ITE, MISSA EST! von In-Genius (DIEM NOCTEMQVE) ================================================================================ Kapitel 3: INTERDIV ------------------- Ein einzelner Tropfen Wasser gab kaum ein hörbares Geräusch von sich. Selbst das goccia-goccia-goccia eines leckenden Wasserhahns ging im Lärm der città eterna unter. Wenn sich allerdings zwei, drei, hunderte und tausende von Tropfen Wasser verbündeten und gemeinsam in das Becken des Fontana di Trevi rauschten, übertönte der Lärm jede persona und jede macchina. Giovan lauschte gern der immensen Kraft, die das Wasser hier verkündete. Es erinnerte ihn an vergangene Zeiten, damals war auch der Glauben solch eine Kraft in der Welt gewesen. Heute, tausende Jahre nach dem morte di Cristo am Kreuze, war von dieser Urgewalt im Menschen kaum noch etwas zu spüren. In den Straßen der città eterna sah und hörte er den vergehenden Glanz der Kirche; genauso wie er den lang vergangenen Glanz der Heiden sah. Hier am Fontana di Trevi war er zu Schau gestellt: der Aberglauben der Romani, wo der Gott des Meeres ebenso ein Gott für Pferde war. Die stobenden Pferde wieherten im hellen Licht der Sonne, ihr weißer Kalkstein und Marmor blendete, der ganze Brunnen mit seiner Palastfassade und der Felslandschaft leuchtete grell. Giovan beschattete seine Augen mit einer Hand und sah die colore nero seiner Haut. Einst war er ebenso weiß wie dieser Brunnen gewesen. Er seufzte. Zwar saß er gern am Rand des Brunnens und lauschte dem an das Meer erinnernde Rauschen, allerdings durfte er nicht zu spät kommen. Nicht heute. Giovan stand auf und ging den schmalen, schattigen Weg namens Via di Pietra entlang. Seine Schritte waren schnell und die alten Fassaden der Häuser sah er heute nicht an. Roma war eine Stadt der Vergangenheit, also gerade richtig für eine creatura della notte wie ihn, denn er war der Zukunft überdrüssig. Wenn er heute einem Menschen sichtbar wurde, rang sich dieser nicht einmal ein müdes Gähnen ab. Früher, ja früher war er ein terrore della notte gewesen; heute sah er das Sonnenlicht. Hatte er sich verändert oder die Menschen? Er besaß nicht die Einsicht in die Dinge der Welt, um darauf eine Antwort zu finden. In der Ferne hörte er das zarte Läute der ersten Glocken. Nach wenigen Schlägen schwoll die melodia sacra zu einem herrlichen Chor an. Der coro degli angeli erreichte jeden Winkel der città eterna, erreichte jedes Ohr und jedes Herz, egal ob auf den Straßen oder in den Häusern. Kurz blieb Giovan stehen und genoss diese musica celestiale. Ihren kraftvollen, reinen Stimmen wollte er antworten. No, er musste den tre arcangeli antworten: Michele, Raffaele, Gabriele. Und er sang ihre Namen. Er sang den Namen Gesù Cristo und seine eigene Stimme gehörte jetzt zum Chor der heiligen Glocken. Er war ein Teil der città santa ed eterna. Bis er zu sich kam und ihm die Töne im Halse stecken blieben. Er kam zu spät. Eilig nahm er seinen Weg auf der Via di Pietra wieder auf. Er hastete über die alten und unebenen Steinen. Presto, presto, presto! Er konnte nicht ausgerechnet an diesem Tag im Jahr zu spät kommen. Er lief so schnell ihn seine Füße trugen, lief durch die Menschen auf der Straße hindurch. Was Menschen nicht sahen, fühlten sie auch nicht. Wenn doch nur seine Flügel gesund wären, aber die Zeit hatte ihn nicht nur nero gemacht. So verließ er sich auf seine Füße und eilte voran. Er kam zum Ende der Straße und das Pantheon ragte monumentale vor ihm auf. Ein Gebäude so alt, so voller Geschichte und Glauben; große Ehrfurcht ergriff ihn. Giovan bekreuzigte sich unwillkürlich. Wie ein unerschütterlicher Fels ragte das Gebäude hoch, steinerne Wand wohin das Auge sah. Nur ganz oben, direkt unter der wunderbaren Kuppel standen kleine Fenster in der Wand. Er folgte der Rundung nach vorn zum Eingang. Mit einem leichten Sprung hüpfte er über das Mäuerchen, das Platz und Pantheon voneinander trennte. Er lief weiter, an den starken Säulen vorbei, über das Schachbrett des Fußbodens und hinein in den weiten, so weiten Raum. Wie eine geheimnisvolle grotta. Innen war es einfach wunderschön! Antiche Säulen und antiche statue säumten die Rundung der Wand. Viele Gläubige saßen bereits auf den Bänken. Der Altar stand vor einer Nische mit einem wunderbaren angelo. Giovan bekreuzigte sich erneut und setzte sich. Immer saß er vorn. Ein metallisches Poltern durchfuhr sie alle. Die Gläubigen wandten sich um, aus dem Dunkel der Vorhalle schritten die Diener und der Priester in den hellen Raum der Messe. Der Chor der gnädigen Putti mit ihren lieblichen Stimmen echote von den hohen Wänden: „Vater unser, der Du bist in den Himmeln, geheiligt werde Dein Name …“ Das grelle Licht der Sonne fiel durch das Opaion, die kreisrunde Öffnung in der Kuppel, und verstreute sich in der ganzen Rotonda. Es war, als würden all die statue in den Nischen rings um sie herum mitsingen. Die Diener und der Priester schritten selig und feierlich durch die Rotonda, immer dem Kreuz des Altars entgegen. „… zu uns komme Dein Reich; Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden!“ Vor dem Altar fielen sie auf die Knie und küssten den Boden vor Gott. „Unser tägliches Brot gib uns heute; und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern …“ Der Priester küsste den Altar und segnete ihn mit Weihrauch. „… und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel.“ Die ganze Rotonda war eine weihevolle Stimme: „Amen.“ Der Priester breitete seine Arme aus und richtete seine Worte an die Gläubigen: „Beginnen wir die Messe: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, wird auch Gott ebenso die Entschlafenen durch Jesus mit ihm bringen. Denn wie in Adam alle sterben, so werden auch in Christus alle lebendig gemacht werden.“ Giovan schloss die Augen. Er sehnte sich nach Gesù Cristo, mehr als er fühlen konnte. In Adam war er gestorben und mit Gesù Cristo war er auferstanden. Oder war es der diavolo, der ihm dieses neue, falsche Leben gegeben hatte? „Ich bekenne Dio, dem Allmächtigen, der seligen, allzeit reinen Vergine Maria, dem San Arcangeli Michele, dem San Giovanni Battista, den Santi Apostoli Pietro e Paolo, allen Heiligen, und allen Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe. Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken per colpa mia, per colpa mia, dal mio grande difetto. Darum bitte ich die selige Vergine Maria, den San Arcangeli Michele, den San Giovanni Battista, die Santi Apostoli Pierto e Paolo, alle Engel und Heiligen, und euch, Brüder und Schwestern, für mich zu beten bei Dio, nostro Signore“, sang Giovan leise und voller Reue. War er noch immer das Übel in dieser Welt? Er bat um Buße. „Signore, abbi pietà. Cristo, abbi pietà. Signore, abbi pietà.“ Hatte denn niemand erbarmen mit ihm? Er kniete vor dem Altar, seine Stirn berührte den kalten Steinboden. Seine Stimme bebte: „Gloria a Dio in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen seiner Gnade. Wir loben Dich, wir preisen Dich, wir beten Dich an, wir rühmen Dich und danken Dir, denn groß ist Deine Herrlichkeit: Signore Dio, König des Himmels, Gott und Vater, Herrscher über das All, Herr, eingeborener Sohn, Gesù Cristo. Signore Dio, Lamm Gottes, Sohn des Vaters, Du nimmst hinweg die Sünde der Welt: erbarme Dich unser. Du nimmst hinweg die Sünde der Welt: nimm an unser Gebet. Du sitzest zur Rechten des Vaters: erbarme Dich unser. Denn Du allein bist der Heilige, Du allein der Herr, Du allein der Höchste, Gesù Cristo, mit dem Spirito Santo, zur gloria di Dio Padre. Amen.“ Unter dem heftigen Gebet erstarb seine Stimme. Scharf zeichneten sich die Knochen seiner Finger unter der schwarzen Haut ab, so stark betete er. Seine Beine zitterten unter der Demut und Frömmigkeit, die er fühlte. Erneut sprach der Priester und seine tiefe Stimme erfüllte die ganze Rotonda und jede Nische: „Lasset uns beten: Allmächtiger Gott, wir glauben und bekennen, dass Du Deinen Sohn als Ersten von den Toten auferweckt hast. Stärke unsere Hoffnung, dass Du auch unsere Brüder und Schwestern auferwecken wirst zum ewigen Leben. Darum bitten wir durch ihn, Jesus Christus.“ „Amen“, wisperte Giovan. Er schmachtete nach Buße und Erhörung. So lange schon wandelte er auf Erden, tot und doch nicht tot, aber ein vittoria war es nicht. Es war der Verlust seiner Seele. Würde er jemals seinem Schöpfer im Angesicht gegenüberstehen? Er suchte das Heil. In Gesù Cristo fand er Trost. Die Gläubigen und Giovan setzten sich und folgten den nächsten Worten des Priesters: „Lesung aus dem Buch der Makkabäer: In jenen Tagen veranstaltete Judas, der Makkabäer, eine Sammlung, an der sich alle beteiligten, und schickte etwa zweitausend Silbderdrachmen nach Jerusalem, damit man dort ein Sündopfer darbringe. Damit handelte er sehr schön und edel; denn er dachte an die Auferstehung. Hätte er nicht erwartet, dass die Gefallenen auferstehen werden, wäre es nämlich überflüssig und sinnlos gewesen, für die Toten zu beten. Auch hielt er sich den herrlichen Lohn vor Augen, der für die hinterlegt ist, die in Frömmigkeit sterben. Ein heiliger und frommer Gedanke! Darum ließ er die Toten entsühnen, damit sie von der Sünde befreit werden.“ Giovan wusste: „Dalle profondità a te ho gridato, o Signore.“ Diese Erkenntnis sang er mit Hingabe zu Gott. Der Priester fuhr fort: „Lesung aus den Briefen des Apostel Paulus an die Thessalonicher: Wir wollen euch aber, Brüder, nicht in Unkenntnis lassen über die Entschlafenen, damit ihr nicht betrübt seid wie die Übrigen, die keine Hoffnung haben. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, wird auch Gott ebenso die Entschlafenen durch Jesus mit ihm bringen. Denn dies sagen wir euch in einem Wort des Herrn, dass wir, die Lebenden, die übrig bleiben bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden. Denn der Herr selbst wird beim Befehlsruf, bei der Stimme eines Erzengels und bei dem Schall der Posaune Gottes herabkommen vom Himmel, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die Lebenden, die übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und so werden wir allezeit beim Herrn sein. So ermuntert nun einander mit diesen Worten!“ Giovan bekreuzigte sich unwillkürlich. Er wollte so sehr bei seinem Herrn Gesù Cristo sein. Zwar wusste er nicht viel, doch er wusste, wenn der Herr dir eine Prüfung aufgab, so bringe sie zu ende. Also würde er ausharren und weiter warten, hier auf Erden und in diesem ungeheurlichen Zustand, bis sein Herr zufrieden mit ihm war. Hoch über sein Haupt hielt der Priester das Evangelium, damit jeder Gläubige es sehen konnte. Begleitet von zwei Dienern schritt er langsam zum Altar, sie sangen: „Christus Sieger, Christus König, Christus Herr in Ewigkeit! Jesus sprach zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist; und jeder, der da lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit. Christus Sieger, Christus König, Christus Herr in Ewigkeit!“ Der Priester legte das Evangelium auf den Altar und segnete es mit Weihrauch: „Der Herr sei mit euch.“ Giovan antwortete eifrig: „E con il tuo spirito.“ Noch immer flankierten die Diener das Evangelium, die Kerzen flackerten. Salbungsvoll sprach der Priester: „Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes: Als nun Jesus kam, fand er ihn schon vier Tage in der Gruft liegen. Betanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien weit; und viele von den Juden waren zu Marta und Maria gekommen, um sie über ihren Bruder zu trösten. Marta nun, als sie hörte, dass Jesus komme, ging ihm entgegen. Maria aber saß im Haus. Da sprach Marta zu Jesus: Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben; und jetzt weiß ich, dass, was du von Gott bitten magst, Gott dir geben wird. Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Marta spricht zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird in der Auferstehung am letzten Tag. Jesus sprach zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist; und jeder, der da lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit. Glaubst du das? Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.“ Wieder hob der Priester das nun aufgeschlagene Evangelium hoch über sein Haupt und mit eben so langsamen Schritten brachte er es zurück an seinen Platz. „Evangelium unseres Herrn Jesus Christus.“ Ergriffen sah Giovan der kleinen Prozession zu. Die Worte bewegten ihn: Gesù Cristo war Leben und Ewigkeit, war Auferstehung und Rettung. Dann war es sein Wille, wie Giovans Dasein nun war, schon so lange war. Er war tot und nicht tot wegen Gesù Cristo, dieser Gedanke war tröstlich. Für seinen geliebten Herrn lebte er in diesem Dasein, egal wie viele hunderte oder tausende Jahre mehr. Er faltete seine Hände und betete über die predigenden Worte des Priesters hinweg. „Ich glaube an Dio, den Vater, den Allmächtigen; und an Gesù Cristo, seinen Sohn, den Einziggeborenen, unseren Signore, der geboren ist dallo Spirito Santo und la Vergine Maria, der unter Ponzio Pilato gekreuzigt und begraben wurde, am dritten Tag auferstand von den Toten, aufstieg in den Himmel, zur Rechten des Vaters sitzt, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten; und an Spirito Santo, la Santa Chiesa, il perdono der Sünden, la risurrezione des Fleisches. Amen.“ Als Giovan wieder aufsah, stand der Priester wieder am Altar und sprach bereits die Fürbitten: „Jesus Christus, der das ewige Leben verheißen hat, bitten wir: Bewahre der Kirche die feste Zuversicht, dass die Toten auferstehen.“ Eilig stand Giovan auf und antwortete laut: „Noi supplichiamo, ascoltaci.“ „Erbarme Dich aller Menschen, damit sie in Dein Reich gelangen, steh den Sterbenden bei, und tröste sie durch Deine Verheißungen. Vergib unseren Verstorbenen ihre Schuld, und schenke ihnen das ewige Leben. Denn Du bist die Auferstehung und das Leben. Dir sei Lob und Ehre in alle Ewigkeit.“ Giovan rief: „Amen!“ Die Worte des Priesters sprachen direkt zu seinem Herzen. Sie erfüllten ihn mit friedlicher Hingabe, mit ehernem Glauben, mit ständiger Zuversicht. Gott würde ihn erhören! Gebannt sah er den bedachten Bewegungen zu, wie der Priester den Altar vorbereitete, Brot und Wein aufrichtete. Erst hob der Priester das Brot hoch, gen Kreuz und betete. Die Hostie leuchtete im glücklichen Licht der Kerzen. Dann hob der Priester den Kelch mit dem Wein empor, gen Kreuz und betete. Das Gold und die Kostbarkeiten des Kelches glitzerten friedvoll im Licht der Kerzen. Tief sog Giovan die kalte Luft des Pantheons ein, während der Altar, der Priester und er, die Gläubigen, mit Weihrauch gesegnet wurden. Würde es ihn ausfüllen, wäre er endlich Gott näher, nur einen kleinen Schritt näher. Mit ausgestreckten Händen stand der Priester hinter dem Altar: „Lasset uns beten: Herr unser Gott, schau gütig auf unsere Gaben. Nimm Deine Diener und Dienerinnen auf in die Herrlichkeit Deines Sohnes, mit dem auch wir durch das große Sakrament der Liebe verbunden sind. Darum bitten wir durch ihn, Christus, unseren Herrn. Der Herr sei mit euch.“ „E con il tuo spirito!“ Giovan stand vor dem Altar, sah den heiligen Schein des Kelches, des Ziboriums und der anderen heiligen, kostbaren Gefäße der Messer. Das Licht der Sonne spiegelte sich, brachte den heiligen Schein Gesù Cristo in die Rotonda. Der Herr war mit ihnen! Die erschrockene Stille in der Rotonda war ihm Bestätigung für diese Erkenntnis. Sein Herr war mit ihm, brach mit ihm das Brot, teilte mit ihm den Wein, opferte sich für ihn – noch einmal. Er fiel vor dem Altar auf die Knie, küsste den Boden zu Füßen Gesù Cristo, zu Füßen seines Gottes. „Santo, santo, santo il Signore Dio, Herr aller Mächte und Gewalten. Erfüllt sind Himmel und Erde von Deiner Herrlichkeit. Hosanna in der Höhe. Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Signore. Hosanna in der Höhe“, sang er in den Staub des Pantheon a Roma. Ehrfurcht ergriff ihn. Der Priester schritt vom Altar zurück, sein Gesicht mit Erstaunen gezeichnet. In seinen weit aufgerissenen Augen spiegelte sich Giovans schwarzes Antlitz. Er griff nach dem Kreuz, das er um seinen Hals trug, und hielt sich daran fest. „Bei … Gott“, wisperte er. „Ja, mit Gott“, nickte Giovan bestätigend und blickte sich um. Die Gläubigen saßen mit größter Verwunderung auf den Bänken, trauten sich keinen Laut zu flüstern. Manch einer bekreuzigte sich. Gott war mit ihnen, mit ihnen allen. Selbst mit ihm, einer creatura della notte … vielmehr creatura del sole. Gesù Cristo war im Sonnenlicht. Die Rotonda erstrahlte mit ihm. Das Opfer von Brot und Wein, von Leib und Blut ließe sie alle erstrahlen in seinem Geiste. Giovan erhob wieder seine Stimme: „Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünde del mondo, erbarme dich unser. Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünde del mondo, erbarme dich unser. Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünde del mondo, gib uns Deinen Frieden.“ Er sprang über den Altar hinweg und stand an des Priesters Seite. Heute war die Messe, die das Heil der Toten erbat. Tief schlug er seine langen säbelgleichen Zähne in seine Handgelenke, dort wo Gesù Cristo die Nägel hatte spüren müssen. Giovan war dabei gewesen und er hatte das Blut seines Herrn über das Holz des Kreuzes fließen sehen, so wie er nun sein eigenes Blut über das Holz des Altares fließen sah. Mit den scharfen Krallen seiner Hände löste Giovan das Fleisch von seinen Rippen, dort wo Gesù Cristo die Lanze hatte spüren müssen. Giovan war dabei gewesen und er hatte das Loch im Leib seines Herrn gesehen, so wie er nun das Loch in seinem eigenen Leibe sah. „Padre nostro, der Du bist in den Himmeln, geheiligt werde Dein Name; zu uns komme Dein Reich; Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden! Unser tägliches Brot gib uns heute; und rimetti a noi unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern; und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dal male. Amen.“ Giovans Stimme erfüllte das ganze Kirchenschiff. Er hörte die himmlischen Putti, um ihrem Gott zu huldigen. Mit seiner Zunge fing er sein eigenes Blut auf und trank davon. „So spricht Signore Gesù Cristo: Ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt …“ Mit seinen Zähnen teilte er sein eigenes Fleisch und aß davon. „… und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben.“ Auf seiner Zunge spürte er den heiligen Schein seines Herrn und Gottes. Giovan schloss die Augen, reckte seine Arme dem Opaion entgegen. Alles war gut, er spürte es. Die Toten waren nicht tot, die Sünder waren nicht sündhaft, die Ungläubigen waren nicht ohne Gott. Der Herr liebte sie alle. „Barmherziger Gott, wir haben das Gedächtnis des Todes und der Auferstehung di Gesù Cristo gefeiert für unsere Brüder und Schwestern. Führe sie vom Tod zum Leben, aus dem Dunkel zum Licht, aus der Bedrängnis in den Frieden. Darum bitten wir durch Gesù Cristo nostro Signore.“ Selbst ein vampiro wie er konnte Buße tun und Gnade finden. Seine Sünden wogen schwer, doch seine Reue war wahrhaftig. Er war eine creatura della notte und doch sah er das Licht. Er spürte das Licht, den heiligen Schein, auf sich und in sich. Endlich ging er mit ihm in den Himmel, nur sein vergossenes Blut blieb hier in der città eterna zurück. Ti amo Gesú Cristo. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)