Besuch aus Amerika von phean ================================================================================ Kapitel 30: Langeweile ---------------------- Freitag, 09. August Verschlafen sah Koushiro auf sein Handy. Sein zweiter Blick ging zu seinem Wecker, er zeigte kurz nach sieben. Das war eine humane Uhrzeit, aber … Nachdenklich hob er den Blick. Seit wann wachte die Jüngere so früh auf? Seit wann wachte er um solch eine Uhrzeit auf? Einen Moment betrachtete er noch das lächelnde Gesicht des Anruferfotos, dann drückte er auf den grünen Hörer, gähnte noch kurz und hielt sich das kleine Gerät ans Ohr. „Guten Morgen“, er versuchte wach zu klingen, doch mit etwa drei Stunden Schlaf schaffte er das wohl nicht so ganz. „Guten Morgen“, ertönte eine muntere Stimme am anderen Ende, „… hab ich dich geweckt?“ „Nein nein … bin schon länger wach“, zu seinem Missfallen musste er just in diesem Moment gähnen. „Lügner“, tadelte die Jüngere, musste aber leise kichern. Er gab ein schnaubendes Geräusch von sich, „wieso rufst du denn um solch eine Uhrzeit an?“ Während er ihr weiter zuhörte, streckte er sich, dehnte Nacken und Hals und fuhr sich durch seine zerzausten Haare. „Naja, mein Vater hat von der Arbeit ein paar Freikarten bekommen“, fing sie an, „und ich wollte dich fragen, ob du mit mir hin magst, es sind nämlich zwei und er will nicht. Und bevor du was sagst, ja ich weiß, dass dieses Mal du entscheiden solltest, aber … du entscheidest einfach das nächste Mal wieder.“ Koushiro war mit einem Schlag ganz Ohr, als sie sagte, dass sie ihn fragte. Sie hatte nicht Sora oder Jou oder Taichi oder einen ihrer anderen Freunde gefragt – sie hatte ihn gefragt. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. „Wo müsst ich denn hin?“, Aufregung machte sich in ihm breit, aber dann mischte sich auch Nervosität mit hinein. „Komm zum Bahnhof … in einer halben Stunde … spätestens …“, damit legte die Jüngere auf. Sie ließ einen verwirrten Koushiro zurück. Wo zur Hölle wollte sie denn hin? Doch sie wollte mit ihm irgendwohin. Dafür musste er sich jetzt aber beeilen. Schnell war er auf den Beinen und eilte ins Badezimmer. In aller schnelle duschte er, ging zurück in sein Zimmer und zog sich an. Er packte sein Handy und Geldbeutel zusammen und steckte noch den Schlüssel ein. Koushiro gab Kae Bescheid und er ließ sich noch einen Toast aufreden, mit diesem bestückt verließ er das Haus und eilte zum Bahnhof. Völlig aus der Puste kam er vor dem Gebäude an und versuchte zu Atem zu kommen. Mit einem tadelnden Blick bedachte Mimi ihn, „du bist sieben Minuten zu spät.“ „Nimmst du es so genau?“, er hustete leicht und richtete sich dann wieder auf. „Ja! Und du solltest mehr Sport machen“, lachte sie dann. „Dann gib mir einfach früher Bescheid …“ „Aber früher ging nicht und jetzt komm“, zischte sie, dann packte sie den Älteren bei der Hand und zog ihn mit sich zum Gleis, „der Zug kommt in wenigen Minuten oder besser fährt in wenigen Minuten los.“ Schnell sprangen sie gerade noch rechtzeitig in den Zug. Lachend ließ sie sich auf einen Sitz fallen, „du bist echt unverbesserlich, fast schon wie …“, sie stockte und dachte an den Braunhaarigen, doch bevor sie dessen Namen aussprechen konnte, presste sie ihre Lippen aufeinander. Koushiro nahm ihr gegenüber Platz. „Hee… ich bin immer pünktlich“, brummte der Rothaarige, „was kann ich dafür, wenn du mir erst so kurz davor sagst, wann ich wo sein soll.“ Erleichtert atmete Mimi auf, da war sie ganz froh, dass Koushiro manchmal gar nicht merkte, was in ihr vorging. Was in allen Menschen um ihn herum vor sich ging. Daher legte sich auch schon wieder ein Lächeln auf ihr Gesicht und sie musste glatt kichern. „Wohin fahren wir überhaupt?“ „Nach Shimotsuma“, gab sie von sich, als wäre nichts dabei, „oh … da ich dich ja geweckt habe … ich hab was zum essen dabei“, sie zog ein Bento aus ihrer viel zu großen Handtasche hervor. Koushiro kam gar nicht weiter dazu zu fragen, was sie dort denn machen würden, denn schon hatte sie die Box geöffnete und ihm mit en Essstäbchen etwas in den Mund geschoben. Aus großen Augen starrte er sie an, während sich seine Wangen aufgeblasen fühlten. Langsam begann er zu kauen und war sprachlos … er wusste im ersten Moment nicht, was er da aß, aber es schmeckte einfach wunderbar. „Na? Sprachlos?“, grinste die Jüngere und nahm sich auch selbst etwas. „Es schmeckt köstlich“, brachte er nur hervor und wurde schon mit dem nächsten Happen gefüttert. Dass sie gerade die gleichen Stäbchen nahm, mit denen auch sie aß, war total vergessen. Viel mehr stand im Vordergrund, dass sie ihn fütterte und das mit ihrem Essen. „Wann bist du dafür aufgestanden?“ „Ach, das war schnell gemacht … ich bin seit halb sieben wach“, lachte sie dann aber etwas überdreht, „und vielleicht hab ich schon etwas zu viel Kaffee getrunken“, mit einem Schlag konnte sie nicht mehr aufhören zu kichern. Etwas ängstlich sah Koushiro zu ihr, „vielleicht solltest du Wasser trinken“, er zeigte auf die Flasche in ihrer Tasche. Irritiert starrte sie ihn an und dann zu dem Wasser. Langsam nickte sie, packte die Dose weg und griff nach dem Wasser. Nachdem sie getrunken hatte, wechselte sie auf den Platz neben dem Älteren, sie schlüpfte aus ihren Ballerinas und legte die Füße auf den gegenüberliegenden Sitz zu ihrer Tasche. Dann lehnte sie sich mit dem Kopf an Koushiros Schulter. Sein Körper versteifte sich einen kurzen Moment, dann entspannte er sich und ließ seinen Kopf gegen ihren fallen. Schon nach kurzer Zeit bemerkte er, wie sie langsam weg dämmerte. Er blieb weiterhin wach. Sie hatten schon fast die halbe Fahrt gegessen, dann sollte er wach bleiben, damit sie die Haltestelle nicht verpassten. ❀ ❀ ❀ „Was … was für Karten sind das denn?“, etwas verstört betrachtete Koushiro den Eingang der Rennstrecke. „Ich weiß nicht … Dad hat sie mir in die Hand gedrückt … und mir gesagt, wo ich hin muss …“, nun ebenso verwirrt suchte die Jüngere hektisch in ihrer großen Handtasche. Er hätte sie wesentlich früher danach fragen sollen, schließlich war er zwar in Sport nie wirklich gut und auch nicht allzu gut informiert, aber bei Motorsport wurde es noch schlimmer. Mit dem technischen Knowhow konnte er etwas anfangen, doch für den Sport an sich hatte er nicht viel übrig. Da wären ihm Drohnen oder Roboter lieber. Mit einem Schlag wichen seine Gedanken ab, dass er vielleicht einmal nach einer Drohne sehen könnte. Dabei verpasste er fast, dass Mimi die Karten gefunden hatte. „Ein Motorradrennen“, las sie vor, „geht in einer halben Stunde los. Vielleicht sollten wir reinschauen … Kann ja noch lustig werden“, lachte sie dann. Sie griff nach der Hand des Älteren und zog ihn mit sich. Nach den Plätzen suchten sie noch einmal 15 Minuten, da sie zuerst auch den falschen Gang entlang gelaufen waren. Als sie schließlich auf diesen saßen, blickte sich Mimi neugierig um. Koushiro ließ seinen Blick eher vorsichtig schweifen. Durch die Lautsprecher ertönten irgendwelche Durchsagen, auf der Rennbahn war einiges los und die Leute um sie herum waren ebenso unruhig. Bis es schließlich losging. Manche sprangen laut schreiend auf und begannen zu jubeln oder zu schimpfen. Koushiro zuckte sichtbar zusammen und auch Mimi ruckte näher an ihn heran. ❀ ❀ ❀ „Um Thors Wille … Wie kann etwas so langweilig sein?“, seufzte Mimi und lehnte sich mit dem Kopf an Koushiros Schulter. Sie hatte extra leise geredet, damit nur er es verstand. Die Menschen um sie herum machten ihr etwas Angst, denn sie wusste nicht, wie sie reagieren würden, wenn sie wüssten, dass unter ihnen jemand war, der das Ganze hier langweilig fand. Doch Izzy brachte es zum Lachen. Das einzig Gute hier war ihr Gesicht, dass sie es so langweilig fand. Auch er war nicht begeistert von dem Rennen. Seit nun mehr zehn Minuten starrten alle auf den riesigen Bildschirm vor ihnen. „Ist es bald vorbei?“, mit großen Augen sah sie zu ihrem Nebenmann. „Das Rennen hat erst vor einer Viertelstunde angefangen …“, der Rothaarige zog eine Augenbraue hoch. „Was?“, brachte sie etwas zu hoch heraus, dann begann sie leise zu jammern, „das kann doch nicht dein ernst sein. Wie lange soll das denn gehen?“ „Keine Ahnung … Aber … nein … ich bin zum ersten Mal hier … oder besser gesagt, bei einem Rennen. Ich hab wirklich keine Ahnung wie lang so etwas geht“, überlegte er weiter. „Ich find es langweilig …“, beschwerte sie sich. „Das hast du schon ein paar Mal gesagt.“ „Du etwa nicht?“, verwirrt sah Mimi auf. „Doch, aber du hast mich hierzu eingeladen … wieso? Soll ich gehen? … Sollen wir gehen?“, gab er ebenso verwirrt zurück. „Ja, lass uns gehen – bitte“, kam es viel zu schnell von der Jüngeren. Grinsend betrachtete Koshiro seine beste Freundin und nahm ihre Hand, damit er sie mit sich in die Höhe ziehen konnte. Sie drängten sich an den anderen Zuschauern vorbei. Dabei ließ der Ältere die Hand des Mädchens nicht los – er drückte sie nur noch fester. Mimi musste sehen, dass sie ihre Tasche in der Hand behielt und nachkam. Erst als sie den Eingang erreichten wurde er langsamer und blieb schließlich stehen, um sich zu ihr zu drehen. „Entschuldige“, sprach er, doch er hatte nur aus der Masse herauskommen wollen. Hier am Eingang war nun niemand, da das Rennen in vollem Gange war, die Menschen waren einzig in diesem Bereich, um noch mehr von den Naschereien zu bekommen oder die Toiletten aufzusuchen. „Wir sind entkommen“, lächelte der Rothaarige. „Noch nicht ganz“, stellte seine beste Freundin spitz klar, streckte sich aber zu ihm hoch und drückte ihre Lippen auf seine Wange, „aber danke für den Anfang … mein Held“, hauchte sie gegen seine Haut. Augenblicklich hatte sich Koushiros Körper versteift, seine Wangen waren errötet und sein Herzschlag hatte sich deutlich erhöht. Mit großen Augen betrachtete er die Jüngere. Die musterte ihren Freund und kicherte dann, „wieso bist du denn so rot? Hast du einen Sonnenbrand?“ Schwer schluckend wandte er sich ab, „möglich.“ Doch Mimi sah mehr als nur das. Zuvor hatte er noch keine solch roten Wangen gehabt. „Lass uns hier noch etwas Spaß haben“, beschloss sie. Kurzerhand hakte sie sich bei ihm unter und zog ihn mit sich. Sie kuschelte sich etwas näher an ihn heran und lief gemütlich neben ihm. Doch in Koushiro löste das weitaus mehr aus. Schon der Kuss auf seine Wange hatte ihn aus dem Konzept gebracht. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass sie so etwas bei ihm tun würde. Dass sie so aufgeschlossen war. Dass er in der Stellung war, dass sie ihm so nahe kam. Denn dieser Kuss – wenn er auch nur auf die Wange war – war einfach so vieles. Lösten so viele Gefühle in ihm aus. Mit diesen Gedanken bekam er nur recht wenig von dem Ort mit. Es zog einfach an ihm vorbei. Allerdings war in Shimotsuma nichts allzu besonderes zu finden. Der Tsukuba Circuit war das bekannteste und größte davon. So ließ er sich nur allzu gerne von ihr mitziehen, dass sie sich dabei so an seinen Arm klammerte, verschleierte seine Gedanken zusätzlich. Erst als sie vor einem Schrein standen, erwachte er aus diesen. Interessiert betrachtete er die Gebäude und sah dann in das schmunzelnde Gesicht der Jüngeren. Natürlich war sich Mimi bewusst, dass sie es mit ihrer Nähe nicht besser machte, aber selbst sie konnte es nicht abstreiten, dass sie sich in der Nähe des Rothaarigen wohl fühlte. Sie wusste, welche Wirkung ihr Handeln auf ihn ausübte. Doch es schmerzte auch tief in ihrem Herzen. Trotzdem lächelte sie den Älteren an. Sie hatte mitbekommen, dass er mit seinen Gedanken weit weg gewesen war. Lächelnd schritt sie vor ihn und strich ihm sanft über die Wange. Ein leises Kichern kam ihr über die Wange, „vielleicht solltest du daran arbeiten, damit du nicht immer gleich so rot wirst … sonst bekommst du wohl nie eine Freundin“, lachte sie. Mehr als ein Schmunzeln brachte Koushiro allerdings nicht zustande, schließlich hatte er nie jemanden wirklich gewollt – für ihn gab es nur ein Mädchen … eine junge Frau. Sehnend sah er in die rehbraunen Augen der Jüngeren. Er wurde nachdenklicher. Nervös biss er sich auf die Innenseite seiner Wange, an die Wange, an der noch immer ihre Hand ruhte. Doch je länger er in die Augen der jungen Frau starrte, desto mehr verlor er sich in ihrem Antlitz. In ihren wunderschönen Augen, die ihn schon so lange verzauberten. Sie war es, die sein Herz in ihren Händen hielt und es für ihn hielt, ohne es zu wissen. Schon seit so vielen Jahren kannten sie sich, waren beste Freunde und er liebte sie. Er liebte sie wahrhaftig. So war es sein Innerstes, was ihn dazu veranlasste sich zu ihr zu beugen. Sein Herz war es, das ihn rief und ihn dazu veranlasste seine Lippen auf ihre zu legen. Die ihren fühlten sich so weich an, er konnte selbst nicht glauben, was er hier gerade tat, doch es fühlte sich für ihn so richtig an. Mimi hingegen war von der Direktheit ihres besten Freundes plötzlich so überrascht. Doch seine Lippen waren so ungewohnt. Sie waren butterweich, was sie nie erwartet hatte. Ihr Herz machte grad einen Sprung. Mimi fühlte sich geborgen. So kam es, dass sie den Kuss erwiderte. Und es war, dass er Schmetterlinge in ihr auslöste. Er schaffte es, dass sie sich gut fühlte. Sie fühlte sich glücklich. Sodass sie ihre Hände auf die Oberarme des Älteren legte. Sie klammerte sich regelrecht an ihn. Koushiro berührte sie nur leicht und sehr zögerlich an der Hüfte. Doch sie streckte sich ihm entgegen. Ein Vogel, der aufgeschreckt in den Himmel flog und laute Rufe von sich gab, war es, der die beiden auseinander fahren ließ. Schwer atmend sahen sie sich an. Koushiro war unfähig ein Wort zu sagen, aber so schien es auch Mimi zu ergehen. Nun machte sich aber auch Nervosität in der jungen Frau breit, was sie dazu trieb auf ihre Unterlippe zu beißen. Mit wild schlagendem Herzen blickte der Rothaarige auf die Lippen. Die Lippen, die er gerade noch für sich vereinnahmt hatte. Doch nun mischte sich das schlechte Gewissen mit ein. Es schlich sich in sein Herz wie eine dunkle Wolke und legte sich nieder und wog schwer wie ein dichter Nebel. „Wir … wir sollten … sollten wohl zurückgehen … zum Zug …“, stotterte Koushiro und nahm seine Hände von ihrem Körper. Verunsichert sah er sie an, seine Hände zitterten leicht. Wie kann etwas, dass sich so richtig anfühlte, sich gleichzeitig so falsch anfühlen, weil er ihr einen Kuss geraubt hatte. „Entschuldige …“, flüsterte er, „… das war unpassend … ich hätte das nicht einfach machen dürfen … ohne … ohne dich um Erlaubnis … zu … zu bitten …“ Vielleicht war es ein Fehler – vollendete er in Gedanken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)