Besuch aus Amerika von phean ================================================================================ Kapitel 18: Geständnis ---------------------- Dienstag, 16. Juli Betrübt stand Hikari vor der Zimmertür ihres Bruders. Ihre Hand war erhoben, weil sie gerade anklopfen wollte. Doch sie ließ es, sie wusste, dass er nicht antworten würde. Wie auch am gestrigen Tag. Ihm ging es nicht gut. Er redete nicht, antwortete nicht, aß nicht und kam nicht aus dem Zimmer. Zumindest nicht, wenn jemand anwesend war. Nach dem Gespräch mit Matt vor zwei Tagen hatte sie sich wesentlich besser gefühlt, hatte am vorherigen Tag wieder die Pause mit ihnen verbracht. Doch sie sprach nicht mit Matt darüber – nicht in Anwesenheit der anderen. Sie hatten sich lange angesehen, doch bevor es jemand bemerkt hatte, hatte sie sich Davis zugewandt. Sie war in diesem Moment ganz froh, dass er sie in einem Redeschwall ertränkte. Seufzend wandte sich das Mädchen von der Tür ab und machte sich zur Eingangstür auf. Sie war schon spät dran. Ihre Eltern waren bereits vor einigen Minuten aufgebrochen. Ein letzter Blick zurück, dann schloss sie die Haustür. ❀ ❀ ❀ Bereits seit sie losgegangen waren, musste Davis Wallace Stimme ertragen. Dieser redete ohne Punkt und Komma über die Brillenträgerin der Gruppe. Zwischendrin schweifte er ab, als er auf die Digiwelt zu sprechen kam, dann kam er wieder auf Miyako zu sprechen und im nächsten Satz ging es um Süßigkeiten. Der Braunhaarige wurde mit Fragen gelöchert, was das Mädchen gerne aß, was sie gerne in der Freizeit tat, was sie gemeinsam tun könnten. Das wurde er bereits seit über drei Wochen. Und er hielt das langsam nicht mehr aus. Der Blonde schwärzte ihn bei seiner Mutter an. Wenn seine Schwester zu Besuch war, wurde er auch bei ihr schlecht gemacht – als würde sie sich nicht ohnehin schon über Davis aufregen. Doch die zwei haben sich gefunden und machten sich gemeinsam über ihn lustig. Jun schlug schon vor, dass sie Davis ins Flugzeug nach Amerika setzen würde, damit der Blonde für immer in Japan bleiben könnte. Dann war Davis aus dem Raum gestürmt. Als Jun dann aber wieder weg war, redete sein ungebetener Gast erneut auf ihn ein. Davis klammerte sich an die Gurte seines Schulranzens, er krallte sich regelrecht hinein. Seine Schultern hatte er hochgezogen. Sein Grummeln, welches er nicht mehr zurück halten konnte, ließ er als leises Brummen von sich, sodass es Willis nicht unbedingt hörte. Der Blonde lief etwas hinter ihm und die Schule hatten sie fast erreicht. Mit einem Mal schnellte Davis Kopf in die Höhe. Er hatte ein paar Gruppen vor sich etwas entdeckt, was seine volle Aufmerksamkeit forderte. Ohne auf seinen Begleiter zu achten, drückte er sich an den Schülern vorbei. Seine Miene war erhellt und das schaffte nur eine Person. Er legte eine Hand auf die Schulter und lachte Kari an, die ihn verwundert musterte, aber ebenso lächelte. „Guten Morgen Davis“, begrüßte sie ihn. Auch wenn ihr nicht unbedingt zum Lachen zumute war, sie wollte ihm nichts Böses. „Guten Morgen Hikari, wie hast du geschlafen? Wie geht’s dir?“, fragte der Anführer sie gleich und lief neben ihr. Nach seinem Ballast wollte er sich nicht umdrehen. Er würde das Klassenzimmer auch ohne ihn finden. Ein Schatten huschte über das Gesicht des Mädchens, doch sie fing sich wieder. „Gut, ich bin nur etwas bedrückt …“ „Wegen Tai?“, schlussfolgerte der Braunhaarige. Ein Schnauben entwich ihm. Er fand nicht richtig, was sein Vorbild getan hatte. Er verstand es immer noch nicht und es war einfach falsch. Mit seinem besten Freund sollte man sich auch auf normale Weise aussprechen können. Außerdem war das Mädchen, um das es ging, bereits in festen Händen. Er würde sich auch nicht an ein Mädchen ran machen, das bereits in festen Händen wäre. Genauso wenig wie er wollen würde, dass man das bei seiner festen Freundin machen würde. In Gedanken versunken verschränkte er die Hände hinter dem Kopf. „Davis …“, murmelte Hikari verwirrt. Sie hatte nicht gedacht, dass er sofort auf ihren Bruder tippte. Aber es erschrakt sie auch, wie wütend er beim aussprechen seines Namens klang. Es stach ihr im Herz. Sie wusste, wie er ihren Bruder normal bewunderte. Vermutlich war er von ihm enttäuscht – von seinem Verhalten. Sie verstand es. Als die Zwei das Schultor passierten, trat Willis zu ihnen, „Davis … wo bist du nur auf einmal hin gewesen … ich hatte gar nicht gemerkt, dass du weg warst, erst als ich ein paar Mädchen neben mir lachen hörte … Die haben gesagt, dass ich mit mir selbst geredet hätte. Das ist wirklich nicht nett“, regte er sich auf, doch sein Gesichtsausdruck ließ eine wütende Mimik nicht zu, als er Yolei erblickte. Sie unterhielt sich mit Izzy und Takeru. Als der Jüngste der Runde die Ankommenden bemerkte, hob er kurz die Hand und lächelte ihnen entgegen. Miyako erstarrte, sie hatte ihnen den Rücken zugekehrt, doch TK hatte ihr ein Zeichen gegeben. „K-Können wir dann l-los, Izzy?“, mit großen Augen wandte sie sich an den Rothaarigen. Er nickte, als sie sich in seinen Arm krallte und er merkte, dass er langsam taub wurde. „G-Guten Morgen Kari, Davis … Willis“, presste der Älteste zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Die Blutzufuhr in seinem Arm war immer noch leicht unterbrochen, „entschuldigt, aber w-wir müssen los …“ „Oh“, kam es von Kari. Sie hatte gerade zu einem ‚Guten Morgen‘ ansetzen wollen, doch Yolei zuckte mit den Schultern. Als ließ sie es und murmelte ihnen ein ‚Tschüss‘ hinterher. „Guten Morgen Takeru … oh Guten Morgen Kari“, setzte TK an und grinste das Mädchen breit an, als sie ihn noch etwas verwundert ansah. Der Junge zu ihrer Rechten musterte sie verwirrt. Der Junge zu ihrer Linken sah den Älteren hinterher und seufzte. „Kommt“, Davis holte alle aus ihren Gedanken zurück, „wir sollten auch rein.“ „Davis“, lachte der ältere Blondschopf auf, „sowas von dir zu hören ist ja mal was neues, seit wann bist du so scharf auf den Unterricht“, er klopfte dem Anführer auf den Rücken, während sie zum Eingang liefen. Der Braunhaarige zuckte mit den Schultern und betrachtete weiterhin das Mädchen an seiner anderen Seite. Hikari hatte ihren Blick wieder auf den Boden gesenkt. Sie konnte nur noch an ihren Bruder denken. Sie machte sich noch mehr Sorgen als in den vergangenen Wochen. Es war einfach zu schwer, dass er nicht auf sie reagierte. Sie hielt das nicht lange aus. ❀ ❀ ❀ „Ich halt das nicht mehr lange aus“, knurrte Davis beim Anblick seines Poltergeistes. Er unterhielt sich angeregt mit Hikari über die Englischklausur, die sie noch diesen Freitag schreiben würden. Doch das Mädchen schien nicht bei der Sache zu sein. Wie schon in den bisherigen Schulstunden war sie mit den Gedanken bei ihrem Bruder. Doch Wallace schien das gar nicht zu stören. So störte es auch Yolei nicht, dass sie in der Pause unbelästigt blieb. Sie stand bei Izzy und Mimi. Zwar tat ihr ihre Freundin Leid, aber da sie noch nicht um Hilfe geschrien hatte, schien es Kari noch gut zu gehen. „Was hast du gesagt?“, fragte Takeru neben dem Anführer nach. „Ich sagte“, wieder war es ein Knurren, was Davis über die Lippen kam, dieses Mal nur deutlicher und langsamer, „ich halte das nicht mehr lange aus.“ „Ich glaube in ihm platzt bald eine Sicherung“, meinte Matt, als er den jungen Anführer begutachtete. „Bald ist es so weit …“ Ein kleines Lächeln schlich sich auf die Lippen des Bassisten. „Matt, sei nicht so gemein …“ „Oh … da“, er zeigte auf Daisuke, in dem Moment schrie dieser auch und zog damit sämtliche Blicke des Schulhofs auf sich. „Und ich bin nicht gemein“, Yamato wandte sich an seine Freundin und grinste sie an. Bevor sie erneut etwas erwidern konnte, drängte sich Davis zwischen ihnen durch. Er war geradewegs auf dem Weg zu dem Blonden und seiner Angebeteten. Schwer schnaufend blieb er vor ihnen stehen und funkelte den Jungen finster an. „Hey Davis, was gibt’s?“, wollte der Blonde lachend wissen, „hey, da steht eine Ader auf deiner Stirn hervor … die pocht … das ist ja gruselig“, Wallace beugte sich etwas nach vorn und streckte den Finger nach dem kleinen Gefäß auf Davis Stirn aus. Der schlug die Hand beiseite und tippte mit seinem Finger gegen die Brust des Jüngeren. „Was soll das werden?“, schrie er ihn an. „Was meinst du?“, Willis war unwissend, er wusste nicht, was sein Gegenüber meinte. „Wie lange willst du noch bei mir wohnen? Das geht mir mächtig auf die Nerven… Du tust so, als würdest du schon immer da wohnen… Auch wenn Jun dich mag, mir reichts langsam“, knurrte der Anführer. Der Blonde richtete sich auf und zog eine Schnute, „seit wann denkst du denn so? Das ist richtig gemein“, gab er mit einem leicht beleidigten Unterton von sich. „Seit deinem zweiten Tag oder dem ersten … du hast meiner Mutter gesagt, ich hätte vergessen zu erwähnen, dass du bei uns übernachtest“, Davis Stimme fiel in eine höhere Oktave, „das ist jetzt fast einen Monat her.“ „Ach ja? Wirklich? Mir kam es wie ein paar Tage vor“, nachdenklich legte sich Wallace einen Finger an das Kinn, „dann sollte ich wohl langsam bei dir raus … Ich will ja nicht aufdringlich sein …“ „Aufdringlich?“, Davis Stimme war nur noch ein Piepsen. „Stimmt“, grinste der Blonde, „ich bin nicht aufdringlich … ich bin die Liebenswürdigkeit in Person“, er kicherte und drehte sich zu Miyako, „dann kann ich ja mit dir zusammen ziehen.“ „WAS?“, schrie die Brillenträgerin auf. „Ja, das ist noch zu früh, dann pack ich nachher meine Sachen und geh Heim … Davis, ich hoffe, du besuchst mich mal“, lachte Wallace. „Ich komm nicht so einfach nach Amerika“, winkte dieser ab, dankbar für diese Ausrede. „Musst du doch gar nicht“, sein Gegenüber grinste wieder, „ich wohn zwei Stockwerke unter dir.“ Alle hielten den Atem an. Davis und Yoleis Augen weiteten sich. „W-w-w-…“, er brachte den Satz nicht zu Ende. Die Lilahaarige brachte nicht einmal einen Ton hervor. „Was meinst du damit?“, Hikari war aus ihrer Starre erwacht und wandte sich an den Blonden neben sich. „Naja, ich bin vor vier Wochen nach Japan gezogen“, er grinste wie zuvor schon. „Ich dachte nur, ich überrasch euch. Meine Mum ist auch erst vor zwei Wochen hier angekommen … Ich wollte einfach nicht allein in der Wohnung sein“, er legte seinen Kopf schief, „ist das so verwerflich?“ „Nein, aber du kannst dich auch nicht einfach über drei Wochen bei Davis einquartieren“, erklärte die Braunhaarige. „Achso … also ich war mit meinen Freunden immer relativ spontan und wir haben uns nicht darum geschert, meine Mum hat nicht einmal bemerkt, dass ein Kumpel eine Woche bei mir geschlafen hatte, erst als er gegangen war und sich bedankt hatte, ist es ihr aufgefallen.“ ❀ ❀ ❀ „Ich kann es immer noch nicht glauben, dass Willis tatsächlich hier in Japan wohnt“, sprach TK seine Gedanken laut aus. „Ja“, murmelte Hikari und ließ ihren Blick schweifen. Sie wollten gemeinsam für die Klausur lernen, das hatten sie schon seit einiger Zeit ausgemacht und auch zuvor – bei jeder Klausur – so gemacht. „Hey, was ist los?“, der Blonde beugte sich nach vorn, damit er seiner besten Freundin ins Gesicht sehen konnte. „Ach nichts …“, erwiderte sie und drehte ihren Kopf zur Seite. „Ich will dich nicht drängen, aber … wirst du mir erzählen, was los war?“ Ihr stockte der Atem und mit einem flehenden Blick wandte sie sich zu ihm, „TK bitte … ich kann nicht … ich hab es ihm versprochen …“ „Aber er hat doch angeblich ein Versprechen gebrochen und du wolltest dann nichts mehr tun … war es nicht so, oder irre ich mich …“ „Er hat Probleme … es muss nicht jeder erfahren“, murmelte sie, „außerdem kennst du das Größte schon.“ „Ja, Sora … was ist das Kleinere?“ „Ich will nicht weiter darüber reden …“, sie war stehen geblieben. „Gut, bitte entschuldige“, er wandte sich zu ihr um. Nachdenklich musterte er sie, er hasste es, wenn das geschah. Er wollte das Mädchen vor sich nicht so sehen. Takeru wollte sie nicht traurig stimmen, er wollte sie immer fröhlich sehen. Es würde ihm im Herzen wehtun, wenn sie traurig ist. Danach vermutlich auch körperlich, weil Tai ihm einen Besuch abstatten würde. In seinem Kopf tauchten verschiedene Möglichkeiten auf, wie er ihr wieder ein Lächeln auf ihre Lippen zaubern könnte. Wie er sie aufmuntern könnte. Von dem ganzen Stress ablenken könnte. Takeru wusste, dass es ihr wegen Tai schlecht ging, dass sie sich auch wieder schlecht fühlen würde, sobald sie bei ihr waren. „Wie viel Erde liegt in einem 50 Zentimeter tiefen und 40 Zentimeter breiten Loch?“, er richtete sich auf und fixierte sie. Verwirrt sah sie auf und legte ihren Kopf schief. Hikari dachte, sie hätte ihn falsch verstanden, dass er gerade nicht einfach so eine Banalität gefragt hatte. „Wie?“ „Du hast mich schon richtig verstanden“, er grinste sie an, „also? Was ist deine Antwort?“ „Ich weiß nicht … wie viel denn?“ Grinsend drehte er sich aber um und lief weiter. „Hey“, Hikari eilte ihm hinterher und verlangte eine Antwort. „Was ist die Antwort?“ TK lachte auf, „das willst du jetzt unbedingt wissen?“, er sah zu der kleineren Person neben sich. „Ja, jetzt sag es mir“, sie lachte und war gleichzeitig genervt davon, dass er ihr auswich. Dadurch musste er nur noch mehr grinsen und freute sich. Sie lachte wieder und konzentrierte sich auf ihn. Das freute ihn, so konnte er sie zumindest auf dem Heimweg lachen sehen. Seine Theorie bestätigte sich auch gleich, als sie vor dem Wohnhaus der Yagamis ankamen, war sie wieder bedrückt. Ihr Kopf senkte sich wieder dem Boden entgegen. Takeru seufzte unbemerkt und lautlos. Er würde ihr so gerne helfen, wenn er könnte. Aber er wollte sich nicht aufdrängen. Mit schmerzendem Herzen sah er ihr zu, wie sie die Wohnungstür aufsperrte. Wie sie schwer schluckte. Wie sie sofort die Zimmertür ihres Bruders anstarrte und nicht mehr aus den Augen ließ. Er wollte etwas sagen, doch Kari ging darauf zu und wollte klopfen. Aber etwas schien sie davon abzuhalten. Sie schniefte und drehte sich um. „Magst du etwas zum Essen?“, wollte das Mädchen von ihrem Gast wissen. „Du musst das nicht machen“, alles zog sich in ihm zusammen. Er wollte ihr keine Umstände machen. „Aber …“, sie schniefte und blinzelte die Tränen weg, „… ich will … also … was willst du?“ „Was mir das Haus empfiehlt“, er lächelte müde, „aber nur, wenn du es gemacht hast … ich muss am Freitag anwesend sein, ich kann keine Lebensmittelvergiftung gebrauchen.“ „Keine Sorge, ich koche“, sie erwiderte sein schwaches Lächeln. „Kann ich dir helfen? Dann geht’s schneller und wir kommen noch gut zum Lernen.“ „Klar, wenn du magst und ich weiß, was wir machen können.“ „Dann frage den heiligen, weisen Kühlschrank, damit er uns eine Antwort schenke“, Takeru hielt seine Hände nach oben, als würde er ein Gebet dem Himmel entgegen schicken. „Halt die Klappe“, kicherte sie. Schmunzelnd lief er ihr hinterher. Es war so schön ihr Lachen zu hören. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)