Gegen die Schwerkraft von mickii-K ================================================================================ Kapitel 2: ----------- An so etwas, wie Liebe auf den ersten Blick, glaubte ich nicht. Für mich ergab das keinen Sinn. Wie konnte man sofort wissen, ob eine Person zu einem passte? Immerhin basierte Liebe auf etwas weitaus komplexerem als nur dem Aussehen. Da gab es den Charakter und die Persönlichkeit, die alle mit den eigenen übereinstimmen müssen. So etwas konnte man unmöglich in den Millisekunden eines Augenblicks entscheiden. Davon war ich überzeugt. Wenn es so etwas gäbe, dann nur auf der Basis von Begierde. Doch selbst das war nicht etwas, auf das ich hoffen sollte. Niemals würde jemand ein dürres Mädchen ohne Vorbau und verführerischen Kurven begehren. Zumindest niemand, der noch alle Tassen im Schrank hatte. Ich seufzte und schielte rüber zu Embry, der noch immer beim Fenster saß und mich die ganze Zeit über beobachtete. Es war mir unbeschreiblich unangenehm. Ich hasste es, wenn mich Menschen anstarrten. Zudem ich auch noch Komplexe über mein Aussehen hatte. Hatte er meine Narben entdeckt und kann vor Entsetzen nicht wegsehen? Immerhin waren Menschen von Unfällen und der gleichen immer fasziniert. Sie sahen nie weg, sondern zeigten auch noch mit dem Finger darauf und tuschelten wie verrückt. Ich konnte mir Embrys Verhalten nicht erklären und am liebsten hätte ich ihn gebeten, das Kaffeehaus sofort zu verlassen. Doch das wäre schlecht für das Image des Kaffees. Das war zumindest die Ausrede, die ich mir innerlich zurechtgelegt hatte. Denn, was ich nicht leugnen konnte, war mein Herz, das wie verrückt in der Brust trommelte. Oder, dass meine Hände vor Nervosität zitterten und ich den wahnsinnigen Drang, einen guten Eindruck zu hinterlassen, verspürte. In meinen achtzehn Jahren hatte ich noch nie so ein Gefühl gehabt. Ich kannte es nicht und es verwirrte mich. Machte mir sogar irgendwie Angst. "Mann, Mann, Mann … Blinzelt der überhaupt?", kicherte Nina und riss mich aus meinen Gedanken. Nachdenklich sah ich zu ihr. Nina hatte sich über den Tresen gelehnt, ihren Kopf mit beiden Händen abgestützt und starrte ihn ebenso unverblümt an, wie er mich. Bei ihrem Anblick musste ich die Augen verdrehen. Sie war immer schon so gewesen. So etwas wie Feingefühl kannte sie nicht, was ich an ihr aber irgendwie mochte. Nina war meine einzige Freundin und sie war mir wichtig. Vielleicht, weil sie mich mit ihrer Art überrannt hatte und ich mich nicht rechtzeitig zurückziehen konnte. Ich wusste es nicht, war ihr aber unglaublich dankbar für ihre Existenz in meinem Leben. "Im Ernst jetzt. Wie er dich anstarrt, ist schon irgendwie gruselig. Man hat nicht so einen Blick aufgesetzt bei einem Menschen, den man zum ersten Mal traf", meinte sie und verzog ihren Mund nachdenklich. Ich schielte erneut zu Embry. Als sich unsere Blicke trafen, leuchteten seine Augen erneut auf. Warm und so liebevoll. Verwirrt wendete ich meinen Blick wieder ab und seufzte. "Schräg nicht?", murmelte ich verzweifelt. "Quatsch. Es ist wie in den Romanen, die ich lese. Wenn die Zeit stehen bleibt und du nichts außer ihn siehst und er nichts außer dich wahrnimmt. So romantisch", säuselte sie und zog das letzte Wort grauenhaft in die Länge. Ich verdrehte meine Augen. Eine Stimme in meinem Inneren wisperte mir zu, dass sie recht haben könnte, jedoch ignorierte ich sie. So etwas würde mir niemals passieren. Diesen Blödsinn gab es auch nur in Romanen, weil verzweifelte Hausfrauen nur so dahinschmolzen, wenn der Prinz im Roman sich in die arme Dienerin Hals über Kopf verliebte und darum kämpfte, sie zu heiraten und nicht irgendeine vorbestimmte Prinzessin. Aber im echten Leben existierte so etwas nicht. Ich ging zu ihr und lehnte mich mit dem Rücken zu den Gästen an den Tresen. "Hör auf ihn so anzustarren", brummte ich leise, damit mich keiner hören konnte. Ihre blauen Augen funkelten mich belustigt an. "Was denn? Es passiert nicht oft, dass sich auch mal wer für dich interessiert", ihre vollen Lippen verzogen sich zu einem freundlichen Lächeln. Da war sie mal wieder. Ihre Feinfühligkeit. Ich schmunzelte bei ihrem Satz. Nicht oft. So etwas war mir noch nie passiert und genau deshalb war es auch so unglaubwürdig. Ich seufzte nur und zupfte nervös an meinem rechten Handschuh. "Mir wäre es lieber, wenn er das unterlassen würde!" "Soll ich es ihm sagen?", grinsend richtete sie sich auf und warf ihre hellbraunen lockigen Haare über die Schulter. Überrumpelt starrte ich sie an. Ich wollte ja, dass er damit aufhörte. Aber etwas in mir protestierte dagegen. Ohne meine Antwort abzuwarten, ging sie mit einem verführerischen Hüftschwung auf ihn zu. Ich seufzte erneut. Irgendwie behagte mir das alles nicht und warum fühlte ich mich bloß so schuldig? Mit einem mulmigen Gefühl sah ich zu Embry, der Nina herzlich anlächelte. Sein Lächeln war wunderschön. Erschrocken über meinen Gedanken, schüttelte ich den Kopf. Ich durfte so etwas nicht denken. Als ob ich eine Chance bei ihm hätte. Wer wusste schon, was ihn für ein Blödsinn geritten hat. Ich beugte mich neugierig über den Tresen, um ihn Gespräch mitverfolgen zu können. "Ich bin siebzehn und geh mit Ana in die Schule, wir sind Freundinnen, also wenn du etwas wissen willst … ", sie deutete auf mich und ich unterdrückte den Drang, mit dem Kopf gegen den Tresen zu schlagen. Er jedoch lachte nur und sah kurz zu mir. Sein Blick war unheimlich zärtlich und irgendwie verträumt, dass mir der Atem stockte. Die Glocke an der Tür klirrte und ein junges Pärchen kam hinein. "Willkommen", grüßte ich sie übertrieben freundlich. Sie kamen auf mich zu, weshalb ich mich aufrichtete. Ich war zwar froh nun endlich ein wenig von Embry abgelenkt, zu werden. Doch die Tatsache, dass Nina bei ihm war und sie so etwas, wie Punkt und Komma nicht kannte, war beunruhigend. "Hallo, wir hätten gerne zweimal den Tageskuchen zum Mitnehmen", grinste mich die junge Frau an. Ich nickte ihnen zu und packte zwei Stück in eine Kartonbox. Sie waren Stammkunden und kamen jeden Sonntag hier her, um sich einen Kuchen nach dem Mittagessen zu holen. "So … zweimal einen Erdbeerschokokuchen … Das macht dann fünf Dollar bitte", lächelte ich und tippte die Eingaben in die Kassa. Als ich ihnen das Restgeld gab, erhaschte ich einen Blick auf Embry, der aufgestanden war und mich traurig ansah. Es war so, als hätte ich ihm die wüstesten Beschimpfungen auf den Kopf geworfen. Verwirrt erwiderte ich seinen Blick und ignorierte die Kunden vor mir. Nina lugte hinter ihm hervor und sah mich fast schon belustigt an. Anscheinend gefiel ihr Embrys Reaktion. Ohne ein weiteres Wort kehrte er mir den Rücken zu und ging aus dem Laden. Mein Herz stockte. Hatte mein Wunsch ihn hier nicht zu haben so sehr verletzt? War ich der Grund für seinen Schmerz? Abertausende Fragen schwirrten mir im Kopf herum. Ich fühlte mich schrecklich. Ich wollte nicht wie ein Monster dastehen. Sein verletzter Blick war irgendwie unerträglich für mich. Ich erschauderte. Warum nur ging mir das so Nahe? Ohne wirklich zu realisieren, was ich tat, riss ich die Tür auf und lief ihm hinterher. Es war, als würden mich meine Füße automatisch in seine Richtung tragen. Als könnte ich nicht anders und wurde von ihm angezogen. Ich wollte mich entschuldigen. Es behagte mir nicht, dass jemand wegen mir traurig war. Eigentlich sollte ich es am besten wissen, dass Worte unglaublich verletzlich sein konnten. "Embry!", rief ich nach ihm, als ich seinen dunklen Haarschopf entdeckte. Ich war unheimlich froh, dass er alle überragte und so leichter zu erkennen war. "Embry warte!", keuchte ich, denn ich bekam Seitenstechen. Ich kniff meine Augen kurz zusammen, um mich auf meine Atmung zu konzentrieren, als ich plötzlich gegen etwas Hartes lief. Ich sollte mir unbedingt vermerken, dass ich nicht weiterlaufen sollte, wenn ich nicht auf die Straße achtete. Verwirrt blinzelte ich auf, da ich noch immer nicht auf dem harten Boden gelandet war. "Alles Okay?", hörte ich ihn besorgt fragen. Eine merkwürdige Wärme umhüllte meinen Körper. Es fühlte sich wundervoll an. „Ich … J-Ja … Ich … denke schon.“ Ich konnte keinen vernünftigen Satz zustande bringen, als ich in seine besorgten Augen sah. Er war mir viel zu nahe und seine Hände, die mich an meinen Oberarmen festhielten, fühlten sich heiß an. Ich hatte das Gefühl darin – im wahrsten Sinne des Wortes – zu schmelzen. Er nickte mir lächelnd zu, hob mich hoch und stellte mich wieder auf die Füße, als sei ich ein kleines Kind. Die kalte Luft, die auf die Stellen, wo zuvor seine Hände waren, traf, ließ mich erschaudern. War er krank? Es war nicht normal so heiß zu sein. „Embry … ich“, setzte ich an, wurde aber durch sein Kichern unterbrochen. Verwirrt sah ich zu ihm. Embry wirkte total erleichtert und der schmerzliche Ausdruck von vorhin war aus seinem Gesicht verschwunden. Mit einem breiten Grinsen beugte er sich ein wenig herunter und sah mir ins Gesicht. Überrumpelt ging ich einen Schritt zurück. Seine Nähe behagte mir nicht. Ich hatte keine Kontrolle über meine Gefühle, sobald er mir zu nahe war. „Ana. Das ist eine großartige Überraschung“, meinte er nur und grinste von einem Ohr zum anderen. Benommen starrte ich ihn an. Wie konnte sich seine Stimmung so schnell ändern? Hatte er nicht vorhin so gewirkt, als wäre er total am Boden zerstört? Eine Welle der Erleichterung überrollte mich, und ich lächelte ihm leicht zu. „Ich … ich wollte … ehm“, verzweifelt zog ich meine Augenbrauen zusammen. Warum war es mir nicht möglich, in vollständigen Sätzen mit ihm zu reden? Vorhin hatte es doch prima funktioniert! Ich seufzte laut und verdrehte kurz die Augen. Wenn es so etwas, wie einen Gott gab, könnte er doch so gnädig sein und mir bei diesem jungen Mann beistehen. Ich atmete tief durch. „Naja also … wegen vorhin“, fing ich an und sah zu ihm hoch. Erst jetzt wurde mir klar, wie riesig Embry doch war. Ich musste meinen Kopf regelrecht in den Nacken legen. Dabei war ich mit meinen 174 Zentimetern nicht gerade klein. „Ja … ich störe dich bei der Arbeit, hat Nina gesagt“, ergänzte er meinen Satz und sah mich reuevoll an. Ich nickte ihm bestätigend zu, was ich aber sofort wieder bereute. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und wirkte alles andere als glücklich. Erneut meldete sich mein schlechtes Gewissen. „Hör zu Embry … ehm … du kannst gern vorbeikommen“, murmelte ich. Seine großen, heißen Hände packten mich erneut an meine Schulter und zogen mich ganz nahe zu ihm. „Wirklich?“ Seine Augen strahlten mich erfreut an, was mir ein merkwürdiges Glücksgefühl bescherte. Ich nickte ihm zaghaft zu. Diese ganzen Gefühle waren mir zu verwirrend. Irrational. Sie ergaben keinen Sinn. „Das ist …“ „Aber … starr mich bitte … nicht mehr so an“, fiel ich ihm ins Wort. Er zog überrascht seine Augenbrauen in die Höhe und legte den Kopf schief. War es ihm überhaupt nicht aufgefallen? Ich seufzte und schüttelte seine Arme von meinen Schultern. Er war mir schon viel zu nahe gekommen. Normalerweise durfte mich niemand anfassen. Ich hasste es berührt zu werden, aus Angst, sie könnten die Narben auf meinem rechten Arm ertasten. Embry schien meine Reaktion zu registrieren, denn der überraschte Gesichtsausdruck wich und er sah mich verstört an. „Nicht … Ich mag es nicht … angefasst zu werden. Unterlass das bitte“, erklärte ich ihm. Dass ich es überhaupt erwähnen musste, fand ich schräg. Normalerweise wurde man auch nicht von wildfremden Menschen einfach so berührt. Doch ihm schien es nichts auszumachen. Irgendwie erinnerte er mich an Nina. Sie war damals auch wie eine Naturgewalt in mein Leben getreten, ohne dass ich viel dazu beigetragen hatte. „Oh … verstehe“, murmelte er leise, sodass ich mir selbst nicht sicher war, ob ich ihn richtig verstanden hatte. Sicherheitshalber steckte er seine Hände wieder in die Hosentaschen. Zumindest glaubte ich, dass er es tat, um weiteren Körperkontakt zu verhindern. „Naja … ich muss dann wirklich los“, ich deutete mit dem Daumen nach hinten. Eine kalte Windbrise lies mich frösteln, weshalb ich schnell meine Arme um meinen Oberkörper verschränkte und anfing meine Arme warm zu reiben. „Hier. Meine Jacke“, lächelte er und zog sich seine rote Pulloverweste aus. Überstürzt wedelte ich mit den Händen vor mir. „Nein. Nein. Es geht schon!“ Ich konnte doch nicht einfach so eine Jacke von ihm annehmen. Was war mit diesem Kerl nur los? „Ich bestehe darauf“, meinte er jedoch schlichtweg und grinste mich an. Ich seufzte nur und nahm sie entgegen. Irgendwie war ich gegen sein Lächeln schwach und das gefiel mir ganz und gar nicht. Plötzlich wandte er blitzschnell seinen Kopf in die Richtung, wo der Wald war. Verwirrt machte ich es ihm gleich, konnte aber nichts erkennen. „Naja … Ana? Ich muss weg. Wir sehen uns dann morgen, ja?“, er wartete nicht einmal auf meine Antwort und rannte los. Er war wirklich genau wie Nina. Überrumpelt starrte ich ihm hinterher. Ich arbeitete morgen überhaupt nicht. Kopfschüttelnd seufzte ich und zog mir die Jacke an. Sie war unglaublich warm, als wäre sie vorher auf einer Heizung gelegen. Neugierig schnupperte ich am Ärmel und stellte fest, wie angenehm er roch. Herb nach Wald und Moos. Ich fand es äußerst angenehm, da ich den Wald liebte. Embry. Was für ein merkwürdiger Mann er war. Er wirkte so erwachsen, doch seine Handlungen und sein Grinsen waren irgendwie total kindlich und unreif. Wie alt er wohl war? Ich zuckte mit den Schultern. Es konnte mir egal sein, denn ich würde mich sowieso niemals in eine Beziehung einlassen und bestimmt nicht mit jemandem wie Embry. Ein so gut aussehender Mann hatte definitiv etwas Besseres verdient, als ein vernarbtes, melancholisches Wesen wie mich. Irgendwie stimmte mich dieser Gedanke traurig. Ich sollte ihm beim nächsten Mal gleich sagen, dass er aufhören soll, mir näherzukommen. Es gab nichts Schlimmeres, als wenn man sich unnötig Hoffnungen machte. Hoffnungen, die von unsensiblen Menschen nur mit Füßen getreten wurden. So wie damals ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)