Written In My Own Heart's Blood von Katherine_Pierce ================================================================================ Kapitel 1: Book of Dreams I --------------------------- Letzte Nacht habe ich geträumt, dass ich mit Fighter in den Gärten des Palastes spazieren ging. Es war Frühsommer, die Nacht war schon angebrochen, die Luft noch warm, jedoch längst nicht mehr so schwül wie tagsüber. Glühwürmchen leuchteten hier und dort auf und erhellten mit ihrem sanften Licht das samtige Dunkel. Die Nacht legte sich wie ein schützender Mantel um uns, über uns. Es hatte beinahe den Anschein als befänden wir uns in einem Kokon, eingehüllt und verborgen vor allen anderen Bewohnern Kinmokus - was mir, wie ich zugeben muss, nur recht sein kann. Vielleicht habe ich mich deswegen entschlossen, Archivarin und Bibliothekarin zu werden. Zwischen den Aufzeichnungen meines Volkes kann ich mich hervorragend verstecken, so dass ich unerwünschter Aufmerksamkeit entgehen kann. Vor allem was Fighter angeht; nicht, dass sie oft Notiz von mir nähme. Dazu müsste sie sich in die Archive verirren und das ist so selten, dass ich die Gelegenheiten, bei denen es tatsächlich passierte, an einer Hand abzählen kann. Doch in meinem Traum sonnte ich mich geradezu in Fighters Aufmerksamkeit. Ich hatte keine Angst, unbeholfen zu sein oder etwas Dummes zu sagen, sondern war gelöst und offen, wie ich es sonst nicht sein kann. Was mich tagsüber hemmt und das Schweigen vorziehen lässt, schwer zu sagen. So recht mag mir keine Ursache dafür einfallen. Vielleicht habe ich doch zu viel Zeit in den Archiven verbracht, wie ich schon Andere habe tuscheln hören. Jedenfalls unterhielten wir uns angeregt, lachten viel (auch das ist etwas, das im Wachzustand meinerseits nur selten vorkommt) und überhaupt amüsierten wir uns prächtig. Es war gar nicht schwer, das Gespräch am Leben zu erhalten. Es fiel uns immer ein weiteres Thema ein, so dass wir an den Faden der Konversation anknüpfen konnten. Während um uns herum Insekten summten und brummten und einige wohlplatzierte Lichter den Weg erhellten schien es doch als wären wir die einzigene Lebwesen in den Gärten (die ich unter normalen Umständen ohnehin nicht betreten darf, allerdings habe ich viel über sie gelesen, so dass ich mir ein gutes Bild machen konnte). Schwer legte sich der Duft der in Blüte stehenden Blumen um uns. Auch er umgab uns wie ein unsichtbarer Schutzwall, der keine störenden Einflüsse von Außen zuließ. Irgendwann blieben wir stehen, hatten eine recht ansehnliche Strecke innerhalb der Gärten zurückgelegt. Unter einem Baum mit roten, trompetenartigen Blütenkelchen, um genau zu sein. Plötzlich kam die Nervosität doch zum Vorschein. Mir schlug das Herz bis zum Hals und ich war sicher, dass Fighter es hören musste. Wenn sie es tat, so ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Stattdessen schenkte sie mir eines ihrer hinreißenden, schiefen Lächeln (ich kann nicht fassen, dass ich das wirklich so formuliere, doch ein anderer Ausdruck wäre einfach nicht passend und würde ihr nicht gerecht werden... Bleibt mir lediglich, zu hoffen, dass niemand diese Aufzeichnungen jemals zu Gesicht bekommt). Wie von selbst verschränkten sich unsere Finger miteinander. Auch ich lächelte, ganz fassungslos über diese Wendung der Ereignisse, konnte mein Glück kaum fassen. Ich wollte etwas sagen, brachte jetzt jedoch keinen Ton mehr heraus. Es war als hätte ich meine Zunge verschluckt, als wären all die Worte, die ich meinem Vokabular einverleibt habe in Luft aufgelöst, restlos aus meinem Gedächtnis getilgt. Einige Male machte ich den Versuch, mich zu äußern, allerdings ohne Erfolg, was die Schönheit des Traumes doch sehr minderte. Fighter blieb (sehr ungewöhlich) währenddessen stumm. Als ersichtlich wurde, dass es mir nicht gelingen würde, etwas zu sagen, wollte ich peinlich berührt den Kopf senken, was sie jedoch dadurch verhinderte, dass sie ihre Finger sehr behutsam, aber bestimmt, unter mein Kinn legte, so dass ich sie weiter anblickte. Nun machte Fighter Anstalten, sich mitteilen zu wollen. Und in diesem Moment wachte ich auf. Nicht zu fassen! Es wurde gerade spannend und dann das. Das Unterbewusstsein spielt einem wirklich merkwürdige und gemeine Streiche, vor allem, wenn man sich nicht dagegen wehren kann. Bevor dieser Traum verblasst, wollte ich ihn unbedingt hier festhalten. Vielleicht hilft mir das Lesen dieses Eintrages, über einen besonders unerfreulichen Tag hinwegzukommen. Dass mein Traum jemals Wirklichkeit werden könnte wage ich doch stark zu bezweifeln. Welches Interesse könnte Fighter schon an mir haben? Sie, die der Prinzessin, ebenso wie ihre Schwestern, so nahe ist. Ich hingegen werde von den Wenigsten wahr genommen - fairerweise muss ich dazu sagen, dass ich es mir so ausgesucht habe. Sich jetzt darüber zu beschweren scheint mir nicht richtig zu sein. Die Frage ist nur, wie lange ertrage ich es noch, diese Dinge zu fühlen? Eine Frau, die ich mehr als nur bewundere, aus der Ferne anzuhimmeln? Eine Frau, inbesondere, die vermutlich nicht einmal meinen Namen kennt... Aber es nützt nichts, es ist wie es ist und so lange ich daran nichts ändere, bleiben mir nur Träume. Vielleicht ist es an der Zeit, einen Schritt nach vorn zu wagen, aus den Schatten zu treten und auf mich aufmerksam zu machen. Was habe ich schon großartig zu verlieren? Mein Herz? Das ist schon längst nicht mehr das meine. Meinen Stolz? Der leidet Tag für Tag unter meiner Untätigkeit und bald, so fürchte ich, wird nichts von ihm übrig sein. Nein, ich denke, ich sollte das Wagnis eingehen. Kapitel 2: Hüterin des Wissens ------------------------------ Leises Rascheln war ihr steter Begleiter, ganz gleich, in welchem Teil des Archivs die blonde, junge Frau namens Chaser sich aufhielt. Papier hatte es nun einmal so an sich, geräuschvoll zu sein, selbst wenn man es behutsam umblätterte. Das Archiv, Chasers hauptsächlicher Arbeitsbereich, war im selben Gebäude untergebracht wie die Bibliothek. Genauer gesagt war das Archiv ein Teil davon. Immerhin wurden hier wichtige Dokumente gelagert; die ältesten von ihnen ließen sich Jahrhunderte zurückdatieren. Sie beschrieben wie Chasers Volk nach Kinmoku gelangt war und den Planeten zu seiner Heimat erkoren hatte. Jüngere Dokumente berichteten von Ereignissen der letzten Jahre, wie etwa welche Feste gefeiert worden waren oder wie es um die Bewohner des Planeten im Allgemeinen bestellt war. Bis auf das Rascheln von Papier war es in den heiligen Hallen des Wissens still. Die anderen Archivare sprachen kaum miteinander. Es war beinahe so als hätte man eine geheime Übereinkunft getroffen, dass im Inneren des Gebäudes keine Unterhaltungen geführt wurden. Wenn es vorkam erfolgten Gespräche im Flüsterton. Es verirrten sich sowieso nur selten Außenstehende in die Bibliothek und noch weniger ins Archiv. Kam es doch vor, so handelte es sich dabei um Würdenträger, die aufgrund ihrer Stellung bei Hofe etwas nachschauen wollten (oder eher mussten). Dann gab es noch die etwas schrulligen Personen, die aus reinem Interesse an Geschichte und Kultur den Lesesaal der Bibliothek nutzten und sich gern Dokumente aus dem Archiv bringen ließen. Einige davon verfassten tatsächlich selbst Schriftstücke, in denen sie über die gewonnenen Informationen philosophierten oder Vergleiche mit der aktuellen Situation zogen. Diese Personen bevölkerten die Bibliothek vom Morgen an bis zum Abend, arbeiteten emsig, einige wohl eher verbissen. Gelegentlich ließ Chaser es sich nicht nehmen, die Stammgäste, wie man sie gut und gerne bezeichnen konnte, ein Weilchen zu beobachten. Es war schließlich nicht so als hätte sie sonderlich viel zu tun. Zwar gab es nur eine Handvoll Archivare, doch die Arbeitslast war nicht besonders hoch. Die hauptsächliche Aufgabe bestand darin, zu katalogisieren, zu restaurieren wo es nötig war, zu konservieren, zu sortieren, Ordnung zu halten und den Besuchern der Bibliothek die gewünschten Schriftstücke auszuhändigen. Hin und wieder konnte Langeweile auftreten, obwohl Chaser sich voller Absicht für die Arbeit als Archivarin entschieden hatte. Die Atmosphäre im Inneren der Bibliothek gefiel ihr einfach, auch wenn sie es manchmal vermisste an schönen Sommertagen nicht die Sonne so genießen zu können wie andere Angehörige ihres Volkes. Meistens war Chaser jedoch höchst zufrieden mit ihrer Anstellung. Ohnehin ein eher introvertierter Charakter genoss sie die Stille, die, abgesehen vom Rascheln des Papiers oder des Kratzens von Federkielen, in den Räumlichkeiten herrschte. Es war ein Ort der Ruhe und des Friedens an dem sie Wissen erwerben konnte, ohne dabei mit Anderen allzu oft kommunizieren zu müssen. Wenngleich eloquent und hinreichend gebildet, vermied Chaser es doch, Konversation zu betreiben. Sie wusste selbst nicht weshalb sie die Aussicht darauf, mit unbekannten Menschen zu sprechen so nervös machte. Schon früh war ihr dies aufgefallen. Während sie die Schulbank drückte hatte sie sich immer darum bemüht, möglichst unsichtbar zu sein, was ihr meistens hervorragend gelungen war. Die Lehrkräfte hatten oft vergessen, dass Chaser überhaupt anwesend war. Es war jedoch durchaus vorgekommen, dass sie sich zu Wort gemeldet hatte und dann hatte sie mit Wortgewandtheit, Kompetenz und Wissen geglänzt. Die Schule hatte sie überwiegend mit sehr guten Leistungen abgeschlossen, wie es nicht anders zu erwarten gewesen war. Im Gegensatz zu vielen Klassenkameraden hatte Chaser schon früh gewusst, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte. Bereits während der Schulzeit war sie häufig Gast in der Bibliothek gewesen, hatte Wissen in sich aufgesogen wie ein Schwamm und die Atmosphäre sehr geschätzt. Es war naheliegend gewesen, diesen Pfad einzuschlagen. Mit ihrer Wahl war Chaser niemals unzufrieden gewesen. Niemals... bis sie sich verliebt hatte. Und wie es nun einmal ist, so hat die Liebe es an sich, Menschen zu verändern - auf unterschiedlichste Arten und Weisen. An einem lauen Sommerabend war es geschehen. Chaser war von der Obersten Archivarin in den Feierabend geschickt worden, sehr viel früher als gewöhnlich. Gestört hatte die junge Frau sich daran jedoch nicht. Ganz im Gegenteil, sie genoss die warme Luft, die über ihre Haut strich und dabei einer sanften Liebkosung glich. Zufrieden mit sich und der Welt war Chaser aus dem Bibliotheksgebäude geschritten, ein Lächeln auf den Lippen und in Gedanken mit dem herrlichen Wetter beschäftigt. Außerdem überlegte sie, was sie mit dem Rest des Tages anfangen wollte. Es kam immerhin selten genug vor, dass sie so früh frei hatte; es war kaum fünf Uhr am Nachmittag. Während Chaser diese Überlegungen verfolgte entfernte sie sich mehr und mehr von der Bibliothek. Auf den Straßen war wenig los, die meisten Bewohner Kinmokus hielten sich in Gebäuden auf weil sie entweder noch arbeiteten oder verlustierten sich in diversen Parks, die mit Badeseen aufwarteten. Besonders die Kinder würden sich dort herumtreiben und gewiss eine Menge Lärm machen. Chaser blieb stehen, reckte sich kurz. Eigentlich wäre ein Gang durch den Park gar nicht so verkehrt, befand sie. Zwar hatte sie nicht vor, schwimmen zu gehen, doch ein Spaziergang würde ihr gut tun, sie konnte so den frühen Feierabend nutzen und das herrliche Wetter genießen. Den Lärm würde sie einfach ausblenden, so wie sie es auch in der Schule getan hatte. Damit war es beschlossen, so dass sich die Schritte Chasers zielstrebig in Richtung des Palastgartens wandte - nun ja, den öffentlichen Teil, der jedermann zugänglich war. Viel interessanter war vermutlich die Seite, die allein der königlichen Familie vorbehalten war. Da Chaser aber weder zu dieser gehörte, noch eine Anstellung im Palast inne hatte würde sie ihn kaum jemals mit eigenen Augen erblicken. Von bildlichen Darstellungen, die im Archiv einzusehen waren, einmal abgesehen. Wie auch immer, selbst der öffentliche Teil konnte sich sehen lassen. Große Rasenflächen unter Laubbäumen luden dazu ein, Picknicks zu veranstalten, im Herbst Drachen steigen zu lassen oder ganz allgemein darauf herumzutoben und Spiele zu spielen. Zudem gab es da ja noch den Badesee, der sich vor allem im Sommer einiger Beliebtheit erfreute. Dies traf insbesondere auf die kleine Insel in der Mitte des Gewässers zu. Man munkelte, dass sich junge Liebende dort gern zu einem Stelldichein trafen. Wenn man sich die Insel mit ihren bunten Blumen und den Schatten spendenden Bäumen ansah, konnte man sich das sehr gut vorstellen. Chaser hatte in ihrem Leben noch nie ein Stelldichein gehabt. Und wenn sie ehrlich war, legte sie eigentlich auch keinen besonderen Wert darauf. Zumal das ja bedingt hätte, dass sie mit einem anderen Menschen nicht nur eine Unterhaltung sondern gleich mehrere führte, die über höfliche Allgemeinplätze hinaus gingen. Allein beim Gedanken daran schlug ihr Herz einige Takte schneller, wurden ihre Handflächen feucht und schwitzig. Nein, vermutlich würde sie für immer allein bleiben. Die schweigsame Archivarin, die zufrieden damit war, im Stillen Zwiegespräche mit sich selbst zu führen und dafür zu sorgen, dass keines der wertvollen Dokumente, die sie hütete, zu Schaden kam. Vielleicht war dies für manche Menschen ein Horrorszenario, Chaser jedoch konnte nichts Schlechtes daran finden. So fühlte sie sich schließlich wohl. Der Park war, wie zu erwarten, recht bevölkert. Familien veranstalteten Picknicks. Kinder turnten auf den Wiesen herum oder planschten im See. Es herrschte nicht direkt Lärm, doch die Geräuschkulisse war eine vollkommen andere als die im Archiv. Die Unterhaltungen der Menschen hier glich dem Brummen eines Bienenschwarms, was es Chaser jedoch ermöglichte, sie zum größten Teil auszublenden. Gemächlich spazierte sie einen bunt gepflasterten Weg entlang, wobei sie wieder einmal ganz darin aufging, ihren Gedanken nachzuhängen. So versunken bemerkte sie kaum, dass sie sich vom Trubel mehr und mehr entfernte bis sie schließlich vor einer niedrigen Mauer mit schwarzen Gitterstäben verziert anhalten musste. "Huch.", entfuhr es Chaser erschrocken als sie gewahr wurde, dass sie sich vor dem Teil des Parks befand, der allein der königlichen Familie vorbehalten war. Da sie sich aber noch dort befand, wo sie sich aufhalten durfte und es schön ruhig war, sowie schattig, beschloss sie, dass sie noch eine Weile verweilen würde. Ihre Finger legten sich um einige der dünnen Gitterstäbe während sie in den Palastgarten blickte. Nicht, dass es viel zu sehen gab. Tatsächlich hatte sie immerhin das Glück, eine Lücke zwischen zwei hochgewachsenen Büschen erwischt zu haben, so dass sie einen Teil Rasenfläche umgeben von diversen Blumenbeeten sehen konnte. Nichts regte sich. Zumindest in den ersten Minuten, die sie darauf verwandte, so viel als möglich vom ihr verbotenen Bereich des Gartens zu erhaschen. dann jedoch schoben sich Menschen in ihr Blickfeld. Es waren drei Frauen, die etwa in ihrem Alter sein mochten. Sie hätten auch Orgelpfeifen sein können, so wie sie der Größe nach geordnet über den Rasen schritten und dabei alle Zeit der Welt zu haben schienen. Die Größte hatte braunes Haar, die Mittlere rabenschwarzes, das in der Sonne glänzte und die Kleinste weißes. Die drei Frauen unterhielten sich angeregt, doch die Entfernung war zu groß als das Chaser auch nur ein Wort von dem hätte verstehen können was sie sagten. Die Kleinste verzog leicht das Gesicht, wohingegen die Größte eine sehr ernste Miene machte. Allein die Mittlere wirkte vollkommen unbekümmert, was vielleicht auch daran lag, dass sie lachte. Diesmal laut genug, dass Chaser es hören konnte. Einen Moment fragte sie sich sehnsüchtig, wie es wohl sein mochte, wenn man in Gesellschaft so gelassen und locker war wie die Schwarzhaarige. Wie es war wenn man Freundinnen hatte mit denen man ungezwungen scherzen konnte. Der Anblick der drei Frauen gab Chaser einen schmerzhaften Stich ins Herz. Sie waren jetzt stehen geblieben, standen in einem Halbkreis, so dass Chaser die Größte und die Kleinste nur im Profil sehen konnte. Doch ihre Augen waren ohnehin an der Mitteleren hängen geblieben, deren eigene Iriden blau aufblitzten während sie etwas zu ihren Begleiterinnen sagte. Obwohl es ziemlich unhöflich war, so zu starren konnte Chaser damit einfach nicht aufhören. Wie gebannt klebte ihr Blick an der schlanken, dunkelhaarigen Frau, die so lebhaft gestikulierte und überhaupt verhaltenstechnisch das komplette Gegenteil von Chaser selbst war. Vielleicht war es ja das, was sie so ungemein faszinierte? Irgendwann kam es jedoch, wie es kommen musste. Die Schwarzhaarige, auch als Fighter bekannt, bemerkte, dass sie angestarrt wurde. Zielsicher hatte sie die Quelle des bohrenden Blicks ausgemacht. Vor den Mauern zum königlichen Garten stand eine Blondine, die, sobald sie mitbekam, dass sie entdeckt worden war (denn Fighter starrte sie mindestens so ungeniert an wie anders herum), leuchtend rot anlief, so dass sie einer Tomate wirklich ernstzunehmende Konkurrenz machte. Amüsiert darüber musste Fighter lächeln. Auch Healer und Maker wurden nun auf die Beobachterin aufmerksam. "Ist das nicht eine Archivarin?", wollte Healer wissen, die Stirn leicht gerunzelt. Es passte ihr überhaupt nicht, dass jemand so in den Garten schielte. Schließlich sollte die Prinzessin, wenn sie sich einmal in dieser Ecke aufhielt, ganz unbesorgt die Natur genießen können. Und das konnte sie wohl kaum, wenn Hinz und Kunz sie anstarren konnten wie eine Geistererscheinung. "In der Tat. Ich glaube, ihr Name ist Chaser.", meldete Maker sich zu Wort, die des Öfteren schon den Gang in die Bibliothek angetreten hatte, um dort das ein oder andere zu recherchieren. "Was hat sie hier verloren?", maulte Healer sogleich, einen äußerst giftigen Blick Richtung Zaun schickend. "Reg dich ab, sie ist schon weg.", bemerkte Fighter belustigt, "Ich wüsste ja zu gern, warum sie uns beobachtet hat." - "Das ist doch vollkommen egal!" Auf diesen Kommentar seitens Healer konnte Fighter nur die Augen verdrehen. Ihre Schwester war aber auch manchmal ein Biest! Peinlich berührt mit flammend rotem Gesicht eilte Chaser den Weg zurück, den sie gekommen war. Ihr war heiß, das Herz schlug ihr bis zum Hals und ein merkwürdig flaues Gefühl hatte sich ihrer bemächtigt. Sicher, weil man sie beim Beobachten erwischt hatte. Zumindest redete sie sich das ein. So rasch ihre Füße sie tragen wollten verließ sie den Park, machte, dass sie heim kam, wo sie sich in ihrem Bett verkroch, verschwitzt und staubig wie sie war. Etwas, das unter normalen Umständen niemals vorgekommen wäre, da Chaser penibel darauf achtete, nicht mehr Schmutz zu produzieren als unbedingt notwendig. Nur sehr langsam beruhigte sich ihr Herzschlag wieder. Ihre Atmung verlangsamte sich auf Normaltempo, sie kühlte etwas ab und dankenswerterweise verschwand auch die Röte aus ihren Gesicht, wie sie nach einem Blick in den Spiegel in ihrem Bad feststellen durfte. Inzwischen hatte Chaser sich dazu durchgerungen, ihr Bett zu verlassen und sich stattdessen zu säubern. Obwohl sie halbwegs zu sich gekommen war, wollte ihr die Schwarzhaarige einfach nicht aus dem Sinn gehen. Zu gut hatte sie noch den Klang ihres Lachens im Ohr. Allzu deutlich sah sie die blauen Augen im Licht der Sonne funkeln. Das flaue Gefühl in Chasers Magengrube verstärkte sich, es schien ihr als hätte eine Horde von Schmetterlingen eine Invasion auf ihre Eingeweide unternommen. Was war nur los mit ihr? Sie, die sonst von sich behaupten konnte auf jede Frage eine Antwort zu wissen, die Hüterin von Weisheit und Wissen, war vollkommen ratlos. Kapitel 3: Was es ist --------------------- In den folgenden Tagen bemühte Chaser sich, so unauffällig wie möglich zu sein, was im Archiv keinerlei Schwierigkeit darstellte. Tatsächlich hätte man meinen können, dass sie gar nicht anwesend war weil es ihr gelang mit der Umgebung zu verschmelzen, sich genau dort aufzuhalten, wo sie sicher sein konnte, keiner Menschenseele zu begegnen. Stattdessen hatte sie sich philosophische Betrachtungen zu einem ganz bestimmten Themengebiet aus der Bibliothek genommen. Intensiv versenkte sie sich in die Lektüre; selbstredend erst, nachdem sie ihre täglichen Pflichten, welche nicht besonders zahlreich waren, erledigt hatte. Die Schwarzhaarige - inzwischen kannte Chaser sogar ihren Namen, der nicht schwer zu recherchieren gewesen war - wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen. Wieder und wieder ließ Chaser die Szene in den Gärten vor ihrem inneren Auge Revue passieren. Zwar hatte sie sich bei dieser Gelegenheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert, trotzdem vermochte sie einfach nicht, die Begebenheit zu vergessen. Viel zu deutlich stand ihr das offene, gut gelaunte Gesicht Fighters vor Augen. Nur allzu klar hörte Chaser noch immer den Klang ihres Lachens und ebenso erinnerte sie sich mit überwältigender Klarheit an die funkelnden blauen Augen. Daran wie das Sonnenlicht mit den Reflexen auf dem rabenschwarzen Haar Fighters gespielt hatte, wie die leichte Brise dasselbe kaum merklich zerzauste. Dass sie sich so deutlich erinnerte musste nichts heißen. Chaser konnte sich Vieles gut einprägen, nicht nur Dinge, die sie irgendwo gelesen hatte. Doch die Begleiterscheinungen dieser Erinnerung machten sie stutzig, ließen sie etwas vermuten, das ihr überhaupt nicht in den Kram passte. Und so verbrachte sie Tag um Tag damit, in Gedanken zu schwelgen und über Texten zu brüten, um eindeutig ausschließen zu können, was so manch Anderem längst eine Gewissheit gewesen wäre. Fighter indessen hatte den kleinen Zwischenfall beinahe schon vollkommen aus ihrem Gedächtnis verdrängt. Für sie gab es mehr als genug zu tun, obwohl sie sich über einen Mangel an Freizeit auch nicht unbedingt beklagen konnte. Es hatte eben durchaus seine Vorteile wenn man der Leibgarde der Prinzessin angehörte. Sie zu beschützen war für Fighter eine ehrenvolle Aufgabe, die sie tatsächlich ernst nahm - auch wenn man oft den Eindruck hatte, dass die quirlige und sorglos wirkende junge Frau verantwortungslos war. Dem war mitnichten so. Allerdings musste man auch festhalten, dass sie ihre Pflicht nicht allzu ernst nahm. Natürlich achtete sie darauf, dass der Prinzessin nichts geschah. So verbissen wie ihre Schwester Healer benahm Fighter sich während ihrer Arbeitszeiten aber nicht. Andererseits hegte Fighter natürlich nicht dieselben Gefühle für Kakyuu wie Healer das tat. Das war jedoch ein Thema, das keine der drei Schwestern jemals anschnitt. Weniger aus Rücksicht auf Healer als vielmehr weil Maker und Fighter nicht unbedingt scharf darauf waren, angegiftet zu werden wenn sie sich eine Neckerei erlaubten. Ihre Schwester war aber auch empfindlich! Die Prinzessin und ihre drei Leibwächterinnen machten gerade einen Spaziergang durch den Palastgarten, wo sie an der Stelle vorbei kamen wo das Trio vor einigen Tagen die Archivarin entdeckt hatte. Healers grüne Augen suchten sofort hinter der Abgrenzung und als sie niemanden entdecken konnte, stieß sie einen Seufzer des Erleichterung aus. Ein Laut, der der Prinzessin in keinster Weise entging. "Ist etwas nicht in Ordnung?", erkundigte Kakyuu sich bei Healer, die peinlich berührt zusammen zuckte und sich hilflos räusperte, weil sie noch mit sich rang, ob sie ihrer Vorgesetzten von dem Vorfall berichten sollte. Fighter hingegen kannte derlei Scheu nicht. Sie lachte kurz. "Alles ist bestens, Prinzessin.", versicherte die Schwarzhaarige amüsiert, "Vor ein paar Tagen stand eine Archivarin auf der anderen Seite der Gitterstäbe und schaute in den Park. Das hat Healer nervös gemacht und ziemlich aufgebracht." Kaum hatte Fighter das geäußert fing sie bereits einen sehr bärbeißigen Blick seitens ihrer Schwester auf, der verdeutlichte, dass das Ganze ein Nachspiel haben würde. Unbekümmert zuckte Fighter mit den Schultern. An das Gezicke der Anderen war sie schließlich gewöhnt. "Tatsächlich?", hakte Kakyuu mit einem Hauch Belustigung nach, "Es wundert mich, dass eine Archivarin sich an der frischen Luft aufgehalten hat. Die meisten von ihnen sind keine großen Freunde davon, Zeit außerhalb ihres Arbeitsplatzes verbringen zu müssen." "Das ist wahr. Und besonders redselig sind sie auch nicht.", schaltete Maker sich nun ein, die bisher geschwiegen hatte. Sie selbst war auch nicht die Gesprächigste, was unter Anderem daran lag, dass Fighter diejenige von ihnen war, die immer zu allem ihren Senf dazu geben musste - meistens tat sie dies ungebeten. "Es ist doch völlig gleichgültig, warum sie dort gestanden hat.", ereiferte Healer sich, die das Gefühl hatte, irgendwie Stellung nehmen zu müssen, "Tatsache ist, dass sie in die königlichen Gärten geschaut hat, was ihr nicht erlaubt ist." Leise lachte Kakyuu, die es sehr berührend fand, welch großen Beschützerinstinkt Healer ihr gegenüber an den Tag legte. Nur, dass sie es damit gelegentlich etwas übertrieb. "Nun, genau genommen gibt es kein Gesetz und keine Vorschrift, die es verbietet, in den Garten zu schauen. Sie hat ihn schließlich nicht betreten." Als hätte man sie streng getadelt ließ Healer den Kopf hängen. Ihre Abneigung gegen diese freche Archivarin stieg beträchtlich an. Dank dieser stand sie vor der Prinzessin in einem schlechten Licht. Unwillig grummelte Healer, gab ansonsten aber keinen weiteren Kommentar ab. Wozu auch? Anscheinend wurde alles, was sie sagte, gegen sie verwendet. Es hatte keinen Zweck, ihren Standpunkt darlegen zu wollen. Sie würde sowieso nur missverstanden werden. "Außerdem war sie sehr schnell verschwunden nachdem wir sie entdeckt hatten.", bemerkte Fighter gelassen. Sie begriff nicht, warum Healer so erbost darüber war. Ja, ihre Schwester wachte eifersüchtig über Kakyuu, hin und wieder übertrieb sie es damit aber maßlos. Allerdings hüteten Maker und Fighter sich meist, das anzudeuten. "In dem Fall ist ja kein sonderlich großer Schaden entstanden.", stellte die rothaarige Prinzessin mit einem Lächeln fest. Es genügte, wenn sie sich ihren Teil dazu dachte. Alles mussten ihre Leibwächterinnen schließlich auch nicht wissen. So sehr sie sie schätzte, es gab Dinge, die sie mit niemandem teilen wollte. Nach einer knappen Woche war es Chaser gelungen, den Vorfall so gut als möglich zu verdrängen. Zumindest wenn sie im Archiv ihrer täglichen Pflicht nachging. Sobald sie zuhause war, allein, und Zeit hatte, nachzudenken, ließ Fighter sich nicht mehr aus ihrem Kopf vertreiben. Schließlich war Chaser davon so genervt und auch erschrocken, dass sie beschloss, dem Spuk ein Ende zu setzen. Am besten ging das wohl, wenn sie noch einmal einen Blick auf Fighter erhaschte und endgültig mit der Sache abschloss. Wenn sie sich für ihr ungebührliches Betragen entschuldigt hatte würde Schluss sein damit. Auch wenn der Gedanke daran, das Wort an Fighter zu richten, ihr die Knie weich werden ließ wie Wackelpudding und ihr so flau im Magen wurde, dass die Blondine fürchten musste, sich im nächsten Augenblick zu übergeben. Dennoch stand ihr Entschluss fest. So kam es, dass Chaser in ihrer Mittagspause das Archiv verließ, fest entschlossen, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Sie war bereits gute hundert Meter gegangen bis ihr einfiel, dass sie gar nicht wusste, wo Fighter sich um diese Tageszeit aufhalten mochte. Mist. "Und was jetzt?", fragte Chaser sich selbst laut, ehe ihre Zähne sich nachdenklich in ihre Unterlippe gruben. Während sie so da stand und nachdachte, eine Möglichkeit nach der anderen durchging und verwarf, tat sich etwas. Plötzlich fiel ein Schatten auf Chasers Gesicht. Überrascht hob sie den Blick. Kaltes, hartes Grün traf auf erschrockenes Grau. Healer hatte sich vor ihr aufgebaut, sie waren in etwa gleich groß, doch durch die Pose, die die Andere einnahm wirkte sie auf Chaser sehr bedrohlich. "Du!", zischte Healer erbost. Ihre Stimme ließ keinerlei Zweifel daran, dass diese Unterhaltung alles andere als erfreulich werden würde. Chaser schluckte. Unwillkürlich verspürte sie den Drang, sich irgendwo zu verstecken. Oder gleich auf dem Absatz kehrt zu machen und die Beine in die Hand zu nehmen. Instinktiv zog Chaser den Kopf ein, machte sich kleiner als sie ohnehin schon war. Eingeschüchtert wie sie war brachte sie keinen Ton heraus. "Was fällt dir eigentlich ein? Glaubst du, du kannst ungestraft in die königlichen Gärten schielen und uns begaffen?" Unsicher, wie sie reagieren sollte, befand Chaser es für sicherer, gar nicht erst den Mund aufzumachen. Eigentlich wollte sie nur den Kopf schütteln. Doch Trotz regte sich in ihr. Eine Empfindung, die Chaser bisher nie wirklich bewusst erlebt hatte. Dass Healer sie so anfuhr brachte aber selbst ihre Gutmütigkeit und ihre Schüchternheit dazu, zu weichen. "Ich wollte niemanden anstarren!", brachte Chaser mit viel zu hoher Stimme heraus, die mehr einem Quieken gleich denn irgendetwas anderem. "Ach ja? Denkst du, mir wäre nicht aufgefallen wie du meine Schwester mit deinen Blicken belauert hast?", kam die garstige Retourkutsche seitens Healer, "Halt dich fern vom Palast, von seinen Gärten und vor allem von meiner Schwester. Verstehst du mich? Ganz gleich, weshalb du sie so angestarrt hast, sie hat kein Interesse an dir und wird es auch nie haben. Du bist nur eine kleine, unwichtige Archivarin. Sie kennt nicht mal deinen Namen. Und sie interessiert sich auch nicht dafür, wer du bist." An dieser Stelle machte Healer eine Pause, um kurz Luft zu holen. Chaser indessen waren die Tränen gekommen. Heiß brannten sie in ihren Augenwinkeln obwohl sie ihr Bestes tat, sie zurückzudrängen. Jedes einzelne Wort der Anderen war wie ein Dolchstoß in ihr Inneres gewesen. Schmerz in ungekannter Intensität flutete Chaser, die gar nicht recht wusste, wie sie damit umgehen sollte. Auch das hatte sie so nie empfunden. Hilflos stand sie zitternd vor Healer, sich die ersten Schluchzer mühsam verkneifend. Es entging Healer keineswegs welche Auswirkungen ihre Worte auf die Blondine hatte. Für einen Moment regte sich Reue in ihr. Doch dann erinnerte sie sich daran, wie sehr Kakyuu die Frechheit Chasers auf die leichte Schulter genommen hatte. Dass sie dadurch vor ihrer Angebeteten in einem schlechten Licht gestanden hatte. Leise schnaubte Healer. "Kriech zurück in dein Archiv. Wenn ich dich nochmal bei den königlichen Gärten oder in der Nähe meiner Schwester erwischen sollte, kannst du was erleben.", fauchte Healer. Eine weitere Reaktion wartete sie schon nicht mehr ab. Sie war alles losgeworden, was sie hatte los werden wollen. So drehte die Leibwächterin sich lediglich um und marschierte von dannen, zufrieden, dass sie es Chaser so richtig gezeigt hatte. Wie vom Donner gerührt stand Chaser an Ort und Stelle. Im ersten Moment war der Schock über das Geschehene so groß, dass sie gar nicht wirklich reagierte. Erst als der erste, erstickte Schluchzer sich Bahn brach, änderte sich das. Tränen rannen der Archivarin wie ein Sturzbach über die Wangen. Obwohl sie kaum etwas sehen konnte, drehte sie um, eilte, so rasch sie eben konnte, zurück zum Archiv. Die besorgten Blicke und Ausrufe ihrer Kolleginnen ignorierte sie. Stattdessen hielt sie erst inne als sie sich in der hintersten Ecke des Archivs verkrochen hatte. Drei Dinge waren ihr nun unmissverständlich klar geworden. Erstens: sie war unwiderruflich und bedingungslos in Fighter verliebt. Zweitens: Fighter hatte kein Interesse an ihr und würde es auch nie haben - Healer war wirklich deutlich genug gewesen. Und drittens: diese Erkenntnis tat verdammt weh. So weh, dass Chaser meinte, ihr müsse das Herz in der Brust zerspringen vor Schmerz. Wie sollte sie jetzt weiter machen? Kapitel 4: Zwistigkeiten ------------------------ Healer war mit sich und der Welt endlich wieder vollkommen zufrieden. Die Kränkung, welche sie durch Chaser erfahren hatte, hatte sie überwunden. Sehr erfolgreich. Natürlich dank des Gesprächs (wenn man es denn als solches bezeichnen konnte), das sie mit der Archivarin geführt hatte. In Hochstimmung begab Healer sich zurück zu ihren Schwestern. Fighter war mit Essen beschäftigt, einer ihrer liebsten Betätigungen. Maker hingegen warf Healer einen langen, unergründlichen Blick zu, den diese jedoch geflissentlich ignorierte. Gut gelaunt ließ sie sich neben Fighter nieder, die sich kaum die Mühe machte, den Blick von ihrer Mahlzeit zu heben und die Rückkehr ihrer Schwester zur Kenntnis zu nehmen. Diese Marotte war nichts Neues, weswegen Healer sich nicht daran störte. Außerdem würde Fighter dann nicht auf die Idee kommen, sie zu fragen, wieso sie plötzlich so gute Laune hatte, wo sie doch bis dato mit einer Miene wie Sieben Tage Regenwetter herum stolziert war. Maker allerdings war nicht so ignorant wie ihre Schwester. "Wohin bist du verschwunden?", hakte sie daher nach, ein Hauch Misstrauen in der Stimme, der deutlich machte, dass Healer besser daran tat, die Wahrheit zu sagen. Da Healer allerdings fand, dass sie sich absolut nicht falsch verhalten hatte im Umgang mit Chaser bestand für sie keinerlei Grund, damit hinterm Berg zu halten. Von selbst hätte sie das Thema zwar nicht angeschnitten, weil Maker sie jedoch nun darauf ansprach würde sie eben antworten. Den genauen Wortlaut der Unterhaltung würde Healer allerdings besser für sich behalten. Irgendwie ahnte sie, dass ihre Schwestern nicht glücklich sein würden, diesen zu erfahren. "Ich habe ein paar Dinge richtig gestellt und ins rechte Licht gerückt. Das ist alles.", beantwortete die Kleinste des Trios die ihr im Vorfeld gestellte Frage. Prompt hoben sich Makers Augenbrauen. Unglaube stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Inzwischen war Fighter mit Essen fertig geworden, so dass sie zumindest mit halbem Ohr der Unterhaltung lauschte. "Das hatte nicht zufällig etwas mit der Archivarin zu tun?", bohrte Maker indes etwas tiefer. Daraufhin verdrehte Healer lediglich die Augen. "Und wenn schon!", bemerkte sie wegwerfend, "Es war doch nur sie, niemand von Rang, niemand Wichtiges. Warum kümmert es dich, was ich zu ihr gesagt habe?" Obwohl Fighter sich weiter den Anschein gab, nicht wirklich zuzuhören, folgte sie der Konversation jetzt sehr viel aufmerksamer als sie das zuvor getan hatte. Sie wusste selbst nicht genau warum, denn im Prinzip war es ja schon so, dass Healer nicht ganz Unrecht hatte. Archivare waren Personen, denen kein besonders hoher Stellenwert innerhalb der Gesellschaft beigemessen wurde, obwohl sie eine sehr wichtige Funktion erfüllten. Das war schon irgendwie ungerecht. Andererseits herrschte freie Berufswahl. Sie hatten sich also wissentlich dafür entschieden, den Großteil ihres Lebens zwischen staubigen Schriftrollen und Folianten zu verbringen. Fighter würde nie verstehen, wieso Menschen sich von Buchstaben so faszinieren ließen. Es war ihr ja schon unbegreiflich wie Maker sich damit auseinander setzen konnte ohne sich zu Tode zu langweilen. Das Gespräch zwischen Healer und Maker nahm allmählich einen unglücklichen Verlauf. Beide Frauen hatten die Stimmen etwas erhoben und eine nicht zu missende Schärfe hatte sich in ihren Tonfall geschlichen. "Weil ich ganz genau weiß, wie gemein du sein kannst. Deshalb kümmert es mich. Sie hat dir nichts getan. Keiner von uns. Und wenn du wirklich glaubst, dass sie eine Gefahr für die Prinzessin sein könnte... dann kann ich dich nur bedauern für deine Engstirnigkeit und Blindheit.", sagte Maker gerade verstimmt zu ihrer Schwester, die daraufhin empört schnaufte und die Arme vor der Brust verschränkte. "Ach ja? Ist das so? Woher willst du das wissen? Kannst du jetzt Gedanken lesen oder was?", fauchte Healer ungehalten. Das war doch wirklich die Höhe! Rechtschaffene Empörung durchflutete sie. Mit einem Satz war sie aufgesprungen und baute sich vor Maker auf, was einen ziemlich witzigen Kontrast bildete, da die Brünette Healer um gut zwei Köpfe überragte. "Du willst wissen, was ich zu dieser Kuh gesagt habe? Schön, dann sollst du es erfahren! Ich habe ihr unmissverständlich klar gemacht, dass sie dort, wo wir sie gesehen haben, nichts verloren hat und dass es Konsequenzen haben wird, wenn ich sie dort nochmal erwischen sollte." Zweifelnd hörte Maker sich das an, schüttelte langsam den Kopf. "Das war aber noch nicht alles, oder? Und versuch gar nicht erst, es zu leugnen. Ich habe gesehen, dass etwas sehr viel Hässlicheres zu ihr gesagt haben musst. Sonst wäre sie wohl kaum in Tränen ausgebrochen." An dieser Stelle bemühte Fighter sich nicht länger, so zu tun als hätte sie von der Unterhaltung nichts mitbekommen oder hätte kein Interesse an deren Inhalt. "Du hast sie zum Weinen gebracht, Healer? Wirklich?" Ebenso ungläubig wie zuvor Maker schüttelte Fighter nun den Kopf. Manchmal begriff sie ihre Schwester einfach nicht. Healer allerdings nahm die Einmischung nicht gerade positiv auf. "Was soll das? Wieso bin ich jetzt hier die Böse, hm? Diese Frau hat dich angestarrt und es ist dir egal? Willst du mir das wirklich weis machen?", verteidigte Healer sich energisch. Genervt verdrehte Fighter die blauen Augen. "Warum hätte mich das stören sollen? Es lag doch keine böse Absicht dahinter." - "Das kannst du nicht wissen!" - "Bist du schon mal auf den Gedanken gekommen, dass es mir vielleicht gefallen haben könnte?" Vor lauter Unglauben klappte Healer der Unterkiefer herunter. Was bitte? "Ich nehme an, ich habe mich da eben verhört!", platzte sie empört heraus. Das durfte doch nicht wahr sein. Fighter konnte nicht ernsthaft... nein, das war ganz und gar unmöglich! Vehement schob Healer diesen Gedanken beiseite, weigerte sich, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Schließlich kannte Fighter dieses Mädchen gar nicht, hatte sie nur ein einziges Mal gesehen. 'Aber weißt du das mit Sicherheit?', flüsterte ein garstiges Stimmchen in Healers Hinterkopf, 'Was, wenn Fighter ein Geheimnis hat? Wie zum Beispiel eine Affäre mit Chaser?' Schon allein bei der Vorstellung drehte sich Healer der Magen um. Natürlich war ihre Schwester kein unbeschriebenes Blatt. Dennoch hatte sie bisher geglaubt, in Fighter eher eine Konkurrentin um Kakyuus Herz zu haben. Konnte sie sich denn wirklich mit einem Niemand wie Chaser eingelassen haben? Waren sie am Ende vor einigen Tagen gar nicht zufällig an besagter Stelle im Garten vorbei gekommen? Hatte Fighter unter Umständen die Gelegenheit nutzen wollen, ihnen Chaser als ihre Geliebte vorstellen zu wollen? Healer wurde fast schwindelig bei diesen wilden Vermutungen. Heftig schüttelte sie den Kopf, was dem Schwindelgefühl nicht gerade zuträglich war. "Was hast du für ein Problem mit ihr?", wollte Fighter derweil wissen, die einfach nicht begriff, wieso Healer so militant und beharrlich gegen die Archivarin hetzte. Keine von ihnen konnte von sich behaupten, sie besonders gut zu kennen. Fighter hatte Chaser an diesem bewussten Tag zum ersten Mal richtig wahr genommen, was natürlich auch daran lag, dass die Mittlere der Schwestern freiwillig niemals einen Fuß in die Bibliothek gesetzt hatte. "Ich habe kein Problem mit ihr!", fauchte Healer genervt. Kurz warf sie Fighter einen vernichtenden Blick zu, dann stiefelte sie missmutig davon. Maker, die sich zurückgehalten hatte, sah der Kleineren nach, wobei sie den Kopf schüttelte und "Unmöglich" murmelte. "Was du nicht sagst.", murrte Fighter. Es war doch wirklich nicht zu fassen. Healers Benehmen war untragbar. Dass sie Chaser zum Weinen gebracht hatte aufgrund eines solch belanglosen Zwischenfalls war eine ganz und gar überzogene Reaktion gewesen. "Meintest du das vorhin eigentlich ernst?" Überrascht hob Fighter den Kopf. Sie hatte beinahe vergessen, dass Maker noch anwesend war. Verwirrt, weil sie mit ihren eigenen Gedanken so beschäftigt gewesen war, legte sie den Kopf ein wenig zur Seite. "Was meinte ich ernst?" Jetzt erschien ein schwaches Lächeln auf Makers Gesicht. Fighters Aufmerksamkeitsspanne war nicht unbedingt die Beste. Aber das war man von ihr nicht anders gewohnt, weswegen es Maker nicht verwunderte, dass ihre Schwester noch mal nachhaken musste. "Als du meintest, dass es dich nicht gestört hat von Chaser so angestarrt zu werden.", half sie der Schwarzhaarigen auf die Sprünge. "Oh... das..." Irrte Maker sich oder wirkte Fighter ein wenig verlegen? Unwillkürlich verbreiterte sich das Lächeln auf ihren Zügen. "Und wenn es so wäre?", kam es nun trotzig von Fighter. Wie um diesen Trotz zu unterstreichen schob sich ihre Unterlippe ein wenig vor. Abwehrend hob Maker die Hände. "Du missverstehst mich. Mir ist das egal. Du kannst mögen, wen du willst. Da bin ich nicht so snobistisch veranlagt wie Healer." "Mögen ist zu viel gesagt. Ich kenne Chaser nicht mal richtig. Und ohne dein gutes Gedächtnis wüsste ich nicht einmal ihren Namen." Fast schuldbewusst biss Fighter in ihre Unterlippe, welche sie inzwischen wieder ein Stück eingezogen hatte. "Das kannst du ändern, das weißt du, oder?" Maker schmunzelte. Der leicht neckende Unterton war kaum zu überhören, wenngleich die Brünette gewöhnlich lieber subtil Nuancen in ihrem Tonfall unterbrachte. Man musste nicht immer mit allem gleich hausieren gehen, so wie Fighter das zu tun pflegte. Jetzt gerade benahm sie sich allerdings untypisch, wie Maker zugeben musste. Es war irgendwie... erfrischend. Fighters große Klappe konnte nämlich ziemlich nervtötend sein. Vor allem weil sie das Talent hatte, immer dann einen dummen Spruch zu bringen oder aufzuschneiden wenn es überhaupt nicht passte. Trotzdem fanden das viele Menschen äußerst charmant. Eine Tatsache, die Maker Rätsel aufgab. Andererseits mussten diese Leute Fighter nicht beinahe rund um die Uhr ertragen. Gewiss hätte die Brünette mehr Verständnis für ihre Schwester aufbringen können wenn sie nicht so viel Zeit miteinander verbracht hätten. Vielleicht änderte sich das ja nun bald? "Ich weiß.", gab Fighter schließlich murrend zur Antwort. Irgendwie scheute sie sich davor, Makers Rat - sofern es einer gewesen war, wovon die Schwarzhaarige aber eigentlich ausging - zu befolgen. Was sollte sie mit Chaser reden? Sie konnte wohl kaum einfach in der Bibliothek, respektive im Archiv, aufkreuzen und locker flockig eine Unterhaltung beginnen. Oder? Was, wenn sie sich geirrt hatte und Chaser gar nicht wirklich sie angestarrt hatte sondern eine ihrer Schwestern? Maker wäre vermutlich so freundlich, es auf einen Versuch ankommen zu lassen, Healer hingegen hatte der Archivarin bereits sehr deutlich zu verstehen gegeben, was sie von ihr hielt - nicht allzu viel. Darüber hinaus war Healer ohnehin bis über beide Ohren in Kakyuu verliebt. Fighter bezweifelte, dass ihre Schwester jemals Augen für eine andere Person haben könnte. "Dann mach etwas daraus.", war Makers abschließender Kommentar zu dieser Sache. Sie wandte sich ab, um sich auf den Weg zu machen, zu ihrer alltäglichen Pflicht zurückzukehren. Fighter würde schon eine Entscheidung treffen, wie sie weiter vorgehen wollte. So wie Maker ihre Schwester kannte würde sie die Angelegenheit nicht einfach auf sich beruhen lassen. Blieb nur zu hoffen, dass sie gegenüber Chaser das nötige Feingefühl an den Tag legte, sollte sie sich dazu entschließen, das Gespräch mit der Archivarin zu suchen. Doch diese Entscheidung konnte nur Fighter selbst treffen. Um Chasers Willen hoffte Maker, dass sie zu ihren Gunsten ausfallen würde, auch wenn sie den Grund nicht genau benennen konnte. Kapitel 5: Book of Dreams II ---------------------------- Letzte Nacht habe ich geträumt, dass ich keine Archivarin wäre, sondern Hofdame von Prinzessin Kakyuu. Im Schloss fand ein Ball statt. Ich trug ein schreckliches, gelbes Kleid, das sich furchtbar mit meinem blonden Haar biss. Die ganze Zeit fühlte ich mich unheimlich unwohl darin, traute mich jedoch nicht, das auszusprechen aus Angst einen Tadel zu erhalten. Also drückte ich mich in einer etwas weniger beleuchteten Ecke des Ballsaals herum, in der Hoffnung möglichst unsichtbar zu bleiben. Ein Plan, der eine Weile gut aufging. Dann aber stöberte mich jemand in meinem Versteck auf. Zu meiner maßlosen Überraschung war es Fighter, die mir ein Kompliment zu dem grauenvollen Kleid machte. Ich lief rot an wie eine Tomate, wusste nicht recht, was ich erwidern sollte und druckste schlussendlich wenig eloquent herum, was sie verständlicherweise zu amüsieren schien. Allerdings schien sie auch Verständnis für meine Aufregung zu haben, sie stellte fest, dass das vollkommen normal wäre, da ich ja noch nicht lange Hofdame sei - womit sie in diesem Traum Recht hatte. In der Realität wird es nie dazu kommen. Aber ich wäre bei Hofe auch vollkommen fehl am Platz, das ist mir schon bewusst. Ich weiß mich auszudrücken, ja, um eine von Kakyuus Damen zu sein erfordert es jedoch weit mehr als das banale Dreschen von Phrasen oder des Anbringens einiger wohl platzierter Bon Mots. Wie auch immer, in meinem Traum forderte Fighter mich dazu auf, mit ihr zu tanzen, was mich sehr in Verlegenheit stürzte. Ablehnen tat ich allerdings nicht. Mutiger als ich mich eigentlich fühlte ließ ich mich von Fighter auf die Tanzfläche führen, wo ich alsbald vergaß, dass außer uns noch andere Menschen im Saal existierten. Wir hätten genauso gut die einzigen Lebewesen im gesamten Universum sein können. Es hätte mich auch nicht gewundert wenn wir plötzlich abgehoben hätten und zu den Sternen getanzt wären. Eine halbe Ewigkeit tanzten wir, doch dann schlug eine Uhr in der Ferne Mitternacht und ich wusste, es war für mich an der Zeit, zu gehen. Dies teilte ich Fighter mit, welche nicht besonders glücklich darüber zu sein schien. Nicht, dass ich mich darum gerissen hätte, diese wunderbare Nacht enden zu lassen. Fighter bestand darauf, mich zumindest aus dem Saal zu geleiten, was ich nur allzu gern zuließ. Immerhin bedeutete das, mehr gemeinsame Zeit mit ihr zu haben, ihre Gegenwart noch etwas länger genießen zu können. Viel zu schnell hatten wir den Saal hinter uns gelassen. Schon wollte ich mich verabschieden, wenn auch schweren Herzens, jedoch machte Fighter, an deren Arm ich aus dem Saal geschritten war, keinerlei Anstalten, sich von mir zu lösen. Stattdessen drehte sie mich leicht, so dass wir uns halb gegenüber standen. Ihre Hand legte sich auf meine Taille, was mir die Knie weich werden ließ wie Pudding. Ein zärtliches (ich kann es nicht anders beschreiben) Lächeln lag auf ihren Zügen während sie mich anblickte als hätte sie soeben ein Wunder erblickt. Mit den Fingern ihrer anderen Hand strich sie sanft über meine Wange. Eine Berührung, die mich beinahe vergehen ließ vor lauter Wonne. Ich glaube, ich seufzte sogar leise auf. Noch bevor ich meine Augen zufrieden schließen konnte, wie ich es eigentlich vorgehabt hatte, beugte Fighter sich zu mir vor. Ihre Lippen streiften hauchzart die meinen und ich hielt unwillkürlich den Atem an. Sie setzte dazu an, mir etwas zuzuraunen, doch in diesem Moment wachte ich auf. Natürlich, wie hätte es anders sein können? Noch während ich das niederschreibe spüre ich den Nachhall dieses keuschen Kusses auf meinen Lippen. Das macht die ganze Sache nicht einfacher. Ganz im Gegenteil. Zwar habe ich mich dazu entschlossen, mich aus meiner Isolation hervorzuarbeiten, doch das ist ein langer, steiniger Weg auf dem es immer wieder Rückschläge gibt. Fighters und meine Position in der Gesellschaft sind nur ein Hindernis. Außerdem habe ich das unangenehme Gefühl, dass bald etwas Schlimmes geschehen wird. Ich könnte nicht sagen, was genau. Ich weiß aber, dass es so ist. Irgendetwas wird geschehen. Man hört Gerüchte über Planeten, die einer "Chaos" genannten Macht zum Opfer fallen... Ich kann nur hoffen, dass es bei Gerüchten bleibt. Und was diese Träume angeht, die ich von Fighter habe, so denke ich, dass sie, all meinen Bemühungen zum Trotz, mein Schneckenhaus hinter mir zu lassen, vergebens sein werden. Dennoch bin ich nicht bereite, aufzugeben. Noch nicht. Kapitel 6: Unerwarteter Besuch ------------------------------ In den folgenden Tagen erholte Chaser sich langsam von dem Zusammenstoß, den sie mit Healer gehabt hatte. Zumindest brach sie nicht mehr öffentlich in Tränen aus. Stattdessen verbarg sie, was sie wirklich fühlte, tief in ihrem Inneren, um nicht versehentlich während des Tages daran zu rühren. Das änderte jedoch nichts daran, dass diese Wunde, welche Healer ihr mittels Worten geschlagen hatte, schmerzte. Ein dumpfer, pochender Schmerz, der Chaser zur Gewohnheit werden sollte. Oberflächlich betrachtet hatte sie die unschöne Begegnung verdrängt. Ihre Kolleginnen, die versucht hatten, herauszufinden, was eigentlich passiert war, bissen auf Granit. Chaser gab keinerlei Auskunft, versicherte ihnen jedoch, dass nun alles wieder in bester Ordnung war. Da sie ihre Arbeit zuverlässig wie eh und je verrichtete sahen die anderen Archivarinnen keinen Grund, ihr nicht zu glauben. Auch sahen sie davon ab, die Oberste Archivarin von jenem Vorfall zu unterrichten. Immerhin hatte Chaser sich wieder gefangen. Es bestand also keine Veranlassung, etwas zu unternehmen. Trotzdem blieb kaum jemandem verborgen, dass die Blondine schweigsamer denn je war, dass sie blasser war als gewöhnlich und dunkle Schatten unter ihren Augen lagen, die auf Schlafmangel hindeuteten. Es gab zwar Überlegungen, nachzubohren, diese wurden aber rasch verworfen. Aussicht auf Erfolg bestand bei dieser Strategie wohl eher nicht. Man vertraute darauf, dass Chaser sich an eine ihrer Kolleginnen wenden würde, sollte sie das Bedürfnis verspüren, mit jemandem zu reden. Chaser stand der Sinn ganz und gar nicht danach. Stumm und so unauffällig wie möglich ging sie ihrer Arbeit nach, die sie zwar von ihrem Elend ablenkte, ihr jedoch längst nicht mehr so viel Spaß machte wie das einmal der Fall gewesen war. Wenn sie doch nur an jenem bewussten Tag nicht in den Park gegangen wäre! Dann wäre das alles nie geschehen. Sie wäre noch im Vollbesitz ihres Seelenfriedens, hätte noch Freude an ihren Aufgaben, würde sich nicht nach etwas sehnen, das sie niemals haben konnte. Doch es war nun einmal wie es war. Es war nicht zu ändern. Sie konnte die Zeit nicht zurückdrehen, um eine andere Entscheidung zu treffen, so gern sie dies auch getan hätte. Ihr blieb nichts Anderes übrig als irgendwie damit umgehen zu lernen. Irgendwann würde der Schmerz über die indirekte Zurückweisung hoffentlich nachlassen. Irgendwann würde sie aufwachen ohne Fighters Bild vor Augen, ohne, dass sich ihr Herz zusammenkrampfte wenn sie versehentlich an die Schwarzhaarige dachte. Das Gespräch mit Maker wollte ihr einfach nicht aus dem Sinn gehen. Leise seufzte Fighter, den Blick nachdenklich gen Sternenhimmel gerichtet. Die Nacht war längst herein gebrochen, sie hatte ihre Pflicht für den Tag erfüllt. Die nächtliche Wache vor dem Gemach der Prinzessin hatte Healer übernommen, wofür Fighter dankbar war. Zwar wäre sie an der Reihe gewesen, doch man merkte sehr deutlich, dass die Schwarzhaarige im Moment nicht auf der Höhe war. Und da Healer sich sowieso keine Gelegenheit entgehen ließ, die Prinzessin für sich allein zu haben (selbst wenn sie nur vor ihrer Tür herumstand und Däumchen drehte), hatte sie angeboten, Fighters Schicht zu übernehmen. Nun saß Fighter im Garten des Palastes auf einer Bank aus Marmor und sah auf zu den Sternen, die Millionen von Lichtjahren entfernt blinkten und strahlten, wie sie es in jeder wolkenlosen Nacht taten ohne sich darum zu kümmern, wer sie betrachtete und wie diese Person sich fühlte. Die Frage war tatsächlich "Was fühle ich eigentlich?" - und zu ihrer Schande musste Fighter gestehen, dass sie nicht den Hauch einer Ahnung hatte. Es war eine so seltsame Mischung, dass sie nicht zu sagen wusste, welche Emotion überwog. Schuldgefühle weil die Archivarin sich von Healer hatte angiften lassen müssen, grundlos, wie Fighter fand. Unsicherheit darüber, wie sie weiter vorgehen sollte. Neugier, ob Healer mit ihrer Vermutung die Gefühle der Archivarin betreffend, Recht hatte. Auch ein Quäntchen Furcht war dabei. Nicht, weil Fighter ein Problem damit gehabt hätte wenn Chaser tatsächlich romantisches Interesse an ihr gehabt hätte, sondern eher Furcht davor, sich närrisch zu verhalten weil sie die Zeichen falsch gedeutet hatte. Und trotzdem wollten Makers Worte sie nicht loslassen. Ja, es lag in Fighters Hand. Es war an ihr, einen Schritt zu wagen, Chaser aufzusuchen. Zumindest für Healers unangebrachtes Verhalten sollte sie sich entschuldigen, das war der Schwarzhaarigen sonnenklar. Wie sollte sie das allerdings anstellen? Konnte sie einfach tagsüber ins Archiv platzen und um ein Gespräch unter vier Augen bitten? Sie würde die Prinzessin fragen müssen, ob sie sie für diesen Zeitraum freistellte. Kakyuu würde, sobald sie den Grund erfuhr, gewiss keine Einwände haben. Das war also kein sonderliches Hindernis. Nein, die Schwierigkeit lag allein bei Fighters innerem Schweinehund. Obwohl sie sich verpflichtet fühlte, die Dinge richtig zu stellen vermochte sie nicht, sich dazu zu überwinden. Es war wirklich zum Haare raufen! Indessen hatte Fighter, ohne es zu merken, Gesellschaft bekommen. Maker hatte ihre Schwester eine Weile sorgenvoll beobachtet, wobei ihr nicht entgangen war, dass Fighter einen inneren Kampf ausfocht, der ihr an die Substanz zu gehen schien. Schließlich hatte die Brünette genug davon. Ungefragt ließ sie sich neben ihrer Schwester auf der Bank nieder. "Du solltest wirklich mit ihr reden.", kam sie ohne Umschweife zur Sache. Gewöhnlich war Maker nicht so direkt, in diesem Fall hielt sie es jedoch für die einzig angebrachte Methode, um Fighter dazu zu bewegen, endlich tätig zu werden. Immerhin ging dieser Affenzirkus schon einige Tage so. "Erschreck mich doch nicht so!", maulte Fighter, die erschrocken zusammengezuckt war, weil ihre Schwester sie so unvermittelt angesprochen hatte. Damit hatte sie nicht gerechnet und sich dementsprechend ziemlich verjagt. Maker hatte zwar Recht mit ihrer Aussage, doch das wollte Fighter momentan nicht einsehen, obwohl es ihr selbst klar war. "Stell dich nicht so an.", erwiderte Maker vollkommen ungerührt, ehe sie anfügte: "Ich begreife nicht, was dich hindert. Es ist doch nichts dabei, ins Archiv zu gehen und das Gespräch zu suchen. Auch wenn du wirklich mies darin bist, taktvoll zu sein." Gequält verzog Fighter das Gesicht. Es stimmte ja. Trotzdem wollte sie so etwas nicht hören. "Und was wenn alles ein Missverständnis war?" Jetzt verdrehte Maker genervt die Augen. Am liebsten hätte sie ihre Schwester geschüttelt. Vielleicht brachte sie das ja wieder zur Vernunft. "Dann wird ein Gespräch genau die Möglichkeit sein, das herauszufinden. Es verlangt doch niemand von dir, sie vom Fleck weg zu heiraten oder Sonstiges. Reiß dich gefälligst zusammen." Die unverhohlene Strenge in Makers Stimme ließ keinerlei Zweifel daran, was die Brünette über die Situation dachte. Nur zu gern hätte Fighter sich in einem Erdloch verkrochen. oder sonst irgendwo, wo sie ungestört war. Aber das ging nicht. Zumal Maker Recht hatte. Es war nur eine simple Unterhaltung. Nichts, wovor man sich fürchten müsste. Und doch machte die Aussicht auf ein solches Gespräch Fighter unheimlich nervös. "Komm schon. Chaser wird dir wohl kaum den Kopf abreißen, oder?", versuchte Maker die Situation etwas aufzulockern. Fighter schnitt eine Grimasse. Nein, das würde wahrscheinlich nicht passieren. "Gib dir einen Ruck. Es wird dir viel besser gehen, wenn du es hinter dich gebracht hast." Das stimmte allerdings. Selbst Fighter musste das einsehen. Sie seufzte leise und so als trüge sie die Last des Universums auf ihren Schultern. "Du hast ja Recht.", nuschelte die Schwarzhaarige in ihren nicht vorhandenen Bart. Damit war die Sache wohl entschieden. Mit hochrotem Kopf und brennenden Tränen in den Augenwinkeln verbarg Chaser sich hinter einem hohen Regal. Ihr schlug das Herz bis zum Hals, laut donnernd rauschte ihr das Blut in den Ohren. Ihre Knie waren weich und wabblig, sie befürchtete jeden Moment, dass sie unter ihr nachgeben würden. Jetzt nur keinen Mucks machen, damit man sie nicht entdeckte. Dies war der dritte Tag in Folge an dem sie sich versteckte, um einer unliebsamen Begegnung zu entgehen. Aus welchen Gründen auch immer hatte Fighter sich in die Bibliothek verirrt. Vorgestern wäre Chaser beinahe der Stapel Bücher aus den Händen gefallen, welchen sie in die entsprechenden Regale einzusortieren gedachte. Glücklicherweise konnte sie sich noch gerade eben fangen und so abbiegen, dass Fighter sie keinesfalls entdecken konnte. Bestimmt zwanzig Minuten hatte sie sich dort versteckt mit klopfendem Herzen und einem bangen Gefühl. Später hatte eine Kollegin ihr mitgeteilt, dass jemand nach ihr gefragt hatte. Das hatte es nicht unbedingt leichter gemacht. Chaser war dabei die Neugier im Blick der Anderen nicht entgangen, doch sie hatte keinerlei Anstalten gemacht, diese in irgendeiner Art und Weise zu befriedigen. Am Vortag hatte Chaser die Bibliothek für die Mittagspause verlassen wollen, musste sich dann jedoch in die tiefsten Tiefen des Archivs zurückziehen, um von Fighter, die wieder aufgekreuzt war, nicht entdeckt zu werden. Die gesamte Pause über hielt Chaser sich dort verborgen. Natürlich war das kindisch, wie sie sehr wohl wusste. Dennoch brachte sie es irgendwie nicht über sich, Fighter zu begegnen. Dafür gab es keinen rationalen Grund, es war Angst, die Chaser dazu bewog, die Flucht anzutreten. Ewig konnte es natürlich nicht so weiter gehen. Aber sie hoffte inständig, dass Fighter irgendwann aufgeben würde, weil ihr das Versteckspiel zu blöd wurde. Tja, noch sah es nicht danach aus. Und heute war ihr das Glück hoffentlich noch einmal hold, so dass sie nicht mit Fighter würde sprechen müssen. Chasers Kolleginnen hatten allerdings die Nase voll davon, dass die Blondine sich jedes Mal verkrümelte, zumal es nicht so wirkte als würde Fighter sich von zwei Rückschlägen ins Bockshorn jagen lassen. So kam es, dass Dreamer, eine Kollegin von Chaser, Fighter durch die Bibliothek führte bis sie Chaser endlich ausfindig gemacht hatte. Kommentarlos schob Dreamer die Schwarzhaarige beinahe schon in Chasers Richtung, ehe sie sich taktvoll und diskret zurück zog. Chaser allerdings verspürte wieder einmal einen überragenden Fluchtdrang. Da sie aber nicht besonders sportlich war und ihre Kleidung sowieso kein Rennen zuließ endete ihr kurzer Sprint ziemlich schmerzhaft, indem sie stolperte und ihre Knie mit dem Boden der Bibliothek Bekanntschaft schlossen. Wild entschlossen, zu entkommen, rappelte sie sich wieder auf, witschte um eine Ecke und stand nun hinter besagtem Bücherregal, in der Hoffnung, Fighter abgeschüttelt zu haben. Chasers Knie brannten und pochten. Die Tränen in ihren Augenwinkeln waren dem Schmerz geschuldet, drohten jeden Moment über ihre Wangen zu rollen. Verdammt. Musste denn alles schief gehen? Gerade, wo sie sich damit abgefunden hatte, keine Chance zu haben. Was konnte Fighter nur von ihr wollen? Warum ließ sie sie nicht einfach in Ruhe, so dass sie ihre Wunden lecken konnte? Leise schniefte Chaser. Das Leben war manchmal wirklich verdammt ungerecht. Kapitel 7: Book of Dreams III ----------------------------- Letzte Nacht habe ich geträumt, dass ich Fighters Haar kämme. Sie trug es offen statt zu einem Zopf gebunden und es fiel ihr wie ein schwarz-glänzender Vorhang über den Rücken. Es war unheimlich weich. Am liebsten hätte ich meine Finger ewig darin versenkt. Doch ich hatte eine Bürste in der Hand, mit welcher ich die Haarpracht kämmte, obwohl sie es eigentlich nicht nötig hatte, was sicher daran liegt, dass Fighter gewöhnlich einen Zopf trägt. Trotzdem ließ sie zu, dass ich es kämmte. Nachdem ich damit fertig war, legte ich die Bürste zur Seite, konnte aber der Versuchung nicht widerstehen, mit den Fingern daran herumzuspielen. Strähne um Strähne ließ ich durch meine Finger gleiten, ehe ich sie vollkommen in der schwarzen Pracht versenkte. Es hätten genauso gut Federn eines Raben sein können, so seidig wie sie waren. Die Farbe stimmte jedenfalls mit dem Gefieder eines solchen Vogels in überraschend hohem Maße überein. Ich frage mich, ob Fighters Haar sich in Wirklichkeit ebenso anfühlt wie in meinem Traum... aber das werde ich vermutlich niemals in Erfahrung bringen. Irgendwann, als ich dann doch genug davon hatte, mich mit Fighters Haar zu verlustieren und mich stattdessen neben sie setzte, lächelte sie mich schief an - so wie nur sie es kann. Mir wollte das Herz in der Brust fast zerspringen, so sehr bebte es. Inzwischen hatte sie die Bürste zur Hand genommen. "Jetzt bin ich an der Reihe.", sagte sie und ohne auf meine Zustimmung (oder meinen Protest) zu warten rutschte sie hinter mich, löste die kleinen Schleifen in meinem Haar, so dass es offen über meinen Rücken fiel und begann mit der Haarpflege. Vor Genuss schloss ich die Augen, seufzte wohlig. Es fühlte sich einfach wahnsinnig gut an. Ewig hätte es von mir aus andauern können. Leider kam Fighter irgendwann zum Ende. Es gab ein leises Geräusch als sie die Bürste weglegte. Doch statt sich neben mich zu setzen, so wie ich es zuvor getan hatte, schlang sie ihre Arme von hinten um mich. Fest und sicher umfingen sie mich. Der schönste Ort in allen Galaxien zusammen genommen. Es kann keinen Besseren geben. Wohlige Wärme breitete sich in mir aus, ich seufzte erneut während ich mich ein wenig zurücklehnte, um Fighter zu zeigen, dass ich nichts dagegen hatte. Ihr warmer Atem strich an meiner Ohrmuschel entlang, verursachte mir Gänsehaut. Wieder seufzte ich auf. Meine Augen hatte ich noch immer fest geschlossen. Dieser Moment war so unheimlich perfekt, so wunderbar, dass mir bei der Erinnerung daran ganz mulmig wird. Mit jedem Tag, der vergeht, sehne ich mich nur mehr und mehr nach Fighter. Es zerreißt mich manchmal fast wie sehr ich mich zu ihr hingezogen fühle - und doch kann ich es ihr niemals sagen. Warum bin ich nur mit diesen Gefühlen gestraft? Ich begreife einfach nicht, wie das sein kann. Ich kenne sie doch gar nicht wirklich; obwohl man sehr schnell etwas über sie erfährt, so umtriebig wie sie zu sein scheint... Aber das tut jetzt ohnehin nichts zur Sache, ich sollte mit dem Niederschreiben des Traums weiter machen ehe die Erinnerung sich verflüchtigt. Fighter hielt mich also in ihren Armen, schweigend zunächst, untätig, doch das währte nicht lange. Obwohl es wie eine kleine, sehr angenehme Ewigkeit erschien, ergriff sie irgendwann das Wort. Inzwischen war sie dazu übergegangen, mich zu liebkosen, was mich völlig gefangen nahm. Ihre Finger waren so sanft, so zärtlich. Sie gab mir damit das Gefühl, ihr unheimlich wertvoll zu sein. Ich hätte mich verlieren können in diesen Berührungen. Fighter raunte mir Zärtlichkeiten ins Ohr von denen ich niemals zu träumen gewagt hätte. Wie schön ich wäre sagte sie mir (und da Schönheit nun einmal im Auge des Betrachters liegt, konnte ich dagegen kaum etwas sagen. Außerdem... wer möchte so etwas nicht von der Frau hören, die man liebt?), wie gern sie mich hätte, wie sehr sie meine Nähe genösse und noch vielerlei andere Dinge in diese Richtung. Ich wusste vor Verlegenheit gar nicht, was ich sagen sollte, also schwieg ich, was Fighter jedoch nicht im mindesten zu stören schien. Wahrscheinlich war es ihr lieber so - aber wer kann das schon sagen? Man kann einem Anderen immer nur vor den Kopf schauen, nicht hinein. Obwohl ich zugeben muss, dass ich allzu gern wüsste, was in Fighters so herumgeht. Schließlich sagte sie nichts mehr. Einen Augenblick lang herrschte lediglich Schweigen um uns herum. Es war überraschend angenehm und ich ohnehin so entspannt, dass ich ewig so hätte verharren mögen. Irgendwann war dieser Moment jedoch vorbei. Fighter schob sehr behutsam mein Haar über meine linke Schulter, so dass mein Hals nicht länger von blonden Strähnen bedeckt war. Ihre Lippen streiften sanft wie Schmetterlingsflügel über meine Haut. Ich bekam eine heftige Gänsehaut, wenn auch wohliger Natur. Mein Herz schlug so schnell als wolle es in meiner Brust zerspringen. In diesem Moment wusste ich, dass es nichts Besseres geben kann im Universum als das. Bevor sich die Dinge weiter entwickeln konnte wachte ich leider auf. Doch der Nachhall des Traums haftet weiterhin in meinen Gedanken. Wenn ich die Augen schließe sehe ich alles wieder ganz deutlich vor mir, ja, ich könnte sogar schwören, die Berührungen noch spüren zu können. Mir wird ganz mulmig bei der Erinnerung daran. Zu schade, dass es für immer Träume bleiben werden, niemals mehr... Kapitel 8: Das retadierende Moment ---------------------------------- Wie vor den Kopf geschlagen stand Fighter in dem Gang, in welchem sie die blonde Archivarin gefunden hatte und die daraufhin fast panisch die Flucht ergriffen hatte. Sie begriff nicht, weshalb Chaser so erpicht darauf schien, nur ja nicht in ihre Nähe zu kommen. Ob Maker sich geirrt hatte und es am Ende gar nicht sie, Fighter, war, an der die Blondine ein Interesse welcher Art auch immer hatte? Was, wenn dieses Abhauen bedeutete, dass Chaser deutlich machen wollte, dass sie sie in Ruhe lassen sollte? Vielleicht hatte sie in die Gärten geschaut und sie nur zufällig angestarrt weil Maker, Healer und sie selbst zufällig vorbei gekommen waren. Oder sie hatte gehofft, einen Blick auf Prinzessin Kakyuu erhaschen zu können. Es gab so viele Möglichkeiten... und obwohl Fighter nicht behaupten konnte, dass sie sich Hals über Kopf in Chaser verliebt hätte, so schmerzte es doch, dass diese ganz offensichtlich kein Wort mit ihr wechseln wollte. Ein Kloß bildete sich in der Kehle der Schwarzhaarigen während sich ihre Hände unwillkürlich zu Fäusten ballten. Wie ein Kaleidoskop wirbelten die Gedanken durch ihren Kopf, doch keinen konnte sie festhalten und näher betrachten. Es half einfach nichts. Sie musste sich zusammen reißen. Vor allem aber musste sie eine Entscheidung treffen. Wollte sie Chaser folgen, die inzwischen wer weiß wo zwischen den Regalen verschwunden sein konnte oder wollte sie aufgeben und die ganze Sache auf sich beruhen lassen? Fighter wusste es nicht so recht. Wenn sie ging ohne das Missverständnis aufgeklärt zu haben würde Maker ihr vermutlich (und zurecht) gehörig den Kopf waschen. Maker mochte zwar relativ gleichgültig, unnahbar und kühl auf ihre Umwelt wirken und nicht den Eindruck machen als würden zwischenmenschliche Beziehungen sie sonderlich interessieren, doch das war nicht ganz richtig. Sie selbst war vielleicht nicht erpicht darauf, eine Romanze mit jemandem einzugehen, aber das bedeutete nicht, dass sie keinen Anteil daran nahm, wenn ihre Schwestern es anders handhabten. Obwohl Fighter zugegebenermaßen kein Kind von Traurigkeit war, was zwanglose Affären anging, zumal sie oft und gern flirtete und schon so manches Mal einen falschen Eindruck vermittelt hatte. Bei Chaser konnte das allerdings kaum der Fall sein. Immerhin hatte sie bis zu dieser Begegnung in den Gärten nicht einmal von der Archivarin gewusst. Fighter seufzte, noch immer unschlüssig, was ihr Vorgehen anbelangte. Was sollte sie nur tun? Sie konnte Chaser doch nicht bedrängen, wo diese augenscheinlich keinen Wert darauf legte, mit ihr zu sprechen. Andererseits war es gut möglich, dass Healers Worte die Blondine dermaßen verunsichert hatten, dass sie sich einfach nicht anders zu helfen wusste. Was, wenn sie glaubte, dass Healer in Fighters Auftrag gehandelt hatte? "Das würde zumindest erklären, warum sie davon gelaufen ist.", murmelte Fighter in ihren nicht vorhandenen Bart. Sie seufzte erneut. Für heute konnte sie ohnehin nichts mehr ausrichten, denn ihre Mittagspause war vorbei und sie musste in den Palast zurückkehren, um ihre Pflicht gegenüber der Prinzessin wieder aufzunehmen. Aber, und das nahm sie sich fest vor, sie würde es in den kommenden Tagen weiter probieren. Solange bis sie es schaffte, Chaser zu fassen zu kriegen und diese unangenehme Angelegenheit aus der Welt zu schaffen. Zufrieden mit diesem Entschluss drehte Fighter sich um, kehrte der Bibliothek den Rücken und begab sich zurück an ihren Arbeitsplatz. Doch für den Rest des Tages kreisten ihre Gedanken um Chaser, nicht um die Sicherheit der Prinzessin. Kakyuu entging keinesfalls die geistige Abwesenheit Fighters, allerdings verlor sie darüber kein Wort. Nicht bis zum Abend zumindest. Es war an diesem Tag Makers Nachtwache und während Kakyuu sich hinter einem Paravent für das zu Bett gehen richtete, inquirierte sie bei Fighters Schwester nach dem Grund für die offensichtliche gedankliche Abwesenheit. Obwohl Maker zunächst eher widerwillig Auskunft gab erzählte sie ihrer Prinzessin die ganze Geschichte schlussendlich doch. Letztlich konnte sie sich kaum weigern. Kakyuu war ihr immerhin hierarchisch überlegen. Ganz abgesehen davon war ja auch Maker nicht entgangen, wie sehr die Sache Fighter zu beschäftigen schien. Kakyuu einzuweihen war daher wohl das Vernünftigste. Zumindest war das der Schluss, zu welchem Maker kam ehe sie begann, die Prinzessin teilhaben zu lassen an den jüngsten Ereignissen. Kakyuu, inzwischen in ihr Nachtgewand gekleidet und die langen, roten Haare zu einem dicken Zopf geflochten, hörte sich das Ganze schweigend an, wobei sie sich ihre eigenen Gedanken machte. "Und Fighter ist nun also unsicher, wie sie weiter vorgehen soll, nehme ich an?" Es war halb eine Frage, halb eine Feststellung, welche die Rothaarige äußerte. Mittlerweile saß sie auf dem Bettrand, ihre diensthabende Leibwächterin ernst musternd. Maker nickte, fügte dann aber an: "Ich habe ihr geraten, Chaser in der Bibliothek aufzusuchen und mit ihr das Gespräch zu suchen. Bisher hat Fighter jedoch keinen Erfolg vorweisen können. Das ist der Grund, weshalb sie heute so in sich gekehrt war, denke ich." Einen Moment blickte Kakyuu ins Leere, blinzelte einige Mal und war wieder in der Gegenwart angekommen. "Nun, ich kann nicht behaupten, dass ich diese Archivarin kenne, obwohl sie ebenso meine Untertanin ist wie alle anderen Bewohner Kinmokus. Doch mit der Obersten Archivarin bin ich durchaus vetraut. Ich werde einige Erkundigungen einziehen was Chaser anbelangt. Es muss doch irgendwie möglich sein, ein Gespräch zwischen Fighter und ihr in die Wege zu leiten." Maker lächelte schwach. Einen ähnlichen Gedanken hatte sie selbst gehabt. Leider sah es so aus als würde sich dieses Vorhaben sehr viel schwerer gestalten als man annehmen wollte. Zum Einen musste man Chaser erst einmal dazu bewegen, Fighters Gegenwart nicht zu meiden. Zum Anderen war dies wohl ein Gespräch, welches am besten an einem privaten Ort stattfand, was bedeutete, dass die Bibliothek ein denkbar schlechter Platz war. "Das habe ich ja versucht, Prinzessin. Doch wie es scheint möchte Chaser gar nicht, dass es zu einer Unterhaltung mit meiner Schwester kommt.", bemerkte die Brünette widerstrebend. Kaykuu quittierte diese Anmerkung mit einem Stirnrunzeln, sagte jedoch nichts darauf, was Maker zum Anlass nahm, fortzufahren. "Ich denke, ich weiß auch den Grund dafür." - "So? Dann erleuchte mich.", kam prompt die Aufforderung seitens des Rotschopfes. "Es wird an den Dingen liegen, die Healer zu Chaser sagte. Sie wird Healer geglaubt haben. Vielleicht dachte sie auch, dass Healer für Fighter gesprochen hat und dass Fighter nun plötzlich Tag um Tag in der Bibliothek erscheint und nach ihr fragt dürfte sie ziemlich verunsichern." Langsam nickte Kakyuu, die diese Erklärung für sehr plausibel hielt. Innerlich allerdings schüttelte sie den Kopf. Wie es aussah würde sie ein ernstes Gespräch mit Healer führen müssen, deren Beschützerinstinkt manches Mal mit ihr durchging. Dies schien wieder ein Fall davon zu sein. Ganz abgesehen davon hatte Healer kein Recht dazu, sich in die Angelegenheiten ihrer Schwester einzumischen, selbst wenn sie nur das Beste für sie im Sinn hatte. Nicht, dass Kakyuu so naiv gewesen wäre in Healer eine Altruistin zu sehen, denn das war sie beileibe nicht. Sie wusste die Kleinste ihrer Leibwächterinnen jedoch dennoch zu schätzen. Niemand, darüber war Kakyuu sich im Klaren, würde sie jemals so leidenschaftlich verteidigen wie Healer. Nicht einmal Fighter und Maker, obwohl auch sie für ihre Prinzessin im schlimmsten Fall zu sterben bereit waren, wie Kakyuu sehr wohl wusste. "Das klingt in der Tat sehr logisch.", bemerkte die Prinzessin, aus ihren Gedanken aufgeschreckt, weil ihr einfiel, dass Maker sicherlich eine Antwort auf ihre Theorie haben wollte. "Bleibt zu überlegen, wie man es einrichten kann, dass beide zusammen kommen, um dieses Missverständnis zu beseitigen ohne dass Chaser die Möglichkeit hat, sich vorher zu verstecken, um dem Gespräch zu entgehen.", fügte der Rotschopf nachdenklich an. Inzwischen hatte sie sich unter die Decke gekuschelt und war in die Mitte ihres Himmelbetts gerückt. "So ist es. Es muss eine Möglichkeit geben.", stimmte Maker zu. Sie hatte sich zwar bereits das Hirn darüber zermatert, war jedoch noch zu keinem zufrieden stellenden Ergebnis gekommen, was sie enorm wurmte. Immerhin konnte sie sich einer sehr hohen Intelligenz rühmen, die sie bisher noch nie im Stich gelassen hatte. Außer Fighter befleißigte sich mal wieder ihrer Bauernschläue, die sie wo auch immer her hatte. Jedenfalls stand eindeutig fest, dass die Situation, so wie sie war, nicht bleiben konnte. Es musste sich etwas ändern. Nicht nur um Fighters Willen, sondern vor allem weil auf Dauer die Sicherheit der Prinzessin durch diese Gedankenlosigkeit gefährdet wurde. Und das durfte schlichtweg nicht sein. Mehrere Tage vergingen an denen sich nichts Nennenswertes ereignete. Davon abgesehen, dass Fighter weiterhin erfolglos versuchte, mit Chaser ein klärendes Gespräch zu führen. Ihre Misserfolge führten zu einer ziemlichen Frustration, die Fighter deutlich an Healer auszulassen begann, die in den Augen der Schwarzhaarigen ja die Wurzel allen Übelns war. Immerhin waren es ihre unqualifizierten Äußerungen gewesen, die Chaser so verletzt hatten. Fighter wusste nach wie vor nicht besonders viel über die Archivarin, obwohl sie begonnen hatte, Kolleginnen der Blondine auszufragen. Leider konnten diese ihr auch keine großen Auskünfte geben, von einigen wenigen grundlegenden Informationen einmal abgesehen. So brachte Fighter zwar in Erfahrung, wo Chaser wohnte und dass sie nicht mehr bei ihrer Familie lebte, dass sie mit Büchern anscheinend besser zurecht kam als mit menschlichen Wesen und dass Chaser jemand war, der es vermied, mit Anderen in Kontakt zu kommen, wenn es ihr möglich war, doch mehr als das konnte sie nicht herausfinden. Niemand konnte Fighter sagen, was Chaser gern in ihrer Freizeit tat ("Ich nehme an Lesen, was sonst?") oder ob es bestimmte Orte gab, die sie außerhalb ihrer Arbeit häufiger aufsuchte ("Darüber weiß ich nichts, tut mir leid."). Der Konsens schien zu sein, dass Chaser zuverlässig und kompetent war wenn es um die Arbeit ging, dass man ansonsten aber kaum etwas von ihr mitbekam, weil sie sich so ruhig verhielt. "Manchmal kommt es einem so vor als würde sie mit der Umgebung verschmelzen und sich einfach unsichtbar machen.", teilte Dreamer Fighter mit, schien aber genervt von der Fragerei zu sein. Toll. Das brachte Fighter auch nicht weiter. Zumal sie sich zu fragen begann, wieso sie eigentlich so hartnäckig war. Sie konnte die Sache genauso gut auf sich beruhen lassen, da Chaser ja anscheinend kein Interesse daran hatte, ihr Gehör zu schenken. Andererseits war Fighter nicht der Typ, der einfach aufgab, nur weil es schwierig wurde. Tatsächlich spornte sie das irgendwie an, was wohl an ihrer angeborenen Sturheit liegen musste. Irgendwann, das schwor sie sich, würde sie Chaser zu fassen bekommen und dann würde diese ihr einfach zuhören müssen. Etwas Anderes würde Fighter nicht zulassen. Auch wenn es vorerst so aussah als würde es nicht dazu kommen. Seufz. Natürlich gab es noch andere Möglichkeiten, Kontakt mit der Archivarin aufzunehmen, wie Fighter sehr wohl bewusst war. Allerdings bestand dann die Gefahr, dass irgendetwas dabei schief ging. Ein Brief wäre zwar an und für sich bequem, aber Fighter war keine Wortakrobatin. Zumal Chaser den Schriebs vielleicht nicht einmal öffnete, geschweige denn las oder darauf reagierte. Genauso gut konnte Fighter ihre Botschaft auch einer anderen Angestellten der Bibliothek anvertrauen, die Chaser diese mündlich überbrachte. Hierbei bestand allerdings die Gefahr, dass die Überbringerin der Nachricht etwas durcheinander brachte und nicht den genauen Wortlaut wiedergab, den sie von Fighter zuvor gehört hatte. Ganz abgesehen davon hatte Fighter kein gesteigertes Interesse daran, dass mehr Leute als unbedingt nötig von der Sache Wind bekamen. Diskretion mochte gewöhnlich nicht Fighters herausragendeste Eigenschaft sein, in diesem Fall hielt sie es jedoch für angebrachter, sich so bedeckt wie irgend möglich zu halten. Vor allem auch weil sie Healer keine weiteren Gelegenheiten geben wollte, gegen Chaser zu wettern oder gar vorzugehen, nur weil sie sich von ihr bedroht (oder was auch immer) fühlte. Zum Anderen wollte Fighter gern vermeiden, dass die Prinzessin etwas von der Angelegenheit erfuhr. Dass es dafür längst zu spät war ahnte die Schwarzhaarige zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht. Eine weitere Möglichkeit wäre Chaser unter einem Vorwand durch eine gefälschte Nachricht irgendwohin zu locken, doch das erschien Fighter zu intrigant. Sie zog es vor, die Dinge auf direktem Wege zu klären. Was noch übrig ließ, Chaser nach deren Feierabend vor der Wohnung aufzulauern. Aber auch das schied aus, denn im Zweifelsfall machte Fighter sich damit das Leben nur noch schwerer als es schon war. Nein, sie musste wohl oder übel entweder aufgeben, kurzzeitig pausieren oder den Stier bei den Hörnern packen und bei Chasers nächster Flucht direkt nachsetzen, um sie nicht entwischen zu lassen. Einen anderen Weg gab es einfach nicht, auch wenn das bedeutete, dass Fighter ein gewisses Maß an Geduld aufbringen musste. Dabei war allgemein bekannt, dass Geduld nicht gerade eine ihrer Stärken war. Nein, das war eher Makers Fachgebiet, nicht Fighters. Sie war auch die Impulsivste des Trios, handelte oft erst und dachte danach an die möglichen Konsequenzen wenn es längst zu spät war, die Situation irgendwie zu retten. 'Eines steht fest... mit Chaser darf mir das nicht passieren.', schoss es Fighter durch den Kopf. Kaum hatte sie das gedacht griff sie sich an die Stirn. Wo zur Hölle war das denn hergekommen? Wieso dachte sie so über einen Menschen, den sie im Grunde genommen nicht kannte und der, seinem Verhalten nach zu urteilen, nicht das geringste Interesse daran hatte, dies zu ändern? Eine gut Frage - auf die Fighter jedoch keine Antwort wusste. Ihr Beschluss war einfach eine Tatsache. So war es und sie würde alles daran setzen, damit es so ausging, wie sie sich das vorstellte. Was letztendlich daraus wurde konnte natürlich niemand sagen, aber solange diese Sache nicht geklärt war würde sie keine Ruhe haben und das ging nicht. Also musste sie, koste es, was es wolle, dran bleiben. Hartnäckigkeit zahlte sich für gewöhnlich aus. Wie es so schön? Steter Tropfen höhlt den Stein. Blieb abzuwarten, ob sich diese Binsenweisheit im Hinblick auf Chaser ebenfalls bestätigen würde. Kapitel 9: Offenbarung ---------------------- Einmal jährlich fand ein Fest zu Ehren von Prinzessin Kakyuus Geburtstag statt. Ihre Eltern hatten es eingeführt, schon am Tag ihrer Geburt, um zu feiern, dass sie Nachwuchs bekommen hatten. Je älter Kakyuu wurde und je eher ersichtlich wurde, dass sie das einzige Kind des königlichen Paares bleiben würde, desto pompöser und grandioser wurden auch die Feierlichkeiten. Wenn man nur eine Tochter hat, macht es nichts, Unsummen für einen Tag im Jahr aus dem Fenster zu werfen, um den Abschluss eines weiteren Lebensjahres dieses Kindes gebührend zu feiern. Kakyuu war das Ein und Alles ihrer Eltern, wie sie sehr wohl wusste. Obwohl sie die Regentschaft noch nicht angetreten hatte (das würde sie tun, sobald ihre Mutter abdankte oder, was der Himmel verhüten mochte, aus dem Leben schied) war die Prinzessin bereits in die Pflichten eingewiesen worden, die sie einmal als Königin zu erfüllen haben würde. Feste zu organisieren war noch der einfachste und angenehmste Teil dieser Aufgaben. Sich hingegen mit den Finanzen des Königreichs zu befassen nicht so sehr. Dafür gab es zwar Berater, dennoch musste eine Königin immer über alles im Bilde sein. So wie Kakyuus Mutter und ihre Mutter vor ihr und so weiter. Glücklicherweise durfte das Finanzwesen für's Erste in den Hintergrund rücken, denn es war wieder einmal so weit, dass Kakyuus Geburtstag bevorstand und damit auch das Fest. Da die Prinzessin in diesem Jahr endlich die Volljährigkeit erlangte (was sie, sollte ihren Eltern etwas zustoßen, dazu befähigte, den Thron zu besteigen ohne einen Vormund zu haben) besaß dieses spezielle Fest jedoch einen, wenigstens für Kakyuu, faden Beigeschmack. Sie war nun alt genug, eine Ehe zu schließen. In den vergangenen Jahren hatten bereits mehrere Bewerber um die Hand des Rotschopfes angehalten, es war allerdings nie zu einer Verlobung gekommen, da Kakyuu entweder keinen Gefallen an den Kandidaten gefunden oder sich damit herausgeredet hatte, dass sie noch zu jung war, um sich Gedanken über eine Heirat zu machen. Jetzt konnte sie dieses Argument nicht mehr vorbringen. Eine Tatsache, die ihr nicht unerhebliches Kopfzerbrechen bereitete, da ihr Herz schon an einen Menschen verschenkt war, der davon allerdings nichts zu ahnen schien. Und das war auch gut so. Sie war nun einmal eine Prinzessin. Prinzessinnen hatten nicht das Recht, nicht die Freiheit, ihrem Herzen zu folgen. In erster Linie lag ihre Pflicht bei ihrem Volk. Sie musste ihre Gefühle um ihrer Untertanen willen zurückstellen, was Kakyuu jedoch zusehends schwerer fiel. Es kam nicht eben selten vor, dass sie sich wünschte, so frei wie andere Mädchen sein zu können, die nicht von königlichem Blut waren. So wie Fighter zum Beispiel. Fighter, die sich verlieben durfte, in wen immer sie wollte (obwohl, wie Kakyuu sehr wohl wusste, Verliebtheit nichts mit Willenskraft zu tun hatte), ganz gleich welchen gesellschaftlichen Rang dieser Jemand bekleidete und egal welchen Geschlechts diese Person war. Das hieß nicht, dass es keinen Widerstand gegen eine Verbindung mit jemandem von deutlich niedrigerer, gesellschaftlicher Herkunft geben konnte, nur, dass letztendlich niemand Fighter verbieten konnte, wen auch immer als Partner zu wählen. Kakyuu hingegen musste ihre Wahl von der Kongregation, welche aus den royalen Beratern und Ministern bestand, absegnen lassen. Wurde sie nicht genehmigt konnte sie diese Person nicht ehelichen. Es gab strenge Regulationen, die bestimmten, wer als Ehepartner für ein Mitglied der königlichen Familie von Kinmoku in Frage kam und wer nicht. Zu Kakyuus äußerstem Bedauern zählte der Mensch, dem sie ihr Herz geschenkt hatte, nicht zum erlesenen Kreis dieser Personen. Der Prinz eines der Monde, die Kinmoku umkreisten, leider schon. Seufz. Wer immer behauptet hatte, dass Prinzessinnen es leicht hatten und sich um nichts sorgen musste, hatte eindeutig nicht die geringste Ahnung davon, wie es war, tatsächlich eine Prinzessin zu sein. Wie an Prinzessin Kakyuus Geburtstag üblich ruhte alle Arbeit. Es war ein allgemeiner Feiertag, den die Bewohner des Planeten nutzen sollten, um Zeit mit ihren Familien und Freunden zu verbringen, eben zu entspannen und zu feiern. Im königlichen Palast würde am Abend ein herrschaftlicher Ball stattfinden, zu dem alles geladen war, was Rang und Namen hatte. Unter Anderem diverse Würdenträger und Personen, die hohe Ämter bekleideten. Darunter befand sich auch die Oberste Archivarin bei der Kakyuu inzwischen Erkundigungen über Chaser eingeholt hatte. Zudem würden auch die royalen Familien der Monde Kinmokus erscheinen. Schon seit Tagen ähnelte der Palast eher einem Bienenstock, solch ein Kommen und Gehen herrschte dort. Trotzdem nahm Kakyuu sich die Zeit, über Fighters Problem nachzudenken und gewisse Schritte einzuleiten. Ohne die Chefin ihrer Leibgarde darüber in Kenntnis zu setzen, natürlich. Einmischung hätte die Schwarzhaarige sicherlich nicht gewollt oder geduldet. Nicht einmal von ihrer Prinzessin. Dafür war Fighter eindeutig zu stolz. Kakyuu konnte ihr das nicht verdenken. Sie wusste bestens Bescheid über die Umtriebigkeit der Schwarzhaarigen und hatte sich noch nie daran gestört, dass Fighter kein Kind von Traurigkeit war, was die ein oder andere knisternde Affäre anging. Wenn doch nur mehr Menschen eine ähnliche Offenheit an den Tag gelegt hätten... wenngleich Kakyuu sich reichlich sicher war, eine ausreichende Menschenkenntnis zu besitzen, um gewisse andere Familienmitglieder Fighters einschätzen zu können. Doch darum ging es nur in zweiter Linie. Wichtiger war, das leidige Missverständnis, welches Healer verursacht hatte, aus der Welt zu schaffen. Da es Fighter bislang nicht gelungen war, sich mit Chaser auszusöhnen (wenn man es denn so nennen wollte) hatte Kakyuu beschlossen, die Dinge einfach selbst in die Hand zu nehmen. Ihr Plan bestand zweierlei Teilen. Zunächst einmal würde sie dafür sorgen, dass Fighter und Chaser sich in einer Situation wiederfanden, die es beiden unmöglich machen würde, sich daraus zu entziehen ohne dabei einen gewaltigen Aufruhr zu verursachen. Außerdem würde Kakyuu mit Healer das Gespräch suchen. Es musste mehr als eine Ursache dafür geben, dass diese die Archivarin so dermaßen angefahren hatte, dessen war Kakyuu sich sicher. Ersteres zu bewirken war nicht sonderlich schwierig. Ein ausführliches Gespräch mit der Obersten Archivarin später hatte Kakyuu es so eingerichtet, dass die von ihr favorisierte Situation zwischen Fighter und Chaser eintreffen würde, ja, sogar musste. Einen Moment war der Rotschopf regelrecht stolz auf ihre Fähigkeiten, in aller Heimlichkeit gewisse Fäden zu ziehen. Auch das eine Eigenschaft, die einer Prinzessin durchaus gut zu Gesicht stand und sich durchaus einmal als äußerst nützlich erweisen mochte. Zweites würde schon ein wenig schwieriger werden, allerdings war Kinmokus Thronfolgerin recht zuversichtlich, was den Erfolg des Ganzen anbelangte. Und so kam es, dass Kakyuu bester Laune war während sie sich unter Healers Aufsicht (und mit ein wenig Hilfe von ihr, obwohl der Prinzessin dafür eigentlich Zofen zur Verfügung standen) für den Ball vorbereitete. An anderer Stelle zauderte Chaser, was ihre Abendgestaltung anbelangte, ob sie es sich erlauben konnte, die verantwortungsvolle Aufgabe, die ihr von der Obersten Archivarin höchstpersönlich aufgetragen worden war, zu umgehen, indem sie vorgab, sich nicht wohl genug zu fühlen, um besagter Aufgabe nachzukommen. Doch da es noch nie vorgekommen war, dass die Oberste Archivarin ausgerechnet Chaser um einen Gefallen gebeten hatte führte daran wohl kein Weg vorbei. Einerseits war sie aufgeregt und freute sich sogar, andererseits konnte sie großen Menschenmengen einfach nichts abgewinnen und allein beim Gedanken daran, am Ball zu Ehren von Prinzessin Kakyuus Geburtstag teilzunehmen, wurde ihr speiübel. Nicht nur, weil sie Angst vor den vielen fremden Menschen hatte, denen sie begegnen würde oder davor, dass sie sich wohl möglich heftig blamieren konnte (wenngleich sie mit der Hofetikette dank intensiver Lektüre bestens vertraut war), sondern vor allem deswegen, weil sie Gefahr laufen würde, Fighter zu begegnen. Selbiges galt für Fighters Schwestern. Healer über den Weg zu laufen war nun wirklich das Letzte, wonach Chaser der Sinn stand. Allerdings hatte die Oberste Archivarin sie kurzfristig gebeten, für sie einzuspringen und sie zu vertreten. Chaser hatte sich so in die Ecke gedrängt gefühlt, dass es ihr gar nicht in den Sinn gekommen war, abzulehnen. Tja, jetzt hatte sie den Salat. Obwohl das dunkelrote Kleid, das sie für genau solche Zwecke im Schrank hängen hatte, sie hämisch anlachte, wog Chaser noch immer das Für und Wider einer solchen Unternehmung ab. Egal, wie sie es drehte und wendete, jedes Mal gelangte sie zu demselben Schluss: sie musste erscheinen, ob es ihr gefiel oder nicht. Mit einem schweren Seufzer, ganz so als lasteten die Sorgen und Nöte des gesamten Planeten auf ihr, überwand Chaser sich schließlich dazu, das Kleid aus dem Schrank zu nehmen. Sie hatte ein ausgiebiges Bad genommen während dessen sie mit sich selbst debattiert hatte - und nicht nur das. Chasers Gedanken waren immer wieder zu Fighter abgedriftet und jedes Mal, wenn das geschah, erhöhte sich ihr Herzschlag drastisch. Zu Chasers maßloser Scham musste sie zudem zugeben, dass sie sich auf höchst unziemliche Art und Weise selbst berührt hatte während sie in wonnige Tagträume versank, die allesamt Fighter und sie als Hauptakteure zum Gegenstand hatten. Dafür hätte sie sich gern selbst geohrfeigt, was sie jedoch unterließ, weil sie sich dabei ziemlich dämlich vorgekommen wäre. Energisch vertrieb sie dafür jeden ungehörigen und anstößigen Gedanken aus ihrem Kopf. Sie hatte keine Zeit für solche Narreteien. Immerhin würde sie einen Ball besuchen, was nicht unerhebliche Vorbereitungen erforderte. Zuerst einmal musste sie aber das Kleid anziehen. Nachdem Chaser sich sorgfältig abgetrocknet hatte machte sie sich daran, sich anzukleiden. Auf Unterwäsche folgte das Kleid, welches bodenlang war, dünne Träger aufwies, die die Schultern zum größten Teil entblößt ließen. Das Kleid war ärmellos, schimmerte tiefrot und erinnerte an dunklen Rotwein. Über dem eigentlichen Rock war eine Woge zusätzlichen Stoffs angebracht, die sich etwa auf Höhe der Taille um den darunter liegenden Stoff schmiegte und dabei höchst adrette Falten warf. Chaser hatte dieses Kleid nur wenige Male bisher getragen, so dass es sich ungewohnt anfühlte, solch einem Anblick im Spiegel ausgesetzt zu sein, obwohl die Archivarin zugeben musste, dass das Kleidungsstück ihrer Figur ausgenommen schmeichelte. Vielleicht würde sie darin ja Fighter gefallen...? "Oh, du dumme Gans!", schalt die Blondine ihr Spiegelbild vorwurfsvoll. Was gab sie sich da nur für hirnrissigen Illusionen hin? Trotzdem musste sie zugeben, dass sie sich in diesem Kleid zwar ein wenig unwohl, aber auch schön fühlte. Deutlich ansehnlicher als in ihrer Alltagskleidung. Leise seufzte sie. Sich im Spiegel anzustarren wie ein Mondkalb brachte sie auch nicht weiter. Also wandte sie den Blick ab, suchte die passenden Schuhe heraus, die im Gegensatz zu dem, was sie sonst an den Füßen trug, sogar einen leichten Absatz aufwiesen und schlüpfte in sie hinein. Anschließend machte Chaser sich daran, ihr Haar zu frisieren. Nach mehreren Versuchen, es hochzustecken oder etwas Anderes damit anzustellen, entschied sie sich stattdessen für die Frisur, die sie immer trug. So würde sie sich wenigstens nicht ganz verkleidet fühlen. Und bei einem Ereignis wie diesem Ball war durchaus etwas wert. Nachdem auch die Frisurenfrage geklärt war legte Chaser das einzige Schmuckstück, welches sie besaß, an. Es handelte sich dabei um eine Halskette, die aus einzelnen Granaten bestand. Diese waren an einem dünnen Goldkettchen in regelmäßigen Abständen aufgereiht und erweckten aus der Ferne den Eindruck als klebten die edlen Stein auf der Haut der Trägerin. Der Größte der Steine baumelte knapp über dem Ansatz von Chasers Brüsten, welchen der V-förmige Ausschnitt des Kleides nicht zu verbergen mochte. Es war das freizügigste Kleidungsstück, das Chaser besaß. Zumindest was den Ausschnitt anbelangte, der jedoch nicht so ausladend war, dass sie sich darin zu unwohl gefühlt hätte. Bis dahin zufrieden mit ihrem Werk warf Chaser sich noch einen weiteren Blick im Spiegel zu. Ja, sie fand sich hübsch. Was eine angenehme Abwechslung dazu war, dass sie ansonsten eher unscheinbar war. Zugegebenermaßen entsprach das im Großen und Ganzen ja auch genau ihrem Willen. Sie war gut darin mit ihrer Umgebung zu verschmelzen, so wie Dreamer es Fighter Tage zuvor geschildert hatte. (Auch wenn Chaser davon natürlich nichts wusste. Sie hatte jegliche Versuche ihrer Kollegin, ein Gespräch über Fighter zu führen, vehement abgebügelt, sehr zum Missfallen Dreamers, die deswegen in der letzten Zeit sehr kühl gegenüber der Blondine gewesen war.) Zur Feier des Tages legte Chaser einige Spritzer Parfum auf - eine Mischung aus Stephanotis, Apfelblüte und Jelängerjelieber, auch unter dem Namen Geißblatt bekannt. So herausgeputzt, fand sie, konnte sie sich im Palast blicken lassen. Noch ein letztes Mal nickte Chaser ihrem Spiegelbild zu, dann verließ sie nicht nur ihr Schlafzimmer, sondern ebenso ihre Wohnung, um sich auf den Weg zu den Feierlichkeiten zu machen, die ihren Höhepunkt gegen Mitternacht in einem gigantischen Feuerwerk finden würden. Es kam selten vor, dass Healer die Gelegenheit bekam das seidig weiche und tiefrote Haar ihrer Prinzessin zu bürsten, weswegen sie es an diesem Abend ganz besonders hingebungsvoll tat. Tatsächlich hatte die Leibwächterin sogar ihre Jadeaugen geschlossen während die Hand mit der Bürste zielsicher durch die Haarmassen glitten, behutsam Knoten entfernten und der Prinzessin wohlige Seufzer entlockten, die ebenfalls ihre Augen nicht geöffnet hatte. Sie genoss diese Zuwendung aus vollem Herzen und wünschte beinahe, Healer käme niemals zum Ende. Leider kam es nach einer ganzen Weile doch dazu. Die beiden jungen Frauen seufzten innerlich bedauernd. Allerdings wäre es ziemlich albern gewesen die Prozedur noch länger als ohnehin schon fortzusetzen. Healer hatte sich bereits mehr als genug Zeit gelassen, wie ihnen beiden bewusst war. Dennoch verharrte die Kleinere der beiden Frauen noch einen Moment, die Bürste in der Hand. Im Spiegel trafen ihre Blicke aufeinander, hielten sich gebannt fest. Es war Healer, die schließlich den Bann brach, indem sie die Bürste auf der Frisierkommode ablegt. Ein schwaches Lächeln zierte ihre Züge, doch ihr wollte nichts einfallen, um das Schweigen zu brechen, obwohl sie die Stille, die sie und Kakyuu umgab, ebenso wie die Prinzessin, alles Andere als unangenehm empfand. Dennoch zermarterte sich die Leibgardistin den Kopf nach etwas Passendem ohne dabei fündig zu werden. Kakyuu war es, die sich ein Herz nahm und das Schweigen beendete. Nur war das Thema nicht eben ein Erquickliches. Es aufzuschieben brachte allerdings herzlich wenig, wie ihr sehr wohl bewusst war. Entweder sprach sie es nun an oder der Moment war unwiderruflich dahin. Ihr blieb also gar keine andere Wahl. Leise räusperte Kakyuu sich, um Healers Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. "Ich hörte, dass es vor einiger Zeit einen Zwischenfall gab?", setzte die Prinzessin mit einer noch recht unverfänglichen Frage an. Healer zuckte zusammen. Sie hatte gehofft, dass Kakyuu niemals von diesem Ereignis hörte, geschweige denn von dem, was im Anschluss daran passiert war. Zu erraten, dass eine ihrer Schwestern mit dem Rotschopf darüber gesprochen haben musste, war nicht sonderlich schwer. Sonst hatte es schließlich niemand mitbekommen. Dessen war Healer sich hundertprozentig sicher. "Das... ist korrekt.", erwiderte die Silberhaarige mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. Ihr war deutlich anzumerken, wie unangenehm ihr das Thema war. Kakyuu war jedoch nicht willens, es ruhen zu lassen. "Magst du mir berichten, was sich zugetragen hat?" Dass dies mehr eine Aufforderung denn eine Bitte war ließ sich nicht leugnen. Stockend erstattete Healer ihrer Prinzessin Bericht. Nachdem sie geendet hatte seufzte Kakyuu leise. Sie wusste es sehr zu schätzen, dass das Mädchen mit den grünen Augen, die so sehr einer Katze glichen, dass es manchmal verblüffend war, sie mit Zähnen und Klauen (um der Analogie treu zu bleiben) verteidigte. Manches Mal aber übertrieb Healer es damit eindeutig, so geschmeichelt Kakyuu sich von diesem Beweis der Zuneigung und Loyalität auch fühlte. "Nun... Maker setzte mich bereits darüber in Kenntnis, dass du einige sehr hässliche Dinge, die ich hier nicht wiederholen möchte, zu Chaser gesagt hast." Eine deutlich wahrnehmbare Strenge lag nun in Kakyuus Stimme, die für gewöhnlich warm, sanft und liebevoll war. Wie ein begossener Pudel ließ Healer den Kopf sinken. Es gefiel ihr überhaupt nicht von ihrer Angebeteten derart getadelt zu werden. Etwas, was ihre ohnehin schon bestehende Abneigung gegenüber Chaser nur noch weiter förderte und nährte. Inzwischen hatte Kakyuu dem Spiegel auf ihrer Frisierkommode den Rücken zugewandt, so dass sie Healer ansehen konnte. "Ich hätte davon sicherlich nicht erfahren wenn mir nicht aufgefallen wäre, dass Fighter in letzter Zeit sehr abgelenkt scheint. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich enttäuscht von dir bin. Ich hatte geglaubt, dass wir vertraut genug miteinander wären, um uns auch solche Dinge zu erzählen." Kakyuu machte eine kurze Pause, in welcher sie Healer mit strengem Blick maß. Diese wäre am liebsten im Boden versunken, obwohl sie es nicht im Mindesten bereute, Chaser diese Dinge an den Kopf geworfen zu haben. Ihrer Ansicht nach war es genau das gewesen, was die Archivarin verdient hatte. Auch wenn sie das einige Gunst seitens der Prinzessin kosten würde, so würde sie, beschloss Healer, nicht einen Jota davon abweichen, dass sie das Richtige getan hatte. "Ich verstehe, dass du dich um Fighter sorgst. Das ist vollkommen natürlich. Sie ist schließlich deine Schwester. Doch du hattest keinerlei Recht, für sie zu sprechen und das arme Mädchen so anzugehen.", setzte Kakyuu an, ohne jedoch sonderlich weit zu kommen, da Healer, die bis dato geschwiegen hatte, ihr erbost dazwischen fuhr. "Es geht hier nicht um meine verdammte Schwester!", fauchte sie. Ihre grünen Katzenaugen funkelten voll wütender Erregung. Erschrocken über diesen Ausbruch weiteten sich die roten Iriden der Prinzessin. "Es ging nie um Fighter, sondern immer nur um Euch! Abgesehen davon, dass diese dumme Blondine doch sowieso nicht Fighters Typ ist. Wenn sie schon eine meiner Schwestern anmachen muss, warum dann nicht Maker? Aber das ist ohnehin vollkommen egal. Ich sage es noch einmal. Es geht hier nicht um Fighter. Um Euch und nur um Euch. Für mich geht es immer nur um Euch, Prinzessin, und - " An dieser Stelle brach Healer ab, deren Zorn zwar noch nicht verraucht war, zudem sich jedoch die Qual von Liebesgefühlen gesellte, die niemals Erwiderung finden konnten. Tränen brannten heiß in den grünen Augen der Leibwächterin während sie gegen einen heftigen Schluchzer und den großen Kloß in ihrer Kehle, der sie am Sprechen hinderte, ankämpfte. Es kostete Healer immense Anstrengung, nicht hilflos in die Knie zu sinken. Viel zu lange schon trug sie diese Gefühle mit sich herum, hatte sie sie vor der Welt verborgen gehalten und sich damit gequält. Kakyuu rührte dieser Anblick zutiefst, so dass ihre Miene jegliche Strenge verlor, sondern weich und mitfühlend wurde. Als Healers Knie nachgaben und sie zu Boden sank, geschüttelt von heftigen Schluchzern, die sie nun einfach nicht mehr zurückhalten konnte, ließ Kakyuu sich von ihrem Hocker rutschen. Sie landete genau neben ihrer Leibwächterin, die sie dicht an sich zog, schützend und liebevoll in ihre Arme zog und in sanfter, tröstender Geste über ihren Rücken streichelte. Auch der Prinzessin standen Tränen in den Augen. Ihr Verdacht hatte sich also bestätigt - und eigentlich hätte sie das zum glücklichsten Mädchen in der ganzen Galaxis machen müssen, was er zu einem Teil auch tat. Aber sie war nun einmal die Thronfolgerin Kinmokus. Trotzdem wollte sie Healers unfreiwilliges Geständnis nicht unkommentiert lassen. Leicht beugte sie sich über das Ohr der Silberhaarigen, sie noch immer an ihrem nur mit einem Unterkleid bedeckten Körper bergend wie ein nach Schutz suchendes Kind. "Wenn ich wählen könnte... Yaten, dann... " Jetzt stockten auch Kakyuu die Worte. In ihrer Kehle hatte sich ebenfalls ein sehr penetranter Kloß gebildet, der es ihr unmöglich machte, sich zu artikulieren ohne dabei in Tränen auszubrechen. Healer aber merkte auf. Es kam nie, wirklich nie, vor, dass Kakyuu sie mit ihrem bürgerlichen Namen ansprach. Überrascht und gleichermaßen irritiert von diesem Bruch mit der herrschenden Etikette hob Healer den Kopf. Es erschreckte und verwirrte sie zutiefst in den schönen, roten Augen ihrer Prinzessin solch emotionalen Aufruhr zu entdecken. Tränen glitzerten darin, die drohten, jeden Moment überzulaufen und die Wangen Kakyuus herab zu rinnen. Ein schwaches und unermesslich trauriges Lächeln lag auf den Lippen des Rotschopfes. Ihre Finger strichen nun sanft über die Healers. "Wenn ich wählen könnte... du... du wärst es...", brachte Kakyuu erstickt hervor, ehe die Gefühle sie überwältigten und sie sich endgültig in bitteren Tränen auflöste. Kapitel 10: Die zertanzten Schuhe --------------------------------- Der Ball, übrigens das gesellschaftliche Ereignis des Jahres, war bereits in vollem Gange als Fighter entdeckte, dass ein ganz besonderer Gast den königlichen Palast mit seiner Anwesenheit beehrte. Tatsächlich klappte der Schwarzhaarigen für einen Moment die Kinnlade herunter während sie Chaser anstarrte wie eine Fata Morgana. Fighter wollte ihren Augen kaum trauen. Das konnte doch unmöglich wahr sein! "Luke zu, es zieht.", kommentierte Maker, die sich beinahe schon in unanständigem Maße über die entgeisterte Miene ihrer Schwester amüsierte, trocken. Fighter klappte den Mund sofort zu. Trotzdem konnte sie nicht glauben, was ihre blauen Augen da sahen. Nach allem, was sie wusste, hasste Chaser solche Menschenaufläufe. Aber hier war sie, im Ballsaal des Palasts, angetan mit einem dunkelroten Kleid, das ihr enorm schmeichelte und Fighter ganz anders werden ließ. Wer hätte gedacht, dass eine solche Wandlung, zumindest kleidungstechnisch, möglich war? Fast schon hingerissen, was Fighter selbst gar nicht fassen konnte, folgte sie der blonden Archivarin mit Blicken. Chaser hatte ihren Kopf gesenkt, die Augen auf den Marmorboden des Ballsaals gelenkt. Offensichtlich hatte sie ihre Abneigung gegen große Menschenansammlungen nicht wundersamerweise abgelegt, sondern empfand diese nach wie vor. In einer Hand hielt die Archivarin ein Glas, welches mit Wein gefüllt zu sein schien. Auf die Entfernung war das nicht auszumachen. Zielstrebig, obwohl sie den Blick auf den Fußboden gerichtet hatte, steuerte Chaser eine Ecke bei den hohen, runden Fenstern an, die den Saal einrahmten. Einige davon fungierten zeitgleich als Terrassentüren, da sie in die Gärten hinaus führten. Diese standen weit offen, um frische Luft herein zu lassen. Doch angesichts der schieren Größe des Saals genügten sie längst nicht, damit die Räumlichkeit gut durchlüftet war. "Wie... wie...", brabbelte Fighter sinnlos vor sich hin. Chaser hatte inzwischen ihr angestrebtes Ziel erreicht, wo sie zwar nicht vollkommen von der Bildfläche verschwand, aber auch nicht im größten Trubel steckte. Es sah ganz so aus als wolle sie den Rest des Abends dort stehen bleiben und stille Beobachterin spielen. Was vollkommene Verschwendung war, wie Fighter fand - nicht, dass man sie nach ihrer Meinung gefragt hätte. "Sie vertritt die Oberste Archivarin.", klärte Maker ihre Schwester auf. Im Vorfeld des Balls hatte Kakyuu die Brünette in ihren Plan eingeweiht, so dass sie, im Gegensatz zu Fighter und Healer, bestens im Bilde gewesen war. Die Feierlichkeit war der perfekte Ort, um eine Aussprache zu ermöglichen. Vorausgesetzt, Fighter ließ sich von Maker in die gewünschte Richtung schubsen. Das konnte man bei dem schwarzhaarigen Wirbelwind nie so genau wissen. Leider. "Wieso denn das?", platzte Fighter heraus, die merklich verwirrt drein schaute. Nicht, dass die Oberste Archivarin sie besonders interessiert hätte. Aber im Moment war sie ihr dankbar, dass sie es nicht geschafft hatte, zu erscheinen. So konnte Fighter vielleicht einen erfolgreicheren Weg finden, um mit Chaser ins Reine zu kommen. "Warum vertritt man jemanden, hm? Komm schon, du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen.", murrte Maker ein wenig ungeduldig. Das gebrummelte 'Ja, ja' seitens Fighter ignorierte sie großzügigerweise. "Wie auch immer, Chaser ist jedenfalls hier und die Oberste Archivarin ist es nicht.", fügte die Brünette drängen hinzu. Als ob Fighter den Wink mit dem Zaunpfahl (das war eigentlich schon ein kompletter Zaun samt Gartentor gewesen) nicht begriffen hätte. Sie warf Maker einen angeknüselten Blick zu, dann straffte sie die Schultern. "Du hast die Situation im Auge und unter Kontrolle?" Ein Nicken war die Antwort. "Dann entschuldige mich, ich habe etwas zu erledigen." Ein weiteres Nicken mit dem Kopf, das Fighter schon nicht mehr mitbekam, da sie sich bereits in Bewegung gesetzt hatte. Zielstrebig hielt sie auf Chaser zu, die sich intensiv mit dem Inhalt ihres Glases zu beschäftigen schien. Aber nicht mehr lange, so viel stand fest. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, herzukommen? Chaser verfluchte sich dafür, dass sie nicht einfach zuhause geblieben war. Dort herrschten Ruhe und Frieden. Dieser ganze Trubel im königlichen Palast zehrte an ihren Nerven, Kopfschmerzen kündigten sich bereits aufgrund der verbrauchten Luft und des Stimmengewirrs an. Um ja niemandes Aufmerksamkeit zu erregen hatte sie sich in einen Bereich des Ballsaals begeben, der von anderen Gästen nicht eben häufig frequentiert wurde. Stur blickte die Blondine in ihr Glas Wein. Es gelang ihr sonst auch immer sehr gut, mit der Umgebung zu verschmelzen. Warum sollte sie das also jetzt nicht ebenfalls schaffen? Leise seufzte die Archivarin. Wenigstens musste sie sich nicht underdressed fühlen. Viele andere Frauen waren noch weit herausgeputzter als sie selbst, was Chaser eher albern als beeindruckend fand. Doch den anwesenden Herren schien es gut zu gefallen. Da der Blondine jedoch nicht der Sinn danach stand, männliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, machte ihr das nichts aus. Das Glück schien ihr heute halbwegs hold zu sein. Bislang war Chaser nämlich weder Healer oder Maker begegnet. Und auch Fighter hatte sie bisher nicht zu Gesicht bekommen, was sie als gutes Zeichen wertete. Unvermittelt schoben sich schwarze, im Licht der Kerzen glänzende Schuhe in ihr Blickfeld. Erschrocken hob Chaser den Blick und stockte. Beinahe fiel ihr das Weinglas aus der Hand, doch ihr Gegenüber erkannte die drohende Gefahr und umging sie, indem ihr schlicht das Gefäß abgenommen und achtlos auf den ausladenden Sockel einer Statue gestellt wurde, die praktischerweise neben ihnen stand. "Wir wollen doch kein Malheur riskieren.", bemerkte besagte Person unanständig gut gelaunt mit einem unverwechselbaren, schiefen Grinsen, das Chaser weiche Knie verursachte. Stumm schüttelte sie langsam den Kopf, beruhigt, dass sie nicht ganz so gelähmt von dem Schock war, wie sie befürchtet hatte. Nur um ihre Zunge schien es schlecht bestellt zu sein. Diese versagte ihr eindeutig den Dienst. Rasend schnell sausten Gedanken durch Chasers Kopf, keinen davon bekam sie allerdings zu fassen. Dafür begann sich Panik in ihr auszubreiten. Hektisch sah sie sich nach einem Fluchtweg um, doch ihr Gegenüber schien genau zu wissen, was sie plante und vereitelte dies geschickt, indem sie Chasers Handgelenk zwar sanft, aber doch sehr bestimmt, ergriff und fest hielt. "Ich denke, davon hatten wir in den letzten Tagen eindeutig genug." Obwohl Humor in der Stimme mitschwang war darin auch ein nicht zu missender, verletzter und missgestimmter Unterton auszumachen, der Chaser schuldbewusst zusammenzucken ließ. Es stimmt ja, sie hatte sich rar gemacht und war feige geflüchtet. Aber hier saß sie in der Falle. Sie hatte keine Chance, zu entkommen ohne dabei größere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und das wollte sie auf keinen Fall. Immerhin verließ die Oberste Archivarin sich darauf, dass sie sie würdig vertrat. Und das tat sie wohl kaum, wenn sie sich benahm wie ein aufgescheuchtes Huhn, obwohl sie sich genauso fühlte. Leicht schluckte Chaser, um den Kloß, welcher sich in ihrer Kehle gebildet hatte, loszuwerden. Der Erfolg war nicht sonderlich durchschlagend. Allerdings merkte sie rasch, dass dazu gar kein Grund bestand. Es war ihr Gegenüber, in Gestalt von Fighter (wem auch sonst?), der das Wort ergriff. "Ich weiß nicht, was dich immer dazu bewogen hat, davon zu laufen. Wahrscheinlich Angst und das ist nichts Verwerfliches. Obwohl ich dir ehrlich sagen muss, dass ich für Feigheit nicht viel übrig habe. Andererseits ist deine Reaktion verständlich, wenn man bedenkt, was du dir von meiner Schwester anhören musstest. Jeder wäre da vor den Kopf gestoßen und hätte wenig Lust, sich mit mir herumzuschlagen." An dieser Stelle machte Fighter eine kurze Pause, um ihre Gedanken zu sammeln und zu überlegen, was sie als Nächstes sagen wollte. Ihre Finger umschlangen nach wie vor Chasers schmales Handgelenk. Bis jetzt machte die Blondine noch keine Anstalten, sich gegen den Griff wehren zu wollen, was Fighter als ausgesprochen gutes Zeichen nahm. Allerdings konnte sie deutlich den raschen, flatternden Puls der Archivarin spüren, der daraufhin deutete, dass sie sehr aufgewühlt war. "Aber lass dir gesagt sein, dass das allein auf ihrem Mist gewachsen ist. Ich hatte nichts damit zu tun. Nicht das Geringste. Ich kenne dich nicht und du mich genauso wenig. Das heißt aber nicht, dass sich das nicht ändern kann. Und wenn ich ehrlich bin, würde ich es gern ändern. Du bist mir unter die Haut gegangen, Chaser. Ich weiß nicht wie oder wann. Ich weiß nur, dass es so ist." Wieder eine Pause, in der Fighter nach Luft holte, weil sie so schnell gesprochen hatte, dass sie sich kaum Zeit zum Atmen gegönnt hatte. Wie angefroren stand Chaser vor ihr, traute ihren Ohren nicht, was ihr merklich anzusehen war. Und was dafür sorgte, dass sich Fighters schiefes Grinsen verbreiterte. Sie war ja doch irgendwie entzückend, dieses kleine, verhuschte Ding. Unwillkürlich fragte Fighter sich, ob die Blondine jemals geküsst worden war. Das konnte sie sich fast nicht vorstellen. Nicht eben subtil richteten sich die blauen Augen der Leibwächterin auf Chasers eher schmale, kleine Lippen, die im Licht der Kandelaber leicht glänzten und wunderbar weich und anschmiegsam aussahen. Einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, sie einfach zu küssen, verwarf ihn allerdings sofort wieder. Nein, das gehörte sich nicht. Und auch wenn ein Kuss Fighter vielleicht nicht alles bedeutete, hieß das nicht, dass für Chaser dasselbe galt. Insbesondere wenn sie, wie die Schwarzhaarige vermutete, noch nie einen Kuss bekommen hatte, würde das eine ganze Menge für die Archivarin bedeuten und das mochte sie ihr nicht nehmen, so verlockend es auch gewesen wäre. Hastig wandte Fighter daher ihre Augen auf die Chasers, die vor Überraschung ziemlich geweitet waren. Leise räusperte sie sich, um ihre kleine Ansprache zu Ende zu bringen. "Deswegen bin ich in die Bibliothek gekommen. Weil ich dir das sagen wollte. Und weil ich mich für das unangemessene Verhalten (hah, Maker wäre stolz auf sie gewesen hätte sie das mitangehört) meiner Schwester entschuldigen wollte. Es tut mir Leid, dass sie so auf dich losgegangen ist. Dazu hatte sie kein Recht und du es nicht verdient, so angefahren zu werden. Ich hoffe, du bringst es über dich, wenn schon nicht ihr, so doch mir zu verzeihen, dass ich es nicht verhindern konnte." Damit war Fighter für's Erste fertig. Abwartend und tatsächlich unsicher blickte sie ihr Gegenüber an, das bis jetzt noch keine großartige Reaktion gezeigt hatte. Dann aber nickte Chaser langsam, nach wie vor zu Worten nicht fähig. Erneut nickte sie, heftiger diesmal, damit es Fighter auch ja nicht entging. Erleichterung durchflutete die Schwarzhaarige als sie das sah. Puh. Das war geschafft. Und weil es jetzt nicht mehr notwendig war ließ sie Chasers Hand los, die noch einen Moment in der Luft hing, dann jedoch absackte und neben dem Körper der Archivarin baumelte. Verlegen kratzte Fighter sich am Hinterkopf. Was nun? Weiter als die Entschuldigung war ihr Plan nicht gediehen. Allerdings hatte sie auch noch keine Lust, Chaser sich wieder sich selbst zu überlassen. Kurz ließ Fighter hilfesuchend den Blick schweifen. Paare bevölkerten die Tanzfläche, andere Gäste taten sich am Buffet gütlich, wieder andere spazierten durch den Garten, um später sicherlich nicht ganz jugendfreien Dingen nachzugehen während sich am Rande der Tanzfläche Grüppchen gebildet hatten, die jeweils in äußerst intensive Unterhaltungen zu vertieft sein schienen. Nach kurzem Abwägen hatte Fighter ihre Entscheidung getroffen. Formvollendet vollführte sie einen Kratzfuß vor Chaser, streckte ihr anschließend die Hand entgegen. "Tanzen?", fragte sie, ohne Chasers Antwort so wirklich abzuwarten. Sobald diese nämlich ihre Hand in Fighters gelegt hatte, zog Letztere sie bereits mit sich Richtung Tanzfläche. "Aber... ich kann gar nicht...", protestierte die Blondine schwach, setzte sich gegen Fighters Griff allerdings nicht zur Wehr, sondern ergab sich in ihr Schicksal. "Das macht nichts, es wird sowieso keinem auffallen, ob du es kannst oder nicht. Die Hauptsache ist, dass du Spaß daran hast.", verkündete Fighter im Brustton der Überzeugung als sie auf der Tanzfläche Aufstellung bezogen. Sie verschwendete, genauso wenig wie Chaser, auch nur den Fetzen eines Gedanken daran, dass es jemandem sauer aufstoßen könnte, dass zwei Frauen miteinander tanzten. Die Kerzen in den Leuchtern und Kandelabern waren längst herunter gebrannt, die Musiker spielten nicht mehr, das Buffet war von den Küchenmädchen entfernt worden, während andere Dienstmägde damit beschäftigt waren, die Hinterlassenschaften der Ballgäste zu beseitigen - ganz gleich, ob es sich um verschüttete Getränke oder vergessene Essensreste handelte. Die Nacht wich zunächst dem fahlen Licht des grauenden Morgens, dann wagten sich die ersten, zaghaften Sonnenstrahlen hervor, die nicht nur in den Ballsaal fielen und diesen ausleuchteten, sondern auch jedes andere Gebäude der Stadt berührten. In einem davon fiel gerade eine überaus glückliche, aber totmüde Chaser wie gerädert in ihr Bett. Sie hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich ihres Kleides zu entledigen, geschweige denn ihre Halskette abzunehmen. Einzig die Schuhe hatte sie abgestreift. Mit durchtanzten Sohlen lagen sie falsch herum vor dem Bett. Durch die zugezogenen Vorhänge fiel ein einzelne Streif Sonnenlicht auf sie wie ein Spotlight. Mit einem letzten, angetanen Seufzer ließ Chaser die vergangene Nacht Revue passieren, die wie im Flug vergangen war und deren Ereignisse nur einem Traum entspringen konnten. Ganz so wie sie es bereits erträumt hatte. Zumindest sehr ähnlich. Tanz um Tanz hatte sie mit Fighter mitgemacht ohne auf ihre Erschöpfung zu achten. Dass noch andere Menschen im Saal anwesend gewesen waren hatte Chaser vollkommen verdrängt. Nur Fighter und sie hatten existiert, sich umeinander gedreht, versunken in ihren eigenen Mikrokosmos aus dem nichts und niemand sie hatte reißen können. Dass ihre Füße schmerzten oder die Sohlen ihrer Schuhe, die eine solche Belastung nicht gewöhnt und darauf auch nicht ausgelegt waren, nachgaben, all das hatte Chaser nicht bemerkt. Erst als die Musiker ihr Spiel einstellten und Fighter und sie beinahe verschämt feststellen mussten, dass sie so ziemlich die letzten anwesenden Gäste waren, hatten sie mit dem Tanzen aufgehört. Ganz benommen waren sie mehr aus dem Ballsaal getaumelt als gegangen, Fighter hatte ihre Hand fest in ihrer eigenen gehalten und darauf bestanden, sie nach Hause zu bringen. Noch völlig berauscht von der Feierlichkeit hatten sie gekichert und dumme Bemerkungen gemacht, die nur aufgrund ihrer starken Übermüdung überhaupt witzig waren. Als sie endlich vor Chasers Tür angekommen waren brach der Tag bereits an. Für einen Moment sagte keine von ihnen etwas, sie sahen sich nur lächelnd gegenseitig an. Fighter hielt nach wie vor Chasers Hand. Sie mussten wohl mehrere Minuten so da gestanden haben. Chasers Empfinden nach hätten es ebenso gut Stunden sein können. Schließlich hatte Fighter das Schweigen durchbrochen. "Ich hatte Spaß. Danke für die schöne Zeit." Verlegen hatte Chaser sich ein wenig gewunden, ehe sich ihr Lächeln verbreiterte. Fighter beugte sich vor. Nur hauchzart streiften ihre Lippen die Stirn der Blondine, um dort den flüchtigsten aller Küsse zu hinterlassen. Dann trat sie von ihr zurück, ließ ihre Hand mit merklichem Bedauern los und wandte sich zum Gehen. Ehe sie endgültig verschwand drehte sie sich noch einmal zu Chaser um. "Sei öfter so ausgelassen. Es steht dir sehr gut." Mit diesen Worten war Fighter davon gegangen, eine mehr als glückliche Chaser zurücklassend, der ganz warm ums Herz geworden war. Vielleicht stimmte es ja doch, was man über Träume sagte... Dass sie manchmal wahr wurden. Kapitel 11: Schwesterliche Gespräche ------------------------------------ Beschwingt und gleichermaßen wie beschwipst, was eindeutig auf die Übermüdung zurückzuführen war, nicht auf den Genuss von Alkohol (sie war im Dienst gewesen, den sie zwar sträflich vernachlässigt hatte, aber getrunken hatte sie dennoch nichts), begab sich nun auch Fighter auf den Heimweg. Selig lächelnd, weil sie die Ereignisse der vergangenen Stunden vor ihrem inneren Auge Revue passieren ließ, betrat sie schließlich die Unterkunft, die sie mit Maker und Healer teilte. Nachdem Fighter ihre Schuhe losgeworden war schlich sie auf Zehenspitzen in Richtung ihres Schlafzimmers. Besonders weit kam sie allerdings nicht. "Ach, kommst du auch mal nach Hause?" Es war Maker, die mit einer Tasse Tee in der Hand im Türrahmen zu ihrem eigenen Zimmer stand und die Augenbrauen kritisch hochgezogen hatte. "Damit hast du Yaten zumindest was voraus.", fügte die Brünette trocken hinzu. Eine Bemerkung, die wiederum Fighter stutzig machte. "Wieso? Was soll das heißen? Wo treibt sie sich denn rum?" - "Ich vermute ganz stark, dass sie bei der Prinzessin ist." Kurzes Schweigen. "Und was ist daran schlimm?", erkundigte sich Fighter, die hoffte, dass ihre Schwester sie nicht noch länger mit ihrer Anwesenheit zu beehren gedachte. So sehr sie einen Plausch gewöhnlich zu schätzen wusste, im Moment wollte sie nichts mehr als in ihrem Bett verschwinden, sich die Decke über den Kopf ziehen und ausschlafen. "Nichts. Denke ich." Maker klang ein wenig unsicher, was Fighter überraschte. Aber sie hatte keine Lust, sich jetzt damit zu befassen. Sicher konnten sie die Unterhaltung später weiter führen. "Na also... Dann ist doch alles in bester Ordnung.", machte Fighter den Versuch, das Gespräch zu beenden, hatte aber nicht mit der Hartnäckigkeit ihrer Schwester gerechnet. Deren anzügliches Grinsen sprach Bände. "Oh nein! Wenn Yaten schon nicht nach Hause kommt, dann erzählst wenigstens du mir, was ich noch alles verpasst habe. Abgesehen davon, dass du und Chaser euch kaum voneinander losreißen konntet und keinen Tanz ausgelassen habt." Erwartungsvoll blickte Maker zu Fighter. Diese ließ Kopf und Schultern hängen, seufzte tief und ergab sich dann in ihr Schicksal. So wie es aussah würde sie das mit dem Schlafen noch eine ganze Weile vertagen müssen. Mist. Dabei überlegte sie schon, wie das mit Chaser jetzt weiter gehen sollte. Und sie war sich ganz sicher, dass Maker sie danach fragen würde. Früher oder später würde die Frage bestimmt auftauchen. "Na ja... was heißt hier verpasst... Wir haben irgendwann gemerkt, dass die Musik aufgehört hatte und der Morgen anbrach, also haben wir beschlossen, dass es wohl klüger wäre, nach Hause zu gehen. Ich habe sie heim gebracht und dann bin ich hierhergekommen." So knapp wie möglich schilderte Fighter die Geschehnisse der letzten Stunde. Leider ließ Maker sie nicht vom Haken. "So, nach Hause begleitet hast du sie also, ja? Warum bist du nicht dort geblieben? Oder hast sie mit hergebracht? Wäre ja dann nicht das erste Mal gewesen, dass du im Morgengrauen noch die Energie findest, mit einer Frau die Laken zu zerwühlen." Sanfter Spott schwang in Makers Stimme mit. Zu ihrer maßlosen Überraschung spürte Fighter wie ihr Hitze in die Wangen schoss. Das durfte doch nicht wahr sein! Wurde sie etwa rot? Sie? Die von den drei Schwestern die meiste Erfahrung im Bett gesammelt und daraus nie einen Hehl gemacht hatte? Innerlich schüttelte Fighter den Kopf über sich selbst. Was stellte diese Archivarin nur mit ihr an? "Ich bitte dich, ich kenne Chaser doch kaum.", bügelte Fighter den Einwand ihrer Schwester ab, die nur schnaubte. "Als ob dich das sonst gestört hätte. Ich erinnere nur an den Zwischenfall mit dem Dienstmädchen und dem Besenschrank." Jetzt wurde Fighter wirklich rot. Oh Himmel, war das peinlich gewesen - sie waren nämlich in flagranti erwischt worden und es war wochenlang darüber getuschelt worden. "Dann ist es also etwas Ernstes mit Chaser.", zog Maker schlicht ihre ganz eigene Schlussfolgerung aus dem, was sie aus Fighter hatte herausbringen können. Brummig, weil sie einfach nur ins Bett wollte, verdrehte die Schwarzhaarige die Augen. "Lass mich einfach.", murrte sie ungehalten, "Wenn es dich so interessiert, such dir doch selbst jemanden." Damit hatte Fighter allerdings (wie sie sehr wohl wusste) durchaus einen wunden Punkt erwischt. Makers Miene verfinsterte sich prompt. Aller gutmütiger Spott war aus ihrer kompletten Haltung gewichen. "Ich... Es tut mir leid.", druckste Fighter herum, in dem Bemühen, sich bei ihrer Schwester zu entschuldigen. Die violetten Augen Makers hatten sich verengt, ein kalter, abweisender Ausdruck war in sie getreten. "Lass nur.", bemerkte die Brünette knapp, Fighter augenblicklich den Rücken zuwendend. Mit einem lauten Klappen, das deutlich machte, dass das Gespräch damit beendet war und man sie nun besser nicht störte, schloss sich die Tür zu Makers Zimmer. Wie ein begossener Pudel stand Fighter davor. Sie hätte sich gern selbst geohrfeigt oder in den Hintern getreten für ihre Gedankenlosigkeit. Ihre Bemerkung war wirklich ein Schlag unter die Gürtellinie gewesen. Scham erfüllte sie, wenn sie daran dachte, wie sehr diese Worte ihre Schwester getroffen haben mussten. Das war nicht fair gewesen. Nur weil Fighter müde war und ins Bett wollte hätte sie nicht so etwas sagen müssen. Immerhin hatte es einen ganz bestimmten Grund, warum Maker romantisches Interesse für unnütz hielt und keinen Gedanken daran verschwendete, sich auf eine feste Bindung welcher Art auch immer einzulassen. "Verdammt!", murmelte Fighter in ihren nicht vorhandenen Bart. Eine weil stand sie wie der Ochs vorm Berg im Flur der Unterkunft herum. Dann aber tappte sie doch in Richtung ihres eigenen Zimmers, wo sie sich gleichermaßen erschöpft wie auch wütend auf sich selbst auf ihr Bett fallen ließ, das ihr einsam, kalt und leer erschien. Sicherlich vor Erschöpfung, aber ebenso aus Scham über das, was sie ihrer Schwester an den Kopf geworfen hatte, brach die Schwarzhaarige in Tränen aus. Nur zu gern hätte sie die Zeit zurückgedreht, um sich jenen bewussten Satz zu verkneifen. Wie hatte sie nur so gedankenlos sein können? Dabei waren die vergangenen Stunden so schön gewesen! Und jetzt bekam die Erinnerung einen faden Beigeschmack, denn am Ende dieser wunderbaren Nacht stand das Unverzeihliche. "Ich bin eine Idiotin.", schluchzte Fighter, die eigentlich niemals weinte (nicht einmal wenn sie sich bei der Ausübung ihrer Pflicht als Kriegerin ernstlich verletzt hatte), verzweifelt und von Selbsthass erfüllt in ihr Kopfkissen. Es war später Nachmittag als Fighter vollkommen desorientiert mit Kopfschmerzen und einer trockenen, rauen Kehle erwachte. Anscheinend hatte der Heulkrampf seinen Tribut gefordert, so dass sie wider Erwarten doch eingeschlafen war. Wirr im Kopf setzte die Schwarzhaarige sich auf. Ihr Schädel dröhnte, sicher aufgrund des Flüssigkeitsmangels. Besser, sie besorgte sich ein Glas Wasser, um dagegen anzugehen. Mit einem dumpfen Gefühl in der Magengegend, das sich einfach nicht vertreiben ließ, rollte Fighter sich aus dem Bett, froh darüber, dass das Gestell desselben verhältnismäßig niedrig war, so dass sie sich nicht wirklich wehtun konnte. Aber selbst wenn, sie hätte es verdient, nachdem, was sie Maker an den Kopf geworfen hatte. Verdammt, wie sollte sie das nur jemals wieder gut machen? Konnte sie das überhaupt? Es war eine unverzeihliche Bemerkung gewesen, die ihr einfach so rausgerutscht war. Ihr größter Fehler und eine Eigenschaft, auf die Fighter nur bedingt stolz war: ihr vorlautes Mundwerk, das jeden Gedanken (oder zumindest fast jeden) sofort aussprechen musste, ohne vorher abzuwägen, wie klug das war. Tja, jetzt hatte sie den Salat. Allzu schnell würde sich das Verhältnis zu Maker jedenfalls nicht wieder einrenken. Ihre Schwester war vielleicht schwer zu verletzen, weil sie gefühlte fünfzig Mauern um ihren schutzlosen, seelischen Kern hochgezogen hatte, doch Maker war nicht aus Stein und wenn man es schaffte, sie zu treffen, dann immer tief und sehr schmerzhaft. Viel schlimmer war allerdings, dass Maker sehr nachtragend war. So distanziert von allem sie sich auch geben mochte, Vergebung war nicht gerade ihre Stärke - worin sie und Healer sich im Übrigen sehr glichen, denn auch die Silberhaarige hegte einen Groll lange Zeit, wenn man es sich mit ihr wegen irgendetwas verscherzt hatte. Fighter hingegen hatte kein Problem damit, 'Schwamm drüber' zu sagen wenn sie sich mit jemandem überworfen hatte und die Angelegenheit aus der Welt geschafft wurde. Während Fighter ihrem eigentlichen Vorhaben, sich ein Glas Wasser zu holen, nachkam, kreisten ihre Gedanken unaufhörlich um ihre Schwester. Eine Aussprache war unabdingbar. Das war glasklar. Begeistert war die Schwarzhaarige von dieser Aussicht allerdings nicht gerade. Vor allem da sie geglaubt hatte für's Erste von solchen Gesprächen befreit zu sein. Aber es kam immer anders als man dachte. Seufz. In der Küche traf Fighter auf Healer, die bester Laune zu sein schien. Jedenfalls ließ ihr Benehmen das vermuten. Zum Einen strahlte die Silberhaarige schier von innen heraus, zum Anderen summte sie vor sich hin und das war, soweit Fighter sich erinnern konnte, in den vergangenen Jahren höchstens an die zweimal vorgekommen. 'Wenigstens eine von uns, die gut drauf ist.', dachte die Schwarzhaarige bei sich, auf die Spüle zu schlurfend. Hoffentlich ging Healer ihr mit ihrer Fröhlichkeit (über die Fighter sich unter anderen Umständen definitiv sehr gefreut hätte) nicht auf den Senkel. Allerdings schien der heutige Tag nicht unbedingt ihr Glückstag zu sein. Healer fixierte ihre fertig aussehende Schwester, plötzlich gar nicht mehr so ausgelassen und glücklich. "Es gibt Gerede, das ist dir klar, oder?", setzte das Mädchen mit den jadegrünen Augen an. Fighter ließ die Schultern hängen. Toll. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. "Na und? Kann dir doch egal sein.", gab sie murrend zur Antwort, ehe sie ihr Glas Wasser praktisch herunterstürzte. Vielleicht verschwanden ja wenigstens die Kopfschmerzen, wenn schon nicht die unangenehmen Gesprächsthemen. "Ist es mir aber nicht. Verdammt, was hast du dir dabei gedacht?" Genervt verdrehte Fighter die Augen. Musste das jetzt wirklich sein? "Nichts. Was soll ich mir schon groß gedacht haben? Hast du noch nicht kapiert, dass du dir daran nur selbst die Schuld geben kannst?" - "Bitte?!" Empört blitzte Healer ihre Schwester an, doch Fighter, inzwischen tödlich genervt von den Allüren der Silberhaarigen, ließ sie gar nicht erst in Fahrt kommen. "Tu nicht so unschuldig! Hättest du Chaser nicht so angefaucht hätte ich auch nie das Gefühl gehabt, mich bei ihr entschuldigen zu müssen, sondern hätte sie einfach vergessen. Aber weißt du was? Ich bin froh, dass es anders gekommen ist. Ob es dir gefällt oder nicht, ich mag dieses Mädchen. Und ich werde sie wiedersehen, selbst wenn du darüber nur deine piekfeine Nase rümpfen kannst, du Snob!" Vor Empörung klappte Healer die Kinnlade herunter. Wie konnte Fighter es nur wagen, so mit ihr zu sprechen? Das war ja wohl unerhört! Oh nein, das würde sie sich nicht bieten lassen. Nicht von ihrer Schwester. "Und was wirft das für ein Licht auf die Prinzessin? Wenn du, als die Anführerin ihrer Leibgarde, dich mit einer Frau wie dieser Archivarin öffentlich zeigst! Oder muss ich dich daran erinnern, was los war, nachdem man dich mit diesem Dienstmädchen im Besenschrank erwischt hat?" Autsch. Das hatte gesessen. Heute war anscheinend der Tag, da sämtliche Bemerkungen deutlich unter die Gürtellinie abzielten. "Halt den Mund! Du sprichst von Dingen, die du nicht verstehst, du missgünstiges Biest. Lass deine sexuelle Frustration gefälligst nicht an mir aus. Oder hast du es doch endlich ins Bett der Prinzessin geschafft?" Fighter war bewusst, dass sie es sich jetzt auch mit Healer endgültig verscherzte, aber das war ihr in diesem Moment vollkommen egal. Sie war wütend und noch immer beschämt darüber, dass sie Maker so verletzt hatte. Healer kam ihr da als Ventil gerade recht, vor allem weil sie schließlich vollkommen grundlos zickte. Diese Bemerkung seitens Fighter brachte den klassischen Tropfen zum Überlaufen. Bevor Healer richtig wusste, was sie da eigentlich tat, hatte sie schon ausgeholt und Fighter eine heftige Ohrfeige versetzt. Verblüfft starrten die Streithähne sich einen Moment stumm an. Dann aber brach die Hölle los als sie sich aufeinander stürzten und sich nach allen Regeln der Kunst zu prügeln begannen. Dabei ging unter Anderem das Glas zu Bruch aus welchem Fighter ihren Durst zuvor gestillt hatte. "SCHLUSS DAMIT!" Fighter und Healer hielten inne. Die Eine hatte eine Handvoll Haar der Anderen ergriffen, während diese wiederum über, oder vielmehr auf, der Ersten thronte und sich gerade daran machte, ihr die Faust ins Gesicht zu donnern. Automatisch flogen ihre Köpfe in Richtung des Störenfrieds, der sich als Maker emtpuppte. Die Brünette hatte sich in der Küchentür aufgebaut, die Hände in die Seiten gestemmt. Verachtende Blicke trafen ihre Schwestern, die sich vorkamen wie zwei kleine Mädchen, welche von ihrer Mutter beim Spielen eines Streiches erwischt worden waren. Einen Augenblick sagte niemand etwas. Allerdings machten Healer und Fighter auch keinerlei Anstalten, voneinander abzulassen. "Auseinander!", kommandierte Maker in einem Tonfall, der keine Widerrede zuließ. Trotzdem trennten sich die Streithähne nur höchst widerwillig voneinander. Mit einem knappen Nicken in jeweils eine Ecke der Küche deutete Maker an, welchen Abstand sie von ihren Schwestern erwartete. Wie zwei Lämmer auf dem Weg zur Schlachtbank gehorchten die Delinquentinnen. "Seid ihr verrückt geworden? Wie kommt ihr dazu, euch so zu prügeln? Habt ihr keinen Benimm?", begann Maker mit einer Gardinenpredigt, die sich gewaschen hatte und in deren Verlauf Healer und Fighter immer kleiner und kleiner wurden. "Ich schäme mich für euch beide. Wie kann man nur so dermaßen kindisch sein? Wirklich, ich hatte mehr Reife von euch erwartet. Mit diesem Verhalten zeigt ihr nur, dass ich der ehrenvollen Aufgabe, die ihr zu erfüllen habt, nicht im Geringsten gewachsen seid." Maker machte eine kurze Pause, wandte sich dann direkt und ausschließlich an Healer. "Was soll die Prinzessin von dir denken, wenn sie davon erfährt, dass du mit Fighter gerauft hast? Willst du jeden, der schlechte Dinge über dich sagt mit Gewalt zum Schweigen bringen? Ich hatte dich für sehr viel vernünftiger gehalten. Aber anscheinend habe ich mich in dir getäuscht." Betroffen senkte Healer den Blick. Jegliche Kratzbürstigkeit war aus ihr gewichen. Stattdessen war sie nun den Tränen nahe. Zum Einen weil sie sich dafür schämte, dass sie sich zu der Prügelei mit Fighter hatte hinreißen lassen, zum Anderen weil sie für gewöhnlich kein hitziger Kindskopf war oder Gewalt guthieß. Healer wollte sich gar nicht vorstellen, was Kakyuu dazu sagen würde. Es blieb ihr nur inständig zu hoffen, dass sie davon nichts erfuhr, obwohl die Chancen denkbar schlecht standen. Irgendwie schaffte Kakyuu es immer, genau die Dinge in Erfahrung zu bringen, von denen Healer lieber gewesen wäre, dass sie nichts davon mitbekam. Inzwischen wandte Maker sich an Fighter. "Und du, was ist mit dir? Wie willst du eine Anführerin und ein Vorbild sein, wenn du dich nicht beherrschen kannst? Verbale Ausrutscher sind wir von dir gewöhnt, aber das? Das ist selbst für dich peinlich und unwürdig. Was denkst du wohl, was Chaser dazu sagen würde, wenn sie erfährt, dass du so leicht zu provozieren bist?" Auch Fighter war mehr als nur bedröppelt. Ihre Schwester hatte mit allem, was sie da sagte, Recht. Sie hatte sich daneben benommen, in mehr als nur einer Hinsicht. Ihre Lippen formten sich zu einem schmalen Strich. Allein beim Gedanken daran, was Chaser von ihrem Verhalten halten würde, drehte sich der Schwarzhaarigen der Magen um. "Entschuldigt euch beieinander.", forderte Maker ihre Schwester auf, während sie sie mit strengem Blick maß. Anschließend massierte sie sich leicht die Schläfen. Auch bei ihr kündigten sich Kopfschmerzen an. Genau wie Fighter hatte die Brünette lediglich in die Küche gehen wollen, um sich ein Glas Wasser zu holen und war dann auf die Prügelei gestoßen, die erstaunlich leise vonstattengegangen war, von gelegentlichem Stöhnen und Schnaufen der Kontrahentinnen einmal abgesehen. "Besser, es ist euch ernst damit. Keine von euch verlässt diesen verdammten Raum, bevor ihr euch nicht aufrichtig entschuldigt habt. Und wenn ich euch den Rest des Tages hier festhalten muss, dann tue ich das." Resolut blickte Maker von einer zur anderen. Fighter knirschte mit den Zähnen, Healer wandte demonstrativ den Kopf zur Seite. Mehrere Minuten verharrten sie so. Es war Fighter, die den ersten Schritt tat, aus der ihr zugewiesenen Ecke auf Healer zuhielt und dieser in einer Geste der Versöhnung ihre Hand entgegen streckte. Zunächst ignorierte Healer diese, gab sich aber dann einen Ruck. Sie ergriff Fighters Hand, sie ein wenig widerwillig schüttelnd. Fighter, erleichtert darüber, dass ihre Schwester nicht vollkommen abblockte, fand den Mut, eine Entschuldigung anzubringen. "Es tut mir Leid. Ich hätte dir diese Dinge nicht sagen dürfen, das war falsch und niederträchtig. Aber du hast mich wirklich sauer gemacht mit dem, was du über Chaser gesagt hast." Healer schnaubte leise. Ihr kamen solche Entschuldigungen meist nur schwer über die Lippen. Auch jetzt rang sie sichtlich mit sich. Ein kurzer Blick in Richtung Maker brachte sie allerdings dazu, sich zu überwinden. Den Rest des Tages in der Küche zu verbringen, danach stand dem Mädchen mit den Katzenaugen wirklich nicht der Sinn. "Mir tut's auch Leid. Ich mag Chaser einfach nicht. Es fällt mir schwer, zu verstehen, dass du es anders siehst." Zwar fand Fighter diese Erwiderung reichlich dürftig, da sie jedoch keinen weiteren Streit vom Zaun brechen wollte, ließ sie es dabei bewenden. Mit einem Nicken akzeptierte sie Healers Worte. "Und jetzt geht jede auf ihr Zimmer und bleibt dort bis morgen früh.", meldete Maker sich mit strenger, kalter Stimme zu Wort. Unisono zuckten Fighter und Healer zusammen, machten aber keine Anstalten, zu widersprechen. Wie geprügelte Hunde verließen sie die Küche, um Makers Aufforderung Folge zu leisten. Damit hing der Haussegen zumindest wieder halbwegs gerade. Kapitel 12: Book of Dreams IV ----------------------------- Letzte Nacht habe ich geträumt, dass wir im Park auf einer Decke lagen und die Sterne beobachtet haben. Sie leuchteten hell, keine Wolke war am Himmel zu sehen. Unsere Hände waren ineinander verschlungen während wie neben einander lagen und nach oben schauten. Ganz leicht lehnte mein Kopf an Fighters Schulter. Ich war von tiefer Zufriedenheit erfüllt, ein Gefühl, das mir zwar nicht unbekannt, aber doch in diesem Ausmaß unvertraut war - bis jetzt. Nach einer Weile des Schweigens begannen wir, uns gegenseitig Sternbilder zu zeigen und als wir mit allen durch waren, die wir kannten, erfanden wir einfach unsere eigenen. Es machte Spaß, die bekannten Bilder durch neue zu ersetzen, obwohl wir uns nicht immer einig waren was die Formen und Namen anging, was darin resultierte, dass wir uns scherzhaft unschmeichelhafte Bezeichnungen an den Kopf warfen. Irgendwie muss ich Fighter mit einer Bemerkung wohl ein wenig zu sehr geneckt haben, denn sie rollte sich auf die Seite und fing an, mich zu kitzeln. Leider entdeckte sie dabei meine Schwachstelle, so dass ich alsbald kichernd und atemlos unter ihr lag, wobei ich mich wand wie ein Fisch auf dem Trockenen. "Wenn du um Gnade flehst, höre ich vielleicht auf.", raunte Fighter mir amüsiert zu. Zu mehr als einem mehr oder weniger erbosten Blick war ich leider nicht fähig und der beeindruckte Fighter auch nicht sonderlich. Sie hatte außerdem ja nicht aufgehört, mich zu kitzeln. Mein Stolz bröckelte mit jeder Sekunde mehr und mehr bis er vollkommen in sich zusammenfiel. "Bitte...", quietschte ich, nach Luft ringend. Vor lauter Lachen bekam ich schon Seitenstechen. "Bitte was?", wollte Fighter mit einem frechen Grinsen von mir wissen. Nochmal versuchte ich mich an einem bösen Blick, scheiterte allerdings gnadenlos. "Aufhören!", quiekte ich daraufhin, recht erbärmlich, möchte ich meinen. Obwohl Fighter so wirkte als wolle sie am liebsten weiter machen hatte sie ein Einsehen mit mir. Dankbar atmete ich tief durch. Es dauerte einige Zeit bis ich mich von ihrer Attacke erholt hatte. Inzwischen hatte sie sich leicht über mich gebeugt, fuhr mit ihren Fingern die Konturen meines Gesichts nach. Gebannt sah ich in ihre blauen Augen, deren intensiver Blick mich einfach nicht loslassen wollte. Für einen unendlich langen Moment schien nicht nur die Zeit stillzustehen, sondern das gesamte Universum in all seiner Unergründlichkeit inne zu halten. Mir schlug das Herz bis zum Hals - wie immer, wenn ich ihr so nah bin, wie immer wenn ich sie sehe. Nichts rührte sich, nicht einmal die Andeutung eines Windhauchs. Langsam, so quälend langsam, beugte Fighter sich über mich, näherten ihre Lippen sich den meinen. Erwartungsvoll schloss ich die Augen. Es konnten nur noch Millimeter sein, die uns voneinander trennten. Ich konnte ihren warmen Atem meine Lippen streifen spüren. Es musste jeden Moment so weit sein. Doch dann war da nichts mehr. Die Welt um uns herum verdunkelte sich so sehr, dass ich panisch die Augen aufriss. Der Sternenhimmel war verschwunden, verschlungen von der Schwärze. Ich konnte Fighter mehr bei mir spüren als dass ich sie sah. Dann war auch sie fort, urplötzlich von meiner Seite gerissen, von der Dunkelheit verschluckt, in ihre Fänge geraten und ich blieb allein zurück. Die Panik in mir wollte einfach nicht abreißen, sie wurde nur stärker. Hilflos musste ich zusehen, wie der Park von dem bedrohlichen Dunkel vereinnahmt wurde, dann folgten die königlichen Gärten, schließlich der Palast selbst. Kinmoku versank in finsterer Nacht. Alles, was ich kannte und liebte war mir entrissen worden. Instinktiv wusste ich, dass der Planet verloren war. Dass seine Bewohner von der Dunkelheit ausgelöscht worden waren - und ich war als Einzige übrig geblieben. Allein inmitten der Schwärze. Ein kaltes, grausames Lachen, das mir durch Mark und Bein ging, der einzige Laut, der an meine Ohren drang. So schön der Traum begonnen hatte, so schrecklich endete er. Kein Wunder, dass ich aus dem Schlaf geschreckt bin und mich erst einmal versichern musste, dass es nicht mehr war als ein Alptraum. Trotzdem steckt mir der Schreck noch in den Knochen. Ich habe ein ungutes Gefühl in der Magengegend, das ich nicht näher beschreiben kann und das mich auch jetzt, Stunden später, nicht loslassen will. Was immer ich gesehen habe, ich hoffe inständig, dass es nicht wirklich existiert, dass es nur ein Traumbild war und bleiben wird. Kapitel 13: Hoffnung, das fedrige Ding -------------------------------------- Einige Tage nach dem Ball war Chaser wieder an ihre Arbeit im Archiv zurückgekehrt. Streng genommen hatte sie ohnehin nur den Tag direkt im Anschluss an das Ereignis frei gehabt, um sich von den Strapazen desselben zu erholen. Danach musste sie wieder antreten, tat das jedoch gern. Immerhin hatte sie ihren Beruf nicht grundlos gewählt. Entgegen ihrer Erwartung bestürmte niemand sie mit Fragen. Eigentlich hatte sie erwartet, dass ihre Kolleginnen, allen voran Dreamer, vor Neugier schier platzten. Bislang hatte die Oberste Archivarin sich noch nie bei einem solchen Großereignis vertreten lassen, vor allem nicht von jemandem, der eigentlich keinen besonders hohen Rang innerhalb der Hierarchie der Bibliotheksmitarbeiter bekleidete. Insofern hätte es doch Neider geben müssen. Zumindest dachte Chaser das, die noch immer nicht wusste, dass ihr Erscheinen bei Hofe ein abgekartetes Spiel zwischen Prinzessin Kakyuu und der Obersten Archivarin gewesen war. Ihre Kolleginnen allerdings waren besser informiert. Damit es gar nicht erst zu Streitigkeiten oder dergleichen kam hatte die Oberste Archivarin alle anderen Mitarbeiter über die Gründe für Chasers Bevorzugung in Kenntnis gesetzt. Wie auch immer, Chaser war eigentlich ganz froh darüber, dass man sie in Frieden ließ. Das hielt allerdings nur solange an bis die ersten Gerüchte in Umlauf kamen. Es dauerte immer ein wenig bis die ganze Sache in Gang kam. An diesem Tag war es so weit. Kurz vor der Mittagspause passte Dreamer ihre Kollegin ab. Chaser, mit einem Wägelchen voller Bücher bewaffnet, die in die entsprechenden Regale einsortiert werden wollten, ahnte nichts Böses. In Gedanken war sie ohnehin nur bei Fighter. Seit jener magischen Nacht konnte sie an nichts Anderes mehr denken. Sie hatten sich seither nicht wieder gesehen, allerdings schob Chaser das auf ihrer beider Pflichten, die sie nun von Neuem vereinnahmten. Dennoch fand sie es schade, dass Fighter sich nicht nochmals in der Bibliothek hatte blicken lassen. Vielleicht hätte Chaser es sogar gewagt, ihre Mittagspause darauf zu verwenden, die Leibwächterin der Prinzessin aufzusuchen, wenn sie gewusst hätte, wo diese sich zu diesem Zeitpunkt des Tages aufhielt. Da sie davon jedoch keinerlei Kenntnis hatte, hatte Chaser es bleiben lassen. "Sag mal, stimmt es eigentlich, was man sich erzählt?", sprach Dreamer ihre Kollegin mit neugieriger Stimme an. Fragend und gleichermaßen verwirrt hob Chaser die Augenbrauen. Auf Klatsch und Tratsch gab sie nichts, weswegen sie gar nicht über die Dinge im Bilde war, die über Fighter und sie in Umlauf waren. "Was erzählt man sich denn?", hakte die Blondine daher nach, wobei sie den Blick auf die Buchrücken der einzusortierenden Titel warf. Dreamer hingegen grinste wie ein Honigkuchenpferd. Das lag unter Anderem daran, dass Chaser endlich einmal nicht ausgewichen war, dass sie sich nicht mit dem Erledigen ihrer Pflichten herausgeredet hatte, um der Unterhaltung zu entgehen. Selten genug kam es vor, weshalb Dreamer diese seltene Gunst der Stunde nutzen würde. Ehe Chaser sich versah legte die Andere schon mit einem wahren Schwall an Informationen los, die zur Hälfte wirklich völlig abstrus und an den Haaren herbei gezogen waren. Ein nicht unerheblicher Teil war allerdings komplett harmlos, bildete nichts als die nackten Fakten ab, was Chaser ein wenig erleichterte. Zwar hatte sie ein wenig Probleme dem Redefluss ihrer Kollegin zu folgen, die grundlegenden Dinge bekam sie aber mit. Außer Atem kam Dreamer schließlich zum Ende. Erwartungsvoll blickte sie Chaser an, die merklich errötet war. "Also, sag schon. Stimmt es?", bohrte sie unnachgiebig, nicht willens, das Thema ruhen zu lassen bis sie eine zufrieden stellende Antwort erhalten hatte. Chaser wand sich ein wenig hin und her. Wie antwortete man darauf? Verdammt, warum hatte sie sich nur nie die Mühe gemacht, sich intensiver damit auseinander zu setzen, wie Menschen kommunizierten? Wie konnte sie Dreamer möglichst taktvoll sagen, dass sie keine Auskunft geben wollte? Einige Minuten druckste Chaser lediglich herum, sichtlich verlegen. Schließlich überwand sie sich jedoch dazu, etwas zu erwidern, das man als vollständigen Satz bezeichnen konnte. "Jein.", würgte sie nervös hervor während sie sich bereits nach einem möglichen Fluchtweg umsah. Dreamer hingegen sah sie entgeistert an. "Jein?", wiederholte sie fassungslos, "Was soll das denn heißen? Du musst doch wissen, ob Fighter und du ... du weißt schon." Dreamer wackelte äußerst anzüglich mit den Augenbrauen, womit sie definitiv eine eher sexuelle als romantische Beziehung andeuten wollte. "Ich weiß es aber nicht!", fauchte Chaser, die sich in die Ecke gedrängt fühlte und keinerlei Lust hatte, solche privaten Informationen mit Kollegen zu besprechen. Außerdem sagte sie die Wahrheit. Sie wusste einfach nicht, was Fighter und sie waren. Himmel, bis auf diese eine Nacht hatten sie doch nie länger miteinander befasst. Und es war ja auch gar nichts geschehen, das in die eine oder andere Richtung eindeutig hingewiesen hätte. Sofort fuhr Dreamer die Krallen aus nachdem sie so rüde abgebügelt wurde. Gleichermaßen verletzt als auch wütend blitzte sie Chaser aus ihre braunen Augen an. "Na schön, dann behalt es eben für dich! Keine Ahnung, was Fighter an einer frigiden Zicke wie dir findet." Mit diesen Worten wandte Dreamer sich ab. Hocherhobenen Hauptes, sowie tödlich beleidigt stolzierte sie davon, wobei sie prompt an Fighter vorbei kam, die beschlossen hatte, Chaser einen Besuch abzustatten. Verwundert sah die Schwarzhaarige der Anderen nach. Dann zuckte sie mit den Schultern und setzte ihren Weg fort. "Was war denn hier los?", wandte Fighter sich an die von ihr gesuchte Person, nachdem sie Chaser endlich gefunden hatte. Obwohl endlich ein wenig übertrieben war, es hatte so lange gar nicht gedauert. Prompt zuckte die Archivarin zusammen. Sie hatte sich, wieder einmal, in ihre Gedanken zurückgezogen und ihre Umwelt dabei so erfolgreich ausgeblendet, dass Fighters Frage sie völlig aus dem Konzept brachte. Errötend nuschelte Chaser etwas in ihren nicht vorhandenen Bart. "Sag's nochmal, das war zu leise." Tief seufzte Chaser, die, wie Fighter erfreut feststellte, keine Anstalten machte, abhauen zu wollen. Das war definitiv ein Fortschritt. "Sie hat mich ausgefragt wegen des Balls, aber ich wusste nicht, was ich ihr sagen sollte und sie war mit meiner Antwort nicht zufrieden.", gab Chaser Auskunft. Vor Scham wäre sie am liebsten im Boden versunken. Andererseits hatte sie sich vorgenommen, gegenüber Fighter weniger scheu zu sein. Wie sollte sie die Leibwächterin der Prinzessin denn sonst von sich überzeugen? "So, so, hat sie das?" Nicht, dass es Fighter wunderte. Im Palast brodelte die Gerüchteküche mehr denn je. Was man ihr und Chaser nicht alles nachsagte! Darüber konnte Fighter jedenfalls nur lachen. Schließlich waren die Fronten aktuell alles Andere als geklärt. Und genau das war der Grund, warum Fighter sich ausgerechnet heute in der Bibliothek blicken ließ. Sie wollte das Thema sozusagen vom Tisch haben. Weil sie nach dem Ball zum Einen jeweils Streit mit ihren Schwestern gehabt hatte und zum Anderen verwirrt in Bezug auf ihre eigenen Gefühle gewesen war, hatte Fighter sich bisher nicht zu einer Entscheidung durchringen können. In den vergangenen Tagen hatte sie jedoch genug Gelegenheit gehabt zumindest für sich selbst Klarheit zu schaffen. Dasselbe verdiente auch Chaser, die sich mit Sicherheit ebenfalls Gedanken gemacht hatte. "Mach dir nichts draus, so sind Menschen einfach.", fügte Fighter unbekümmert an, wobei sie schief grinste. Chaser fand das allerdings gar nicht so witzig, weswegen sie nur ein schwaches Lächeln für diesen Kommentar übrig hatte. Außerdem war ihr heiß und kalt zugleich während sie nervös Fighter im Auge behielt und sich fragte, was sie wohl herführte. Kam sie wirklich, um sie zu sehen? Was, wenn sie ihr sagen wollte, dass sie zwar Spaß gehabt hatte in jener bewussten Nacht, dass das aber auch schon alles war? "Du hast doch jetzt Mittagspause, oder?", wollte Fighter wissen, obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass genau das der Fall war. Chaser antwortete lediglich mit einem Nicken. Anscheinend hatte sie wieder einmal ihre Zunge verschluckt. Die Verlegenheit war ihr förmlich anzusehen, was Fighter zugegebenermaßen sehr niedlich fand. Zudem wusste sie seit dem Ball, dass die Archivarin eine gewisse Anlaufzeit brauchte, um ihre Scheu vor anderen Menschen abzulegen. Und sie kannten sich nicht so gut als dass es gegenüber Fighter nicht mehr nötig gewesen wäre, so zu empfinden. Ganz abgesehen davon, dass man auf seine Emotionen ohnehin keinen sonderlich großen Einfluss hatte. Das hatte Fighter bereits häufiger feststellen dürfen. Egal. Viel wichtiger war jetzt, dass sie diese Sache bereinigte. "Verbringst du sie mit mir? Ich wüsste da einen ruhigen Ort, an dem uns keiner auf die Nerven gehen kann." Mit einem erwartungsvollen Lächeln sah Fighter zu der Blondine. Diese ließ sich die Sache kurz durch den Kopf gehen, tat dann aber, wieder durch ein Nicken, ihre Zustimmung kund. "In Ordnung.", fügte sie verbal hinzu. Zufrieden mit dieser positiven Antwort schnappte Fighter sich einfach das Handgelenk der Archivarin und zog sie praktisch hinter sich her aus der Bibliothek. Es dauerte nicht lange bis sie besagten Ort erreicht hatten. Wie Fighter versprochen hatte handelte es sich dabei um ein abgelegenes Plätzchen in der Nähe des Bibliotheksgebäudes. Umgeben von Hecken, die einen vor allzu neugierigen Blicken schützten, hatte Fighter ihre Begleitung zu einem kleinen, gepflasterten Platz geführt in dessen Mitte ein rundes Blumenbeet das Zentrum bildete. Einige steinerne Bänke, am heutigen Tag von den warmen Strahlen der Sonne beheizt, standen jeweils im Abstand von genau fünf Metern voneinander im Uhrzeigersinn um das Rondell herum. Lediglich eine Seite war frei gelassen worden - dort, wo sich der Ein- und Ausgang zu diesem schmucken Ort befand. Zielstrebig hielt Fighter auf eine der Bänke zu, nach wie vor Chasers Handgelenk festhaltend. Erst als sie vor der Bank standen ließ sie sie los. Beinahe augenblicklich setzte sich die Archivarin hin. Aufmerksam ließ sie den Blick schweifen, schien jedes Detail wahrnehmen und abspeichern zu wollen. Auf merkwürdige Art und Weise fühlte Fighter sich an Maker erinnert, die ähnlich vorging wenn sie einen Ort betrat, den sie vorher nicht gekannt hatte. Wahrscheinlich machten das alle Leseratten so, schloss die Schwarzhaarige. Im Gegensatz zu Chaser blieb Fighter stehen. Sie konnte sowieso nur selten still halten und mochte es nicht, wenn sie dazu gezwungen war. Am liebsten war die junge Frau ständig in Bewegung. Ihr Herumgehampel, wie der Bewegungsdrang seitens ihrer Schwestern öfter genannt wurde, konnte einem schon ziemlich auf den Zeiger gehen. Chaser schien sich bis jetzt jedoch nicht daran zu stören. Allerdings war sie inzwischen mit ihrer Bestandsaufnahme fertig geworden. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. "Es ist sehr schön hier.", bemerkte sie beiläufig und war stolz auf sich, dass ihre Stimme bei dieser simplen Feststellung nicht bebte. Ihre Aufregung hatte nämlich keinesfalls nachgelassen, eher im Gegenteil. Jetzt, wo sie mit Fighter an einem so unbeobachteten Ort war, steigerte sich ihre Nervosität um ein Vielfaches. Insbesondere, da Chaser nicht wusste, woran sie war. Es gab drei plausible Möglichkeiten weswegen Fighter sie hergebracht hatte. Entweder wollte sie ihr so schonend wie es ging einen Korb geben und dabei keine Zuschauer beziehungsweise Lauscher haben oder es war das genaue Gegenteil, in welchem Fall sie ebenso wenig irgendwelche Zaungäste wollen konnte. Und die dritte Möglichkeit, die durchaus auch in Betracht gezogen werden musste, war schlicht und ergreifend, dass Fighter nur etwas Zeit mit ihr verbringen wollte. Die Bibliothek lud nicht gerade dazu ein. Das war selbst Chaser bewusst, obwohl sie ihren Arbeitsplatz sehr mochte und zu schätzen wusste. Zudem war Fighter dafür bekannt, dass sie mit dem geschriebenen Wort nicht gerade viel anfangen konnte. "Das finde ich auch.", stimmte Fighter der Archivarin zu. Unruhig trat sie von einem Bein auf das Andere. Verdammt, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen war viel schwerer als sie geglaubt hatte. Hätte sie doch nur besser mit Worten umgehen können! Aber leider lagen ihre Talente in anderen Bereichen. Nicht, dass sie das sonst sonderlich gestört hätte, im Moment war das allerdings ziemlich hinderlich. "Ist alles in Ordnung?" Chaser war nicht entgangen, dass ihr Gegenüber unruhig zu sein schien, weswegen sie es für besser befand, nachzuhaken. Unwirsch nickte Fighter während sie nervös auf ihrer Unterlippe herumkaute. Sie musste jetzt langsam in die Füße kommen, wenn sie vor Ablauf von ihrer beider Mittagspause die Sache vom Tisch haben wollte. Uff. Chaser zog ihre eigenen Schlussfolgerungen aus dem merkwürdigen Verhalten der Schwarzhaarigen. Es sah ganz so aus als wolle Fighter ihr einen Korb geben. Allein der Gedanke versetzte Chaser einen so schmerzhaften Stich, dass sie meinte, keine Luft mehr zu bekommen. Tränen wollten sich in ihren Augenwinkeln bilden, doch mit aller Kraft drängte sie die salzigen Tropfen zurück. Sie konnte nicht immer anfangen zu heulen, nur weil jemand ihr etwas Unangenehmes sagen wollte. Es wurde Zeit, dass sie sich zusammenriss und dieser Hiobsbotschaft erwachsen entgegen trat. Langsam erhob Chaser sich von ihrem Sitzplatz, was Fighter aus ihrer inneren Einkehr zu reißen schien. "Was ist? Warum stehst du auf?", fragte sie mit einem fast panischen Unterton, der Chaser doch mehr als nur überraschte. "Um zu gehen.", erwiderte sie schlicht. Bedauern sprach aus ihrer Stimme. Ein wenig hilflos hoben sich ihre schmalen Schultern. Wie vom Donner gerührt starrte Fighter die Blondine an. "Aber warum denn?", wollte sie fast kläglich wissen. Wieder hoben sich die Schultern der Archivarin. Als sie dieses Mal den Mund auftat, um zu sprechen, bebte ihre Stimme merklich. "Weil es dir das leichter macht. Ich weiß, was du im Sinn hast. Wahrscheinlich sollte ich bleiben und es mir anhören, aber da ich ohnehin schon weiß, worum es geht ist das eigentlich überflüssig. Also gehe ich. Dann können wir beide uns einreden, dass diese Unterhaltung stattgefunden hat und den Ball als das vergessen, was er war: eine einmalige Sache." Vor Unglauben weiteten sich Fighters blaue Augen. Sie traute ihren Ohren kaum. Was zur Hölle faselte Chaser da? Hatte sie sich etwa verhört? Dass hoffte Fighter doch inständig. Falscher konnte man ja gar nicht liegen. Andererseits war ihr eigenes Benehmen anscheinend nicht durchsichtig genug, dass eine so kluge Person wie Chaser ihre wahren Absichten erkannte. Da keine Antwort seitens Fighter kam wandte Chaser sich zum Gehen. In ihrer Brust zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Genauso gut hätte sie sich einen Dolch zwischen die Rippen rammen können. Das hätte in etwa denselben Effekt gehabt. Bevor Chaser allerdings auch nur einen Schritt machen konnte, griff Fighter nach ihrem Handgelenk, ruppiger als beabsichtigt. Mit einem heftigen Ruck zog sie Chaser zu sich heran. "Ich denke, du wirst nirgendwo hingehen, Reika.", raunte Fighter der Blondine ins Ohr, ihren Arm um die schlanke Taille der Archivarin schlingend. Chaser aber erstarrte regelrecht zur Salzsäule. Nicht, weil Fighter sie aufhielt, sondern vielmehr weil sie ihren Vornamen gebrauchte. Schon lange hatte niemand Chaser mehr bei diesem Namen genannt. Woher wusste sie überhaupt, dass sie so hieß? "Du missverstehst mich ganz beträchtlich wenn du denkst, ich wolle dich abweisen. Das ist nicht der Fall. Verstehst du mich?" Fighters Raunen verursachte Chaser eine wohlige Gänsehaut. Ihre Nackenhärchen stellten sich auf, sie war nicht in der Lage, sich zu rühren oder einen Ton von sich zu geben. Träumte sie gerade? Geschah das tatsächlich? "Verstehst du mich?" Drängender hakte Fighter nach. Sie zog Chaser noch dichter an sich, um zu verhindern, dass diese sich plötzlich losriss. Der Blondine stockte der Atem. Mit Mühe brachte sie ein Nicken zustande, gelang es ihr ein leises "Ja" aus ihrer Kehle zu pressen. "Gut.", entgegnete Fighter, deren Lippen jetzt an Chasers Ohrmuschel entlang glitten, "Du solltest mir jetzt nämlich sehr genau zuhören." Als ob sie eine andere Wahl gehabt hätte! Erstens weil sie es nicht vermochte, sich aus Fighters Griff zu lösen, zweitens weil sie viel zu neugierig war, was diese ihr noch mitteilen wollte. Außerdem waren Chasers Knie inzwischen weich wie Pudding, so dass sie ohne den stützenden Arm der Schwarzhaarigen wahrscheinlich weggesackt wäre wie ein lebloser Gegenstand. "Ich habe es dir auf dem Ball schon mal gesagt. Du bist mir unter die Haut gegangen, Reika. Mehr als ich je hätte ahnen können. Die letzten Tage ist mir klar geworden, dass ich dich noch viel besser kennenlernen will." An dieser Stelle brach Fighter ab, da sie ihre Gedanken, die schon wieder wild durcheinander purzelten, erst einmal sortieren musste. Chaser aber nutzte die Chance, um ein paar Fragen zu stellen, die ihr unter den Nägeln brannten. "Woher weißt du, wie ich heiße?" Vollkommen aus dem Konzept gebracht gab Fighter ein schnaufendes Geräusch von sich. "Ist doch logisch, Dummkopf, ich hab Nachforschungen angestellt. Wenn man für die Prinzessin arbeitet ist es leicht, an Informationen zu kommen. Merk dir das. Ich weiß sogar, dass du ein tropfenfömiges Muttermal in der rechten Kniekehle hast.", entgegnete Fighter mit einiger Belustigung. Chaser mochte ja gebildet sein, aber in den entscheidenden Dingen des Lebens wirkte sie ein wenig hilflos, wenngleich Fighter nicht anders konnte als das sehr entzückend zu finden. Eine gewisse Naivität wirkte auf sie praktisch wie ein Magnet, zog sie magisch an wie eine Motte stets zum Licht flog. "Oh.", machte Chaser, die sich nicht hatte träumen lassen, dass jemand sich jemals so sehr für sie interessieren könnte, dass er oder sie tatsächlich Erkundigungen über sie einholte. Dann aber rief sie sich in Erinnerung, dass sie noch etwas Anderes wissen wollte. "Kennenlernen, du meinst Freunde sein?", schob sie daher reichlich unsicher klingend hinterher. Fighter gluckste leise. Himmel, das Mädchen war wirklich naiv. Eigentlich war es fast schon etwas gemein, wie sehr Fighter sich darüber amüsieren konnte. "Oder?", hakte Chaser nach, die definitiv eine Antwort erwartete. Schmunzelnd neigte Fighter sich noch etwas dichter zu ihrem Ohr. "Das gehört dazu, finde ich. Aber was ich eigentlich meinte, war etwas vollkommen Anderes. Etwas viel Intimeres als eine Freundschaft." Irritiert drehte Chaser sich in Fighters Arm um. Zuerst hatte sie nur den Kopf in ihre Richtung wenden wollen, aber schnell gemerkt, dass sie sich dabei bloß den Hals verrenken würde, wonach der Archivarin so gar nicht der Sinn stand. Also drehte sie sich einfach komplett um, so dass sie Fighter nun in die Augen sehen konnte. "Was ist denn intimer als eine Freundschaft?" Obwohl Chaser zwar gewisse Vorstellungen hegte konnte sie sich diese Frage nicht verkneifen. Außerdem hatte sie den Eindruck, dass es Fighter gar nicht störte, dass sie sich ein wenig begriffsstutzig zeigte. "Ich denke, das weißt du ganz genau.", entgegnete Fighter mit einem belustigten Schmunzeln auf den Lippen. Leicht beugte sie sich zu Chaser, die gut anderthalb Köpfe kleiner war als sie, herunter, um ihre Stirn gegen die der Blondine lehnen zu können. Auch Chaser konnte nun nicht anders als zu lächeln während ihr Inneres von einem Schwarm Schmetterlinge heimgesucht wurde. "Vielleicht glaube ich es zu wissen. Aber ich finde, es könnte nicht schaden, wenn du es einfach aussprichst." Ein neckender Unterton, den Chaser ihr gegenüber bisher nie so angeschlagen hatte, schlich sich in die Stimme der Blondine. Leise lachte Fighter. "Wie du wünschst.", stimmte sie zu, obwohl sie ahnte, dass es ihr nicht so leicht fallen würde wie sie gerade vorgab. Sie räusperte sich ein wenig, um Zeit zu gewinnen, sich mental darauf vorzubereiten, sich auf eine Weise zu öffnen, die sie bislang vermieden hatte. Sie hatte schließlich gesehen wie es Maker ergangen war als diese sich einem anderen Menschen geöffnet hatte. Und doch vertraute Fighter darauf, dass es bei ihr nicht so laufen würde. "Ich möchte mit dir befreundet sein. Viel mehr als das will ich aber... nun... ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll... Ich weiß nur, dass ich an nichts Anderes denken kann als an dich. Jede Stunde jeden Tages sind meine Gedanken bei dir, sehne ich mich nach dir. Nach deiner Nähe, nach deinem Lächeln, nach dem Klang deiner Stimme. Du verwirrst mich, Reika. Ich... ich habe das noch nie für jemanden gefühlt." Es folgte wieder eine kurze Pause seitens Fighter, die alle Mühe hatte, sich überhaupt zu artikulieren. Noch nie waren Worte ihr dermaßen schwer gefallen. "Ich habe das auch noch nie für jemanden gefühlt.", flüsterte Chaser. Vor Glücksseligkeit über die Worte Fighters wollte sie am liebsten zerspringen. Erst jetzt begriff sie wirklich, was es hieß, wenn man glücklich war - ein Gefühl, so berauschend, dass sie danach hätte süchtig werden können. "Dann haben wir ja etwas gemeinsam." - "Ja, das haben wir." Und als ob sie sich abgesprochen hätten fingen beide Mädchen an, herzhaft zu lachen. Kapitel 14: Vernunft vs Gefühl ------------------------------ Weit weniger vergnüglich ging es im königlichen Palast zu. Genauer gesagt im Salon von Prinzessin Kakyuu, den sie gewöhnlich benutzte, um Gäste zu empfangen oder mit ihren Hofdamen dort den Tag zu verbringen. Heute waren weder Diplomaten, andere Adelige, noch Hofdamen anwesend. Stattdessen fand eine ernste Unterredung zwischen Kakyuu und ihrer Mutter statt. Von einem Dienstmädchen war Tee gebracht worden. Doch dieser stand unbeachtet auf seinem Tablett herum, wurde kalt während sich Mutter und Tochter von einer Unterhaltung zu einem ernsthaften Zwist weiter entwickelten. "Es geht nicht anders und das weißt du genau. Du hast es schon immer gewusst.", erklärte die Königin mit Nachdruck in der Stimme. Ernst waren ihre goldenen Augen auf die rothaarige Tochter gerichtet, die sich an diesem Tag wirklich unmöglich gebärdete. Sonderlich begeistert war die Thronfolgerin Kinmokus von einer arrangierten Eheschließung noch nie gewesen, dessen war die Königin sich sehr wohl bewusst. Allerdings hatte der Rotschopf sich zuvor niemals so energisch dagegen ausgesprochen, geschweige denn rundweg rebelliert gegen die Vorstellung einer baldigen Verlobung und Eheschließung mit einem passenden, jungen Mann. 'Vielleicht haben wir ihr einfach zu viel Freiraum gelassen.', schoss es der Königin ein wenig resigniert durch den Kopf. Dadurch hatten ihr Mann und sie der Tochter signalisiert, dass es in Ordnung war, Träume zu haben, Vorstellungen davon, wie sie ihr Leben gestalten wollte. Die selbstverständliche Freiheit, die andere Menschen hatte, war ihr, da sie nun einmal dem Herrschergeschlecht entstammte, jedoch versagt. So war es immer gewesen, so würde es immer sein. Daran gab es nichts zu rütteln, wie sehr Kakyuu sich gegen Traditionen auch auflehnen mochte. Es war skandalös genug, dass sie zugelassen hatte, dass die Anführerin ihrer Leibgarde eine ganze Nacht mit irgendeiner unwichtigen Archivarin getanzt hatte. Obwohl die Königin sich in Bezug auf Fighter schon lange ihre eigenen Gedanken gemacht und entsprechende Schlüsse gezogen hatte. Es war nicht direkt verboten, dass Fighter sich mehr für das eigene Geschlecht interessierte als für Männer, allerdings konnte die Königin sich nicht wirklich damit anfreunden, dass es so war. Außerdem hielt sie es für sehr wahrscheinlich, dass Fighter ihrer Tochter damit Flausen in den Kopf gesetzt hatte, wie etwa, dass Männer im Prinzip unwichtig waren und keine Rolle im Leben einer Frau zu spielen brauchten. Was natürlich ausgemachter Unsinn war. Ohne Männer konnte es schließlich keine Fortpflanzung geben. Das wusste wirklich jedes Kind. Von Fighter wurde zwar nicht zwingend erwartet, dass sie reproduzierte. Aber Kakyuu würde eines Tages Königin sein. Sie musste eine Thronfolgerin zur Welt bringen, was erforderte, dass sie sich mit einem Mann vermählte. Wie man die ganze Angelegenheit auch drehte und wendete, Kakyuu musste einlenken, ob es ihr nun gefiel oder nicht. In dieser Sache würde die Königin keinen Zoll zurückweichen. "Mag sein.", räumte die Thronfolgerin Kinmokus ein, wenn sie auch wenig begeistert klang, "Aber das ist doch nichts, was man überstürzen müsste. Ja, ich bin nun mündig. Dennoch kann eine Verlobung warten. Ich finde, dass es viel wichtiger ist, mich noch intensiver mit den Staatsgeschäften vertraut zu machen." Im Zweifelsfall war es immer klüger an die Vernunft zu appellieren, das Wohl des Volkes an oberste Stelle zu setzen, wenn man Kakyuus Mutter von etwas überzeugen wollte. Da die Krone allein über die weibliche Linie der Familie vererbt wurde kam Kakyuus Vater wenig Entscheidungsgewalt zu, weshalb er auch bei dieser Diskussion, die geradewegs in einen handfesten Streit zu münden drohte, nicht anwesend war. "Du bist jetzt im besten Alter, Tochter.", erwiderte die Königin streng, ehe sie das ultimative Totschlagargument zum Besten gab, nämlich ihr eigenes Leben als Paradebeispiel anzuführen. "Ich war genauso alt wie du als ich deinen Vater geheiratet habe und nicht einmal zwei Jahre älter als du bei deiner Geburt. Und ich war bereits in sehr viel jüngerem Alter verlobt. Etwas, wogegen du dich immer gesträubt hast. Dein Vater und ich sind dir darin entgegen gekommen. Das geht jetzt nicht mehr. Es wird nun einmal von dir erwartet, dass du dir endlich einen Ehemann auswählst. Der Ball war schließlich dieses Jahr nicht nur dazu gedacht, deines Geburtstages zu gedenken. Es haben sich bereits viele passende Bewerber vorgestellt, doch du hattest keinen Blick für sie, weil du mit deiner Leibwache beschäftigt warst. Ich weiß nicht genau, was du mit Healer gemacht hast, aber ich schwöre dir, dass sie unehrenhaft aus dem Dienst entlassen werden wird, wenn sich herausstellen sollte, dass es etwas Verwerfliches und Unangemessenes war." Kakyuu schnaubte leise. Allerdings war sie in diesem Moment verdammt froh, dass ihre Mutter keine Gedanken lesen konnte. Sonst hätten ihr sicher die feuerroten Haare zu Berge gestanden. Nun, so skandalös waren die Dinge nicht gewesen, die sich zwischen Healer und der Prinzessin abgespielt hatten, aber es hätte wohl eindeutig genügt, um für die Königin den Tatbestand des "Verwerflichen und Unangemessenen" zu erfüllen. Dass Healer ihres Amtes enthoben wurde war das Letzte, was Kakyuu wollte. Sie würde alles daran setzen, ihre Liebste zu beschützen - ganz gleich, was es kosten mochte, sie würde den Preis dafür zahlen. "Ich bitte dich, Mutter. Healer ist eine gute Freundin (was nicht direkt gelogen war, aber auch nicht vollständig der Wahrheit entsprach), nichts weiter. Und bevor du dazu kommst, haltlose Anschuldigungen gegen Maker und Fighter vorzubringen: auch sie sind lediglich gute Freundinnen. Dagegen kannst nicht einmal du wettern!" Eine nicht unerhebliche Schärfe hatte sich in Kakyuus Stimme geschlichen. Wütend fixierten ihre roten Augen die Frau, der sie ihr Leben verdankte - und ihre Bürde. "Was erlaubst du dir!", empörte sich nun die Königin fassungslos darüber, wie renitent und impertinent ihre Tochter ihr gegenüber war. "So sprichst du nicht mit mir, Fräulein! So nicht! Und wenn du dich weiter so ungebärdig stellst, werde ich die ganze Angelegenheit ganz einfach regeln, indem ich aussuche, wen du heiraten wirst." Nun war es an Kakyuu, die Fassung zu verlieren. Sprachlos starrte sie ihre Mutter an. Das konnte doch unmöglich ihr Ernst sein! "Du bist eine Prinzessin, Tochter. Du hast Verpflichtungen, die du erfüllen musst. Eine standesgemäße Ehe gehört dazu, ob es dir gefällt oder nicht!" Mit diesen Worten erhob die Königin sich von der Sitzgelegenheit, die sie bis dato okkupiert hatte, machte auf dem Absatz kehrt und rauschte so majestätisch, wie es ihr nur möglich war, aus dem Salon. Im Korridor passierte sie Maker, die im Moment die diensthabende Leibwache war und die ihrer Aufgabe mit ausdrucksloser, steinerner Miene nachkam. Nicht, dass die Königin ihr großartig Beachtung geschenkt hätte, dafür war sie viel zu aufgebracht. Kakyuu hingegen sah ihrer Mutter einen langen Moment nach, ehe auch sie sich umwandte. Allerdings verließ sie den Salon in die entgegen gesetzte Richtung, welche zu ihrem Schlafgemach führte, wo sie sich verzweifelt auf ihr ausladendes Bett warf. Dort ließ sie ihren Tränen, die sie während des Streits mit der Königin mühsam zurückgehalten hatte, freien Lauf. Eine halbe Ewigkeit machte sie so ihren Gefühlen Luft. Erst als sie sich allmählich beruhigte, wurde sie der Hand gewahr, die sanft auf ihrem Rücken lag und behutsam darüber streichelte. Als hätte eine Tarantel sie gestochen fuhr Kakyuu herum, erkannte aber erleichtert, dass es Maker war, die stillschweigend versucht hatte, ihr Trost zu spenden. Schwach lächelte Kakyuu die Brünette an. Es war ihr peinlich, dass sie diesen Ausbruch mitbekommen hatte. Andererseits war Maker kein Dummkopf. Ihr musste aufgefallen sein wie sich Kakyuus und Healers Verhältnis zueinander seit dem Ball verändert hatte. Ganz zu schweigen davon, dass Healer in jener bewussten Nacht bei ihr im Palast geblieben war. Es war nichts Verwerfliches geschehen (wenn man von sehr innigen Küssen einmal absah), dennoch musste Healers Abwesenheit gewisse Fragen aufgeworfen haben. Kakyuu war sich nur nicht sicher, ob sie bereit dazu war, mit Maker über diese eine Sache zu sprechen. Nicht jetzt schon. Aber wie es schien war ihr einfach nicht mehr Zeit vergönnt. Leise seufzte die Prinzessin. Als sie allerdings den Versuch machte, etwas zu sagen wurde sie durch ein Kopfschütteln seitens Maker davon abgehalten. "Ihr müsst mir nichts erklären. Ich verstehe sehr gut, wie Ihr Euch jetzt fühlt. Lasst Euch gesagt sein, dass diese Verzweiflung nicht ewig anhalten wird. Dafür müsst Ihr aber akzeptieren, dass Eure Gefühle für meine Schwester sich nicht ziemen." Empört schnappte Kakyuu nach Luft. Maker ließ sie jedoch nicht zu Wort kommen. "Es ist nicht so als würd ich es Euch und Yaten nicht gönnen, versteht Ihr? Denn das tue ich. Von ganzem Herzen sogar. Aber vergesst nicht, dass sie Eure Leibwächterin ist. Ihr seid eine Prinzessin. Das bedeutet, dass Ihr Eurem Volk gehört. Sie mögen Eure Untertanen sein, aber Ihr seid es, die einmal als Mutter der Nation gesehen werden wird. Es ist Eure Pflicht, uns zu führen, dafür zu sorgen, dass die Dinge im Gleichgewicht bleiben. Aber wie können sie das, wenn Ihr urplötzlich von Traditionen abweicht, die seit Jahrhunderten Bestand haben? Bedenkt die Konsequenzen, die es nicht nur für Euch persönlich hätte, wenn Ihr Euch öffentlich zu Yaten bekennt und sie sich zu Euch." Mit ungewöhnlich sanfter Stimme sprach Maker zu ihrer Prinzessin. Ihr lag ja auch nicht daran, sie zu verletzen, sondern viel mehr, sie davon zu überzeugen, dass gewisse Dinge sich nun einmal nicht ändern ließen. Auch nicht, wenn man die zukünftige Thronfolgerin einer Nation war. "Was würden die Verbündeten Kinmokus dazu sagen? Oder unser Volk? Nicht alle könnten oder würden verstehen, dass man sich nun einmal in Menschen verliebt, nicht in deren Geschlechter. Bitte, bedenkt doch die Folgen, die Euer Tun haben kann. Im schlimmsten Fall könnte es unsere friedvolle Nation in einen Krieg reißen." Makers Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. In der Tat hatte Kakyuu überhaupt nicht daran gedacht, dass ihre Gefühle für Healer zu einem solchen Resultat führen konnten. Sie musste es nicht zwingend, die Wahrscheinlichkeit, dass jemand aufgrund einer eingebildeten Kränkung jedoch anfing, böses Blut zu schüren war alles Andere als abwegig. Der Gedanke allein reichte, um Kakyuu einen eisigen Schauer über den schmalen Rücken zu jagen. "Auch wenn Ihr Euch noch so sehr wünschen mögt, wie andere Mädchen zu sein, ändert es nichts an der Tatsache, dass Ihr eine Prinzessin seid. Eure Pflicht liegt ganz bei Eurem Volk und dabei, was das Beste für es ist. Meine Schwester wird es verstehen, schließlich erfüllt auch sie ihre Pflicht an Euch oder nicht?" Verzagt nickte Kakyuu, deren Herz trotz der Sanftheit Makers brechen wollte. Ein Kloß bildete sich in ihrer Kehle. Sie stand kurz davor, erneut in Tränen auszubrechen. Dabei hatte sie geglaubt, dass sie sich leer geweint hätte. Es schien als kenne ihr Kummer keine Grenzen. Und wie konnte er das, wo sie doch aufgeben musste, was ihr am Teuersten in der gesamten Galaxis war? "Vielleicht glaubt Ihr, dass es immer so wehtun wird wie es das jetzt gerade tut. Vertraut mir, wenn ich Euch sage, dass dem nicht so ist. Der Schmerz wird mit jedem Tag geringer werden. Zuerst wird es Euch nicht auffallen, aber nach und nach wird er nachlassen bis Ihr irgendwann nur noch einen dumpfen Nachhall dessen spüren werdet, was Ihr in diesem Moment empfindet." Ein trauriges Lächeln umspielte Makers Lippen. Es war offensichtlich, dass sie aus persönlicher Erfahrung sprach, was es für Kakyuu jedoch nicht leichter machte, zu akzeptieren, dass ihre Leibwächterin Recht hatte. "Und bevor Eure Mutter einen Mann für Euch wählt solltet Ihr Vernunft annehmen, damit Ihr wenigstens darüber selbst bestimmen dürft." Mit diesen Worten erhob Maker sich von der Bettkante, um sich zum Gehen zu wenden. Es war an der Zeit, dass sie ihren Posten vor den Räumlichkeiten der Prinzessin wieder einnahm. Zu ihrer Arbeit gehörte es nämlich eigentlich nicht, Trösterin zu spielen, doch Kakyuu war für sie weit mehr als nur eine Aufgabe. Die Prinzessin hatte nicht gelogen als sie zu ihrer Mutter sagte, dass Freundschaft sie mit ihrer Leibgarde verband. Dennoch wollte Maker nicht riskieren, dass man sie abseits ihres Posten erwischte während sie Dienst hatte. Schweren Herzens ließ sie Kakyuu mit deren Gedanken allein. Der Rotschopf hatte nun viel Stoff zum Nachdenken. Kapitel 15: Die geliehene Zeit ------------------------------ Nie hatte Chaser es für möglich gehalten, dass sie einmal so glücklich sein könnte. Bevor Fighter aktiv in ihr Leben getreten war, war es zwar nicht schrecklich gewesen oder sie enorm unglücklich, doch der Unterschied zu vorher war doch deutlich spürbar. Nicht nur für die Archivarin, sondern ebenso für ihre Umwelt. In der Bibliothek hatte man sich inzwischen daran gewöhnt, dass Fighter um die Mittagszeit hereinschneite und so praktisch zum Dauergast wurde. Oft verließ das Pärchen die Bibliothek um die schönen Sommertage auszunutzen, die ihnen noch blieben, ehe der Herbst Einzug halten und das gute Wetter sich größtenteils in Richtung nass und kalt entwickeln würde. Es kam allerdings so manches Mal vor, dass Fighter und Chaser im Archiv blieben. Begegnete man an diesen Tagen der Blondine nach ihrer Mittagspause war dem aufmerksamen Beobachter sofort klar, was sich zugetragen haben musste. Die roten Wangen, die geschwollenen Lippen, die funkelnden grauen Augen - sie alle waren verräterisches Indiz genug. Und wenn Bücherregale auch nicht gerade bequem im Rücken waren, musste Chaser doch zugeben, dass es ihr überraschend viel Spaß machte, gegen eines davon gedrückt zu knutschen. Es war ihr sogar recht gleichgültig mit welch wissenden und amüsierten Blicken ihre Kolleginnen sie bedachten, wenn sie und Fighter sich schweren Herzens voneinander hatten trennen müssen. Sollten sie doch glotzen. Chaser genoss jede Sekunde, die sie mit der Schwarzhaarigen gemeinsam verbringen durfte. Ihre freie Zeit, die sie zuvor ohne Gesellschaft verbracht hatte, wurde nun beinahe vollständig von Fighter eingenommen. Noch etwas, das sich drastisch verändert hatte, denn eigentlich hatte Chaser sich immer für jemanden gehalten, der gut allein sein konnte, dem Einsamkeit nichts ausmachte, der keine anderen Menschen um sich herum brauchte, um sich wohl zu fühlen. Jetzt vermisste sie Fighter in jedem Augenblick, den sie nicht mit ihr verbrachte, mit jeder Faser ihres Körpers. Tage, an denen sie sich nicht sehen konnten, bescherten Chasers Kolleginnen eine äußerst missgestimmte Mitarbeiterin, die wortkarg (obwohl sie das ja schon immer gewesen war) und in sich selbst zurückgezogen war. Hingegen wusste Dreamer unter Anderem zu berichten, wie sehr sich Chasers Verhalten wandelte wenn sie mit Fighter zusammen war. Eine Tatsache, die im Übrigen auch Fighter selbst nicht verborgen geblieben war. Obwohl Chaser zu Beginn ihrer Liebesbeziehung sehr scheu und zurückhaltend gewesen war, wie Fighter es nicht anders von ihr erwartet hatte, nahm das Stück für Stück ab je mehr Zeit sie miteinander verbrachten und je näher sie sich kamen, sowohl emotional als auch körperlich. Ihre ersten Versuche einer Verabredung waren reichlich aus dem Ruder gelaufen, was allerdings nicht nur an Chasers Schüchternheit gelegen hatte, sondern durchaus auch daran, dass Fighter, obwohl bei zwanglosen Affären kein Kind von Traurigkeit, keine Ahnung hatte, wie man so ein Date gestaltete - ohne, dass es gleich ans Eingemachte ging. Sie hatten sich beide linkisch benommen, waren unbeholfen gewesen. Es hatte lange Pausen ziemlich unangenehmen Schweigens zwischen ihnen gegeben, obwohl sie sich bemüht hatten, genau das zu verhindern. Spaziergänge waren in der Regel verkrampft und ohne fesselnde Gespräche verlaufen und zu Anfang hatte Fighter nicht mal gewusst, wie sie eine Verabredung anders gestalten sollte. Dass im königlichen Palast alles über die ungewöhnliche Verbindung tuschelte und die Königin, was allgemein bekannt war, überhaupt nicht amused war, machte die ganze Sache nicht leichter. Am Rande bekam Fighter mit, dass sogar Wetten darauf abgeschlossen wurden, wie lange die Beziehung mit Chaser halten würde. Die meisten gaben ihnen nicht einmal einen Monat, was Fighter zutiefst erzürnte. Doch sie sagte nichts dazu, ignorierte die Gerüchte und das Getuschel so gut sie konnte. Es würde nachlassen wenn man sah, dass es sie nicht interessierte. Zumindest nach außen hin. Ihren Schwestern konnte Fighter jedoch nichts vormachen. Diese sahen genau, dass das Gerede sie deutlich mitnahm. Dass die Verabredungen anfangs nicht gut liefen tat nur sein Übriges. Healer glaubte sowieso nicht daran, dass die Sache mit Fighter und Chaser lange halten würde. Dafür waren die beiden jungen Frauen ihrer Meinung nach zu unterschiedlich. Chaser war introvertiert, gebildet und schätzte es, in Ruhe gelassen zu werden, um sich die Zeit mit Lesen zu vertreiben. Fighter hingegen war praktisch das genaue Gegenteil: extrovertiert, flirtete gern und viel, genoss es im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen und sich sportlich zu betätigen. Nein, wenn man Healer fragte, dann war diese "Beziehung" zum Scheitern verurteilt. Aber sie befasste sich ohnehin nur peripher mit Fighters kleinem Projekt. Healer hatte eigene Sorgen und Nöte, die allesamt um Kakyuu kreisten. Irgendwann war bei Fighter und Chaser der Knoten geplatzt. Im Nachhinein konnte keine mehr so genau sagen, wie es dazu gekommen war. Wahrscheinlich lag es an dem heftigen Streit, den sie miteinander gehabt hatten. Ausnahmsweise waren sie nicht spazieren gegangen, sondern hatten sich im Park getroffen. Dort gab es einen Brunnen, der sich bei Pärchen großer Beliebtheit erfreute - außer an diesem Tag. Das musste wohl am Wetter liegen. Obwohl der Himmel strahlend blau war wehte ein kräftiger und kalter Wind. Das Laub an den Bäumen hatte bereits begonnen, sich zu verfärben. Ein eindeutiges Indiz, dass der Herbst kurz bevor stand. Sie waren anderthalb Monate zusammen und hatten mehr verkrampfte Verabredungen hinter sich als man glauben mochte. Es sah ganz danach aus als würde es auch heute wieder zu einer solchen kommen. Eine Aussicht, die sowohl Fighter als auch Chaser grauenhaft fanden. Letztere musste zugeben, dass sie sich aus ihrer Schüchternheit befreien musste, zumindest gegenüber Fighter, wenn sie wollte, dass es funktionierte. Jedes Mal war sie wie gelähmt, wenn die Schwarzhaarige ihre Nähe suchte. Obwohl ihr Herz freudige Hüpfer tat und ihr heiß und kalt zugleich wurde, weil es ja genau das war, wonach sie sich sehnte, ließ sie Fighter nicht so richtig an sich heran. Chaser wusste selbst nicht, wieso sie so reagierte, ärgerte sich maßlos darüber. Vor allem weil sie genau sehen konnte, wie sehr es Fighter frustrierte. Was einem Märchen gleich begonnen hatte drohte sich mehr und mehr in einen Alptraum zu verwandeln. Aber das durfte nicht passieren. Das durfte es einfach nicht! Allein beim Gedanken daran, dass es jemals zu Ende sein könnte schnürte sich Chaser die Kehle zu. Nein. Sie würde es nicht zulassen - hoffentlich. Wie auch immer, die beiden jungen Frauen saßen auf dem Brunnenrand. Zwischen ihnen mindestens ein Meter Abstand, wenn nicht mehr. Sie berührten einander nicht. Keine von ihnen sagte etwas. Fighters Blick war unbestimmt in die Ferne gerichtet, Chaser betrachtete angelegentlich den staubigen Boden zu ihren Füßen. Nur das Rauschen des Windes und das Plätschern des Wassers im Brunnen waren zu hören. Das Schweigen dehnte sich aus. Je länger es andauerte, desto unangenehmer wurde es. Irgendwann hatte Fighter schlichtweg die Nase voll. Frustriert schnaufte sie, was Chaser dazu veranlasste, sie anzusehen. Gewöhnlich vermied die Archivarin es, andere Menschen direkt anzusehen, da sie das nicht gern tat. Es war ihr schlichtweg zu persönlich. Allerdings hatte sie inzwischen die Fähigkeit, an Anderen vorbeizusehen, ihnen dabei aber das Gefühl zu geben, sie direkt anzuschauen, perfektioniert. Sie hatte es ja auch lange genug trainiert. Fighter war einer der sehr wenigen Menschen bei denen Chaser davon absah. Vielleicht weil sie ihr so unbewusst zeigen konnte, was sie ihr bedeutete. Aber wie es aussah genügte das nicht. "So kann das nicht weiter gehen.", stellte Fighter fest, die sich um eine ruhige, sachliche Tonlage bemühte, der man den Kloß im Hals aber sehr deutlich anhören konnte. "Das siehst du doch ein, oder? Reika?" Jedes Mal, wenn Fighter ihren bürgerlichen Namen gebrauchte, überlief Chaser eine wohlige Gänsehaut. Sie nagte fieberhaft an ihrer Unterlippe, wusste, dass sie irgendwie reagieren musste. Am besten verbal. Doch ihr Hirn war wie leergepustet. Stattdessen machte sich Panik in ihr breit. Ihr schwante, in welche Richtung das Gespräch gehen würde und diese gefiel ihr ganz und gar nicht. Ehe sie sich äußern konnte, ergriff Fighter bereits wieder das Wort. "Ich habe dich gern, aufrichtig gern. Sogar sehr. Mehr als ich sollte wahrscheinlich. Aber wenn das so weiter geht... Das kann ich einfach nicht. Verstehst du?" Unwirsch fuhr Fighter sich mit einer Hand durch das schwarze Haar. Ernst und traurig zugleich war der Blick ihrer blauen Augen. Sie konnte einfach nicht still halten, musste sich bewegen. Also stand sie auf, um stattdessen vor Chaser auf und ab zu laufen. Der Archivrain war inzwischen das Herz in die Kniekehlen gesackt, weswegen sie es nicht schaffte, sich zu rühren. Wie gelähmt saß sie da, es rauschte in ihren Ohren. Sie konnte Fighters Worte kaum verstehen. "Jedes Mal wenn ich versuche, dir auch nur das geringste Bisschen näher zu kommen weichst du vor mir zurück als würde ich dir bei lebendigem Leib die Haut vom Körper abziehen wollen. Bin ich dir wirklich so sehr zu forsch? Hast du Angst vor mir? Ist es das?" Jetzt wirkte Fighter viel eher hilflos als wütend. Die Frustration war jedoch noch immer deutlich zu spüren. "Ich verstehe ja, dass du... dass du schüchtern bist. Dass du ... Dinge noch nicht getan hast, die ich schon ... schon öfter getan habe als ich zählen kann. Und ich weiß nicht, ob das wirklich etwas ist, auf das ich stolz sein sollte." Fighter unterbrach sich kurz, um sich zu räuspern. Ihr wollte die Stimme immer noch fast versagen. Langsam mischte sich jedoch wieder Wut in ihre Hilflosigkeit - und insbesondere eine gehörige Portion Schmerz. Sie hatte nie geahnt, wie weh Zurückweisung tun konnte. Jetzt wusste sie es und wünschte sich nichts sehnlicher als es nicht zu tun. Unwillkürlich fragte sie sich, ob Maker sich damals so gefühlt hatte, als... Aber das gehörte hier nicht hin. Es ging um Chaser und sie. Niemand sonst war beteiligt an ihrer Misere. "Aber verdammt, Reika, ich werde dich schon nicht fressen! Oder dir an einem öffentlichen Ort die Klamotten vom Leib reißen. Oder wovor auch immer du sonst Angst haben magst. Alles, was ich will, ist dir nahe zu sein. Ich will dich in meinen Armen halten, deine Wärme spüren, deine Lippen küssen. Mehr will ich doch gar nicht." 'Im Moment jedenfalls.', fügte Fighter gedanklich hinzu, denn sie musste zugeben, dass sie irgendwann durchaus gern intimer mit Chaser werden wollte. Nicht, dass es momentan so aussah als würden sie diesen Punkt je erreichen. Erneut fuhr die Schwarzhaarige sich mit einer Hand durchs Haar, das sie dadurch so sehr zerzauste, dass es wirr von ihrem Kopf abstand. Für einen Moment glich Fighter einem zornigen Igel. Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre hätte Chaser vielleicht gelacht. "Du willst das anscheinend nicht. Warum auch immer. Ich meine... was ist passiert? Als es angefangen mit uns... ich meine... wir haben uns einmal geküsst. Richtig geküsst. Aber seitdem hältst du mich auf Abstand wenn ich versuche... und ich verstehe einfach nicht wieso! Küsse ich so schlecht?" Jetzt richteten sich Fighters Augen genau auf Chaser. Diese hockte auf dem Brunnenrand wie ein Häufchen Elend. Allerdings machte sie keinerlei Anstalten, etwas zu sagen, sich zu verteidigen oder sonst zu reagieren, was Fighter nur wütender und frustrierter machte. Am liebsten hätte sie Chaser an den Schultern gepackt und fest geschüttelt. Mehrere Minuten verstrichen in denen keine von ihnen etwas sagte. Schließlich seufzte Fighter resigniert. "In Ordnung, dann ist das wohl so.", bemerkte sie mit fast brechender Stimme während sie sich zum Gehen wandte. Es überraschte sie, wie weh ihr das tat. Na ja, jedenfalls eine Person würde sich über den Bruch freuen. Bestimmt würde Healer eine Menge höhnischer Bemerkungen machen. Darauf war Fighter wirklich nicht erpicht, aber sie wusste genau, dass sie vor ihren Schwestern niemals geheim halten konnte, was hier passiert war. Fighter war nur wenige Schritte gegangen als sich mit erstaunlicher Kraft Chasers Hand um ihren Oberarm schloss und sie somit zum Stehen bleiben zwang. Obwohl sie absolut nicht in der Stimmung dafür war wandte Fighter sich der Blondine zu. Deren graue Augen schwammen schier in Tränen. Fast schon automatisch zog sich Fighters Herz schmerzhaft zusammen. Verdammt. Ihre harten, aber ehrlichen Worte mussten die Archivarin verletzt haben. Andererseits war sie schließlich nicht aus Stein. Es war logisch, dass sie ihr damit wehgetan hatte. "Ni-nicht.", wimmerte Chaser, die befürchtete, zusammen zu brechen, bevor sie Fighter davon überzeugen konnte, dem Ganzen noch eine Chance zu geben. Ihr war klar, dass sie dafür etwas tun musste, dass sie guten Willen zeigen musste. Mehr als hohle Phrasen dreschen, sondern sich öffnen und ehrlich sein. Sie hatte solche Angst davor. Doch noch sehr viel mehr Angst hatte Chaser davor, dass Fighter sie verlassen könnte. Das würde sie nicht ertragen. Fighter hingegen war hin- und hergerissen, wie sie reagieren sollte. Immerhin schien Chaser durchaus etwas an ihr zu liegen. Trotzdem war die Schwarzhaarige nicht bereit, es der Archivarin so leicht zu machen. "Sag mir warum. Warum sollte ich nicht gehen?" Fest biss Chaser in ihre Unterlippe. Ihr war beinahe schlecht vor Aufregung. Aber ihr war bewusst, dass sie sich offenbaren musste, wenn sie nicht wollte, dass Fighter sie verließ. Es war nur so unendlich schwer. Viel zu schwer für Chasers Geschmack. Einen anderen Ausweg gab es jedoch nicht. Also holte sie tief Luft, versuchte, die Panik in ihrem Inneren zu zügeln und Fighter endlich reinen Wein einzuschenken. "Es ist nicht, weil du schlecht küsst.", nuschelte die Blondine tödlich verlegen. Zarte Röte überzog nun ihre Wangen. Eigentlich verhielt es sich völlig gegenteilig. Fighter allerdings war erst mal baff aufgrund dieses Gständnisses. "Was ist denn dann das Problem?", hakte sie verwirrt nach, "Ist es wirklich, weil ich zu ... aufdringlich bin?" Was sie sich eigentlich nicht vorstellen konnte. Sie hatte darauf geachtet, Chaser nicht ungebührlich zu berühren, wenn man von Umarmungen und Händchen halten einmal absah. Bloß, dass man das wohl nicht als unanständig bezeichnen konnte. Zumindest nicht nach Fighters Definition. Langsam schüttelte Chaser den Kopf. Auch das war es nicht, wo der Hase im Pfeffer lag. Sie seufzte schwer als läge die Last des gesamten Planeten auf ihren schmalen Schultern. "Spuck es aus, Reika.", verlangte Fighter ungeduldig. Schon machte sie Anstalten sich aus dem Griff der Archivarin befreien zu wollen. Diese aber ruckte an ihrem Arm. Ehe Fighter sich versah hatte Chaser sich auf die Zehenspitzen gestellt und küsste sie, in der Öffentlichkeit wohlgemerkt, mitten auf den Mund. Dabei ging sie ein wenig unbeholfen und grob vor, was jedoch auf ihre Unerfahrenheit zurückzuführen war. Viel Gelegenheit, zu üben hatte sie ja nicht gehabt, da sie sämtliche Avancen seitens Fighter bislang abgelehnt hatte. Es dauerte einen Moment bis Fighter sich wieder gefangen hatte, wenngleich ihre Verwirrung ins Unendliche stieg. Sanft, aber bestimmt schob sie Chaser von sich. "Das ist kein Argument, das weißt du.", sagte sie sehr leise, aber so vernehmlich, dass sie sicher sein konnte, dass Chaser sie verstanden hatte. Die Blondine nickte, schluchzte dann aber auf, womit sie Fighter augenblicklich weich geklopft hatte. Wenn es eines gab, dass die Schwarzhaarige nicht ertragen konnte, dann waren es Chasers Tränen. Fighter machte sich doch von Chaser los, umarmte sie aber sofort und zog sie dicht an sich heran, während sie beruhigende Laute von sich gab. Irgendwann bekam Fighter mit, dass Chaser zwischen den Schluchzern versuchte, sich zu erklären. Das ehrte sie zwar, allerdings verstand Kakyuus Leibwächterin kein Wort von dem, was Chaser äußerte. Innerlich seufzend bugsiert sie das Häufchen Elend zurück zum Brunnenrand, wo sie sich mit ihr niederließ. Glücklicherweise versiegten Chasers Tränen kurz darauf. Obwohl es die Archivarin einigen Mut kostete, hob sie den Blick um mit verheulten Augen Fighter anzusehen. "Es ist weil du zu gut küsst.", quiekte Chaser kaum hörbar. Fighter hingegen wollte beinahe die Kinnlade runterklappen. Hatte sie sich gerade verhört oder hatte Chaser das wirklich gesagt? "Weil ich... Aber... das verstehe ich nicht.", musste die Schwarzhaarige zugeben, jetzt noch verwirrter als vorher. Chaser lief so rot an wie eine überreife Tomate. Verlegen räusperte sie sich. "Das macht Dinge mit mir. Wenn du mich küsst, meine ich. Es fühlt sich so gut an, dass ... Ich kann es gar nicht beschreiben. Aber es macht Dinge mit mir, die mir peinlich sind. Außerdem habe ich Angst, dass ich... forsch werde." Am liebsten wäre Chaser vor Scham im Boden versunken. Es kostete sie viel Überwindung, nicht einfach aufzuspringen und davon zu laufen. Nichts hätte sie lieber getan. Andererseits wurde ihr, je mehr sie preisgab, leichter ums Herz. Fighter meinte langsam, zu begreifen, was die Crux war. Ein amüsiertes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. "Es macht dich also scharf, wenn ich dich küsse?", hakte sie grinsend nach, genau wissend, wie gemein sie gerade war. Aber nachdem sie sich so lange Zeit den Kopf darüber zerbrochen hatte, was sie falsch machte, fand sie es nur gerecht wenn sie Chaser jetzt etwas foppte. Tödlich verlegen nickte die Blondine. Damit traf Fighter wirklich den Nagel auf den Kopf. Langsam beugte sie sich zu ihrem Ohr vor. "Sag es.", hauchte Fighter hinein, "Ich will, dass du es sagst." Fast entsetzt sah Chaser sie an. Ihr war der Mund trocken geworden. Dafür verhielt es sich mit anderen Regionen ihres Körpers genau gegenteilig. Unruhig rutschte sie auf der steinernen Bank herum. "Es... es... m-ma-macht... michscharfwenndumichküsst." Zuerst stockend brachte Chaser den halben Satz praktisch als ein Wort heraus. Sie schämte sich in Grund und Boden und hatte das Gefühl, dass ihr Kopf schier glühte. Fighter hingegen genoss das Ganze sichtlich. Ein leises, aber durchaus liebevolles Lachen war von ihr zu hören. "Na gut. Ausnahmsweise lasse ich das mal gelten. Aber nur, weil du so süß bist." Verschmitzt zwinkerte Fighter Chaser zu, welche daraufhin nur noch röter wurde - falls das überhaupt im Bereich des Möglichen lag. Anschließend beugte Fighter sich zu ihrer Freundin vor, die diesmal keine Anstalten machte, ihr auszuweichen oder den Versuch des Kusses zu unterbinden. So war das Ende gerade noch einmal abzuwenden gewesen und seit jenem Tag konnte Chaser absolut nicht genug von Fighters Nähe bekommen - oder ihren Küssen. Doch keine von Beiden konnte ahnen, dass ihre gemeinsame Zeit bald durch völlig andere Umstände abgelaufen sein würde. Unaufhörlich verrann die Zeit dem Sand in einem Stundenglas gleich, nur eine Leihgabe, die alsbald zurückgefordert werden würde. Kapitel 16: Book of Dreams V ---------------------------- Letzte Nacht habe ich geträumt, dass es schneit. Es waren große Flocken, die sanft vom Himmel herabschwebten und nach und nach die Umgebung mit einem weißen Schleier bedeckten. Ein wunderschöner Anblick. Ich war mitten drin, tatsächlich trug ich sogar dem Wetter angepasste Kleidung. Während ich mich gar nicht satt sehen konnte an dem vielen Schnee, der nun in kleineren Flocken und viel schneller fiel, traf mich plötzlich etwas am Hinterkopf - es war ein Schneeball. Empört quiekte ich, mich sofort nach dem Übeltäter umdrehend. Dieser entpuppte sich als Fighter. Als wer auch sonst? Sie grinste mich frech an und hatte bereits den nächsten Schneeball in der Hand, den sie prompt nach mir warf. Diesmal war ich jedoch vorbereitet, so dass ich dem Geschoss mit Mühe und Not ausweichen konnte. Besonders sportlich war ich noch nie. Trotzdem machte ich mich daran, mir einen eigenen Vorrat an Schneebällen anzulegen und diesen samt und sonders nach Fighter zu werfen. Leider traf ich nicht halb so oft wie sie. Sicherlich konnte man unser Lachen und Juchen weithin hören, doch wie immer wenn ich von ihr träume, waren wir vollkommen allein. Irgendwann verlegte Fighter sich darauf, die Schneebälle aufzugeben. Stattdessen kam sie auf mich zugerannt und warf mich in eine Schneewehe. Es hatte inzwischen unnatürlich viel geschneit, so dass die weiße Pracht sicher an die zehn Zentimeter hoch lag. Atemlos lagen wir einen Moment nur da, blickten uns in die Augen. Ein rätselhaftes Lächeln umspielte Fighters Lippen. Dann griff sie eine Handvoll Schnee und rieb sie mir ins Gesicht. Ich war vor Empörung wie gelähmt, konnte nichts weiter tun als sie verblüfft und gleichermaßen erbost ansehen. Fighter aber, die sich wohl über ihren gelungenen Streich freute, lachte nur laut. Sie genoss sichtlich ihren Triumph. Den ich ihr allerdings nicht so einfach gönnte. Nachdem ich mich gefangen hatte schnappte ich ebenfalls eine Handvoll Schnee. Statt jedoch in ihr Gesicht zu zielen, stopfte ich ihr die kalte Masse in den Nacken, wo sie schmolz und in eisigen Rinnsalen ganz sicher ihren Rücken entlang lief. Ihre Reaktion ließ es jedenfalls ganz danach aussehen, denn sie quietschte - ein Laut, den ich von ihr nie zuvor gehört hatte - während sie sich wand als stünde sie in Flammen. Dass sie es damit nur schlimmer machte schien sie zunächst gar nicht zu bemerken. Jedenfalls war ich es diesmal, die laut lachte. Allerdings verging mir das doch recht schnell. Ehe wir uns versahen wälzten wir durch den Schnee, in dem Bemühen, uns gegenseitig einzuseifen, was unter viel Gelächter und gemurmelten und nicht ernst gemeinten Drohungen ablief. Am Ende war ich deutlich mehr in Mitleidenschaft gezogen als Fighter. Sie ließ ab von mir, plumpste neben mich in den Schnee und sah für einige Minuten nur in den bleigrauen Himmel aus dem noch immer weiße Flocken herab rieselten. Es herrschte Schweigen zwischen uns, das aber von angenehmer Art war. Einträchtig, könnte man sagen. Ja, das wird dem wohl gerecht. Unsere Hände berührten sich irgendwann. Die in Handschuhen versteckten Finger verflochten sich ineinander. Als hätten wir uns abgesprochen wandten wir einander zeitgleich die Köpfe zu. Ein liebevolles Lächeln lag auf Fighters Lippen bei dem mir ganz warm ums Herz wurde. Obwohl mir ansonsten kalt war, meine Kleider nass waren und ich begann, ziemlich zu frieren, war ich in diesem Moment doch unheimlich glücklich. Ewig hätte ich so liegen können. Allerdings schien Fighter, die ja vom Schnee genauso durchnässt war wie ich, zu finden, dass wir uns lange genug wie kleine Kinder verhalten hatte. Sie setzte sich auf, beugte sich zu mir herunter, um mir einen sanften Kuss zu geben und erhob sich dann. Ihre Hand streckte sie mir auffordernd entgegen. "Komm, lassen wir es für heute gut sein. Bevor wir uns noch erkälten oder Schlimmeres." Ich nickte, ehe ich ihre dargebotene Hand ergriff und mich von ihr auf die Füße ziehen ließ. Hand in Hand schlenderten wir von unserem Schlachtfeld fort. Dann wechselte die Szenerie, ein Zeitsprung musste stattgefunden haben, denn wir befanden uns plötzlich in meiner Wohnung, jeweils eine Tasse heißen Kakaos mit Sahne in der Hand. Wir saßen auf meinem Bett; und daran erkannte ich, dass ich noch immer träumt, denn in wachem Zustand würde ich NIEMALS gestatten, dass etwas zu essen oder zu trinken meinem Bett auch nur zu nahe kommt! Diese Sauerei, die dabei passieren kann bekommt man doch nie wieder aus dem Bettzeug! Nebeneinander saßen wir, ich leicht an Fighter gelehnt. Es herrschte wieder einhelliges Schweigen zwischen uns während jede ihren eigenen Gedanken nachhing, nur unterbrochen von gelegentlichen Schluckgeräuschen wenn wir an unseren Kakaos nippten. Viel mehr geschah nicht, weil ich aufwachte. Im ersten Moment war ich so verwirrt, dass sich hektisch neben mir tastete - aber da war niemand. Es dauerte ein Weilchen bis ich begriff, dass ich nur geträumt hatte. Kein verheißungsvoller Duft von Kakao in der Luft, nicht Fighters warmer, anschmiegsamer Körper neben dem meinen. Ich war allein. Und fühlte mich furchtbar einsam. Kapitel 17: Sind die Sterne gegen uns? -------------------------------------- Alles Trotzen und Sich zur Wehr setzen hatte nichts genützt. Obwohl Kakyuu eigentlich schon vorher gewusst hatte, dass sie einen Kampf gegen Windmühlenflügel focht. Da Aufgeben für die temperamentvolle Prinzessin aber keine Option war hatte sie so lange gekämpft wie es ihr möglich gewesen war. Selbst nach Makers kleiner Ansprache hatte sie nicht gleich klein beigeben wollen. Es waren einige Streitgespräche mit ihrer Mutter erfolgt, in denen böse Worte gefallen waren. Keine der royalen Frauen hatte nachgeben wollen, wenngleich Kakyuu bewusst gewesen war, dass ihre Mutter als Königin schlichtweg am längeren Hebel saß. Eingelenkt hatte die Prinzessin allerdings erst nachdem sie mit Healer über die Angelegenheit gesprochen hatte. Es war keine angenehme Unterhaltung gewesen. Zum ersten Mal waren sie sich ernstlich uneinig gewesen. Auch wenn es ihr das Herz brach, so war Healer doch eine pflichtbewusste, junge Frau. Sie hatte immer gewusst und akzeptiert, dass sie Kakyuu nicht ewig für sich behalten konnte. Dass Healer dieselbe Sichtweise wie Maker vertrat wollte der Prinzessin jedoch nicht in den Kopf. Stur wollte sie darauf beharren alles über Bord zu werfen, was Kinmoku an Traditionen in Bezug auf royale Ehen aufzubieten hatte. Voller Leidenschaft hatte Kakyuu erklärt, dass sie zur Not gegen den gesamten Planeten in den Krieg ziehen würde wenn sie damit erwirken konnte, sich öffentlich zu Healer bekennen zu dürfen. Daraufhin wusch Healer der Prinzessin verbal dermaßen den Kopf, dass Kakyuu gar nicht dazu kam, großartig aufzufahren und dagegen zu protestieren. Schließlich musste sie einräumen, dass ihre Geliebte Recht hatte. Sie konnte sich nicht allein gegen Tausende stellen. Oder gegen jahrhundertalte Traditionen. Oder riskieren, dass ihre Heimat in Chaos und Zerstörung versank. "Ich fühle mich geehrt, aber das ist es nicht wert.", hatte Healer mit einem traurigen Lächeln gesagt, ehe sie anfügte: "Ich wusste, dass es eines Tages enden muss seit es begonnen hat. Das ändert niemals etwas an meinen Gefühlen. Aber ich habe mich darauf vorbereitet. Und jetzt ist es an der Zeit, dass getan wird, was getan werden muss. Wir wurden geboren, eine bestimmte Pflicht zu erfüllen. Sich zu weigern ist zwecklos." Vollständig wollte Kakyuu sich allerdings nicht geschlagen geben. Dennoch nickte sie erst einmal. Dann aber reckte sie kühn das Kinn. Der Blick ihrer roten Augen traf Healer mitten ins Herz. "Gut. Ich werde mich fügen. Aber nur unter einer Bedingung: dass sich zwischen uns nichts ändert. Ich werde mich verloben. Und ich werde heiraten, wenn die Zeit dafür gekommen ist, so wie man es von mir verlangt. Aber ich werde uns nicht aufgeben. Auch auf die Gefahr hin, dass wir entdeckt werden." Eigentlich wollte Healer dagegen argumentieren. Da sie aber genauso wenig wollte, dass ihre geheime Beziehung ein Ende fand, brachte sie es nicht über sich, zu protestieren. Mit einem Seufzer und einem Nicken gab sie sich geschlagen. Das würde sie beide früher oder später zwar sicher in Teufels Küche bringen, trotzdem konnte Healer sich nicht dazu überwinden, einen Schlussstrich zu ziehen. Dafür war sie nicht konsequent genug - und dafür liebte sie Kakyuu viel zu sehr. Seitdem waren viele Wochen vergangen. Kakyuu hatte sich den Wünschen ihrer Mutter gefügt und unter ihren strengen Augen viele Gespräche mit möglichen Heiratskandidaten geführt. Die meisten davon hatte die Prinzessin gedanklich gleich wieder aussortiert. Erträglich wurde es nur dadurch, dass sie im Nachgang jedes Treffen noch einmal für Healer nacherzählte. Lebendig und anschaulich, so dass es mehr einem Ein-Mann-Schauspiel glich denn einer Berichterstattung. Sie lachten sich jedes Mal fast kugelig, vor allem dann, wenn einer der Kandidaten sich besonders disqualifiziert hatte, indem er zum Beispiel durchblicken ließ, welche Absichten er genau hegte oder wie er sich das Eheleben vorstellte. "Und dann hat er gesagt, dass er zehn Kinder will. Zehn!" Kakyuu lachte herzhaft während sie den Kopf vor Unglauben schüttelte. "Kannst du dir das vorstellen? Hah, ich wüsste gern, wie er sich das vorstellt. Dann müsste ich ja fast jedes Jahr ein Kind zur Welt bringen. Und wenn es Töchter werden, wird es schwierig. Nicht jede von ihnen kann mir schließlich auf den Thron folgen. Abgesehen davon, dass ich doch niemals gute Partien für zehn Kinder auftreiben könnte." Schließlich war Kinmoku kein sonderlich großer Planet und die Monde, die ihn umkreisten konnte man an einer Hand abzählen - es waren nämlich nur vier. Die Vorstellungskraft dieses ungestümen, jungen Mannes war ja zu bewundern. Trotzdem kam es gar nicht in Frage, ihn zu heiraten. Natürlich würde Kakyuu sich gezwungenermaßen fortpflanzen müssen. Allerdings hatte sie sich vorgenommen, die ehelichen Pflichten auf ein Minimum zu reduzieren wenn sie erst verheiratet war. Wenigstens diese Freiheit würde sie sich nehmen. Und da sie die angehende Thronfolgerin war hatte sie auch eindeutig mehr zu sagen als der Mann, der ihr Prinzgemahl sein würde. "Nein. Eins sage ich dir, Yaten, wenn ich jemals Mutter werde, werde ich meine Kinder nicht zwingen, jemanden zu heiraten, den sie nicht lieben. Die Königin kann noch so oft betonen, dass Liebe oft die Folge von Heirat ist, ich werde es anders machen als sie.", fügte Kakyuu ihren vorigen Worten ernst an. Auch Healer war ernst geworden. Ihr gefiel der Gedanke nicht, dass die Prinzessin mit einem Mann würde schlafen müssen, um schwanger zu werden. Obwohl sie natürlich wusste, dass es keinen anderen Weg gab. So funktionierte die Fortpflanzung nun mal. Sie konnte nichts daran ändern, so sehr sie auch wollte. "Und wenn eines meiner hypothetischen Kinder das eigene Geschlecht vorzieht, dann sei es so. Liebe ist Liebe.", beschloss Kakyuu das Thema mit diesem Statement. Stattdessen ließ sie ihre Finger durch Healers silbriges Haar gleiten. Obwohl Healer eigentlich gerade im Dienst gewesen wäre hatte Kakyuu ihren Pferdeschwanz gelöst, hatte dann die Haarmähne gekämmt und spielte nun damit. Eine ihrer liebsten Beschäftigungen. Andersherum verhielt es sich schließlich sehr ähnlich. Auch Healer empfand großen Genuss wenn sie sich mit Kakyuus Haarpracht befassen durfte, die einer Prinzessin wahrlich würdig war. In Momenten wie diesen allerdings konnte die junge Frau mit den jadegrünen Augen nur zu gut vergessen, wer sie beide waren. Sie existierten einfach gemeinsam, zwei Menschen, die sich liebten. Sehr sogar. Etwas hatte sich verändert. Healer wusste es sofort als sie Kakyuu erblickte, die von einem weiteren Treffen mit einem möglichen Bräutigam kam. Ein kaum merkliches Lächeln lag auf den fein geschwungenen Lippen der Prinzessin. Ihre roten Augen glänzten wie sie es gewöhnlich nur taten, wenn sie mit Healer allein war oder glaubte, niemand könne sie und die Silberhaarige beobachten. Unwillkürlich presste Healer ihre Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Es fiel ihr schwer, sich zu zügeln. Doch Fighter und Maker waren ebenfalls anwesend. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um bei Kakyuu nachzuhaken. Glücklicherweise hatte Healer heute Nachtwache. Die sie mit Fighter getauscht hatte, welche nur zu willig gewesen war, den Tausch zu vollziehen, denn so bekam die Schwarzhaarige Gelegenheit, sich mit Chaser zu treffen. Oder wohl eher bei ihr zu übernachten. Immerhin besaß Fighter so viel Anstand oder viel mehr Feingefühl, die Archivarin nicht in die Wohnung der drei Leibwächterinnen mitzunehmen. Ob wirklich Healers Ressentiments in Bezug auf Chaser der Grund waren wusste die Silberhaarige nicht. Trotzdem war sie froh, dass Fighter sich bedeckt hielt. Zumindest verbal als auch im Hinblick auf Übernachtungsbesuch unpassender Art. Kakyuus Mutter war ohnehin schon nicht besonders erfreut über die Verbindung. Das Letzte, was Healer wollte, war, dass die Königin misstrauisch wurde was Maker und sie selbst anbelangte. Zumal sie gerade in letzterem Fall mehr als genug Grund dazu gehabt hätte. Healer konnte schon nicht mehr zählen, wie oft Kakyuu und sie sich nahe, viel zu nahe, gekommen waren. Nicht, dass es darauf ankam, natürlich nicht. Doch es waren Erfahrungen, die einen nun einmal prägten, die im Gedächtnis blieben. Ganz unweigerlich. Ob man das beabsichtigte oder nicht. Insbesondere, da Healer, ebenso wie Kakyuu, im Gegensatz zu Fighter nicht mit irgendwelchen Vorkenntnissen prahlen konnten - auch wenn Healer nicht fand, dass das zwingend etwas war, auf das man stolz sein musste. Aber in dem Fall unterschieden ihre Schwester und sie sich doch eindeutig voneinander und das war gut so. Kakyuu, die sich inzwischen wieder in ihren Gemächern befand, trug noch immer dieses Lächeln zur Schau, das Healer enorm befremdete. Eifersucht schwärte in ihr wie Eiter in einer entzündeten Wunde. Gewöhnlich reservierte Kinmokus nächste Königin dieses Lächeln allein für sie, für niemanden sonst. Kakyuu mochte ein Mensch sein, der oft und gern lächelte und zu jedem freundlich war, der es auch ihr gegenüber so hielt, doch es ab Unterschiede in der Art und Weise wie die Prinzessin ihr Lächeln gestaltete. Healer konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ihre Liebste einen Mann, der sie beide früher oder später entzweien würde, genauso ansah wie sie die Silberhaarige anschaute. Das war einfach zu viel. Unwillkürlich ballten sich Healers Hände zu Fäusten. Leise knirschte sie mit den Zähnen. Maker, auf dieses Geräusch aufmerksam geworden, warf ihrer Schwester einen strengen Blick zu. Subtil schüttelte sie den Kopf, um anzudeuten, dass Healer sich besser bemühen sollte, ihre Emotionen zu kontrollieren. Fighter hingegen plauderte angeregt mit Kakyuu, völlig selbstvergessen, da sie der Prinzessin von Chaser erzählte und bemerkte weder, dass die Prinzessin ungewöhnlich gut gelaunt wirkte, dafür, dass sie soeben zwei Stunden mit einem möglichen Heiratskandidaten hatte verbringen müssen, noch, dass Healer aus ihrer Rolle fiel. Und das, obwohl die Silberhaarige für gewöhnlich die Kunst, eine vollkommen unbewegte, gleichgültige Miene zur Schau zu stellen, perfektioniert hatte. Typisch, fand Healer, dass Fighter nichts Besseres zu tun hatte als von dieser blöden Archivarin zu schwärmen. Dabei musste sie doch wissen, was das für Auswirkungen auf Kakyuu haben musste. Nicht einmal Fighter konnte so blind sein, nicht zu wissen, was zwischen der Prinzessin und ihrer Schwester war. Ignoranz mochte ja eine herausragende Eigenschaft der Schwarzhaarigen sein, aber sie kannte sowohl Kakyuu, als auch Healer lang genug, um in beiden lesen zu können wie in einem offenen Buch. Damit war sie praktisch gezwungen, zu wissen. Nur, dass Fighter das natürlich vollkommen egal war, denn sie hatte ja ausschließlich Chaser im Kopf. Was fand Fighter nur an dieser faden Person, deren gesellschaftliche Stellung im Vergleich zu der Schwarzhaarigen völlig inakzeptabel war? Längst hätte die Prinzessin im Bett liegen und schlafen sollen. Stattdessen hatte sie sich aus ihrem Gemach gestohlen, war durch das Fenster gestiegen und barfuß auf der darunter liegenden Terrasse gelandet. Wie gut, dass ihre Räumlichkeiten zum Palastgarten hin lagen und sie obendrein im Erdgeschoss eingerichtet worden waren. So konnte niemand mitbekommen, dass sie sich aus dem Staub gemacht hatte. Noch hatte sie keine Gelegenheit gehabt, mit Healer zu sprechen. Weder über den Rat, den Maker ihr vor Wochen gegeben hatte, noch über Hiram. Hiram, der der erste Heiratskandidat war, den Kakyuu ernstlich in Betracht zog. Wider Erwarten war ihr erstes Treffen kein totaler Reinfall gewesen. Die Prinzessin war selbst davon überrascht, wie viel Spaß sie gehabt hatte. Hiram war nicht aufdringlich gewesen, aber auch nicht zu distanziert. Er besaß Humor, was eine Eigenschaft war, die Kakyuu sehr zu schätzen wusste. Manches Mal wünschte sie sich, dass Healer mehr davon hatte - oder wenigstens nicht so zynisch war, wie sie oft sein konnte. Zurück zu Hiram jedoch. Zwischen ihnen war das Eis schnell gebrochen gewesen. Schon nach kürzester Zeit hatten sie sich lebhaft unterhalten, hatten dabei viel gelacht und sogar die ein oder andere lästerliche Bemerkung über einen gemeinsamen Bekannten gemacht. Wirklich gemein waren sie dabei nicht geworden, zumal Kakyuu zwar nicht jeden Menschen mochte (das war nun wirklich absolut unmöglich), es aber doch vorzog, stets freundlich von Anderen zu sprechen. Sie war der festen Überzeugung, dass jeder Mensch diesen Respekt verdiente. Deswegen dachte sie auch nicht schlecht darüber, dass die Anführerin ihrer Leibwache mit einer Archivarin eine Liebesbeziehung unterhielt. Schließlich wusste Kakyuu aus eigener Erfahrung, dass Liebe etwas war, das man sich nicht aussuchte. Es passierte. Oder es passierte nicht. Und obwohl sie sich absolut sicher war, dass sie Healer aufrichtig liebte, musste sie zugeben, dass Hiram in ihr eine Saite zum Klingen brachte, von der sie nicht geglaubt hatte, dass sie existierte. Sie würde vielleicht niemals ernsthafte, romantische Gefühle für ihn aufbringen können. Doch eine gute, enge Freundschaft war auf jeden Fall möglich. Und das war eine anständige Basis für eine solide Ehe, die ihre Mutter und das Volk zufrieden stimmen würde. Kakyuu fand den Gedanken, mit Hiram tatsächlich das Bett teilen zu müssen weit weniger abstoßend als bei jedem anderen Mann, den sie bisher im Rahmen der Partnersuche kennengelernt hatte. So weit die Prinzessin es beurteilen konnte, war Hiram der ideale Kandidat. Humorvoll, aber auch besonnen, wohlerzogen, mitfühlend, gebildet, charmant und von dieser arrangierten Verbindung nicht so begeistert wie man anderer Anwärter, den die Königin ihr präsentiert hatte. Fazit war, sie hatte Spaß gehabt an diesem ersten Treffen mit Hiram. Für sich beschloss Kakyuu, dass noch einige mehr folgen würden, ehe sie endgültig ihre Wahl traf. Sicherlich würde ihre Mutter sich kaum darüber beklagen. Healer allerdings... Kakyuu biss sich in die Unterlippe. Sie würde es nicht verstehen können. Und es war nicht so als ob der Rotschopf ihr das hätte verdenken können. Für Healer musste und würde es so aussehen als wäre Hiram mehr als nur ein Kamerad, der dasselbe Schicksal teilte wie Kakyuu. Obwohl Healer normalerweise von Vernunft geleitet wurde und ihre Pflichten sehr ernst nahm, sowie verantwortungsbewusst war, neigte sie dazu, ihre Rationalität über Bord zu werfen, sobald es um Kakyuu ging. So hatte Healer bereits, wenn auch eher im Scherz, vorgeschlagen, dass sie gemeinsam durchbrennen sollten. Inzwischen war Kakyuu sich nicht mehr so sicher, ob es sich bei diesem Ansinnen tatsächlich um einen Witz gehandelt hatte. Die Frage war, wie sie Healer möglichst schonend beibrachte, dass sie beabsichtigte, Hiram zu ihrem Verlobten und eines Tages zu ihrem Gatten zu machen. Mit Sicherheit würde das keine Kleinigkeit werden. Schwermütig seufzte Kakyuu. Sie konnte sich sehr lebhaft vorstellen, wie Healer reagieren würde. Inbrünstig wünschte sie, sie könnte dieses Gespräch irgendwie vermeiden. Im Grunde ihres Herzens wusste sie jedoch, dass kein Weg daran vorbei führte. Sie würde das Thema ansprechen müssen, so sehr es ihr widerstreben mochte. Es ging einfach nicht anders. Blieb zu überlegen, wie sie die Sache am besten in Angriff nahm. Mehrere Tage verstrichen, ohne dass Kakyuu die Gelegenheit gehabt hätte, ein privates Gespräch mit Healer zu führen. Dafür traf sie sich mit Hiram, den zu ehelichen sie immer weniger Bedenken hatte. Die Königin wirkte zufrieden, was wiederum Kakyuu erleichterte, die weiterhin fürchtete, ihre Mutter könnte dahinter kommen, wie viel Healer ihr bedeutete und andersherum. Tatsächlich ahnte die Prinzessin jedoch nicht, dass es einen Grund dafür gab, weshalb sie Healer bislang noch nicht hatte sprechen können. Nur allzu bald würde sie es wohl erfahren. Im Palast blieb nichts lange ein Geheimnis - außer man verstand sich darauf, eines zu bewahren. Da die meisten Angestellten allerdings nichts lieber taten als Klatsch und Tratsch auszutauschen war es unheimlich schwierig, tatsächlich etwas geheim zu halten. Healer musste das am eigenen Leib erfahren als man sie vor die Herrscherin von Kinmoku zitierte. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend folgte die junge Frau der Obersten Hofdame, der engsten Vertrauten der Königin. Es konnte nicht gut sein, wenn man unangemeldet eine Audienz bei Kakyuus Mutter hatte. Die Prinzessin hatte charakterlich mehr Ähnlichkeit mit ihrem Vater, der eine sanfte Natur war und sich, da er mit den Regierungsgeschäften sowieso nichts am Hut hatte, lieber mit Tieren und Pflanzen befasste und keinem Lebewesen etwas zuleide tun konnte. Außerdem liebte er seine Tochter abgöttisch, neigte dabei allerdings dazu, zu vergessen, dass sie einmal den Platz ihrer Mutter würde einnehmen müssen, die aus anderem, härteren Holz geschnitzt war. Healer hatte die Königin noch nie gemocht. Persönliche Gefühle einmal außer Acht gelassen ließ sich jedoch nicht leugnen, dass auch Kakyuus Mutter ihre Qualitäten hatte. Sie war streng, aber gerecht, tat ihr Bestes, um Kinmoku zu erhalten und durchaus in der Lage, liebevoll und mild zu sein. Wer die Königin mit ihrem Gatten zusammen erlebt hatte, wusste, dass sie ihn mit Leib und Seele liebte. Im Gegensatz zu ihm vergaß sie ihre Pflichten jedoch nie, war immer bereit dazu, sich Nächte um die Ohren zu schlagen wenn es notwendig war. Die Königin war es, die Kinmoku im Zweifelsfall vor drohender Gefahr an vorderster Front beschützen würde - ganz gleich wie diese Front aussehen mochte oder welche Art von Bedrohung sich ihr in den Weg stellte. Das mulmige Gefühl verstärkte sich als die Oberste Hofdame Healer im privaten Salon der Königin ablieferte. Mit einem Knicks entschwand die Würdenträgerin, ließ die beiden Frauen allein. Kakyuus Mutter saß auf einem Sofa, den Rücken durchgedrückt, ihr Blick scharf und klar und streng. Einen Moment herrschte Schweigen. Dann deutete die Königin auf das Sofa, welches dem ihren gegenüberstand. "Nimm Platz.", forderte sie Healer knapp und kühl auf. Es dauerte einen Augenblick ehe die Silberhaarige dazu in der Lage war. Steif kam sie der Anweisung nach. Sie fühlte sich sichtlich unwohl, wagte es kaum, sich umzusehen, sondern richtete den Blick auf den Fußboden. "Sieh mich an, Mädchen.", erfolgte der nächste Befehl. Healer schluckte, aber sie gehorchte. So unerschrocken wie es ihr möglich war, blickte sie der Königin ins Gesicht. Diese musterte die Leibwächterin ihrer Tochter mehrere Minuten schweigend, allerdings sehr eingehend. Innerlich wand Healer sich unter dem intensiven Blick während sie sich bemühte, nach außen hin den Anschein von Gelassenheit zu wahren. Was lächerlich war, es war offensichtlich, wie es wirklich in ihr aussah. "Wie lange geht das schon mit dir und meiner Tochter?", durchbrach die Königin streng das Schweigen. Überrascht weiteten sich die grünen Katzenaugen Healers. Zu spät erkannte sie, dass sie damit verriet, was geheim zu halten sie sich doch selbst geschworen hatte. So schnell sie konnte verwandelte sie ihre Miene in ein Bild der Verwirrung und Unschuld. "Ich weiß nicht, worauf Ihr anspielt, Eure königliche Hoheit.", erwiderte Healer so unerschrocken und kühl, wie es ihr möglich war obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug. Ein Schnauben war die Antwort. "Wag es nicht, mich für dumm verkaufen zu wollen, Mädchen.", schnappte Kakyuus Mutter, "Also, wie lange?" Einen Moment überlegte Healer, ob sie standhaft weiter die Unwissende mimen wollte. Allerdings verwarf sie diesen Einfall sofort wieder, denn der Blick in den Augen der Königin machte deutlich, dass die Konsequenzen äußerst unschön würden sollte Healer sich dafür entscheiden, sich dumm zu stellen. Leise seufzte die Silberhaarige. "Seit dem Ball.", gab sie mit zitternder Stimme zu. "Wenigstens bist du kein Mann, der ihre Reinheit beschmutzt haben könnte.", bemerkte die Königin kalt, ehe sie in noch eisigerem Tonfall fortfuhr: "Allerdings hast du sie so oder so beschmutzt, indem du es gewagt hast, dich meiner Tochter auf unerlaubte Weise zu nähern." Trotzig presste Healer die Lippen zusammen. Sie fand überhaupt nichts Schmutziges daran. Sie hatten doch gar nicht... Aber das würde Kakyuus Mutter ihr wohl nicht glauben. "Wie lange liebst du sie schon? Und wag es nicht einmal daran zu denken, mich anzulügen, Mädchen. Du würdest es nur bereuen." "Schon immer.", quetschte Healer unwillig zwischen ihren nach wie vor zusammen gepressten Lippen hervor. Was die reine Wahrheit war. Es hatte nie jemand Anderen für sie gegeben. Zu Beginn war es ihr vollkommen natürlich vorgekommen. Sie hatte sich nichts dabei gedacht, sondern es für die selbstverständliche Sorge und Zuneigung gehalten, die sie für ihren Schützling empfand, die auch ihre Schwestern gegenüber Kakyuu an den Tag legten. Dass es so, so viel mehr war als das, das hatte Healer erst vor einem knappen Jahre begriffen. Bis zu besagtem Ball hatte sie unter diesem Wissen zu Teilen gelitten, zu anderen war sie erleichtert gewesen, weil sie nun sicher gewusst hatte, was los war mit ihr. "Das dachte ich mir.", drängte sich die gestrenge Stimme der Königin in Healers Gedanken, was sie prompt zurück auf den harten Boden der Tatsachen brachte. "Du bist keine Idiotin. Du weißt, dass das nicht sein kann. Vielleicht denkst du, dass sich nie etwas zwischen euch ändern wird. Und meine Tochter denkt das mit Sicherheit. Lass dir gesagt sein, dass das nicht stimmt. Kakyuu wird eines Tages Königin werden. Selbst wenn ich euch erlauben würde, diesen Nonsens fortzuführen, es würde sich etwas ändern. Mehr als euch lieb sein kann, mehr als euch heute bewusst sein mag, als ihr ahnen könnt. Sie kann dich kaum zu ihrer Gemahlin machen, allein schon weil du nur eine Leibwache bist - eine zuverlässige zwar, aber mehr auch nicht. Außerdem bist du eine Frau. Das muss ich dir wohl kaum sagen. Geschweige denn, dass ich dir werde erklären müssen, warum dein Geschlecht ein Hindernis ist. Kakyuu muss Erben zur Welt bringen. Das begreifst du doch sicher, oder, Mädchen?" Healer nickte widerwillig. Die Königin erzählte ihr da nichts Neues. Im Gegenteil, sie selbst hatte sich doch schon oft genug den Kopf darüber zerbrochen. Aber für dieses "Problem" gab es nun einmal keine Lösung. Ende der Geschichte. "Nun, du bist zumindest verständiger als deine Schwester. Mir scheint, Maker ist die Einzige, auf die hier wirklich noch Verlass ist. Aber ich habe dafür gesorgt, dass es so ist." Jetzt erlaubte die Königin sich ein selbstzufriedenes Lächeln. Healer hingegen runzelte verwirrt die Stirn. Spielte Kakyuus Mutter etwa darauf an, dass ihrer Schwester vor Jahren grausam das Herz gebrochen worden war? Und wenn ja, hatte die Königin etwa Anteil daran gehabt? Das mochte Healer kaum glauben. Nein, nicht einmal Kakyuus Mutter würde so tief sinken. Das konnte nicht sein! Ehe die junge Frau eine Chance bekam, sich dazu zu äußern ergriff die Königin neuerlich das Wort. "Du wirst dich von nun an so gegenüber meiner Tochter verhalten, wie es das Protokoll verlangt, verstanden? Denk nicht, du könntest mich hintergehen ohne dass ich davon erfahre. Du befindest dich hier auf verlorenem Posten, wenn du glaubst, mich austricksen zu können. Wenn mir zu Ohren kommt, dass du dich nicht an das gehalten hast, was ich dir heute und hier rate, wird das ernsthafte Konsequenzen haben. Weitaus schlimmere als ein weiteres Gespräch zwischen uns." Mit steinerner Miene nickte Healer. Sie war nicht fähig dazu, Worte herauszubringen. Doch das war anscheinend auch nicht nötig. Mit einem Wink ihrer Hand bedeutete die Königin ihr, dass die Unterredung beendet war. Mühsam erhob Healer sich von dem Sofa. Ihr schien, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggerissen. Kein angenehmes Gefühl, ganz und gar nicht. Knapp verneigte sie sich vor der Königin, ehe sie sich entfernte. Eigentlich wollte sie aufbegehren, wollte sie "Jetzt erst recht!" jedem Dienstboten ins Gesicht brüllen, der ihr entgegen kam. Aber sie tat es nicht. Stattdessen ging sie mit finsterer Miene auf ihren Posten zurück. Kakyuu hielt es nicht länger aus. Inzwischen hatte sie ihren Eltern gesagt, dass sie Hiram heiraten würde, was bei Beiden auf unterschiedliche Reaktionen getroffen war. Ihr Vater wirkte erleichtert, zeitgleich überschlug er sich jedoch nicht vor Freude wie seine Ehefrau es tat. Der wissende Blick, den er Kakyuu zuwarf, ging ihr durch Mark und Bein. Natürlich, in diesem Palast konnte man nichts geheim halten. Vor allem nicht vor den eigenen Eltern. Sie hätte es wissen müssen. Während ihre Mutter bereits Pläne schmiedete und mit Daten für die Hochzeit um sich warf und Kakyuu mit einer Anerkennung überschüttete, die sie lange nicht mehr zu spüren bekommen hatte, wünschte diese sich meilenweit fort. Doch sie zwang sich, zu bleiben, es über sich ergehen zu lassen. Eine endlose Stunde lang, dann war sie entlassen, sehr zu ihrer Erleichterung. Jetzt musste sie nur noch eine Person vorwarnen: Healer. Healer, die nirgends zu finden war. Sie hatte heute keinen Dienst gehabt, Fighter und Maker hatten sich abgewechselt. Eigentlich hätte Healer an diesem Tag die Nachtwache übernommen, doch Fighter entschuldigte sie. Der mitfühlende Ausdruck in den Augen der Schwarzhaarigen war zu viel für Kakyuu. Nicht genug damit, dass Healer sich viel zu korrekt ihr gegenüber verhielt, jetzt ließ sie sich auch noch vertreten! 'Das reicht endgültig!', dachte Kakyuu erbost und traurig zugleich. Sie knallte Fighter die Tür zu ihrem Gemach vor der Nase zu, mit dem giftigen Hinweis, sie wolle nicht gestört werden, da sie Kopfschmerzen habe und gleich zu Bett gehen wolle. Fighter wirkte verblüfft, dann fiel die Tür ins Schloss. Kakyuu drehte den Schlüssel mehrmals um, ehe sie in fliegender Hast zu ihrem Fenster stürzte. Ihr Rock hinderte sie am Hinausklettern, was sie kostbare Minuten verschwenden ließ. Doch sie achtete nicht weiter darauf. Kaum war sie auf der Terrasse angekommen huschte sie über diese hinweg in Richtung des Gartens. In dessen Tiefen verbarg sich ein abgeschiedener, wenn schon nicht geheimer, Ort. Ein Brückengang aus weißem Marmor bewachsen von einer blütenreichen Kletterpflanze, die dem Platz eine märchenhafte Atmosphäre verlieh. Dorthin flüchtete Kakyuu sich immer, wenn sie konnte, um ihrem Kummer freien Lauf zu lassen. Außer Atem und mit wehendem Rock erreichte sie ihre Zuflucht. Doch es war schon jemand da. Es dauerte kaum einen Augenblick bis Kakyuu den Störenfried erkannte. Healer. Die ihr den Rücken zuwandte, seitlich an einer Säule lehnte, die die Überdachung der Brücke stützte, und hinaus auf den ruhigen Teich blickte, der sich zu beiden Seiten des Bauwerks erstreckte. Nachdenklich, zumindest kam es Kakyuu so vor, ließ die Silberhaarige Kiesel über das Wasser flitschen. Sie musste einen Laut von sich gegeben haben, denn plötzlich drehte Healer sich zu ihr um. In ihren grünen Jadeaugen spiegelten sich so viele Emotionen wider, das es unmöglich war, zu sagen, welche davon überwog. Eines aber konnte Kakyuu gut erkennen: überrascht wirkte Healer nicht im Mindesten. Für eine Weile, die sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien, sagte keine von Beiden etwas. Nur wenige Meter trennten sie voneinander, doch es kam Kakyuu vor wie eine tiefe Schlucht. Stumm starrten sie sich an. Wind kam auf, raschelte durch die Kletterpflanze und ließ lila Blüten auf sie herab regnen. Schließlich war es Kakyuu, die sich als Erste rührte. So schnell ihre Füße sie trugen überbrückte sie die Entfernung zwischen Healer und ihr, fiel ihr in die Arme, die sich wie von selbst öffneten, um die schlanke Gestalt der Prinzessin aufzufangen und an sich zu ziehen. Minuten verstrichen. Sie schwiegen noch immer, hielten sich nur aneinander fest. "Wir dürfen uns nicht mehr sehen.", flüsterte Healer rau in das rote Haar der Prinzessin. Es kostete sie Mühe, die Worte hervorzubringen, sie an dem Kloß vorbei zu quetschen, der sich in ihrer Kehle häuslich eingerichtet hatte. "Aber warum? Du bist alles, was ich will. Das kann uns doch niemand verbieten. Nicht jetzt, wo ich den Wünschen meiner Mutter entspreche und... " Kakyuu brach ab, ihr versagte die Stimme. Als Antwort darauf zog Healer sie nur dichter zu sich, umklammerte sie schon beinahe. "Ich weiß. Aber die Königin kann es uns sehr wohl verbieten. Das hat sie schon getan. Ich wollte mit dir sprechen, doch ich konnte nicht. Ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte. Und du... du wirktest so glücklich in den letzten Tagen. Seinetwegen. Das wollte ich dir nicht kaputt machen." Es dauerte nur einen Moment bis Kakyuu Eins und Eins zusammengezählt hatte. "Meine Mutter. Sie hat mit dir gesprochen." Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Dennoch nickte Healer zur Bestätigung. Wozu leugnen? Wenn es einen Menschen gab, zu dem sie um jeden Preis ehrlich sein wollte, dann war es Kakyuu. "Sie hat dir gedroht. Oder?", bohrte die Prinzessin, die in diesem Augenblick eine nicht unerhebliche Wut auf die Frau empfand, der sie ihr Leben verdankte. Wieder nickte Healer. Dann erstattete sie stockend Bericht von dem Gespräch, ließ keine Einzelheit aus. Es war erleichternd, es endlich loszuwerden, auch wenn es den Schmerz in keiner Weise linderte. Das Endergebnis blieb dasselbe. Sie durften einander nicht mehr sehen. "Beschmutzt?", wiederholte Kakyuu ungläubig die Worte ihrer Mutter, "Beschmutzt? Als ob du das je tätest." Leise schnaubte sie. "Fein. Wir spielen nach ihren Regeln. Wir halten uns an ihre Vorgaben. Ich werde Hiram heiraten und ich werde eines Tages Kinmoku regieren. Wie sie es wünscht. Aber, und das schwöre ich dir bei allem, was mir heilig ist, ich werde ich immer lieben, Yaten. Du wirst die Einzige für mich sein. Bis zu dem Tag, an dem ich sterbe. Und bin ich erst Königin, sorge ich dafür, dass die Gesetze geändert werden. Ich lasse mir etwas einfallen. Aber ich lasse nicht zu, dass meine Kinder vor dieselbe grausame Wahl gestellt werden. Verboten oder nicht, ich liebe dich." Kaum hatte das letzte Worte ihren Mund verlassen drückte Kakyuu Healer an sich, verwickelte sie in einen gleichermaßen leidenschaftlichen, wie verzweifelten Kuss. Offensichtlich war ihnen kein gemeinsames Glück vergönnt. Das Schicksal hatte sich eindeutig gegen sie beide gestellt. Aber heute Nacht würde Kakyuu ihm eine lange Nase drehen, ihm ins Gesicht spucken und es offen höhnisch auslachen, ganz ungeachtet der Konsequenzen, die das haben würde. "Und jetzt... beschmutze mich.", flüsterte Kakyuu Healer ins Ohr, nachdem sie sich von ihr gelöst hatte. Ein schelmisches Lächeln umspielte ihre fein geschwungenen Lippen, nur ein Spiegel des selben Gesichtsausdrucks, der auch die Miene Healers zierte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)