Die Hexe und die Priesterin von Platan ================================================================================ Epilog: Epilog -------------- Seit mehr als einem Jahr ging Stella nun schon täglich in dem nahegelegenen Wald spazieren. Jenem Wald, in dem sie damals ihrem Schicksal begegnet war. Inzwischen zog sich eine Straße quer durch diesen hindurch und nahezu jede Minute fuhr polternd eine Kutsche oder ein anderes Gefährt hier entlang. Ruhig wurde es hier höchstens nachts. Niemand sprach mehr darüber, dass hier einst eine Hexe gelebt und die Bewohner des Königreiches in Angst und Schrecken versetzt hatte. Niemand außer ihr. Sie erinnerte sich sehr gut an Luna, auch wenn es größtenteils nur traurige Bilder waren, die sie mit ihr verband. Darum konzentrierte sie sich auch nur noch auf die Dinge, die schön waren. Zwar gab es davon nur wenige, doch dafür genoss sie diese Erinnerungen dann umso mehr. Manchmal kam sie sich so vor, als würde sie auf ihren Geliebten warten. Immerhin ging sie jeden Tag im Wald spazieren, sobald es ihr die Zeit gestattete und hoffte dabei stets darauf, ihr zu begegnen. Jedes noch so kleinste Geräusch hatte ihr Herz zu Beginn ihrer Spaziergänge höher schlagen lagen. Mittlerweile hatte sie sich damit abgefunden, dass sie geduldig sein musste und es nichts brachte, sich verrückt zu machen. Jedenfalls hatte sie viel darüber nachgedacht, was ihr Luna eigentlich bedeutete. Eine Fremde blieb sie leider in gewisser Weise, daran gab es nichts zu rütteln und doch war es ihr wichtig, sie wiederzusehen. Sie sehnte sich förmlich danach, konnte sogar während der Arbeit oft nur an sie denken. Wie gesagt, manchmal hatte sie von sich selbst den Eindruck, als würde sie auf ihren verschollenen Liebsten warten. Das überraschende an dem Gedanken war: Sie wies ihn nicht von sich ab. Einiges hatte sich verändert, seit jener Begegnung, vor allem sie selbst. Aus ihr unerklärlichen Gründen kannte sie sich jetzt erschreckend gut mit der Natur eines Waldes aus und auch mit den Gefahren. Hätte sie ihrem Ausbilder davon berichtet, würde seine Antwort darauf vermutlich lauten: Das Wissen aus einem anderem Leben war zu ihr zurückgekehrt. Vielleicht stimmte es sogar. Die Hütte mied sie zur Sicherheit, auch wenn es sie sehr reizte, dort hinzugehen. Aber es blieb immerzu die Gefahr, jemandem erklären zu müssen, was sie so tief im Wald gesucht hatte und darauf wollte sie verzichten. Sicher genug konnte man nie sein. Als sie an einem Strauch mit jenen Beeren von damals vorbeikam, blieb sie an diesem stehen und betrachtete sie kritisch. Gefährlich sahen sie wirklich nicht aus, sondern richtig lecker. Innerlich stellte sie sich aus Spaß die Frage, ob sie Luna vielleicht wieder treffen würde, wenn sie ein weiteres Mal davon aß. Diesen Gedanken wollte sie gerade verwerfen, als hinter ihr eine Stimme erklang, die ihr vertraut war. Obwohl Stella sie nur für so kurze Zeit gehört hatte. „Denk nicht mal daran. Du müsstest doch dazugelernt haben. Ich will dich nicht wieder retten müssen, auch wenn ich es ohne zu zögern tun würde.“ Vor Nervosität war Stella wie gelähmt. Was, wenn sie es sich nur eingebildet hatte? Hoffnungsvoll faltete sie die Hände ineinander, starrte auf den Boden und versuchte, ihre Sprache wiederzufinden. „L-Luna?“ „Schau doch nach~“, summte sie vergnügt. Stella atmete tief durch und drehte sich zögerlich um. Tatsächlich. Sie war es. Luna. Der braune Umhang. Die helle Haut. Das schwarze Haar. Die goldenen Augen. Jetzt musste sie sich nur noch davon überzeugen, dass sie real war, also ging sie ohne zu zögern dem Drang nach, der sie bei ihrem Anblick spontan packte. Hastig lief sie auf sie zu und fiel ihr in Arme. Da sie sich nicht auflöste oder sie durch sie hindurch fiel, war sie eindeutig echt. Das Glück, das sie dabei empfand, war nicht in Worte fassen. Luna war zurück und sie war keine Einbildung. Sie war tatsächlich hier! „Also mit so einer Begrüßung habe ich nicht gerechnet. Ganz schön stürmisch, für eine Fremde“, schmunzelte Luna verlegen. Es mochte albern klingen, aber genau dieses Schmunzeln war ihr in guter Erinnerung geblieben. Auch sie musste schmunzeln und umarmte sie noch fester. „Können wir uns wirklich noch als Fremde bezeichnen?“ „Oh, sind wir schon entfernte Bekannte?“ „Wohl eher gute Bekannte“, berichtigte Stella sie, was Luna als Herausforderung zu sehen schien. „Dann lieber Freunde.“ „Beste Freunde?“ „Klingt gut, aber Schicksalspartner klingt noch besser~.“ „Jetzt übertreibst du aber!“, beendete Stella dieses Spiel und löste die Umarmung, damit sie ihr sacht gegen die Schulter klopfen konnte. Nun realisierte sie erst, was sie soeben getan hatte, und wandte beschämt den Blick ab. „Entschuldige. Ich wollte nicht aufdringlich sein.“ „Warst du nicht. Ich habe dich schließlich auch vermisst, Fremde“, versicherte Luna und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Weißt du, seit ich dich getroffen habe, fühlt sich mein Dasein auf dieser Welt endlich wieder wie leben an, nicht nur als einfaches existieren.“ Diese Bemerkung ließ Stella rot werden, als ihr etwas bewusst wurde. Luna hatte damals gesagt, sie hätte eine Lösung gefunden. Die Lösung war also Stella selbst? Nervös lenkte sie von diesem Thema ab. „Äh, also, sollten wir uns nicht erst besser kennenlernen, bevor wir zu den Schmeicheleien übergehen?“ „Haben wir nicht schon genug Zeit verloren?“ „Auch wieder wahr“, nickte Stella und sah sie ernst an. „Es gibt so einiges zu besprechen.“ Mit einem Lächeln winkte Luna ab. „Erst die schönen Dinge, ja?“ „Na gut, da fällt mir auch direkt was ein.“ Noch einmal schlug sie gegen ihre Schulter, diesmal zwar etwas fester, aber bei weitem nicht so stark, dass es schmerzen könnte. „Wie konntest du es wagen, mich in deiner Hütte einzusperren?! Hast du eine Ahnung, was ich durchgemacht habe?!“ „Nicht doch, ich dachte, wir wollten über schöne Dinge reden!“, wollte sie sich rausreden und fing an zu lachen. Auch Stella fing an zu lachen und hörte gar nicht mehr auf. Sie waren zwei Fremde, die sich kaum kannten und gleichzeitig wussten sie mehr voneinander, als sie glaubten. Denn sie wussten, dass ihnen der jeweils andere schon jetzt unglaublich wichtig war und sie gemeinsam alles überstehen könnten, was noch auf sie zukam. Und gewiss standen sie so einigen Hindernissen und Gefahren gegenüber, die sich schon bald zeigen würden. Aber jetzt ... wollten sie einfach nur die gemeinsame Zeit genießen, die das Schicksal ihnen eingeräumt hatte. Wer wusste schon, wann es sie wieder trennen und ihre Suche nach dem jeweils anderen von vorne anfangen könnte? „Du, Stella?“ „Hm?“ „Danke, für dein Vertrauen.“ „Du hast mich eingesperrt, also hatte ich kaum eine Wahl“, neckte sie Luna. „Aber: Danke, dass du zurückgekommen bist.“ Gemeinsam setzten sie den Spaziergang fort. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)