimme hörte. Sie war so wunderschön tief und triefte vor Wärme. Es musste unsagbar schön sein, wenn man von dieser Wärme ein ganzes Leben lang umgeben war. Seine braunen Augen fixierten mich, weshalb ich schnell wieder wegsah. Die Erinnerung an gestern, war noch immer frisch und ich hatte es noch nicht wirklich verarbeitet, um locker damit umgehen zu können. Ich hörte Nina kichern. „Na Embry. Wie geht’s?“, fing sie ein Gespräch mit ihm an. In diesem Moment deute uns ein Pärchen, das es gerne bezahlen würde. Ich sah fragend zu Nina, die mir mit ihrem Blick signalisierte, dass ich gehen sollte. Ein leiser Seufzer entwich mir, als ich zu den Gästen ging. Nina war wunderbar. Sie konnte so einfach auf Menschen zugehen und mit ihnen reden. Ich nicht und dafür beneidete ich sie. Ich konnte nie auf jemanden offen zugehen. Sobald mir jemand viel zu nahekam, verschloss ich mich. Es war ein selbst generierter Schutzmechanismus meinerseits. Man sagte nicht umsonst, dass die Menschen, die einem Nahe standen, einen am meisten verletzten konnten. Deswegen ließ ich es gar nicht so weit erst kommen. Ich sah kurz zu Embry und Nina. Normalerweise ließ ich es nicht zu. Doch die Zwei waren mühelos über meine Mauern zum Herzen geklettert und waren nun ein Risikofaktor. Eines, das ich bei Embry noch immer versuchte einzuschränken. Als die Gäste bezahlt hatten und ich den Tisch abräumte, hörte ich Nina lachen. Verwirrt sah ich zu ihnen und konnte sehen, wie Embry sich verlegen am Kopf kratzte. Ein merkwürdiges Gefühl breitete sich in mir aus. Es war voller Bitterkeit und Enttäuschung. Ich kannte es nicht und es gefiel mir nicht. Ich schüttelte kurz den Kopf und ging zurück zum Tresen. „Worüber redet ihr?“, fragte ich, während ich das Geschirr in die Spülmaschine legte. „Ach … nicht so wichtig“, kicherte Nina und zwinkerte Embry zu. Dieser grinste sie an. Er schien sich prächtig mit Nina zu amüsieren. Anders als bei mir. Ich brachte ihn immer nur zur Verzweiflung. Erneut sah ich zu Nina. Ich nahm ihr Gespräch gar nicht wahr, sondern beobachtete sie nur. Nina wirkte so fröhlich, nahezu gelassen. Ganz anders als ich, wenn ich mich mit Embry unterhalten wollte. Ich war immer in Gedanken und verwirrt. Um ehrlich zu sein, fand ich Nina passend für Embry. Sie waren vom Aussehen her komplett unterschiedlich und doch beide auf ihre Art wunderschön. Vielleicht sollte ich sie miteinander verkuppeln? Sie waren meine Freunde. Tat man so etwas nicht füreinander? Erneut überkam mich dieses merkwürdige Gefühl. Ich hatte das Gefühl, dass sich mein Magen verknotete und mir wurde unsagbar schlecht. „Naja. Ich muss leider wieder los“, hörte ich Embry sagen. Verwirrt sah ich zwischen ihnen. Warum musste er schon gehen? Weshalb war er überhaupt hier hergekommen, wenn er keine Zeit hatte? „Schade …“, säuselte Nina und schielte zu mir. Ein stiller Aufruf an mich, dass ich auch etwas sagen sollte. „Ist gut“, nickte ich ihm, ohne ihn anzusehen, zu. Erneut brachte mich Embry durcheinander. Erneut wusste ich nicht, was ich in seiner Gegenwart machen sollte. Es war zum Verzweifeln. Als ich Nina damals kennengelernt hatte, waren meine Gefühle nicht so durcheinander gewesen. Ich konnte normal denken und rationale Entscheidungen treffen. „Na dann. Bis morgen“, hörte ich Embry noch sagen. Irgendwie klang er enttäuscht. War es wieder wegen mir? Verzweifelt biss ich mir auf die Lippen und beschloss die Kuchenauslage zu putzen. Vielleicht würde mich so etwas ablenken. Als die Türglocke klingelte, schielte ich kurz zur Nina. Sie hatte ihre Hände in ihre Hüften gestemmt und sah mich wütend an. „Warum bist du immer so unhöflich?“, sie schüttelte fassungslos ihren Kopf. Ich sah sie verwirrt an. Würde ich mein Benehmen wirklich als unhöflich einstufen? Vermutlich. Ich atmete schwerfällig aus und strich mir meine Haare hinters linke Ohr. „Ich weiß nicht“, murmelte ich nur und sah weg. Ich hoffte inständig, dass sie das Thema fallen lassen würde. Nina schnalzte bloß mit der Zunge und ging nach hinten in den Pausenraum. „Wir haben morgen einen Mathetest. Kann ich zu dir kommen? Ich hab noch ein paar Fragen, bei denen du mir helfen musst“, fragte mich Nina, als ich vor meiner Haustür stand. Lächelnd sah ich zu ihr und nickte. „Klar!“ Sie hatte seither nicht von Embry gesprochen, weshalb ich ihr dankbar war. Ihre Kommentare zu Embry fand ich unangenehm, erst recht wenn sie wieder von ihren Romanen sprach und mir weiß machen wollte, dass es so etwas wirklich gab. „Hallo Paps“, grüßte ich meinen Vater, als ich ihn im Wohnzimmer sah. Allem Anschein nach hatte er heute früher nach Hause gehen können. „Yo Paps“, Nina hob ihre Faust, was mein Vater ihr gleich tat, und grüßte ihn. Sie nannte ihn auch Paps, weil sie es komisch fand. Meinen Vater schien es nicht zu stören und um ehrlich zu sein, ich hatte das Gefühl, dass die beiden auf derselben Wellenlänge waren. Ich konnte nie mit meinem Vater so natürlich umgehen, wie sie es tat. Es war, als würde ich aus einem parallelen Universum auf sie blicken. Als wäre ich tatsächlich ein Freak, der nicht in diese Welt passte. Mir hat mein Vater früher wirklich leidgetan. Er hatte sich nach dem Unfall schrecklich gefühlt und als wäre das nicht genug gewesen, hatte er auch noch eine sozial-gestörte Tochter. Deshalb freute ich mich umso mehr, dass es Nina gab. Seit sie hier war, konnte ich mich auch meinen Vater gegenüber immer mehr öffnen. Sie war die einzige Person auf dieser Welt, die zu mir durchdringen konnte. Deshalb war sie so etwas, wie meine kleine Botschafterin an meine Umgebung. „Na wie war euer Tag, Mädels?“, fragte er gelassen. Er saß auf der Couch und sah sich ein aufgenommenes Baseballspiel an. „Gut“, meinte ich und ging in mein Zimmer um mir gemütlichere Klamotten anzuziehen. In meinem Zimmer öffnete ich das Fenster auf Kippe und sah mich um. Es wirkte so unpersönlich und leer. Ich hatte weder Fotos noch andere dekorativen Arrangements aufgestellt. Denn ich war der Überzeugung, dass es nicht zu meinem Leben passte, wenn alles bunt wäre. Das einzig Farbliche in meinem Zimmer waren die unterschiedlichen Grüntöne meiner Bettwäsche, die mich an den Wald erinnerten. Ich liebte den Wald sehr, denn auf eine paradoxe Art und Weise identifizierte ich mich mit ihm. Mit einem übergroßen Sweatshirt und Jogginghose ging ich ins zurück ins Wohnzimmer und sah die zwei liebsten Menschen in meiner Welt lachen. „Was ist denn so lustig?“, fragte ich, während ich in die Küche ging. „Ich hab Paps nur von Frau Miller erzählt. Wie du sie gestern fertiggemacht hast“, kicherte Nina. Ich schmunzelte bei dieser Erinnerung. Ich ging in die Küche und inspizierte den Kühlschrank nach möglichen Zutaten. „Was soll ich uns denn kochen?“, fragte ich. „Wie wär’s mit Pizza? Ihr müsst heute sowieso noch lernen“, schlug mein Vater vor. „Oh ja. Pizza find ich klasse. Ich nehme eine Salami“, stimmte Nina begeistert zu. Ich nickte ihnen seufzend zu und setzte mich zum Esstisch, der mitten im Raum stand. „Spatz, du möchtest eine Thunfischpizza oder?“, fragte mein Vater, während er nach seinem Handy griff, das auf dem Wohnzimmertisch lag. Ich nickte. „Ja. Eine Kleine.“ „Juhu … Pizza“, rief Nina begeistert, als Vater aufgelegt hatte. Dieser lachte nur und schüttelte den Kopf. Ich lächelte ihnen zu. Vater lachte immer, wenn Nina da war. Dafür war ich ihr dankbar. Ihre unbeschwerte Art war das Beste, was uns passieren konnte. „Ach Paps. Hat dir Ana eigentlich von Embry erzählt“, grinste sie meinen Vater an. Mit offenem Mund sah ich zu ihr. Sie konnte doch nicht einfach so über einen Mann mit meinem Vater reden. Neugierde blitzte in seinen Augen auf, als er zu mir blickte. „Nein. Wer ist dieser Embry?“ „Dein zukünftiger Schwiegersohn“, lachte Nina und klopfte ihm auf die Schulter. Mit offenem Mund starrte ich meine Freundin an. Sie hatte nicht mehr alle Tassen im Schrank. „Wirklich?“, skeptisch musterte er Nina. Wahrscheinlich dachte er dasselbe. Keiner, der noch ein Fünkchen Verstand besaß, würde so etwas behaupten. „Aber ja doch. Sie hat ihn gestern sogar umarmt. Kannst du dir das vorstellen. Umarmt!“, verkündete sie entsetzt. Jetzt verstand ich, woher der Wind wehte. Sie verzieh es mir immer noch nicht, dass ich das getan hatte. „Was hat sie? Unmöglich. Sie umarmt ja nicht einmal mich! Und ich bin ihr Vater“, entrüstet sah er zu mir. Fassungslos schüttelte ich den Kopf. Sie machten aus einer Mücke einen Elefanten. Und es war ja nicht so, dass ich es absichtlich getan hatte. Mein Körper hatte sich von selbst bewegt, als ich seinen verzweifelten Gesichtsausdruck gesehen hatte. Ich war Menschen zwar nicht so offen gegenüber, wie Nina, doch ich ertrug es nicht, wenn jemand wegen mir traurig war. Nicht nachdem mir Nina die Augen geöffnet hatte und ich meine Umgebung nun viel deutlicher wahrnahm. „Ja. Heute war er bei uns im Kaffee und sie ist total rot geworden“, hörte ich Nina kichern. „Ist sie das?“ Ungläubig starrte ich die zwei an. Sie diskutierten darüber, ob mich Embry mochte und was es mit meiner plötzlichen Akzeptanz von Körperkontakt auf sich hatte. Schmollend saßen sie da, und überlegten sich eine Strafe für mich, da ich ihnen nie diese Art von Zuneigung entgegenbrachte. Das Ganze war einfach nur lächerlich. Embry war mir nicht einmal ansatzweise so wichtig, wie sie. Ich konnte nicht anders, als lauthals darüber zu lachen. Sie hielten inne mit ihrer hitzigen Diskussion und starrten mich mit offenem Mund an. Schmunzelnd wischte ich mir die Lachtränen weg und sah sie fragend an. „W-Was?“, fragte ich verwirrt. „Du lachst“, murmelte mein Vater und sah mich mit glänzenden Augen an. Kapitel 6: ----------- Nervös starrte ich auf die Uhr, die an der Wand hing. In fünfzehn Minuten war meine Schicht zu Ende. Ich seufzte. Normalerweise konnte ich es kaum erwarten, dass der Donnerstag verging, da ich alleine im Kaffeehaus war und es manchmal unerträglich langweilig werden konnte. So wie heute zum Beispiel. Kein einziger Kunde war in der letzten halben Stunde vorbeigekommen. Doch anders als sonst hoffte ich heute darauf, dass die Zeit langsamer verging. Embry hatte mir gestern geschrieben, dass er heute vorbeischauen würde, nachdem er gestern keine Zeit gehabt hatte. Wir hatten am Montag, nachdem er mich nach Hause begleitet hatte, unsere Telefonnummern ausgetauscht. Embry hatte diesen traurigen Blick aufgesetzt gehabt, als ich ihm gesagt hatte, dass ich meine Nummer nicht einfach so hergab. Wahrscheinlich hatte er mich durchschaut und wusste mittlerweile, wie er etwas von mir bekommen konnte. Doch das Überraschendste an dieser Sache war die Tatsache, wie viel mir seine Kurzmitteilungen bedeuteten. Als ich am Montagabend seine erste Nachricht bekommen hatte, wollte mir mein Herz aus der Brust springen. Irgendwie liebte ich dieses Gefühl, dass seine Nachricht in mir auslöste. Es entspannte mich, von ihm zu lesen. Ein schrilles Lachen entwich mir. Das Ganze war doch absurd. Ich kannte ihn nicht einmal und doch machte ich mir so viel aus ihm. Es bestand kein Zweifel darin, dass er mir wichtig war. Nina hatte mich den ganzen Tag in der Schule blöd angegrinst, als ich jede Pause nach dem Handy griff und sehnsüchtig auf eine Nachricht von ihm gewartet hatte. Um mich ein wenig zu beschäftigen, ging ich zu den einzelnen Tischen und putzte sie nochmals gründlich. Ich verstand nicht, wann ich von ihm abhängig geworden war. Das passierte mir alles viel zu schnell. Auch wenn ich beschlossen hatte auf ihn mehr einzugehen und ihm zu vertrauen, so fand ich meine Reaktion und meine Gefühle dennoch beängstigend. Vor nicht einmal einer Woche war ich unnahbar gewesen. Mein Herz war zu einem Eisklumpen gefroren und mir war alles egal gewesen. Doch jetzt schlug es wild in der Brust, wenn ich an ihn dachte. Es blieb stehen, wenn ich ihn sah und es wurde ganz warm, wenn er mich anlächelte. Konnte ein Mensch wirklich nach nur wenigen Tagen so abhängig von einem werden? Erst recht jemand, wie ich? "Ana. Du kannst Schluss machen", holte mich Mollys schrille Stimme aus den Gedanken. Ich sah zur Uhr. Es war fünf nach sieben. Ich sollte wirklich nach Hause gehen. Mein Vater würde auch bald kommen und ich musste noch das Abendessen zubereiten. "Hier, das kannst du mitnehmen. Ich glaube kaum, dass heute noch wer kommt", Molly reichte mir eine Kartonbox, in welche sie die Reste vom Apfelstrudel hinein legte. Es war der Apfelstrudel, von dem Embry ständig schwärmte. Vielleicht sollte ich Molly nach dem Rezept fragen, und selbst einen für ihn backen? Entschlossen verwarf ich den Gedanken wieder. Ich sollte nicht so viel an ihn denken. Immerhin dachte ich auch nicht ständig an Nina. Warum sollte es bei ihm anders sein? "Danke Molly.", ich lächelte sie an. Sie war wirklich ein überaus netter Mensch. "Schon okay. Bis Sonntag!", sie grinste mich herzlich an. Ich nickte ihr zu. "Bis Sonntag dann!" Als ich aus dem Laden ging, zog ich mir meine Kapuze tiefer ins Gesicht, denn es regnete in Strömen. Auch heute hatte ich ihn nicht gesehen. Vielleicht hatte er eine Freundin? Vielleicht fand sie es schräg, dass er plötzlich so oft ins Kaffee ging und hatte es ihm untersagt? Bei seinem Aussehen würde es mich nicht überraschen, wenn er eine Freundin hätte. Immerhin hatte er nie behauptet, mich zu mögen oder an mir interessiert zu sein. Das war nur Ninas verträumtes Gerede gewesen. Stockend atmete ich ein, als ein stechender Schmerz sich in meiner Brust ausbreitete. Nachdenklich griff ich mit meiner Hand in die nasse Jacke. Es fühlte sich so an, als würde ein riesen Loch in meiner Brust entstehen. Ich hatte gestern davon im Internet gelesen. Dieses Gefühl entstand, wenn eine geliebte Person sich von einem abwand. Wie versteinert stand ich da und sah hoch zum Himmel. Der Regen fiel mir ins Gesicht, doch es störte mich nicht. Meine Gedanken drehten sich alle um Embry. War Embry eine geliebte Person für mich? Konnte es wirklich sein, dass ich mir mehr von ihm erwarte als Freundschaft? Tränen stiegen mir in die Augen und vermischten sich mit den Regentropfen, die mein Gesicht herunter bahnten. Ich war ein Idiot. Ein naives, bescheuertes Mädchen. Ich hatte mich doch nicht allen Ernstes in Embry verliebt? Nach nur drei Tagen? Das war gar nicht gut! Was war bloß mit all meinen Vorsätzen? Was hatte Embry nur an sich, dass er mich komplett veränderte? Ich holte mein Handy heraus und betrachtete den leuchtenden Bildschirm. Nichts. Keine Nachricht. Kein Anruf. Ich öffnete mein Telefonbuch und starrte die vier aufgelisteten Nummern an. Paps, Nina, Molly und Embry. Wenn ich seine Nummer jetzt löschen würde, könnte ich vielleicht noch das Schlimmste verhindern. Es war noch nicht zu spät. Plötzlich packte mich eine Hand an die Schulter. Erschrocken ließ ich mein Handy fallen und starrte zu meiner personifizierten Hölle hoch. Embry. "Ana. Gut das ich dich erwische. Es tut mir leid! Ich konnte nicht früher kommen, weil … naja ich konnte halt nicht", erklärte er, während er sich hinunterbeugte und mein Handy aus der Pfütze fischte. "Gut … es ist noch … heil", er stockte und sah mich an. Sein fröhlicher Gesichtsausdruck wurde trübselig. Ich biss mir auf die Lippen und sah weg. Er hatte es gesehen. "Wieso willst du meine Nummer löschen? Hab ich etwas gemacht?", fragte er mit verzweifelter Stimme. Ich schwieg. Seine Reaktion und der schmerzerfüllte Blick setzten mir enorm zu. Ich wollte ihn nicht verletzten. Nein. Ich wollte mich nur vor ihm beschützen. Ich seufzte, während ich ihm das Handy aus der Hand nahm. "Ich hab mich bloß verdrückt", log ich. Ich wusste, dass er es durchschaut hatte, doch er lächelte mir nur zu. Es war diese Art von Lächeln, das einem das Herz herausriss. Wenn es so offensichtlich falsch und gezwungen war. Mein schlechtes Gewissen meldete sich. "Tut mir leid … ich weiß auch nicht … es war eine Überreaktion", versuchte ich ihm zu erklären, ohne seinen Blick zu erwidern. "Eine Überreaktion auf was?", bohrte er weiter nach. Ich schüttelte nur den Kopf. "Nichts", hauchte ich. "Verstehe … wie war dein Mathetest?", wechselte er das Thema. Überrascht sah ich zu ihm. Ich verstand ihn nicht. Warum nur tat er sich das an? Ich war keine gute Gesellschaft und ich hatte ihn offensichtlich verletzt. "In Ordnung denke ich. Eine Eins sollte sich locker ausgehen", antwortete ich ihm heiser. Der Klos in meinem Hals wurde immer größer. Ich fühlte mich schlecht. "Ist etwas passiert? War etwas in der Schule vorgefallen?", er wirkte nachdenklich. Seine Augen blickten zu mir herab und ich konnte die Sorge in ihnen erkennen. Mein Herz blieb stehen. Ich hatte das Gefühl, von seinen Augen aufgesogen zu werden. Warum kümmerte er sich um mich? Ich fügte ihm die ganze Zeit Schmerzen zu und doch war seine Sorge um mich größer. Das ergab doch keinen Sinn. „Ana?“, seine warme Stimme riss mich aus meinen Gedanken. "Nein. Alles Okay. Wie war dein Tag?", erwiderte ich in der Hoffnung, dass die Spannung zwischen uns weniger wurde. Ich setzte meinen Weg nach Hause fort, während ich auf seine Antwort wartete. "Schrecklich. Ich hab die Nächte fast kein Auge zu bekommen und musste heute auch noch einen Wagen fertigbekommen." Embry beendete seinen Satz mit einem herzhaften Gähnen. Er hatte mir am Montag in einer Nachricht geschrieben, dass er nach der High School mit einer Ausbildung zum Automechaniker begonnen hatte. Schon seit er ein Teenager war, hatten er und sein Kumpel gerne an Autos und Motorrädern geschraubt. "Warum konntest du denn nicht schlafen?" Nachdenklich sah ich ihn an. Embry starrte mich entsetzt an, als hätte er etwas gesagt, dass er nicht durfte. "Naja … Schlafstörungen", lachte er nur. Sein Lachen wirkte gehetzt und nicht wirklich echt. Ich schwieg. Darüber würde ich mir später Gedanken machen. Aber eigentlich konnte es mir auch egal sein. Wir waren kein Paar oder etwas dergleichen. Vielleicht konnten wir gute Freunde werden. Auch wenn meine Gefühle für ihn schon weitaus fortgeschrittener waren. „Oh. Bevor ich es vergesse. Hier“, ich holte aus meiner Umhängetasche die kleine Kartonbox hervor. „Mollys Apfelstrudel“, erklärte ich ihm, als er mich fragend ansah. „Für mich? Du hast an mich gedacht? Klasse. Danke Ana.“ Die Wärme und Freude, die seine Augen ausstrahlten, verschlugen mir die Sprache. Embry. Ich verstand ihn kein bisschen. Er überforderte mich. Es waren diese Reaktionen, die mein Herz schneller schlagen ließen und ich konnte mich nicht einmal dagegen schützen. "Huyana?" Verwirrt sah ich hoch und entdeckte meinen Vater. Er stand vor der Eingangstür des Wohnhauses. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich schon zu Hause war. Wahrscheinlich wäre ich daran vorbeigelaufen. "Paps", schnappte ich erschrocken nach Luft, als mir die Situation klar wurde. Embry stand neben mir und mein Vater würde es nach dem gestrigen Gespräch missverstehen. "Huyana?", hörte ich Embry erstaunt fragen. Ein Blick zu ihm verriet mir, dass er verwirrt zwischen meinem Vater und mir sah. "Ja … Huyana mag ihren Namen nicht sonderlich, deswegen hat sie jedem aufgezwungen, dass man sie Ana nennt", lachte mein Vater. "Also mir gefällt dein Name", grinste Embry, weswegen ich sofort rot anlief. "Das finde ich auch. Den hat sie von meiner Großmutter. Sie hieß auch Huyana", erklärte mein Vater. Er hatte noch nie Probleme damit gehabt, auf Menschen zu zugehen. Ich beneidete ihn immer darum, doch jetzt fand ich es irgendwie unpassend. "Ich dachte mein Name bedeutet 'fallender Regen' in der indianischen Sprache und ihr habt mir den Namen gegeben, weil es damals geregnet hatte, als ich zur Welt kam?", fragte ich verwirrt. Ich hörte zum ersten Mal davon, dass meine Urgroßmutter denselben Namen hatte. "In Forks regnet es immer. Aber ja, auch damals war das Wetter grauenhaft gewesen", lachte er nur. "Ich bin Andrew, Anas Vater. Freut mich", er reichte Embry die Hand. "Embry. Freut mich Sie kennenzulernen", erwiderte er. "Embry! Ich hab schon einiges von dir gehört. Möchtest du mit rein kommen? Den Freund meiner Tochter würde ich gerne Mal kennenlernen", er sah mich grinsend an. Er schien wirklich glücklich darüber zu sein. Ich biss mir auf die Lippen. Mir wurde das Ganze zu viel. Warum musste mein Vater nur so peinlich sein? Was ging nun durch Embrys Kopf? Dachte er jetzt, dass ich die ganze Zeit von ihm schwärmte? In gewisser Weise tat ich das auch, aber war so etwas nicht privat? Ich fühlte, wie mir die Hitze in den Kopf stieg. Peinlich berührt schielte ich hoch zu ihm. Embry schien die Reaktion meines Vaters nichts auszumachen. Er zwinkerte mir lediglich zu und grinste. "Das nächste Mal vielleicht. Ich habe noch einen weiten Weg nach La Push", meinte er lächelnd. "Oh. Du kommst aus dem Reservat? Ich hätte nicht gedacht, dass Ana jemals einen Freund aus La Push haben würde", er lächelte mich etwas traurig an. Doch ich war noch zu benommen von Embrys Aussage, um auf Vater zu reagieren. Ich hatte keine Ahnung, von wo er kam. Ich hatte immer angenommen, dass er hier in Forks lebte. Natürlich sah er aus, wie einer vom Reservat. Doch das hieß nichts. Das tat ich nämlich auch. Embry sah mich verwundert an. Ich wusste, was für eine Frage ihm auf der Zunge lag. Er fragte sich bestimmt, warum ich keinen Freund aus La Push haben wollte. "Naja. Wir sollten nicht mehr länger hier im Regen stehen. Bis dann Embry." hektisch zog ich meinen Vater am Ellenbogen. Beide sahen mich verwirrt an, nickten mir aber doch zu. "Es hat mich gefreut Embry. Komm doch am Wochenende vorbei, damit wir uns näher kennenlernen", lud ihn mein Vater ein. Embry strahlte ihn erfreut an und nickte. "Abgemacht, Sir. Huyana … wir schreiben uns noch", lächelte er mir zu und ging. Ich winkte ihm kurz zu, ehe ich zu meinem Vater sah. "Er ist nicht mein Freund, Paps", murmelte ich und ging ins Wohnhaus hinein. "Nicht? Ich dachte nur … naja … vielleicht bald. Immerhin hat er es nicht verneint", lächelte er. "Sollten Väter nicht anders auf den ersten Freund ihrer Tochter reagieren?" Ich zog meine Augenbrauen fragend nach oben und musterte meinen Vater skeptisch. "Klar. Schon. Aber … ich freue mich so ", grinste er verlegen. Ich seufzte nur. Denn ich hatte seinen unausgesprochenen Satz verstanden. Er freute sich für mich, weil er mich eigentlich der Kategorie 'Hoffnungsloser Fall' zugeordnet hatte. Ich nahm es ihm nicht übel, denn ich war es, die es ihm mit fünfzehn gesagt hatte. Er wollte mich damals aufklären, was schon peinlich genug war. Doch als er anfing zu fragen, ob ich einen Freund hätte, explodierte ich. In meiner pubertierenden Phase hatte ich ihm schnippisch erklärt, dass ich niemals einen haben würde, denn mein Körper wäre eine Zumutung für denjenigen. Das war das letzte Mal, dass ich in seiner Gegenwart über mein Aussehen geredet hatte. Denn seinen verletzten Blick von damals würde ich nie vergessen. "Wie alt ist der Junge eigentlich? Ich hatte mir aus Ninas Erzählung jemanden Jüngeren vorgestellt", fragte er, während er die Tür aufsperrte. Ich zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass er eine Ausbildung zum Automechaniker macht. Demnach dürfte er nicht so alt sein", erwiderte ich murmelnd. Nach dem Abendessen lag ich ihm Bett und starrte die Decke an. Embry war mir wichtig, das konnte ich nicht mehr bestreiten. Er hatte es irgendwie geschafft, mein zerbrochenes Herz für ihn höher schlagen zu lassen. Ich verstand es selbst nicht. Immerhin kannte ich ihn kaum, doch mein Herz hatte sich schon längst selbstständig gemacht und das konnte ich nicht leugnen. Dennoch. Wenn ich tief genug in mich hineinhörte, konnte ich diese leise Stimme flüstern hören, die Embry nicht mochte. Ihn sogar verabscheute. Jedes Mal wenn ich neugierig wurde und offen ihm gegenüber sein wollte, schrie diese Stimme auf und verhinderte es. Es war unheimlich verwirrend. Ich seufzte und tippte eine Nachricht an Embry. Es war an der Zeit mehr zu erfahren. Auch wenn mich eine schlimme Vorahnung gepackt hatte. Ich – 20:21 Hi. Wie alt bist du? Ein mulmiges Gefühl schlich sich in mir hoch. Er kam aus La Push. Meiner Heimat. Was wenn er von mir gehört hatte? Der Unfall damals war bestimmt in aller Munde gewesen. Oder hatte man uns vergessen? Existierte die Familie Doli in den Gedächtnissen der Reservateinwohner nicht mehr? Was, wenn er die Jungs von damals kannte und die ihm erzählten, was in der Grundschule geschehen war? Was ich für ein Monster war? Überrascht zuckte ich zusammen, als mein Handy auf meinem Bauch vibrierte. Nervös öffnete ich die Nachricht und starrte sie an. Embry – 20:22 Hey Das ist ja Mal 'ne Überraschung :) 18, wieso? Achtzehn. Er war so alt wie ich. Er kam aus La Push. Meine Hände fingen an zu zittern, als sich die Puzzleteile in meinem Kopf zusammenfügten. Das Bild eines kleinen Jungen erschien vor meinen Augen. Er lächelte mich an, doch dann wurde sein Blick kühl. Ich sah, wie sich seine Lippen zu dem Wort Monster bewegten. Embry. Sein Name war Embry! Warum hatte ich das die ganze Zeit über nicht realisiert? Wie konnte es sein, dass es mir nicht aufgefallen war? Konnte es sein, dass ich mich von seinem Aussehen zu sehr hatte ablecken lassen? Ich war überzeugt gewesen, dass er älter war. Ohne es in Erwägung zu ziehen, habe ich die Möglichkeit ignoriert, dass es sich niemals, um den Embry handeln konnte! Mit zittrigen Händen schrieb ich ihm die einzige Frage, die mir im Kopf schwirrte. Ich – Heute 20:24 Wie heißt du denn? Also dein voller Name. Mein Herz schlug schmerzhaft gegen die Brust. Ich krallte meine Hand in meinen Pulli, als jeder weitere Schlag ein noch größeres Loch in meine Brust riss. Ich drohte hineinzufallen. Tränen bahnten sich über mein Gesicht. Da hatte sich das Schicksal mal wieder was Tolles überlegt. Mein Handy vibrierte erneut. Ich konnte nur verschwommen die Buchstaben erkennen, aber es reichte. Ich hatte meine Bestätigung. Wimmernd umarmte ich mein Kissen und schluchzte hinein. Also war das alles nur ein Streich für ihn gewesen. Ein schlechter Scherz. Natürlich. Es passte. Es erklärte sein Verhalten mir gegenüber. Ich war so ein Volltrottel. Das Loch in meiner Brust raubte mir den Atem. Ich konnte nicht mehr gegen die Trauer und den Schmerz ankämpfen. Ich ließ mich einfach fallen. Embry – Heute 20:26 Embry Call ? ^^ Kapitel 7: ----------- „Unsere Mitschülerin Huyana Doli ist wieder bei uns. Bitte seid nett zu ihr“, erklärte meine Lehrerin, während ich neben ihr stand und stur zum Boden sah. Ich hasste meinen Vater. Warum zwang er mich dazu? Warum konnte er nicht einfach mit der Arbeit aufhören und für mich da sein? Außer ihm hatte ich niemanden mehr und doch lässt er mich in Stich. Warum war das Leben bloß so ungerecht? Warum musste mir das alles passieren? „Ja, Mrs. Edison“, antwortete die Klasse im Einklang und riss mich dabei aus meinen Gedanken. „Dürfen wir auch Fragen stellen?“, fragte einer meiner Mitschüler. Ich zuckte mit meiner linken Schulter. Es war mir egal. Alles war mir egal. Ich wollte nur noch nach Hause. Mich in mein Bett verkriechen und weinen. Meine Lehrerin seufzte. „Aber nur ein paar“, antwortete sie schließlich. „Tun dir deine Verletzungen arg weh?“, fragte ein Mädchen. Ich sah nicht auf, um zu sehen, wer es war. Es spielte keine Rolle. Ich nickte nur. Die Schmerzen waren unbeschreiblich. Im Krankenhaus war mir ständig heiß gewesen, als würde ich noch immer im brennenden Haus liegen. Doch der Schmerz verging, wenn ich mir eine spezielle Salbe draufschmierte. Was blieb, war der Schmerz in meiner Brust. Vater hatte mir erklärt, dass es dafür keine Medizin gab. Die Ärzte waren dumm, wenn es dagegen nichts gab. Denn ich fand die Schmerzen unerträglich. Ich konnte oft nicht mehr atmen und wollte nur noch weinen. „Hast du jetzt Angst vor Feuer?“, fragte diesmal ein Junge. Ich sah zu ihm auf. Er hieß Jared und ich mochte ihn nicht. Jungs waren blöd und er war der Blödeste. Ständig war er laut und wusste immer alles besser. Ich nickte ihm nur zu. Meine Angst gegenüber dem Feuer war zwar nicht mit der Angst vor Menschen zu vergleichen, aber sie war da. Ich konnte mich an den Unfall nicht mehr erinnern, wusste aber, dass mir das Herz gebrochen wurde. Ich konnte mich nur noch an den stechenden Schmerz erinnern und wie traurig ich war. Doch den Grund dafür wusste ich nicht mehr. Nur dass ich Menschen nicht mehr trauen durfte. „Musst du diese Maske ständig tragen?“, erneut meldete sich ein Mädchen zu Wort. Ich nickte. Der Arzt sagte mir, dass meine Verbrennungen am Kopf nicht so gravierend waren, wie die an meinem Arm. Dennoch wollte er sichergehen und meinte, dass ich diese Maske mindestens ein halbes Jahr lang tragen sollte, um dicke, hässliche Narben zu verhindern. Und ich würde sie tragen, denn er hatte mir versprochen, dass mein Gesicht danach wieder hübsch wäre. Ich hoffte es zumindest. Denn mein Vater weinte fast jeden Tag, wenn er dachte, ich würde es nicht merken und sein Blick, wenn er mich ansah, war auch nicht mehr warm und herzlich, wie früher. Er konnte mich kaum noch ansehen. Ich mich auch nicht. Ich war zu einem rothäutigen Monster geworden, der kahle Stellen am Kopf hatte. Erneut machte sich dieser komische Druck in meiner Brust breit. Es fühlte sich an wie ein Loch. Ein dunkles Loch, in das ich zu fallen drohte. „So das reicht jetzt. Wir müssen weiter mit dem Unterricht machen. Huyana setzt dich bitte auf deinen Platz“, sie drückte mir leicht meine linke Schulter. Ich nickte ihr zu. Als ich meinen Blick zur Klasse wandte und zu meinem Sitzplatz sah, trafen sich meine Augen mit denen meines Sitznachbars. Ein kleines Lächeln bildete sich auf meinen Lippen. Ich mochte ihn sehr. Anders als die blöden Jungs in meiner Klasse war er unheimlich nett. Wir kannten uns nämlich schon, seit wir kleine Kinder waren. Seine Mutter und meine kamen aus demselben Ort und waren Freundinnen gewesen. „Hi Embry“, grüßte ich ihn, als ich mich zu ihm setzte. Er sah mich kurz an und wendete wieder seinen Blick nach vorne. „Hi“, murmelte er leise. Irgendwie tat mir diese Reaktion weh. Ich wusste, dass ich abschreckend wirkte, doch ich hätte gedacht, dass Embry trotzdem lieb sein würde. Er war immer nett und fröhlich. Wahrscheinlich ändert sich jeder, sobald er mich sah. So wie mein Vater. Tränen stiegen mir in die Augen, doch ich blinzelte sie weg. Wenn ich jetzt weinte, dann würde mich jeder auslachen. Irgendwann läutete es zur Pause und alle rannten in den Pausenhof. Meine Freundinnen waren einfach so gegangen, ohne auf mich zu warten. Auch die anderen Mitschüler waren weg. Selbst Embry hatte mich ohne ein Wort hier sitzen gelassen. Sie alle hatten mich in der Zeit, wo ich im Krankenhaus war, vergessen. Noch mehr Menschen, die mich in Stich ließen. Ich wollte nicht rausgehen, aber es war Pflicht, dass sich alle im Pausenhof oder im Pausenraum während der Pause aufhielten. Nervös versuchte ich, den Reisverschluss meiner Jacke zu zubekommen. Aber ich schaffte es nicht mehr alleine. Meine rechte Hand tat weh und ich konnte meine Finger nicht ganz zusammentun. Frustriert ließ ich es bleiben. Nichts würde jemals wieder so sein, wie vorher. Als ich den Flur entlang schlich, konnte ich die Kinder draußen spielen hören. Ich wollte wirklich nicht zu ihnen. Was wenn mich alle auslachten? Vater hatte mir gesagt, dass niemand so etwas machen würde. Dass ich meinen Mitmenschen vertrauen musste. Vielleicht hatte er Recht. Immerhin wissen Erwachsene doch alles. Seufzend ging ich hinaus in den Hof und stellte erleichtert fest, dass mich niemand beachtete. Ich entdeckte meine Freundinnen Emma und Julie unter einem Baum sitzend. Sie hatten nicht auf mich gewartet, sollte ich dann zu ihnen gehen? Was wenn sie sich für mich schämten und nicht mehr meine Freunde sein wollten? Ich schüttelte energisch meinen Kopf. Emma und ich waren Freundinnen schon seit dem Kindergarten gewesen. Sie würde mich nicht alleine lassen. Zögernd ging ich auf sie zu. Plötzlich standen etwas größere Jungs vor mir. Ich kannte sie nicht und ihr Grinsen machte mir Angst. „Was bist du denn für eine?“, lachte einer von ihnen. Panisch sah ich mich nach Hilfe um. Mein Blick traf den von Embry, welcher bei seinen Freunden stand. Er schien ihnen etwas zu sagen, denn alle drehten sich um und sahen zu mir. „Sag mal, was soll denn die Maske? Was verbirgst du denn, du Vogelscheuche?“, grinste ein anderer. Ich biss mir auf die Lippen und versuchte meine Tränen zu unterdrücken. Ich war keine Vogelscheuche. Ich konnte doch auch nichts dagegen machen. Die Maske war wichtig, denn ich wollte eines Tages so hübsch werden, wie meine Mutter. „Dann eben nicht. Wenn du es uns nicht verrätst, dann sehen wir selbst nach!“ Ich verstand nicht, warum sie das taten. Warum sie mich nicht einfach ignorierten. Einer von ihnen schubste mich, sodass ich stolpernd auf den Boden fiel. Reflexartig versuchte ich, den Fall mit meinen Händen abzudämpfen. Ein gewaltiger Schmerz durchzuckte mich, wie ein Stromschlag, als sich mein ganzes Gewicht auf die Hände verlagerte. Ich konnte gerade noch einen Schrei unterdrücken und wimmerte leise. Meine rechte Hand pochte vor Schmerz, als würde sie jeden Moment explodieren. „Hei! Hört auf damit“, Jared rannte zu uns, dicht gefolgt von meinen anderen Mitschülern. „Lasst sie in Ruhe“, hörte ich Embry schreien. Ich lächelte. Ich war so unendlich froh, dass mir jemand zur Hilfe eilte, gegen Viertklässler konnte ich mich nicht wehren. Vater hatte Recht, es gab Menschen, die einem Nichts Böses wollten und in der Not helfen würden. Es war meine Unachtsamkeit, die mir zum Verhängnis wurde. Ich hätte meine Angreifer nicht aus den Augen lassen sollen. Denn im nächsten Moment wurde ich an meiner Maske gepackt. Am Boden wälzend versuchte ich mich gegen sie zu wehren und in fing an, panisch zu schreien. Sie konnten alles mit mir machen, nur nicht mein Gesicht entblößen. Aber ich war zu schwach. Meine rechte Seite fing an mir höllisch wehzutun und ich konnte mich nicht mehr gegen sie wehren. Im nächsten Moment fühlte ich die kühle Luft an meinem Gesicht. Ich schloss meine Augen und wimmerte. Es waren die entsetzten Schreie meiner Mitschüler, die als Erstes zu mir durchdrangen. Mit zittrigen Händen fuhr ich mir über meinen Kopf und ertastete meine kahle Kopfhaut. Ich versuchte so gut ich konnte, sie vor den Augen anderer zu verbergen. Tränen schossen mir ins Gesicht und ich fing an zu weinen. Schluchzend saß ich da und hörte all ihre Worte. Hörte, wie sie angewidert schrien, dass ich ein verkrüppeltes Ohr habe. Dass ich hässlich war. Dass sie kotzen müssten. Ich schielte kurz zu meinen Mitschülern, die mich ebenso angewidert und entsetzt anstarrten. Doch als Einziges fiel mir Embry auf. Wie gebannt starrte ich auf seinen Mund und sah, wie er etwas sagte. Das Einzige was ich von seinen Lippen lesen konnte, war das Wort Monster. Ja ich war ein Monster und nein, Vater hatte Unrecht. Es gab keine guten Menschen auf dieser Welt. Nicht einmal Embry, der sonst immer zu allen nett war. Müde bettete ich meinen Kopf auf meine Unterarme am Fensterbrett und sah aus dem Fenster. Es war ein wunderschöner, warmer Frühlingstag gewesen und die Vögel zwitscherten fröhlich zum Abschied. Selbst die Sonne hatte sich durch die undurchdringlichen Wolken von Forks durchgekämpft und färbte den Himmel orangerot, während sie sich langsam hinter den Horizont senkte. Von diesem Tag an war ich nicht mehr in die Schule gegangen. Ich hatte mich geweigert, aus dem Haus zu gehen. Und es wurde schlimmer. Jede Nacht hatte ich meinen Vater weinen gehört. Er hatte um Vergebung gefleht. Er hatte wegen mir gelitten. Wahrscheinlich litt er immer noch. Doch damals war es mir egal gewesen. Alles war mir egal gewesen. Ich hatte einfach nur im Bett gelegen und hatte versucht den Tag, so gut es ging, durchzuschlafen. Ich wollte nicht mehr existieren. Ich hatte mir so sehr den Tod herbeigesehnt. Doch er war nicht gekommen. Das Loch in meiner Brust verschwand, als mein Vater mir die Haartransplantation ermöglichte. Es verschwand, doch auch meine Freude und andere Gefühle waren weg. Ich war zu einem Freak geworden, auch wenn ich nach einem Jahr nicht mehr nach einem ausgesehen hatte. Als ich zehn war, hatte ich wieder zur Schule gehen müssen. Dieses Mal in Forks. Dieses Mal ohne Freunde, die einen verletzten konnten. Nie wieder wollte ich jemanden in mein Herz schließen. Ich war der Überzeugung gewesen, dass wenn ich nichts fühlte, alles besser war. Um mich selbst zu schützen, distanzierte ich mich sogar von meinem Vater. Ich lebte, war aber innerlich seit diesem Tag in der Grundschule tot gewesen. Bis Nina in mein Leben trat, und alles irgendwie umkrempelte. Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. „Ja?“ Mein Vater öffnete die Tür und streckte den Kopf ins Zimmer. Als sich unsere Blicke trafen, zog er überrascht seine Augenbrauen in die Höhe und trat ganz hinein. „Ana Spatz. Was ist los?“, er musterte mich besorgt. Ich schüttelte nur den Kopf und sah erneut aus dem Fenster. Mein Vater seufzte schwerfällig. „Mich hat die Schule angerufen und mir gesagt, dass du heute nicht in da warst. Das sieht dir nicht ähnlich Ana. Ist etwas vorgefallen?“ Ein schlechtes Gewissen machte sich in mir breit. Ich wusste mittlerweile, wie sehr es meinen Vater belastete, wenn ich mich vor ihm verschloss. Nina hatte mir erzählt, dass für nahestehende Menschen so etwas unerträglich war und ich das nicht machen durfte. Ich seufzte und versuchte gegen die wiederkehrenden Tränen anzukämpfen. „Embry“, ich stockte, als ich meine heisere Stimme hörte. „Embry? Was ist mit dem Jungen? Hat er etwas gemacht?“, wütend zog er seine Augenbrauen zusammen. Ich schüttelte zuerst den Kopf, nickte aber dann doch. „Embry … Paps er ist … der Embry! Erinnerst du dich … Mamas Freundin und ihr Sohn?“, erklärte ich ihm. „Der Junge, der immer kleiner war als du? Den du so sehr mochtest, weil er so ruhig, wie ein Mädchen war?“, fragte er überrascht. Ich nickte. „Ja … Embry Call!" Mein Vater legte den Kopf schief, sein Blick war auf mich gerichtet, doch er schien nicht wirklich anwesend zu sein. Wahrscheinlich durchsuchte er seine Erinnerungen nach Embry. "Jetzt wo du es sagst. Er hat gewissen Ähnlichkeiten mit seiner Mutter Tiffany", murmelte er und setzte sich zu mir aufs Bett. "Der Junge ist aber groß geworden. Was ist denn mit dem passiert? Wow", meinte er, mehr zu sich selbst, als an mich gewandt. Ich nickte. "Ich hatte es auch nicht gewusst … nicht geahnt … und er wirkte so alt. Warum sollte ich ihn … nach Embry fragen … Gott Paps … Ich habe jeden Tag gebetet, dass ich niemanden mehr von ihnen sehe … Nie wieder wollte ich etwas mit ihnen zu tun haben … Ich war so unachtsam gewesen … und jetzt … jetzt … Was wenn er mich erkannt hat? … Und sich über das Monster von La Push lustig machen will? … Dad er hat mir damals so weh getan … Was soll ich nur tun?“ Seitdem ich wusste, wer er war, stellte ich mir andauernd diese Fragen. Ich hoffte, endlich eine Antwort darauf zu bekommen. „Ich glaube nicht, dass er sich über dich lustig machen will. Huyana, du sahst damals … ganz anders aus. Aus dir ist eine wunderschöne, junge Frau geworden. Du solltest aufhören, ständig an dieser Vergangenheit zu hängen.“ Ich lächelte ihn traurig an. Ich war keine wunderschöne Frau, und die Vergangenheit war ein Teil von mir. Mein ganzer Körper war geprägt von der Vergangenheit und ich sollte so tun, als existiere sie nicht? Das war unmöglich! Ich fuhr mir durch die Haare und kämpfte gegen meine Tränen an. Das war nicht fair. Warum musste ich nur so verunstaltet werden? Eine Träne stahl sich aus meinem Auge. Ich schluchzte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte mich mein Vater an und rutschte näher zu mir. „Ana Spatz. Nicht weinen“, murmelte er leise. Er schien mit dieser Situation überfordert zu sein, denn es war lange her, dass ich vor ihm geweint hatte. Als er mich umarmte versteifte ich mich, wehrte ihn aber nicht ab. Ich fühlte mich zu schwach dafür. „Es ist nicht fair Paps. Nichts ist fair. Wie soll ich die Vergangenheit loslassen, wenn sie mich auf Schritt und Tritt verfolgt? Sie ist ständig bei mir, Paps. Es tut mir leid. Ich bin so eine schlechte Tochter für dich. Du hast etwas Besseres verdient Paps ... Es tut mir so leid“, flüsterte ich. Es tat mir so leid, dass ich ihm Schmerzen zugefügt hatte. Ihm immer noch zufügte. „Nein Ana, das bist du nicht … mir tut es leid. Ana“, murmelte er leise und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Kapitel 8: ----------- Embry – Donnerstag 21:34 Der Kuchen ist der Hammer! Danke dir nochmals :) Embry – Donnerstag 22:58 Du schläfst wahrscheinlich schon, trotzdem wünsche ich dir eine Gute Nacht :) Embry – Freitag 07:56 Guten Morgen :) Wie geht’s? Heute ist dein freier Tag, nicht? Hast du Zeit, dass wir uns sehen? Embry – Freitag 12:21 Scheinst beschäftigt zu sein. Ich bin total ausgelaugt. ^^ Wir müssen heute noch ein altes Auto in Schuss bringen. Ein Ding der Unmöglichkeit, dass sag ich dir. ^^ Embry – Freitag 16:15 Hey, ist alles in Ordnung bei dir? Ich bin fertig mit der Arbeit. Hab die alte Schüssel zum Laufen gebracht! :) Embry – Freitag 17:23 Bin gerade im Kaffee. Nina meint, du hättest dir eine Erkältung eingefangen. Ich hoffe, es ist nicht schlimm. Embry – Freitag 18:43 Ich hab Nina gerade eine Kräutermischung mitgegeben. Meine Mutter macht sie. Du sollst dir damit einen Tee kochen. Sie meint, damit sei man ganz schnell wieder auf den Beinen! Ich hoffe, dass es dir schmeckt ^^ Embry – Freitag 20:19 Hey. Das klingt zwar total bescheuert, aber hab ich was falsch gemacht? Du meldest dich schon seit gestern nicht mehr! :( Embry – Freitag 21:47 ANA? Embry – Freitag 22:01 Soll ich dich in Ruhe lassen? Embry – Freitag 22:02 Ignorier bitte die letzte Frage! Embry – Freitag 22:22 Ana … kannst du mir wenigstens sagen, was los ist? Du warst gestern auch schon so komisch! Hat es etwas damit zu tun, dass ich aus La Push komme? Embry – Samstag 10:02 Guten Morgen Ana :) Geht’s dir schon besser? Ich hab heute nichts vor, also wenn du möchtest, kann ich dich am Nachmittag besuchen kommen. Embry – Samstag 10:35 Schläfst du noch? Ich sah zur Uhr auf meinem Handydisplay. Es war kurz vor Mittag. Ein lautloses Schnaufen entwich mir, als ich mich im Bett aufrichtete und aus dem Fenster sah. Der Himmel war in einem hellgrauen Ton und nahm dem Wald vor meinem Fenster das wunderschöne Grün. Er wirkte matt und öde, als würde man ihm all sein Leben entziehen. Genau wie bei mir. Jede einzelne Nachricht von Embry war ein weiterer Stich ins Herz. Denn obwohl ich einen guten Grund hatte, ihm aus dem Weg zu gehen, fühlte ich mich so verdammt schuldig. Warum ließ er mich nicht einfach in Ruhe? Warum konnte ich es ihm nicht einfach sagen, dass ich nichts mehr von ihm hören wollte? Warum wollte mein Herz seine Nachrichten lesen, wo doch mein Verstand sich dagegen wehrte? War ich zu einem Masochisten geworden? Ich legte wieder mich müde ins Bett zurück. Mir wurde das alles langsam aber sicher zu viel. Seit gestern hatte ich nicht geschlafen, und die ganze Zeit gegrübelt, was ich am besten machen sollte. Eine Lösung hatte ich immer noch nicht. Vater hatte gemeint, dass er sich in meine Entscheidung nicht einmischen würde. Er würde nachvollziehen können, dass ich den La Push Einwohnern aus dem Weg gehen wollte. Doch er bezweifelte stark, dass Embry mir etwas Böses wollte. Kein Mann der Welt würde sich freiwillig mit den Eltern seiner Freundin treffen und Embry wäre wahrscheinlich heute gerne vorbeigekommen. Ich sah Dad vor mir, wie er mich anlächelte. "Huyana, jeder Mensch verdient eine zweite Chance. Nur weil er dich einmal verletzt hat … und das auch noch als Kind … bedeutet das nicht gleich, dass er es wieder machen würde." In seinen Worten schwang seine unausgesprochene Hoffnung auf eine zweite Chance. Eine Chance, in der er ein normales Leben mit mir führen könnte. Insgeheim hoffte ich wirklich, dass mein Vater Recht hatte. Aber warum sonst, sollte Embry mir so viel Aufmerksamkeit schenken? Ich nahm mein Handy und scrollte den Nachrichtenverlauf wieder zum Beginn. Die Nachrichten von mir waren schrecklich kurz. Ob er sich mit seinen Freunden darüber lustig gemacht hatte? Ich wusste es nicht, aber möglich war es. Zum gefühlten hundertsten Mal fing ich an, den Nachrichtenverlauf zu lesen. Embry – Montag 20:33 Hallo Ana :) Ich – Montag 20:45 Hi! Embry – Montag 20:46 Was machst du gerade? Ich – Montag 21:04 Lernen. Embry – Montag 21:05 Jetzt noch? Du bist wirklich unglaublich! Meine Mutter ist mir immer nachgerannt, damit ich ja meine Hausübung machte. Sie hat mir sogar damit gedroht, nichts mehr für mich zu kochen. Kannst du dir das vorstellen? ^^ Aber gut, jetzt mache ich eine Ausbildung zum Automechaniker. Das macht mir wenigstens Spaß. Mein bester Freund Jacob und ich, haben nämlich schon von klein auf an Autos und Motorrädern geschraubt. Ich würde sagen, ich hab mir meinen Traum erfüllt ;) Hast du so etwas, wie einen Traumberuf? Ich – Montag 21:28 Früher einmal Embry – Montag 21:29 Und was? Warum jetzt nicht mehr? Ich – 21:40 Kindergärtnerin. Ich bin mir nicht mehr sicher Embry – Montag 21:41 Wie süß. Kindergärtnerin. ^^ Was möchtest du jetzt nach der High School machen? Ich – Montag 22:02 Studieren. Ich muss schlafen. Gute Nacht. Embry – Montag 22:03 Gute Nacht! Träum was Schönes :) Tränen stiegen mir in die Augen. Der Schmerz in meiner Brust war nahezu unerträglich. Der Gedanke, dass diese Aufmerksamkeit von Embry nur falsch war, zerriss mich innerlich. Ich wollte ihn nicht sehen. Ich wollte ihn nicht mögen. Er war der Embry, der mich einst in Stich gelassen hatte. Gott! Ich hatte sogar mehr als nur freundschaftliche Gefühle für ihn! Ich musste ihm von nun an aus dem Weg gehen! Was wenn er mich erneut verletzte? Wenn ich wieder all meine Hoffnungen in ihn stecken würde, nur damit er darauf trampeln konnte, weil ich nichts weiter als ein Monster war. Ich war in seiner Gegenwart nicht ich selbst, also durfte ich das nicht riskieren. Noch einmal würde ich so etwas nicht durchstehen können. Nein. Ich würde ein weiteres Mal mit all meiner Kraft verhindern! Jemand klopfte an meiner Tür und riss mich aus meinen Gedanken. Ich seufzte leise, denn ohne meine Antwort abzuwarten, kam Nina ins Zimmer. „So Huyana. Ich weiß zwar nicht, was passiert ist, aber du wirst mich auf der Stelle aufklären! Ist etwas zwischen Embry und dir vorgefallen? Er ist gestern total aufgelöst ins Kaffee gekommen und hat nach dir gefragt. Meine Mom hat mich gestern aufgehalten, deshalb konnte ich dir das nicht geben.“ Sie reichte mir eine kleine Papiertüte. >Werde schnell wieder gesund :)< stand auf der Tüte drauf. Die Schrift war krakelig und es wirkte total gehetzt. Ich liebte es. Meine Augen fingen erneut, zu tränen an. Wusste er wirklich nicht mehr, wer ich war? Durfte ich darauf hoffen, dass sich Menschen ändern konnten? Oder machte er das alles zu seinem Vergnügen? Wie sollte ich mich nur bei solchen Gesten von ihm fernhalten? „Er ist aus dem Kaffee hinausgestürmt, als ich ihm gesagt hatte, dass es dir nicht gut geht. Ich meinte, du würdest mit einer Erkältung im Bett liegen. So gegen halb sieben war er wieder zurückgekommen. Er hatte mir gesagt, dass diese Kräutermischung seine Mutter macht. Sie pflückt die Kräuter bei ihnen im Garten“, erklärte sie mir, während sie mich musterte. Sie seufzte, als ich darauf Nichts erwiderte. „Ich weiß nicht, was passiert ist. Aber ich verstehe nicht, warum du ihn so quälst. Ich hab noch nie einen Mann gesehen, der so besorgt um einen war, der eine Erkältung hatte“, lächelnd wischte sie mir meine Wange trocken. „Erzählst du’s mir?“, fragte sie leise. Eine Zeit lang saßen wir nur da und sagten Nichts. Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte. Allein seinen Namen aussprechen zu müssen, kostete mich eine Menge an Kraft und Überwindung. „Erinnerst du dich an die Gesichte, früher im Reservat?“, abwesend zupfte ich an meinem Handschuh. „Das in der Grundschule? Nach dem Unfall?“ Ich nickte ihr leicht zu. „Erinnerst du dich an den Jungen, den ich so mochte? Meinen Sitznachbar, der immer total nett war. Mit dem ich aufgewachsen war?“, setzte ich meine Erklärung fort. Nina nickte mir zu. Ich konnte erkennen, dass sie den Zusammenhang nicht verstand. Ich seufzte. „Das war er. Embry ist erst achtzehn und kommt aus La Push. Embry Call. Gott … Er ist derselbe Junge von damals … Es passt … Wie konnte ich nur so dumm sein … ich hätte ihn gleich nach seinem Namen fragen sollen“, meine Stimme brach zum Ende hin ab. Ich konnte es noch immer nicht fassen, dass mich meine Vergangenheit einholen musste. Reichten nicht all die Narben, die mich nichts vergessen ließen? „Verstehe … Und deshalb meidest du ihn?“ „Ich glaube, ich mag ihn … er ist mir wichtig, so wie du es bist … für einen kurzen Augenblick, hatte ich sogar befürchtet, mehr für ihn zu empfinden … Aber Embry … er hat mich damals schon gesehen und mich, als ein Monster bezeichnet … wie soll ich jemals … nein … das ist nicht relevant. Ich möchte nur nicht, dass er mich … erneut so verletzt. Er hat mich … sicher wiedererkannt … Vielleicht hoffte er, dass er mich nach La Push bringen kann … und mich erneut demütigt“, murmelte ich. Nina nahm mein Gesicht in die Hände. „Sag mal geht’s noch? Warum sollte er das tun? Denkst du das wirklich?“ Ich zuckte mit den Schultern und sah weg. „Aus demselben Grund, wie die Kinder damals in der Schule mir die Maske vom Kopf gezogen hatten. Embry … Nina … ich will ihm nicht trauen … ich hab Angst!“ „Warum glaubst du nicht daran, dass dich jemand mögen könnte? Ich mag dich doch auch“, sie sah mich lächelnd an. Wahrscheinlich wollte sie mich nur aufmuntern. Ich zuckte erneut mit den Schultern. „Naja … ich bin nicht hübsch … ein Freak … und mein Charakter…“ „Jetzt hör aber mal auf. Du bist wirklich schön. Klar hast du diese Narbe an der Schläfe, Stirn und an der Seite, aber sie sind nicht so groß und auffällig. Außerdem versteckst du sie ja unter deinen Haaren. Dummerchen. Dein Gesicht ist wunderschön. Du hast große, schwarze Augen, die mittlerweile so viele Emotionen zeigen, dass sogar ich mich darin verlieren könnte“, sie schmunzelte, „Und … und deine Haut ist rein und deine Lippen sind nicht zu dünn und nicht zu voll. Klar, du hast ein schiefes Lächeln, weil deine Muskeln in der Ohr-Nähe beschädigt worden sind, aber es sieht gut aus. Irgendwie geheimnisvoll. Deine Haare sind wunderschön. Sie glänzen wie Seide und passen gut zu deiner Hautfarbe, die den Ton einer Sommerbräune hat. Ich sehe vor mir kein Monster, sondern eine wunderschöne, junge Frau. Warum erniedrigst du dich ständig selbst? Und was deinen Charakter betrifft … Ja gut, du hast ein paar Macken, aber die hat jeder. Ich auch! Dafür bist du aber nett. So unglaublich zuvorkommend und du würdest nie jemandem etwas Böses antun. Und das obwohl du genügend Gründe hättest, jeden Menschen zu verachten und ihnen das Schlimmste zu wünschen. Aber dennoch bleibst du still und lässt alles schweigend über dich ergehen. Ana … Huyana du bist wirklich wundervoll!“ Nina war aufgestanden und ging hektisch in meinem Zimmer umher. Ich starrte sie mit offenem Mund an. War das wirklich alles wahr, was sie mir sagte? „Ich weiß was!“, klatschte sie begeistert. „Wir gehen shoppen und verpassen dir einen neuen Look. Dann fühlst du dich endlich wohler in deiner Haut. Du rennst ja ständig nur in Jean und Pullover herum, wie eine graue Maus. Wir könnten auch zu einem Frisör Salon schauen.“ Ich wollte gerade dagegen protestieren, als sie mit dem Finger vor meinem Gesicht wedelte. „Keine Widerrede! Dieses Mal nicht! Du musst endlich lernen dich selbst zu lieben, Ana. Erst dann kann deine Seele heilen und dein Herz richtig lieben. Wenn du soweit bist, dann kannst du auch Embry endlich glauben und nicht an seiner Ehrlichkeit zweifeln. Ich glaube wirklich nicht, dass er dir etwas Böses will“, sie lächelte mir zu. Eine kleine Blume der Hoffnung fing an, in meinem Herzen zu keimen. Vielleicht hatte sie Recht. Ich wünschte mir, dass sie Recht hatte. „Los mach dich fertig und schreib Paps eine Nachricht, dass wir nach Port Angeles fahren. Man der wird Augen machen, wenn wir heute Abend zurück sind“, kicherte Nina voller Aufregung und ging aus dem Zimmer. Ich sah ihr hinterher. Wenn ich mich selbst lieben würde, könnte meine Seele heilen. Es würde nicht mehr so höllisch schmerzen. Und Embry – ich könnte ihm endlich glauben. Ich könnte ihm endlich auf Augenhöhe begegnen. Das wäre wirklich toll! Kapitel 9: ----------- Embrys POV Ungeduldig sah ich zu meinem Handy. Noch immer keine Antwort von Ana. Der Druck in meiner Brust wurde größer, denn ihre offensichtliche Abweisung war unerträglich. Der Schmerz in meinem Inneren breitete sich, wie ein Giftnebel, in mir aus und betäubte mich. Ich hatte keine Kraft mehr. Was konnte der Grund für ihr Verhalten sein? Sie war schon am Donnerstag so merkwürdig gewesen. Störte es sie wirklich so sehr, dass ich aus dem Reservat kam? Ich schloss meine Augen und versuchte gleichmäßig zu atmen. Das Gefühl in diesem Schmerz zu ertrinken, war, kaum zu ertragen. Irgendwo in meinem Inneren wusste ich, dass sie mich von sich abwies. Aber ich würde nicht locker lassen. Ich könnte es nicht. Früher hatte ich meine Brüder darum beneidet, dass sie ihren Partner fürs Leben gefunden hatten. Ich hatte sehnsüchtig darauf gewartet, dass mir die Richtige über den Weg lief. Doch jetzt – jetzt empfand ich das Geprägt-Sein als eine unbeschreibliche Last. Es war schrecklich. Ich war so glücklich gewesen, als ich sie sah. Als mein Herz für einen kurzen Moment stehen blieb, nur um danach nur noch für sie zu schlagen. Mein innerer Wolf war außer sich vor Freude gewesen, als ich sie endlich gefunden hatte. Immerhin gab es keine Garantie, dass man seine Auserwählte jemals im Leben traf und doch hatte ich das Glück gehabt, ihr zu begegnen. Es war schon grotesk, auf welche Art ich sie gefunden hatte. Ich war auf dem Weg zu meiner damaligen Freundin gewesen. Die Beziehung war nichts Ernsthaftes gewesen, eher ein Zeitvertreib. Die meisten von uns, wollten keine richtige Beziehung mit jemandem eingehen. Zu groß war die Angst, eine Familie zu gründen, nur um später eventuell auf eine andere Frau geprägt zu werden. Nachdem wir alle an den Gedanken und den Schmerzen von Leah und Sam teilgenommen hatten, wollten wir so etwas nicht riskieren. Das Gefühl geprägt zu werden, war unbeschreiblich. Ich kannte es, von den Gedanken meiner Brüder, doch es selbst erleben zu dürfen, war unglaublich. Die Erinnerungen von ihnen war nur ein Bruchteil der Sensation, die man selbst in diesem Augenblick fühlte. Wenn einem der Atem wegblieb und man fühlte, wie sich der Mittelpunkt der Welt verschob und nur noch sie von Belangen war. Dieses Gefühl, wenn das Herz größer wurde und sie nahezu den ganzen Platz in Anspruch nahm. In diesem Moment wurde einem klar, wofür man existierte. Man würde leben, um sie glücklich zu machen. Um sie strahlen und lächeln zu sehen. Ana wurde zu meinem Lebensinhalt. Von diesem Augenblick an war sie der Sinn meines Lebens. Deshalb war es umso unerträglicher, wenn sie nicht bei mir war. Was wenn ihr etwas zustoßen würde? Ich könnte es nicht ertragen. Ich würde es nicht ertragen. Doch das sie mich nicht als einen Teil in ihrem Leben wollte, war unfassbar schmerzhaft. Ich wusste nicht, was ich falsch gemacht hatte. Jacob und Quil hatten sich auf Babys geprägt, sie waren mir hierbei überhaupt keine Hilfe. Paul und Sam hatten mit ihren Partnerinnen zwar anfangs auch Schwierigkeiten gehabt, doch das Einzige, was sie mir als Rat mitgeben konnten, war, dass ich es langsam angehen sollte. Ich durfte es nicht überstürzen, denn diese Gefühle waren für andere Menschen nicht nachvollziehbar. Es würde sie nur überfordern, wenn ich ihr sofort sagen würde, dass ich sie in meinem Leben brauchte, wie die Luft zum Atmen. Dass ich nur für sie lebte. Dass ich bereit war, für ihr Glück zu sterben. Meine Zimmertür wurde polternd aufgestoßen. "Yo Embry … Alles Gute Bruder", rief Seth und umarmte mich stürmisch. "Danke", erwiderte ich bloß und drückte ihn von mir weg. Seth war, dank unserer Gene, genau so groß, wie ich und wirkte sehr erwachsen. Doch innerlich war er nur ein verspielter, sechszehnjähriger Junge. Ich verbrachte gern meine Freizeit mit ihm. "Alles Gute Embry", wünschten mir Jacob und Quil, die gelassen ins Zimmer traten. Ich sah sie lächelnd an. Meine besten Freunde hatten sich, genau wie ich, in den letzten Jahren nicht verändert. Wir waren zwar noch immer jünger, als es den Anschein hatte, doch die zwei waren schon ziemlich früh in ihrer Wolfkariere geprägt worden und hatten dadurch diese Innere Ruhe gefunden, um die ich sie immer beneidet habe. "Hier. Mein Geschenk an dich", lachte Seth und reichte mir eine kleine Box. Ich verdrehte meine Augen und warf sie in mein Nachtkästchen. "Witzig", kommentierte ich es nur. "Sag Danke. Ich kann mich noch an Sams, Pauls und Jareds Gedanken genau erinnern. Da du jetzt ein geprägter Wolfsjunge bist, kann es nicht lange dauern, bis deine Hormone die Überhand gewinnen", lachte er bloß. Ich starrte Seth fassungslos an, während Quil und Jacob sich krumm lachten. "Man. Ich vermisse den unschuldigen Seth", seufzte ich kopfschüttelnd und sah zu Quil, der grinsend nickte. "Sich die Gedanken mit Paul und Jared so jung teilen zu müssen, hinterlässt anscheinend spuren", lachte Jacob. "Naja, wir sind ja noch bei dir im Rudel, Jake. Da sind wir noch eine Zeit sicher vor den perversen Gedanken", kicherte Seth. "Stimmt. Bald müssen wir wieder ins große Rudel, was? Das wird anstrengend werden", meinte Quil mit einem traurigen Lächeln an Jacob gewandt. Die Cullens hatten nämlich vor, in der nächsten Woche in den Norden weiter zu ziehen. Jacob hatte keine andere Wahl, als mitzukommen, weshalb er mit Sam ausgemacht hatte, dass er uns wieder bei sich aufnimmt. Ich würde die Ruhe vermissen. Die Stimmung verdunkelte sich ganz plötzlich. Jeder im Raum ging seinen eigenen Gedanken nach. Ich seufzte und sah nochmal aufs Handy. Immer noch nichts und es war schon Ein Uhr nachmittags. "Kommt, gehen wir runter Jungs. Mom hat einen Kuchen gemacht", unterbrach ich ihre Gedanken und ging vor. "Was ist eigentlich dir über die Leber gelaufen", fragte mich Seth, als er sich zu mir auf die Couch setzte. Jacob und Quil nahmen die zwei großen Sofasessel gegenüber in Beschlag. Ich zuckte nur mit den Schultern. Allein bei dem Gedanke an Ana zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Bei der Erinnerung daran, dass sie mich aus ihrem Handy löschen wollte und mich ständig zurückwies, tat sich ein riesiges Loch in meiner Burst auf. Es war unglaublich, dass in einem menschlichen Körper ein nahezu unendlich tiefes Loch passte. Doch es war nun einmal so und ich fühlte mich unglaublich leer. Ich biss meine Zähne zusammen und ermahnte mich selbst, nicht darüber nachdenken. Es würde alles noch gut werden. "Alter, ist alles in Ordnung mit dir?", Jacob musterte mich besorgt. Ich schüttelte nur den Kopf. "Ich will jetzt nicht über Huyana reden." "Huyana? Ich dachte, sie hieß Ana?", Seth hob seine Augenbrauen und sah zu Jacob, der mit den Schultern zuckte und neugierig zu mir blickte. "Ana ist ihr Spitzname. Ihr richtiger Name ist Huyana. Das hab ich am Donnerstag erst erfahren", erklärte ich ihnen. Da Quil und ich die letzten zwei Tage Patrouille gelaufen waren, wussten sie es nicht. "Klingt schön der Name, Huyana", lächelte mich Seth an. "Mir kommt er irgendwie bekannt vor", brummte Jacob nachdenklich. Quil nickte ihm nachdenklich zu. Ich hatte denselben Gedanken auch gestern bei ihm gehört. Nachdenklich kaute ich an meiner Unterlippe. Ich wusste, was sie meinten. Mir schwirrte er auch ständig im Kopf, denn der Name löste ein merkwürdiges Gefühl bei mir aus. Als wäre ein wichtiges Detail meiner Vergangenheit aufgetaucht. "Von wem redet ihr Jungs", meine Mutter kam lächelnd ins Wohnzimmer und stellte die liebevoll verzierte Torte auf den Tisch. Sie wusste, dass wir viel essen konnten, weshalb sie sich nicht die Mühe machte, den Kuchen zu schneiden und auf einem Teller zu servieren. Ein größeres Eck von der Torte fehlte, wahrscheinlich, weil sie für sich selbst etwas haben wollte. "Embrys Freundin", antwortete Seth, ehe er mit der Gabel in den ganzen Kuchen stach und sich ein großes Stück in den Mund stopfte. "Oh … warum hast du mir noch Nichts von ihr erzählt?", sie sah mich etwas traurig an. Ich seufzte. Dafür würde ich Seth später an die Gurgel gehen. Mein Blick schien Bände zu sprechen, denn Jacob und Quil fingen an zu lachen. Seth hingegen zwinkerte mir nonchalant zu. "Naja … Ist noch ganz frisch. Nichts Ernstes", fing ich an. Meine Brüder grinsten mich bekloppt an. Ich war froh, dass meine Mutter es nicht sah. Geprägt zu sein, war mehr als ernst. Es war nicht widerrufbar. Ultimativ. Ein Gesetzt meines inneren Wolfes. "Verstehe. Oh! Ist das zufällig der Freund, für die du diese Kräutermischung haben wolltest? Wie heißt sie denn?", sie grinste mich neugierig an. "Huyana", antwortete Seth mit vollem Mund. Ich stieß ihm meinen Ellenbogen gegen die Rippen. Er schnappte nach Luft, unterdrückte aber einen Schrei. Meine Mutter starrte Seth an, als hätte er sich vor ihren Augen in einen Wolf verwandelt. "H … Huyana?" Ihre Reaktion verwirrte mich. Was stimmte mit ihrem Namen nicht? Ich fand ihn wunderschön und ungewöhnlich. Irgendwie genau passend zu meinem Wolfs-da-sein. "Ja … wieso?", fragte ich sie neugierig. Sie sah zu mir. Ihr trauriger Blick verwirrte mich. "Kennst du ihren Familiennamen zufällig? Wie sieht sie denn aus?" Nervös setzte ich mich aufrecht auf. "Was ist los, Mom? Leider nicht. Irgendwie hatte ich total vergessen danach zu fragen", antwortete ich beschämt. Ich wusste so vieles noch nicht von ihr. Sie war wie ein Buch mit sieben Siegeln. Ihre Reaktionen passten oft nicht mit dem zusammen, was sie sagte und ihre Emotionen in den Augen, wiedersprachen oft ihrer Körpersprache. Es war zum Haare raufen. "Ihr wart ziemlich klein damals. Vielleicht erinnert ihr euch deshalb nicht mehr", sie stand auf und ging zum Wohnzimmerregal, wo sie nach etwas suchen schien, "Als ihr noch in der Grundschule wart, da war ein Mädchen namens Huyana Doli. Embry … ich bin überrascht, dass du das vergessen hast, wo ihr doch früher so viel miteinander unternommen habt. Zumindest bevor Mädchen blöd wurden", sie grinste mich beim letzten Satz an. Ich starrte sie fassungslos an. Meine Hände fingen an zu zittern. Etwas an dieser Sache gefiel mir nicht. Ganz und gar nicht. "Jetzt erinnere ich mich. Huyana Doli. Das war doch dieses Monster-Mädchen. Erinnert ihr euch? Sie war plötzlich nicht mehr an der Schule", platzte Jacob heraus. In diesem Moment blieb die Zeit für mich stehen. Ich blendete meine Mutter aus, die Jacob zur Schnecke machte, wegen seiner Wortwahl. Seths brüllendes Lachen wurde bloß zu einem weitentfernten Hintergrundgeräusch. Alles um mich herum verschwamm und kein Wort drang mehr zu mir hindurch. Alles, was ich wahrnahm, war das Mädchen mit einer Maske, die vor meinen Augen Form annahm. Ich sah sie, neben unserer ehemaligen Lehrerin stehen. Ihre Schultern hängten nach unten und ihr schmerzerfüllter Blick erregte mein Mitgefühl. Sie tat mir unendlich leid. Wir waren Freunde gewesen. Doch ganz plötzlich war sie verschwunden und keiner wollte mir sagen, was geschehen war. Und genau so plötzlich war sie wieder vor mir gestanden. Unsere Blicke trafen sich und sie lächelte mir leicht zu. Es erreichte aber nicht ihre Augen. Ich wusste nicht, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte, denn ich wollte nichts Dummes sagen und sie dadurch verletzten, also ignorierte ich sie. Auf dem Schulhof kam es dann zu einer Rangelei. Huyana stand drei Viertklässlern gegenüber, die sie herumschubsten. Fassungslos sah ich zu wie, man ihr die Maske vom Kopf zerrte. Ich schrie, dass man sie in Ruhe lassen sollte, doch im nächsten Moment war ihre Maske weg. Sie fing an zu weinen und ihre Schultern bebten. Irgendwer neben mir sagte, dass sie wie ein Monster aussah. Es machte mich so wütend. Sie war ein guter Mensch. Warum sollte das Aussehen von belangen sein? Ihr war doch offensichtlich etwas Schlimmes passiert. "Sie ist kein Monster", knurrte ich und ballte meine Hände zu Fäusten zusammen. Just in dem Moment, sah sie zu mir. Schwarze Augen voller Traurigkeit starrten mich an, ehe das pure Entsetzten in ihnen lag. Ihre Augen. Das Mädchen am Schulhof verschwand und ein kleines Mädchen rannte auf mich zu. Sie lachte und war richtig niedlich. Es waren dieselben Augen. Dieselben Augen jedoch etliche Male schöner, da sie vor Freude glänzten. Erneut verschwamm mein Bild und die Augen starrten mich erneut an. Anas Augen. Wie sich mich verzweifelt ansah. Wie sie mich distanziert musterte. Mein innerer Wolf brummte zufrieden, als ich den Zusammenhang endlich erkannte. Ana. Huyana. Sie war schon immer dagewesen. "Ah … hier hab ich es", meine Mutter riss mich aus den Gedanken, als sie mir ein Foto reichte. Darauf waren zwei Frauen mit ihren Kindern zu sehen. Die eine davon war meine Mutter, jung und schön, mit mir am Schoß. Ich musste so um die vier Jahre alt gewesen sein. Daneben saß eine Frau, die die Schönheit meiner Mutter in den Schatten stellte. Sie hatte glänzende, schwarze Haare, die ihr glatt über die Schulter fielen. Ihre Lippen weder zu voll noch zu dünn und ihr Gesicht war schmal. Ich schnappte nach Luft, denn sie sah aus wie Ana. Nur die Augen waren bei Ana größer und schöner. Ana war schöner. Die Frau hatte eine Hand um ihr Kind, das neben ihr saß, gelegt. Das Mädchen hatte kinnlange Haare, die ähnlich der ihrer Mutter waren, und grinste übertrieben in die Kamera. Wie gebannt starrte ich die Augen des Mädchens an. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Es waren Anas dunkle Augen. "Das … das kann nicht wahr sein!", fassungslos sah ich zu meiner Mutter. "Also ist es Huyana?", sie lächelte. Ich nickte ihr, unfähig ein Wort zu sagen, zu. Quil und Jacob sahen mich überrascht an, während Seth gespannt die Situation mitverfolgte und sich ein weiteres Stück Kuchen in den Mund schob. "Ich glaube schon. Sie sieht dieser Frau ähnlich", ich deutete auf die Freundin meiner Mutter. Sie sah mich traurig an. "Irene, sie war meine beste Freundin. Wir beide waren zur gleichen Zeit aus dem Makah Reservat hier hergezogen. Wir wurden gute Freundinnen, da wir beide zur selben Zeit schwanger waren", sie lächelte, während sie sich zurückerinnerte, "Ich war immer neidisch auf sie gewesen. Sie war wunderschön und ihr Ehemann vergötterte sie. Doch Irene wurde krank. Sehr krank", sie hielt inne. "Ich sollte dir das nicht erzählen und erst Recht nicht heute", murmelte sie. Doch als sie vorbei ging, hielt ich sie an ihrem Arm fest. "Mom, bitte", flehte ich sie fast schon an. Ich musste es hören. Ich wollte alles über Huyana erfahren. Es schien etwas Schlimmes vorgefallen zu sein. Mein Magen zog sich nervös zusammen, bei dem Gedanken mehr über sie herauszufinden. Sie seufzte und sah aus dem Fenster. "Also gut, aber erzählt es aber nicht weiter!" Sie sah uns prüfend in die Augen. Wir nickten ihr gespannt zu. "Irene … sie hatte anfangs Depressionen. Die Ärzte schoben es auf ihre Schwangerschaft, doch es wurde nicht besser. Zuerst fing alles mit Huyanas Namen an. Sie mochte ihn nicht, aber Andrew hatte darauf bestanden … Doch ganz plötzlich hatte sie nur darüber gelacht und gemeint, dass er zu ihrer Tochter passte… Es … Es war schon zu spät, als ich verstand, was sie meinte … Aber es wurde schlimmer. Wenn Huyana sich beim Spielen verletzte, hatte Irene immer ein schadenfrohes Grinsen im Gesicht gehabt. Als sie meinen erschütterten Blick wahrgenommen hatte, hatte sie nur abgewinkt und gemeinte, sie fände Huyana so niedlich, weil sie so tollpatschig war … Doch als sie älter wurde, und alle anfingen Huyana Komplimente zu machen, weil sie so hübsch war … und ihr jeder sagte, wie ähnlich sie ihrer Mutter war … Da drehte sie durch. Ich erinnere mich noch genau … wie sie mir im Vertrauen damals gesagt hatte, dass sie Huyana hasste. Sie hatte mich gefragt, ob ich dich, Embry, auch nicht ausstehen konnte … Ich war so geschockt gewesen, denn welche Mutter würde ihr eigenes Kind hassen? … Letztendlich entschloss ich mich, nach langem hin und her, zu Andrew zu gehen, um mit ihm darüber zu reden, weil ich mir Sorgen machte. Aber er zuckte nur traurig mit den Schultern und sagte, dass er eine Lösung finden würde", sie hielt inne und sah in die Runde. Wir alle hangen ihr an den Lippen. Ich hatte kein gutes Gefühl bei dieser ganzen Sache und als sie bebend die Luft einatmete, versuchte ich mich, für die nächsten Worte zu wappnen. "Ihr wart acht gewesen. Es war Weihnachten und die Ferien hatten begonnen. Ich wollte zu Irene gehen, ihr Kekse rüberbringen und frohe Weihnachten wünschen, als ich das Feuer sah. Dicker Qualm stieg den Himmel empor und die Feuerwehr versuchte dagegen anzukämpfen. Ich sah Andrew, der am Boden kniete und fassungslos das Haus betrachtete. In diesem Moment kam ein Feuerwehrmann aus dem Haus mit einem Kind in den Armen. Die Rettungsmänner machten sich sofort daran, ihr zu helfen. Es war Huyana. Und … und kurz darauf folgte Irene", meine Mutter erschauderte, "Es war einfach ein schwarzer Körper. Ich hatte so etwas schreckliches noch nie gesehen. Ich hörte Andrew schreien. Er hatte damals einen Nervenzusammenbruch erlitten. Es war schrecklich gewesen." Tränen stiegen mir in die Augen. Meine Ana musste so viel durchmachen. Ob sie immer noch deshalb litt? Ich dankte Gott oder wem auch immer dafür, dass sie nicht gestorben war. Dass sie überlebt hatte. Dass sie lebte. "Irene hatte sich umbringen wollen. Sie hasste Huyana so sehr, dass sie das kleine Mädchen mit sich in den Tod reißen wollte. Für Andrew war eine Welt zusammengebrochen. Denn Huyana hatte ihre Fröhlichkeit verloren. Ich erinnere mich noch, als ich sie im Krankenhaus gesehen hatte. Wie sie einfach in die Leere starrte und murmelte, dass sie Schmerzen hätte. Andrew erzählte mir, dass Irene auf Huyana gefallen war, als sie bewusstlos geworden war. Deswegen konnte Huyana überleben. Er hatte mir gesagt, dass ihre ganze rechte Seite dem Feuer ausgesetzt war, doch einzig ihr rechter Arm, war so schwer verbrannt, dass es dadurch zu größerem gesundheitlichen Schäden kommen würde, da er unter ihrer Mutter hervor gelugt hatte.“ Ich fuhr mir mit der Hand durch meine Haare. Also war es doch kein Pigmentfleckt, den sie zu verstecken versuchte. Sie hatte es mir nicht erzählen wollen. Ich presste meine Lippen zu einem Strich zusammen und versuchte mich auf eine gleichmäßige Atmung zu konzentrieren. Zum Glück war diese Hexe schon tot, sonst hätte ich sie jetzt mit bloßen Händen erwürgt. Wie konnte man so etwas seinem eigenen Kind antun? „Aber sie wurde dennoch für ihr ganzes Leben gebrandmarkt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Es war der Hass ihrer geliebten Mutter, der ihr das angetan hatte. Aber soweit ich weiß, kann sich Huyana an Nichts mehr erinnern. Um sich selbst zu schützen, hatte Andrew mir erklärt, hätte sie alles verdrängt. Die Ärzte meinten, dass die Psyche dazu imstande war. Das war auch gut so, denn Huyana hatte ihre Mutter geliebt", Tränen bahnten sich über das Gesicht meiner Mutter, als sie mich ansah. "Nach dem Vorfall an der Schule, sperrte sich Huyana ein. Andrew erzählte mir, dass er wegziehen würde, in der Hoffnung ihr so ein besseres Leben zu ermöglichen. Als ich Huyana das letzte Mal sah, war sie emotionslos im Auto gesessen. Sie hatte nichts gesagt. Weder traurig noch fröhlich gewirkt. Ich glaube, sie hatte sich und die Welt schon damals, in ihren jungen Jahren, aufgegeben." Sie wischte sich die Tränen weg und funkelte mich böse an. "Wenn du es nicht mit ihr ernst meinst, dann lass es, hörst du? Füge diesem Mädchen nicht unnötigen Schmerz zu, sie hatte genug davon!" Ihre Worte ließen mich erschaudern. Ich würde ihr niemals etwas Böses antun. Sie war mein Leben. "Das werde ich nicht", erwiderte ich entschlossen. Nein, bestimmt nicht. Ich würde ihr die Freude schenken, die sie all die Jahre vermisst hatte. Ich würde ihr Herz erneut zum Schlagen bringen und sie lieben, bis sie sich selbst anfängt zu lieben und noch viel länger. Kapitel 10: ------------ "Ich weiß nicht. Die Bluse ist viel zu eng", murmelte ich, während ich mich in der engen Garderobe im Spiegel betrachtete. Nina hatte mir eine hellgrüne Bluse aufgezwungen, die vom Schnitt her einem Hemd ähnlich war. Ich selbst hätte so etwas nie für mich ausgewählt, da ich den Ausschnitt viel zu gewagt fand. Was wenn ich unachtsam wurde, und man meine Narben sah? "Die schwarze Hose find ich auch zu klein. Ich bin viel zu dünn für so enge Klamotten Nina", beschwerte ich mich bei ihr. Vor der Kabine hörte ich sie genervt seufzen, weshalb ich sofort meine Worte bereute. Ich wollte sie nicht mit meinen Komplexen nerven, wo sie sich offensichtlich darum bemühte, dass es mir besser ging. "Jetzt halt aber mal die Luft an. Du hast zwar keinen Hintern wie Jennifer Lopez, aber du kannst trotzdem zeigen, was du hast." Sie schob den roten Vorhang zur Seite und steckte den Kopf durch den frei gewordenen Spalt. Ihr wütender Blick wich und sie starrte mich mit offenem Mund an. "Wow … also ich finde, du siehst fabelhaft aus! Das wird gekauft. Hier probiere das Mal an", sie reichte mir ein rotes Shirt. Zögernd nahm ich es entgegen. "Ich hab aber nicht so viel Geld, Nina", protestierte ich schwach. Ich wusste, dass es unmöglich war, Nina etwas auszureden. "Seh's als Geburtstagsgeschenk an", sie zwinkerte mir zu. "Geburtstagsgeschenk?" Ich war verwirrt. Mein Geburtstag war doch erst in einem Monat! Hatte sie das vergessen? "Nur weil dein Geburtstag erst am 6. Mai ist, heißt das nicht, dass ich dir nicht jetzt schon dein Geschenk übergeben kann. Immerhin zwingen mich die Umstände dazu, dass ich dir jetzt schon mein Umstyling Paket schenke", sie lachte. Ich sah sie schweigend an. Nina war wirklich ein toller Mensch. Ich sollte mich nicht so anstellen und ihr entgegen kommen. Wenn sie glücklich war, war ich es auch. Und vielleicht würde ich wirklich in diesen neuen Klamotten selbstbewusster werden. Erleichtert ging ich aus dem Laden und atmete genussvoll die frische Luft ein. Der abgestandene Geruch von neuen Sachen und zu viel Parfüm im Geschäft hatte mir das Gefühl gegeben, dass ich jedem Moment ersticken würde. Nina hatte mich über zwei Stunden lang Klamotten anprobieren lassen. Es war der reinste Horror gewesen. Ich wusste nun, dass shoppen nicht zu meinen Hobbys gehören würde. Niemals. Ich würde, falls ich nach dem heutigen Tag je wieder Klamotten bräuchte, wieder alles übers Internet bestellten. „Woah … endlich fertig. Jetzt sollten wir etwas essen und dann zum Frisör“, Nina kam lächelnd aus dem Geschäft und schleppte die Einkäufe mit sich. Mir gefielen die Sachen sehr, doch ich fand nicht, dass sie mir passten. Nina hingegen war hin und weg gewesen. Ob ich Embry darin auch gefallen würde? Ich schüttelte energisch meinen Kopf. Ich sollte aufhören, an ihn zu denken. Bei Ninas kleinem, rotem Flitzer, wie sie ihn nannte, angekommen, packte sie die Einkaufstaschen in den Kofferraum und grinste. „Ich finde so etwas super. Ist dir eigentlich klar, dass wir zum ersten Mal einen Mädelstag veranstalten?“ Ich legte meinen Kopf schief. Sie hatte Recht. Wir waren noch nie irgendwo gemeinsam hingefahren. Mein schlechtes Gewissen wurde größer. Ich sollte, Nina zu liebe, euphorischer an die Sache rangehen. Gerade als wir uns ins Auto setzten, vibrierte mein Handy in meiner Hosentasche. Mein Magen zog sich sofort vor Nervosität zusammen. Ich biss mir auf die Lippen und sah aus dem Fenster. Dass es eine Nachricht von Embry war, wusste ich, ohne hinsehen zu müssen. Und obwohl ich neugierig war, wollte ich sie nicht lesen. Ich hatte Angst, dass er mir endgültig sagte, dass er mich in Ruhe lassen würde. Denn ein kleiner Teil von mir hoffte, ihm vergeben zu können. Hoffte, dass ich über meinen eigenen Schatten springen konnte. Ich seufzte schwerfällig. Gefühle waren verwirrend. Nichts von all dem verstand ich. Ich wollte ihn nicht mehr sehen, das hatte ich schon vor Jahren beschlossen gehabt. Warum sehnte sich dann mein Herz so nach seinem Lächeln? Das ergab alles keinen Sinn. Auf meiner Lippe kauend, sah ich schließlich zu meinem Handy und öffnete die Nachricht. Embry – Heute 15:04 Bitte Huyana! Bitte melde dich! Sonst komm ich zu dir, wenn’s sein muss. Fassungslos starrte ich den Bildschirm an. Er würde zu mir kommen? Aber ich war doch nicht zu Hause! Gott! Wie er wohl reagieren würde, wenn er mich nicht dort vorfand? Ob er mich hassen würde? Mein Herz stockte bei diesem Gedanken. Ich wollte nicht, dass er mich verabscheute. „Alles okay?“, Ninas Stimme drang zu mir durch. Hilfe suchend sah ich zu ihr. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Was tat man in einer solchen Situation? Vielleicht wusste sie weiter, sie konnte gut mit Menschen umgehen, und hatte schon mehrere Freunde gehabt. „Embry … er hat gesagt, er kommt vorbei … wenn ich mich nicht mehr melde“, stotterte ich völlig aufgelöst. „Dann schreib ihm doch endlich. Der macht sich bestimmt sorgen, Ana“, Nina sah mich fassungslos an. „Du kannst doch nicht ständig vor ihm wegrennen. Mann Ana, du bedeutest ihm wirklich etwas“, sie schüttelte den Kopf. Wenn er tatsächlich keine bösen Absichten hatte, durfte ich ihn dann abweisen? Hatte ich ein Recht dazu? Durfte ich noch böse auf ihn sein? Würde er meine Enttäuschung ihm gegenüber verstehen? Würde er es verstehen, dass ich ihn nicht sehen wollte, weil der Schmerz von vor zehn Jahren noch tief in mir saß? Ich wollte nicht von ihm gehasst werden. Ich brauchte nur etwas Zeit. Zeit, um mich selbst zu verstehen. Ich sah Nina panisch an. „Und … und was soll ich ihm schreiben?“ „Keine Ahnung. Schreib, dass es dir gut geht, dank seinem Tee … so etwas in der Art“, Nina zuckte mit den Schultern, während sie an einer Kreuzung abbog. Ich nickte ihr zu und tippte das Erstbeste, was mir einfiel. Ich – Heute 15:13 Hi! Mir geht’s besser. Der Tee war wirklich lecker, danke! Als ich es abgeschickt hatte, überkam mich ein schlechtes Gefühl. Ich hatte zum ersten Mal jemanden vorsätzlich belogen und es fühlte sich schrecklich an. Noch bevor ich die Tastensperre aktiviert hatte, erreichte mich seine Nachricht. Das unbehagliche Gefühl verstärkte sich noch mehr. Embry – Heute 15:14 Verstehe … Ich schnappte nach Luft, doch es war nicht genug. Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Der Schmerz in meiner Brust wurde unerträglich. Ich wimmerte leise. Er hatte mich bestimmt durchschaut. „Hei Ana. Alles Okay? Was ist passiert?“, Nina parkte vor einem kleinen Restaurant und drehte sich zu mir. Ich konnte ihr nicht Antworten. Der Kloß in meinem Hals war zu groß. Ich bekam keine Luft mehr. „Hei Ana. Beruhig dich, sonst hyperventilierst du noch. Ana …“, sie legte mir eine Hand auf die Schulter und strich mir sanft über meinen Arm. Es beruhigte mich tatsächlich ein wenig. „Schön ein und aus atmen“, murmelte sie leise, „Ein und aus.“ Ich versuchte mich an ihrem Atemrhythmus zu orientieren und schloss die Augen. Es half. Ich hatte Embry angelogen und er wusste es. Da war ich mir sicher. Sonst schrieb er immer so unnötig viel. Gott! Jetzt hatte ich die Grenze deutlich überschritten. Ich hatte ihm bestimmt wehgetan. Niemals wollte ich jemanden verletzten und doch tat ich es. „Ich hab Kopfschmerzen“, murmelte ich und sah aus dem Fenster. Ich wünschte mir, dass diese blöde Fliege nie aufgetaucht wäre. Dass Embry mich einfach ignoriert hätte. Dass ich ihm meine Handynummer nicht gegeben hätte. Dass ich nicht diese komischen Gefühle für ihn hätte. Doch es war Embry. Embry, der immer so glücklich lächelte, wenn er mich sah. Der wütend wurde, wenn mich andere beleidigten. Der sich über einen Apfelkuchen freute, als wäre es das Beste auf dieser Welt. Embry. Er würde nicht so bösartig sein und mir etwas vormachen? Ein Mensch konnte doch nicht so viele Emotionen vortäuschen? „Komm wir gehen etwas essen. Du hast die letzten zwei Tage auch kaum etwas zu dir genommen. Danach wird es dir besser gehen“, Nina stieg aus dem Auto und deutete mir, dass ich ihr folgen sollte. Es ging mir nicht besser. „Das war lecker. So und jetzt auf zum Friseur“, verkündete Nina, als sie aus dem Restaurant ging. Demonstrativ strich sie sich über den Bauch und grinste. Mit zusammengepressten Lippen folgte ich ihr aus dem Lokal und sah mich um. In der kurzen Zeit, wo wir essen waren, hatte es ein wenig geregnet. Es hatte mir ein bisschen geholfen, mich zu entspannen. Doch nun, wo ich wieder an der frischen Luft war, wurde mir erneut schlecht. Eine unangenehme Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus. Ich hatte das merkwürdige Gefühl beobachtet, zu werden. Verwirrt sah ich mich um, denn ich verstand es nicht. Wahrscheinlich war nur mein Körper übermüdet und erschöpft. Ich schüttelte mit dem Kopf. „Können wir nach Hause? Ich fühl mich nicht so gut.“ Ich konnte es mir selbst nicht erklären. Aber es fühlte sich falsch an, hier zu sein. Als wäre ich am falschen Ort zur falschen Zeit. Ich wollte einfach wieder in mein Bett und über alles grübeln. Immerhin war die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich morgen Embry im Kaffee sah. Ich musste mich darauf seelisch vorbereiten. „Ana!“, Nina schnappte nach Luft und sah mit großen Augen an mir vorbei. Verwirrt drehte ich mich um und traf auf wunderschöne braune Augen. Augen, die mich in meinen Gedanken verfolgten. Das konnte nicht wahr sein! Warum um alles in der Welt war er hier? Mein Herz setzte einen Moment aus, nur um schneller zu schlagen. Wie gebannt starrte ich ihn an und ignorierte die Person hinter ihm. Ich ignorierte Nina, die auf mich einredete. Ich blendete einfach alles aus. Alles bis auf ihn. Embrys schmerzverzerrte Mimik würde sich für immer in mein Herz einprägen. Jetzt wo ich wusste, wer er war, stach die Ähnlichkeit zu früher deutlich heraus. Es waren dieselben braunen Augen und dasselbe süße Grübchen am Kinn. Nur das Lächeln unterschied sich. Es war nicht mehr so fröhlich wie damals. Und ich war der Grund dafür. „Huyana. Freut mich, dass es dir so gut geht“, hörte ich ihn sagen. Ich nahm es verzerrt auf, als wären meine Ohren in Watte gepackt. Mir wurde schwindlig. Dieser Schmerz in meiner Brust war mir zu viel. Wie konnte ich bloß annehmen, dass er mir etwas vorspielte, wo er nun gebrochen vor mir stand? Ich hatte ihn verletzt. Ich alleine hatte ihm Schmerzen zugefügt. Schmerzen, die ich persönlich nur allzu gut kannte. Es tat mir so leid. Ich hatte das nicht gewollt. Wenn ich bloß mehr Erfahrung hätte. Wenn ich bloß mehr Mut gehabt hätte, um ihn all die Dinge anzusprechen, die mir im Kopf herumschwirrten. Ich senkte meinen Blick und sah zu meinen Schuhen. Ich wollte einfach nur noch weg. Noch ehe ich den Gedanken, zu Ende gedacht hatte, sprintete ich an ihm vorbei und lief. Ich lief vor ihm weg. Ich lief vor mir selbst weg. Vor meinen Gefühlen. Vor meinem Schmerz. Meine Beine fühlten sich kraftlos an, als würde ich gegen ein Gummiband laufen, das mich jeden Moment zurück zu ihm werfen würde. Als würde ich gegen die Schwerkraft laufen. Mit jedem weiteren Schritt zerbrach mein Herz in weitere kleine Stücke. Gehetzt blickte ich alle paar Sekunden nach hinten, um sicherzustellen, dass er mir nicht folgte. Meine Sicht verschwamm und als ich blinzelte, spürte ich die warmen Tropfen an meinen Wangen. Ich war ein schlechter Mensch. Wie konnte ich ihm nur so wehtun? Ich wollte ihm nicht noch mehr Schmerzen zufügen. Sein schmerzerfüllter Gesichtsausdruck erschien mir vor meinen Augen. Was war ich bloß für ein Monster? Wie konnte ich nur an ihm zweifeln? Sein Gesicht verschwand und wurde von dem meines Vaters ersetzt. Wie er mich ebenfalls traurig ansah. Ich hatte sie alle verletzt. Jeder, der mir etwas bedeutete, litt wegen mir. Plötzlich veränderte sich das Bild vor meinen Augen und das wunderschöne Gesicht meiner Mutter erschien. Anders als ich es sonst in Erinnerung hatte, starrte sie mich hasserfüllt an. Undeutliche Bilder flackerten auf. Wie sie mich anschreit. Wie sie mir sagt, dass ich für all ihr Unglück schuldig war. Dass es am besten wäre, wenn ich starb. Ich wimmerte. Sie hatte Recht. Ich fügte allen Menschen um mich herum nur Schmerz zu. Es wäre das Beste für alle, wenn ich einfach tot umfallen würde. Dann würde ich sie nie wieder enttäuschen. Ich würde ihnen nie wieder Schmerzen zufügen. Embry und mein Vater hatten ein Recht auf ein glückliches Leben. Ich war nur ein Hindernis. Ein belustigtes Kichern riss mich aus meinen Gedanken. Verwirrt blieb ich stehen und realisierte, dass ich ohne Orientierung herumgelaufen war. Den Gebäuden nach zu urteilen, war ich im Industriegebiet angelangt. Der Anblick der leeren Straße behagte mir nicht. Es wirkte unnatürlich. Genau wie vorhin breitete sich dieselbe unangenehme Gänsehaut auf meinem Körper aus. Etwas stimmte hier nicht. Ich sollte schleunigst zurück zu Nina. Kapitel 11: ------------ Ich glaubte nicht an Monster oder an die Märchen, die man uns früher erzählt hatte. Ich war davon überzeugt gewesen, dass sie nur dazu dienten, um uns Kinder abzuschrecken. Wesen, die nur in Horror oder Fantasy Filmen vorkamen, gab es in Wirklichkeit nicht. Zumindest war ich davon überzeugt gewesen. Jeder, der mir hätte weismachen wollen, dass es Vampire und andere Monster gab, den hätte ich sofort für verrückt erklärt. Doch das Leben sorgte immer für Überraschungen und mein Schicksal war sehr darauf bemüht, dass ich niemals mit einer Angenehmen konfrontiert wurde. Denn gerade als ich zum Laufen ansetzten wollte, trat das schönste Wesen, das ich je in meinem Leben gesehen habe, aus einer Gasse heraus. „Meine Süße, warum bist du so traurig?“ Ihre Stimme war wunderschön. Ich hatte noch nie eine Stimme gehört, die so verführerisch klang, wie ihre. Die Frau war außergewöhnlich groß und hatte einen Körper eines Top-Models. Sie war schlank, besaß aber Kurven, die jedem Mann den Kopf verdrehen würden. Ihre Haare waren lang und schwarz, wie die meinen, doch ihre wellten sich leicht in den Spitzen. Sie hatte ein schmales Gesicht und eine dazu passende gerade Nase. Ihre vollen Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. Sie sah tatsächlich aus, als wäre sie aus einem Modemagazin herausgesprungen. Und wie sie aus der Gasse mit großen Schritten hervortrat. Ihre Bewegungen waren nahezu flüssig. Auf mich wirkten sie jedoch, wie das Heranpirschen eine Raubkatze. Taumelnd ging ich einen Schritt zurück, als ich ihr in die Augen sah. Ihre roten Augen fixierten mich und ich konnte das pure Entzücken in ihnen erkennen. Das war nicht möglich. Niemand hatte rote Augen. Erneut kicherte sie belustigt. Diese Frau war mir nicht geheuer. Sie machte mir unheimliche Angst. Noch bevor mein Gehirn überhaupt die Signale zum Wegrennen aussenden konnte, stand sie vor mir. Ich wollte erschrocken aufschreien, doch ihre Hand packte mich am Hals und drückte fest zu. Sie war unfassbar schnell! „Man sagt ja normalerweise, dass man nicht mit dem Essen spielen sollte. Aber findest du das nicht auch langweilig? Ich meine … ich könnte dir sofort das Genick brechen, doch es wäre nicht genug. Ich möchte deinen panischen Herzschlag hören. Mich um Gnade betteln sehen. Es gibt nichts Besseres, als wenn Adrenalin durch einen Körper strömt. Das verstärkt noch den Geschmack. Oh mir rinnt das Wasser schon im Mund zusammen“, sie lachte, als hätte sie den Witz des Jahrhunderts gerade erzählt. Ich fand ihn nicht komisch. Gar nichts an der Situation fand ich amüsant. Warum hatte ich diesen Wunsch nur so unachtsam ausgesprochen? Verdiente ich es wirklich zu sterben, dass Gott sofort meinen blöden Worten nachkommen musste? Langsam, als wollte sie mich nicht verschrecken, nahm eine Haarsträhne und roch genüsslich daran. Was war sie? Wollte sie mich tatsächlich verspeisen? War sie eine verrückte Kannibalin mit roten Kontaktlinsen, um die Dramatik dieser Situation zu unterstreichen? Sie zwirbelte mein Haar um ihren Zeigefinger und zog leicht daran. „Also, wie wär’s mit einem Spielchen?“ Ich starrte, wie hypnotisiert, in ihre roten Augen, die langsam dunkler wurden. Ich erschauderte. Nein, das konnten keine Kontaktlinsen sein. Mein Herzschlag geriet ins Stolpern, ehe es zu einem Sprint ansetzte. Sie konnte kein Mensch sein. Ich würde durch diese Frau sterben, dessen wurde ich mir bewusst. „Ja! Das ist die Reaktion, die du haben solltest. Habe Angst. Kämpfe. Schreie. Amüsiere mich, vielleicht lasse ich dich dann am Leben“, flüsterte sie mir ins Ohr. Ihr unnatürlicher, kalter Atem streifte meinen Hals und ließ mich erneut erschaudern. Sie war so merkwürdig kalt. Ich packte sie an ihrem Arm, als sie mich plötzlich von sich hochhielt. Meine Beine taumelten, auf der Suche nach halt, in der Luft herum. Ich drohte zu ersticken. Verzweifelt versuchte ich meine Fingernägel in ihre bleiche Haut zu bohren, damit sie mich losließ, doch es war vergebens. Ihre Haut war fest, und gab nicht nach. „Was … bist … du?“, presste ich hervor. Ich wollte wenigstens wissen, durch was ich sterben würde. Sie lachte entzückt. „Dein schlimmster Albtraum würde ich meinen!“ Sie war nicht mein schlimmster Albtraum. Dem war ich heute schon begegnet. Mein schlimmster Albtraum war es, Embry zu verletzten. Ich hatte selbst nicht gewusst, dass es mich so belasten würde, und wenn ich es mir ausgemalt hätte, dann wäre es eine glatte Untertreibung gewesen. Er hatte mich angesehen, als hätte ich ihm das Herz herausgerissen und darauf noch herum getrampelt. Es tat so unsagbar weh. Mehr, als diese Frau mir je an Schmerzen zufügen könnte. Ohne jegliche Vorwarnung ließ die Frau mich los und ich fiel zu Boden. Nach Atem ringend kniete ich auf dem Asphalt und versuchte den Schmerz, der von der harten Landung kam, an meinen Schienbeinen zu ignorieren. Ich musste schleunigst weg von hier. Sie würde mich umbringen so viel stand fest. Vorsichtig schielte ich zu ihr. Sie hatte selbstfällig ihre Arme vor die Brust verschränkt und beobachtete mich. Ihr Blick erinnerte mich an den einer Katze, die gelangweilt mit einer Maus spielte. Mein Körper schien die Gefahr, die von ihr ausging zu spüren, denn mein Verstand überschlug sich, während ich meine Fluchtmöglichkeiten abwog. „Wegrennen ist zwecklos Süße“, grinste sie. Ich sah kurz über die Schulter. Auf der anderen Seite der Gasse schien die Straße, belebter zu sein. Wenn ich es nur schaffen könnte, dort in die Nähe zu kommen, würde ich vielleicht jemanden auf mich aufmerksam machen können. Ich schätzte die Entfernung auf ungefähr zwanzig Meter. Im Sprint war ich nie gut gewesen, aber es war meine einzige Chance. „Ich … weiß“, nickte ich leicht. Just in dem Moment zog donnernd ein schwerer Laster an uns vorbei, weshalb sie dem Fahrer einen abfälligen Blick zu warf und mich kurz aus den Augen ließ. Das war meine Fluchtmöglichkeit! Ich setzte zum Laufen an, doch bevor ich auch nur einen Meter weit kam, spürte ich einen stechenden Schmerz in meinem Rücken und die unmenschliche Kraft, die mich nach vorne schleuderte. So schnell ich konnte, hob ich schützend meine Hände über den Kopf, ehe ich gegen die Wand prallte und zu Boden rutschte. Mir wurde schwindelig, und alles verschwamm vor meinen Augen. Ihr belustigtes Lachen drang zu mir hindurch. Doch es hörte sich so fern an. Ich wusste, dass ich von hier weg musste. Das Klacken ihrer Stöckelschuhe hallte gegen die Wände und ging in einem Echo unter. Ich sah zu ihr und kniff meine Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, da ich sie doppelt sah. Meine Schläfe pochte schmerzhaft im Takt meines Herzschlages. „Das war ein böser Tritt, ich weiß … Aber stell dich nächstes Mal geschickter an, sonst wird das hier langweilig.“ Ihre Stimme triefte vor Belustigung. Tränen stiegen mir in die Augen, es war hoffnungslos. Ich würde es nicht schaffen, das wusste sie genauso gut, wie ich. Diese Hoffnungslosigkeit – dieses Gefühl, es war mir nicht fremd. Erneut flackerten Bilder vor meinen Augen auf. Sie waren verschwommen und wirkten genauso unecht und surreal, wie diese Person vor mir. Meine Kopfschmerzen wurden immer stärker. Diese Erinnerungen, warum kamen sie nun so plötzlich? Was hatte das zu bedeuten? Ich griff mir wimmernd auf den Kopf und verharrte, als ich etwas Feuchtes ertastete. Ein Knurren von meiner Peinigerin ließ mich erschrocken zu ihr blicken. Ihre Augen hatten sich verdunkelt und waren fast so schwarz, wie meine. Sie blähte ihre Nasenflügel auf und sog die Luft ein. In nur wenigen Millisekunden, zu schnell um es mit meinen Augen erfassen zu können, packte sie mich am Hals und zog mich hoch. Ich stöhnte auf, denn der Schmerz, der von meinem wunden Hals ausging, war unerträglich. „Du … riechst so … unverschämt gut“, ihre Worte kamen gepresst und sie wirkte, als müsste sie sich zusammenreißen, um nicht jeden Moment über mich herzufallen. Ich erschauderte bei dem Gedanken. Nahezu ehrfürchtig nahm sie meine blutige Haarsträhne und zwirbelte sie erneut um ihren Zeigefinger. Hypnotisiert starrte sie das Blut an, welches sich langsam ihren Finger hinunter tropfte. Perplex beobachtete ich, wie sie den Tropfen ableckte und die Augen genussvoll verdrehte. „So köstlich“, schnurrte sie vergnügt. Es war, als wäre sie förmlich in Ekstase. Sie schien zu erschaudern. „Einfach vorzüglich. Ich muss regelrecht ankämpfen, damit ich nicht sofort über dich herfalle Schätzchen“, sie lächelte mich schief an. Plötzlich verengte sie den Griff um meinen Hals und kleine Punkte fingen an vor meinen Augen zu tänzelnd. „Wie wäre es, wenn wir in den Wald verschwinden und noch ein bisschen Spaß haben?? Wir müssen so etwas feiern. Es kommt etwa alle hundert Jahre vor, dass mir jemand, wie du es bist, begegnet“, verkündete sie, als wäre es etwas Wundervolles. Ich versuchte, ihre Worte zu verarbeiten. Hatte sie gerade allen Ernstes gesagt, dass es nur alle hundert Jahre vorkam? Was hatte das zu bedeuten? War sie unsterblich? Gab es so etwas wie Unsterblichkeit auf dieser Welt? Ein schrilles Klingeln durchbrach die Stille. Es war der schreckliche Klingelton meines Handys. Die fröhliche Melodie, die in der engen Gasse gegen die hohen Wände hallte, passte ganz und gar nicht zu dieser Situation. Wäre dies ein blöder Horrorfilm gewesen, hätte ich über diese Situation geschmunzelt. Doch es war die bittere Realität. Dem Monster schien aber die groteske Situation zu gefallen. Ohne zu fragen, zog sie es aus meiner Hosentasche. "Nina?", fragend sah sie zu mir. Gott nein! Nina durfte bloß Nichts geschehen, dass würde ich mir nie verzeihen. Ich würde nicht in Frieden ruhen können, und das war das Einzige, auf was ich noch hoffen konnte. Ihr schien mein panischer Blick zu gefallen, denn sie grinste mich vergnügt an. Mit all meiner Kraft versuchte ich ihr das Handy aus der Hand zu reißen, und es vorher noch zu zerstören. Doch es war unmöglich mich auch nur einen Millimeter aus ihrem Griff zu winden. Sie kicherte und drückte auf die Lautsprechtaste, als sie abhob. "Ana? Ana, wo bist du? Bist du bei der großen Kreuzung nach rechts gelaufen? Gott Ana komm bitte wieder zurück!", hörte ich Ninas panische Stimme, die vom Lautsprecher verzerrt wurde. Ich schloss meine Augen, als der Schmerz in meinem Herzen schwerer wurde. "Ana?", piepste sie. Nina hatte offensichtlich Angst um mich. Tränen stiegen mir in die Augen. Es tat mir alles so unglaublich leid. Wenn ich doch bei dem Unfall damals gestorben wäre, dann würde ich sie nicht in diese Gefahr bringen. "Sag ihr, dass sie herkommen soll", flüsterte mir die Frau ins Ohr. Ich biss mir auf die Zunge, bevor ich ihr noch eine unüberlegte Beleidigung an den Kopf werfen würde. Ihr Griff um meinen Hals wurde locker, sodass ich wieder ein wenig Luft bekam. "Nina … Nina lauf weg. Nina komm mich nicht such ...", rief ich panisch und ignorierte den Schmerz, der von meinem Kehlkopf ausging. Der Griff wurde wieder fester und meine Stimme versagte. Ich wimmerte leise. "Ana? Ana ist etwas passiert?", ihr hörte, wie ihre Stimme panischer wurde. "Es … tut … mir leid … Nina", presste ich die Worte mit meiner letzten Kraft heraus. Ich hoffte, dass sie mich hören konnte. Die Frau vor mir zog überrascht ihre Augenbrauen in die Höhe und grinste belustigt. "Ana … Ana mach keinen Blödsinn! … Embry ist …" Grinsend zerquetschte die Frau mein Handy in ihrer Hand und ließ es achtlos zu Boden fallen. Was war mit Embry? Er würde doch nicht nach mir suchen? Ich wollte nicht, dass er sich wegen mir unnötig in Gefahr begab. Ich hatte sein Leben schon zu genüge zerstört. "Was für ein Drama! Wie in einem schlechten Film", sie lachte, "Da ich heute in feierlauen bin, lass ich deine geliebte Freundin in Ruhe. Ich weiß, ich bin nett! Aber wir haben schon genug Zeit vergeudet Schätzchen.", sie lächelte mich an. Erneut drückte sie fester meinen Hals und ich spürte, wie sich mein Kehlkopf gegen die Luftröhre presste. Die schwarzen Punkte, die vor meinen Augen tänzelten, wurden allmählich größer. Ich verlor langsam mein Bewusstsein. Ein erstickender Laut entwich mir. Es war der letzte Versuch meiner Lungen nach Luft zu schnappen. Ich würde bald sterben. Kurz bevor alles schwarz wurde, sah ich Embrys Gesicht, seine Mimik von Trauer und Enttäuschung verzogen. Es tut mir so leid Embry. Kapitel 12: Blutrausch ---------------------- Das Erste, was in dieser unendlichen Dunkelheit zu mir durchdrang, waren höllische Kopfschmerzen. Ich hörte aus der Ferne ein leises Wimmern. Vermutlich von mir. Der Geruch von nassem Moos stieg mir in die Nase. Wo war ich? Eine Windbrise ließ mich erschaudern. Es dämmerte mir, dass ich im Wald sein musste. Doch warum war es so ruhig? Normalerweise konnte man die Vögel zwitschern hören. Normalerweise war der Wald voller Leben, doch im Moment war es mucksmäuschenstill hier. Murrend versuchte ich meine Augen zu öffnen. Doch meine Lider fühlten sich tonnenschwer an. Ich schaffte es, sie gerade so weit zu öffnen, dass ich durch einen kleinen Spalt den braungrünen, matschigen Boden unter mir sah. Durch das dumpfe Licht im Wald breiteten sich stechende Kopfschmerzen aus. Es war einfach schrecklich und fühlte sich an, als würde man mir ein Messer durch die Augen bohren. Ich schloss meine Lider wieder und lehnte mich seufzend gegen den rauen Baumstamm. Wie war ich bloß in diesen Wald gekommen? Das letzte, an das ich mich erinnern konnte, war, wie ich mit Nina essen war. Ich hielt die Luft an, als blasse Bilder vor meinen Augen auf flimmerten. Langsam kamen meine Erinnerungen zurück. Ich hatte Embry gesehen und ihm das Herz gebrochen, weil ich ein grausamer Feigling war. Anstatt mich zu entschuldigen, hatte mein feiges Ich beschlossen, vor ihm wegzurennen. Mein Herz zog sich schmerzhaft, bei der Erinnerung an Embrys Blick, zusammen. Es tat mir so leid. Ich verdiente ihn wirklich nicht. Warum nur machte er sich so viel aus mir? Ein anderes Bild erschien. Rote Augen starrten mich an, die langsam dunkler wurden. Mein Herz stockte und fing holprig an, in einem höheren Tempo zu schlagen. Die nackte Panik packte mich, als ich mich an ihre Kraft und Schnelligkeit erinnerte. Ich blinzelte vorsichtig, aus Angst, sie zu entdecken. Ich musste schleunigst von hier weg. Ein leises Stöhnen entwich mir, als ich meinen Kopf drehte. Mein Hals zog schon bei der kleinsten Bewegung schmerzhaft. Vorsichtig fuhr ich mit den Fingern über meinen Hals und zuckte zusammen, als ich ihn leicht berührte. Sie war ein Monster! Mir solche Verletzungen mit Leichtigkeit zufügen zu können, war beängstigend. Ich sollte schnell von hier weg, bevor sie zurückkam. Mit wackeligen Beinen versuchte ich mich aufzurappeln, fiel aber sogleich wieder zurück. Der Schlafmangel machte sich nun bemerkbar. Ich seufzte und sah hoch zu der dunkelgrünen Decke aus Blättern. Heute würde ich sterben. Wenn nicht durch diese wunderschöne Frau, dann vielleicht durch einen der riesigen Bären, die man in diesen Wäldern schon oft gesehen hatte. Ein Rascheln zu meiner Rechten ließ mich erschrocken zusammenzucken. Vorsichtig, um meinen Hals nicht überzustrapazieren, drehte ich meinen Kopf in die Richtung, wo der Busch noch wackelte. Da war nichts. Ich schluckte, zuckte aber sofort bei der Bewegung meines Kehlkopfes zusammen. Zögerlich sah ich mich um. Vielleicht hätte ich einmal in meinem Leben das unverschämte Glück, und ein paar Wanderer würden vorbeikommen. Just in dem Moment, verschwand das Bild des Waldes und das Monster hockte sich vor mir. Der panische Schrei blieb mir im Hals stecken, als sie mir grinsend den Mund zu hielt. Der Luftzug, der durch ihre schnelle Bewegung entstand, wehte mir ins Gesicht. Ihr süßlicher Duft stieg mir in die Nase. Sie roch unverschämt gut. Vielleicht hatte es auch etwas Gutes, von jemandem so schönen getötet zu werden? Ich konnte nur darauf hoffen, dass sie mich schnell umbrachte. Das wäre sogar ein akzeptabler Tod für mich. Schnell und schmerzlos. Man war einfach nach einem Augenblick, der so lange dauerte, wie ein Wimpernschlag, tot. „Na, gut geschlafen? Ich musste mich wirklich zusammenreißen, dass ich nicht sofort über dich herfalle. Immerhin wollen wir uns doch auch amüsieren. Du musst wissen … du bist etwas ganz Besonderes für mich. Wir sind nämlich füreinander bestimmt“, sie leckte sich über die Lippen. „Nur selten trifft man auf jemanden, der einem solchen Genuss verspricht.“ Erneut nahm sie meine Haarsträhne und schnupperte daran. Ein leises Schnurren war von ihr zu hören. Ich erschauderte. Warum war sie nicht einfach über mich hergefallen? Mir wäre es lieber gewesen. Verwirrt legte sie den Kopf schief und musterte mich. „Hast du keine Angst?“ Sie hörte sich enttäuscht an. Ich sah zu ihr. Nein. Ich hatte keine Angst mehr, denn die Lage war für mich hoffnungslos. Ich wusste, dass ich sterben würde. Das Einzige wovor ich mich fürchtete, war ihr Versprechen, mich zu quälen. Das war der Grund, warum ich wirklich am Überlegen war, ob ich es nicht wagen sollte zu flüchten. Meine Chancen standen schlecht. Ihre Geschwindigkeit war beängstigend und sie war stark. Dazu kam noch, dass sie unverwundbar war. „Ich sag dir jetzt, wie wir das machen. Ich schließe meine Augen und du darfst wegrennen. Wir sind hier ziemlich tief im Wald, aber wenn du es schaffst rauszukommen, bevor ich dich finde, dann lasse ich dich laufen. Klingt gut, nicht?“, sie lächelte. Ich wusste, dass es unmöglich war, ihr zu entkommen. Ihr falsches Lächeln sprach Bände. „Wenn du nicht wegrennst, und dich einfach ergibst, dann breche ich dir jeden einzelnen Knochen“, sie grinste. Fassungslos sah ich sie an. Sie hatte genau gewusst, dass ich mich ergeben würde, da ich es schnell hinter mich bringen wollte. Doch vermeintlich wegzulaufen war besser, als die zweite Option. Ich schluckte und nickte. Sie lachte herzhaft auf. Dieses sadistische Monster genoss meine missliche Lage. Plötzlich packte sie mich an den Haaren und zog mich hoch. Ich schrie vor Schmerz auf. Meine Füße taumelten über dem Boden, weshalb ich verzweifelt nach Halt suchte, denn ich hatte das Gefühl, dass meine Kopfhaut sich jeden Moment von meinem Schädel lösen würde. Hatte sie mir nicht versprochen, mich laufen zu lassen? Kichernd senkte sie ihren Arm ein bisschen. Gerade so viel, dass ich mich mit den Zehen stützen konnte. Meine Sicht verschwamm und als ich blinzelte, spürte ich feuchte Tropfen auf meiner Wange. Sie lachte erneut. Es wirkte auf mich verrückt. „Oh … Du armes Ding. Was ist denn mit dir passiert“, sie sah mich entsetzt, gleichzeitig aber auch belustigt, an. Ihre kühlen Fingern strichen über den übrig gebliebenen Knorpel meines rechten Ohrs. „Muss schmerzhaft gewesen sein. Du hast aber auch gar kein Glück“, murmelte sie und fast hätte ich geglaubt, dass sie Mitleid mit mir bekam und mich laufen ließ. Ich war wirklich ein naiver Idiot. Sie fuhr mit dem Zeigefinger meinen Hals entlang, packte den Rollkragen meines Pullovers. Als sei mein Pullover aus Papier, zerriss sie ihn ganz leicht und entblößte meinen Oberkörper. Die kühle Luft umhüllte mich und ich fing an zu zittern. Ein Schluchzen entwich mir. Warum tat sie mir das an? „Ach herrje… Du siehst nicht gerade schmackhaft aus“, sie verzog ihre Lippen angewidert, als sie meinen Arm musterte. Ich hatte kein Problem damit zu sterben, aber dass sie mich vor meinem Tod auch noch so demütigen musste, fand ich unerträglich. Vielleicht würde sie meinem Wunsch nachkommen und mich wenigstens danach zerstückeln, damit keiner mich nackt vorfinden würde. Ihr kalter Zeigefinger, der langsam über meine Narben strich, riss mich aus den Gedanken. „Wie ist das passiert?“, fragte sie. Fassungslos starrte ich sie an. Wollte sie jetzt noch ein Pläuschchen einlegen? Ich biss die Zähne zusammen. Von mir würde sie bestimmt keine Antwort mehr bekommen. Ein plötzlicher Schmerz an meinem rechten Oberarm ließ mich aufschreien. Ich hörte ein leises Knacksen, als sie meinen Arm fest zudrückte. Sie hatte mir mit bloßen Händen den Oberarm angebrochen. Ich wimmerte. „Rede, mein kleines Monster. Sieh mal … du stirbst gleich, also bin ich so nett und höre dir zu. Es heißt, man ruht leichter in Frieden, wenn man sich alles von der Seele geredet hatte … Ich bin auch kein Monster, weißt du. Es ist dein Duft, der so betörend ist, deshalb muss ich dich einfach haben“, Belustigung schwang in ihren letzten Worten. Ich sah zu Boden. Sie würde kein Wort mehr aus mir herausbringen. Erneut zog sie mich an meinen Haaren hoch, bevor ein lauter Klatscher die Stille durchbrach. Der Geschmack von Metall breitete sich in meinem Mund aus, und ich schluckte angewidert die warme Flüssigkeit hinunter. Meine rechte Wange brannte schmerzhaft. Ich schielte zu ihr. Sie schien ihre Gelassenheit zu verlieren. Wenn ich so weitermachen könnte, würde sie ihren Plan ändern und mich schnell erledigen. Ich grinste sie provokant an. „Oh … wie interessant“, sie kicherte. Noch ehe ich verstand, was mit mir geschah, spürte ich die Rinde eines zehn Meter entfernten Baumes, die sich mir in den Rücken bohrte. Ein schmerzhafter Schrei entwich mir, als ich auf dem Boden landete. Wie stellte sie das bloß an? Ich war wie ein blödes Stofftier in ihren Händen. Tränen bahnten sich über mein Gesicht. Ich musste ein schrecklicher Mensch gewesen sein, wenn das hier mein gerechter Tod war. Ihre kühlen Finger strichen über meinen entblößten Rücken. Ich schielte zu ihr und beobachtete, wie sie ihren Finger, der benetzt mit meinem Blut war, abschleckte. Ein kehliges Knurren entwich ihr und sie verdrehte genießerisch ihre Augen. „Lecker!“ Angespannt starrte ich sie an. Plötzlich dämmerte es mir! Die Legende über die kalten Wesen! Es gab sie tatsächlich. Es würde zumindest so vieles erklären. Sie musste ein Vampir sein. Ängstlich sprang ich auf. Ich wollte nicht bei lebendigem Leibe ausgesaugt werden. Doch ihre Schnelligkeit machte mir erneut einen Strich durch die Rechnung. Sie packte mich an meiner linken Hand und zog so fest daran, dass sie mir die Schulter auskugelte und die Haut an meinem Handgelenk aufriss. Ich schrie entsetzt auf. Es tat so schrecklich weh. Ich sackte kraftlos zu Boden. Es war aussichtslos. Gegen sie konnte ich mich nicht wehren. Ich hatte keine Chance. Sie beugte sich zu mir hinunter, und musterte mich mit ihren dunkelroten, nahezu schwarzen, Augen. Sie konnte kein Mensch sein. Nein. Definitiv war sie keiner. Grinsend entblößte sie ihre perfekten weißen Zähne und beleckte sich ihre Lippen. Ihr kalter Atem traf auf mein linkes Handgelenk, als sie mit geschlossenen Augen daran schnupperte. Das konnte nur ein böser Traum sein! Vampire gab es nicht. Es war schleunigst an der Zeit, dass ich aufwachte! Panik machte sich in mir breit und ich sprang auf. Woher ich die Kraft dazu hatte, wusste ich nicht. Aber ich spürte das Adrenalin in meinen Adern. Mein ganzer Körper schrie nach Flucht. Doch ich kam nicht weit. Im nächsten Moment spürte ich ihre kalte Hand an meinem Hinterkopf. Mit voller Wucht schlug sie meinen Kopf gegen einen Baumstamm, sodass ich sofort auf meine Knie sackte. Benommen sah ich um mich, doch alles verschwamm in unterschiedlichen Grüntönen. Plötzlich wurde meine Sicht von einem roten Schleier bedeckt. Mit letzter Kraft stemmte ich mich mit meinen Händen gegen den Boden und versuchte dem Drehen der Welt entgegenzuwirken. Ihr Lachen drang aus der Ferne zu mir hindurch. Ich hörte, wie sie darüber spottete, dass ich durch die Wunde an meiner Stirn aussehen würde, als würde ich Blut weinen. Sie würde sich für immer dieses Bild merken. Sie sah zu mir und ihr Blick ließ mich erschaudern. Er hatte nichts mehr Menschliches an sich. Wie ein Tier, das dem Blutrausch verfallen war, grinste sie mich an. Benommen beobachte ich, wie sie mit dem Daumen nahezu ehrfürchtig über mein Gesicht strich und den Daumen abschleckte, der mit meiner lebensnotwendigen Flüssigkeit benetzt war. Langsam spürte ich, wie mein Körper taub wurde. Just in dem Moment packte sie meinen linken Arm und beute sich zähneleckend über die Wunde an meinem Handgelenk. Das war also mein Ende. Das war also mein Leben gewesen. Ich war achtzehn Jahre jung, hatte nicht einmal meinen ersten Kuss gehabt oder mich betrinken können. Nicht einmal volljährig war ich in den Augen des Gesetzes. Ich hatte so kurz gelebt und so wenig gute Dinge erleben dürfen. Hoffentlich würde Paps nun endlich glücklich werden. Nina würde eines Tages Schauspielerin werden. Es tat mir leid, dass ich nie einen ihrer Filme sehen würde. Und Embry – Embry sollte sich jemanden suchen, der ihn lieben konnte. Der ihn glücklich machen konnte. Er verdiente es. Ich schluchzte, als ich ihre Gesichter sah. Die einzigen Menschen, die mein Herz je erwärmt hatten. Ich würde sie vermissen. Langsam verdunkelte sich meine Sicht. Es würde nicht mehr lange dauern, bis alles vorbei sein würde. Im Hintergrund hörte ich ein tiefes Knurren, ehe sie von mir abließ. Ich registrierte noch, wie ich auf den matschigen Boden fiel, und im Augenwinkel blitzte sandfarbenes Fell auf. Es war mir egal. Ob nun der Bär oder sie mich fraß, war nicht mehr wichtig. Ich spürte, wie mir mein Bewusstsein aus den Fingern glitt. Es war nun endgültig vorbei. Lebt wohl meine Liebsten! Kapitel 13: ------------ Embry POV Abwesend betrachtete ich den Wald, der in unterschiedlichen Grüntönen an mir vorbeizog. Der Geruch von dem Vanille-Wunderbaum, der bei jeder noch so winzigen Unebenheit am Rückspiegel baumelte, und dadurch den Fahrerraum von Quils altem Pickup erfüllte, erinnerte mich an Huyana. Vermutlich benutzte sie eine Seife mit Vanillegeruch, denn sie roch immer danach. Nach Vanille und einer kleinen Note von Wildblumen. Ihr Geruch war süß und doch angenehm zugleich. Ich vermisste ihn schrecklich. Wann würde ich Ana wiedersehen können? Ich wandte meinen Blick zu meinem Handy, dass ich nicht aus meinen Händen ließ. Wie ein Blinder, der an seiner Sehhilfe hang, so klammerte ich mich an das Telefon und hoffte, dass es endlich ein erlösendes Summen von sich geben würde. Es war hoffentlich nichts Ernsthaftes vorgefallen. Was wenn ihre Erkältung ernst zu nehmender war, als Nina es behauptet hatte? Wenn sie im Krankenhaus lag und mit dem Tod rang. Genau wie damals. Ich biss meine Zähne zusammen, als eine Welle von Schuldgefühlen mich überrollte. Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten und versuchte, gleichmäßig zu atmen. Seit der Erzählung von Mutter überschlug sich mein Herz von all den Gefühlen, die mich abwechselnd in Besitz nahmen. Schuldgefühle, weil ich nicht für sie da gewesen war. Weil ich ein blöder Idiot war und das Spielen mit Quil und Jacob mir mehr Spaß gemacht hatte, als das ich mich um Huyanas Wohl gekümmert hätte. Wut, weil ich mich selbst dafür hasste, dass ich sie in Stich gelassen hatte. Mordlust, weil ich am liebsten ihrer Mutter den Hals dafür umgedreht hätte. Wie konnte sie meiner Ana nur so etwas antun? Das Bild von dem übertrieben grinsenden Mädchen erschien vor meinen Augen. Ein kleines Lächeln umspielte meine Lippen. Sie war so niedlich gewesen. So unbeschreiblich süß. Immer mehr Erinnerungen kamen zurück, die im Laufe des Lebens in den Hintergrund geraten waren. Ana, wie sie grinsend auf mich zu kam, um mit mir einen Keks zu teilen, den sie bei ihrer alten Nachbarin ergattert hatte. Ana, wie sie neben mir in der Schule saß und sitzend einschlief, weil sie Mathe schrecklich langweilig fand. So viele Erinnerungen kamen allmählich zurück, und jede davon war auf ihre eigene Art und Weise wunderschön. Doch all die schönen Bilder verblassten und Anas Blick veränderte sich. Ich sah in die Augen, eines kleinen Mädchens, das sich von der Welt verschloss. Durch Mutters lebhafte Erzählung sah ich Huyana, wie sie im Krankenbett vor sich hinmurmelt und teilnahmslos erklärte, dass sie Schmerzen hatte. Ich sah, wie sie mit leuchtend roten Narben am Kopf auf dem Boden saß und weinte. Sie hob ihren Blick und sah mich dabei an. Ich zuckte zusammen, als hätte man mich gerade, wie einen verwahrlosten Straßenköter getretenen, denn das schlimmste Gefühl von allen breitete sich in mir aus. Hilflosigkeit. Dass ihr Leben Spuren an ihr hinterlassen hatte, war nicht zu übersehen. Nun wurden mir auch so manche Reaktionen von ihr verständlich. Ich konnte nur zu gut nachvollziehen, warum sie mich nicht als Teil ihres Lebens haben wollte. Bestimmt hasste sie alle Menschen aus dem Reservat, weil sie ihr nur Schmerzen zugefügt hatten. Selbst meine Wenigkeit hatte sie in Stich gelassen. Wie könnte ich ihr klar machen, dass es nun anders war? Dass ich sie vor allem Bösen beschützen wollte. Sie beschützen musste. Ein verzweifelter Laut entrang aus meiner Kehle. Quil schielte kurz zu mir, sagte aber Nichts. Wie sollte ich sie vor allem Bösen beschützen, wenn selbst meine Wenigkeit nicht weniger ungefährlich war, als ein verdammter Blutsauger? Ich fuhr mir über mein Gesicht, in der Hoffnung meine Gedanken dadurch ordnen zu können. Ich war definitiv mit dieser Situation überfordert. War ich wirklich gut genug für sie? Ich hatte zwar beschlossen, dass ich für sie da sein werde. Dass ich sie lieben würde. Doch mein Leben war gefährlich. Ich selbst war gefährlich und das durfte ich niemals unterschätzen. Wenn ich ihr auch nur ein Haar krümmen würde, weil ich mich für einen Moment lang nicht beherrschen könnte, dann würde ich auf der Stelle den Freitod wählen. Sofort. Ohne jegliches zögern. Kurz hielt ich den Atem an, überwältigt von dem Schmerz, der alleine durch diesen Gedanken ausgelöst wurde. Ich musste mich wieder beruhigen. Es würde keinem geholfen werden, wenn ich hier durchdrehte und mir Szenarien ausmalte, wo eine schlimmer, als die andere, war. Das war auch der Grund, warum mich Quil zwang, dass ich ihn nach Port Angeles begleitete. Er hatte gemeint, dass er schon eine Kerbe im Holzboden erkennen könnte, wo ich ständig im Kreis gelaufen war und ich sollte mit ihm an die frische Luft gehen, um nicht völlig am Rad abzudrehen. Innerlich war ich ihm dafür irgendwo auch dankbar, doch eigentlich hatte ich viel Wichtigeres zu tun. Ich musste sicherstellen, dass es Ana gut ging. Nur weil sie mich ignorierte, hieß es nicht, dass ich unbeteiligt in einer blöden Stadt spazieren konnte. Ich sollte noch einmal versuchen, ihr zu schreiben. Wenn sie sich dann immer noch nicht meldete, würde ich ihr einfach einen Besuch abstatten. Nur um sicherzustellen, dass es ihr gut ging. Verdammt noch mal, ich konnte nicht tatenlos zusehen, wie sie sich von mir abschottete. Immerhin brauchte ich sie! Seufzend tippte ich die Nachricht und versandt sie. Großer Gott. Ich hörte mich wirklich verzweifelt an. Ich – Heute 15:04 Bitte Huyana! Bitte melde dich! Sonst komm ich zu dir, wenn’s sein muss. "Wenn du sie weiterhin in die Enge treibst, wird sie denken, dass du ein Wahnsinniger bist und vor dir weglaufen", Quil schielte zu mir. In seinen Augen spiegelte sich Mitleid wieder. Ich brummte nur und sah aus dem Fenster. Er hatte leicht reden! Clairs Mutter hatte seine Prägung schnell akzeptiert gehabt und erlaubte ihm, dass er sie sah. Noch dazu liebte ihn Clair abgöttisch. Für sie war er der beste große Bruder, den es je gab. Sein schwerer Seufzer durchbrach die unangenehme Stille im Auto. "Ich finde, Tiffany hätte dir Huyanas Geschichte nicht erzählen dürfen. Sie sollte endlich lernen, standhafter dir gegenüber zu sein. Hat sie dir jemals einen Wunsch abgeschlagen?", nachdenklich sah er auf die Straße, während er sprach. "Quil … ich musste es erfahren. Würdest du nicht auch alles von Clair wissen wollen?", murmelte ich und starrte das Handy an. Zwei Minuten waren schon vergangen. Wie lange sollte ich auf ihre Nachricht warten, bevor ich mich zu ihr auf den Weg machte? "Doch … würde ich wollen. Aber ich würde es gerne von Clair selbst hören. Ich meine … Laut deiner Mutter, weiß Ana Nichts davon. Wenn du nun mit ihr auf diesen Vorfall zu sprechen kommen würdest … könntest du ihr die Wahrheit über ihrer Mutter verschweigen? Ich meine, seh' dich doch nur an, Embry. Seit du davon weißt, bist du … noch aufgewühlter, als du es vorher schon warst. Wenn ihr also darüber reden solltet, und sie dir erzählt, wie gern sie ihre Mutter hatte und dass sie sie vermisst … Embry, was würdest du tun? Es hinnehmen? Es ihr sagen? Könntest du sie anlügen?" "Ich … Ich weiß es nicht", murmelte ich und sah zu meinen Händen. Verflucht! Hatte ich schon wieder einen Fehler gemacht? Irgendwie machte ich ständig einen, sobald es um Ana ging. Kein Wunder also, dass sie mir aus dem Weg ging. "Naja … wir können es nicht rückgängig machen. Als sie mit der Geschichte anfing, wussten wir ja nicht, dass Ana keine Ahnung hat. Und außerdem, vielleicht weiß sie es mittlerweile? Tiffany weiß nur, was früher einmal war", Quil schien zu spüren, dass ich aufgewühlt war, weshalb er mir tröstend auf die Schulter klopfte. "Wir sind alle für dich da. Mach dir keine Sorgen." Als ich zu ihm sah, lächelte er mich an. Ich nickte ihm nur zaghaft zu. "Was ist eigentlich los? Meldet sich Ana immer noch nicht? Weiß sie überhaupt, dass du heute Geburtstag hast?", er sah wieder zur Straße. Ich zuckte bei seinen Worten leicht zusammen, als mich erneut eine Welle des Schmerzes traf. Sie war eiskalt und bohrte sich tief in meine Brust hinein. Das Loch raubte mir den Atem. Just in dem Moment vibrierte mein Handy. Reflexartig griff ich danach und starrte den Bildschirm an. Ana! Ana hatte mir endlich geantwortet. Eine Stimme in meinem Inneren flüsterte mir leise zu, dass sie das nur tat, damit ich nicht zu ihr kam. Dieser Gedanke war schrecklich. Ich konnte regelrecht mein Herz bei jedem Schlag zerbrechen hören. Mit zittrigen Händen öffnete ich die Nachricht und erstarrte. Ana :) – Heute 15:13 Hi! Mir geht’s besser. Der Tee war wirklich lecker, danke! Wie hypnotisiert starrte ich die drei Zeilen auf meinem Bildschirm an. Ihr ging es besser und sie hatte den Tee getrunken. Schnell tippte ich ihr eine Antwort, löschte sie aber wieder. Ich sperrte den Bildschirm, öffnete ihn aber sogleich wieder, um mir die Nachricht nochmals durchzulesen. Es ging ihr besser. All die schlimmen Szenarien, die ich mir ausgemalt hatte, trafen nicht zu. Ihr ging es gut. Doch warum war ich darüber nicht erleichtert? Warum fiel mir nicht dieser tonnenschwere Stein vom Herzen? Warum fühlten sich die Zeilen so falsch an? Warum konnte ich nicht froh darüber sein, dass ich von ihr las? Die Stimme im Inneren wurde immer lauter. Bitterkeit umspielte mein Herz, als sich neue Gedanken in meinem Gehirn festsetzten. Sie wollte mich definitiv nicht sehen. Sie ging mir absichtlich aus dem Weg. Bestimmt. Zumindest hatte sie erst jetzt geantwortet, wo ich ihr praktisch gedroht hatte, vorbei zu sehen. Ich tippte ihr eine Antwort und warf das Handy auf den Sitz neben mir. Ich verkrampfte meine Hände zu Fäusten. Diese ganze Situation - diese ganzen Gefühle, ich war ihnen nicht gewachsen. Verdammt! Wie konnte ich nur zu ihr durchdringen? Wütend schlug ich zur Seite gegen das Fenster. Der Schmerz in meinem Herzen wanderte zu meiner Hand. Kalter Wind peitschte mir ins Gesicht und ab und zu auch ein Regentropfen. "Alter! Das bezahlst du", entsetzt starrte mich Quil an. Ich zuckte nur mit den Schultern. Was spielte das noch für eine Rolle? Sein Fenster war mir im Moment egal. Stumm betrachtete ich die kleinen Schnitte an meiner Hand. Die Magie in meinem Blut, verschloss sie und im Bruchteil von einer Sekunde, sah sie wieder normal aus. Nicht einmal eine Narbe war zu sehen, oder überhaupt die Andeutung, dass ich vor wenigen Sekunden geblutet hatte. Warum hatten meine Gene kein ähnliches Heilmittel für mein Herz erschaffen? Dessen offene Stellen bluteten immer mehr. "Hei … alles okay?", Quil sah mich besorgt an. Ein verzweifeltes Lachen entrang mir und ich fuhr mir mit den Händen über mein Gesicht. Ich fühlte mich erschöpft. "Alles prima", antwortete ich voller Bitterkeit. Ich wusste wirklich nicht mehr weiter. "War das Ana?" Ich nickte. "Was hat sie dir geschrieben? Doch nicht etwa, dass du sie in Ruhe lassen sollst? Mann Embry, ich ha ...", er brach ab, als ich mit dem Kopf schüttelte. "Sie … ", ich räusperte mich, da meine Stimme abbrach, "Ihr geht es gut … Das hat sie geschrieben", murmelte ich unhörbar für normale Ohren, doch für Quil laut genug. "Wo liegt denn das Problem? Jetzt weißt du wenigstens, dass es Nichts Schlimmes ist", setzte er fröhlich an, doch ich schüttelte erneut den Kopf und seufzte. "Sie meldet sich seit Donnerstag nicht und nun schreibt sie ganz plötzlich, wo ich ihr … in ihren Augen wahrscheinlich … damit drohte, sie zu besuchen, wenn sie sich nicht meldet. Keine fünfzehn Minuten später kam eine Kurzmitteilung", meine Stimme wurde erneut zum Ende hin dünner und brach schließlich ganz ab. Ich wandte mein Gesicht dem Wind entgegen, der durch das nun offene Fenster hineinströmte und seufzte. Es hatte keinen Sinn darüber zu reden. Ich wusste, dass ich nicht mehr darüber sprechen konnte, ohne zusammenzubrechen. Quil selbst schien überfordert zu sein, weshalb er mir erneut schweigend auf die Schulter klopfte. Ich konnte einfach nur darauf hoffen, dass sie mich eines Tages akzeptieren könnte. *** „Wir holen nur schnell den Kuchen für Clair und dann fahren wir wieder nach Hause“, erklärte mir Quil, während wir aus dem Auto ausstiegen. Ein merkwürdiges, flatterndes Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Verwirrt legte ich mir eine Hand auf den Bauch. Warum reagierte mein Körper, als würde er bald auf Huyana treffen. Ich schüttelte kurz den Kopf. Ich war bestimmt durcheinander. „Du verwöhnst sie Quil! Wenn sie erwachsen wird, hast du später ein großes Problem, wenn das eine Angewohnheit bleibt“, erwiderte ich, während ich schleppend ihm nachging. „Quatsch! Clair-Bär würde das nie ausnutzen. Ich möchte sie nur für ihre gute Leistung in der Schule belohnen. Harte Arbeit sollte immer belohnt werden … bei erwachsenen mit Gehalt und bei Clair-Bär mit ihrem Lieblingskuchen“, er lächelte nahezu dümmlich, als er über die Schulter zu mir sah. Ich verdrehte meine Augen. Er tat alles für Clair. Es musste wundervoll sein, wenn man jemanden wie Quil beim Aufwachsen hatte. Ana hätte bestimmt jemanden wie Quil brauchen können. Erneut wurde mein Herz bei diesem Gedanken schwer. Würde ich wirklich gut genug für sie sein? „Können wir nach Hause? Ich fühl mich nicht so gut.“ Ich blieb erstarrt stehen und sah hoch. Diese Stimme! Unmöglich, sie war doch krank. Warum sollte sie hier sein? Eine kleine Windbrise trug ihren Duft zu mir. Vanille mit einem Hauch von Wildblumen. Das war der Geruch von Ana. Sie ging mir tatsächlich aus dem Weg. Sie hasste mich wirklich. Ich hörte meinen Wolf im Inneren aufjaulen, denn der Schmerz war unerträglich. „Ana!“, schnappte Nina erschrocken nach Luft, und starrte mich an, als wäre ich von den Toten auferstanden. Ganz langsam, fast wie in Zeitlupe, drehte sie ihren Kopf zu mir und ich konnte in ihre wunderschönen schwarzen Opale sehen. Ich konnte darin kein Glanz von Freude erkennen, dass sie mich sah. Nein. Es war das pure Entsetzten. Ich wollte sie so nicht sehen. Sie sollte nicht entsetzt sein, dass ich ihr gegenüberstand. Wenn sie meine Existenz so sehr belastete, dann würde ich sie in Ruhe lassen. Ich würde sie vom Schatten aus beobachten, damit ihr nix zu stieß. Das war doch der Sinn meiner Existenz. Es sollte nur ihr gut gehen. „Huyana. Freut mich, dass es dir so gut geht“, durchbrach ich die unangenehme Stille. Ich war irgendwo unter diesem ganzen Schmerz tatsächlich erleichtert, dass sie nicht wirklich krank war. Fassungslos beobachtete ich, wie sie zusammenzuckte, als hätte ich sie geschlagen. Sie wandte ihren Blick ab und starrte zu ihren Füßen. Was hatte sie bloß? Ich hatte doch nicht verbittert gewirkt, oder? Plötzlich dämmerte es mir. Sie hatte nach meinem Namen gefragt, und sich seitdem nicht mehr gemeldet. Sie – Ana – wusste, wer ich war. Sie hasste mich wirklich! Es war nicht gegen die Leute aus dem Reservat, sondern es betraf nur mich. Ihren damaligen besten Freund, der sie in Stich gelassen hatte, als sie ihn am Nötigsten brauchte. Ich wollte etwas sagen. Ich musste etwas sagen. Doch als sie ihren Blick kurz hob, setzte sie sich in Bewegung und lief an mir vorbei. Wie versteinert, beobachtete ich die Situation, als wäre ich ein Außenstehender. Unfähig auf sie zu reagieren und sie am Arm festzuhalten, als sie an mir vorbeilief. Ihr Duft war für einen kurzen Moment so intensiv, dass er meine Sinne benebelte und mich ausfüllte. Doch als er abschwächte, blieb Nichts, als die gähnende Leere in meinem Inneren. Ein leises Wimmern entrang aus meiner Kehle. Sie rannte weg. Sie rannte vor mir weg. Die Leere in meinem Inneren wurde durch Schmerzen ersetzt. Schmerzen, die meinen ganzen Körper ausfüllten, und mir den Atem raubte. Quil stütze mich, als meine Knie unter der Last meines schweren Herzens nachgaben. „Komm setzt dich auf die Treppe“, er strich mir tröstend über den Rücken. „Em … Embry. Ana … Ana meint das bestimmt nicht so, hörst du?“, fing Nina an. Ihr mitleidiger Blick machte mir die Situation umso deutlicher. Ich presste meine Lippen aufeinander und bemühte mich ruhig zu atmen. „Sie beruhigt sich bald wieder. Hör mal … sie wird es dir bestimmt erklären … irgendwann“, sie kratzte sich am Kopf und sah in die Richtung, wo Ana verschwunden war. „Ich weiß nicht, wie viel ich sagen darf … Aber, Ana ist ein guter Mensch … hörst du? Sie würde nicht wollen, dass du … traurig bist … Ana beruhigt sich bestimmt. Sie reagiert gerade nur ein wenig über, weil … ach Mann.“ Ich starrte einfach auf meine Schuhe. Unfähig etwas auf ihre Worte zu antworten. Ana war ein guter Mensch, bestimmt. Aber selbst gute Menschen konnten andere hassen. Sie seufzte. „Ich … Ich sollte nach Ana sehen. Embry … es wird alles gut, ja? Lass den Kopf nicht hängen!“ Ich nickte ihr leicht zu und hörte daraufhin ihre kleinen Absätze klacken. „Embry?“, Quil setzte sich zu mir und legte mir einen Arm um die Schulter. Bebend atmete ich die kühle Frühlingsluft ein. Doch es half nicht. Ich drohte an dem Kloß in meinem Hals zu ersticken. „Es wird alles gut! Glaub mir. Es mag zwar nicht den Anschein haben, aber manchmal ist so ein bisschen Drama auch gut. Ich mein … Es stärkt die Beziehung später zueinander. So wie bei Paul und Rachel, erinnerst du dich?“, er klopfte leicht an meine Schulter. Ich schüttelte nur mit dem Kopf. Paul hatte Rachel nie enttäuscht oder verletzt. Sie hatte nur nicht in Forks bleiben wollen und hatte auch keine Beziehung eingehen wollen. Erst recht nicht mit einem Minderjährigen. Das war mit meiner Situation nicht zu vergleichen. Ana hasste mich und ihre Gründe waren auch verständlich. „Glaub mir“, er hievte sich hoch und blieb nochmals stehen. „Ich hol schnell den Kuchen. Dann können wir nach Hause.“ Ich sagte nichts. Ich hatte das Gefühl, dass meine ganze Welt in ein tiefes Grau getränkt wurde. Ich nahm nichts mehr wahr. Nichts war mehr von Belangen. Wimmernd krallte ich mit meiner Hand in mein T-Shirt über das immer tiefer werdende Loch und drückte so fest ich konnte dagegen. Diese Leere war unerträglich! Schweigend gingen wir nach einer gefühlten Ewigkeit zurück zur Quils alten Rostlaube. Sie hatten keinen Kuchen mehr in der Auslage gehabt, und der den Quil nun mit sich trug, war frisch gebacken. „Wir hatten Glück“, sagte er, „der war schon fast fertig gewesen.“ Er war gerade dabei den Kuchen ins Auto zu legen, als ich verwirrt stehen blieb. Einen Block weiter ging eine Frau taumelnd auf uns zu. Ihre hellbraunen Locken erinnerten mich an Nina. Doch neben ihr war niemand zu sehen. Als sie ein weniger Näher war, konnte ich ihr verweintes Gesicht erkennen. Mein Herz setzte bei ihrem Anblick einen Schlag aus. Panisch lief ich ihr entgegen. „Nina? Nina wo ist Ana? Was ist passiert?“, ich hielt sie an den Schultern fest und zwang sie somit zum Stehenbleiben. Ihre Unterlippe zitterte und als sie meinen Blick erwiderte, stellten sich mir die Nackenhaare auf. „Nina?“, presste ich irgendwie hervor. „Ana … Ana sie ist … Ich finde sie nicht … Und … Und als ich sie angerufen habe … Sie hat nur gemeint, ich solle nicht nach ihr … suchen. Und das … das es ihr … leid tat. Gott Embry! Sie … Sie wird sich wohl nicht umbringen?“, schrie sie mich an. Ich fing an zu zittern. Nein. Bitte nicht! Warum sollte sie das wollen? Doch nicht wegen mir, oder? „Hast … Hast du versucht … sie noch einmal zu … erreichen?“ Mein Wolf war in Aufruhr. Er wollte raus. Nur so konnte ich Ana vielleicht noch rechtzeitig erreichen. Doch ich war hier mitten in der Stadt. Ich durfte nichts Unüberlegtes machen. Als Quil zu uns kam, schien mein brodelndes Blut spüren zu können, denn er legte mir teils beruhigend, teils als Warnung, seine Hand auf die Schulter. Nina schüttelte den Kopf. „Nein … ich meine ja! Hab ich! Aber … etwas mit ihrem Handy stimmt nicht. Ich … ich komme nicht durch!“ Ein Schauer lief mir über den Rücken. Bitte nicht! Ihr durfte Nichts geschehen. Ich konnte doch nicht auf ganzer Linie versagen! „Wann war das?“, fragte Quil. Er schien selbst angespannt zu sein. „Vor … Vor ungefähr einer halben Stunde“, murmelte sie. Mein Griff um ihre Schultern wurde fester. Wut entflammte in mir. Brannte all die anderen Gefühle nieder. Warum war sie nicht früher zurückgekommen? Eine halbe Stunde war zu viel Zeit! Quil packte meine Handgelenke und zog meine Hände von ihren Schultern. „Ich … ich wollte selbst nach ihr suchen. Aber …“, sie schüttelte den Kopf, als sie meinen vorwurfsvollen Blick sah. „Verständige die Polizei Nina. Embry und ich gehen sie suchen. Hast du verstanden?“, befahl Quil und zog mich hinter sich her. „M-Mach ich!“, rief sie uns nach. Schreckliche Szenarien malte sich meine Fantasie aus, als wir der leichten Spur von Ana folgten. Ich dankte Gott dafür, dass es nicht in der Zwischenzeit geregnet hatte. Es wäre sonst unmöglich gewesen, sie ausfindig zu machen. Port Angeles war zwar keine große Stadt, aber groß genug, dass es ohne Fährte einige Stunden dauern würde. Plötzlich blieb Quil stehen. Alarmiert sah ich mich um, und als der beißend, süße Geruch in meine Nase stieg, breitete sich eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper aus. Das konnte nicht wahr sein! Ein Vampir? Hier in Port Angeles? Ein tiefes Knurren entwich meiner Kehle. Ich konnte nur hoffen, dass sich ihre Wege nicht gekreuzt hatten, doch ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Eine böse Vorahnung packte mich, die ich kopfschüttelnd loswerden wollte. „Komm, wir kümmern uns später um diesen Blutsauger. Wir müssen zuerst Ana finden“, ich schubste Quil an der Schulter und ging an ihm vorbei. Er selbst schien genauso besorgt zu sein, wie ich. Die Tatsache, dass ein Vampir hier war, und Ana nicht erreichbar war, passte beängstigend gut zusammen. Ich knirschte mit den Zähnen und setzte zu einem Sprint an. Mir war es egal, ob mich andere sehen würden. Mir war es egal, ob sie mich anstarrten, weil ich so unfassbar schnell war. Ich musste meine Ana finden. Nur das war von Bedeutung. Entsetzt verharrte ich in einer Gasse und entdeckte Anas silbernes Klapphandy. Wie in Trance beugte ich mich hinunter und inspizierte es. Der ätzende Geruch vom Blutsauger hang daran. Das konnte nicht wahr sein. Warum nur? Warum sie? Warum jetzt? Warum, wenn ich nicht in ihrer Nähe war? Wütend schlug ich gegen den Boden, der sofort Risse bildete. Ich ignorierte den Schmerz in meiner Hand. Meine gebrochenen Fingerknöchel würden gleich wieder verheilen. Quil schnappte nach Atem und starrte entsetzt den Boden, neben dem Handy an. Sein Blick war schmerzverzerrt und als er meinen traf auch irgendwie voller Mitleid. Ich sah zu der Stelle, die ihn so aus der Fassung gebracht hatte, und fiel entsetzt auf die Knie. Blut. Da war Blut. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich konnte doch nicht zu spät gekommen sein. Meine Schultern bebten, als ein Schluchzen meiner Kehle entwich. „Wir sollten nicht die Hoffnung aufgeben Embry. Folgen wir der Spur von diesem Blutsauger“, redete er auf mich ein. Ich verharrte. Dieser Blutsauger! Ich würde ihn in Stücke reißen. Mit Sicherheit! Wütend stand ich auf und rannte der Spur nach. Mein Blut kochte. Mein Wolf forderte Rache. Quil folgte mir, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Ein böses Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus, als die Spur in den Wald folgte. Das war der größte Fehler, den dieser verdammte Blutsauger hätte machen können. Ich beleckte mir meine Zähne, und sobald ich den Wald betrat, ließ ich mein wahres Ich raus. Knurrend landete ich auf allen Vieren. Meine Sinne wurden noch schärfer und ich genoss die Kraft, die mir diese Form verschaffte. Ich liebte meine Gene dafür. „Na endlich. Diese Wahnsinnige setzt mir hier echt zu! Keinen Plan, was die hat, aber die kämpft um das Mädchen, als würde es ihr etwas bedeuten“, sprach Seth. „Wo ist das Mädchen?“, fragte Quil. „Sie liegt da drüben … ich hatte es leider nicht mehr rechtzeitig geschafft. Ich glaube nicht, dass sie es noch lange macht“, erwiderte er zerknirscht. Ich zuckte zusammen. Panik machte sich breit. Ich zog meinen Kopf ein und rannte so schnell ich konnte. Ana durfte nicht tot sein. Ich durfte nicht zu spät gekommen sein. Warum nur, war ich ihr nicht sofort hinterhergerannt? Warum nur machte ich immer alles falsch? Es war alles meine Schuld! „Scheiße … Hast du gerade … Ana?“, Seth wimmerte und ich konnte sehen, dass er seinen Blick zu ihr wandte. Durch seine Augen, sah ich einen bleichen Körper. Ihr Oberkörper war entblößt und lag auf eine unnatürliche Weise am Boden zusammengekauert. Ihre Brandnarben stachen deutlich hervor, doch Seth sah kurz zu ihrer Wunde am Unterarm. „Sie wurde gebissen … Wenn sie …“, sein Gedanke wurde unterbrochen, als ihn dieses Monster angriff. Genau in diesem Moment erreichten wird Seth, weshalb sie erschrocken zurückwich. Sie zischte und sah zur Ana. Was wollte sie von ihr? Knurrend sprang ich dazwischen. Ich war außer mir vor Wut. Ich würde sie umbringen. Doch noch bevor ich überhaupt zum Sprung ansetzten konnte, machte sie auf Absatz kehrt. „Embry, sieh nach Ana. Seth bleib bei ihm, ich kümmere mich um sie!“, befahl Quil, während er knurrend zum Laufen ansetzte. Ich wandte meinen Blick zur Ana und ging zögernd auf sie zu. „Scheiße Mann! Wenn sie lebt, müssen wir sie doch töten? Ich mein, sie ist gebissen worden, Embry!“, hörte ich Seth, doch ich ignorierte ihn. Ich ignorierte sein Jaulen, das wahrscheinlich Jake galt. Alles, was ich sah, war meine kleine Ana, die um ihr Leben rang, weil ich zu spät gekommen war. Weil ich ihr nicht nachgelaufen war. Ich jaulte auf. Meine Gefühle von vorhin waren nur ein schwacher Abklatsch von dem Schmerz, der mich in diesem Moment übermannte. Ich konnte ihm nicht standhalten. Meine Beine gaben nach und ich fiel zu Boden. Ana, sie durfte mich nicht verlassen. Nicht jetzt. Nicht so. Sie sollte leben. Ob mit oder ohne mir, das war mir egal. Aber Seth hatte recht, ob jetzt oder durch einen von uns. Ana musste sterben. Ich unterdrückte meinen Wolf, spürte, wie mein Körper kribbelte und ich mich zurückverwandelte. Wimmernd kroch ich nackt auf allen Vieren zu ihr und nahm sie in meine Arme. Ihr Körper war kalt und ihr süßlicher Duft, wurde von dem beißenden des Blutsaugers überdeckt. Ich spürte ihren schwachen Herzschlag. Tränen stiegen mir in die Augen. Sie durfte nicht gehen. Ich brauchte sie doch. Vorsichtig strich ich ihr die Haare aus dem Gesicht und schluchzte, als ich ihr blutverschmiertes Gesicht sah. Zärtlich küsste ich sie auf die Stirn und legte meine Wange auf ihren Kopf. „Ana … Huyana“, winselte ich und drückte sie fest gegen mich, in der Hoffnung, dass sie der Wärme folgte und so aus der Dunkelheit zurückfand. Ein Schrei entwich mir und ich fing an, vor und zurück zu schaukeln. Bitte lieber Gott, nimm sie mir nicht weg! Lass ein Wunder geschehen! Bitte! Kapitel 14: Der Plan -------------------- Embry POV Meiner Ana beim Sterben zu zusehen, war unerträglich. Zu hoffen, dass sie überlebte, wagte ich nicht, denn wenn sie es schaffen würde, und ihr Herz nicht vorher versagte, müssten wir sie töten. Ich würde es nicht können. Vielleicht jemand aus Sams Rudel, der mit ihr noch nicht so verbunden war. Doch jemand würde es tun müssen. Ana war zwar meine Geprägte, doch ein Vampir zu werden, machte sie zu unserem Feind. Unsere alleinige Existenz bestand darin, das Folk und die Menschen vor den Blutsaugern zu beschützen. Sie würde sich als Neugeborene nicht beherrschen können. Mich sogar vergessen. Zumindest wusste, laut Jake, Bella fast nichts mehr. „Hey“, rief Seth, und lehnte sich zu mir. „Ich hab Jake kontaktiert. Edward meinte, dass es vielleicht noch eine Chance gäbe, wenn wir nicht zu spät kommen, können wir sie noch retten. Bella wurde auch einmal gebissen und sie hatten ihr das Gift einfach ausgesaugt. Es besteht noch Hoffnung, Embry“, erklärte er, während er sein T-Shirt, das an seinem Fußgelenk angebunden war, zerriss und die kläffende Wunde an ihrem Handgelenk verband. Ich sprang sofort mit ihr in meinen Armen auf. „Beeil dich, Seth!“, fuhr ich ihn an. Bei der Nachricht, dass Ana noch eine Chance hatte zu leben, fing mein Körper durch einen Adrenalinstoß an, zu kribbeln. Meine verloren gegangene Kraft kehrte zurück und ich wurde von neuer Lebensenergie erfüllt. Mein innerer Wolf jaulte kampfbereit auf. Wir würden alles tun, um sie zu retten! Das Zittern der Luft riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah zu Seth, der in Wolfgestalt vor mir stand. Er senkte seinen Kopf. Ein stiller Aufruf, dass ich mich auf seine Schultern setzten sollte. Ich nickte ihm zu, dass ich es verstanden hätte, und kletterte hoch. Fest drückte ich Ana an mich, damit sie bei dieser Geschwindigkeit nicht runterfiel und presste meine Beine enger um Seths Hals. Ich hörte ein protestierendes Jaulen von ihm, ignorierte es aber, denn Anas Sicherheit ging vor. Mit einer unfassbaren Geschwindigkeit preschte er durch den Wald. Ich hatte es noch nie mit menschlichen Augen beobachtet. Es war berauschend und zugleich auch irgendwie beängstigend. Zwar waren meine Sinne weitaus schärfer, als bei normalen Menschen, doch es war nur ein schwacher Abklatsch dessen, wie gut sie in Wolfsform waren. Wenn ich ein Wolf war, dann konnte ich während dem Laufen noch die einzelnen Blätter der Büsche, sehen. Ich konnte alles bis aufs kleinste Detail wahrnehmen. Es war die pure Ekstase und ich liebte es. In wenigen Minuten, die für mich wie Stunden waren, kamen wir bei der Villa von den Cullens an. Jake, Edward und Carlisle, warteten vor der Tür auf unser Ankommen. Sobald Seth zum Stillstand kam, sprang ich von seinen Schultern runter. Noch ehe ich den Boden berührte, stand Carlisle vor mir und nahm Ana entgegen. In meinem Inneren sträubte ich mich dagegen und ich hörte meinen Wolf wütend knurren. Doch ich ließ es zu, da ich wusste, dass sie ihr nichts tun würden. „Hey. Alles wird gut. Hier eine Hose“, Jake kam auf mich zu und reichte mir eine dieser edlen Designer-Jeans. Ich vermutete, dass es sich um Emmetts handeln musste, denn er war der einzige, der so groß war, wie wir. Ich nickte ihm angespannt zu und zog sie schnell an. Man sollte meinen, dass ich nach den Jahren, die ich in Jakes Rudel war, mich an diesen penetranten Gestank gewöhnt hätte, doch dem war nicht so. Immer noch drehte sich mir der Magen um, wenn ich hier war. Auch wenn ich die Cullens ein bisschen leiden konnte, nicht dass ich es je laut sagen würde. „Hey. Alles okay? Ich hab Seths Jaulen gehört und bin so schnell ich konnte hierher“, schnaufte Leah, als sie durch die Büsche zu uns trat. Noch jemand, den ich über die Jahre lieb gewonnen hatte. Seitdem wir in Jakes Rudel waren, wurde sie entspannter, fast schon eine angenehme Gesellschaft. Ich glaubte, dass sie mittlerweile sogar Sam ein wenig überwunden hatte. Vermutlich, weil sie seine Gedanken um Emily nicht mehr ertragen musste. Zumindest dachte sie nicht mehr an ihn, nur einmal hatte sie vor kurzem in der Vergangenheit geschwelgt, als die Nachricht von Emilys Schwangerschaft die Runde gemacht hatte. Im Grunde genommen war Leah eigentlich durchaus nett. Es waren nur die früheren Umstände, die sie zu einer verbitterten Zicke hatten wirken lassen. „Mann … darauf hätte ich echt verzichten können. Ich werde einfach das Gefühl von deinem nackten Hintern auf meinen Schultern nicht los!“, beschwerte sich Seth und riss mich aus den Gedanken. „Leah? Was machst du hier? Ich dachte, du gehst nach Hause, nachdem ich deine Schicht übernommen habe?“ „Ja. War ich auch. Übrigens, alles Gute, Embry. Ihr hättet mir aber ruhig etwas vom Kuchen überlassen können“, eine Andeutung eines Lächelns machte sich breit, „Was ist los? Geht’s dir auch gut?“, fragte sie an Seth gewandt. „Leah … Ich bin kein kleiner Junge mehr! Und ja, mit mir ist alles in Ordnung … es ging um Ana“, erklärte er und deutete auf mich. Ich fuhr mir mit den Händen durch die Haare und sah in die Runde. „Ich sollte besser nach ihr sehen“, murmelte ich und straffte meine Schultern. Ich musste stark sein. Für uns beide. „Was ist mit Ana?“, drang Leahs besorgte Stimme zu mir durch, bevor ich ins Haus trat und sie zurückließ. Im Wohnzimmer saß die kleine Renesmee. Sie lächelte mich freudig an, während Bella ihr die Zöpfe flocht. „Onkel Embry!“, grüßte sie mich. Ich nickte ihnen nur zu, und folgte dem Geruch von Carlisle. Verwirrt blieb ich an der Tür stehen, als ich in das Zimmer sah. Der ganze Raum war wie ein Krankenzimmer ausgestattet. Alle lebensnotwendigen Geräte waren vorhanden und auch der Geruch vom Desinfektionsmittel stieg mir in die Nase. Ich erschauderte. Diesen hatte ich noch nie gemocht. Ich fand ihn auf eine eigene Art und Weise viel schlimmer, als den Gestank der Vampire. „Freut mich, dass es Schlimmeres als uns gibt“, lächelte Edward und sah zu mir. „Wir können keinen Biss finden. Das am Handgelenk ist eine Platzwunde. Es sieht so aus, als wäre ihr Blutkreislauf nicht in Kontakt mit unserem giftigen Speichel gekommen. Außerdem ist sie viel zu ruhig. Eine Verwandlung ist eine schmerzhafte Prozedur. Sie müsste eigentlich schon schreien, als würde man sie bei lebendigem Leibe verbrennen“, erklärte mir Edward. Verwirrt sah ich ihn an und erschauderte bei seiner Beschreibung. Davon hörte ich zum ersten Mal. Doch als ich seine Information verarbeitete und mir klar wurde, was er mir eigentlich sagte, gaben meine Knie nach. Erleichtert lehnte ich mich an die Wand und rutschte zum Boden. Huyana würde nicht zum Vampir werden. Das waren schon einmal gute Nachrichten. Ein freudiges Lachen entwich mir. Ich beobachtete, wie Carlisle ihr eine Venüle in die linke Armbeuge steckte, was mich erneut nervös werden ließ. Er sollte lieber keinen Fehler begehen, wenn er an seinem Leben hing. Ich sah, wie Edward leicht schmunzelte und zu mir schielte. Ich hasste seine Gabe. Es war nervig. Man hatte überhaupt keine Privatsphäre in seiner Gegenwart, nicht einmal als Mensch. Carlisle steckte eine Kanüle an, welche langsam mit der dunkelroten Flüssigkeit aufgefüllt wurde. Meine Muskeln verspannten sich und ich verschärfte meine Sinne, aus Angst, einer der Blutsauger würde darauf reagieren. Auch wenn sie sich Vegetarier nannten, jeder hatte manchmal schwache Momente. Er reichte Edward die Kanüle und fuhr mit seiner Inspizierung fort. Sein besorgter Blick gefiel mir ganz und gar nicht. Ich beobachtete Carlisle Reaktion genau und wurde von Sekunde zur Sekunde unruhiger. „Nein. Ihr Blut riecht rein. Ich mach ein paar Tests, damit wir wissen, welche Blutgruppe sie hat. Sie hat einiges an Blut verloren. Wir werden ihr eine Blutkonserve transferieren müssen“, riss mich Edward aus meiner Konzentration. Verwirrt sah ich zu ihm, und beobachtete, wie er am Blut roch. Einfach widerlich. Doch die Nachricht, dass meine Ana ein Mensch bleiben würde, verdrängte den Ekel, der durch Edward hervorgerufen worden war. Ich seufzte laut und vergrub mein Gesicht in die Hände. Plötzlich fühlte ich mich erschöpft. Ich wollte einfach nur noch schlafen. Doch Ana in diesem Kampf alleine zu lassen, kam nicht in Frage. „Mir macht ihr Kopf sorgen. Wir sollten ihn röntgen. Falls sie eine Hirnblutung hat, müssen wir sie umgehend operieren.“, hörte ich Carlisle leise murmeln. Wahrscheinlich hatte er gehofft, dass ich es nicht hören würde. Entsetzt sprang ich auf und ging näher auf sie zu. „Was heißt das? Wird sie irgendwelche Schäden davon tragen? Von wo kommt das?“, lauter Fragen sprudelten aus mir heraus. Ich hatte panische Angst, dass etwas mit ihr nicht stimmen würde. Carlisle deutete auf ihre Stirn, wo eine Platzwunde klaffte. „Sie hatte einen starken stumpfen Schlag am Kopf erlitten, bei einer solchen Platzwunde könnte es sogar sein, dass ihr Schädel angebrochen wurde. Und ihr ganzer Körper ist übersät mit Hämatomen.“, erklärte er. Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten. Ich spürte, wie sich meine Fingernägel tief in die Haut bohrten, doch der Schmerz war kein Vergleich zu dem in meinem Herzen. Ana hatte gelitten. Ihr Körper war voll von Blutergüssen und das nur, weil ich nicht rechtzeitig angekommen war. Mein Blick glitt über ihren Oberkörper und blieb an ihrem rechten Arm hängen. Ich schluckte, als ich die dicken Narben sah. Sie musste so sehr darunter leiden. Nachdenklich senkte ich meinen Blick zu ihrer Hand. Einer der Cullens hatte ihr den Handschuh ausgezogen. Ich wollte nicht hinsehen. Ich wollte ihre Privatsphäre respektieren, denn ich wusste, wie sehr sie sich davor schämte und ihre Hand versteckte. Doch ich konnte nicht anders. Nachdenklich fuhr ich mit dem Zeigefinger über die knochigen Fingern. Nur eine vernarbte Haut umspann ihre Knochen. An dem Mittel-, Ring- und Kleinfinger hatte sie nicht einmal mehr einen Nagel. Gott, es musste schrecklich für ein kleines Mädchen gewesen sein, vom Feuer erfasst zu werden. Bei lebendigen Leibe diese Schmerzen ertragen zu müssen. Wut entflammte in mir. Wie konnte man nur so etwas seiner eigenen Tochter antun? Was für ein kranker Mensch musste man sein? Aufgeregt ging ich im Flur auf und ab. Ich konnte nicht stillstehen oder mich hinsetzten, wie es mir von Jake befohlen worden war. Es machte mich wahnsinnig so unnütz zu sein. Ihr nicht irgendwie helfen zu können. Einfach nur auf eine Hiobsbotschaft zu warten und es dann hinnehmen zu müssen, fand ich unerträglich. Meinem Versagen gegenübertreten und akzeptieren, dass ich es hätte verhindern können, wenn ich ihr sofort nachgerannt wäre. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn sie bleibende Schäden davon tragen würde. Was wenn sie nicht mehr sprechen konnte? Oder nichts mehr wusste? Ein Poltern bei der Eingangstür riss mich aus den Gedanken. Ich hielt in meiner Bewegung inne, als Quil durch die Tür kam. „Hast du sie erwischt?“, platzte ich heraus. Quil jedoch schüttelte mit dem Kopf. „Sie ist ins Meer gesprungen. Tut mir leid.“ Erschöpft setzte er sich zu Jacob auf die Couch und musterte mich besorgt. „Wie geht es ihr?“ Ich zuckte nur mit den Schultern und fing an erneut im Kreis zu gehen. „Sie wird auf alle Fälle kein Vampir. Als ich aufgetaucht war, wollte sie gerade zubeißen. Ich war also doch gerade noch rechtzeitig aufgetaucht“, erklärte ihm Seth den Stand der Dinge. Ich brummte schwerfällig. Von rechtzeitig konnte man nicht reden, doch ich konnte ihm auch keine Vorwürfe machen. Es war eigentlich meine Aufgabe, auf sie aufzupassen. „Carlisle untersucht sie nun auf körperliche Schäden. Er ist besorgt, dass sie eine Gehirnblutung haben könnte“, fuhr Jake fort. Quil nickte ihnen zu. „Wir müssen ihre Eltern kontaktieren, nicht?“, sprach Renesmee. Entsetzt sah ich zu dem kleinen Mädchen, das ihrem Alter schon weit voraus war. Sie sah aus wie eine Zehnjährige und obwohl sie erst drei Jahre alt war, benahm sie sich deutlich reifer. Fast schon erwachsen. „Stimmt. Wir müssen zurück, Embry. Nina und die Polizei verständigen. Sie sollen ihrem Vater dann Bescheid geben, dass sie hier ist“, Quil stand auf und ging zur Tür. „Und was wollen wir ihnen erzählen? Wir hätten sie im Wald gefunden? Kilometerweit entfernt von der Stadt. Das würde nur Fragen aufwerfen, die keiner beantworten könnte. Im schlimmsten Fall würde man uns verdächtigen“, erwiderte ich und sah aus dem Fenster. „Ich kümmere mich darum. Wir präparieren eine Gasse in einem unbelebteren Teil der Stadt so, dass es plausibel für die Polizisten klingt. Jasper kann mitkommen, und als Zeuge fungieren. Er könnte ihre Gefühle so weit manipulieren, dass sie uns als vertrauenswürdig einstufen und die Geschichte glauben. Später können sie hierher kommen und sich mit dir unterhalten.“ Alice helle Stimme erklang im Flur, als sie mit federleichten Schritten zu uns trat. Jasper folgte ihr mit Abstand und nickte uns als Begrüßung zu. „Ach? Und wie willst du das anstellen?“, fragte ich skeptisch. Dieser Plan hatte zu viele Schwachstellen. „Glaub mir, ich bin eine sehr gute Dekorateurin“, sie zwinkerte mir lächelnd zu. Ich schnaubte. „Und wer hätte sie angegriffen? Und warum ist sie nicht dort, wenn die Polizei ankommt? Sie ist offensichtlich schon im Krankenhaus und wird verarztet, noch ehe wir die Polizei gerufen hätten. Das glauben die uns nie.“ „Ganz einfach. Du warst alleine, als du sie gefunden hast und hast kein Handy bei dir gehabt. Deswegen hast du sie einfach mitgenommen und du hast Jasper, der zufällig dort war, gesagt er soll die Polizei anrufen und ihnen sagen, dass du bei dieser Adresse bist. Einem Arzt, der eine Privatordination hat, und dem du vertraust. Zusätzlich hast du ihm die Adresse und den Namen von ihrer Familie gegeben. Quil kommt mit und hilft uns. Es wird funktionieren“, lächelte sie mir beruhigt zu. Seufzend fuhr ich mir durch die Haare und nickte. „Und ich kann hier bleiben?“, ich wollte nicht weg von hier. Ich wollte nicht von ihrer Seite weichen. Nie wieder. „Natürlich. Du bringst sie ja zu Carlisle. Wenn die Polizei dann hier ist, sagst du ihnen einfach, dass du sie in dieser Gasse gefunden hast und du zwei Männer hast wegrennen gesehen“, sprach nun Jasper. Sie hatten anscheinend beide an diesem Plan getüftelt, während ich wieder einmal nichts getan hatte. Ich seufzte. „Warum zwei?“, hörte ich Quil fragen. „Weil einer unmöglich diese Verletzungen ihr zufügen konnte. Außerdem ist es schwieriger für die Polizei, ein kriminelles Duo zu fassen. So laufen wir nicht die Gefahr, einem Unschuldigen das Leben zu zerstören“, lächelte Japser. „Und das soll wirklich funktionieren?“, noch ehe ich den Satz beendet hatte, verschwand meine Skepsis und ich fühlte mich zuversichtlich. Ich schielte zu Jasper, der mir zuzwinkerte. „Gewiss“, erwiderte er nur und ich verstand, dass er in diesem Plan der Schlüssel zum Erfolg war. „Gut!“, meinte ich und fuhr flüsternd fort, „Danke.“ Natürlich hatte es jeder gehört, doch keiner zog mich damit auf. Ein Wolf bedankte sich bei einem Blutsauger. Dass ich in ihrer Schuld stand gefiel mir nicht, aber es war für Ana und für sie würde ich alles tun. Wir hatten einen Plan und ich müsste mich für die Polizei und ihren Vater wappnen. Letzterem gegenüberzutreten war grauenhaft. Wie sollte ich dem Mann in die Augen blicken und ihn anlügen, was seine Tochter betraf? Doch ich würde es tun müssen. Es wäre das Beste für alle Beteiligten. Kapitel 15: Gegen die Schwerkraft - Teil I ------------------------------------------ Embry POV Nervös sah ich zu Andrew, der auf dem Stuhl am Bett saß und kein einziges Mal zu blinzeln schien. Er starrte einfach Anas Gesicht an, das unbedeckt war und eine unsagbare Ruhe ausstrahlte. Es wirkte fast so, als würde sie nur schlafen. Doch wir wussten es besser. Sie war von starken Medikamenten betäubt, da sie ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten hatte und die Schmerzen zu groß waren. Eigentlich sollte ich glücklich sein, denn Carlisle hatte mir versichert, dass es ihr gut gehen würde. Sie hatte keine inneren Blutungen, nur starke Schmerzen. Doch ich konnte nicht erleichtert aufatmen. Nicht bevor ich gesehen habe, dass sie aufwachen würde. Denn etwas beunruhigte den Arzt. Etwas, das er mir nicht sagen wollte. Er hatte es nur Andrew erzählt und seitdem starrte er Ana einfach nur an. Sein Blick verunsicherte mich. Es war so, als würde er jeden Moment darauf warten, dass ihr Herz aufhörte zu schlagen. Ging es ihr doch nicht gut? Hatte mich Doktor Blutsauger etwa angelogen? Ich sah zu Ana. Mein Blick blieb an ihrer rechten Gesichtshälfte hängen, die von leichten Narben geziert war. Die Narben waren dünner und feiner, als jene an ihrem Arm, doch Ana hatte sie immer versteckt gehalten. Hätte ich jemals einen Blick darauf erhascht, hätte ich sofort gewusst, wer sie war. Doch ich hatte es nicht ahnen können. Wahrscheinlich hätte ich sie nicht einmal beachtet, wenn ich mich nicht geprägt hätte. Ich wäre an ihr vorbeigelaufen und wäre niemals auf die Idee gekommen, ein zweites Mal hinzusehen. Doch mein Wolf liebte sie. Er hatte mehr als ich gesehen. Er erinnerte sich an vieles aus meiner Vergangenheit, als hätte er aus meinem Inneren schon immer mein Leben beobachtet. Es war merkwürdig, doch ich zweifelte nicht an seiner Entscheidung. Ich liebte es, zu wissen, dass meine Seelenverwandte schon immer da gewesen war. Dass es niemand Fremdes war. Dass es Ana war. Ich würde für immer für sie da sein. Nie wieder müsste sie leiden. Nie wieder würde sie alleine sein müssen. Sie war mir wichtig. Sie war ein Teil von mir. Sie war mein Ein und Alles. „Ich weiß nicht, ob ich mich schon bedankt habe“, durchbrach Andrew die Stille und sah mich nachdenklich an. Ich biss meine Zähne zusammen. Es war falsch mir zu danken, wo ich doch so Vieles hätte verhindern können. „Sir. Ich – Es tut mir leid. Ich hätte sie früher finden sollen“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Er lächelte mich zaghaft an. Er wirkte dadurch nur noch trauriger. „Embry. Sie ist hier, dank dir. Dank dir ist sie nicht tot. Das ist doch das Wichtigste“, erklärte er mir. Seine Stimme wirkte trotz seines leeren Blicks warmherzig. Ich nickte ihm nur zu und setzte mich ihm gegenüber. Nachdenklich nahm ich ihre Hand, die halb vom Gips verschlossen war, und drückte sie leicht, in der Hoffnung, sie würde es merken. Ihre Hand war eiskalt, weshalb ich beschloss, meine auf ihrer Ruhen zu lassen. „Du magst sie sehr?“, Andrew schien ein Gespräch zur Ablenkung anfangen zu wollen. Bestimmt fand er die Stille ebenso erdrückend und deprimierend, wie ich. „Ich würde sogar lieber an ihrer Stelle hier liegen, wenn es möglich wäre“, murmelte ich leise, meinen Blick stur auf Anas Gesicht gerichtet. „Das klingt ernster, als ich es vermutet hätte.“ Ich konnte Andrews überraschten Ton deutlich heraushören. Er hatte keine Ahnung, wie ernst ich das meinte. Ohne Ana würde ich sterben. Ich könnte mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen. Sie sollte nur glücklich alt werden. Alles andere war unbedeutend. „Wie geht’s Tiffany?“, fing er ein neues Thema an. Überrascht sah ich zu ihm. Warum wollte er mit mir über Mutter reden? „Gut. Sie wird alt“, ich grinste leicht bei dem Gedanken, dass wenn meine Mutter das hören würde, sie mir den Kopf abreißen würde. Andrew hustete belustigt. „Das werden wir alle. Hat … Weiß Tiffany von Huyana?“, fragte er und ich verstand, worauf er hinaus wollte. Ich nickte. „Ja. Sie … Ich hatte nicht gewusst, dass Ana … Ich hatte alles in den Hintergrund verdrängt, es … tut mir aufrichtig Leid, dass ich in meiner Aufgabe, als bester Freund, versagt habe … Ich … Ich werde es wieder gut machen … Dieses Mal lasse ich sie nicht mehr …“ „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Embry. Wir alle machen Fehler“, unterbrach er mich. Ich schielte zu ihm und sah, wie sich Tränen in seinen Augen bildeten. „Ich selbst … habe viele Fehler … viele falsche Entscheidungen getroffen … sie musste dadurch leiden … irgendwann, wird sie mir verzeihen können … ich hoffe es zumindest“, hauchte er leise. Doch ich hatte es hören können. Ich reagierte aber nicht darauf, da ich wusste, dass es nicht für meine Ohren bestimmt war. Aufgewühlt biss ich mir in die Wange. Andrew gab sich tatsächlich die Schuld für den Unfall. Oder gingen seine Schuldgefühle noch weiter in der Vergangenheit zurück? Bereute er, dass er Irene geheiratet hatte? Bereute er die Existenz von meiner Ana? „Sie können Nichts dafür! Bitte! Ich bin Ihnen für Ana sehr dankbar“, platzte es aus mir heraus. Innerlich schlug ich mir auf die Stirn, weil ich doch auf seine Worte reagiert hatte. Überrascht zog Andrew die Augenbrauen in die Höhe. „Tiffany hat es dir also erzählt.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Peinlich berührt nickte ich. „Versteh mich nicht falsch, Embry. Ich bereue nicht, dass es Ana gibt. Nein. Ich liebe Huyana seit dem Moment, als ich ihr Ultraschallbild gesehen habe. Aber du weißt ja, was dann passiert ist?“, er lächelte mir bitter zu, als ich nickte. „Ich hätte es verhindern können. Doch ich redete mir ein, dass alles noch gut werden würde … Hör zu. Ana weiß Nichts. Sie denkt, ich liebe ihre Mutter und bin wegen ihr noch immer am Boden zerstört. Bitte sag ihr nicht die Wahrheit. Sie würde es nie ertragen“, redete er auf mich ein. Sein Blick bescherte mir eine Gänsehaut. Ich nickte ihm schweigend zu. Ich würde sie nicht anlügen können, also würde ich versuchen, diesem Thema aus dem Weg zu gehen. Er seufzte erleichtert. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Edward stand mit Carlisle und Renesmee an der Tür. „Bitte gehen Sie für einen Moment raus“, redete Carlisle einfühlsam auf uns ein. Verwirrt sah ich in die Runde. Ich verstand nicht was los war. Plötzlich hörte ich das unregelmäßige Piepsen des Geräts, das ich ausgeblendet hatte, da es mich wahnsinnig gemacht hatte. Entsetzt blickte ich zu Andrew, der viel zu blass geworden war. „Huyana, tu das nicht!“, flüsterte ihr Edward ins Ohr. Was hatte er in ihren Gedanken gehört? Was ging hier vor? „Renesmee bitte hilf mir. Sie will nicht dagegen ankämpfen“, hauchte Edward leise und schnell, sodass es unhörbar für Andrew war. Sehr wohl aber für mich. Ich schwankte entsetzt zurück. Sie wollte sterben? Warum? Warum hatte sie keinen Willen zu überleben? Ich – Wir brauchten sie hier doch! Ich sah noch wie Renesmee ihre Hand auf Anas Gesicht legte, ehe ich von Carlisle aus dem Zimmer geschoben wurde. „Geht, es wird alles in Ordnung werden.“ „Ich möchte bleiben, bitte. Ich bin ihr Vater!“, schrie Andrew aufgebracht. Carlisle sah mich entschuldigend an und nickte Andrew zu. Als sich die Tür schloss, rutschte ich an der Wand hinunter. Sie wollte nicht mehr ein Teil dieser Welt sein. Wieso? Was machte ihr eine solche Angst, dass sie aufgeben wollte? Tränen stiegen mir in die Augen. Sie durfte nicht gehen. Nicht nachdem wir alle so hart für sie gekämpft haben. Ein schriller langer Ton riss mich aus den Gedanken. Entsetzt weitete ich meine Augen und starrte die weiße Wand gegenüber an. Ich presste mir die Hände auf den Mund, um einen Schrei zu unterdrücken. Mein Herz blieb stehen. Es starb mit ihr. Nein. Das konnte nicht wahr sein! Sie konnte nicht aufgeben. Warum tat sie das? „Ana. Nicht meine Ana“, hörte ich Andrew schreien. Ich wimmerte auf. Es war schrecklich. Warum hatte ich mir bloß Hoffnungen gemacht? Warum musste mir das Alles passieren? War das meine Strafe, weil ich nicht für sie da gewesen war? Ich raufte mir mit den Händen durch die Haare und presste sie gegen die Ohren. Ich wollte dieses lange Piepsen nicht hören. „Nein! Nein! Nein!“, murmelte ich, während ich vor und zurück schaukelte. Das konnte nicht wahr sein. Plötzlich wurde der schrille Ton unterbrochen. „Ana. Ana nein!“, schrie Andrew in die Stille hinein. Ich hielt meinen Atem an, als die Leere mich überrollte. Meine Tränen versiegten und ich saß einfach nur da. Lauschte in die Stille hinein. Es war vorbei. Sie war tot und ich starb innerlich mit ihr mit. Ich spürte, wie meine Gliedmaßen taub wurden. Wie mein Wolf sich wimmernd zurückzog und Abschied nahm. Er hatte seinen Lebenssinn verloren. Wir hatten unser Gegenstück verloren. Den einzigen Menschen, der uns hätte glücklich machen können. Der einzige Mensch, der meinen Wolf aus der Fassung brachte. Meine Ana, die mich nur mit einem Lächeln glücklich machte. Huyana. Plötzlich durchbrach ein Piepsen die eiserne Stille, gefolgt von einem weiteren. „Sie ist über den Berg“, hörte ich Carlisle nach einer Weile erleichtert verkünden. „Alles wird gut, Miss Doli.“ Mein Wolf sprang auf und jaulte vor Freude. Ein erleichtertes Lachen entwich mir. Ich konnte mein Glück nicht fassen. Ich sprang sofort auf meine Beine auf. War sie wach? Konnte ich sie sehen? Ich musste sie sehen! Ich musste sicherstellen, dass es ihr gut ging. „Wir tun dir nichts“, sprach Edward. Hatte Ana Angst vor ihnen? Erinnerte sie sich an diese verdammte Blutsaugerin? Der Gedanke missfiel mir. Es wäre das Beste, wenn sie alles vergessen hätte. „Miss Doli. Beruhigen Sie sich. Ihre Familie ist bei Ihnen. Es passiert Ihnen gewiss Nichts!“, redete Carlisle auf sie ein. Ein leises Wimmern war zu hören. Mein Beschützerinstinkt schrie danach, an ihrer Seite zu sein. Sie sollte – nein – sie musste keine Angst mehr haben. Ich würde sie vor allem beschützen. Ich würde für immer bei ihr sein. Ihre einzige Aufgabe war es zu leben. Alles andere würde ich erledigen. „Ihre Familie wartet auf Sie“, verabschiedete sich der Doktor und ich hörte Schritte, die immer näher kamen. „Sie lieben dich sehr“, murmelte Edward, vermutlich an Ana gerichtet. „Sie ist wach. Ihr geht es gut Mr. Doli“, sprach Carlisle, ehe die Tür geöffnet wurde, und er mich ansah. Er lächelte mir aufmunternd zu. Ich nickte ihm nur zu. Bestimmt wusste er, wie dankbar ich ihm für alles war, doch ich hatte nicht die Kraft zu sprechen. „Danke. Vielen, vielen Dank!“, hörte ich die verweinte Stimme von Andrew. „Renesmee, komm. Danke für deine Hilfe“, Edward ging mit Renesmee vor ihm aus dem Zimmer und schloss die Tür. „Es ist alles in Ordnung, Onkel Embry“, tröstend strich sie mir den Arm, bevor sie geschwind in Richtung Wohnzimmer lief, wo Bella und Jake waren. Edward sah mich einen kurzen Moment schweigend an, ehe er verschwand. Im nächsten Moment stand er vor mir und reichte mir einen Becher. „Wasser. Sie hat bestimmt Durst. Warte einen Moment und dann kannst du hinein. Lass ihrem Vater ein wenig Zeit“, er klopfte mir fest auf die Schulter und ging. Nachdenklich starrte ich den Becher an. Die Frage, wie sie auf mich reagieren würde, drehte sich mir im Kopf. Nervös biss ich mir auf die Lippen, als mir klar wurde, dass ich sie immer noch verlieren konnte. Jetzt wo ich sie endlich sehen würde, lebend, packte mich eine neue Angst. Sie war doch vor mir weggerannt, weil sie mich hasste. Ich konnte nur hoffen, dass sie mich nicht von sich stoßen würde. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals bei dem Gedanken, dass sie mich nicht bei sich haben wollte. Ich hatte mir geschworen, es zu akzeptieren und sie aus dem Schatten aus zu beschützen, wenn sie mich nicht bei sich haben wollte. Sie sollte nur leben. Das war die oberste Priorität. Aber jetzt wo sie lebte, konnte ich es nicht. Ich wollte bei ihr sein. Zögernd ging ich auf die Tür zu. Sie durfte mich nicht abweisen. Sie sollte mich nicht hassen, denn ich würde Alles wieder gut machen. Das nahm ich mir fest vor. Ich klopfte leicht und öffnete die Tür einen Spalt. „Kann ich sie sehen?“, fragte ich Andrew, da ich nicht unhöflich erscheinen wollte. Er lächelte mir leicht zu und nickte. „Ich lass euch alleine“, murmelte er und ging. Als er an mir vorbei ging, klopfte er mir aufmunternd auf die Schulter. Mein Blick schien Bände zu sprechen. Wie in Zeitlupe bewegte ich mich auf sie zu und setzte mich langsam auf den Stuhl, wo Andrew die ganze Zeit über gesessen hatte. Ihr entsetzter Blick zerriss mein Herz in tausend Stücke. Ihr Gesichtsausdruck schrie förmlich, dass ich verschwinden sollte. Meine Nackenhaare stellen sich mir auf. „Hey.“ Ich lächelte sie schwach an und bemühte mich, gelassen zu wirken. Sie sollte keine Angst vor mir haben. Das wäre schrecklich, wo ich ihr doch niemals ein Haar krümmen würde. „Ich … Ich dachte mir, du wärst vielleicht durstig“, fuhr ich entmutigt fort, da sie mich nicht zurück grüßte. Ana sagte Nichts. Sie starrte mich einfach nur an. Mein Herz setzte einen Moment aus, als ihre traurigen Augen auf meine trafen. Meine Hände fingen an zu zittern, weshalb ich sie zu Fäusten ballte. Sie schien einem Gedanken nachzugehen, denn sie fing an, auf ihren risseigen Lippen zu kauen. Es wirkte so, als würde sie überlegen, wie sie mich auf freundliche Art abschieben konnte. Ich sog bebend die Luft ein. Das konnte sie mir nicht antun. Nicht wo ich sie doch erst wieder hatte. Sie wandte ihren Blick von mir ab und sah stur zur Decke. „Huyana. Bitte tu das nicht“, kam es von mir, noch ehe ich es hätte verhindern können. Ihre Augen weiteten sich kurz. Ihre Seelenspiegel waren getränkt vor Schmerz. War es die Erinnerung, an die Zeit damals? Dachte sie daran, wie ich sie in Stich gelassen hatte? Ich nah ihre Hand in meine. Sie sollte mich ansehen. Sie sollte mir in die Augen sehen und erkennen, wie wichtig sie für mich war. Doch sie entzog sich mir. „Huya…“, meine Stimme brach ab, doch ich musste reden. Sie zur Besinnung bringen. „Huyana. Bitte. Ich … ich weiß, dass du mich hasst! Ich weiß, ich war ein Idiot als Kind und … das ich dich in Stich gelassen hatte … Bitte Ana. Bitte schieb mich nicht von dir ab … Bitte.“, flehte ich verzweifelt. Ich würde alles für sie tun. Sie durfte mich nicht weg schicken. „Ana bitte hass mich nicht“, flüsterte ich mit Nachdruck. Als sie noch immer nicht zu mir sah, stand ich verzweifelt auf und beugte mich über sie, damit sie mir ins Gesicht sah. Sie durfte sich nicht von mir abwenden. Ich würde es nicht ertragen können. Ich hätte sie fast an den Tod verloren, hatte sie nach zwei Tagen voller bangen wieder und nun wollte sie, dass ich ging? Warum nur war es mir nicht gewährt an ihrer Seite zu sein? Ich wollte sie doch nur glücklich sehen. Ich spürte, wie meine Augen zu tränen begangen, aber ich konnte es nicht aufhalten. Zu viel hatte sich in den letzten Tagen in mir aufgestaut. Ihre Augen starrten entsetzt zu mir hoch. Ich konnte sehen, wie unangenehm es ihr war und dass sie mit sich rang. Ich wünschte mir, dass sie Mitleid mit mir bekam. Sogar das wäre mir lieber, als dass ich weg musste. Ihre Unterlippe fing an zu zittern und ich sah, wie ihre Augen glasiger wurden. Warum litt sie? War es wegen mir? Konnte ich sie wirklich nicht glücklich machen? Hatte mein Wolf einen Fehler begangen, als er sich in sie geprägt hatte? Vielleicht war ich wirklich nicht gut genug für sie. „Embry“, krächzte sie heißer. Ich biss mir auf die Lippen, denn der Schmerz in ihrer Stimme machte mich verrückt. Sie sollte meinen Namen mit Freude aussprechen und nicht mit dieser Verwundbarkeit vermischt mit diesem Schmerz. Ich würde ihr niemals etwas Böses tun. „Embry … bitte“, fing sie an, wurde jedoch von einem Hustanfall unterbrochen. „Alles Ana. Ich werde alles für dich tun“, sprach ich während ich ihr vorsichtig den Strohhalm zwischen ihre Lippen steckte. Kurz schloss sie die Augen, als sie anfing daran gierig zu saugen. Für einen kurzen Moment entspannte ich mich. Vielleicht würde sie mich doch akzeptieren. Als sie mich wieder ansah, stellte ich den Becher auf dem Nachtisch ab und sah sie erwartungsvoll an. Was sollte ich für sie tun? Ihre schwarzen Augen sahen für einen kurzen Moment in meine und ich erstarrte. In ihren Seelenspiegel war Schuld zu erkennen. Doch warum? „Embry …“, flüsterte sie leise. Es war nur ein Hauch gewesen, doch ich hatte es gehört. Ein Schauer lief mir über den Rücken und als sie ihren Blick wieder zur Decke wandte, schrie ich innerlich panisch auf. Ich beugte mich erneut über sie und sah, wie sie kurz den Atem anhielt, ehe sie sprach. „Embry … bitte geh“, hauchte sie, doch in meinen Ohren hallte die Worte laut, wie ein Echo. Immer wieder. Immer lauter. Sie erfüllten mich ganz und lösten eine Lawine der Verzweiflung aus. Ich riss meine Augen auf. Sie durfte das nicht von mir verlangen. Alles, nur das nicht! „Nein … Ana … nein!“ Ich stützte meinen Oberkörper mit meinen Armen ab und krallte mich verzweifelt in das Laken ihrer Matratze. Ich hatte das Gefühl, in dem Schmerz zu ertrinken. Es war zu viel für mich. „Ich … Ana … Huyana … Bitte … ich kann das nicht!“, brachte ich irgendwie heraus. Sie durfte das nicht von mir verlangen. Ich schluchzte und vergrub mein Gesicht in ihr Kopfkissen. Der Geruch von Vanille und einer Note Wildblumen schlug mir entgegen. Er beruhigte mich nicht. Im Gegenteil, der Duft breitete sich wie ein Giftnebel in mir aus und betäubte all meine Sinne. „Huyana, bitte!“, flehte ich, doch sie schüttelte nur mit dem Kopf. „Embry … Ich will dich nicht sehen! Geh!“ Ich erstarrte. Die Zeit blieb für mich stehen. Ich fühlte, wie sich ihre Brust langsam gegen meine hob und senkte. Ich fühlte ihren schwachen Atem gegen meine Schulter. Ich fühlte die Krater, in meiner Seele, die ihre Worte hinterließen. Fühlte, wie alles unter dem Gewicht ihrer Worte zerfiel. Fühlte, wie nichts mehr blieb, außer der gähnenden Leere. Es war vorbei. Sie wollte mich nicht sehen. Sie brauchte mich nicht. Sie hasste mich. Ich richtete mich auf und sah ein letztes Mal in ihr Gesicht. Ich wollte mir jedes Detail merken. Ihre großen, schwarzen Augen. Ihre kleine Stupsnase. Den Verlauf ihrer Narben. Den süßen Mund, der mich nie wieder anlächeln würde. Unfähig ihr etwas zum Abschied zu sagen, taumelte ich zur Tür. Es war unmöglich und doch versuchte ich gegen die Schwerkraft, die mich zu ihr zog, an zu kämpfen. Sie hatte es gewollt und ich musste es respektieren. Mein Wolf jaulte. Eine Stimme in meinem Inneren redete auf mich ein, forderte, dass ich mich widersetzten sollte. Doch ich konnte es nicht. Ich würde im Stillen leiden, wenn es das war, was sie sich wünschte. Ein letztes Mal sah ich zu ihr. Ich betete zu Gott, dass sie auch ohne mich ihr Glück finden würde, denn ich würde alles ertragen, solange es sie glücklich machte. Leb wohl, Huyana … Kapitel 16: Gegen die Schwerkraft - Teil II ------------------------------------------- Mir war schrecklich kalt. Fühlte es sich so an tot zu sein? War ich endgültig von der Welt gegangen? Waren meine Liebsten glücklich? Wie viel Zeit war vergangen? In der Dunkelheit gefangen, fühlte ich nichts, außer der Kälte, die schleichend über den Boden kroch. Mein Tot war grausam gewesen. Ich konnte mich noch gut an die Schmerzen erinnern. An die Verletzungen, die sie mir zugefügt hatte. An das wunderschöne Monster, das freudig aufseufzte, als sie von meinem Blut kostete. Ich hatte mir das Jenseits definitiv anders vorgestellt, als diese gähnende, dunkle Leere, die mich umgab. In meiner Vorstellung war das Jenseits ein Ort ohne Gesetzte. Man konnte fliegen, unendlich tief tauchen, ohne dass einem die Ohren platzten, oder einfach nur auf einer Wolke liegen und sich vom Wind treiben lassen. Doch ich konnte nichts dergleichen. Ich fühlte mich schwer und die Schmerzen, die mir vor meinem Tod zugefügt worden waren, fühlte ich immer noch. Sie waren zwar deutlich schwächer, doch immer noch da. Ein monotones Piepsen erregte meine Aufmerksamkeit. Ich kannte dieses Geräusch. Ich kannte es zu gut! Allein der Gedanke wieder dort zu sein, ließ mich panisch werden. Vielleicht hätten sich andere Menschen darüber gefreut, und wären dem Piepsen gefolgt, um aus dieser Dunkelheit zu entfliehen. Doch ich wusste, was mich dort erwarten würde. Tränen und Schmerz. Ich wollte das nicht! Ich hatte doch Abschied genommen. Ich wollte nicht zurück in diese Welt, wo es tatsächlich Vampire gab. Unsterbliche. Blutsaugende, eiskalte, steinharte Monster. Hier in dieser Dunkelheit war ich in Sicherheit. Hier konnte mir keiner etwas anhaben! „Huyana, tu das nicht!“ Eine Stimme, die ich noch nie in meinem Leben gehört hatte, hallte in der Leere. Von wo kam diese Stimme? Was hatte es mit dieser auf sich? Plötzlich wurde die Dunkelheit von Farben ersetzt. Menschen formten sich vor mir. Ich sah in die entsetzten Augen meines Vaters. Das entsetzten wich und seine Schulter fingen an, zu beben. Er weinte und beugte sich über ein weißes Lacken. Ich sah, wie er sich über mich beugte und meine Stirn küsste. Ich sah, wie ich im Krankenbett lag und an etlichen Maschinen hang. Das Bild wurde ersetzt durch den aufgelösten Ausdruck von Nina. Sie hatte tiefe Augenringe und saß bei einer Glaswand. Dahinter war nur der Wald zu sehen. Ich kannte diese Aussicht nicht. In was für einem Krankenhaus war ich denn? Von wo kamen diese Bilder? Was hatte das alles zu bedeuten? Und ganz plötzlich trat er durch das Bild hindurch, welches sich in diesem Moment in Rauch auflöste. Embry. Embry, wie er weinte und meinen Namen murmelte. Embry, wie er an meinem Bett saß und meine verstümmelte, rechte Hand hielt. Embry, wie er mich ansah, als sei ein großer Teil von ihm gestorben. War ich es, die ihm Schmerzen zufügte? War es meine Schuld, dass alle am Boden zerstört waren? Nein, ich würde von dieser Welt gehen und dann könnten sie glücklich werden. Sie würden eine Zeit lang trauern, aber auch das überwand man mit der Zeit. So war es auch bei mir mit meiner Mutter gewesen. Die Seele heilte. Im Laufe des Lebens wuchs nämlich das Herz weiter und die anfangs noch großen Löcher, wurden kleiner und kleiner. Irgendwann würde das Loch, welches ich in ihre Herzen riss, klein sein. Nahezu unbedeutend. Denn andere Menschen würden kommen und sie würden diese in ihr Herz schließen. Wenn ich starb, würde alles gut werden. Langsam, aber entschlossen ging ich von dem Piepsen weg. Ich kehrte meinem verfluchten Leben den Rücken zu. Plötzlich veränderte sich alles. Ich hörte in der Ferne einen konstant, schrillen Ton und fühlte einen komischen Druck in meiner Brust. Es war ein unangenehmer Schmerz und für einen Moment rang ich mit dem Atem. Just in dem Moment, traf mich ein Stromschlag. Mein ganzer Körper zuckte zusammen. Das schrille Pfeifen wurde kurz unterbrochen. Erneut durchzuckte mich ein Stromschlag. Ohne mich wehren zu können, wurde ich von dem Pfeifen angezogen. Ich stemmte mich dagegen, doch als mich ein Licht blendete, kniff ich fest meine Augen zusammen und vernachlässigte meine Abwehr. Das Nächste, was ich wahrnahm, war ein helles Piepsen neben meinem Ohr. Ich blinzelte und erkannte eine weiße Decke. „Ana!“, schrie jemand. „Ana nein!“ Ich erkannte die Stimme meines Vaters. „Sie ist über den Berg“, sagte jemand. Seine Stimme war wunderschön. Ich erschauderte, denn sie erinnerte mich an das Monster. „Alles wird gut, Miss Doli.“ Zwei goldene Paar Augen tauchten in meinem Blickfeld auf. Beide Männer waren viel zu schön, um von dieser Welt zu sein. Sie waren viel zu bleich. Das Piepsen von dem Gerät neben mir, wurde schneller, hektischer. „Wir tun dir nichts“, freundlich lächelte mich der bronzehaarige Junge an. Ich erkannte seine Stimme! Es war die, die mich aus der Dunkelheit holen wollte. „Miss Doli. Beruhigen Sie sich. Ihre Familie ist bei Ihnen. Es passiert Ihnen gewiss Nichts!“, redete ein blonder Mann auf mich ein und strich mir über meinen linken Arm. Ich zuckte unter seinen kalten Händen zusammen und wimmerte, als das Bild von der Frau vor meinen Augen auftauchte. Sofort nahm er seine Hand weg und räusperte sich. „Ihre Familie wartet auf Sie“, mit diesen Worten verschwand das Gesicht, des blonden Mannes und ich hörte seine Schritte. „Sie lieben dich sehr“, meinte der Junge und folgte dem anderen. „Sie ist wach. Ihr geht es gut Mr. Doli“ „Danke. Vielen, vielen Dank!“, hörte ich die verweinte Stimme meines Vaters. „Renesmee, komm. Danke für deine Hilfe“, erneut drang die Stimme vom bronzehaarigen Jungen zu mir. Ich erschauderte. Sie waren definitiv nicht von dieser Welt. Ob sie genau wie sie waren? „Ana, Spatz!“ Mein Vater setzte sich auf einen der Stühle zu meiner Linken und drückte meine Hand. Schweigend schielte ich zu ihm. Er sah müde aus. Seine Augen spiegelten die Verzweiflung, die ihn packte, als ich nicht antwortete. Ich war erneut in einem Krankenhaus. Erneut hohe Rechnungen, die er bekommen würde. Alles nur wegen mir. Warum nur quälte mich mein Leben so? Warum wurde ich nicht von all dem erlöst? Warum konnte ich nicht verschwinden und meinem Vater ein besseres Leben ohne mich ermöglichen? „Nicht weinen Ana. Alles ist jetzt gut!“, murmelte mein Vater tröstend und strich die Träne, die sich aus meinem Auge stahl, mit dem Daumen weg. Nichts war gut! Ich lebte! Wegen mir litten sie alle. Wegen mir konnten sie nicht lachen. Ich lebte, verdammt! Was wenn sie wiederkommen würde? Wenn sie meine Liebsten angriff? Wie war ich überhaupt hier hergekommen? Wo war ich? Das hier war nicht das Krankenhaus von Forks und auch nicht das von Port Angeles, die ich von meinen früheren Aufenthalten kannte. Mein Vater schien meine Fragen erahnen zu können, denn er lächelte mich aufmunternd an. „Du bist hier in einer kleinen Privatpraxis. Embry hat dich hier hergebracht, da der Arzt ein sehr guter Freund von ihm ist. Ein sehr guter Arzt!“, erklärte er mir. Entsetzten breitete sich in mir aus. Embry – Er hatte mich gefunden? Aber wie? Und wie viel wusste mein Vater? Der Schock wich und feurige Wut breitete sich in mir aus. Embry war schuld! Warum konnte er mich nicht einfach sterben lassen? Warum tat er das? Nun waren sie alle in Gefahr! „Spatz. Beruhig dich. Du bist hier in Sicherheit, niemand wird dich hier noch überfallen. Embry hat erzählt, dass er zwei Männer hat flüchten gesehen, als er dich fand. Gott um ein Haar …“, seine Stimme versagte und er erschauderte. Fassungslos sah ich ihn an. Hatte mich das Monster so in der Stadt abgelegt, dass es wie ein Überfall aussah? Deswegen hatte mich Embry also ausfindig machen können! Ich erschauderte bei dem Gedanken, dass er sie hätte treffen können. Doch von welchen Männern sprach Embry? Ich verstand kein Wort von dem, was mein Vater mir sagte. Viel wichtiger war, was mit der Frau geschehen war? Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass sie von meinem Überleben wusste? Sehr hoch bei meinem bezaubernden Schicksal, das mich hasste. Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Ich schielte zu Tür, welche sich einen kleinen Spalt weit öffnete. „Kann ich sie sehen?“, Embrys Stimme ließ mich erschaudern. Nein! Ich wollte ihn nicht sehen! Er sollte sich von mir fernhalten. Er sollte ohne mich glücklich werden. Ich war kein guter Umgang für ihn und fügte ihm nur Leid zu. Von dem Monster, das mich eventuell verfolgen konnte, gar nicht zu reden! Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ihm etwas passieren würde. Mein Vater jedoch lächelte ihn glücklich an und nickte. Er schien Embry zu mögen. Vermutlich war er ihm auch unendlich dankbar. „Ich lass euch alleine“, murmelte er und ging. Nein! Bitte nicht! „Hey“, schwach lächelte er mich an, und setzte sich auf den Stuhl wo vorhin mein Vater gesessen hatte. „Ich … Ich dachte mir, du wärst vielleicht durstig“, er hob einen Becher mit Strohhalm hoch. Jetzt, wo er es erwähnte, spürte ich das trockene Brennen in meinem Hals. Doch ich sagte nichts und starrte ihn nur an. Sein Haar wirkte fettig und zerzaust. Seine rostbraune Hautfarbe hatte einen ungesunden Ton angenommen und unter seinen wunderschönen Augen zeichneten sich tiefe, dunkle Augenringe. Er sah so erschöpft aus. Hatte er überhaupt geschlafen, als ich bewusstlos war? Wie lange war das überhaupt her? Mein Herz schlug schmerzhaft gegen die Brust. Ich wollte nicht, dass er hier war. Ich hatte ihn doch verletzt. Ich tat ihm nicht gut. Embry hatte etwas Besseres verdient. Ich presste meine Lippen zusammen und sah wieder hoch zur Decke. Es zerriss mich innerlich, doch ich konnte seinen Kummer nicht ertragen. Ich hatte seine Aufmerksamkeit nicht verdient. Warum hatte er mich nicht einfach sterben lassen können? Warum hasste er mich nicht? „Huyana. Bitte tu das nicht“, flehte er. Anscheinend wusste er, was ich dachte. War ich für ihn ein offenes Buch? Es spielte keine Rolle. Er nahm meine Hand in seine. Ich spürte die unnatürliche Hitze, die von ihm ausging und zuckte zusammen. Warum nur wandte er sich nicht von mir ab? War er ein krankhafter Masochist? Es war doch offensichtlich, dass ich ihm nicht guttat. Mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, entzog ich meine Hand. „Huya …“, seine Stimme brach ab. „Huyana. Bitte. Ich … ich weiß, dass du mich hasst! Ich weiß, ich war ein Idiot als Kind und … das ich dich in Stich gelassen hatte … Bitte Ana. Bitte schieb mich nicht von dir ab … Bitte“, wimmerte er verzweifelt. Er wusste also, wer ich war. Hatte er von Anfang an eine Ahnung gehabt? Es konnte mir auch egal sein, denn es hatte keine Bedeutung mehr. „Ana bitte hass mich nicht“, flüsterte er und stand auf. Er beugte sich über mich, sodass ich in seine Augen sah. Seine Mimik war schmerzverzerrt, genau wie an jenem Tag. Eine Träne stahl sich aus seinem Auge und fiel auf meine Wange. Die Schuld zerdrückte mich. Ich war es, die ihm das Leid antat. Doch ich würde ihm nicht helfen können. Mein Leben war verflucht und jeder der ein Teil davon war, war unglücklich. Ich musste von ihm loslassen, auch wenn ich mich ihm am liebsten in die Arme geworfen hätte. Er war ein wundervoller Mensch. So liebenswürdig. So nett. Einfach nur Embry. Doch er konnte an meiner Seite nicht glücklich werden. Ich wollte ihn lachen sehen, so wie einst. Meine Unterlippe fing an zu zittern, und meine Augen fingen an zu brennen. Wenn man nicht gut genug für jemanden war, musste man ihn gehen lassen. Ich war nicht egoistisch genug, um ihm sein Leben zu zerstören. „Embry“, ich zuckte zusammen, als ich meine kratzige Stimme hörte. Er biss sich auf die Lippen und starrte mich verzweifelt an. „Embry … bitte“, mein trockener Hals kratzte, weshalb ich husten musste. „Alles Ana. Ich werde alles für dich tun“, murmelte er während er mir den Becher reichte und vorsichtig den Strohhalm zwischen meine aufgerissenen Lippen steckte. Ich saugte gierig daran, und genoss das Gefühl, als die Flüssigkeit meinen trockenen Hals benetzte. Als er den Becher abstellte und mich erwartungsvoll ansah, wünschte ich mir, dass sich im Boden ein Loch auftat. Ich verdiente ihn nicht. Niemals. „Embry …“, ich sah ihn kurz an, wandte aber meinen Blick wieder zur Decke, unfähig ihm dabei ins Gesicht zu sehen. Doch erneut beugte er sich über mich und sah zu mir runter. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals runter. Vergeblich. Ich hatte das Gefühl zu ersticken. „Embry … bitte geh“, flüsterte ich. Es war nur ein Hauch und ich selbst konnte es nicht hören. Embry jedoch weitete seine Augen voller Entsetzten und schüttelte den Kopf. „Nein … Ana … nein!“, seine Stimme triefte vor Schmerz. Mein Herz zerbrach, als ich die Trauer in seinen Augen erkannte. Es war doch zu seinem Besten. Irgendwann würde er es verstehen. „Verschwinde … Embry“, presste ich irgendwie heraus. Etwas in meinem Inneren wehrte sich dagegen, doch ich ignorierte es. Embrys Wohl stand über meinem. Tränen bahnten sich über sein Gesicht, verweilten einen Moment am Kinn und fielen dann auf meine Wange. „Ich … Ana … Huyana … Bitte … ich kann das nicht!“, murmelte er. Er schluchzte und vergrub sein Gesicht in mein Kissen. Ich spürte seine Hitze an meiner Schulter. Seine Wärme, die meinen Körper jubeln ließ. „Huyana bitte!“, seine Stimme wurde von meinem Kissen gedämpft. Ich schüttelte meinen Kopf leicht. Warum nur machte er mir diesen Abschied so schwer? Bebend sog ich die Luft ein. Warum forderte er von mir, dass ich zu einem noch größeren Monster wurde, als ich es schon war? „Embry … Ich will dich nicht sehen! Geh!“, meinte ich mit all der Überzeugung, die ich aufbringen konnte. Er erstarrte. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Irgendetwas an ihm löste in meinem Körper eine Welle aus Angst aus. Ich fürchtete, dass er mir weh tun könnte. Er hob seinen Kopf und sah mich an. Ich wünschte, dass es ein hasserfüllter Blick war oder einer mit Verachtung. Doch in seinen Augen war nichts zu erkennen. Glanzlos starrten sie mich an. Sahen durch mich hindurch. Sie waren leer, als hätte ich ihm gerade seine Seele rausgerissen und ein dunkles Loch hinterlassen. Er richtete sich schweigend auf und taumelte zur Tür. Ich setzte mich leicht auf, um ihm nach zu sehen. Mein Inneres schrie. Mein Herz stritt mit meinem Verstand. Beschimpfte es. Verachtete es. Als er bei der Tür ankam, sah er mich noch ein letztes Mal an. Sein leerer Blick bescherte mir eine Gänsehaut. Ich wollte ihm noch sagen, wie sehr es mir leidtat, und dass es nur zu seinem Besten war. Doch ich konnte nicht. Ich starrte ihn einfach wortlos an und sah zu, wie er aus meinem Leben verschwand. Als er die Tür hinter sich schloss, presste ich die Hände auf den Mund und unterdrückte einen Schrei. Ich hatte das Gefühl, dass meine Seele verdorrte. Sie starb mit jedem weiteren Schritt, den sich Embry entfernte. Doch mein Leben war nicht von belangen. Er sollte glücklich werden! Leb wohl, Embry ... Kapitel 17: Bittere Realität ---------------------------- Wie knüpft man nach solchen Ereignissen wieder an sein altes Leben, wenn es doch so fern zu sein schien? Wie hatte ich mich vor den Geschehnissen verhalten? Was hatte ich am liebsten getan? Ich wusste es nicht mehr. Es war aussichtlos. Ich war in dieser elenden Gegenwart verloren. Dies war nun meine Realität. Mein Leben. „Miss Doli. Sie müssen mit mir über diese Ereignisse reden. Ich kann Ihnen nicht helfen, wenn sie nicht mit mir darüber sprechen“, redete meine Psychiaterin einfühlsam auf mich ein. Ich schielte kurz zu ihr, ehe ich wieder die Bilder über ihrem Kopf anstarrte. Es waren merkwürdige Farbenkleckse, dessen Sinn ich nicht wirklich verstand. Ich hörte sie entnervt seufzen und sah, wie sie sich mit ihren rot lackierten Fingernägeln am Kopf kratzte. Ihre blonden Haare hatte sie in einem strengen Dutt zusammengebunden. Sie trug Designerklamotten und war immer total schick. Ich empfand ihr Erscheinungsbild eher abstoßend, als vertrauenswürdig. Wie konnte mir eine aus dem Ei gepellte Ärztin helfen? Als würde sie mir je die Wahrheit glauben. Sobald ich auch nur ein Wort darüber verlieren würde, was an jenem Tag vor fast einem Monat geschehen war, würde man mich ohne zu zögern in die geschlossene Anstalt bringen. Ich wäre ein hoffnungsloser Fall, dabei war es die bittere Realität. Die, die keiner mir glauben würde. Ich selbst hätte es für einen Traum abgestempelt, wenn mein Körper nicht von neue Narben, dank diesem Monster, geschmückt wäre. „Ihr Vater hat mir erzählt, dass sie sich auch von ihm zurückgezogen haben. Dass sie jeden Abend ihren Schreibtisch vor die Tür schieben, aus Angst jemand könnte hineinkommen. Haben Sie Angst, dass ihr Vater Ihnen Schmerzen zufügen würde, wie die Männer, die sie attackiert haben?“ Innerlich schrie ich auf. Es war erst meine dritte Sitzung bei ihr, doch die Rückschlüsse von meinem Vater und ihr, fand ich schrecklich. Niemals würde ich so etwas über meinen Vater denken. Ich hatte in jener Nacht, so wie in eigentlich jeder, von ihr geträumt und war schreiend aufgewacht. Doch damals war nicht ich angegriffen worden, sondern ich hatte beobachten dürfen, wie Vater und Nina vor meinen Augen ausgesaugt wurden. Sie grinste mich animalisch an und ihre Zähne waren mit dem Blut meiner Liebsten benetzt. Es war ein Traum, der mir nur deutlich gezeigt hatte, wie gefährlich ich für alle war. Wenn sie zurückkam, würde uns keiner beschützen können. In jener Nacht fing ich an zu schreien und nach meinem Vater zu rufen. Als er die Tür aufmachen wollte, merkte er, dass ich sie verbarrikadiert hatte. Das tat ich seitdem Tag, als ich von dieser Privatpraxis nach Hause gekommen war. Ich hatte nämlich mein Zimmer umgestaltet. Meinen Schreibtisch so hingestellt, dass ich ihn mit Leichtigkeit vor die Tür schieben könnte. Das mein Vater dachte, ich hätte Angst vor ihm, weil er genau wie meine Angreifer ein Mann war, tat mir leid. Doch es kam mir auch gut entgegen. Ich hatte eine perfekte Ausrede, warum ich nicht mehr aus meinem Zimmer ging. Mit Nina hatte ich auch kaum noch Kontakt, da ich es nicht über mich brachte, in die Schule zu gehen. Sie sollten alle von mir ablassen. Dann wären sie in Sicherheit. „Miss Doli? So kommen wir nicht weiter. Nehmen Sie denn auch ihre Medikamente?“, ihre Verzweiflung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Laut dem Arzt, Dr. Cullen, war sie eine erstklassige Psychiaterin und sehr erfahren, aber ich nahm die Medikamente nicht. Anfangs hatte ich das Gefühl, wenn alles stumpf wurde, geliebt. Wenn meine Angst abebbte und meine Panikattacken nicht kamen. Es war einfach wundervoll gewesen. Doch es gab nichts Gutes ohne einen Nachteil, und so war es bei mir, dass die Träume realer wurden und ich nicht aufwachen konnte, da die Medikamente mich zu fest schlafen ließen. Deswegen hatte ich aufgehört sie zu nehmen. Dr. Alexandra Anderson, eine gebürtige Schwedin, seufzte leise und schlug ihr leeres Notizbuch zu. „Ihre Sitzung ist für heute vorbei“, meinte sie besorgt. Ich glaubte wirklich, dass sie sich um mich sorgte, denn ich machte keinen guten Eindruck. Bei keinem meiner Ärzte. Vor einer Woche musste ich ins Krankenhaus und meinen Gips wechseln, da ich zu dünn geworden war. Mein Gips war locker geworden und brachte nicht nötigen Halt, den man brauchte. Selbst da hatten mich die Ärzte angesprochen, ob ich vielleicht eine Zeit lang in die Psychiatrie möchte. Ich hatte nur mit dem Kopf geschüttelt. Es wären nur noch mehr Rechnungen ins Haus geflogen, ohne dass irgendetwas mir davon helfen konnte und das konnte ich Vater nicht auch noch antun. Ich stand einfach auf und ging aus dem Zimmer. Mein Vater saß im Warteraum und sah hoffnungsvoll zur Psychiaterin, die kaum merklich den Kopf schüttelte. Die Gesichtszüge meines Vaters wurden von Trauer getränkt und plötzlich wirkte er alt. Es brach mir das Herz. Ich wünschte mir, dass ich etwas für ihn tun könnte damit er glücklich war. Erneut war ich nur eine Bürde für meinen Vater. Innerlich schrie ich vor Verzweiflung. Ich wollte das alles nicht. *** „Hast du Hunger Ana?“, fing mein Vater an, während er sich anschnallte. Ich schüttelte nur den Kopf. So etwas wie Hunger kannte ich nicht mehr. Ich hatte das Gefühl, wenn ich essen würde, würde alles wieder hoch kommen. Seufzend legte mir mein Vater ein Sandwich auf meinen Schoß und strich mir leicht über meinen Arm. Ich zuckte erschrocken zusammen und rückte weiter weg von ihm. Berührungen fand ich schrecklich. Sie machten mir Angst. Ich erinnerte mich noch genau, wie sie mir mit einer Berührung den Oberarm angebrochen hatte. Auch wenn ich wusste, dass mein Vater ein Mensch war. Dass er mir so etwas nie antun würde. Doch die Angst war tief in mir verankert, und ich konnte sie einfach nicht mehr abwerfen. Ich musste meinen Vater nicht ansehen, um zu wissen, dass er mich traurig musterte. Zaghaft zupfte ich am Sandwicht und steckte mir die Krümel in den Mund. Vielleicht würde es ihn ein wenig glücklicher stimmen, wenn ich etwas zu mir nahm. „Heute wird dein Gips abgenommen“, erklärte er mir, während er das Auto in Bewegung setzte. Ich nickte nur. Ich war wirklich froh darüber, meinen Arm wieder zu bekommen. Dieser Gips war schrecklich und ich fühlte mich noch verwundbarer, als ich es ohnehin schon als Mensch war. *** „Überraschung“, trällerte Nina, als wir ins Wohnzimmer kamen. Verwirrt sah ich mich in der Wohnküche um. Girlanden hangen von der Decke und überall waren Luftballons verstreut. Auf dem runden Esstisch, der Mitten im Zimmer stand, war eine kleine Torte, auf welcher die Nummer 19 aufgemalt war. Mein Geburtstag! War der heute? Ich zwang mich zu einem Lächeln, doch ihren Blicken nach zu urteilen, kam es eher einer Grimasse gleich. „Wie war dein Tag Schätzchen“, Ninas Mutter sah über die Schulter, während sie Sektgläser befüllte. Sie sah aus wie Nina, hatte aber dunkel gefärbte Haare. Nina zog mich zu einem Sessel und forderte mich auf, dass ich mich setzte. Schweigend kam ich ihrer Forderung nach und beobachtete, wie sie die Kerzen auf der Torte anzündete. „Du musst dir was wünschen, Ana!“, sprach sie, während sie kurz zu mir sah. Ihre Augen spiegelten die Besorgnis, die ich in ihr hervorrief. Ich hatte Nina schon eine Zeit lang nicht mehr gesehen. Ich vermisste sie auch, doch ich wollte nicht riskieren, dass ich sie in Gefahr brachte. Ninas Mutter, Luise, kam mit einem Tablett, auf dem sie vorsichtig die Sektgläser balancierte, auf uns zu, während sie alle ein Ständchen für mich sangen. Ich mochte es nicht. Warum taten sie sich das an? Es war offensichtlich, dass sie sich nicht wohl fühlten und zwanghaft versuchten, die längst vergessene Normalität zu waren. „Du musst die Kerzen ausblasen. Vergiss deinen Wunsch nicht!“, lächelte mein Vater. Was sollte ich mir wünschen? Dass ich starb und sie vor diesen Qualen erlöste? Dass ich niemals nach Port Angeles gegangen wäre? Dass ich wieder normal werden würde? Könnte ich das überhaupt? Ich beugte mich näher zur Torte und pustete die Kerzen aus. Ich wünsche mir, dass sie eines Tages glücklich werden. Die Flammen der Kerzen schwankten und erloschen kurz darauf. Erleichtert lehnte ich mich zurück. Sie würden glücklich werden. „Hier mein Geschenk für dich, Spatz“, verkündete mein Vater und reichte mir ein Päckchen. Nervös packte ich es aus und starrte die Schachtel an. Ein Klapphandy. Dasselbe Model, das ich gehabt hatte. „Ich habe beim Anbieter nachgefragt, und er hat eine Sim-Karte mit deiner alten Nummer codiert“, erklärte er mir, während ich mit zittrigen Händen das Handy aus seiner Halterung löste. Ich durfte nicht panisch werden. Ich musste meine Panikattacke unterdrücken. Es würde meinem Dad das Herz brechen, wenn mich sein Geschenk aus der Bahn werfen würde. Also riss ich mich zusammen und lächelte ihn, so gut ich konnte, an. „Danke“, murmelte ich. Mit geweiteten Augen starrten mich alle an. Es war mein erstes Wort, seitdem Embry gegangen war. Meine Stimme war heiser und monoton. Sie klang hohl, ohne jegliche Emotion. Genau wie ich. *** Erschöpft ging ich in mein Zimmer und schob den Schreibtisch vor die Tür. Meine Aktionen hatte die Lackierung der Tür beschädigt, doch das war mir egal. Ich ging zum Schrank, den ich vor das Fenster geschoben hatte und durchsuchte ihn. Es gab mir ein Gefühl der Sicherheit zu wissen, dass niemand im Schrank war. Ich ließ die Türen offen und kniete mich auf den Boden, um unter mein Bett zu sehen. Nichts. Etwas beruhigter, zog meinen Pyjama, bestehend aus schlabbriger, langer Hose und weitem Sweatshirt, an und setzte mich ins Eck, wo ich das ganze Zimmer im Überblick hatte. Ich bettete meinen Kopf auf mein Kissen und hob mir die Decke bis zur Nase hoch. Im Eck eingerollt, starrte ich die Staubpartikel an, die im Licht der Deckenbeleuchtung tänzelten. Ich vermisste mein gemütliches Bett, auf welchem ich nicht mehr schlafen konnte, aus Angst, jemand wäre darunter. Ich vermisste mein halbwegs normales Leben, dass mir weggenommen wurde. Nachdenklich starrte ich den offenen Schrank an, der voller neuer Klamotten war. Sie schrien geradezu „Port Angeles“, doch ich brachte es nicht übers Herz sie wegzuwerfen. Es würde Nina verletzten. Noch mehr, als ich es jetzt schon tat. Ich ballte meine Hände zu Fäusten zusammen und bemerkte, dass ich in einer Hand noch immer das Handy hielt. Ich biss mir auf die Lippen, als ich es musterte. Bilder, wie sie mein Handy nahm, wie sie es mit bloßer Hand zerquetschte, tauchten vor meinen Augen auf. Ein lautloser Schrei entwich mir, als ich daran dachte, dass nie wieder etwas gut werden würde. Warum nur hatte ich an jenem Tag nicht sterben können? Es würde ihnen so viel Schmerz ersparen. Es war aussichtlos. Es war vorbei. Ich würde nie wieder normal werden. Kapitel 18: Die Arbeit ruft --------------------------- Mit einem lautlosen Schrei setzte ich mich auf und versuchte mich im ersten Moment zu orientieren, wo ich war. Wimmernd krallte ich mich in meinen Haaren fest und fing an vor und zurück zu schaukeln. Ich konnte nicht mehr. Wann hörte das alles auf? Gab es nicht so etwas, wie einen Reset-Taste, die alles aus meinem Gedächtnis löschen konnte? Erinnerungen an den Traum flimmerten vor meine Augen wieder und ich hielt den Atem an. Warum nur konnte ich sie nicht vergessen? An wen konnte ich mich wenden? Wer würde mich nicht für eine Verrückte halten, wenn ich es erzählte? Verzweifelt fing ich an meinen Haaren zu ziehen und auch gegen meinen Schädel zu schlagen. Die Träume sollten aufhören. Warum tat mir das mein Gehirn nur an? Ich wollte es doch vergessen. Ich wollte gern ein normales Leben führen. Ich wollte mein altes, langweiliges Leben zurück. Um mich langsam zu beruhigen, lehnte ich mich gegen die kühle Wand und sah mich im Zimmer um. Kalter Angstschweiß rann mir über die Stirn. Ich war mit meinen Kräften am Ende. Irgendwo in meinem Inneren wusste ich, dass ich verrückt wurde. Geleitet vom Verfolgungswahn und regelmäßigen Panikattacken, verbarrikadierte ich mich im Zimmer und verschloss mich von der Außenwelt. Ich wusste, dass es falsch war. Ich wusste, dass ich Vater und Nina damit verletzte. Aber ich konnte nicht dagegen ankämpfen. Nachdenklich musterte ich meine grüne Bettwäsche. Ich hatte den Wald geliebt, in ihm etwas gefunden, dass mich beruhigt hatte. Doch jetzt empfand ich die Grüntöne angsteinflößen. Ich hätte dort im Wald sterben sollen. Sie war dort gewesen und hat mir mit bloßen Händen den Oberarm angebrochen. Mich wie ein lächerliches Stofftier in der Luft herumgeworfen. Mir so viel Schmerzen zugefügt. Das Grün der Bettwäsche verschwamm in einander und plötzlich sah ich mich in jenem Wald. Hörte ihr Lachen. Ihre Worte. Ein erstickender Laut entwich mir, als ich mich an ihre Grausamkeit erinnerte. Ohne darüber nachzudenken, was ich tat, zog ich hektisch die Bettwäsche von meinem Kissen und meiner Decke. Mit zittrigen Beinen ging ich zum Schreibtisch und nahm eine Schere aus der obersten Schublade. Ich wollte es nicht sehen. Ich wollte mich nicht erinnern. Wimmernd fing ich an meine Bettwäsche, die ich mir von meinem ersten Taschengeld einst gekauft hatte, zu zerschneiden. Ich nahm Abschied von meinem früheren Leben. Nie wieder könnte ich so werden wie früher. Sie hatte mich am Leben gelassen. Ich lebte, doch jeden Tag starb ein weiterer Teil von mir. *** Es war früher Nachmittag gewesen, als ich mich aus dem Zimmer traute. Vorsichtig schob ich meinen Schreibtisch zur Seite und öffnete die Tür ganz langsam. Ich schielte durch den Spalt, um mich zu vergewissern, dass niemand vor der Tür war. Dass sie nicht vor der Tür lauerte. Erleichtert atmete ich aus, als die Luft rein war. Auf Zehenspitzen schlich ich ins Bad. Ich hatte entsetzliche Angst davor, dass ich mich zu laut bewegen würde und sie mir dadurch auflauern könnte. Es war wahnsinnig und total bescheuert, doch ich konnte es nicht abschalten, auch wenn ein kleiner Teil von mir entsetzt mit dem Kopf schüttelte. Im Bad schob ich den Duschvorhang zur Seite und inspizierte jedes mögliche Versteck, wo sie vielleicht auflauern konnte. Es war niemand da. Erleichtert schloss ich die Tür ab und ging unter die Dusche. Sicherheitshalber legte ich ein großes Handtuch auf den Boden, da ich den Duschvorhang nicht zuzog und deshalb der ganze Boden nass werden würde. In meinem früheren Leben, liebte ich es zu duschen. Ich stand oftmals einfach nur da und genoss die Nässe, die meinen Körper umspielte. Doch auch das wurde mir genommen. In Windeseile war ich fertig und trocknete mich ab. Es war so kurz, dass nicht einmal der Spiegel beschlagen war. Umschlungen von einem großen Handtuch, trocknete ich die Dusche ab und sah zum Spiegel. Meine Haut hatte eine ungesunde Farbe angenommen. Ich war beängstigend blass und durch meine schwarzen Haare sah ich aus, wie das Mädchen aus diesem Horrorfilm, den ich mir mit Nina vor langer Zeit hatte ansehen müssen. Ich fuhr mir leicht mit dem Zeigefinger meine Augenringe nach. Ich war froh, dass mich Embry nie so sehen würde. Sein Bild erschien vor meinen Augen. Das Loch, was dabei in meiner Brust entstand, brachte mich aus der Bahn. Ich verbot mir, dass ich an ihn dachte. Was brachte es schon? Aber meistens schaffte ich es nicht den Gedanken an ihn zu unterdrücken. Ich hatte ständig das Gefühl einen Fehler begangen zu haben, auch wenn mein Verstand wusste, dass es zu seinem Besten war. Wahrscheinlich wurde ich immer mehr zu einem egoistischen Menschen. Während ich mir die Zähne putzte, starrte ich ununterbrochen den Spiegel an, aus Angst jemand könnte hinter mir stehen. Ich hasste es, wenn ich mitten im Raum stand. Irgendwie überkam mich dann das Gefühl, dass sie hinter mir lauerte. Ein Schauer lief mir über den Rücken, als meine Fantasie mir diesen Gedanken nur deutlich veranschaulichte. Ich sollte schleunigst wieder in mein Zimmer. *** In meinem Zimmer schloss ich die Tür hinter mich und lehnte mich dagegen an. Mein Herz schlug, als wäre ich einen Marathon gelaufen. Hier in diesem Zimmer war ich sicher. Anders als draußen, wo ich verwundbar und schwach war. Um mich zu vergewissern, dass im Zimmer noch immer die Luft rein war, kniete ich mich nieder und sah unters Bett. Alles sah so aus, wie immer. Ich ging zum Schrank und zog mir das erstbeste an, was ich in die Finger bekam. In diesem Falle, eine schwarze Leggins und ein übergroßen, dunkelgrünen Pullover. Ein Poltern in der Wohnung ließ mich erstarren. Entsetzt sah ich zur Tür, während mein Herz zu einem Sprint ansetzte. Wer konnte in der Wohnung sein? Es war Freitag und alle müssten weg sein. Meine Hände fingen an zu zittern. Ich wollte wegrennen, wollte schreien, doch ich stand einfach nur stumm da und starrte die Tür an. Sie war hier! Doch wie ging das? Wer hatte ihr von meinem Überleben erzählen können? Las sie die Zeitung und hatte von dem Opfer, das einen brutalen Überfall überlebt hatte, erfahren? Ich war außer mir gewesen, als ich es gesehen hatte. Ich hörte Schritte, die sich meinem Zimmer näherten und von meiner Tür verharrten. Alles in mir schrie. Hätte ich bloß nicht den Schrank vor das Fenster geschoben, dann hätte ich hinausspringen können. Vielleicht hätte ich den Sprung aus dem ersten Stock überlebt und wenn nicht, wäre es auch nicht weiter tragisch gewesen. "Ana? Können wir reden?", hörte ich meinen Vater gedämpft. Verwirrt zog ich meine Augenbrauen in die Höhe. Warum war er hier? War das ein Trick? Konnten Vampire ihre Stimme verstellen? "Ana?", die Stimme bekam einen besorgten Unterton. Als ich immer noch angespannt schwieg und innerlich abwog, ob ich darauf vertrauen sollte, dass es Vater war, wurde die Tür langsam geöffnet. Erst jetzt realisierte ich meinen Fehler. Ich hatte vergessen den Schreibtisch vor die Tür zu schieben! Wie konnte mir das nur passieren? "Ana ist alles in Ordnung?", panisch sah mein Vater mich an, als er die Tür aufriss. Erleichtert atmete ich aus und setzte mich auf mein Bett. Ich hatte keine Kraft mehr in den Beinen. "Jag mir bitte nicht solche Angst ein! Ich dachte du …", er ließ den Satz offen. Ich wusste, dass er dachte, ich würde mich jeden Moment umbringen und ich konnte es ihm nicht einmal verübeln. "Wieso bist du hier Paps?" Seit meinem Geburtstag, vorgestern, versuchte ich wieder mit ihm zu reden. Zwar nur mit ihm und nur das Nötigste, aber es war immerhin schon ein kleiner Fortschritt. "Hast du das vergessen? Ich hab dir vor zwei Wochen erzählt, dass ich heute zu einem Seminar nach New York muss. Mein Chef erlaubt mir keine Auszeit", murmelte er, während er sich im Zimmer umsah. Seine Augen weiteten sich entsetzt, als er die zerfetzte Bettwäsche sieht. Beschämt sah ich zu meinen nackten Händen. Seitdem ich nicht mehr aus dem Haus ging, machte ich mir auch nicht die Mühe meine Narben zu verstecken, war auch bis vorgestern durch den Gips nicht möglich gewesen. "Ich sollte lieber das Seminar absagen", seufzte er und setzte sich zu mir aufs Bett. Energisch schüttelte ich mit dem Kopf. Ich wusste, dass das nur zu Problemen führen würde. Ich konnte ihm sein Leben nicht noch mehr zerstören. "Ist schon okay Paps. Ich komm alleine zurecht", murmelte ich ohne ihn anzusehen. Er schnaufte nur. "Du nimmst nicht einmal deine Medikamente und das", er deutete auf die Fetzen meiner Bettwäsche, "das ist doch der Beweis, dass du es nicht schaffst Ana." Seine Stimme war von Trauer getränkt. Ich versuchte den Kloß in meinem Hals runterzuschlucken. Es tat weh, dass ich ihm so vieles zumuten musste. Er hatte mich nicht verdient. "Ich nehme sie", murmelte ich und stand auf. Ich ging zum Schreibtisch und holte die Päckchen heraus. Demonstrativ drückte ich die Pillen aus ihrer Form heraus und warf sie ein. Er sollte nicht seinen Job wegen mir verlieren. Wir brauchten das Geld und er liebte seine Arbeit. "Paps. Ich bin neunzehn! Du musst zu diesem Seminar", sprach ich mit Nachdruck, als ich die Medikamente geschluckt hatte. Er lächelte mich traurig an. Ich wusste, dass er sich dagegen sträubte, mich alleine zu lassen. Doch er tat es nicht, weil er wollte. Es musste so sein. "Ich werde Nina darauf ansetzten, dass sie vorbei sieht", seufzte er. Ich nickte ihm nur zu. Seinetwegen würde ich die Medikamente für diese kurze Zeit einnehmen. Nina könnte es ihm dann jeden Tag überbringen. "Ich schaff' das schon", es klang wenig überzeugend, selbst in meinen Ohren. Er jedoch nickte mir zu. "Bitte ruf mich an, wenn du", er sah erneut zu meiner Bettwäsche, "egal um welche Uhrzeit es auch sein mag, egal wie banal es ist. Ruf mich an!" "Mach ich Paps", versprach ich ihm. "Ich muss dann los. Mein Flug geht um Vier." Er sah zu seiner Uhr am Handgelenkt und als er den Blick hob, waren seine Augen glasig. "Bitte mach nichts Blödes, Spatz. Ich liebe dich! Ich hoffe, dass weißt du", er hob seine Arme, um mich zu umarmen, ließ sie aber dann kraftlos fallen. "Ich dich auch, Paps", murmelte ich nur und folgte ihm zur Eingangstür. "Also nicht vergessen! Wenn irgendetwas, selbst die banalsten Dinge, passieren sollten, ruf an! Sofort! Du brauchst keine Angst haben mich zu stören, Ana. Du bist das Einzige, was mir noch geblieben ist", verlegen kratzte er sich am Hinterkopf, als ich ihn überrascht ansah. Mein Vater war schon immer schüchtern gewesen, wenn es um Gefühle ging. "B-Bis bald. Bin nächste Woche, Sonntag, wieder da!", meinte er dann lächelnd und winkte mir noch einmal zu, ehe er die Tür hinter sich schloss. Nachdenklich schloss ich die Tür ab und überlegte, ob ich einen Sessel unter den Türgriff klemmen sollte, verwarf es aber gleich wieder. Nina würde bestimmt am Abend vorbei sehen. Sie hatte einen Schlüssel und würde bestimmt ausflippen, wenn etwas die Tür blockieren würde. Bestimmt würde sie es auch gleich meinem Vater sagen, da sie nie Geheimnisse vor Eltern hatte. Geheimnisse zerstören die Bindung, die man mit Menschen knüpfte, hatte sie einst gesagt. Sie hatte recht! Seitdem ich mit meinem lebte, brachen meine Verbindungen ab. Ich fühlte mich dadurch noch miserabler, doch ich konnte nicht darüber reden. Ich würde es auch niemals. *** Nachdem ich eine Kleinigkeit gegessen hatte, ging ich zurück in mein Zimmer und verbarrikadierte mich darin, wie immer. Langsam konnte ich die Effekte der Medikamente spüren. Ich fühlte, wie meine Sinne stumpfer wurden. Mit jeder Minute, die verstrich, wurde alles belangloser. Meine Angst verschwand. Entspannt schloss ich die Augen, als mich das längst vergessene Gefühl von Müdigkeit überrollte. Wie lange war es her, dass ich friedlich eingeschlafen war und nicht aus Erschöpfung? Irgendwo in meinem Inneren meldete sich eine Stimme, die mich anschrie. Die panisch auf mich einredete, dass es ein Fehler war, die Medikamente einzunehmen. Dass ich die Nacht nicht überstehen würde. Dass ich den nächsten Tag nicht erleben würde. Ich ignorierte es. Es war mir egal. Alles war egal. Kapitel 19: Kämpfen ------------------- Embry POV Ich hasse dich, verschwinde! Ich will dich nicht mehr sehen! Du bist an allem Schuld. Geh, Embry! Erschöpft öffnete ich meine Lider und schielte aus dem Fenster. Der Himmel war noch dunkel, doch am Horizont erkannte man, dass die Sonne hinter den dicken Wolken bereits aufging. Ich seufzte lautlos, aber der Druck in meiner Brust wurde nicht weniger. Er verschwand einfach nicht. Müde legte ich mir meinen rechten Arm über die Augen und versuchte gegen aufkommende Tränen anzukämpfen. Seit fast einem Monat lebte ich nun in dieser elenden Hölle. Das Resultat meines Versagens. Es war schrecklich zu wissen, dass man selbst dafür verantwortlich war. Zu wissen, dass man diese Situation hätte verhindern können. Ich lauschte der Stille in meinem Zimmer. Lauschte meinem flachen Atem, der viel zu schnell ging, als mich der Schmerz erneut einholte. Es war unmöglich vor ihm zu flüchten. Selbst im Traum verfolge mich die bittere Realität und ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Die angespannte Stille in meinem Zimmer wurde durch den schrillen Ton meines Handyweckers zerrissen. Irgendwie war es grotesk, dass ein Langschläfer, wie ich es einer war, in letzter Zeit immer vor dem Wecker selbst wach wurde. Ich seufzte laut. Es war Zeit dem alltäglichen Leben nachzugehen. Ein verzweifelter Versuch jedem vorzuspielen, dass alles in Ordnung war. Ein Ding der Unmöglichkeit, wo doch meine ganze Welt in Scherben lag. Scherben, die ich nicht aufklauben wollte. Nicht konnte, da es sich so anfühlte, als würde ich mich jedes Mal daran schmerzhaft schneiden, wenn ich versuchte sie wieder zusammenzufügen. Meine Gelenke protestierten laut, als ich aufstand und ins Bad trottete. Ich stützte mich am Waschbecken ab und musterte mich im Spiegel. Meine Haut hatte eine merkwürdige Farbe angenommen. Als würde ich unter der rostbraunen Haut verfaulen. Es passte zu dem, was ich fühlte. Ich war zum Schatten meiner selbst geworden. Ich fuhr mir durch die Haare und verwuschelte sie ein wenig. Einige Strähnen stachen mir dabei in die Augen. Ich sollte zu Emily gehen und sie mir schneiden lassen. Doch ich mied mein neues, altes Rudel. Denn ich riss sie alle mit in dieses elende Loch, dabei reichte es schon, dass ich in dieser Dunkelheit festsaß. Ich wollte sie nicht mit meinen Gedanken und meiner Erscheinung länger quälen, als nötig. Deswegen hatte ich auch Sam gebeten, dass er mich von der Patrouille erlöste. Es wäre das Beste für alle. Ich stieß mich vom Waschbecken ab und stieg unter die Dusche. Wenn ich pünktlich zur Arbeit kommen wollte, musste ich mich beeilen. Diese Beschäftigung hatte nämlich etwas Gutes an sich. Sie lenkte mich von meinem Elend ab. Manchmal schaffte ich es sogar, dass ich alles um mich herum vergaß. Aber nur manchmal … Ich legte meinen Kopf in den Nacken und genoss den kühlen Wasserstrahl, der mir ins Gesicht prasselte. Das kühle Nass schien mich ein wenig entspannen zu können. Doch ich war nichtsdestotrotz unfassbar müde. Jede Zelle in meinem Körper schrie vor Erschöpfung. Wann war es das letzte Mal gewesen, dass ich richtig ausschlafen konnte? Dass ich morgens ohne dieses Gefühl, dass das ganze Gewicht der Welt auf mir Lasten würde, aufwachte? Es schien mir eine Ewigkeit her zu sein, dabei waren es erst 25 Tage. Fünfundzwanzig nie enden wollende Tage. Fünfundzwanzig Tage voller leere. Und heute fing der Sechsundzwanzigste an … Noch ein Tag den ich durchstehen musste. Ein weiterer in dem ich meiner Sehnsucht, sie zu sehen, widerstehen musste. Kurz holten mich die Worte aus meinem Traum ein und ich erschauderte. Warum bloß konnte ich nicht wenigstens in Ruhe schlafen? Selbst dort wurde ich von ihrer Abweisung gequält. Ich hörte, wie mein Wolf ein leises Wimmern von sich gab, dass in der Leere, die ich mit mir trug, widerhallte. Ein Wimmern, dass immer lauter wurde, bis es mir selbst aus der Kehle entrang. Um meine Fassung ringend, ballte ich meine Hände zu Fäusten und versuchte gleichmäßig zu atmen. Bald würde ich keine Kraft mehr haben. Schon bald würde ich komplett durchdrehen. *** Lustlos stocherte ich in den Rühreiern herum. Eine Portion, die bestimmt für eine Großfamilie reichen würde. Eine Portion, die die Leere im Inneren nicht ausfüllen konnte. Ich schmeckte nichts und großartigen Hunger hatte ich schon seit langem nicht mehr. Meine Mutter seufzte schwerfällig und durchbrach somit die angespannte Stille, die in der Küche schwer über unseren Köpfen schwebte. Uns regelrecht erdrückte. Schuldbewusst biss ich mir auf die Lippen und schielte zu ihr. Sie musterte mich mit einem besorgten Ausdruck und als sich unsere Blicke trafen, lächelt sie mich traurig an. „Embry, mein Schatz. Ich weiß, wie du dich fühlst … aber du darfst nicht dein Leben so weiterführen“, murmelte sie und legte ihre Hand auf den Tisch. Ich folgte ihrer stillen Einladung und drückte ihre Hand. Sie hatte keine Ahnung, wie ich mich fühlte, doch das konnte und wollte ich ihr nicht auf den Kopf werfen. Meine Mom war nämlich ein guter Mensch. Vielleicht sogar der beste Mensch, der mir je begegnet war. „Doch. Ich weiß es“, seufzte sie bestimmend. Wahrscheinlich konnte jede Mutter, die Gedanken ihrer Kinder von den Augen ablesen, doch meine war ein Profi darin. Ihr ganzes Leben hat sie nach mir gerichtet, weshalb sie sofort wusste, wenn etwas nicht in Ordnung war. „Weißt du … Damals war ich in deinem Alter gewesen. Gott, ich war so verliebt und so naiv gewesen. Ich hatte deinem Vater mein Herz geschenkt und an jeder Lüge festgehalten, als wäre ich eine Ertrinkende gewesen. Damals, als ich hierherkam, erfuhr ich, dass er eine Familie hatte. Gott, ich habe mich so geschämt und ich fühlte mich so furchtbar einsam. Meine ganze Welt war in tausend Teile zerbrochen. All die Wünsche und Hoffnungen, die ich damals hatte … Ich stand vor dem nichts“, erzählte sie mit heiserer Stimme. Ich wusste mittlerweile, wer dieses Arschloch war, das meine Mutter in Stich gelassen hatte. Denn als ich ihr von meinen neuen Freunden erzählt hatte und Sams Namen erwähnt hatte, war ihr alle Farbe aus dem Gesicht gewichen. Sie hatte zu zittern begonnen und mir gesagt, dass ich mich fern von ihm halten sollte. Da hatte ich es verstanden und ein schwerer Stein war mir vom Herzen gefallen. Es war gut, dass er mein Vater war. Damit konnten wir alle Leben. Ich, meine Brüder und Sam. Wahrscheinlich war es für ihn auch leichter mich zu akzeptieren, da sein – nein – da unser Vater mich genau so wenig beachtete, wie ihn. Nichtsdestotrotz würde ich ihm am liebsten den Hals umdrehen, für all das, was Mutter wegen ihm hat durchmachen müssen. Ich kannte nämlich die lächerlichen Dorfgeschichten. Sie machten mich so unsagbar wütend, doch ich schwieg. Mutter zu liebe. „Embry. Das Leben geht trotzdem weiter, hörst du. Und wenn ihr wirklich für einander bestimmt seid, dann wird alles wieder in Lot kommen. Glaube mir, dass früher oder später alles gut wird, mein Schatz“, sie drückte meine Hand und lächelte mir zu. Ich nickte ihr nur stumm zu. Was konnte ich darauf schon erwidern? Dass ich wusste, dass sie meine Seelenverwandte war? Dass mein Wolf innerlich starb, während ich wie gelähmt dasaß und die Einsamkeit ertrug? Dass ich mich an Mutters Worte klammerte und so sehr daran glaubte, dass sie recht haben könnte? Mehr als alles andere auf dieser Welt wünschte ich mir, dass sie recht hatte. Dass ich Ana wieder in meiner Nähe haben könnte. Wir brauchten sie. Ich würde alles für sie tun, damit sie glücklich war. Ich hatte mir geschworen sie zu lieben, bis sie sich selbst liebte, doch nicht einmal das würde mir gelingen. Rein gar nichts wollte so funktionieren, wie es sollte. Und das hier war kein verrostetes Auto, wo man ein paar Teile auswechselte und alles lief wieder, wie geschmiert. Nein. Das hier, dieses Elend, war mein Leben und ich konnte nichts tun außer auf sie zu warten. „Danke Mom“, murmelte ich heiser. Ich war dankbar dafür, dass sie immer an meiner Seite war. Auch jetzt, wo ich mehr tot, als lebendig durch die Gegend wandelte. *** „Hey Embry!“ Überrascht sah ich über meine Schulter. Leah stand am Garagentor und musterte mich besorgt. Seufzend zog ich einen Lappen aus meiner Hosentasche und wischte mir meine ölverschmieren Finger ab. „Hey Leah. Was gibt’s?“ Ich wollte gerade auf sie zu gehen, als mich eine riesige Hand an der Schulter packte. „Embry mein Junge, du kannst Feierabend machen“, grinste mich Joseph an und sah zu Leah. „Hübsches Mädchen mein Junge“, flüsterte er mir zu. Ich sah den alten, etwas kräftigeren Mann vor mir an, als wäre er von allen guten Geistern verlassen worden. Was sollte diese Anspielung? Entsetzt schüttelte ich nur den Kopf und nickte meinem Chef zu. „Alles klar, Sir. Bis Montag“, erwiderte ich nur. „Leah ich hol nur schnell meine Sachen“, wandte ich mich ihr zu, ehe ich zu meinem Spind ging. Mit einem lauten Quietschen öffnete ich die metallische Tür des Spinds und betrachtete das Foto, was ich angebracht hatte. Es war ein altes Bild von mir und Ana. Wir grinsten stolz gegen die Kamera und entblößten unsere Zahnlücke. Uns beiden fehlte auf diesem Bild der rechte, erste Schneidezahn. Es sah so furchtbar komisch aus, doch ich konnte bei diesem Anblick nicht lachen. Ich wusste auch nicht, warum ich es hier angebracht hatte. Wahrscheinlich weil ich mich selbst damit bestrafen wollte. Oder weil ich mir wünschte, dass es eines Tages wieder so werden würde. Ich hatte keine Ahnung, doch der Schmerz, der mich bei dem Anblick durchflutete, war angenehm. Es war besser, als die Leere, die ich sonst verspürte. Seufzend schüttelte ich den Kopf und zog meinen Overall aus. Als ich mich umgezogen hatte schulterte ich meinen Rucksack, der voller leerer Tupperboxen war, und ging zu Leah, die noch immer draußen wartete. „Auf Wiedersehen“, rief ich meinem Chef zu, der mir nochmals grinsend zu zwinkerte. Schweigend gingen wir den ganzen Weg zu meinem Haus nebeneinander her. Es war merkwürdig, dass mich Leah besuchte, denn wir hatten privat fast kaum etwas miteinander zu tun. Wir beide hatten unseren eigenen Freundeskreis und unseren eigenen Beruf, dem wir nachgingen, sodass es nie dazu kam, dass sich unsere Wege unbeabsichtigt kreuzten. War etwas im Rudel zwischen Sam und ihr vorgefallen, weshalb sie mit jemandem darüber reden wollte? Mit mir konnte sie darüber reden, denn ich würde mich in nächster Zeit nicht in einen Wolf verwandeln und keiner würde dadurch etwas erfahren. Doch auch das war abwegig. Seitdem wir wieder in Sams Rudel waren, war es nie zu Zwischenfällen gekommen. Leah ist erwachsen geworden und hat Sam sogar verziehen. Soweit ich wusste, hatten sie sich sogar vor einem Jahr zusammengesetzt und ausgesprochen, damit Leah endlich nach vorne sehen konnte. Total in meiner Überlegung versunken, merkte ich erst, dass wir Zuhause angekommen waren, als sich Leah auf die Stufen der Veranda setzte und mich zu sich zog. Ohne ein Wort zu sagen, kam ich ihrer Aufforderung nach und setzte mich neben ihr hin. Konzentriert starrte ich den Kies, der einen Pfad von der Straße bis zum Hauseingang bildete, an und wartete darauf, dass sie zum Reden anfing. „Wie geht es dir?“, durchbrach sie die Stille zwischen uns, ohne ihren Blick vom Wald abzuwenden. Also war ich der Grund für ihren Besuch. Ich lachte heiser auf. Es war ein trockenes, verzweifeltes Lachen, dass sich in ein hysterisches verwandelte. Vermutlich wurde ich wahnsinnig. Leah wendete ihren Blick vom Wald ab und sah mich mitfühlend an. Es war ihr Blick, der mich voller Schmerz und Wissen regelrecht durchbohrte, sodass ich innehielt. Mein Lachen verstummte und ein leises Schluchzen war zu hören. Beschämt senkte ich meinen Blick, stemmte meine Ellenbogen gegen meine Knie und vergrub mein Gesicht in meine Hände. Leahs kleine warme Hand strich mir über meinen Rücken. „Embry …“, redete sie ruhig auf mich ein, als ich anfing mich zu schaukeln. Ich konnte nicht mehr. Ich drehte allmählich durch. Diese Leere in mir drohte, mich zu verschlucken. „Ich kann nicht mehr“, murmelte ich, „Leah, ich kann das nicht mehr.“ Ich wusste nicht warum, aber diese Worte gingen mir in ihrer Gegenwart so leicht über die Lippen. Sie wusste, wie es sich anfühlte, wenn man so einsam war. „Embry. Beruhig dich. Du kannst jetzt nicht aufgeben“, lächelte sie und hob meinen Kopf hoch um mich ansehen zu können. Fast schon mütterlich unterzog sie mich einer Musterung und wischte die Tränen von meinem Gesicht. „Embry. Ana würde das bestimmt nicht wollen. Sie ist doch deine Seelenverwandte. Ich wette, wenn sie wüsste, wie sehr du leidest, würde sie ihre Worte zurücknehmen.“ Ich schüttelte nur den Kopf. „Nein. Würde sie nicht. Sie hasst mich“, meine Stimme klang leer. Leah seufzte und fuhr mir durch die Haare, ehe sie mich traurig anlächelte. „Weißt du, ich bin hier, weil ich dir etwas erzählen möchte. Ich glaube, dass du einen Schubs in die richtige Richtung brauchst, Kleiner“, sie lachte leise, als ich bei ihrem Spitznamen für mich abfällig schnaubte. „Damals, als mich Sam verlassen hatte, war ich auch am Boden zerstört. Wusstest du, dass ich immer dachte, er wäre mein Seelenverwandter? Wie lächerlich das jetzt bloß klingt. Als er einfach verschwand und sich von mir distanzierte, hatte ich mich genau so elend gefühlt. Meine ganze Welt wurde in ein Schwarz-Weiß getaucht. Meine Sinne wurden stumpf. Es war schrecklich. So, wie bei dir jetzt … Aber ich bin kein so netter Mensch. Zumindest nicht so wie du. Ich war immer schon ein wenig eigensinnig und kämpferisch. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt hatte, würde ich nicht nachgeben … Also habe ich nach ein paar Tagen beschlossen, um ihn zu kämpfen. Ich würde meinen Seelenverwandten nicht einfach so laufen lassen.“ Leah zwinkerte mir bei ihren Worten dabei zu. „Ich hatte wirklich alles versucht. Alles … Bis ich zur Wölfin wurde und erfahren musste, dass er nicht mein Seelenverwandter war. Dass ich niemals eine Chance haben würde.“ Leah wurde plötzlich rot und knetete verlegen ihre Hände. Ich konnte nicht anders, als sie überrascht anzustarren. Wir alle kannten nur ihre verbitterten Gedanken. Wahrscheinlich war sie vor diesem Vorfall ein unglaublich nettes Mädchen gewesen. Zumindest hatte sie davor in der Schule immer viel gelächelt. Ein Lächeln, das, wen ich recht überlegte, ich seit damals nicht mehr auf ihren Lippen gesehen habe. „Was ich damit sagen will, Embry“, sie seufzte schwerfällig, ehe sie wieder zu mir sah. „Im Gegensatz zu meiner Geschichte, ist Ana tatsächlich deine Seelenverwandte. Sie ist der Mensch, der dich anzieht. Du selbst weißt, dass es unmöglich ist, gegen diese Schwerkraft anzukämpfen. Also, warum kämpfst du nicht stattdessen um sie, Embry? Warum zwingst du sie nicht zu ihrem Glück? Ich meine … etwas Besseres, als dich, wird sie niemals finden … und mal ehrlich, was hast du noch zu verlieren?“, sie legte lächelnd ihren Kopf schief und stupste mich mit dem Zeigefinger an die Stirn. War es wirklich so einfach, wie Leah es behauptete? Statt gegen die Schwerkraft zu kämpfen, sollte ich um Ana kämpfen? Gott, ich war ein solcher Idiot! Ein überraschter Laut entwich Leah, als ich sie fest in eine Umarmung zog. Sie war wirklich ein toller Mensch. Hoffentlich würde sie selbst auch einmal wirklich glücklich werden. „Danke Leah!“ Just in dem Moment kam ein kleiner, roter Mini um die Kurve. Ich hielt schützend eine Hand vor die Augen, als das Auto vor mir parkte und mich die Scheinwerfer blendeten. „Embry?“, hörte ich ihre Stimme. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Was wollte sie denn hier? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)