Die Hexe und die Priesterin von Platan ================================================================================ Was man über Hexen weiß ----------------------- Der Geruch von Kräutern war das erste, was Stella wahrnehmen konnte, als sie langsam wieder zu sich kam. Eine Mischung aus süßlichen und bitteren, nahezu exotischen Düften, die überraschend angenehm waren. Noch nie zuvor hatte sie so etwas gerochen, irgendwie schien es eine seltsame Wirkung auf sie zu haben. So beruhigend und beinahe vertraut. Zögernd richtete sie sich auf und brauchte erst eine Weile, bis sie einigermaßen klar denken konnte, so sehr befand sie sich noch im Halbschlaf. Blonde, lange Haarsträhnen fielen zerzaust über ihre Schultern nach vorne, also waren sie nicht mehr zu einem Zopf zusammengeflochten, wie es sonst der Fall war. Verschlafen rieb sie sich die Augen und blickte sich anschließend irritiert um. Eine Holzhütte. Zuletzt war sie noch irgendwo tief im Wald gewesen, oder? Und nun saß sie auf einem Bett in einem ihr fremden Haus. Mehrere schmale Regale reihten sich an den Wänden eng nebeneinander und waren bis auf den letzten Zentimeter mit etlichen Gegenständen vollgestopft, die sie alle gar nicht mit nur einem Blick erfassen konnte. Darunter befanden sich zum Beispiel einige Gläser und andere kleine Behälter, auch eine Vielzahl von verschiedenen Pflanzen, Wurzeln und getrocknete Früchte konnte sie ausmachen und das war bloß ein kleiner Teil von dem, was in den Regalen gelagert wurde. Viele Sachen hatte sie bisher sogar noch nie gesehen. Ihr Blick löste sich von den Regalen und wanderte durch den restlichen Raum. Die meisten Einrichtungsgegenstände waren, wie das Haus selbst, aus Holz und wirkten schon ziemlich alt. Eigentlich war der Raum an sich nicht allzu groß, wie sie zu Beginn gedacht hatte, was vermutlich an den Regalen und der Vielzahl an Utensilien lag, die dort zu finden waren. Nein, es war alles sehr überschaubar, noch dazu schien es keine weiteren Zimmer zu geben. Mehr außer einem Tisch mit zwei Stühlen, einer Kochstelle und dem Bett, auf dem sie saß, passte gar nicht in den Raum rein und allein diese Dinge waren wohl schon mit Mühe und Not untergebracht worden. Obwohl dieser winzige Raum auf den zweiten Blick viel zu überfüllt aussah, wirkte es äußerst gemütlich. Dadurch fühlte sie sich auf Anhieb wohl, dabei sollte ihr diese fremde Umgebung eher unbehaglich sein. Gerade als sie sich fragte, wo sie überhaupt war und sich zu erinnern versuchte, was sie zuletzt erlebt hatte, lenkte ein lautes Quietschen ihre Aufmerksamkeit auf sich, das sich wie der Klagelaut eines sterbenden Tieres anhörte. Die Tür zur Hütte wurde gerade geöffnet und jemand trat von außen gemächlich herein. Eine zierliche Gestalt, eingehüllt in einem braunen Umhang samt Kapuze, unter der das Gesicht vollständig in den Schatten verschwand. Behutsam schloss die Person die Tür wieder, woraufhin ein weiteres Quietschen zu hören war. Keine einzige Sekunde lang verspürte Stella Furcht, im Gegenteil. Sie fühlte sich erstaunlich sicher und geborgen, fast wie damals bei ihrer Mutter. Dieses Gefühl hatte sie schon lange nicht mehr erlebt, also musste es sich bei dieser Person um einen guten Menschen handeln, ihr Gespür sagte ihr das. Hätte dieser Mensch ihr etwas antun wollen, müsste sie gefesselt und geknebelt sein, stattdessen lag sie in dem einzigen Bett, das es hier gab. Zudem hatte man sie sogar ganz alleine im Haus liegen gelassen, was im Grunde für den Eigentümer ein Risiko darstellte und offenbar war die Tür auch nicht abgeschlossen worden, so dass sie jederzeit hätte verschwinden können. Daher gab es für sie wirklich keinen Grund, Angst zu haben. Hatte sie sich zum Schluss nicht richtig schlecht gefühlt? Bestimmt hatte diese Person ihr geholfen und sich um sie gekümmert, denn sie fühlte sich besser als je zuvor. Richtig erholt. „Ähm“, fing Stella unsicher an und warf einen kurzen Blick zu dem einzigen, verschmutzen Fenster, hinter dem es recht hell aussah. Also ging sie davon aus, dass es Mittag sein musste. „Guten Tag.“ „Hm?“ Überrascht drehte die geheimnisvolle Gestalt sich in ihre Richtung. „Oh, du bist wach? Schön zu sehen, dann geht es dir wohl besser.“ Was für eine angenehm klare und melodische Stimme diese Fremde hatte, bei der es sich ebenfalls um eine Frau handelte. Davon war Stella überwältigt. „Ja, mir geht es sogar sehr gut. Das habe ich sicher Ihnen zu verdanken?“ „Du brauchst nicht so förmlich zu sein“, wandte sie ein und stellte einen Korb auf dem Tisch ab, in dem sich einige Pilze befanden. „Verzeihung, Macht der Gewohnheit“, versuchte Stella gleich, ihr Verhalten zu entschuldigen. Als Priesterin musste sie jedem stets mit Respekt und Höflichkeit begegnen, egal ob reich oder arm, und dazu gehörten auch solcherlei Förmlichkeiten. Sie selbst fand es eher recht lästig, weil sie dabei das Gefühl nie loswurde, durch das Siezen eine unsichtbare Mauer zwischen sich und ihren Mitmenschen zu schaffen. Dabei hatte sie diesen Weg eingeschlagen, um anderen zu helfen und nicht, um sich von ihnen zu distanzieren. Da sie mit den Gedanken weiter abzuschweifen drohte, schüttelte sie diese ab und fuhr mit dem Gespräch fort. „Mein Name ist Stella. Vielen Dank für deine Hilfe und Gastfreundschaft.“ Zwar konnte Stella ihr Gesicht nicht sehen, wegen der Kapuze, doch sie glaubte, zu spüren, dass ihre Retterin sie misstrauisch beäugte. Welchen Grund hätte sie dafür haben können? Auch ihre Antwort fiel merkwürdig zurückhaltend aus. „Schon gut ...“ Zügig wandte sie sich von ihr ab und zeigte damit, nicht weiter auf das Thema Rettung eingehen zu wollen. „... Du solltest dich auch noch eine Weile schonen“, fügte sie noch leise bittend hinzu. Klang so, als glaubte sie, Stella wollte so schnell wie möglich von hier verschwinden. Irgendwie benahm sie sich ein wenig seltsam, aber sie wollte die Frau nicht unnötig noch mehr verunsichern, als sie es offensichtlich schon war, darum wechselte sie das Thema. „Seltsam, ich kann mich nicht genau daran erinnern, was ich zuletzt gemacht habe und warum.“ „Das sind Nebenwirkungen von dem Gift“, erklärte sie und sammelte einige Dinge aus den Regalen zusammen, wobei sie sichtlich darum bemüht war, ihrem Gast möglichst keinen weiteren Blick zu schenken. Erschrocken weiteten sich Stellas hellgrüne Augen. „G-Gift?!“ „Ja. Du hast einige Beeren gegessen, die für Menschen giftig sind. Erst wird einem nur schwindelig, aber dann bekommt man hohes Fieber und fühlt sich immer schwächer. Ist das Gift weit fortgeschritten, verliert man das Bewusstsein und wacht in der Regel nicht mehr auf.“ Während die Fremde all dies erzählte, hantierte sie an der Kochstelle herum und fing an etwas zuzubereiten. „Fast wäre jede Hilfe zu spät gewesen, aber eine höhere Macht meint es wohl gut mit dir. Da ist ein Erinnerungsverlust leicht zu verschmerzen.“ „Verstehe“, stimmte Stella dem zu und legte sich eine Hand auf ihre Stirn. Neben dem Erinnerungsverlust hatte sie vergessen die Kopfschmerzen zu erwähnen. „Also werde ich ab jetzt immer eine Gedächtnislücke haben?“ „Mit der Zeit wirst du dich wieder an alles erinnern können, aber geh es langsam an.“ Eine angespannte Pause trat ein, bevor sie weitersprach. „Außerdem war es nicht wichtig. Ich meine, sicher nicht. Vorerst ist es wichtiger, dass du dich vollkommen erholst.“ „Vermutlich hast du recht. Nun ja, ich muss aber ziemlich dumm sein, wenn ich einfach irgendwelche Beeren gegessen habe, die giftig sind“, seufzte Stella. „Dumm würde ich nicht sagen. Du wusstest es nur nicht besser und diese Beeren verführen optisch auch einfach dazu, sie zu essen. Sie riechen sogar sehr gut und schmecken süß, sind aber tödlich.“ „Beeren der finsteren Verführung. Arbeiten mit ganz schön fiesen Tricks“, scherzte sie und wunderte sich über sich selbst, dass sie so locker war. Darüber musste die Gastgeberin schmunzeln, räusperte sich jedoch kurz darauf und wurde wieder neutral. „Beim nächsten Mal solltest du wirklich jemanden mitnehmen, der sich im Wald auskennt. Erst recht wenn dieser schon als gefährlich gilt.“ Demnach war sie wirklich im Wald unterwegs gewesen, so weit konnte Stella sich also erinnern. Trotzdem blieben einige Lücken vorhanden, weshalb Fragen aufkamen. „Gefährlich? Warum denn?“, wollte sie in Erfahrung bringen. Sicherlich müsste sie es eigentlich wissen, aber in diesem Augenblick konnte sie sich nicht daran entsinnen. „Auch das hast du vergessen? Erklärt dein Verhalten“, murmelte die Frau. Stella war sicher, sie traurig seufzen zu hören. „Wegen der bösen Hexe.“ „Hexe?“, wiederholte sie erstaunt und dachte nach. Hexen galten generell als dunkle Wesen mit unmenschlichen Fähigkeiten, die sie dazu nutzten, Unheil über das Land und seine Leute zu bringen. Sogar Gott hatte sich von ihnen abgewandt, hieß es, darum besaßen sie auch angeblich ein so scheußliches Aussehen, dass dieser kaum zu ertragen war. Alte, schrumpelige Haut, auch wenn die jeweilige Hexe noch so jung war. Ein krummer, buckeliger Rücken. Abgemagert, egal wie viel sie auch aßen oder das genaue Gegenteil davon: So dick, dass sie sich kaum bewegen konnten. Große Hakennasen. Warzen und andere Flecken auf der Haut. Der Kopf ganz kahl oder die Haare grau. Ein Blick, so irre, dass er selbst die stärksten Männer in die Flucht trieb. Kratzige, schrille Stimmen, von denen man eine Gänsehaut bekam. Für die Beschreibung einer Hexe gab es unzählige Beispiele, manche harmloser, andere nahezu grotesk. Stella hatte bisher noch nie einer Hexe von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden, aber sie hatte mal indirekt Kontakt mit einer gehabt, über ihre Mutter. Das war schon einige Jahre her, in ihrer Kindheit. „Und warum gilt sie als böse?“, hakte sie nach, da sie sich ja leider nicht erinnerte. Sicher, jede Hexe wurde grundsätzlich als böse abgestempelt, daher änderte sie ihre Frage auch nachträglich leicht ab. „Ich meine, was hat sie getan?“ Erst schwieg die Befragte eine Weile und kochte dabei weiterhin, wobei sie viel mit Kräutern arbeitete. „Was Hexen so tun. Leute verfluchen.“ Anscheinend war es kein so glückliches Thema für diese Frau, deren Namen sie nicht kannte. Sie hatte sich ihr ja auch nicht vorgestellt. Für Stella war das Thema Hexen dagegen schon immer interessant gewesen, auch wenn es nicht das richtige Wort dafür war. „Ein Menschenleben zu retten kann man nicht als Fluch bezeichnen“, sagte sie unbewusst vor sich hin und zuckte erschrocken zusammen, als daraufhin ein lautes Scheppern den Raum kurzzeitig erfüllte. Etwas Metallisches war zu Boden gefallen, vermutlich ein Topfdeckel oder eine Kelle, mit was auch immer die Namenlose an der Kochstelle am Arbeiten war. Verunsichert lugte sie ein wenig über ihre Schulter zu Stella herüber, ihr Gesicht blieb jedoch verhüllt von den Schatten der Kapuze. „W-Wie war das?“ „Was?“ Nun hatte Stella begriffen, dass sie eben laut gesprochen haben musste. Nervös winkte sie ab. „Ach, nicht so wichtig. Ich, äh, ich habe nur eine eigene Vorstellung von Hexen, mehr nicht.“ Jeder hasste Hexen. Ausnahmslos. Alle sagten, dass sie böse waren. Ausnahmslos. Wer das Gegenteil behauptete, galt unter seinen Mitmenschen als Außenseiter. In schlimmsten Fällen wurde man sogar selbst als Hexe beschimpft oder für krank gehalten. Einmal wurde jemand als besessen gebrandmarkt und am Ende hingerichtet, damit diese Person keinen Schaden anrichten konnte, indem sie für ihre Herrin spionierte oder schlimmeres tat. Aus diesem Grund wäre es höchst riskant, offen mit anderen darüber zu sprechen, was sie über Hexen dachte. Erst recht als Priesterin. Man könnte behaupten, das Böse hätte Besitz von ihrer Seele ergriffen und sie umgekehrt. Irgendeine Geschichte eben, die zwar verrückt klang, aber erklären sollte, warum sie nicht die gleiche Meinung teilte wie der Rest der Welt. Im Grunde hatte sie schon zu viel gesagt und überlegte, wie sie da wieder rauskommen konnte, doch ihre Gesprächspartnerin kam ihr zuvor. „Jeder sollte seine eigene Meinung haben. Ich werde dich deswegen nicht verurteilen. Also ich, nun, würde sie wirklich gerne hören.“ Zum ersten Mal klang die bisher so verschlossene Frau ernsthaft interessiert und offen. Auf eine seltsame Weise sorgte es für ein angenehm warmes Gefühl in Stellas Herzen. Als sie dann auch noch mit einer Tasse in der Hand zu ihr herüber kam und sie ihr reichte, freute sie sich richtig darüber. Dankend nahm Stella sie entgegen. Heißer Kräutertee, das hatte sie also die ganze Zeit über gekocht. Mit einer weiteren Tasse nahm die Frau am Tisch Platz, setzte sich aber so hin, dass sie sich einander nicht anschauen konnten. „Wenn du natürlich nicht darüber reden willst, dann zwinge ich dich auch nicht dazu.“ „Hm.“ Tatsächlich wäre es erleichternd, endlich mit jemandem darüber sprechen zu können. Nur musste sie vorsichtig sein, nicht dass sie sich selbst irgendwann an einem Pfahl festgebunden wiederfand und als Verrückte verbrannt werden würde oder so. „Darf ich dich vorher fragen, was du von Hexen hältst?“ „Ich?“ Zunächst nahm sie einen kleinen Schluck, nachdem sie gepustet hatte. Dann antwortete sie. Nicht neutral, wie sie sich sonst gab, sondern bedrückt. Spürbar bedrückt. „Ich denke, sie werden missverstanden.“ Pure Erleichterung durchströmte Stella, als sie diese Worte hörte. Sie war so unendlich erleichtert, dass sie anfangen musste zu weinen. Plötzlich liefen ihr Tränen über die Wangen, von einer Sekunde zur nächsten. Zum Glück konnte die Frau es nicht sehen, da sie ja abgewandt von ihr saß. Dieser Ausbruch war ihr nämlich ganz schön peinlich. Wie konnte man nur so nah am Wasser gebaut sein? Rasch wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und starrte in ihre Tasse hinab. Lange schon träumte sie geradezu davon, ihre Meinung und Sicht offenlegen zu können. Endlich konnte sie sich diesen Stein vom Herzen reden, den sie schon ewig mit sich herumschleppen musste. „Weißt du, meine Mutter wurde damals von einer Hexe gerettet. Da war ich noch ein Kind gewesen. Meine Mutter war sehr krank. Ihr Herz hatte ihr schon immer Probleme bereitet, aber eines Tages wurde es richtig schlimm und der damalige Priester meinte, sie würde es nicht schaffen. Dann tauchte wie aus dem Nichts diese Hexe auf, warf einen Blick auf meine Mutter und mischte etwas aus ihren Kräutern und anderen Sachen zusammen, die sie dabei hatte, und gab es ihr zu trinken. Nur einen Tag später ging es ihr auf einmal besser, sie war sogar fitter als jemals zuvor. Aber ...“ Bilder aus der Vergangenheit kamen ihr in den Sinn und erweckten die Verzweiflung von damals wieder zum Leben. „Aber es kamen weitere Priester und andere Heilige zu uns, die uns sagten, die Hexe hätte meine Mutter nicht gerettet, sondern verflucht. Dieser Fluch sollte bewirken, dass das Böse in ihr Herz einziehen konnte und ihre Seele nach dem Tod keinen Frieden finden würde. Die Seele meiner Mutter gehörte nun der Hexe und diese wollte sie für ihre Zwecke missbrauchen, wenn die Zeit reif war. Um das zu verhindern, nahm man sie mit. Angeblich, um sie zu reinigen, aber ich habe sie seit jenem Tag nicht mehr wiedergesehen. Auch die Hexe nicht, denn sie war direkt nach ihren Auftauchen auch genauso spurlos verschwunden.“ Zitternd umklammerte sie die Tasse fester. Erneut liefen ihr Tränen über die Wangen, mehr als zuvor. Mühevoll versuchte sie die Trauer runterzuschlucken, jedoch wollte es ihr nicht so recht gelingen. „Das tut mir leid“, sagte die Zuhörerin. So ehrlich war es ihr noch nie von jemandem gesagt worden. Bis jetzt war so gut wie jeder der Meinung, dass es nötig gewesen war, ihre Mutter von ihr zu trennen. „Du musst die Hexe dafür ganz schön hassen.“ „Was? Nein, natürlich nicht!“, schluchzte Stella entsetzt und blickte von ihrer Tasse auf. Die Frau saß nach wie vor von ihr abgewandt am Tisch, hatte inzwischen aber den Kopf gesenkt. „Die Hexe hat meine Mutter gerettet! Sie hat ein Wunder vollbracht! Es war die Angst der anderen, die dieses Wunder in ein Unheil verwandelt hat. Die Angst vor diesen sonderbaren Fähigkeiten. Vielleicht auch der Neid, ich weiß es nicht, aber wenn ich jemanden hasse, dann ganz sicher nicht die Hexe. Sie wurde doch nur fälschlicherweise als Sündenbock hingestellt.“ „Aber ...“ Ungläubig schüttelte die Frau den Kopf. „Aber was ist mit dir? Hast du keine Angst vor den Fähigkeiten der Hexe? Findest du es nicht unheimlich, dass es ihr gelungen war den Tod zu betrügen und deine Mutter aus dessen Klauen zu befreien?“ „Ich mache mir vielmehr Sorgen.“ „Sorgen?“ „Ja, um die Hexen.“ Abwesend schwenkte sie mit ihrem Blick Richtung Fenster. „Ich frage mich, was sie wohl auf sich nehmen müssen, um gegen so ein mächtiges Monster wie den Tod bestehen zu können.“ „Und ...“ Es hatte den Anschein, als wollte die Frau irgendetwas finden. Vermutlich das gleiche, was normalerweise bei jedem zu finden war, wenn es um Hexen ging: Abscheu. Hass. Etwas in der Richtung. Sie wirkte völlig verwirrt darüber, dass Stella bisher in keinem einzigen Wort etwas Negatives erwähnt hatte und sie fragte sich genau deshalb, warum sie so verbissen nach etwas dergleichen suchte. War ihre Retterin letztendlich doch genauso feindlich gesinnt gegenüber Hexen wie jeder andere auch? Hatte sie sich soeben um Kopf und Kragen geredet? „Und was, wenn die Hexen anderen Menschen doch bloß aus Eigennutz das Leben retten?“ „Es ist schwierig. Ich finde, ich habe nicht das Recht, mir diesbezüglich was zurechtzulegen. Schließlich weiß ich gar nichts über Hexen, bis auf die zahlreichen üblen Gerüchte, die bis jetzt in die Welt gesetzt wurden. Aber wer weiß schon ganz genau, woher die Hexen ihre Fähigkeiten haben und warum sie Menschen retten? Solange ich das nicht weiß, will ich mir darüber auch kein Urteil bilden.“ „Aber ...“ „Aber eines weiß ich“, warf Stella dazwischen, ehe die andere zu Wort kommen konnte. „Die Hexe hat meine Mutter gerettet, sonst wäre sie gestorben. Aus welchem Grund auch immer, ich konnte sehen, wie es ihr besser ging. Wie sie vor Glück und Erleichterung gelächelt hatte und auch wenn dieses Glück nur von kurzer Dauer war und ihr Lächeln zerstört wurde, als man ihr sagte, sie sei verflucht worden, bin ich der Hexe dafür sehr dankbar.“ „I-Ich ...“, stotterte die Frau und stand auf, war auf einmal total aufgeregt. Nur flüchtig bemerkte Stella, wie sie eine Hand gegen ihre Brust presste, als hätte sie Schmerzen. Es war die Herzseite. „Ich habe was vergessen. Trink bitte den Tee aus, er wird dir gut tun und dir dabei helfen, dich noch schneller zu erholen.“ Hastig stolperte sie um den Tisch herum zur Tür, schlüpfte nach draußen und ließ Stella allein in der Hütte zurück. Jetzt hatte die Verwirrung auch sie in Beschlag genommen. Das Verhalten dieser Person war wirklich ziemlich seltsam. Ob sie nun den nächstbesten Soldaten des Königs darüber informieren wollte, dass sie eine Hexenanhängerin bei sich zu Hause hatte? Bei dem Gedanken musste sie hart schlucken. Andererseits ... „Würde sie einen Soldaten holen wollen, hätte sie sich vorher nicht noch einmal die Mühe gemacht, mir zu sagen, dass der Tee mir helfen würde, mich besser zu erholen.“ War sie zu naiv? Auf alle Fälle entschied sie, nicht die Flucht zu ergreifen und darauf zu vertrauen, dass kein Soldat auftauchen würde. Davon abgesehen wusste sie nicht mal, wo sie war. Durch das schmutzige Fenster konnte man nichts erkennen. Zudem waren da noch diese Kopfschmerzen und der Hoffnungsschimmer, jemanden gefunden zu haben, mit dem sie endlich über Hexen reden konnte, ohne ständig nur von Verbrennungen und andere Formen der Hinrichtung zu sprechen. ... Und wenn ich mich irre? Seufzend nahm sie einen großen Schluck von dem Kräutertee, der mittlerweile lauwarm war und spuckte ihn sofort in die Tasse zurück. „Igitt! Ist das bitter!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)